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Full text of "Das erste halbe Jahrhundert der Hessen-darmstädtischen Landesuniversität"

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Das erste halbe Jahrhundert 

der hessen- darmstädtischen 

Landesuniversität 



von 



Dr. phil. Wilhelm Martin Becker, 



Oberlehrer in Darmstadt 




Verlag von Alfred Töpelmann 
(vormals J. Ricker) * Gießen • 1907 



W. M. Becker 



Das erste halbe Jahrhundert 

der hessen- darmstädtischen 

Landesuniversität 



Das erste halbe Jahrhundert 

der hessen - darmstädtischen 

Landesuniversität 



von 



Dr. phil. Wilhelm Martin Becker 

Oberlehrer in Darmstadt 




Verlag von Alfred Töpelmann 
(vormals J. Ricker) * Gießen • 1907 



Sonderabdruck aus: 

DIE UNIVERSITÄT GIESSEN 

» 

VON 1607 BIS I9O7. 

FESTSCHRIFT 
ZUR DRITTEN JAHRHUNDERTFEIER 

HERAUSGEGEBEN VON DER 

UNIVERSITÄT GIESSEN 



VERLAG VON ALFRED TÖPELMANN, GIESSEN 1907 



Vorwort 



Es wird hier zum ersten Male der Versuch gemacht, die Entstehung und 
die Sturm- und Drangperiode unserer Landesuniversität eingehend darzustellen, 
und zwar sowohl nach der Seite der äußeren Vorgänge, die auf die Wand- 
lungen der Hochschule eingewirkt haben, als nach der ihrer inneren Zustände. 
Eine genauere Würdigung der einzelnen Persönlichkeiten und ihrer Stellung 
im Geistesleben ihrer Zeit sollte nicht gegeben werden ; für einige von ihnen 
wird dies von berufener Seite in den übrigen Teilen der Festschrift nachgeholt. 

Die vorliegende Arbeit ist auf Grund meiner umfangreichen, zumeist aus 
luigedrucktem Material geschöpften Stoffsammlung im Laufe mehrerer Jahre ge- 
schrieben, in den Stunden, die die tägliche Berufsarbeit ab und zu freiließ. 
Ungleichmäßigkeiten waren da nicht ganz zu vermeiden; hoffentlich machen 
sie sich nicht zu sehr bemerkbar. 

Außerordentlich gefördert wurde diese Arbeit durch die warme Anteil- 
nahme, welche die leider allzufrüh aus reichem Wirkungskreise geschiedenen 
Professoren Höhlbaum und Stade ihrer Entstehung und ihrem Fortschreiten ge- 
widmet haben. Ihrer sei deshalb auch hier in herzlichster Dankbarkeit gedacht. 

Allerorts, wo ich frei der Sammlung des Materials wie bei der Ausar- 
beitung um Auskünfte oder sonstige Unterstützung nachsuchte, fand ich 
freundliches Entgegenkommen. In erster Linie danke ich hierfür herzlich den 
Vorständen und Beamten der Archive und Bibliotheken, deren Hülfe ich un- 
mittelbar in Anspruch nehmen mußte ; ich nenne vor allen das Groß herzog- 
liche Haus- und Staatsarchiv in Darmstadt, das Universitätsarchiv und das 
Stadtarchiv in Gießen, das Königliche Staatsarchiv in Marburg, die Groß- 
herzogliche Universitätsbibliothek in Gießen, die Großherzogliche Hofbiblio- 
thek in Darmstadt, die Stadtbibliothek in Mainz ; unter den Instituten, die mich 
durch Auskünfte oder Übersendung von Material unterstützten, seien hier mit 
bestem Danke hervorgehoben: Das Kaiserliche und Königliche Haus-, Hof- und 



VI 

Staatsarchiv in Wien, die Königliche Hof- und Staatsbibliothek in München, 
die Großherzogliche Bibliothek in Weimar und die Landesbibliothek in Kassel. 
Verbindlicher Dank sei auch den Herren Pfarrer D. Dr. Diehl in Hirschhorn, 
Oberlehrer Lic. Herrmann in Darmstadt und Universitatsbibliothekar Dr. Leh- 
nert in Gießen gesagt, die mir Quellcnnachweise vermittelten, sowie besonders 
Herrn Professor D. Drews in Gießen für die Sorgfalt, die er der Korrektur 
angedeihen ließ. 

Darmstadt, im Juni 1907. 

Dr. W. M. Becker. 



Inhalt 



Seite 

Einleitung 1—8 

Erster Abschnitt Die Entstehung der Universität Gießen 9 — 75 

I. Vorverhandlungen bis zum Tode Ludwigs von Marburg S. 9. — II. Die 
Gründung des Gymnasiums zu Gießen S. 16. — III. Gegenwehr der Uni- 
versität Marburg; Bemühung um das Universitätsprivileg S. 38. — IV. Er- 
teilung des Privilegs und Eröffnung der Universität S. 57. 

Zweiter Abschnitt Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im 

Jahre 1624 76—190 

I. Überblick der Universitätsgeschichte 1607 — 1624 S. 76. — II. Tendenzen 
in der Universität S. 84. — III. Die Statuten S. 87. — IV. Das Corpus 
academicum S. 92. — V. Akademische Vorrechte S. 97. — VI. Verhältnis 
zum Landesherrn S. 103. — VII. Verhältnis zu den Behörden und zur 
Stadt S. in. — VIII. Rektor und Senat S. 116. — IX. Dekane, Kanzler 
und Syndikus S. 121. — X. Die akademischen Lehrer S. 124. — XI. Die 
Fakultäten S. 135. — XII. Der Lehrbetrieb: Vorlesung S. 139. — XIII. Der 
Lehrbetrieb: Disputation und Deklamation S. 147. — XIV. Prüfungen und 
Promotionen S. 155. — XV. Akademische Institute S. 169. — XVI. Päda- 
gogium S. 172. — XVII. Gebäude S. 174. — XVIII. Die Studenten S. 178. 
— XIX. Stipendiaten S. 183. — XX. Güterverwaltung S. 186. — XXI. Unter- 
beamte und Beisassen S. 187. 

Dritter Abschnitt Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neu- 
ordnung der Universität Maxburg 191—237 

I. Das kaiserliche Urteil, die Besitznahme von Marburg und die Aufhebung 
der Universität Gießen S. 191. — II. Landgraf Ludwigs Neuordnung der 
Universität Marburg S. 202. — III. Die Entscheidung über den Besitz der 
Universität Marburg S. 218. 

Vierter Abschnitt Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung 

durch die Dannstädter Linie (1624—1649) 238—297 

I. Überblick der Universitätsgeschichte 1624 — 1645 S. 2 3&« — U« Tendenzen 



VIII Inhalt. 

Seit« 

in der Universität S. 248. — III. Die Statuten S. 250. — IV. Das Corpus 
academicum S. 251. — V. Akademische Vorrechte S. 252. — VI. Ver- 
hältnis zum Landesherrn S. 255. — VII. Verhältnis zu den Behörden und 
zur Stadt S. 258. — VIII. Rektor und Senat S. 259. — IX. Dekane, Kanzler 
und Syndikus S. 262. — X. Die akademischen Lehrer S. 264. — XI. Die 
Fakultäten S. 270. — XII. Lehrbetrieb: Vorlesung S. 275. — XIII. Lehr- 
betrieb : Disputation und Deklamation S. 276. — XIV. Prüfungen und Pro- 
motionen S. 278. — XV. Akademische Institute S. 282. — XVI. Pädagogium 
S. 284. — XVII. Gebäude S. 285. — XVIII. Die Studenten S. 286. — 
XIX. Stipendiaten S. 290. — XX. Güterverwaltung S. 295. — XXI. Unter- 
beamte und Beisassen S. 296. 

Fünfter Abschnitt. Die Universität Marburg im Hessenkrieg und die 

Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen (1645—1650) . 298—363 
I. Bedrängnis der Universität 1645 — 1646 S. 298. — II. Vergebliche Ver- 
handlungen; Melanders Einfall S. 317. — III. Der Friedensschluß S. 325. 
— IV. Kommunion oder Separation? S. 329. — V. Wiederherstellung der 
Gießener Universität S. 345. 



Erklärung der Abkürzungen. 

UAG = Universitätsarchiv Gießen. 

UAM = Universitätsarchiv Marburg (in Verwaltung des Staatsarchivs). 
StAD = Großh. Haus- und Staatsarchiv Darmstadt. 
StAM = Kgl. Staatsarchiv Marburg. 
StAW = K. u. K. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. 
UBG = Großh. Universitätsbibliothek Gießen. 
Cgm. = Deutsche Handschriften der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek München« 



ADB = Allgemeine deutsche Biographie. 

AfhG = Archiv für hessische Geschichte (Darmstadt). 

ZfhG = Zeitschrift für hessische Geschichte (Kassel). 

MOGV = Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins (Gießen) s 



Berichtigung von Druckfehlern» 

S. 70, Anm., Zeile 1 v. u. nach «Siegel» zuzufügen «verlangt wurden». 

S. 284, Zejle 5 v. o. nach «ob» zuzufügen «schon anfangs», 

S. 284, Anm. 251 zuzufügen: «1641 richtete Prof. Horst in seinem Hause ein solches ein 

(Lib. dec. med. I, Bl. 92)». 
S. 325, Zeile 14 v. o. statt 1647 1. 1648. 




Einleitung. 



Das Reformationszeitalter bildet für das deutsche Landesfürstentum die 
Periode rapider Entwicklung in der Richtung zum modernen Staate hin. Der 
Religionsfriede hob die Macht des Territorial fürsten .ebensosehr, wie er das 
mittelalterliche Kaisertum schwächte. Den evangelischen Reichsfürsten war mit 
der Kirchenhoheit nicht allein ein Zuwachs an Rechten zugefallen, sondern 
in den einzelnen Staaten empfand man auch gleichzeitig als zwingende Ver- 
pflichtung, weite Gebiete, die bisher außerhalb des staatlichen Wirkungs- 
kreises gelegen hatten, weil sie so gut wie ausschließlich von der Kirche be- 
baut wurden, nunmehr selbst in Angriff zu nehmen. Man kann sagen, daß 
sich der Fürstenstaat im allgemeinen mit den neu herantretenden Pflichten 
gut abgefunden hat. Zu den Objekten der neuen Regierungstätigkeit seit dem 
16. Jahrhundert gehört in erster Linie das Bildungswesen 1 , und gerade hier- 
in ist, sowohl auf der niederen Stufe der deutschen Volksschule wie auf 
der höheren der Lateinschule und nicht minder im Universitätswesen, Her- 
vorragendes von dem neuen deutschen Fürstenstand geleistet worden. In 
evangelischen Ländern hängt die Entwicklung der höheren Schulen und 
Universitäten aufs engste mit der neuen Stellung des Landesherrn als Lan- 
desbischof zusammen. Ihm lag es ob, einen Qeistlichenstand zu schaffen, 
der die Errungenschaften der Reformation in würdiger Weise bewahrte, der 
sich durch Studium und Bildung von dem vorreformatorischen Priesterstand 
abhob. Zur Erreichung dieses Zieles war es geboten, von jedem Geist- 
lichen ein Studium auf einer Hochschule zu verlangen. Als Landesbischof 
war der Fürst verpflichtet, die Möglichkeit zu schaffen, wodurch dieses Bil- 




Siein, Verwaltungslehre : Bildungswese 



bes. 82 ff. 



2 Einleitung. 

dungsbedürfnis sich befriedigen ließ. Und dies konnte bei den vielfach 
noch ungeklärten religiös-theologischen Richtungen in zuverlässiger Weise nur 
geschehen, wenn der Fürst selbst Einfluß auf die theologische Ausbildung aus- 
üben und sie überwachen konnte. Hieraus ergab sich von selbst das Streben des 
Landesherrn nach dem Besitz einer eigenen Landeshochschule, sei es in Ge- 
stalt eines akademischen Gymnasiums, sei es durch Gründung einer vollen Uni- 
versität. — Freilich war es nicht die Ausbildung des Bedarfs an Theologen allein, 
was den Fürsten die Schaffung von Bildungsanstalten nahe legte. Der Staat, 
der eben seine ersten Schritte in der Richtung auf den Absolutismus hin wagte, 
er bedurfte der römisch-rechtlich geschulten Juristen ; der Fürst begann neben 
und vor den Räten aus dem Adel des Landes die Doctores zu schätzen, die er 
daneben in dem jetzt beginnenden Zeitalter der massenhaften Kammerge- 
richts- und Reichshofratsprozesse dringend nötig hatte. 

In Hessen hat Landgraf Philipp schon sehr frühzeitig sich in den 
Besitz einer eigenen Universität gesetzt. Bereits im Sommer 1527 begannen 
in Marburg die Vorlesungen und ermöglichten es den Söhnen Hessens, die 
bisher vorwiegend in Erfurt studiert hatten*, im Lande selbst sich akade- 
mische Bildung zu erwerben. Die vortrefflichen Stipendiateneinrichtungen, 
aus denen bald das Land die Elite seiner Gebildeten zog, ermöglichten es 
auch Minderbegüterten, sich den gelehrten Berufen zu widmen. 

Mit Philipp sank die hoffnungsvolle hessische Machtstellung ins Grab. 
Sein eigenes Testament war die Grundlage der Zersplitterung und Schwä- 
chung des hessischen Staatswesens. Er brachte es nicht über sich, die Un- 
teilbarkeit des Landes festzusetzen, aber er hat doch auch die völlige Tren- 
nung der einzelnen Teile vermeiden wollen. Aus Stimmungen und Verstim- 
mungen gegen seine Erben geboren, sind die Festsetzungen seines Testamentes 
eine verhängnisvolle Halbheit geworden 8 . Bezeichnend für die schwankende 
Haltung, die der alte Fürst bei der Abfassung des letzten seiner Testamente 
noch einnahm, ist die Bestimmung, daß seine Söhne am besten gemeinsam 
das ganze Land regieren sollten, eine Bestimmung, die er dann selbst wie- 
der als aussichtslos kennzeichnete, indem er jedem der Söhne seinen Landesteil 
zumaß 4 . Sofort nach der Eröffnung des Testamentes erfolgte denn auch 
die Teilung des mächtigen Fürstentums in die vier ungleichen Teile, und ihre 



* Vgl. die Angaben von Stölzel, Studierende v. 1368— -1600 aus dem Gebiet Kur- 
hessens (ZfhG, 5. Suppl. 1875), 3> un d: Entwicklung des gelehrten Richtertunis I (1872), 112. 

» Franck im AfhG X (1864), 300; vgl. auch Lenz, ADB XXII, 270. 

4 Mit Recht sagt Pagenstecher, Die Thronfolge im Großh. Hessen, Gieß. Diss. 1898, 
27: „Er konnte sich nicht zu einer Tat aufschwingen und begnügte sich mit Rat". — 
Die Bestimmung des Testaments in Lünigs Reichsarchiv IX, 779, u. im Hess. Staatsrecht II 
(1832), 61. — Schon Philipps Urenkel, Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels-Rotenburg 
(t > 693)» betont es in seiner „Summarischen u. curieusen Information vom zustand des haußes 
Hessen" (Kassel, Land.-Bibl., Ms. Hass. 4°6o), 4 f., wieviel Unglück dem Hause Hessen 
erspart worden wäre, wenn Landgraf Philipp die Primogenitur festgesetzt hätte. 



Einleitung. 

Herren standen jetzt in einer eigentümlich unhaltbaren Stellung zueinander. 
Während nämiich jeder der vier fürstlichen Brüder in seinem Territorium die 
landesherrlichen und landesbischöflichen Rechte übt, während das Haus Hes- 
sen sogar auf den Reichslagen vier Stimmen führt, sind alle durch Beleh- 
nung zu gesamter Hand aneinander gefesselt, haben ein gemeinsames Ober- 
gericht, eine gemeinsame Kasse für Gesamt Unternehmungen, eine gemein- 
same Hochschule usw., und, was mehr als das alles ist: die Organe des welt- 
lichen und geistlichen Regiments, Landtage und Synoden, sind allen vier 
Fürstentümern gemeinsam. Bei alledem war eine gewisse Suprematie der 
ältesten — Kasseler — Linie, wenigstens solange ein Fürst von der unzwei- 
felhaften geistigen Bedeutung Landgraf Wilhelms sie vertrat, nicht zu ver- 
kennen 6 . Daß in den Widersprüchen der Gesamt Verfassung die Keime für 
Verwicklungen der gefährlichsten Art lagen, ist offenbar. Zunächst zwar 
nach Philipps Tode ist es das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Wunsch 
des väterlichen letzten Willens und vielleicht der Druck der Volksmeinung, 
wodurch die Brüder sich zu den Erbverträgen geneigt zeigen. Aber als die 
Son deren twicklung der vier — seit dem kinderlosen Ableben des dritten Bru- 
ders Philipp von Rheinfels (1583) noch drei — Fürstentümer einige Zeit ge- 
währt hatte, ließen sich Reibungen nicht vermeiden. Was besonders Hessen- 
Darmstadt betrifft, so mußten die Begriffe Landgraf Georgs von den Vor- 
teilen der hessischen Gesamtverfassung durch die abschätzige Behandlung, 
die er von Landgraf Wilhelm von Kassel erfuhr 8 , durch schroffe Zurück- 
weisung gutgemeinter Vorschläge', durch das Dreinreden des Bruders in 
seine Angelegenheiten 8 stark herabgestimmt werden, und es mochte in ihm 
der Wunsch sich regen, sich von der Kasseler Bevormundung zu emanzi- 
pieren. In Georgs kleinem Staatswesen war ohnehin die Neigung, Verbesse- 
rungen unabhängig vom Gesamtstaat Hessen einzuführen, stark entwickelt, 
infolge der unermüdlichen Fürsorge des Fürsten, begünstigt durch die geogra- 
phische Trennung von den Gebieten der Brüder. Das Katzen ein boger 
Landrecht, dessen beabsichtigte Publikation zu Georgs großem Ärger am 
Widerspruch des gemeinhessischen Hofgerichts scheiterte 9 , die „Ordnung in 



6 Vgl. Steiner, Georg I. (1861}, 1 92 ff. — Noch kurz vor dem Vertrag von 1627, 
der Kassels Prärogative endgültig vernichtete, wurden die Vorzugsrechte nochmals gegen 
Darmstadt geltend gemacht. Vgl. die „Gründliche warhaffte und vollstendige Erzeh- 
lung, wie es umb den Marpurgischen Successionstreit . . . bewand" (1643), 448ff., wo 
unter den Vorrechten der ältesten Linie das hierher gar nicht gehörige Universitäts- 
verwaltungs recht (s. u.) angeführt ist. 

* So bei der Rheinfelser Erbteilung, vgl. v. Rommel, Gesch. v. Hessen VI, 88, Anm. 5. 

' Georg suchte um Gelder zur Vergrößerung des Staates durch Ankauf einer Herr- 
schaft nach und wurde von Wilhelm abgewiesen. Buchs Chronik bei (Nick) Georg der 
Fromme (1896), 9t. Ludwig von Marburg erhielt in ähnlichem Falle 30000 fl. zinslos. 
Rommel VI, 20. — 9 Z. B. Rommel VI, 91, Anm. 11. 

• Vgl. Ludwig im Archiv für prakt. Rechtswissenschaft, 3. Folge, IV (1889), 2, 48 ff. 
Schmidt, Geschichtl. Grundlagen des bürgerl. Rechts im Großh, Hessen (1893), 68 ff. 




4 Einleitung. 

peinlichen Sachen", auch die „Christliche Polizeiordnung" sind Zeugen dieser 
Sonderentwicklung 10 . Es ist naturlich, daß ein Staat, der seine inneren Ver- 
hältnisse so selbständig auszubauen bestrebt war, den Einfluß der übrigen 
hessischen Fürstentümer mehr und mehr auszuschließen suchte. Hinzu kam 
das persönliche Moment. Solange die Landesteile von Brüdern regiert wur- 
den, verhüteten die Bande des Blutes eine völlige Entzweiung; anders konnte 
es werden, wenn die Söhne der ersten Inhaber, als Vettern sich nicht mehr 
so nahe stehend, die Regierung übernahmen. Irgendein Anlaß konnte dann 
einen politischen Gegensatz herbeiführen. 

Neben der politischen Seite im Verhältnis der hessischen Fürstentümer 
darf die religiöse nicht übersehen werden. Es ist mit Recht auffallend ge- 
funden worden 11 , daß Philipp der Großmütige seine Söhne in' verschiedenen 
religiösen Anschauungen erziehen ließ und hierdurch selbst die Grundlagen 
zu schweren Zerwürfnissen schuf". In einer Zeit, die in religiöser Hinsicht 
so erregt war, wie das 16. Jahrhundert, konnte ein Gegensatz hierin doch 
nicht gleichgültig sein. Als sich die dogmatische Bestimmtheit der Bekennt- 
nisse im Lauf der Zeit verschärfte — ich denke hier vor allem an die Kon- 
kordienformel — , mußte sich hieraus eine Entfremdung zwischen den Brü- 
dern, noch mehr zwischen ihren Söhnen ergeben. Wilhelm von Kassel 
neigte schon frühzeitig mehr und mehr zum schweizerischen Bekenntnis 19 , 
Ludwig von Marburg und Georg von Darmstadt wurden bald überzeugte 
Anhänger des Bergischen Buches. Es ist noch als ein Zeichen großer brü- 
derlicher Eintracht anzusehen, daß sich Ludwig und Georg im Interesse der 
Einheit des Bekenntnisses zur Ablehnung des Kon kordien buch es bestimmen 
ließen 14 , dem sie doch im Herzen zustimmten. Aber die Spaltung ließ sich 
doch bald nicht mehr hintanhalten, sie zeigte sich zwischen Wilhelm und 
Ludwig noch im Jahre 1580 besonders scharf, und daß Wilhelm versuchte, 
seinen Bruder Georg auch in religiöser Hinsicht zu bevormunden 16 , wird 
zur Erhaltung der Eintracht nicht beigetragen haben. 

In verschärftem Maße finden wir den religiösen Gegensatz bei den Söhnen 
Wilhelms und Georgs, bei Moritz von Kassel und Ludwig (V.) dem Jüngeren 
von Darmstadt, die nach dem Tode ihrer Väter (1 592 und 1 596) die Regierung 
antraten. Moritz, den sein Vater ganz in den Ideen des Calvinismus hatte er- 

10 Steiner, a. a. O., 3off., 66ff., vgl. 51 ff. 

11 Franck, a. a. O. 

12 Zu Philipps persönlicher religiöser Überzeugung ist jetzt zu vgl. Herrmann, Das 
Interim in Hessen, wo 205 ff. sein Glaubensbekenntnis von 1560 abgedruckt ist. Die 
Dekalogfrage durch Philipps Autorität zu entscheiden, versuchte Kassel in den Acta 
Marpurgensia (1646), 437. 

19 Seine religiösen Anschauungen sind aus den Briefen an Franz Hotoman zu 
erkennen (Fr. et Jo. Hotomanorum epistolae, Amstelod. 1700). Vgl. auch Rommel V, 581. 

u 1577 und 1580, vgl. Heppe, Kirchengesch. beider Hessen I (1876), 386f., 412 ff. 

15 Vgl. den Brief von 1578 wegen der Superintendentenwahl für die Obergraf- 
schaft, hsg. v. Schenk zu Schweinsberg, AfhG XV (1884), 664. 






Einteilung. 

ziehen lassen, und der lebhaften Geistes diese Lehre ergriff, war in religiöser 
Hinsicht das gerade Gegenteil Ludwigs, der nach dem Vorbilde seines Vaters 1 « 
ganz der lutherischen Lehre — wie sie damals gefaßt wurde — zugetan war. 

Das religiöse Bekenntnis wies in jener Zeit einem Fürsten bis zu einem 
gewissen Grade auch den politischen Standpunkt an. Moritz war dement- 
sprechend in den Reihen der Bewegungspartei, die sich später als evange- 
lische Union organisierte, einer der Eifrigsten. Aber die Zeiten, wo der Kasseler 
Landgraf auch die jüngeren Linien vertrat, und wo seine Reichspolitik und die 
gesamt hessische Reichspolitik sich deckten, waren vorbei. In der von Gegen- 
sätzen zerrissenen Zeit steht Ludwig von Darmstadt wie sein Oheim Ludwig 
von Marburg auf dem Standpunkte des Abwartens 11 . Vor allem halten sie 
es für unverantwortlich, gegen den Kaiser aufzutreten, während Moritz ohne 
Zögern in enge Beziehungen zu Frankreich, dem alten Feinde Habsburgs, 
tritt". Die Zeit der Kasseler Suprematie war für Darmstadt zu Ende. Wie 
selbstbewußt Ludwig auftrat, zeigt sich darin, daß er beim Reichstag von 
1603 für Hessen-Darmstadt drei reich sfiirst liehe Stimmen beanspruchte, weil 
damals er und seine zwei Brüder formell gemeinsame Regenten des Darm- 
städter Landes waren. Dieser Versuch, Hessens Einfluß auf dem Reichs- 
tag zu heben, scheiterte besonders an Kassels Widerspruch 1 *. 

So finden wir um die Wende des Jahrhunderts ein Auseinanderstreben 
im Gesamthause Hessen, in territorialpolitischer Hinsicht die Tendenz zur 
Emanzipation Hessen-Darmstadts vom Ganzen, in religiöser und reichspoli- 
tischer einen Gegensatz (Marburgs und) Darmstadts gegen Kassel. Verschärft 
wurden diese Gegensätze noch durch die Persönlichkeiten, die als Träger 
der beiderseitigen Politik auftraten, die beiden Landgrafen Moritz und Ludwig 
den Jüngeren. Moritz war kühn im Entschluß, geistreich, aber geneigt, an- 
dern seine Meinung aufzudrängen, dabei von extremen Ratgebern beein- 
flußt; stürmisch, aber bald mutlos, oft unklar in seinen Zielen und sich in 
vielerlei Geschäften und Liebhabereien zersplitternd 10 . Ludwig dagegen war 
von seinem Vater zur ruhigen, bedächtigen Haltung in politischen und an- 
deren Fragen erzogen, vor allem berechnend, zäh im Betreiben seiner Ge- 
schäfte und im Abwarten des günstigen Augenblicks, in Liebe und Haß aus- 

1* Vgl. dessen Testament: Romme! VI, 114. 

17 Heppes Ansicht (Kirchcng. II, 5 5 f.), Ludwig habe nur, um zu seinem Zwecke 
— Vergrößerung seines Landes und seines Ansehens — zu gelangen, die Sache des Lu- 
thertums geführt, verkennt die doch wohl ernst iu nehmende Religiosität Ludwigs. 

18 Vgl. Ritter, Briefe und Akten i. Gesch. des jojähr. Kriegs I, 116, No. 12; Rit- 
ter, Gesch. d. Union I, 165. Daß gerade die Verbindung Moritzens mit Heinrich IV. 
die Entfremdung der hessischen Hauser verschärfte, betont Ritter, Gesch. d. Gegenre- 
formation II, 240. — w Romme] VI, 120. 

» Seine Verdienste, wie sie z. B. Lenz, ADB XXII, 268 ff., darstellt, können durch 
diese Auffassung nicht geschmälert werden. — Hier möge auch der starke Einfluß 
der Landgräfin Juliane (t. B. Rommel VI, 320) erwähnt sein, dem nach Buchs Chronik 
(StAD, 138 u. 160) die religiöse Umwälzung in Marburg 1605 gutenieils zuzuschreiben ist. 




6 Einleitung. 

dauernd. Die Idee der Gleichberechtigung seines Hauses mit Kassel erfüllte 
ihn bis zu seinem Tode* 1 . 

Ein Anlaß, der die hochgespannten Gegensätze in Politik, Religion und Per- 
sönlichkeit zur Auswirkung bringen mußte, stand vor der Tür. Landgraf Ludwig 
von Marburg, der letzte überlebende Sohn Philipps des Großmütigen, war alt 
und kränklich, und da er kinderlos war, so mußte mit seinem Tode das Ober- 
fürstentum Hessen mitMarburg an seine Neffen von Kassel und Darmstadt fallen. 

In der Voraussicht, daß die Teilung der bevorstehenden Erbschaft 
Streitigkeiten hervorrufen werde, wurden zwischen Kassel und Darmstadt schon 
1601 Verhandlungen eingeleitet. Hierbei kam zuerst die Rechtsunklarheit 
deutlich zum Vorschein, die das Verhältnis der hessischen Fürsten zur 
Landesuniversität Marburg charakterisiert. Die Zuständigkeit der Uni- 
versität hat in dem hiermit beginnenden Kampfe der beiden hessischen Linien 
stets ein Hauptmoment gebildet, ja mehr als einmal den Ausschlag gegeben. 

Wenn uns daher die Vorgänge, die wir hier schildern wollen, immer wie- 
der in die Geschichte des Marburger Erbfolgestreites hineinführen, jenes Strei- 
tes, der fast fünfzig Jahre hindurch mit allen Mitteln des Rechts und der Ge- 
walt geführt wurde und unendliches Unheil über Hessens Fürsten und Volk 
brachte, so wird es mitunter nötig sein, zum Verständnis der Universitäts- 
geschichte den Zug jenes Streites in Umrissen zu zeichnen, um so den Hinter- 
grund zu gewinnen, auf dem unser Gegenstand gesehen werden muß. Dies 
mag es entschuldigen, wenn hie und da ein Umstand, der scheinbar nicht zur 
Universitätsgeschichte gehört, in die Darstellung gezogen wird. Wie am Ende 
des Erbfolgestreites die beiden hessischen Staaten in geklärten staatsrechtlichen 
Beziehungen aus dem Chaos des Krieges und endloser Verhandlungen hervor- 
gehen, so hat auch das hessische Universitätswesen am Ende dieser Periode seine 
endgültige Form gefunden, das gleichberechtigte Nebeneinander der Marburger 
und der Gießener Hochschule, denen erst von da an eine normale, ruhige Ent- 
wicklung vergönnt war. Es ist deshalb berechtigt, diese ganze Sturm- und 
Drangperiode des hessischen Hochschulwesens als ein Ganzes darzustellen. — 

Die Rechtslage war folgende: Landgraf Philipp stiftete 1527 die erste 
evangelische Universität in seiner Stadt Marburg, begabte sie mit dem Grund- 
besitz eingezogener Klöster in Ober- und Niederhessen und veranlaßte die 
Stiftung zahlreicher Stipendien aus allen Teilen seines Landes zur Unter- 
stützung armer Studierender. Als Landesuniversität war die Hochschule ge- 
dacht, und so hat der Landgraf in seinem Testament auch allen vier Söhnen die 
Aufrechterhaltung der Universität und den Schutz ihrer Güter anbefohlen»*. 
Der Sitz der Universität, Marburg, die Hauptstadt Oberhessens, war Ludwig 
(dem Älteren) zugefallen, doch bestimmte das Testament, daß Landgraf 
Wilhelm „neben Landgraf Ludwig" die Verwaltung der Universität versehen 
solle; ohne Zweifel ging Philipp von dem Gedanken aus, daß die beiden Für- 

21 Vgl. sein Testament von 1625, Art. 15 (Hess. Staatsrecht II, I46f.). 
** Lünig IX, 779; Hess. Staatsrecht II, 59. 






Einleitung. 

sten, in deren Gebieten die Güter der Universität lagen, und die das Stamm- 
land Hessen innehatten, aucli die Verwaltung beanspruchen könnten. Philipp 
faßte eben die Universität noch alsBildungsinstitut, nicht als Waffe religiöser 
Propaganda auf; er hat schwerlich daran gedacht, daß das Universitätsverwal- 
tungsrecht so bald ein erstrebtes und verteidigtes Vorrecht werden würde. 

Auf Ansuchen der Landschaft haben dann die vier Brüder am 26. Au- 
gust 1567 die Stiftung und die Besitzungen der Universität gemeinsam bestä- 
tigt" und diese Gesamtbestätigung im Brüdervertrag vom 28. Mai 1568 wieder- 
holt". Es ist hiermit die Gemeinsamkeit der Hochschule für alle Teile 
Hessens anerkannt worden. Gleichwohl haben die Professoren schon 1567 
nur den Landgrafen Wilhelm und Ludwig gehuldigt, und was mehr ist: ihnen 
und ihren männlichen Lehnserben* 5 . Aus diesem Vorgang ist zu ersehen, 
daß man damals noch nicht, wie dies später geschah 25 , unterschied zwischen 
dem jus administrationis, dem Aufsichtsrecht über die Hochschule, und dem 
jus domiuü, dem Eigentumsrecht. In der Folgezeit haben Wilhelm und 
Ludwig die Universität gemeinsam verwaltet, was infolge der Religionsver- 
schiedenheit beider zu scharfen Auseinandersetzungen führte. Immerhin fan- 
den gemeinsame Berufungen von Professoren, Visitationen durch Vertreter 
beider Fürsten" statt, gemeinsam wurde der Universität die Abweisung der 
Konkordienformel mitgeteilt* 8 . Nach Wilhelms Tode 1592 trat sein Sohn 
Moritz an seine Stelle. Hierbei einigten sich jedoch beide Fürsten, Ludwig 
von Marburg und Moritz, dahin, daß der Vorsitz in Universitätsangelegen- 
heiten in Zukunft bei Ludwig sein solle 89 . Schon hier zeigte sich große Ver- 
schiedenheit in der Rechtsauffassung. Landgraf Ludwig benutzte nämlich die 
Verhandlungen seiner und der kasselischen Räte vor der neuen Huldigung 
der Universität, um sowohl den Kasselern als auch der Hochschule selbst 
seine Anschauung von der Zuständigkeit der Universität klarzulegen 10 . Er 
als Landesherr, ließ er mitteilen, habe die obrigkeitliche Gewalt über die 
Hochschule, und Landgraf Wilhelm sei nur deshalb zur ,, Nebenbestellung" 
zugelassen, weil er der erfahrenste unter den Brüdern und schon bei Leb- 
zeiten seines Vaters in Universitätssachen gebraucht worden sei 31 , sodann 

« AfhG, N. F. I (1894), 275. Or. im Besitz der Universität Gießen. 

** Lünig IX, 790; Rommel V, 143. 

* s Huldigungsformel in der „Erzehlung", 444, und in den Acta Hanoviensia II 
(■739)i 289. Vgl. auch Catalogi studiosor. Marb. ed. Caesar (Buchausgabe) IV, 5. 

** So bei Win ekel mann. Beschreib, d. Fürstent. Hessen u. Hersfeld (1697), 443, 
der die von den hess. Gelehrten seiner Zeit (um 1650) approbierte Anschauung gibt. 
Vgl. die „Standhalfte Wieder legung in S. GieQen gegen Marburg" (1747), 6, Anm. b. 

" Vgl. die Verordnung von 1575 in den Indices lectionum Marb. 1879. Or. im UAG. 
1 Jan, 8. Heppe, Gesch. d. hess. Generalsynoden I, Urk. S. 130. Or. im 
UAG. — * a Erzehlung, 445; Acta Hanov. II, 292. 

10 Das Folgende nach der Abschrift der Mitteilung Landgraf Ludwigs an die Univ. Ijij] 
Apr. 13, und den Protokoll auszögen über die Verhandl. StAD (Hausarchiv), Marb. Suecession 17. 

sl Zutreffend, vgl. z. B. Hildebrand, Urkundensamml. üb. Verf. u. Verw, d. Univ. 
Marburg (1848), 63, 76, 85, 95. 



8 Einleitung. 

erst, weil ein Teil der Universitätsgüter in Wilhelms Gebiet Niederhessen 
liege. Dieses jus patronatus sei rein persönlich gewesen und mit .Wil- 
helms Tod gefallen. Moritzens Recht gründe sich nur auf die Form des 
1567 beiden Fürsten geleisteten Huldigungseides mit seiner Verpflichtung 
für die männlichen Lehnserben. Der Vorsitz in Universitätssachen aber 
stehe dem Territorialherrn der Hochschule zu, und Wilhelm habe ihn nur 
seinem (Ludwigs) Entgegenkommen zu verdanken. Trotz dieser Alleinan- 
sprüche Ludwigs einigte man sich, wie erwähnt, auf Gemein Verwaltung 
durch Ludwig von Marburg und Moritz, nur unter dem Vorsitz des ersteren. 

Um 1600 war mithin die Lage die, daß Ludwig von Darmstadt kein faßbares 
Recht an der Hochschule aufweisen konnte. Seine Städte und Flecken steuerten 
zum Stipendiaten kästen, die Söhne seines Landes erwarben sich ihre Bildung 
auf der Hochschule, aber weder auf die Güterverwaltung noch auf Berufung 
oder Entlassung von Professoren hatte der Darmstädter Landgraf Einfluß ; der 
Oheim in Marburg und der Vetter in Kassel leiteten die Landeshochschule allein. 

So waren die rechtlichen Verhältnisse beschaffen, als die Kränklichkeit 
des Marburger Landgrafen die Erbfrage und mit ihr die Frage nach der Zu- 
kunft der Marburger Universität aufrollte. Es fragte sich nun: War das 
Recht, das Landgraf Ludwig von Marburg an die Universität hatte, teilbar 
wie die übrige Erbschaft, so daß also ein Teil an Darmstadt fallen mußte, 
oder stand bei des alten Landgrafen Tode die Hochschule, die ja ihm und 
Moritz allein gehuldigt hatte, eo ipso in alleiniger Pflicht des Landgrafen 
Moritz? Die erstere Ansicht vertrat natürlich Ludwig von Darmstadt, und 
sicher entsprach eine gemeinsame Verwaltung der Landesuniversität durch 
die beiden allein noch übrigen Stämme des Hauses Hessen mehr der Ab- 
sicht des Stifters als der Alleinanspruch Moritzens, zumal in jedem Falle bei 
der Erbteilung des Marburger Landes ein Teil des Universitätsgrundbesitzes 
unter die Darmstädter Hoheit geraten mußte. Aber die Ansicht der Kasseler 
Partei konnte die lehnrechtliche Anschauung der „Anwachsung" beim Fehlen 
von männlichen Lehnserben des einen Inhabers für sich geltend machen, inso- 
sofern die Universität als ein pro indiviso, zu gesamter Hand nien Linien Kassel 
und Marburg zustehendes (Lehns-) Gut angesehen werden konnte, das gemäß 
der Huldigung nur an die männlichen lehnsfähigen Kinder fallen könne". 
Dem scheint entgegenzutreten, was sich bei der Testamentseröffnung nach 
Ludwigs des Altern Tode herausstellte, daß nämlich die Erhaltung der Univer- 
sität den Erben und nicht dem Erben (Moritz) ans Herz gelegt wurde 88 . 

8t Vgl. Schröder, Rechtsgeschichte, 3. Aufl. (1898), 401. Die hier ausgeführte Anschau- 
ung ist z. B. in Moritzens Schreiben v. 16. Nov. 1613 (Acta in Sachen die Marpurgische Suc- 
cession belangendt, Ausg. v. 161 5, 71 f. der Missiven) und seinem Gegenprotest v. 1. Aug. 
1624 ausgesprochen (Erzehlung, 229 ff.). — 8S Lünig IX, 803; Rommel VI, 77, 




Erster Abschnitt. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 

i. 



Schon beim ersten Auftauchen der Marburger Lrbfrage, in jenen Vorver- 
handlungen der Kasseler und Darmstädter Regierungen über die zu erwartende 
Marburger Erbschaft und ihre Teilung, ist also die Universität das Objekt, auf 
das sich die hauptsächlichste Meinungsverschiedenheit bezieht. Landgraf 
Moritz — auf die angegebenen Gründe gestützt — verlangt unbedingt den 
Alleinbesitz der Universität und will den Darmstädter Vettern deshalb sogar 
die alleinige Herrschaft in der ihnen anfangs zugedachten Stadt Marburg 
nicht zugestehen, sondern verlangt in diesem Fall ein Mitregiment 1 . Land- 
graf Ludwig, der — für sich und seine zwei noch regierungsunmündigen 
Brüder — an der Ansicht festhielt, daß mit seinem Anteil am Oberfürsten- 
tum auch ein Anteil an der Universität ihm zufallen müsse, wußte nunmehr, 
daß er bei Landgraf Moritz auf großen Widerspruch stoßen würde. Da er 
außerdem voraussah, daß bei dem religiösen und politischen Gegensatz zu 
Moritz der Gemeinbesitz der Universität eine Quelle fortwährender Streitig- 
keiten sein werde, er aber von seinem Anrecht nicht ablassen wollte, so kam er 
bald auf den richtigen Ausweg — und sein Vorschlag macht seinem poli- 
tischen Scharfblick alle Ehre — : er befürwortete eine Teilung der einen Uni- 
versität in zwei unabhängige Hochschulen. Schon früher einmal war ein 
ähnlicher Gedanke aufgetaucht. Landgraf Wilhelm hatte einst, verärgert 
durch das Auftreten der ultralutherischen Marburger Theologen unter Hun- 



1 „Drey underschiedene vorschlage, deren einen nach dem ; 
verordnete unserm vettern I. Ludwig vortragen mögen", wohl aus 
Erbschaft 1601—04. 



StAM, Marb. 




io Erster Abschnitt. 

nius' Führung, der Universität gedroht, er werde ihr die niederhessischen 
Einkünfte entziehen und aus diesen Mitteln eine eigene Hochschule schaffen 9 . 
Was dort als Drohung auftritt, wünscht hier Landgraf Ludwig ernstlich ins 
.Werk zu setzen. Es ist ein weiterer Schritt auf dem Wege der Selbständig- 
machung Hessen-Darmstadts, und wenn auch religiöse Motive mitgewirkt 
haben mögen, so ist doch der Vorschlag in erster Linie als ein politischer 
Schachzug aufzufassen. Moritz selbst, so führt Ludwig in jenem eigenhändigen 
Schreiben 8 an seinen Vetter aus, habe zugegeben, daß Marburg der einzige 
Ort Oberhessens sei, wo man eine fürstliche Residenz haben könne. Er 
werde daher nicht dawider sein, daß er — Ludwig — die Stadt bekomme. 
Nach einem Vorschlag über die Art der Landesteilung fährt er dann fort: 
„Waß die universitet anlangt, weil ich von e[uer] l[iebden] cammermeister ver- 
standen, daß e. 1. daran sonderlich gelegen, were ich zufrieden, daß e. I. die- 
selbe transferirten an ein ort in derselben land, wo es deroselben gelegen, 
doch daß e. 1. mir daß ließen, waß in den emptem, so mir zugetheilt wer- 
den mögten, zu der universitet gefeit, daß ich doch so etzliche wenige reliquias 
davon behalten möchte, wölte ich alßdann sehen, ob mir gott soviel besche- 
rete, daß ich noch etwaß von dem meinigen könnte zuschießen und dieselbe 
ein wenig restaurirete, und dasselbe alß mit raht und gutachten e. I. Selb- 
sten; dann wann die universitet allerdings sölte von Marpurg kommen, hielte 
ich darfuf, es wurde gemeiner statt und burgerschaft zu großer beschwerung 
gereichen." Es schwebt mithin Landgraf Ludwig ein ähnlicher Zustand als 
erstrebenswert vor, wie er dreißig Jahre später zur Tatsache wurde: eine 
hessen-darmstädtische Universität Marburg mit oberhessischen Universitäts- 
gütern, daneben eine hessen-kasselische Universität mit niederhessischen Be- 
sitzungen. 

Aber dieser Vorschlag fiel bei Moritz nicht auf fruchtbaren Boden; er 
bestand auf dem Recht des Alleinbesitzes der Hochschule. Auch von Mar- 
burg, wo Ludwig von Darmstadt beim alten Landgrafen durch dessen Hof- 
meister Philipp Ludwig von Baumbach sondieren ließ 4 , erfuhr er wenig 
Tröstliches. Ludwig der Ältere war der Ansicht, „daß die Universität laut 
uffgerichter vertrege landgraf Moritzen hiernechst allein bleiben muß" 5 ; 
dies war Ludwig dem Jüngeren um so unangenehmer, als ihm bei einer 

* * 577 Febr. 4. Heppe, Generalsynoden I, Urk. S. 77, 

* Eigh. Or. StAM, a. a. O.; eigh. Kzt. StAD (Hausarchiv), Korresp. Ludw. V, 76. 
Teilweise gedruckt MOGV X (1901), 42. 

* Memorial f. Verhandl. Hans Philipps von Buseck gnt. Münch in Marburg, 
1602 Apr. 18 (StAD, Hausarch., Korr. Ludw. V, 76): „. . . ob sein fjurstliche] g[naden] 
meinem gjnädigen] f[ürsten] u. hferrn] rathen, von Marpurgk schloß, statt, ampt und 
universitet hant abzuthun und zu verhuitung weitleifdigkeyt solches, idoch nur als zu 
einem virten theil, in 1. Moritz handen kommen zu lassen für rathsam achten". Ludwig 
d. J. hoffte, daß sich noch zu Lebzeiten Ludwig d. A. eine Übereinkunft mit dessen Ein- 
verständnis treffen und so der Erbstreit vermeiden ließe. 

6 Baumbach an Landgraf Ludwig d. J., 1602 Mai 14, Or. StAD, a. a. O, 



Die Entstehung der Universität Gießen. n 

Reise an den erbverbrüderten sächsischen Höfen vorgestellt worden war, wie 
bedenklich es der Religion wegen sei, auf Marburg zu verzichten«. Mit dem 
Beginn des Sommers 1602 scheinen die Verhandlungen zwischen Kassel und 
Darmstadt als aussichtslos abgebrochen worden zu sein 7 . Beide Teile be- 
reiteten sich vor, auf die erste Nachricht vom Tode des alten Landgrafen 
möglichst das ganze Erbe in Besitz zu nehmen 8 . 

Erst im Herbste 1603, da der leidende Zustand Ludwigs von Marburg 
fast stündlich sein Ende erwarten ließ 8 , begannen von neuem Unterhand- 
lungen. Moritz schickte seine Räte Otto Wilhelm von Berlepsch und Hein- 
rich Ludwig Scheffer mit geheimem Auftrag an seinen Vetter nach Darm- 
stadt 10 . Sie schlugen dort vor 11 , daß beide Teile den Antritt der bevor- 
stehenden Erbschaft durch Übereinkunft verschieben sollten bis zur Rege- 
lung der schwebenden Erbfragen. Inzwischen sollten die Räte des Marburger 
Fürstentums und ein Ausschuß der Stände die Regierung führen. Zur Ver- 
handlung über diese Punkte forderten sie Landgraf Ludwig auf, eine baldige 
Tagfahrt in Ziegenhain zu beschicken. Ludwig kam dieser Antrag willkom- 
men. Zwar fand er es ,, etwas odios und bedenklichen de successione viven- 
tis zu handeln""; doch war hiermit die friedliche Lösung der Streitfragen 
angebahnt. Freilich war der Darmstädter der Meinung, daß auch wirklich 
die ganze Erbschaft in den Stillstand einbegriffen sein müsse. Jetzt aber 
zeigten die Kasseler Gesandten erst ihre wahre Absicht. Es gebe einige 
Stücke, erklärten sie, die bereits durch Testamente oder Verträge von der 
Erbschaft eximiert und Moritz allein vorbehalten seien ; unter ihnen befinde 
sich auch die Universität. Doch könne Darmstadt ja, ohne diese materiellen 
Fragen jetzt schon zu behandeln, nach Ziegenhain Vertreter schicken, wo 
man die Angelegenheit ins Reine bringen werde. Vergebens erklärte Land- 
graf Ludwig nun, er könne auf weitere Verhandlungen nur eingehen, wenn 
über die ganze Erbschaft, nichts ausgenommen, beraten werden solle; ver- 
gebens wandten die Darmstädter Räte die Miterbschaft ihres Herrn an der 
Universität ein: Die Kasseler behaupteten, Landgraf Moritz stehe infolge der 



* Ludwig d. J. an Baumbach 1602 Mai 1 Weimar (eigenh. Kit. StAD, a. a. O.): 
„Was Marpurg anlanget, halten seine liebden [Herzog Friedrich Wilhelm von Wei- 
mar] es vor hochbedenklich der religion halber dasselbe fahren iu lassen". 

7 Ein Schreiben Ludwigs an Moritz von 1602 Juni j (Or. StAD, Marb. Succ. 2) 
ist nicht abgegangen. 

a Geheime Vollmachten für verschiedene Beamte beider Parteien StAD und StAM. 

• Das gleich anzuführende Protokoll sagt: „also dz sich s. f. g. lebenß fast stünd- 
lich zu befahren". 

10 Beglaubigungsschreiben: Landgraf Moritz an Landgraf Ludwig 1603 Okt. 21 
Zapfenburgk, Or. StAD, Marb. Succ. 2. 

11 Protokoll (Or. a. a, O.) v. 28. und 29. Okt. Vgl. hierfür auch: Veritas relatio- 
nis summariae Hasso-Darmstatinac vindicata (1646), ;f. 

11 Diesen Ausdruck gebraucht die offizielle Antwort Darmstadts auf die Kasseler 
Werbung. 1603 Okt. 30, Or. StAM, Marb. Ecbsch. 1601/04. 




12 Erster Abschnitt. 

ihm mitgeleisteten Universitätshuldigung bereits in possessione. So erhielten 
denn die Kasseler Gesandten den Bescheid: die Landgrafen Ludwig und 
Friedrich« gingen auf den Kasseler Vorschlag nur ein, wenn die ganze Ver- 
lassenschaft bis zur Publikation des Testaments in Verwaltung der Marburger 
Regierungsräte bleibe, „unter welcher dan auch die universitet zu Marpurgk, 
und was dessen mher sein mag, begriffen sein soll, doch jeder herschaft ahn 
dero haben ten rechten ohn einigen verfangk" 1 *. Mehr konnten die Darm- 
städter eigentlich nicht tun, denn diese letzte Klausel griff ja auch den wei- 
testgehenden Ansprüchen Landgraf Moritzens nicht vor. Ja Ludwig ging 
noch weiter: er erklärte, als Moritz auf seinem Recht bestand 15 : er sehe 
zwar nicht, wie eine Einigung zustande kommen könne, aber er wolle, 
um Entgegenkommen zu zeigen, dennoch die vorgeschlagene Tagfahrt zu 
Ziegen hain beschicken oder selbst besuchen 16 . Aber die Zusammenkunft 
kam nicht zustande, da Moritz sie unter den vorliegenden Umständen für 
zwecklos erklärte 17 . Aus der bereits entworfenen Instruktion Landgraf Lud- 
wigs für seine nach Ziegenhain abzuschickenden Vertreter 18 ersieht man aber, 
wie sehr es ihm um eine Beilegung des Streites zu tun war. Er sucht darin 
zunächst die Ansprüche seines Vetters mit Rechtsgründen zu widerlegen, ge- 
steht ihm aber schließlich zu: die Universität solle in der Huldigung verblei- 
ben, in der sie beim Tode des alten Landgrafen sein werde, nur solle bis zur 
Testamentseröffnung und Entschließung darüber von keiner Partei etwas darin 
verändert werden. Als aber dann Moritz von Ludwig den Beweis verlangte, 
daß seine (Moritzens) Ansprüche der Hausverfassung zuwider seien 1 ', da er- 
klärten die drei Darmstädter Landgrafen in einem gemeinsamen, sehr ent- 
schiedenen Schreiben 10 , sie wüßten nichts von den Rechten, die Moritz stets 
geltend mache, und deren er sich, wie er behaupte, nicht begeben könne; 
als Ausweg schlagen sie dann vor, was schon in der erwähnten Instruktion 
ausgesprochen war, eine Art Waffenstillstand für die Universität. Keiner 
Partei, führen sie weiter aus, solle ja Schaden daraus erwachsen, denn über 
etwaige gegründete Vorrechte des einen Teils könne in der Güte oder durch 
Austrag oder kaiserliches Urteil entschieden werden. Hiermit sei ihr Äußer- 
stes getan, und sie zweifelten nicht, daß unparteiisch Denkende, „hohes und 



18 Ludwigs jüngster Bruder, der Stifter der Homburger Linie; der mittlere Bruder, 
Philipp (von Butzbach), war auf Reisen, vgl. Walther im AfhG XI (1867), 282. 

14 In dem Anm. 12 erwähnten Schriftstück. i 

16 Moritz an Ludwig d. J. 1603 Nov. 8 Spangenbergk. Or. StAD, a. a. O. 

16 Ludwig an Moritz Nov. 13, Kzt. a. a. O. 

17 Moritz an Ludwig Nov. 23 Ziegenhain, Or. a. a. O. 

18 Es waren ausersehen: Joh. Pistorius Niddanus, Kanzler; Balth. v. Weiteis- 
hausen gen. Schrautenbach, Amtmann von Lichtenberg; Bernhard v. Berbisdorf, Amt- 
mann von Rüsselsheim; Kzt. d. Instinkt, d. d. Schotten, 28. Nov. 1603, a. a. O. 

lf 1603 Nov. 30 Ziegenhain, Or. a. a. O. 

*° Dez. 10. Kzt. a. a. O. Philipp war am 6. Dez. von seiner Reise zurückgekehrt 
(AfhG XI, 283), vielleicht ist auf ihn die schärfere Tonart des Schreibens zurückzuführen. 



'Die Entstehung der Universität Gießen. 



IJ 



niddrigs Stands personen, für welche hirnehist diße handlung gelangen 
mag"* 1 , anerkennen würden, daß alles geschehen sei, was zur Verhütung 
von Feindschaft geschehen könne. Jedenfalls möge Moritz „sich der ap- 
prehension possessionis noch ichtwas anders — vermog bei allen chur- und 
fürstlichen heusern üblichen gebrauchs und loblicher gewonheit, gestalt es 
dan ohne das recht und pillich — vor der fürstlichen begrebnus und publi- 
cation lestamenti nicht anmassen, noch viel weniger hand einschlagen". 

Moritz war jedoch der Ansicht, daß mit dem Vorschlag- der Darmstädter 
nichts getan sei: Ludwig möge doch noch „etwas neher rucken" (hiermit ist 
wohl gemeint, er möge die Universität auch während des Stillstands Moritz 
überlassen), er könne sich ja etwaige Ansprüche vorbehalten. Jedenfalls 
aber möge er seine Vertreter am 13. Januar 1604 zur Verhandlung in Kassel 
eintreffen lassen". 

Ludwig, der gerade zu Besuch auf Schloß Marburg bei dem kranken 
Oheim weilte, hatte dort gefunden, daß Gefahr im Verzug sei* 5 , schob eine 
beabsichtigte Reise nach Thüringen auf und erklärte sich bereit zur Besehik- 
kung des Tages". Wenige Tage später erhielten Hans Philipp von Buseck 
genannt Münch, Oberamtmann zu Darmstadt, Johann Pistorius Niddanus, 
Kanzler, und Johann Strupp von Gelnhausen** ihre Instruktion. Sie sollten 
in der Universitätssache soviel als möglich zu erreichen suchen, mindestens aber 
eine Bestellung der Professoren während des Interims durch Moritz allein 
ablehnen. Höchstens eine gemeinsame Bestellung durch Moritz und die 
Marburger Räte darf zugegeben werden, doch „allewege mit angehengter pro- 
testation und reservation". Die Gesandten haben Vollmacht zum Vertrags- 
abschluß bei leidlichen Bedingungen und sollen sofort die endgültige Ausfer- 
tigung auf mitgegebenen Blanketten veranlassen 86 . 

Der Empfang der Gesandten in Kassel war nicht sehr freundlich». 
Moritz erging sich in heftigen Reden über das „gahr ungewöhnliche spizige 
schreiben" der Landgrafen* 6 , er wisse sich in seinem Leben „keines solchen 
scharpfen und mit unpreuchlichen terminis ausgefertigten Schreibens" zu er- 

Iinnern. Mit der Teilnahme der beiden jüngeren Landgrafen von Darmstadt 
'-' Diesen Ausdruck erklärt die spätere Ausführung. 
M Moritz an Ludwig 1603 Dez. 27, Or. a. a. O. 
* s Er hatte bereits ein Schreiben an Moritz abgefaßt, 1 
Verhandlung gemahnt wird, weil des Oheims „leibsgelegenhe 
StAD a. a. O. — ** Ludwig an Moritz 1603 Dez. 30, Kzt. a. a. O. 

** Johann Strupps Bedeutung für die damalige Darmstädter Politik ist nirgends 
hinreichend gewürdigt. Über seine Verdienste um die Univer&itätsgründung s. u. Viel- 
fach war er «u wichtigen Gesandtschaften verwendet, so seit 1594 auf allen Reichstagen 
(Rommel V, 28;f. in Anm.), und ohne seinen Rat pflegte Landgraf Ludwig nichts Wich- 
tiges zu unternehmen. Vgl. auch Häberlins Reichsgeschichtc, fortges. von Senckenberg 
XXIII, 103, 3S9. — *« Instruktion v. 6. Jan.; Vollmacht v. 7. Jan. 1604, Or. StAD, a. a. O. 
M Das Folgende nach dem Protokoll des Kasseler Tages, a. a. O. 
n Gemeint ist wohl das Ultimatum vom 10. Dezember. 



zur beschleunigten 
bawfellig stehet". 





14 Erster Abschnitt. 

an der Behandlung der Erbfragen war er wenig einverstanden, ersah er doch 
daraus, daß Landgraf Ludwig, indem er seine beiden Brüder zu Mithandeln- 
den machte, den Anspruch der Darmstädter auf drei Vierteile der Marburger 
Erbschaft vorbereitete. „Das man nuhn das maull alßo weit aufgethan und 
es auch an andere mehr gelangen laßen hette", ist ihm besonders un- 
angenehm. 

Um nicht zu weitläufig zu werden, heben wir hier nur den entschei- 
denden Punkt aus den Kasseler Verhandlungen heraus: Den Ausschlag zu 
gunsten des Landgrafen Moritz gab die Überrumpelung der Darmstädter mit 
einem ihnen völlig unbekannten Vertrag, der im August 1567 zwischen den 
Landgrafen Wilhelm und Ludwig dem Alteren geschlossen sein sollte, und 
demzufolge einige Lehen (zum Beispiel Waldeck), ferner das Recht der Erb- 
ämterbesetzung und der Universitätsverwaltung beim Aussterben der 
Marburger Linie der Kasseler Linie allein zustehen sollten. Von diesem an- 
geblichen Vertrag teilte der Kasseler Kanzler Antrecht einiges aus einem 
Kopialbuche mit. Als die Darmstädter ihr Befremden über die Existenz 
dieses Vertrags zu erkennen gaben und sich die Urkunde im Wortlaut 
näher ansehen wollten, schlug Antrecht das Buch zu und ließ es weg- 
bringen w . 

Zwar erklärten nun die Darmstädter Gesandten, die beiden Landgrafen 
seien zum Abschluß eines solchen Vertrags nicht berechtigt gewesen, und 
ihnen und ihrem Herrn sei der Vertrag völlig unbekannt. Immerhin hat aber 
trotz des eigentümlichen Benehmens, das der Kasseler Kanzler Antrecht bei 
der Produktion des Vertrags an den Tag legte, die Vorlegung des neuen 
Rechtstitels auf die Vertreter Darmstadts einschüchternd gewirkt. Obgleich 
nämlich ein solcher Vertrag, der die Universitätsverwaltung oder 
-hoheit mitbeträfe, tatsächlich nie existiert hat 80 , unterzeichneten die 



29 Den Hergang teilt neben dem Protokoll auch ein Brief mit, den Ludwig am 
19. Jan. 1614 an Landgraf Moritz schrieb (gedr. in den „Acta die Marpurgische succes- 
sion belangende, Ausg. v. 161 5, S. 76 f. der angehängten Missiven) und die Zeugen- 
aussage des Kanzlers Pistorius (ebd. S. 83). Damals ließ Landgraf Ludwig nämlich 
durch Zeugenvernehmung feststellen, daß man auf der darmstädtischen Seite von der Exi- 
stenz eines solchen Vertrags nichts wisse, noch zu Landgraf Georgs I. Zeit etwas davon 
gewußt habe (ebd. S. 78—85). 

80 Da der Vertrag vom 29. Aug. 1567 (gedr. Ledderhose, Kl. Schriften IV, 25) 
sich nur auf Lehen und Erbämter bezieht, ist es an sich nicht wahrscheinlich, daß ein 
Vertrag aus gleicher Zeit bestehen sollte, der außerdem noch die Universität beträfe. 
Demgemäß fand sich in StAM und StAD auch nichts Derartiges vor. Schließlich fand 
ich jedoch noch einen direkten Beweis, daß der Vertrag nicht existiert. Am 22. April 
1624 erließen Vizekanzler und Räte zu Kassel ein Schreiben an Landgraf Moritz, in- 
dem sie sich gegen seinen Vorwurf verwahren, wonach dieser Vertrag von 1567 durch 
ihre Verwahrlosung unauffindbar geworden sei. Sie erklären, es existiere überhaupt kein 
Vertrag, der auch die Universität betreffe, sondern nur der über Lehen und Erbämter. 
(Or. StAM, Marb. Erbsch. 1624, Akten des L. Moritz.) Eine Übereinkunft über die 
Form der Universitätshuldigung mag bestanden haben; doch muß sie bereits im Mai 



Die Entstehung der Universic.il Gießen. 15 

Darmstädter die Süllstandsübereinkunft im wesentlichen in der von Kasseler 
Seite vorgelegten Form, ohne die Annahme ihrer Abänderungsvorschläge 
durchzusetzen. Diese Urkunde, die am 14. Januar 1604 unterzeichnet wurde", 
bestimmte, daß beide Erbparteien die apprehensio der Erbschaft nicht eher 
bewerkstelligen sollten als nach Eröffnung des Testaments und nachfolgen- 
der Vergleichung etwaiger Streitpunkte. Ausgenommen von diesem Inter- 
im wurden jedoch einige Lehen und die Universität Marburg. Diese 
sollten beim Tode Ludwigs des Alteren sofort Landgraf Moritz 
allein verbleiben — freilich unter Reservation der Darmstädter An- 
sprüche. 

Landgraf Ludwig war durch diese Nachgiebigkeit unangenehm berührt; 
er erkundigte sich bei dem Hofgerichtsmitglied Konrad Pistorius zu Mar- 
burg über die Tragweite der Abmachung und erfuhr auch da, was er schon 
wußte: daß sein Vetter im Besitz der Universität blieb und er nur die Mög- 
lichkeit hatte, durch einen Prozeß seinen Anspruch geltend zu machen". 
Doch blieb ihm nunmehr, obgleich er das Bewußtsein hatte, daß seine Be- 
vollmächtigten „etwas weith gegangen" seien 83 , nichts übrig, als das Abkom- 
men zu ratifizieren. Denn er hatte allen Grund zu fürchten, daß Moritz, 
falls sein Oheim vor dem Abschluß des Stiüstandsvertrages starb, ihm in der 
Besitznahme des Erbes zuvorkommen werde. In diesen Gedankengang gibt 
Ludwigs Korrespondenz mit Kursachsen Einblick, und hieraus möge es er- 
klärt werden, daß Ludwig den Vertrag annahm, der ihn in seinen Ansprü- 
chen an die Universitätshoheit so stark zurücksetzte. 

Auf der Reise an die sächsischen Höfe, die Ludwig im Frühjahre 1603 
unternahm, hatte er bereits mit den erbverbrüderten Fürsten über die Mar- 
burger Erbfrage gesprochen und auch durch Gesandte mit dem Kurfür- 
sten Christian II. insgeheim verhandelt. Nicht ohne dessen Vorwissen und 
Rat hatte er geglaubt in dieser für sein Haus und die lutherische Religion 
so wichtigen Frage etwas vornehmen zu sollen. Im Herbste 1603 nun hatten 
sich, wie aus Ludwigs Äußerungen Christian gegenüber zu entnehmen ist 31 , 
die Anzeichen gemehrt, daß Moritz die Absicht habe, nach dem Tode Lud- 
wigs des Älteren sofort ganz Oberhessen in Besitz zu nehmen. Trat dies 
ein, so blieb den Darmstädter Landgrafen nichts übrig, als zu nehmen, was 
Moritz ihnen zugestehen wollte, oder ihren Anspruch in Kammergerichts- 
prozessen, deren Ende, wie Ludwig sagt, „unser keiner wol erleben mochte", 
zu betreiben. Schon waren die kasselischen Beamten instruiert, und auch 
die Untertanen an der Grenze sollten sich bereit halten, um der Besitzergrei- 

1567 erfolgt sein, nicht erst im Oktober. — Kassel hörte seit der Aufklärung von 1624 
auf, sich auf einen solchen Vertrag zu berufen. So bezieht sich Landgraf Wilhelm 
1627 nur noch auf das Huldigungsprotokoll von 1567, vgl. Erzehlung, 435. 

91 Gedruckt, außer in den Deduktionen zur Marburger Succession, bei Lünig IX, 810. 

s * Anfrage und Antwort St AD, Marb. Succ. 2. — äa Ludwig an Moritz 1604 
Febr. 4, Kit. a. a. O. — « Ludwig an Kursachsen 1603 Dez. 12, Kit. a. a. O. 




i6 Erster Abschnitt. 

fung im Notfall den nötigen militärischen Nachdruck zu verleihen. Landgraf 
Moritz hatte, wenn Landgraf Ludwig recht berichtet ist, bereits von Ziegen- 
hain bis Marburg wartende Pferde stehen, um persönlich die oberhessische 
Hauptstadt in Besitz nehmen zu können 35 ; in Marburg selbst hatte sein am 
Hofe des alten Landgrafen weilender Sohn Otto geheime Aufträge. Mit 
diesen Vorbereitungen konnte Darmstadt nicht konkurrieren, obgleich auch 
hier alles bereit gehalten wurde 86 . Daher mochte ein Vertrag, wenn auch 
in der Universitätsfrage ungünstig, vielleicht doch die Erbschaft noch 
retten«. Mit Recht aber konnte Ludwig nach diesem Vertrag von sich sa- 
gen, „das wir, reservatis tarnen reservandis et salvo jure nostro, zimblich 
nachgegeben und nichts erwinden laßen, was zur freundschaftlichen Über- 
einkunft diene 1 ' 88 . 

II. 

Am 9. Oktober 1604 erlag Ludwig von Marburg seinen Leiden. Nach 
der feierlichen Beisetzung traf am 24. Oktober Landgraf Moritz mit seinen 
Vettern Ludwig, Philipp und Friedrich von Darmstadt auf dem Marburger 
Schloß zusammen, um die Testamentseröffnung vorzunehmen 88 . In Gegen- 
wart einer Anzahl Räte und eines Vertreters der Landgräfin Witwe wurde 
das Testament feierlich publiziert 40 . Es bestimmte eine Halbierung Ober- 
hessens ; jedes der beiden Häuser Kassel und Darmstadt sollte gleichviel Oe- 



95 Vgl. dens. Brief und die im StAM liegenden Instruktionen. Wenn wir der 
Aussage des Oberförsters von Stornfels trauen dürfen, ist Landgraf Moritz, durch eine 
falsche Todesnachricht getäuscht, um Weihnachten 1603 mit drei Pferden in größter 
Eile vor Marburg angekommen, „und als s. f. g. daselbst vernommen, das es nichts 
gewesen, das s. f. g. stracks umbgewendet und zuruckh gezogen, und solle 1. Ludwig 
der elter deßen bericht worden sein". Buseck, Pistorius und Strupp an Ludwig d. J. 
1604 Jan. 9 Schotten. StAD a. a. O. 

86 „Also ob wir und unser gebrüder gleich auch allerhand noithwendige Verord- 
nung deßwegen gethan, daß es doch sehr mißlich, ja fast unmöglich, daß wir mit ap- 
prehension der possession so paldt alß s. 1. sein können." (An Kursachsen, a. a. O.) 

37 Bemerkenswert ist Christians Antwort auf Ludwigs Mitteilungen (von 1603 De- 
zemb. 23, Or. a. a. O.): Ludwig möge „als ein vernünftiger fürst" bei der betrübten 
Lage des Reiches alle Mißhelligkeiten möglichst vermeiden, sich aber auf alle Fälle vor- 
bereiten und daher „auch bei zeiten an gebürenden orten, dahin uf den eußersten und 
unverhofften fall diese sache endtlich gedeyen möchte, durch vertraute leute unter- 
bauen lassen". Christian weist ihn also an, beim Kaiser Fühlung zu suchen; dieser 
hatte den Kurfürsten soeben bezüglich der Haltung des Religionsfriedens beschwichtigt 
(vgl. Kämme! im Archiv f. sächs. Geschichte, N. F. VI [1880], 4, Anm. 3). 

38 Ludwig an Kursachsen 1604 Jan. 30. Ähnlich am 10. Febr. an Markgraf 
Joachim Ernst von Ansbach. Kzte. a. a. O. 

39 Protokoll über die Testamentseröffnung und die gefolgten Verhandlungen in 
den Acta die Marpurg. Succ. belangendt, Ausg. v. 161 5, S. 43 — 49 der Dokumente 
zur Deductio causae principalis. 

40 Gedruckt ist das Testament nebst dem Kodizill bei Lünig IX, 801 — 806, 808 
810, auch in den Deduktionen; ohne das Kodizill Rommel VI, 72—83. 



stehung c 



■ Univt 



i Gießen. 



biet erhalten. Hiermit wurde die Hoffnung des Landgrafen Moritz erfüllt, 
aber nicht die der Darmstädter, die ihrer Kopfzahl entsprechend drei Vier- 
teile beanspruchten. Besonderes Gewicht ist in dem Testamente auf die Be- 
wahrung des bestehenden Religionszustandes gelegt; bei Verlust des Erb- 
teils war verboten, die im Amte befindlichen Superintendenten und Pfarrer 
verdrängen zu lassen. Ebendasselbe galt vom Besiand der Schulen als der 
seminaria ecclesiae; in ihnen sollte in gleicher Weise die reine Lehre Augs- 
burgischer Konfession bewahrt bleiben. Am Schlüsse wurde die Strafe der 
Enterbung auch dem Erben angedroht, der sich den Testamentsbestimmun- 
gen widersetze. — 

Als sich am Tage nach der Publikation beide Parteien über das Testa- 
ment erklären sollten, gab Moritz an, er sei mit dem Testament einverstan- 
den und nehme es in allen Punkten an; Ludwig dagegen nebst seinen Brü- 
dern behauptete, einige Bestimmungen darin liefen dem Reichsrecht, dem 
Testament ihres Großvaters Philipp, dem Erbvertrag von 1568 und den Fest- 
setzungen in der Erbverbrüderung mit Sachsen und Brandenburg zuwider und 
könnten daher nicht gültig sein ; in den übrigen Punkten wollten sie es annehmen. 

Diese Erklärungen bilden den Ausgangspunkt für den vieljährigen 
Rechtsstreit um das Marburger Erbe. 

Da eine Einigung der Parteien nicht zu erzielen war, so wurde der 
hessische „Austrag", ein in der Gesamtverfassung Hessens vorgesehenes 
Schiedsgericht für Streitigkeiten unter hessischen Fürsten, bestehend aus 16 
Vertretern der Landstände, 2 Mitgliedern des Samthofgerichts und einem ju- 
ristischen Professor der Universität Marburg, mit der Sache betraut. 

Vor dieser Behörde wurden beiderseits dieselben Ansprüche geltend ge- 
macht, die schon vor dem Tode des älteren Ludwig zwischen den hessischen 
Linien streitig gewesen waren* 1 . Nur die Universität und die sonstigen durch 
den Vertrag vom 14. Januar betroffenen Punkte sind jetzt ausgeschaltet; sie 
waren ja Moritz unbestreitbar vorbehalten. Dagegen sucht Darmstadt jetzt 
die Stadt Marburg zu erhalten, weil im Oberfürstentum Hessen sonst keine 
geeignete Residenz vorhanden sei. Kassel aber wendet ein: „Wann den 
Darm bstäd tischen Marpurg zukommen solte, so würde es der universitet hal- 
ben streit geben, l[andgraf] Moritzen fürstliche] gn(aden] halten die univer- 
sitet vor sich, sey auch in dem Cassellischen abschiedt außgesetzt; da dann 
die universitet von Marpurg abgewendet werden solte, so were Marpurg ver- 
derbet"". So kam es über diesen Hauptstreitpunkt zu keiner Einigung, eben- 
sowenig wie in den Vorverhandlungen seit 1601. Schon hier hat wie später 
Universitätsstadt und Hochschule den Angelpunkt der — oft deshalb ver- 
geblichen — Verhandlungen gebildet". 

41 Protokoll der „Niedergesellten" in den Acta . . . v. 1615, S. 13— 117 der Do- 
ad deduetionem nullitatum pertinenria. — ** A. a. O., 55. 

*» Ich verweise namentlich auf die Romroder Tagfahrt von 162;, sodann auf die 
Vorverhandlungen des Vertrags von 1648. 

Die L'iiivuiiui Gießen von 1607 bit ijo;-. 1, 1 




18 Erster Abschnitt. 

Als vor dem Schiedsgericht schließlich beide Teile den Antrag auf vor- 
läufige Immission in das Erbe stellten, kamen die „Niedergesetzten" durch 
Beschluß vom 14. November 1604 diesem Verlangen nach 44 , ließen aber den 
Vertrag vom 14. Januar, der die Universität dem Hause Kassel fiberließ, in 
Kraft. Die sodann von den Schiedsrichtern vorgenommene Landesteilung 
gab auch den Sitz der Hochschule, die Stadt Marburg, in die Hände des Land- 
grafen Moritz 45 . So war Ludwig von Darmstadt in der Universitätsfrage — 
infolge der Nachgiebigkeit bei jenem Vertrag — ganz in Nachteil gekommen, 
und auch in der Erbschaftsfrage waren seine Ansprüche nicht erfüllt worden. 

Ludwig aber gab seine Sache nicht verloren. Während er wegen ander- 
weiter Regelung der Erbschaftssache durch seinen Gesandten Johann Strupp 
von Gelnhausen mit den sächsischen Höfen verhandelte und auch am Kaiser- 
hofe in Prag „unterbauen" ließ 44 , behielt er die Universität wohl im Auge. 
Schon bei der Besetzung des Schiedsgerichts hatte er sein Anrecht an der 
Universität dadurch gewahrt, daß seine Vertreter mit denen Kassels gemein- 
sam den Professor Göddäus seiner Pflicht entließen, damit er unabhängig am 
Schiedsgericht teilnehmen könne 47 . Bald aber merkte man in Darmstadt, daß 
ein großer Teil des Corpus academicum auf die Kasseler Seite neigte. Dies 
zeigte sich deutlich, als im Dezember 1604 auf einer Disputation des Pro- 
fessors Goclenius nur der Name des Landgrafen Moritz als Inhabers der 
Hochschule erschien 48 . Da erließen am 22. Dezember die drei Darmstädter 
Landgrafen eine scharfe Erklärung an die Universität, worin sie ihr Mitver- 
waltungsrecht behaupteten. Als dies die Kasseler Räte erfuhren, stellten sie 
alsbald ein Verhör mit den Professoren an, fragten jeden einzelnen, wem er 
gehuldigt habe und in wessen Pflicht er stehe, und brachten es schließlich 
dahin, daß die Universität einen Gegenprotest an die Darmstädter Land- 
grafen richtete, worin sie ihnen das behauptete Recht abstritt 49 . Außer durch 
andere Gründe hatte man die Professoren auch dadurch zu diesem Schritt 
zu bringen gesucht, daß man ihnen vortrug, schon Ludwigs des Jüngeren 
Vater, Landgraf Georg von Darmstadt, habe seinerzeit nach Wilhelms Tode 
(1592) Ansprüche auf Teilnahme an der Universitätsverwaltung erhoben, sei 
aber, als man ihm den Mangel eines Rechtstitels nachwies, „von seinem vor- 
nehmen abgetretten" «°. Die kasselisch-loyale Haltung der Marburger Univer- 



44 A. a. O., 62 f. — tt Am 29. Januar 1605; a. a. O., 108. 

44 Akten im StAD, Marb. Succ. 2 u. 12; Gesandtschaften, 46; Korresp. Sachsen. 

47 A. a. O., 16. 

48 Von 1605 liegen mir einige Disputationen des Goclenius vor, auf denen osten- 
tativ steht: „in domini Mauritii Hassiae landgravii academia quae est Marpurgi" u. dgl. 

49 Protokoll St AM, Geh. Rats-A. betr. U. Gießen; Catalogus studiosorum Marb. III 
ed. Caesar, 169 f. Notariatsinstr., enth. beide Schriftstücke, gedr. i. d. Erzehlung, 195 — 202. 

60 Protokoll. — Wir sind nicht in der Lage, diese Behauptung als wahr zu er- 
weisen oder zu widerlegen. (Die oben S. 7 benutzte Aufzeichnung über diese Vor- 
gänge spricht nicht von Landgraf Georg.) Für den vorliegenden Fall beweist sie aber 



Die Einstellung der Universität Gießen. 19 

sität wurde von Landgraf Moritz bald nachher durch die Schenkung der 
Diezischen Bibliothek aus Ziegenhain belohnt". — 

Während die Hochschule so offen gegen Ludwig Partei nahm, traf bei 
diesem vom Kurfürsten von Sachsen ein Schreiben ein, das zeigte, daß er noch 
immer mit großer Teilnahme die Sache verfolgte, die seinen Glaubensge- 
nossen so nahe berührte 5 ". Er riet ihm nämlich, die vom Austragsgericht 
Moritz zugesprochene Universität per petitorium beim Kaiser zu verlangen. 
Entschloß sich Ludwig auch jetzt noch nicht zu diesem Schritt, so blieb 
doch sein Augenmerk auf Marburg gerichtet. Denn in seinem Lande machten 
sich unter der Geistlichkeit Anzeichen einer Beunruhigung wegen des Ver- 
lustes von Marburg geltend. Eine Synode der Definitoren von Oberkatzen- 
elnbogen, die in Darmstadt tagte, hatte am 4. Dezember den Landgrafen 
dringend ersucht, seine Ansprüche auf die Stadt Marburg nicht fahren zu 
lassen; der Verlust dieser Stadt, der Hauptstadt, des Sitzes der Behörden und 
der Universität, werde die reine Religion sehr schwächen. Daß der Verlust 
der Universität hierbei der Hauptgegenstand der Sorge der Geistlichen war, 
steht fest". Nicht mit Unrecht mahnten die lutherischen Geistlichen. Denn 
in Landgraf Moritz reifte in jener Zeit der Plan, eine Umgestaltung der reli- 
giösen Verhältnisse in seinem Lande und in der ihm zugefallenen Hälfte 
Oberhessens vorzunehmen, ein Bestreben, zu dessen Durchführung er bis- 
her nur kleine Anläufe genommen hatte 6 *. Auf Drängen der calvinistischen 
Theologen in und außer Landes" — er hatte hierüber persönlich eine Kon- 
ferenz mit Theologen in Basel 66 — beschloß der Landgraf, jetzt sein religiöses 

auch nichts, da Landgraf Georg keinen Anspruch auf Landgraf Wilhelms Nachlaß er- 
heben konnte, wohl aber Landgraf Ludwig d. J. auf Ludwigs des Altern Erbe. 

81 Catalogus IV, 6. — B * 1604 Dez. 31, Abschr. StAD, Marb. Succ. 2. 

*> Superint. Angelus u. die Definitoren an Landgraf Ludwig 1604 Dez. 3, im Auszug 
bei Diehl, Deutsche Zeitschr. f. Kirchenrecht IX (1899), 63 f., Datum a. a. O., 80; dort ist 
nur „die Stadt Marpurg mit der Universität" genannt, woraus obiger Schluß zu liehen. 

M Vgl. Heppe, Die Einführung der Verbesserungspunkte in Hessen (1849), $i. 
— Schon am 6. Mai 1603 schreibt Ludwig der Jüngere an seine Mutter, Moritz ver. 
sichere zwar, er sei nicht calvinisch, aber in Sontra haben die Leute schon „uf Cal- 
vinisch cotnmuniciren mußen" (StAD, Korresp. Ludwigs V). 

M Paul Crocius zu Lasphe (vgl. F. E, Claus, Joh. Crocius [1857], 1, Anm. 2) an 
Prof. Goclenius zu Marburg 1605 Febr. 5: Er möge dem Landgrafen die Einführung der 
„reinen Lehre" nahelegen, da die beste Gelegenheit jetzt sei, „dum per successionem le- 
gitimam regionis ei subditorum magna facta est accessio" (Or. StAD, Kircheng. 10 II, 
Bl. 64). S. Special wide riegung der Wechselschriften (1647), 51. Hieraus gewinnt es 
den Anschein, als ob die Beeinflussung des Landgrafen zur Religionsänderung von der 
Pfalz her planmäßig betrieben worden sei. — Vgl. auch Heppe, Verbesserungspunkte, 
7f.; Rommel VI, 558. 

Be Kurpfälz. Rat Lingelsheim an französ. Agenten Bongars 1605 Juni 22: „Land- 
gravius Mauritius Basileae cum Grynaeo et Polano consultationem instituit de stabi- 
lienda schola sua theologica et fractione panis in ecclesiam inducenda". Hagen, Zur 
Gesch. der Philologie (1879), 180. Vgl. auch die Briefe vom 10. und II, Juni ebd., 
176, 177. Über des Landgrafen Beziehungen zu den genannten Theologen vgl. Rom- 
mel VI, 514, 522. 




^ 



20 Erster Abschnitt« 

Ideal in allen seinen Landern durchzuführen. In Niederhessen und Nieder- 
katzenelnbogen fand er wenig Widerstand 67 . Anders jedoch stellte sich na- 
türlich Oberhessen, wo unter Ludwigs des Älteren Regierung der Glaube 
in der neulutherischen Form, wie sie Ägidius Hunnius vertrat, durchaus in 
Geistlichkeit und Volk Wurzel geschlagen hatte. Moritz sah nicht ein, daß 
er dem Volke, dem die religiöse Bildung fehlte, die äußeren Merkmale und Ge- 
bräuche beim Gottesdienst, die Bilder in den Kirchen, die altgewohnte Form der 
Abendmahlsfeier usw., nicht nehmen könne, ohne das Volk mit seinem an diese 
Äußerlichkeiten geknüpften religiösen Bedürfnis zur Verzweiflung zu treiben. 
Mit unerbittlicher Strenge ging er seinen Weg. Zunächst galt es die Führer, 
die Stadtgeistlichkeit und die theologische Fakultät zu Marburg, die aus lauter 
Anhängern der lutherischen und Gegnern der Schweizer Lehre bestand, 
entweder zu gewinnen oder zu entfernen. Vor allem waren es vier 
Männer, auf die sich die Blicke der Stadt und des ganzen Landes, 
besonders aber der akademischen Bürger richteten: die beiden Theo- 
logieprofessoren Johann Winckelmann und Balthasar Mentzer; ersterer 
schon ein Fünfziger, dem in früheren Zeiten als Hofprediger am Kas- 
seler Hofe Landgraf Wilhelm trotz seiner abweichenden religiösen Meinung 
seine Achtung und Anerkennung nicht hatte versagen können, ein. naher 
Freund von Hunnius 58 ; Mentzer, ein jüngerer feurigerer Theologe, in Wort 
und Schrift gleich gewandt, der zugleich mit seiner Professur auch das 
Ephorat über die Stipendiaten versah und hierdurch noch mehr als sein Kol- 
lege mit der studierenden Jugend in Fühlung stand. Daneben Heinrich 
Leuchter, der seit 1588 Superintendent des Marburger Bezirks war, ein 
Schüler von Hunnius, und der noch jugendliche Konrad Dieterich, dessen 
reiche Gaben durch Reisen und einen Feldpredigerdienst mancherlei Anre- 
gung empfangen hatten, und der jetzt Archidiakonus in Marburg war. 

Der Landgraf ließ zunächst, im Juni 1605, Leuchter und Winckelmann 
— Mentzer war gerade verreist — in drohender Form untersagen, die bisher 
von ihnen gepredigten Dogmen weiterhin zu vertreten, worauf beide mit einer 
entschiedenen schriftlichen Gegenerklärung antworteten 59 . Alsbald wiesen 



57 Heppe, Verbesserungspunkte, 8f. 

58 Vgl. Steubers Predigt, abgedr. in Mylius* Leichpredigt auf Winckelmann (1627), 
40. Im übrigen vgl. für die Personalien Strieder, Grundlage zur hessischen Gelehrten* 
geschiente, z. T. auch die ADB. 

59 Die ganzen Vorgänge erzahlt ausführlich: Lundorp, Continuatio Sleidani III 
(1619), 587—601. Vgl Hospiniani Concordia discors, cap. 57 (S. 486 ff. der Genfer 
Ausg. v. 1678), Hutteri Concordia Concors; Historischer Bericht der Marpurg. Kirchen- 
händel (160$); Catal. stud. IV, 8ff. — Heppe, Verbess., iof. Die Erklärung v. u. Juli 
in der „Notwendigen Erzehlung der Motiven und Ursachen, warumb die Theologi 
. . die synodalische Abschiede . . anzunehmen sich billich verweigert haben" (1606), 44 f. 
— Winckelmann war dem Landgrafen Moritz längst verhaßt. Als dieser im Frühjahr 1603 
eine Predigt Winckelmanns in Marburg gehört hatte, nannte er ihn nachher einen 
„Fuchsschwenzer" (Ludwig d. J. an seine Mutter 1603 Mai 16, Kzt. StAD, Korresp. 



Die Einstellung der Univc 






auch Dietericli und der zurückgekehrte Mentzer die ihnen vom Landgrafen 
zur Einführung vorgelegten sogenannten „Verbesserungspunkte" einmütig zu- 
rück. Auf diesem Standpunkte beharrten sie auch dem Landgrafen persön- 
lich gegenüber. Die Folge war, daß Moritz ihnen ihre Entlassung aus seinem 
Dienste in Aussicht stellte, indem er sich deren Form einstweilen vorbehielt. 

Da sich damals zur Erledigung gewisser Geschäfte darmstädtische Räte 
in Marburg befanden, so erfuhr Landgraf Ludwig sofort, was den Theologen 
angedroht war. Alsbald traf er seine Maßregeln, um die Verfolgten in Schutz 
zu nehmen und für seinen Dienst zu gewinnen. Eben im Begriffe, nach Sach- 
sen zu verreisen, beauftragte er den Superintendenten von Gießen, Jeremias 
Vietor, im Falle der Entlassung jenen seinen Schutz und Beistand anzubieten. 
Am 22. Juli erhielten denn auch die Theologen ihre Entlassung, nachdem 
sie sich bis zuletzt im Gefühl ihres Rechtes geweigert hatten, darum nach- 
zusuchen; Vietor übermittelte ihnen den Auftrag seines Fürsten, den sie 
mit Dank anhörten 60 . Noch ahnte Moritz nicht, daß er mit der Vertreibung 
dieser Männer seinem Gegner Ludwig die Möglichkeit bot, eine Hochschule 
zu eröffnen, die der Marburger gefährlich werden konnte; er hätte sonst ohne 
Zweifel den Theologen die Verpflichtung auferlegt, sich nicht in seines Vetters 
Dienste zu begeben, wie er das in späteren Fällen getan hat, und wie man 
es auf der Darmstädter Seite fürchtete 61 . 

Die Wirkung der Gewaltmaßregel des Landgrafen Moritz trat sofort 
unter der Studentenschaft hervor. Die Stipendiaten weigerten sich unter Vor- 
schützung von Gewissensbedenken, dem an Mentzers Stelle zu ihrem Epho- 
rus ernannten Professor Kaspar Sturm Gehorsam zu geloben, und stellten 
Bedingungen**. Ein Rektoratsedikt, das die Entlassung der Theoiogen mit- 
teilte und begründete, mußte mehrmals wiederholt werden, und man fürch- 
tete sehr, daß die von Moritz geschickten niederhessischen calvinistischen 
Theologen vor Tätlichkeiten nicht sicher sein würden. Professor Goclenius, 
ein Führer der Neuerungspartei, wurde, als er mit einem calvinistischen 
Geistlichen aus der Kirche kam, von einer Gruppe Studenten, die er be- 



Ludwigs V). Freilieh hatte auch Landgraf Wilhelm ihm einmal öffentlich geboten, das 
Maul zu halten. Heppe, Kirchengesch. I, 461. 

*' Vgl. „Nothwendige Enehlung", 70; „Rettung und fernere Ausführung der Mo- 
tiven und Ursachen . ." {1606), I S 21 - des speziellen Teils. Catal. stud. Marb. IV, 8f. 
— Am 32. Juli schreibt Vietor an Landgraf Ludwig, er habe die Kommission ver- 
richtet (eigh. Or., StAD, Kircheng. 11). 

<* Prof. Ellenberger mußte bei seinem Abgang von Marburg 1607 versprechen, 
nicht nach Gießen zu gehen (erwähnt in d. Aktenheft betr. Univ. -Gründung, StAD, Univ. 
5); ähnlich die 1607/08 entlassenen Marburger Stipendiaten (MOGV X, 61, Anm. 4). 
Dagegen kann Vietor (a. a. O.) berichten : „Danach e. f. gn. in effectu sehen, daß sich 
diese herliche menner nit haben laßen weich finden, so haben sie auch selbst nit re- 
signirt, obs ihnen schon amicabelibus verbis zugemuthet worden, und ist ihnen kein 
irers in wenigen oder vilen abgefordert worden". 

•> Vgl. meine Ausführung MOGV X (1901), 58 fr"., und den Bericht in Hinten 





22 Erster Abschnitt. 

grüßte, in respektloser Weise laut ausgelacht 6 «, und auch sonst hörte man 
unter den Studenten feindselige Äußerungen 64 . In dem erwähnten Edikt 
hatte der Rektor die falsche Behauptung aufgestellt, die Theologen hätten 
ihren Abschied verlangt; Mentzer und Dieterich protestierten dagegen und 
nötigten ihn zur Zurücknahme 65 . 

Moritz selbst sah, daß etwas geschehen müsse ; er versuchte die jugend- 
lichen Gemüter zu beruhigen, indem er zuerst an die Studentenschaft im 
ganzen, dann an den in Opposition verharrenden Teil der Stipendiaten An- 
sprachen hielt 66 . Ein darmstädtisch gesinnter Student aus Grünberg, der in 
einem Thesenanschlag die Universität als Besitz der hessischen Fürsten be- 
zeichnet hatte, büßte dafür, indem ihm alle Exemplare seiner Disputation 
konfisziert wurden 67 . 

Die Vorgänge in Marburg wurden in Hessen-Darmstadt mit Aufmerk- 
samkeit und «steigender Erregung, namentlich in den geistlichen Kreisen ver- 
folgt. Die Aussicht, daß die Landesuniversität nunmehr gänzlich von calvi- 
nistischem Geiste beherrscht sein sollte, erschien ihnen unerträglich, und die 
Versuche, die Stipendiatenanstalt, die Pflanzschule des Kernes der lutheri- 
schen Geistlichkeit auch des Darmstädter Gebietes, unter die Verpflichtung 
eines reformierten Ephorus zu bringen, ließen rasche Gegenmaßregeln ratsam 
erscheinen. Die allgemeine Meinung ging dahin, daß das lutherische Volk 
seine Söhne nicht mehr mit gutem Gewissen nach Marburg schicken könne. 
Sie und namentlich die Stipendiaten würden sonst das eingesogene calvi- 
nistische „Gift" 68 im ganzen Lande ausbreiten. 

Aus dieser Anschauung heraus ist es zu erklären, daß schon wenige Tage 
nach der Entlassung der lutherischen Theologen zu Marburg aus den Kreisen 
der darmstädtischen Geistlichkeit die Anregung laut wurde, Landgraf Lud- 
wig möge den zu fürchtenden Übeln Folgen durch Errichtung einer eige- 
nen Hochschule und Abberufung der aus seinem Gebiete stammenden Sti- 
pendiaten von Marburg zuvorkommen. Die erste Äußerung, die in dieser 
Richtung zu nennen ist, liegt in einem Schreiben des Gießener Super- 
intendenten Vietor an den Landgrafen vor, das vom 29. Juli datiert 
ist 69 . Nachdem hier die Vorgänge in Marburg seit dem 22. Juli, be- 



Concordia Concors (2. Aufl. 1622), cap. 58, S. 1455 ff., au * den ich erst nach Erschei- 
nen des Aufsatzes aufmerksam wurde. — 8S Job. Pistorius Niddanus an Landgraf Lud- 
wig 1605 Juli 24, Or. StAD, Kircheng. 11. — •* Senatsprotokoll 1605, UAM. 

65 Catal. stud. Marb. IV, 9 f. Das Edikt mit Randbemerkung des Rektors Göd- 
däus über den Protest liegt im UAG. — 66 Catal. IV, 10. Die von Rommel VI, 544 
und 564 angeführten Reden sind wohl identisch? 

67 Catal. IV, 10. Als Grund für das Einschreiten gegen den Verfasser der Dis- 
putation gibt das Senatsprotokoll von 1605 (UAM) auch noch die Zueignung an darm- 
städtische Beamte an: „Quae inscriptio tanto minus erat toleranda, quia eosdem the- 
ses dedicaverat Joh. Philippo a Buseck cognomento Mönch Darmstadino proprincipi nec- 
non Grunbergensis ecclesiae ministris, consulibus, senioribus, quaestori etc." 

66 Vgl. x. B. MOGV X, 44. — 6 » Or. StAD, Kircheng. 11. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 2J 

sonders die Zumutung an die Stipendiaten, berichtet sind, fährt Vietor 
fort : „Was nhun, gnediger fürst und herr, hirunder gesucht, und was 
in weniger zeit doraus erfolgen werde, können e|uer] f[ürstliche| g[naden) aus 
dero hohem beywonendem fürstlichem verstand gar leichtlich ermessen; und 
gehet man meines wenigen Verstandes darmit umb, daß auch e. f. g. landes 
stipendiarii corrumpirt, verfhüret und verleitet werden, in hoffnung, wo hir- 
nechst vacirende dinst under e. f. g., als dan solche mit dero corrumpirten 
stipendiarüs mußen besetzen und dergestalt Calvinismus, man hab es gleich 
gern oder ungern, introducirt werde. Welchem, ob gott will, und senlichem 
seufzen und verhoffen nach viler e. f. g. getrewen unterthanen, e. f. g. gnedig 
doruff gedenken werden, wie ahn einem bequemen ort derselbigen zuge- 
wachsenen iandschaft ein illustre gymnasium gleich dem Lauinger in Neu- 
burgischer Pfaltz möge angestellet und mit nützlichen professoribus in arti- 
bus et facultatibus besetzet und doruff e. f. g. landkinder trewlich und in 
incorrupta religione uferzogen werden. So dorfen e. f. g. gelerte leut dozu 
nit weit hoelen, es seyen gleich theologi, jureconsulti, mediei, philosophi, 
solche sint schoen aller bey der handt; und solte ein solch gymnasium nach 
Gißen geleget werden, wolte ich dem lieben gott zu ehren, seiner warheit zu 
steur und e. f. g. zu unterthenigem gehorsam ohn einig weiter salarium alle 
wochen lectionem theologicam und monatlich disputationem sacram halten. 
— E. f. g. wolle in gnaden nit underlaßen ein solch herlich ornamentum 
dem vatterlandt zu schaffen", 

Vietor schlägt, wie wir sehen, sogleich die Gründung einer Hochschule 
mit allen vier Fakultäten vor, wie man sie in damaliger Zeit, falls sie das 
kaiserliche Promotionsprivilegium nicht besaß, als gymnasium illustre oder 
academicum zu bezeichnen pflegte. Er stand jedoch mit seiner Anregung nicht 
allein. Gleichzeitig mit seiner Äußerung, in der wir die Ansicht der ober- 
hessischen Geistlichkeit darmstädtischen Anteils erkennen mögen, sprach sich 
auch die Geistlichkeit der oberen Grafschaft Katze nein bogen in dieser Rich- 
tung aus. Johannes Angelus, dessen Synode sich bereits im verflossenen 
Dezember, wie wir gesehen haben, in der marburgischen Frage an den 
Landesherrn gewandt hatte, versammelte auch jetzt wieder seine Deflnitoren 
um sich, mit der Absicht, über die in der Hoch schulfrage zu ergreifenden 
Maßregeln sich zu besprechen. Indem er seine Kundgebung an den Landgrafen 
von den Definitoren mitunterzeichnen ließ, stellte er seine Vorschläge von 
vornherein auf eine stärkere Grundlage, als wenn er allein an den Fürsten 
geschrieben hätte. Die Versammlung, am 30. Juli nach Darmstadt entboten, 
erließ von -da unter dem Datum des 1. August zwei Schreiben 711 . Erstens 
wandte sie sich an den Landesherrn mit der Bitte: die entlassenen Theologen 
aufzunehmen; eine gute Partikularschule für seine Landeskinder zu errichten, 

7 * Or. nebst Begleitbrief d. Superini. Angelus an Landgraf Ludwig StAD, Kirchen- 
gesch. ii. Kurier Auszug von Diehl, Deutsche Zeitschr. f. Kirchenrecht IX (1899), 64t. 
Vgl. auch Heppe, Kirchengeschichte II, 56. 





24 Erster Abschnitt 

wozu namentlich seine Marburger stipendiarii majores Helvicus und Finck zu 
gebrauchen seien; die Stipendiaten von Marburg abzurufen und ihre Stipen- 
dien der Universität zu entziehen, ebenso wie die Einkünfte aus den in darm- 
städtischem Gebiet gelegenen Universitätsbesitzungen. Für diese letztere 
Maßregel, die bedenklich erscheinen konnte, wird eine ausführliche Begrün- 
dung gegeben : die Stiftung dieser Güter sei für die reine Lehre bestimmt ge- 
wesen, von der man in Marburg jetzt abweiche; die Maßregel sei eine Not- 
wendigkeit, weil die Jugend sonst keine exercitia verae pietatis haben könne; 
Landgraf Ludwig sei gegen die Verfassung von der Universität ausgeschlossen, 
könne also seinen Anteil ebenfalls nach seinem Gutdünken verwenden; es 
sei nicht zu befürchten, daß die res sacris dicata ad profanos usus verwendet 
würden, wenn man sie zur Schulgründung benutze. Daneben wurde in 
Darmstadt auch eine Adresse an die vertriebenen Theologen beschlossen, in 
der man ihnen Sympathie ausdrückte, sie tröstete in ihrem Mißgeschick und 
sie ermahnte, sich nicht in fremde Dienste zu begeben, sondern Landgraf 
Ludwigs Rückkehr aus Sachsen zu erwarten ; ihre Vertreibung werde sie noch 
auf höhere Ehrenstellen führen 71 . 

Bei welchem von den beiden Superintendenten Vietor und Angelus der 
Gedanke einer Hochschulgründung auf darmstädtischem Gebiet zuerst auf- 
getaucht ist, wird schwerlich zu ermitteln sein; aus dem Interesse, das schon 
früher Angelus für die Marburger Frage gezeigt hatte, wie aus seinem sonst 
bewiesenen Eifer für die Entwicklung des hessischen Schulwesens™, läßt sich 
jedoch vermuten, daß er es war, der Vietor zu seiner Anregung an den Land- 
grafen veranlaßte, während er parallel operierte. Angelus ist es ja auch, 
der die weitergehenden Maßregeln vorschlägt und begründet 73 . — 

Während so die Theologen im darmstädtischen Gebiet Pläne entwarfen, 
um sich von der Landesuniversität zu emanzipieren, war die Bewegung in der 
Universitätsstadt im Wachsen begriffen. Der Aufruhr lag bereits in der Luft. 
Ohne Erfolg versuchte der redegewandte Landgraf Moritz durch persönliche 
Ansprache das Volk zu beruhigen. Als er nach wenigen Tagen die Stadt 
verließ und so die unmittelbare Einwirkung seiner Persönlichkeit aufhörte, 
kam der Widerstand gegen die erzwungenen Religionsformen zu offenem 
Ausbruch. Am 6. August setzte sich die erbitterte Bürgerschaft gegen die Ver- 



71 „Postremo rogamus vos et obsecramus in domino Jesu, honorandi et dilecti fra- 
tres, ne statim extraneis ecclesiis non exspeetato ill. ac dem. prineipis ac domini nostri 
d. Ludovici .... reditu operam vestram addicatis, sed ut explorata prius celsitudinis ip- 
sius mente, quid de vestra aut dimissione aut nova alio vocatione statuat, pie cognosca- 
tis." — „Vestra e cathedra remotio certissima vobis ad altiores honorum et dignitatum 
gradus erit promotio.** 

72 Vgl. besonders Diehl, Schulordungen des Großh. Hessen III (Monumenta Ger- 
maniae paedag. XXXIII), 7 ff. 

73 Bemerkenswert ist es in diesem Zusammenhang, wie gerade Vietor in seiner 
Leichenrede auf Angelus dessen Verdienste um die Entstehung der Hochschule rühmte 
(Oratio de vita . . J. Angeli, 1609, Bl. E3). 



Die Entstehung der Vi 



Gießen. 



IS 



treter der verhaßten Neuerungen mit den Fäusten zur Wehr, mißhandelte die 
aufgedrungenen Theologen und verjagte sie aus der Kirche. Die Gewalt- 
tat, zu deren Weiterführung die Menge auch auf den Beistand der Studenten 
rechnete' 4 , forderte den Landgrafen ebenfalls zur Anwendung von Gewalt 
heraus. Er kehrte zurück, bot Reisige und Ausschuß auf, und der Druck 
der drohenden Waffen beugte in kurzer Zeit die erst so trotzige Bürgerschaft 
unter den Willen ihres Fürsten 75 . 

Aber noch ehe die Bewegung in Marburg in diese Katastrophe getrieben 
war, hatte schon Landgraf Ludwig von den Anregungen der beiden Super- 
intendenten Kenntnis genommen und auch die Ansicht seiner Darmstädter 
Räte darüber gehört, die ihm besonders vorschlugen, vorerst die Stipendiaten 
verwarnen zu lassen, daß sie sich auf keine unbilligen Zumutungen einließen. 
Auch Vietor wurde, als Angelus' Synodalschreiben angelangt war, zu noch- 
maligem Gutachten aufgefordert und unterstützte die Vorschläge der Darm- 
städter Synode durchaus. Alle diese Verhandlungen wurden in größter Eile 
geführt' 6 . Am 8. August beauftragte die Darmstädter Regierung in Vertretung 
des Landgrafen, der sich eben auf der Heimreise nach seiner Residenz be- 
fand, den Superintendenten Vieior, er möge die Theologen Leuchter, Winckel- 
mann und Mentzer insgeheim veranlassen, sich in darm städtischen Schutz zu 
begeben, da zu fürchten sei, es möchte ihnen wegen des Marburger Aufstands, 
„(wiewohl dieselben solches uffstands halben allerdings unschuldig), wo nicht 
etwas wiederwertiges begegnen, jedoch sie mit allerhand beschwerlichen be- 
schuldigungen belegt und ihnen also zum abschied etwas angehenget werden" ". 
Landgraf Ludwig scheute sich offenbar, die religiösen Widersacher seines Vet- 
ters offen zu berufen; er wollte, daß sie als Schlitzflehende zu ihm kommen 
sollten und ließ ihnen das zu verstehen geben. Dieser Aufforderung hätte es 
schon nicht mehr bedurft. Als der Auftrag in Gießen einlief, waren Winckel- 
mann, Leuchter und Dieterich bereits in Gießen angekommen. Während der 
Aufruhr Marburg durchtobte, waren sie in aller Stille zum Tore Marburgs hin- 
ausgewandert und über Gladenbach und Gleiberg am folgenden Tage nach 
Gießen gelangt 78 . Mentzer allein war „wegen häuslicher notturft"'» und weil 

11 Am 7. Aug. warnt Rektor Göddäus die Studenten, einer von unbekannter Hand 
angeschlagenen Aufforderung „ad conjurandum promovendumque negotium hesternum" 
Folge zu leisten. (Or. UAG.) 

" „Historischer Bericht der newlichen Monats Augusti zugetragenen Marpurgischen 
Kirchenhändel" (1605), 20 — 28. — In der Pfalz wunderte man sich über die Milde des 
Landgrafen, vgl. Rommel VI, 571, Anm. 252, u. dazu den Brief Lingelsheims an Bon- 
gars vom 20. Aug., wo er der Schilderung der Marburger Vorgänge fast verwundert hin- 
zufügt: „nulla caedes facta". Hagen, Zur Gesch. d. Philologie, 187. Unter den Dro> 
hungen, womil Moritz die Aufständischen niederzwang, war auch die, daß die Universität 
verlegt (und damit die Bürgerschaft geschädigt) werden sollte. Bericht des A, Junckhci 
n. Darmstadt v. 13. Aug. Or. StAD, Kircheng. it. — 7S Akten v. 3.-8. Aug. StAD a. a. O. 

77 Räte m Darmstadt an Vietor 1605 Aug. 8, Or. StAD, Kirchg. 10, Bd. II, Bl. 94. 

78 Histor. Bericht, 25; Briefe Victors vom 7. u. 10. Aug., StAD, Kircheng. 11. 
'• Vietor an Landgraf Ludwig, Aug. 7, a. a. 0. 





26 Erster Abschnitt. 

er als Ephorus noch Rechnung legen wollte 80 , noch in Marburg geblieben, be- 
absichtigte jedoch, seinen Genossen bald zu folgen, und kam, wie es scheint, 
am 10. August nach. 

Bei Vietor fanden die Vertriebenen gute Aufnahme ; vorerst wußte frei- 
lich noch niemand, was mit ihnen werden sollte 81 . Da traf ein freundliches 
Schreiben des Landgrafen ein, das die Theologen Winckelmann, Leuchter 
und Mentzer willkommen hieß und sie aufforderte, sich mit allem ihrem 
Hausrat bei ihm in Darmstadt einzustellen; dem Diakon Dieterich gedachte 
er beim Grafen Ludwig von Nassau eine Stelle zu verschaffen 8 *. 

Auf dieser Darmstädter Zusammenkunft, an der wohl auch Vietor 8 * 
und sicher der einflußreiche Angelus 84 teilnahmen, wurde die Errichtung 
eines hessen-darmstädtischen akademischen Gymnasiums beschlossen 86 . Als- 
bald also ging der Landgraf an die Ausführung des Gedankens, den ihm die 
Theologen seines Landes nahegelegt hatten, der ihn selbst aber, wie wir sahen, 
schon vor Jahren beschäftigte, des Planes, wodurch nicht nur sein Gewissen 
beruhigt wurde, das ihm die Ausbildung seiner Landeskinder auf einer calvi- 
nistischen Hochschule verbot, sondern der auch ein Schritt zur Loslösung 
Darmstadts von der Kasseler Beeinflussung war. Es ist jedoch nicht wahr- 
scheinlich, daß sich Landgraf Ludwig zu diesem Schritte entschlossen hätte, 
hätten nicht die Theologen, insbesondere Angelus, die augenblickliche Lage, 
die Marburger Wirren, dazu benutzt, um ihn zum Ergreifen dieser nicht wie- 

80 Junckher an Landgraf Ludwig, Aug. io, a. a. O. : Mentzer schreibt aus Mar- 
burg : „Ich halte mich in meinem hause innen und begehr, daß meine rechnungen mögen 
abgehöret werden, alsdann wolle ich weichen, unterdessen wünsche ich, daß ich meine 
bücher und andere Sachen einschlagen und fortbringen möge". 

81 Vietor an Landgraf Ludwig, Aug. 7; vgl. Aug. io: Man müsse den Vertriebenen 
Unterhalt schaffen; er habe bereits an den Oberamtmann seine Vorschläge geschickt 

82 1605 Aug. n. Kzt. StAD, Univ. 1. Vgl. Nebel, Gesch. d. Univ. Gießen, 14. 
Teilw. gedr. bei Günther, Anekdoten u. Denkwürdigkeiten a. d. hess. Gesch. (1843), '34^ 
Mentzer hatte ohnehin die Absicht gehabt, sich nach Darmstadt zu begeben, wo sein 
Schwiegervater, der Leibarzt Dr. Joachim Strupp v. Gelnhausen, der Vater des Diplo- 
maten, wohnte. (Vietor an Räte in Darmstadt, Aug. 10, StAD, Kircheng. II.) 

83 Das von Leuchter, Winckelmann, Mentzer und Vietor unterzeichnete Gutachten 
v. 19. Aug. bezieht sich auf „verlaufenen gegenwertigen Discurs" (MOGV X, 43). 

** Vietor in der Oratio de vita Angeli (1609), Bl. £3: „Eluxit ejus pietas, 
fervor et amor erga Deum et propagationem sincerae confessionis in ardua ista deiibe- 
ratione de instituendo gymnasio pro harum regionum ecclesiis, quae anno 1605 mense 
Aug. Darmstadii suscipiebatur et ad finem, laus Deo, felicissimum deducebatur. Deus 
bone, quam ardenter orabat, ut in despectum Satanae, omnium hostium et falsorum fra- 
trum, schola feliciter institueretur I quam urgebat negotium I quam enixe salutaria pro- 
ponebat media!" 

85 Prof. med. Lautenbach schreibt im ältesten Mediz. Fakultätsbuch (UAG) dem 
Landgrafen den Gedanken der Errichtung eines Gymnasiums zu, aber doch wohl nur 
rhetorisch-byzantinisch (Bl. 37: „Itaque re quoquoversum accurate et profunde deli- 
berata, vocatis Darmstatum ejectitiis professoribus [princeps] animum et propositum suum 
de aperiendo et erigendo Giessae archig ymnasio quodam explicuit, dum votum subli- 
mius alterum de novae academiae privilegiis impetrandis feliciore successu decurreret"). 



:hung der Universität f. 



37 



derkehrenden Gelegenheit zu bestimmen. Denn es darf nicht verkannt wer- 
den, wieviel gerade die Theologen für die Entstehung der Universität geleistet 
haben, indem sie die Idee der Universitätsgründung nicht mehr losließen, sie 
dem Landgrafen und seinen Räten gegenüber immer wieder als Notwendig- 
keit darstellten, sie durch ihre unterstellten Geistlichen populär machen ließen, 
und nicht zum wenigsten, indem sie selbst als Organisatoren tätig waren, als 
es galt, ein Corpus academicum fast aus dem Nichts zu schaffen Be . 

So finden wir schon wenige Tage nach jener Darmstädter Konferenz 
Leuchter, Winckelmann, Mentzer und Vietor in Gießen damit beschäftigt, ein 
Gutachten über die zu errichtende hohe Schule zu verfassen, zunächst über 
den Ort, wohin man sie legen solle. Das Gutachten 87 führt aus: Für die 
Begründung der Schule in der Obergrafschaft, also in Darmstadt, spricht der 
Reichtum und die Annehmlichkeit der Gegend, die Nähe großer Städte und 
Flüsse, die Möglichkeit, daß der Landesherr die Schule stets selbst beauf- 
sichtigen könne. Aber die Oberhessen sind gewohnt und infolge ihrer Ar- 
mut darauf angewiesen, ihre studierenden Söhne mit Lebensmitteln zu unter- 
stützen, was nur in der Nähe möglich ist; nach Darmstadt würden manche 
Untertanen 15 Meilen Wegs zu gehen haben, und die Lebensmittel sind 
dort noch teurer als in Oberhessen. Zwar ist der Wein in Darmstadt billiger; 
aber die meisten Studenten sind arm, werden sich also mit Bier und „Cofent" 
begnügen müssen und also von dieser Billigkeit keinen Vorteil haben. Im 
Falle die Schule nicht nach Oberhessen kommt, ist ferner zu befürchten, daß 
die aus Oberhessen stammenden Studenten an die nächstgelegenen, {in reli- 
giöser Hinsicht) „unreinen örter", zum Beispie! in das calvin istische Herborn, 
das katholische Fulda ziehen, wo höhere Bildungsanstalten sich befänden; 
die dort ausgebildeten jungen Leute seien nachher im Lande wegen der ein- 
gesogenen religiösen Anschauungen nicht zu gebrauchen. Deshalb muß man 
die zu gründende Hochschule nach Oberhessen legen 89 . Dort kommen nur 
Alsfeld und Gießen in Betracht 9 », „alß welche beide orter wir vor die vor- 
nembste statt achten". Beide Städte „haben ihre commoditates, alß daß bei- 
derseits zimlicher und guter fruchtwachs, amoenitas Iocorum, necessariorum 



** Die Behauptung des Historikers J. J. Winckelmann (vgl. Wenck, Hess. Landes- 
geschichte I, XXXV), sein Vater habe dem Landgrafen den ersten Gedanken zur Stif- 
tung der Universität Gießen gegeben, findet sonst keine Bestätigung. 

«' Gedr. MOGV X (1901), 43 ff. 

18 Ein später zu erwähnendes Schreiben des kursächsischen Superintendenten Hei- 
vicu5 Garthius, eines geborenen Hessen, an Landgraf Ludwig ist insofern anderer An- 
sicht, 'als Garthius für die Schule, die er sich als Gymnasium mit nur theol. und phil. 
Fakultät denkt, die Stadt Nidda (in der gleichnamigen zu Hessen-Dannstadt gehörigen 
Grafschaft) vorschlägt, die zwischen Oberhessen und Oberkatzenelnbogen (Darmstadt) 
liege. Darmstadt sei jedenfalls für die Oberhessen zu weit. 

89 Auffallend ist, daß Grünberg nicht mitgenannt ist, das doch sogar bei der Wahl 
des Regierungssitzes für Oberhessen Darmst. Anteils neben Gießen in Frage kam. {Ger- 
lach an Strupp 1605 März, StAD, Gesandtsch. 3.) 




28 Erster Abschnitt. 

copia, erbauete gemeine heuser und waß deßen mehr". Aber bei Gießen 
kommen die leichtere Verpflegung durch die Nähe der fruchtbaren Wetterau 
und des Hüttenbergs, die Lage an der Lahn und an der großen Poststraße 90 , 
die Nähe von Frankfurt, „so studiosi vor einen großen vortheil achten", als 
Vorzüge in Betracht, schließlich die Nähe des calvinistischen Gymnasiums zu 
Herborn, dem man Abbruch tun müsse. Die Eigenschaft Gießens als Fe- 
stung dürfe nicht hinderlich sein, zumal wenn man daran denke, daß anders- 
wo, zum Beispiel in Ingolstadt, auch Universitäten in Festungen seien* 1 . Als- 
feld aber habe alle die angeführten Vorteile Gießens nicht und den Nachteil, 
daß öfter dort Seuchen herrschten. Somit sei Gießen der geeignetste Sitz der 
künftigen Hochschule. Diese Wahl scheint auch sofort die landesherrliche 
Bestätigung gefunden zu haben. 

Einige Worte über den Zustand Gießens in jener Zeit mögen hier 
ihre Stelle finden M . 

Während der Sitz der bisherigen allgemeinen Landesuniversität, Mar- 
burg, seit langem als die zweite Hauptstadt Hessens, die Hauptstadt des 
Oberfürstentums galt und demgemäß vor Philipp zeitweise und seit Philipps 
Tode ständige Residenz des oberhessischen Landgrafen war — sein ge- 
räumiges Schloß bot für eine Hofhaltung Raum genug — , war Gießen ein 
Landstädtchen wie Grünberg, Alsfeld, Frankenberg; nur der Vorzug kam 
Gießen seit Philipps Zeiten zu, daß die Stadt durch ihre starke Umwallung 
zur Landesfeste des südlichen Oberhessens geworden war. Jetzt, nach der 
provisorischen Teilung des Oberfürstentums, hatte Landgraf Ludwig Gießen 98 
zum Sitz der Regierungsbehörde (Kanzlei) seiner Landeshälfte gemacht; diese 
Bevorzugung wurde dann durch die Erhebung zum Sitz der Universität fort- 
gesetzt und ist ein Hauptgrund für das verhältnismäßig rasche Aufblühen der 
Stadt. Wenngleich wir nicht in der Lage sind, eine Bevölkerungsziffer an- 
geben zu können, so können wir doch sagen, daß Gießen in jener Zeit ein un- 
bedeutendes Städtchen war, in dem das Vorhandensein von einigen Hundert 
Studenten schon rein numerisch stark in die Wagschale fiel. Von den Vorzügen, 
die dem neuen Musensitz von seinen Freunden in überreichem Maße zu- 



90 Diesen Punkt hebt auch Dieterich in der gleich zu nennenden Abhandlung be- 
sonders hervor: „Situs vel eo nomine rcliquis Hassiae civitatibus praeferendus, quod regia 
totius Hassiae via, quae Francofurtum et Spiram ducit, mediam urbem penetrat: cujus 
beneficio e quibusvis Saxoniae [= Niedersachsen] ditionibus aliisque circumjacentibus 
plurimis tarn meridionalibus quam occidentalibus et orientalibus universae Germaniae 
regionibus singulis septimanis studiosis et incolis aliis literae per tabelliones jura- 
tos a parentibus et cognatis aliis tuto transmitti, necessaria vero alia curru- 
um beneficio absque gravi sumptuum dispendio advehi possunt". 

91 Es ist merkwürdig, daß dieser Purkt, der in den Verhandlungen 1649/50 beinahe 
den Ausschlag zu Ungunsten Gießens gegeben hätte, so leicht genommen wurde. Frei- 
lich hatte man eben noch nicht die Erfahrungen der folgenden Jahre. 

92 Quellen: Konr. Dieterich, Institutiones oratoriae (1613 u. oft), darin: Commen- 
datio Giessae; J. J. Winckelmann, Beschreibung der Fürstenth. Hessen u. Hersfeld, 209 ff. 

93 Nicht ohne daß Grünberg mit in Betracht gekommen wäre, s. o. Anm. 89. 



Die Entstehung der Universität Gießer 



29 



gesprochen wurden, haben einige die nähere Prüfung nicht vertragen. Vor 
allem zeigt sich, daß es allzu optimistisch war, wenn man Gießen als gesünder 
bezeichnete als andere Städte Oberhessens. Schon die ersten Jahre nach der 
Gründung der Hochschule brachten Pest und andere ansteckende Krankheiten 
in Fülle 3 *, und es ist unbegreiflich, wie Konrad Dieterich 1613 das Gegen- 
teil behaupten konnte 96 , nachdem soeben die Universität infolge der Pest in 
alle Winde zerstoben war. Die Häufigkeit pestartiger Krankheiten war denn 
auch nicht zu verwundern, denn die Tallage, die vor den Toren sich deh- 
nenden Sümpfe 34 und nicht zuletzt die mehr als mittelalterliche Sorg- 
losigkeit bezüglich der Straßen Sauberkeit 97 , die selbst den sonst nicht sehr 
empfindlichen Studenten anstößig war, verunreinigten die Atmosphäre der 
Stadt in hohem Grade. 

Ein Bild des äußeren Aussehens der Stadt erhalten wir durch Dilichs 
Chronik, in die unter anderm auch eine Ansicht von Gießen eingefügt ist 88 , 
und ferner aus einer ziemlich ungeschickten Abbildung, die 1612 zu Gießen 
bei Chemlin gedruckt wurde. Die letztere ist mit lateinischen und deutschen 
Versen zur Verherrlichung des neuen Universitätssitzes versehen und erschien 
wohl als fliegendes Reklameblatt zum Zwecke der Popularisierung der Gie- 
ßener Hochschule 09 . Hoch ragten, wie auf diesen Bildern zu sehen, die mit 
Tortürmen versehenen Wälle rings um ein Gewirr kleiner Gassen. Die Häuser 
waren niedere, mit Lehm beworfene Fachwerkbauten 100 , mit Ziegeln gedeckt. 
In der Mitte erhob sich das Gotteshaus, die Pankratiuskirche, mit ihrem 
dicken viereckigen Turm, der heute noch neben der Stadtkirche steht. Mehr 
den Wällen näherte sich das alte Schloß, der Sitz der Kanzlei und des Haupt- 
mannes (Festungskommandanten) mit dem jetzt sogenannten Heidenturm, dann 
das neue Schlößchen, das als Archiv diente, endlich das umfangreiche Zeug- 
haus. — Die Bewohnerschaft bestand zumeist aus Ackerbürgern und Hand- 
werkern, unter denen besonders das Wollenwebergewerbe in großer Blüte 
stand 101 ; auch Weinbau wurde damals noch getrieben. 

So war das Städtchen beschaffen, dem jetzt unvermutet die Aufgabe 



** Vgl. meine Angaben MOGV XI (1902), 59 f., und unten Näheres. 

** Instit. orat., a. a. O. : „Acre Giessa fruitur salubri: non enim montibus est 
interclusa, ut pestiferae mephites et puires exhalationes virosa crassitie ipsam corrum- 
pant, sed aere fruitur libero ideoque puro: ita ut pestis vel alius morbus acutus 
rarissime hie, siculi alibi fieri consuevit, grassetur: aut si quandoque ineidat, abs- 
que gravi tarnen infectione hinc indc Ieviter vagetur." 

»• Tack, Academia Gissena restaurata (1652), 6. — » MOGV XI, 73. 

M Dilichs Hess. Chronik, Ausg. v. 1605, Teil I, zwischen S. 103 und 104. 

19 Das einzige mir bekannt gewordene Exemplar besitzt das Darmst. Staatsarchiv. 

100 So ist wohl Dieterichs Äußerung zu verstehen: „Aedificia . . . sunt humilia, 
lignea, luto et calcc obdueta". 

101 Dieterich, a. a. O. Vgl. Philipps d. Großm. Schreiben an einen Gießener Pre- 
diger 1563: „Ihr wißet, das zu Gießen ein arbeitsam volck ist, als wolnweber, tuhrleuth, 
ackerleuth und andere"' (Rommel, Philipp d. Gr. III [1830], 337). 



?o Erster Abschnitt. 

zufiel, eine Hochschule aufzunehmen 10 *. Vor allem mußten Anstalten ge- 
troffen werden, um Räume für den Unterricht zu beschaffen. Daneben 
fragte es sich, wo man in der Eile die nötige Zahl von Professoren her- 
nehmen sollte. Hier war Balthasar Mentzer als Organisator in seinem Ele- 
ment. Er verfaßte alsbald ein Outachten über Lokal und Personal der 
Schule 105 . 

Zunächst sah er von der Stiftung einer medizinischen Fakultät ab, wohl 
deshalb, weil eine solche bei der allerwärts geringen Zahl der Medizinstudie- 
renden am ersten entbehrt werden konnte. Aber eine theologische und eine 
juristische Fakultät muß da sein „beneben denen freien künsten" (= philo- 
sophische Fakultät), und als Vorschule dieser Hochschulkurse muß eine Schule 
gegründet werden, ein Gymnasium im heutigen Sinne; denn die bestehende 
städtische Lateinschule war „etwas gering 44 . Durch eine sinnreiche Stunden- 
einteilung weiß er den Bedarf an Räumen für den Unterricht auf drei zu be- 
schränken. Hiervon sollen die vier classes (Schulklassen), zu je zwei kom- 
biniert, zwei Räume erhalten, während für die Vorlesungen der drei Fakul- 
täten ein Raum genügen soll, indem die Vorlesungsfolge in dieser Weise an- 
geordnet wird: 



Morgens 6 Uhr 
7 

tt * II 

8 



tt w ll 

o 

1t * II 

mittags 12 „ 

nachm. 2 „ 

3 

tt ** tt 

4 

tt ^ tt 



logica ; 

theologica: facultas ; 
juridica facultas; 
theologica facultas; 
physica ; 

juridica facultas; 
theologica facultas; 
ethica. 

Hat man die unbedingt nötigen drei Räume gefunden, so gilt es, noch 
für die Stipendiaten einen gemeinsamen Tisch einzurichten 104 und zu sehen, 
wie man sie, zusammen oder getrennt, mit Wohnungen versieht. Auch für 
Professoren- und Lehrerwohnungen ist zu sorgen, „deren ein jeder seine be- 
sondere wonung wird haben müssen 4 '. Die Studentenschaft ist bei den Bür- 
gern unterzubringen, wobei eine amtliche Wohnungstaxe und Festsetzung 
gewisser Preise für das Notwendige aufgestellt werden muß. 

Was den Lehrkörper der werdenden Hochschule betrifft, so müssen im 
ganzen sieben Professoren und Lehrer da sein, nämlich zwei Theologen, ein 
Jurist und vier philosophi, von denen aber nur einer Professor ist, die an- 
deren praeceptores an der Schule; doch sollen auch zwei von diesen daneben 



102 Die Stadt erkannte die Ehre und den Vorteil, der hiermit verbunden war, 
dadurch an, daß sie sich zu einem jährlichen Beitrag von 150 fl. zu den Schulkosten 
bereit erklärte („Extract aus D. Vietoris schreiben", St AD, Kircheng. 11); die schrift- 
liche Verpflichtung folgte erst ein Jahr später (Wasserschieben, Die ältesten Privilegien 
u. Statuten der Ludoviciana [1881], 25; Or. m. S. im Besitz der Universität). 

*°« Gedr. MOGV X (1901), 46 f. — 10 * Geschah nicht, siehe unten. 



Die Entstehung der Universität Gieflen. jl 

publice, das heißt akademisch, lesen. Auch über die Zahl der Stunden und 
Disputationen macht Mentzer Vorschläge. An die Spitze des Ganzen ist ein 
Rektor zu stellen, dessen Amt entweder dauernd von einem Professor oder 
abwechselnd von allen zu versehen ist, an die Spitze des Pädagogs (Gym- 
nasiums) ein paedagogiarcha, zur Aufsicht über die Stipendiaten ein ephorus. 

Ein weiteres Gutachten, das sich aus jenen Augusttagen 1605 erhalten 
hat 10 ', macht Vorschläge bezüglich der als Dozenten an die neue Schule zu 
berufenden Personen. Es ist zwar nicht von Mentzer verfaßt, zeigt aber dessen 
maßgebenden Einfluß auch in diesen Fragen, indem es ausspricht, man habe 
sich über die Berufung von Lehrern „mit rath D. Mentzeri" zu vergleichen. 
Ebenfalls in jene Zeit gehören die Anfänge der Schulgesetze und Privilegien, 
deren Entwurf von Winckelmann und Mentzer bereits am 2. September nach 
Darmstadt abgeschickt wurde. Über sie wird in einem besonderen Abschnitt 
gehandelt werden. 

Winckelmann und Mentzer bildeten von Anfang an die theologische Fa- 
kultät der neuen Hochschule. Als Juristen hoffte man den Professor Gotho- 
fredus Antonii von Marburg zu gewinnen, der sich infolge seiner religiösen 
Ansichten in dem reformierten Marburg nicht auf die Dauer halten konnte 100 . 
Vergebens bot ihm zwar Landgraf Moritz, der den beliebten akademischen 
Lehrer seiner Universität zu erhalten suchte, völlige Religionsfreiheit; noch im 
September nahm er die Berufung nach Gießen an, und Ende November 
siedelte er dahin über 10 ', viele Studenten von Marburg nach sich ziehend; 
diese folgten dem verehrten Lehrer auf das vor wenigen Wochen eröffnete 
akademische Gymnasium zu Gießen, „ibi putantes academiam, ubi esset Go- 
thofredus Antonii" 10 ». — Für die philosophische Fakultät, die man bald besser 
auszustatten gedachte, als es Mentzers Entwurf vorgesehen hatte, kamen in 
erster Linie zwei Marburger stipendiarii majores in Betracht, die gegen die 
Umwälzung Widerstand geleistet hatten, Kaspar Einck für Physik und Rheto- 
rik, Christoph Helwig (Helvicus) für Griechisch und Hebräisch. Von ihnen 
ist der letztere durch seine gründlichen Kenntnisse in den orientalischen 
Sprachen bald nachher eine Hauptleuchte der Universität geworden, und 
sein Anteil an der von Ratichius geplanten Unterrichtsreform ist bekannt 109 . 



im Ohne Datum, StAD, Univ. 2. 

loa jj a ß er |tCum theologis ritus quosdam ecclesiasticos immutatos aegre fercnti- 
bus" nach Gießen gezogen sei, bemerkt Dilich, De urbe et academia Marpurg. ed. Cae- 
sar, III (Marb. Progr. 1865), it. — ><" Dilich, a. a. 0., 13, „sub Novembris finem". 

108 Reinkingks Oratio parentalis für Antonii, gedr. in Feurborns Leichpredigt für 
dens. (1618), 38. Vgl. auch Seuffert, Gothofr. Antonii, Gieß. Univ.Rede 188t, 6. Proto- 
Collum acad. Marp. 1605 {UAM). Feurborn, a. a. O., 251. — Antonii war bei der 
Darmstädter Regierung beliebt, war von ihr auch ins Austrägalge rieht 1604 vorgeschla- 
gen, aber von Kassel abgelehnt worden. Acta etc. (1615), S. 16 der Documenta ad deduet. 
nullit, pert. 

im Auch als Altertumsfreund lernen wir ihn kennen, vgl. Anthes im AfhG, N. F. III 
(1902), 335'- 



32 Erster Abschnitt. 

Außerdem wurden in der nächsten Zeit für Gießen gewonnen: der Jurist 
Kitzel für Mathematik (!) und Institutionen, der bereits erwähnte Konrad 
Dieterich für Ethik und als Pädagogiarch, der bisherige Lehrer an der Gie- 
ßener Stadtschule Konrad Bachmann für Geschichte und Poesis"*. Noch im 
Herbste plante man auch die Einrichtung einer medizinischen Fakultät und 
knüpfte mit dem Marburger Professor der Medizin Ellenberger Verhand- 
lungen an, um ihn zu berufen 111 . 

Wenn es dem Landgrafen gelang, solche Kräfte von Rang und Namen 
für seine neue Hochschule zu gewinnen, so durfte er hoffen, daß sie rasch 
und sicher aufblühen werde. In der Tat gehörten Winckelmanns und Mentzers 
Namen zu den am meisten genannten unter den deutschen Theologen ihrer 
Zeit 112 . Um Winckelmann für seinen Dienst zu gewinnen, bestürmte gerade 
jetzt der Herzog Johann Kasimir von Koburg den Landgrafen mit Bitten 
um seine Überlassung 118 . Auch Antonii hatte sich durch seine lehnsrechtlichen 
Schriften bereits einen geachteten Namen erworben. 

Die wirkliche Eröffnung seiner Schule lag dem Landgrafen jetzt vor 
allem am Herzen. Als Lokal stellte die Stadt die nötigen Räume im Rat- 
haus zur Verfügung. Für die Unterbringung der Professoren, Studenten und 
Schüler in Bürgerhäusern wurde gesorgt; mit dem Grafen Ludwig von Nassau 
wurde wegen Holzlieferung aus dem Amt Gleiberg, sowie wegen Lebensmittel- 
zufuhr aus dem Hüttenberg Verhandlung gepflogen 114 . 

Aber die finanzielle Grundlage blieb als Gegenstand der Sorge zurück, 
denn wenn auch der Landgraf für den Anfang die Barmittel vorschoß 116 , so 
war ihm doch eine solche Beisteuer auf die Dauer zu leisten unmöglich. Der 
Vorschlag, der Universität Marburg ihre in darmstädtischem Gebiet gelegenen 
Güter zu entziehen, der in Theologen kreisen hervortrat U€ , schien ihm in der 



110 Nach Lib. decan. med. I (UAG), Bl. 37, wäre ihre Bestallung schon am 
26. Aug. erfolgt. 

111 Ellenberger an Sekretär Jungk zu Gießen 1605 Okt. 10, Or. StAD, Univ. 1. 

112 Erwähnt mag sein, daß Mentzer auch noch seinen bedeutendsten Schüler Jo- 
hann Gerhard für Gießen zu gewinnen suchte. Fischer, Vita Jo. Gerhardi (1723), 44. 

118 Korrespondenz 1605 Sept. 2 bis Okt. 7. StAD, Univ. 1. Der Herzog berief 
dann statt Winckelmann Gerhard. Fischer, a. a. O., 48 ff. 

rt* Korrespondenz 1605 Aug. 28 bis Nov. 14. StAD, Univ. 2. 

115 Schulrechnungen 1605 ff. (UAG). 

116 Vielleicht schwebt Strupp schon am 23. Juli dieser Gedanke vor, wenn er an 
Buseck schreibt, Landgraf Ludwig müsse Landgraf Moritz wegen der Religionsänderung 
vermahnen, „wie auch der Universität gef eilen halben" (StAD, Kircheng. 11). S. auch 
oben S. 24. — Ähnlich schreibt der Hesse Helv. Garth, Superintendent in Oschatz in Kur- 
sachsen, von Landgraf Ludwig befragt, am 22. Aug. : „Waß es mit der universitet Marpurg 
für ein gelegenheit gehabt, ist mir unbewust; wofern es aber nicht anders versehen, 
kanten e. f. g. die gefeile, so bißhero auß den ämptern, ihnen nunmehr underworfen, 
der univ. gereichet worden, zu sich ziehen und eine reine schule, weil man wieder das 
altvetterliche und vetterliche testament die reinen theologos abgeschafft, mit denselben 
intraden professores und praeeeptores zu bestellen, anrichten, und obs schon kein uni- 



Die Einstellung der Universität Gießen. )j 

Durchführung nicht unbedenklich. Daher dachte er daran, die Hochschule 
auf andere Gefälle zu fundieren, ließ darüber Erhebungen anstellen und be- 
sonders darauf sehen, daß ehemals geistliche Güter dazu verwendet würden 111 . 
Es scheint aber, daß das Ergebnis nicht zufriedenstellend war, denn er kam 
dann doch auf jenes Auskunftsmittel zurück, die Marburger Universitätsvog- 
teien in seinem Lande der zu gründenden Gießener Hochschule zu über- 
weisen. Den dazu nötigen Rechtsgrund suchte er in der stiftungswidrigen 
Marburger Religionsänderung einerseits, in dem Widerstand der Universität 
gegen seine Mitherrschaft über das Corpus academicum andererseits. Der 
Zustimmung seiner Landschaft zu dieser Maßregel war er sicher, denn die 
Städte hatten bereits schriftlich darum nachgesucht 116 ; die Ritterschaft hoffte 
er dafür zu gewinnen. 

Zu diesem Zwecke berief Landgraf Ludwig einen Ausschuß seiner Stände 
auf den 23. September zur Beratung nach Gießen; ein Vorgehen, das ihm 
von den Kasselern sehr verdacht werden mußte, da es verfassungsmäßig nur 
gesamthessische Landtage gab, obgleich die Anfänge der Trennung auch da- 
mals bereits vorlagen' 18 . Bei der Eröffnung des Landtages erklärte daher 
Johann Strupp von Gelnhausen 110 , der Vertreter des Landgrafen: der Tag 
sei ausgeschrieben „auf veranlaßung etzlicher dem gemeinen nutzen gewo- 
gener getreuwer, . . . nicht in meinung das ein absonderlicher landtag damit 
gehalten noch etwas neuwes eingeführt werde, viel weniger einige trennung 
geschehen solle, sondern seine fürstl. gnaden sehen auf der zeit gelegenheit, 
und wie auch vor dißem es etwan in vorgefallen particularsachen gehalten". 
So erbitte sich der Landgraf „als ein junger angehender Regent des Ober- 
fürstentüms" ihre Ansichten über folgende Punkte: 

1. Da in Marburg in Religion und Universitätswesen Änderungen vor- 
genommen worden seien, könne er die Jugend seines Landes nicht mehr auf 
die dortige Hochschule ziehen lassen, und er habe daher die Gründung eines 



versitet wehre, könten doch die Studiosi darinnen zur nottur/t und genügen ad sludium 
philosophiae und theologiae angewiesen werden. Es sey aber deme wie im wolle, so wer- 
den e. f. g. alhier kein uncosten ansehen müssen, sondern des ganzen landes und der 
religion in acht nehmen . . ." (StAD, a. a. O.) 

111 Jon. Weitzel in Gießen an Landgraf Ludwig 1605 Aug. 21 (StAD, a. a. O.) — 
Es werden besonders ins Au^e gefaßt: der Ankauf von Bellersheimischen Lehen, ein Pa- 
tershauser Gut, Pfarrzehnten im Amt Butzbach, ehemals geistliche Güter im Amt Alsfeld, 
Ankauf des Sohnsischen Anteils am Butzbach er Kugelhaus usw. 

1,8 Erwähnt im Abschied des Gießener Tages, MÜGV X (1901), 49. 

l " Die Ausschreiben an 17 Ritter und 13 Städte gingen von Romrod am 1 7./18. Sept. 
aus. StAD, Landständ. Verf. 6. wo sich auch die sonstigen Akten dieses Landtags finden. 
— Die Partikularlandtage vor 1605 stellt übersichtlich zusammen Rehm, Gesch. beider 
Hessen II (1846), 37 f. Die Verhandlungen über die Berechtigung des Gießener Tags in 
den Acta . . . {1615), Missiven 49 ff. 

1!0 „Mündlich Vorbringen", StAD, a. a. O. ; Strupp tritt hier sehr stark hervor; er 
hat die fürstliche Proposition, die früher anders lautete, ganz umgearbeitet, da er so mehr 
Erfolg hoffte. 

Die UnivtriitiT Gießen von 1607 bii 1907. I. J 



34 Erster Abschnitt. 

Gymnasiums in Gießen beschlossen. Er stelle zur Erwägung, ob nicht die 
Güter und Gefälle der Universität, soweit sie in seinem Lande gelegen, von 
der Marburger Schule ab und zu der seinen gezogen werden könnten. 

2. Da diese Gefälle nicht zur Errichtung der Schule ausreichen würden, 
— man müsse doch anfangs Lokale dafür beschaffen und einen Freitisch für 
arme Studenten gründen — , stellt der Landgraf das Ansinnen an die Stände, 
eine „freiwillige Nebensteuer" zu bewilligen. 

3. In ähnlicher Weise wie die Güter möchte er auch die aus den Kir- 
chenkasten der einzelnen Ortschaften seines Gebietes fälligen Stipendienbei- 
träge auf seine Schule übertragen haben und gleichzeitig seinen Anteil an 
dem in Marburg kapitalisierten Stipendiengeld verlangen 111 . 

In den folgenden Verhandlungen ging die Meinung bezüglich der frei- 
willigen Steuer und der Überweisung der Stipendiengelder dahin, daß die 
Vorlage, wenn auch mit gewissen Vorbehalten, angenommen werden könne. 
Was jedoch die Überweisung der Universitätsvogteien betraf, so war die Mei- 
nung geteilt: die Städte stimmten dafür mit der Begründung, die „zur uni- 
versitet der wahren reinen Augspurgischen confession" gestifteten Güter 
seien nach der „mutatio in religione" der Universität Marburg zu entziehen 1 ». 
Die Ritterschaft hatte Bedenken gegen dieses Vorgehen, aber am folgenden 
Tag ergab sich auch unter den Rittern eine Majorität für die Vorlage. Im- 
merhin kam die fehlende Einhelligkeit in dieser Frage auch im Abschied d$s 
Tages zum Ausdruck 123 . Die verlangte Schulsteuer wurde auf einen Schrecken- 
berger von je 100 fl. Kapital festgesetzt, jährlich je zur Hälfte auf Quasi- 
modogeniti und auf 1. Oktober zahlbar, und auf vier Jahre hintereinander 
bewilligt 124 . Doch wurde der Vorbehalt gemacht, daß bei etwaiger Religions- 
änderung in Gießen die Steuer aufhören und das bereits Gesammelte zum 
Besten der Ritter- und Landschaft anderwärts verwendet werden sollte. Mit 
großer Bestimmtheit betonte man, daß das Geld nur zur Erhaltung der un- 
geänderten Augsburgischen Konfession verwendet werden dürfe. 

Hatte Landgraf Ludwig so durch den gewagten Schritt der Weg- 
nahme von Marburger Universitätsbesitz die Gießener Schule gut fundiert, 

121 Einige weitere Beschluß vorlagen, die sich nicht auf die Universität beziehen, mögen 
hier nur angeführt sein: Vertrag mit der Witwe Ludwigs von Marburg, die wegen ihres 
Wittums, des Amts Bingenheim, mit Geld abgefunden wurde (da diese auf viele Tausende 
sich belaufende Angelegenheit, läßt der Landgraf hinzusetzen, von ihm geregelt sei, wür- 
den die Stände um so bereitwilliger die Schulsteuer bewilligen); Auslieferung der neuen 
Huldigungsbriefe an Sachsen; Musterung des Landesausschusses; Zwist der Abtei Fulda 
mit den Riedesel; Streit um Geleitsrechte; drei weitere Punkte des Programms (darunter 
die Widersetzlichkeit von Wetzlar) scheinen nicht vorgebracht worden zu sein. 

122 Aufzeichnung über d. Beratungen, St AD, a. a. O. — 12 3 Abschied: MOGV X,47ff. 

124 Rechnungen der Schulsteuer, UAG. — Die Erhebung stieß auf Widerstand, na- 
mentlich beim Deutschorden, beim Kloster Arnsburg, im gemeinherrlichen Amt Hütten- 
berg und bei einer Anzahl von Rittern, besonders den Riedcsel zu Eisenbach. Die Kor- 
respondenzen und Mahnbriefe StAD, a. a. O. ; bezüglich des Deutschordens vgl. auch 
den „Historisch-dipl. Unterricht . . von der . . . Balley Hessen** (1751), Beil. 246, 247. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 



IS 



so hielt er es doch für angebracht, sich in dieser Sache einen Rückhalt beim 
Reichsoberhaupt zu verschaffen, um durch dessen Zustimmung sein doch an- 
zuzweifelndes Recht zu verstärken' 25 . 

So wendete er sich denn am 1. Oktober an den Kaiser 186 , indem er sich 
über die Entziehung der Universität durch seinen Vetter Moritz beschwerte, 
der sich allein habe von den Universitätsangehörigen huldigen lassen 1 " und 
die Universität so beeinflußt habe, daß sie auf seine und seiner Brüder Er- 
innerung „mit anmaßlkhem protestiren" ihn beschimpft habe, auch die Hoch- 
schule selbst als Academia Mauritiana lt8 bezeichne. Ferner beklagt er sich 
über die Religionsänderung 1 * 9 , die Entlassung der widerstrebenden Profes- 
soren und die anderweite Vergebung ihrer Stellen, die mit Zustimmung der 
übrigen Professoren erfolgt sei. Auf dieser Grundlage wird denn ausgeführt, 
daß die Universität durch ihre Widersetzlichkeit ihren Güterbesitz in Lud- 
wigs Land verwirkt habe, und daß Ludwig diesen auf Wunsch seines Land- 
tags seinem Gymnasium zu Gießen zugewendet habe, das in religiöser Bezie- 
hung durchaus „der fundation gemeß" sei. Er beabsichtige, diese Entziehung 
so lange aufrecht zu erhalten, bis in Marburg die Religion wieder in alter 
Weise hergestellt, und bis er und seine Brüder als Mitinhaber von der Universi- 
tät anerkannt seien. Die Wegnahme der Güter rechtfertige sich auch damit, 
daß er ja die Marburger Professoren, die gewissenshalber nicht an der Uni- 
versität bleiben konnten, an seiner Schule unterhalte. Somit erwarte er die 
Sanktion seines Vorgehens durch den Kaiser. 

■ Ludwig war jedoch nicht nur darauf bedacht, sein formelles Recht 
durch ein kaiserliches Indult zu verstärken; er suchte auch Beruhigung sei- 
nes Gewissens, das offenbar durch die Wegnahme der Güter sich bedrückt 
fühlte. Zwar hatten ihn seine hessischen Theologen über die Zulässigkeit 
dieser Maßregel beruhigt' 10 , aber es drängte ihn, das Urteil eines außen- 
stehenden Theologen zu hören, der die Angelegenheit ohne Voreingenom- 
menheit betrachten mochte. In dieser Absicht trug der Landgraf am Tage 
nach der Abfassung der Eingabe an den Kaiser dem kursächsischen Hofpre- 
diger Polykarp Leyser, einer anerkannten Autorität, die Sachlage vor" 1 und 
bat ihn um sein Gutachten ; gleichzeitig ersuchte er ihn um seinen Rat über 
eine von den Gießener Theologen abzufassende Schrift, in der ihr Ver- 



, Ja 




605 in der Erbschaftssache ge- 
Hist. Hassiaca II {1742), 240. 
und Empfehlungsschreiben an die 



" s An den Kaiser hatte er sich sihon 
wendet, war aber noch ohne Antwort. Vgl. 

«« Kit. StAD, Marb. Succ. 12; dabei Begier 
kaiserlichen Räte Wacker und Barvitius. 

■« Über diese Huldigung (Februar 1605) vgl. Catal. sind. Marb. IV, $f. 

«» Vgl. oben S. t8; ferner Schrags Stammbuch, Gieß. Univ.-Bibl., Hdschr. No. 1216"; 
Catal. stud. IV, 86. 

1! * Landgraf Ludwig tut hier den bedenklichen Schritt, eine evangelisch -theolo- 
sehe Lehrstreitigkeit vor ein kaiserliches Forum zu bringen. Vgl. daiu die Kasseler Aus- 
führungen in den Acta Marpurgensia {1646), 43s f- 

180 S. oben S. 24 u. Anm. 116. — läl Kit. von Strupps Hand StAD, Kircheng. II 



A 



36 Erster Abschnitt. 

halten dargelegt und gerechtfertigt werden sollte 1 « Leysers Antwort 18 » war 
durchaus beruhigend: die den Marburgern entzogenen Einkünfte seien „ihr 
lebtage niemals zur fortpflanzung der Calvinisterey (damit man des orts 
schwanger gehet, man leugne so stark als man wolle) gewidmet gewcst" 
und würden jetzt (für Gießen) richtig und stiftungsgemäß verwendet. Die 
Schrift der Theologen sei durchaus zu loben, man möge sie ruhig drucken 
lassen 13 *. Hiermit war des Landgrafen Gewissensnot wohl gehoben, und er 
konnte sich mit neuem Eifer der Tätigkeit für seine Schule widmen. 

Während die Verhandlungen über die Organisation der Schule sich . 
noch weit in den Winter hineinzogen, waren die sonstigen Vorbereitungen 
soweit gediehen, daß man an die Eröffnung der Schule gehen konnte, von 
deren bevorstehender Gründung schon weithin die Rede war 1 * 6 . Schon war 
ein Vorlesungsverzeichnis verfaßt und zur Publikation in die Frankfurter 
Messe geschickt worden, und schon hatten Winckelmann und Mentzer einst- 
weilen mit Vorlesungen begonnen 186 ; die Hörer waren wahrscheinlich ihre 
aus Marburg herübergekommenen bisherigen Schüler. 

Zur Eröffnungsfeier bestimmte Landgraf Ludwig den 10. Oktober und 
beauftragte, da er in jenen Tagen verreiste 137 , den Kanzler Strupp mit seiner 
Vertretung 138 . 

132 In dem bereits 1605 in zwei verschiedenen Auflagen erschienenen „Histori- 
schen Bericht' 4 (vgl. Vilmar, Gesch. d. Konfessionsstandes d. ev. Kirche in Hessen (1868), 
306 f.), — mir liegt die zahmere zweite Auflage vor — war den entlassenen Theologen 
indirekt der Vorwurf gemacht, daß sie an den Marburger Unruhen schuld seien (vgl. auch 
Schönfelds briefliche Äußerung v. 14. Aug.: „Theologi Marpurgenses ingruente tumultu, 
quem nutu compescere potuisscnt, urbe egressi, nee ab illo tempore reversi sunt, unde 
suspicio in eos magis magisque confirmatur 4 *. ZfhG, N. F., II [1869], ^o)- Hier- 
auf schrieben die Gießener die „Nohtwendige Erzehlung der Motiven u. Ursachen, war- 
umb die zu Marpurg . . beurlaubte Theologi . . die . . synodalische Abschiede, deßglei- 
chen die Ceremonien .... anzunemmen sich billich verweigert haben. Deßgleichen . . 
Antwort auf den Historischen Bericht von den Marpurgischen Kirchenhändeln . ." (Gieß. 
1606). Der erste Teil ist vom 3. Okt. 1605 datiert und jedenfalls dem Brief an Leyser 
im Manuskript beigelegt gewesen; der zweite Teil trägt das Datum 14. Dez. 1605. Der 
Federkrieg zog sich noch längere Zeit hin (Zusammenstellung der Schriftentitel bei Vil- 
mar, a. a. O., 306 — 335). — 1M Sylloge epistolarum Pol. Lyseri, Lips. 1706, 197. 

184 Leysers Urteil über die ganze Schrift ist, „daß die theologi ihre Sachen sehr 
bescheiden geführet haben". An Landgraf Ludwig 1606 Febr. 17, Sylloge, 200. Die 
hier erwähnte in Vorbereitung befindliche Schrift von Helv. Garth ist der „Gründliche 
. . Bericht von dem Religionswesen im Fürstenthumb Hessen** (Wirtenb. 1606), der dem 
Verfasser als Geschenk des Landgrafen einen vergoldeten silbernen Becher einbrachte 
(StAD, Kammerrechnung). 

185 Lingelsheim an Bongars 1605 Sept. 21, b. Hagen, Zur Gesch. d. Philologie, 196, 

186 Steuberi Oratio funebris in obitum Winckelmanni, bei Mylius, Christi. Leich- 
predigt für W. (1627), 42: „. . . quid una praestiterint [Wynckelm. et Mentz.] in 

publicando Francofurti lectionum catalogo, pluribus notum est; inde factum est, ut, cum 
6. Augusti Marpurgo discesserint, mense Septembri sequenti Gissae publicam scholam 
haberent . . .'* Leider habe ich kein Exemplar des Verzeichnisses zu Gesicht bekommen. 

187 Darmstädter Räte an Winckelmann u. Mentzer 1605 Okt. 8, Kzt. StAD, L T niv. 2. 

188 Landgraf Ludwig an Strupp Okt. 3, Or. a. a. O. 



Die Entstellung der Unive 



t Gießen. 



J7 






Donnerstag den 10. Oktober begab sich, nach einem Gottesdienst in der 
Stadfkrrche, die Fest Versammlung nach dem Rathause. In einem der Rat- 
hausauditorien hatte man ein Katheder für den neuen Rektor errichtet' 59 . 
Rechts davon nahmen die fürstlichen Räte Platz, links die Professoren, Be- 
amten und Stadträte, und den übrigen Raum füllten die Pfarrer der Gegend 
und etwa 200 Scholaren. Kanzler Strupp hielt die feierliche lateinische Er- 
öffnungsansprache, wobei die ihm vom Landgrafen erteilte Vollmacht be- 
kannt gegeben wurde. Sodann ernannte er Winckelmann zum Rektor der 
Schule, wies die Professoren in ihre Ämter ein und überreichte dem Rektor 
das Schulsiegel, die Schlüssel zum consistorium (Sitzungszimmer des Senats) 
und zum carcer, das Matrikelbuch, die Privilegien und Statuten, die der 
Landgraf der Schule gab" . Hierauf folgte des Rektors Dankrede, Gebet 
und Ermahnung. Den Beschluß machte ein feierlicher Zug nach der Woh- 
nung des Rektors, der dabei, um seine neue Würde zu ehren, vom Kanzler 
und Stadtkommandanten geleitet wurde, und daselbst ein festliches Mahl. 
Am nächsten Tage hielt Mentzer, bald nach ihm die übrigen Professoren 
ihre Antrittsreden 1 *'. So hatte diese neue Hochschule, deren Eröffnung in 
Hessen-Darmstadt und den angrenzenden lutherischen Territorien mit Freu- 
den begrüßt wurde 1 ", ihren fröhlichen Anfang genommen. Strupp berich- 
tet darüber seinem Landgrafen am 12. Oktober und bedauert sehr, daß der 
Fürst bei dem ,, herrlichen actu" nicht zugegen war 113 . Am 14. und 15. Ok- 
tober begannen die regelmäßigen Vorlesungen, am 21. Oktober der Unter- 
richt im Pädagogium mit 70 Schülern 1 ". 



'** Die Einzelheiten nach folgender Notiz auf dem handschr. Exemplar der Er- 
öffnungsrede Stnipps (StAD, Univ. z): „Anno 1605, 10 Sbris. In inauguratione gymna- 
sii Giessensis post declamatiunem D. Ja, Winckelmanni proponebat cancellarius loco pro- 
ximo calhedrae (cui per actum continuum iasütriMt rector Winckelmannus), nbi die se- 
quenli egregie" peroranie D. Menzero magnificus consedit, consiliariis equestris et litera- 
tomm ordinis dexteram cingentibus, profesaoribus, officiariis et senatoribus sinistram, 
auditorio pastoribus et circiter 200 scholaribus pleno; re gratiarum actione, precatione et 
adhortatione per rectorem consummata, qui in introitu capitaneum et cancellarium e tem- 
plo cum consiüariorum, professorum et pracccplorum caterva secutus, in deduclione ad 
aedes suas ab utroque stipatus epulas dedit solennes". Vgl. auch Gießener Intelligent' 



!■!:,. 



1795, IJ6. 



Bemerkenswert ist, daß diese Symbole der Rektoratsgewalt damals z. T. noch 
fingiert werden mußten; denn die Schule besaß damals noch keinen Karter, auch kein 
Konsistorium; auch die Fassung der Privilegien und Statuten wurde erst in den folgenden 
Monaten festgesetzt, und ein Siegel erhielt die Schule erst 1606, wie die Aufschrift des 
ältesten {spitzovalen) Siegels beweist: „Sigillum scholae Giessensis. Anno 1606". 

"i Lib. decan. med. I (UAG), a. a. O. 

us Vietor an Buseck 1605 Sept. 10 (StAD, Kircheng. u): Alle Stände freuen sich 
über die Schulgründung ; auch Graf Ludwig von Nassau habe sich erfreut geäußert ; die 
Weilburger haben für ihre Söhne schon l.osamenler bestellt; man hoffe, bis Michaelis 
100 Scholaren in der Stadt zu haben. — '* 3 Or. StAD, Univ. 2. 

'•* Lib. decan. med. I, a. a. O. Die Zahl der Schüler s. in einer gedruckten Be- 
kanntmachung des philos. Dekans vom 18. Okt. 1615 (StAD, Üniv. 4). 





38 Erster Abschnitt. 

III. 

Es ist behauptet worden, Landgraf Ludwig sei erst durch das sichtliche 
Aufblühen und die starke Frequenz seines Oießener akademischen Gymna- 
siums dazu bewogen worden, die Erhebung zur Universität anzustreben 145 . 
Dies ist jedoch nicht der Fall. Von Anfang an hat der Landgraf die Absicht 
gehabt, die neue Schule mit ihren zwei Fakultäten — erst nach der Ober- 
siedlung von Antonii wurde eine juristische hinzugefügt 148 — nicht in ihrem 
Gründungszustande zu lassen, sondern sie zu einer vollständigen Universi- 
tät auszubauen 147 . Nur so konnte er ja auch hoffen, seine Hochschule er- 
folgreich und auf die Dauer gegenüber der Marburger zu behaupten. 

Ja schon ehe die Gießener Schule als Gymnasium illustre ins Leben 
trat, geschah vonseiten des Landgrafen bereits der erste Schritt zu ihrem 
Ausbau. Am 1. Oktober 1605, gleichzeitig mit jenem Beschwerdeschreiben 
an den Kaiser 148 , berichtet der Landgraf dem Kurfürsten von Sachsen über 
die Vorgänge; gleichzeitig ersucht er ihn um seine Empfehlung beim Kaiser, 
da er ein Privileg erbitten wolle, „nicht nur allein umb die inferiores or- 
dines und gradus ... zu conferiren haben, sondern auch einer rechten aca- 
demiae oder universalis studii befreyung oder Privilegium". Damit man 
nicht sagen könne, diese Neuerung, durch die die hessische Universität Mar- 
burg geschädigt werde, laufe der Gründungsabsicht Landgraf Philipps zu- 
wider, würde dem Privilegium die Bestimmung einzuverleiben sein, daß die 
neue Gießener Universität nur so lange bestehen dürfe, bis in Stadt und 
Amt Marburg der alte Religionsstand wieder eintrete und die dortige Hoch- 
schule von der Darmstädter Linie mitverwaltet werde 149 , also derselbe Ge- 
danke, den er für die Entziehung der Vogteien in dem Schreiben an den 
Kaiser ausgesprochen hatte. 

Zu einer Universität fehlte der neuen Schule noch zweierlei: Erstens 
auch nach der Eröffnung der juristischen noch die medizinische Fakultät, 
sowie eine Vermehrung der Professoren in allen Fakultäten auf eine statt- 
lichere Anzahl; zweitens aber, und das ist wesentlicher: die Berechtigung 
akademische Grade — Bakkalaureus, Magister, Doktor — zu erteilen. Dieses 
Recht konnte nach damaliger Rechtsanschauung nur der Kaiser durch Pri- 
vilegium verbriefen 160 . 



145 Rommel VI, 146; Heppe, Kircheng. II, 59. 

146 Kitzel als Professor der Institutionen bildete noch keine Fakultät, da die In- 
stitutionenprofessur als unterste juristische galt, vgl. z. B. die Gießener Statuten von 1607 
(Wasserschieben, a. a. O., 18 f.). 

147 Lib. decan. med. I, a. a. O. : Der Landgraf habe einstweilen die Gründung eines 
Archigymnasiums vorgeschlagen, „dum votum sublimius alterum de novae academiac 
privilegiis impetrandis feliciore successu dccurreret". — l48 S. oben, S. 35. 

143 Kzt. StAD, Kircheng. 1 1 ; Kurfürst Christian antwortete vorsichtig (27. Okt., 
Or. a. a. O.), er sei zu einer Interzession bereit, aber erst dann, wenn die Sache am 
Kaiserhofe bereits angebracht und auf Schwierigkeiten gestoßen sei. 

150 Um diese Anschauung durch einen zeitgenössischen Gewährsmann zu belegen, 



Die Entstehung der Universität Gießen. 39 

' In beiden Richtungen schritten in der folgenden Zeit die Verhandlun- 
gen vor. Zunächst sei hier erwähnt, daß man nach langen vergeblichen Kor- 
respondenzen mit verschiedenen Medizinern durch Vermittlung der Tübinger 
Fakultät den Heilbronner Arzt Johann Münster als Professor der Medizin 
berief 161 . Er kam am 22. August 1606 in Gießen an, starb aber schon nach 
wenigen Wochen ebenso wie seine Frau an der Pest. An seine Stelle trat 
im Frühjahr 1607 der Friedberger Stadt- und Burgarzt Joseph Lautenbach 152 . 
Auch in den übrigen Fakultäten war man auf Berufung fähiger Lehrkräfte stets 
bedacht, doch traten vorerst keine neuen Professoren in die Universität ein. 

Ehe wir nun betrachten, in welcher Weise man sich um die Erlangung 
des Universitätsprivilegiums bemühte, müssen wir zunächst die Tätigkeit der 
Gegner der jungen Hochschule ins Auge fassen, in deren Lager man eifrig 
bestrebt war, das Entstehen und die Entwicklung der Gegnerin zu ver- 
hindern. 

Auf die Nachricht von der Schuleröffnung zu Gießen berief Landgraf 
Moritz im Gegensatz zu dem Gießener Partikularlandtag auch seinerseits 
einen Landtag der Stände seiner Hälfte von Oberhessen nach Wolkers- 
dorf 1M (19. bis 21. November 1605) und legte ihm eine Reihe Beschwerden 
gegen seinen Darmstädter Vetter vor, worunter auch die Schulsache. Durch 
eine Deputation der Landstände ließ er diesem Mahnungen zur Zurücknahme 
der Gießener Beschlüsse überbringen, denn man habe in Gießen über eine 
das ganze Land betreffende Sache von der Vertretung nur eines Landesteiles 
einen Mehrheitsbeschluß fassen lassen. Gleichzeitig sollte die Abordnung eine 
persönliche Zusammenkunft der beiden Fürsten anbahnen. Aber Ludwig 
wies die Anträge zurück. Der Partikulartag zu Gießen habe sich mit einer 
Partikularsache seines Landes befaßt, ließ er sich vernehmen und fügte bitter 
hinzu, die Gegenseite hätte besser getan, alles in dem Stande zu lassen, wie 
es unter Ludwig dem Älteren war, dann wären die Gießener Maßregeln un- 
nötig gewesen. — Mit Schrecken sah man an befreundeten Höfen den wach- 
senden Groll zwischen den beiden Vettern 164 . 



verweise ich auf Regner Sixtin, De regalibus, 2. Aufl. 1609 (die erste erschien 1603), 
Bd. I, 30. Zur Entwicklung dieser Auffassung Kaufmann in d. Deutschen Zeitschr. f. 
Geschichtswiss. I (1889), 157 ff. 

181 Akten, StAD, Univ. 1. — 1M Lib. decan. med. I, Bl. 38 f. 

188 Südlich von Frankenberg. Akten des Wolkersdorfer Tages im StAM. Vgl. 
dazu Rommel VI, 138. 

164 Namentlich bei Kurpfalz, wo man eben damit umging, einen Zusammenschluß der 
Stände beider evangelischer Bekenntnisse in politischer Absicht zustande zu bringen. Vgl. 
Briefe und Akten z. Gesch. d. 30jähr. Kriegs I, hsg. v. Ritter, No. 364, Anm. Für die 
Stimmung in Heidelberg vgl. die Briefe Lingelsheims an Bongars vom 17. u. 21. Okt. 
(Hagen, a. a. O., 199, 201): „Landgravius Mauricius vereor ut graviter erret in muta- 
tionibus illis non satis tempestivis; infensus ipsi mirifice patruelis, et vereor ut magna 
mala consequantur". „Inter landgravios patrueles acerbissimae sunt discordiae; exigua 
nobis spes reconciliationis, nee possum probare Mauricii actiones omnes." 



40 Erster Abschnitt 

Auch zwischen der Universität Marburg als Körperschaft und Land- 
graf Ludwig bereiteten sich jetzt die Feindseligkeiten vor. Am 10. November 
forderte der neue Stipendiatenephorus Kaspar Sturm die Stipendiaten, die 
nach geendeter Ferienzeit sich nicht in Marburg eingestellt hatten, zur Rück- 
kehr bis spätestens 1. Dezember auf 155 , natürlich ohne Erfolg, denn die Hes- 
sen-Darmstädter waren auf Befehl Vietors von Marburg weggezogen und 
hatten sich sodann auf Mentzers Aufforderung in Gießen eingefunnden 16 «. 
Gleichzeitig befahl der Landgraf Moritz der Universität, dem in Gießen an- 
gestellten Marburger Universitätsvogt die Oberweisung von Geldern aus der 
Universitätskasse (zum Zweck der Steuerzahlung) zu sperren. Vergebens 
stellten ihm die Professoren vor, daß man hiermit dem Feinde die Waffe 
in die Hand gebe, seine Wegnahme von Vogteieinkünften als bloße Gegen- 
maßregel hinzustellen 157 . — In denselben Tagen bereitete man in Marburg 
die jährliche Rechnungslegung der Universitätsbeamten vor. Landgraf Lud- 
wig, der als Erbe Ludwigs von Marburg durch Vertreter daran teilzunehmen 
begehrte, erhielt begreiflicherweise von Landgraf Moritz auf diese Forderung 
keine Antwort. Daraufhin wies er die Vögte von Alsfeld, Gießen und Grün- 
berg an, für ihre Vogteien entweder gar keine Rechnung abzulegen, oder dies 
wenigstens unter Protest und Vorbehalt der Rechte von Hessen-Darmstadt zu 
tun 168 . Letzteres geschah auch; und ebenso protestierte Professor Balthasar 
Mentzer, der als gewesener Marburger Stipendienephorus zur Prüfung der 
Stipendienkasse nach Marburg geladen und erschienen war. Als man nun 
zögerte, ihn zur Rectinungsablage zuzulassen, reiste Mentzer kurzerhand nach 
Gießen zurück, indem er dem Rektor Göddäus erklärte, seine Pflicht gegen die 
Gießener Schule gestatte ihm nicht längere Abwesenheit 169 . — Auch dieses 
neuerliche selbständige Verfahren seines Vetters in Sachen der Universität be- 
richtete Landgraf Ludwig sofort an den Kaiser als weitere Begründung seines 
früheren Schreibens 160 und reiste sodann nach Thüringen und Kursachsen, 
um mit den religiös gleichstehenden erbverbrüderten Fürsten von Sachsen 
Rats zu pflegen 161 . 

Es war eine trübe Zeit für die Universität Marburg. Die Einkünfte aus 
den Vogteien Gießen, Grünberg und Alsfeld blieben aus, auf die Stipendiaten- 

155 Vgl. meine Ausführung MOGV X (1901), 6of. 

156 Landgraf Ludwig an Mentzer 1605 Okt. 6 (Kzt. StAD, Kircheng. 11). 

157 Protoc. acad. Marp. 1605 (UAM) zum 8.— 11. Nov. 

158 Landgraf Ludwig an die Vögte 1605 Nov. 27, Abschr. UAG. Vgl. Catal. stud. 
Marb. IV, 12. 

159 Protest des Rentmeisters Eckhard von Alsfeld so wie* Mentzers Protest v. 18. Nov.; 
Mentzer an Göddäus, 20. Nov. Abschr. UAG. Dazu Protoc. acad. Marp. 1605 (UAM) 
zum 18. — 20. Nov. — 160 1605 Nov. 20, Kzt. StAD, Marb. Succ. 12. 

161 Den Kurfürsten und seinen Bruder Johann Georg traf er jedoch nicht an (Kur- 
sachsen an Landgraf Ludwig 1605 Dez. 15, Or., Landgraf Ludwig an Herzog Joh. Georg 
1606 Jan. 23, Kzt. StAD, Korresp. Sachsen). — Anfang Januar war der Landgraf in 
Eisenach, von wo er eine Zusammenkunft mit Landgraf Moritz und dem Herzog von Wei- 
mar ablehnte. Rommel VI, 139. 






Die Entstehung der Universität Gießen. 41 

gelder aus Landgraf Ludwigs Gebiet wartete man umsonst und ebenso auf 
die Stipendiaten dieses Landes, denn die Aufforderung des Ephorus war 
vergeblich geblieben 1 **. Antonii war nach Gießen übergegangen, und einige 
andere Professoren zeigten Lust, seinem Beispiele zu folgen. 

Anfangs beabsichtigte die arg geschädigte Hochschule, ohne weiteres 
eine Beschwerde an Landgraf Ludwig zu richten, wandte sich aber dann doch 
erst mit dem Entwurf des an ihn abzusendenden Schreibens um Bestätigung 
an ihren Landesherrn. Moritz las das Schreiben und befahl, es abzusenden. 
Auch wurde die Universität ermächtigt, gegen die Stipendien Schuldner, die 
beitragspflichtigen Orte in Ludwigs Gebiet, am hessischen Hofgericht Klage 
zu erheben — was aussichtsreich schien — und dann die Exekution durch 
das Reichskammergericht beschließen zu lassen 185 . 

Während sich so die Kassel-Marburger Partei rüstete, um den Schaden 
wieder auszugleichen, den sie durch die Errichtung der Gießener Schule er- 
litten hatte, geschah von der Darmslädter Seite ein entscheidender Schritt: 
Landgraf Ludwig richtete an den Kaiser das Gesuch um Erteilung 
des akademischen Privilegiums für seine Gießener Hochschule. 

Nach Kursachsens Vorschlag 16 * hatte der Darmstädter Landgraf den Kai- 
ser, das heißt seine Räte, durch mehrfache Berichte über die Sachlage im 
Marburger Erb- und Universitätsstreit auf dem Laufenden gehalten 1 * 5 . Im 
Reichshofrat war auch bereits am 16./26. November über Ludwigs Klage 
wegen Entziehung der Universität und sein Gesuch um Zusprechung der 
Vogteieinkünfte an Gießen verhandelt worden. Das Hofratsvotum war für 
Ludwig ziemlich günstig ausgefallen |flS , aber da es vom Kaiser noch nicht 
bestätigt war, so hatte der Landgraf nichts davon erfahren. 

ln Univ. Marburg an Landgraf Moritz 1606 Jan. 14 u. 28. Kzte. UAG, wo auch 
die Akten für das weitere Verfahren der Universität gegen Landgraf Ludwig liegen. 

■« Vgl. MOGV X, 61, Anm. 3. — i" S. oben, S. t6, Anm. 37. 

1M Ende Juli/Anfang August war Strupp persönlich in Prag (Landgraf Ludwig an 
Strapp 1605 Juli 26, präs. Prag Aug. 3, Or, StAD, Kircheng. ti). Vgl. Rommel VI, 137. 

im Ich setze den Auszug aus dem Reichshofratsprotokoll im Haus-, Hof- u. Staats- 
archiv Wien (StAW) hierher: „26. November 1605. Von Hessen Landgraf Ludwig et 
consortes sive fratres contra Landgraf Morizcn zu Hessen und die universitätverwandten 
zu Marpurg violati testamenti aviti et institutionis praedictae universitaris clagt herr 
landgraff, das dem altvätterlichen testament und Marpurgischer universitet Institution 
zuwider landgraff Moriz die universitet zu sich allein ziehe und ine und seine brueder 
davon genzlich außschließen wolle, darinnen ime die professores beifallen, ime allein hul- 

und die huldigung ime verwaigern. So habe landgraff Moriz auch die religion 
contra fundationem et testamentum geendert. 

Petit indultum Caesareum, das er die cinkommen, welche in seinen landen zu der 
Marpurgischen universitet gestifft und biliher geraicht worden, so lang innen halten und 
gymnasio geprauchen möge, biß alles bey der universitet in pristinum sta- 
gerichtet. 

Votum: Indultum ipsi concedi posse ob allegata facta contraria fundationi et testa- 
sed indicendum ipsi tantum generaliter, das er die cinkommen bey sich be- 





42 Erster Abschnitt. 

Trotzdem schien es dem Landgrafen an der Zeit, direkt auf das Ziel 
loszugehen. So richtete er nun am 29. Januar 1606 an den Kaiser ein aus- 
führliches Schreiben, das er seinem diplomatischen Agenten am Kaiserhofe zu 
Prag, David Fleischmann, zur Beförderung übersandte 167 . 

Ludwig legt darin nochmals sein Verhältnis zur Universität Marburg 
dar und begründet die Verwendung der drei Universitätsvogteien für seine 
Gießener Schule. Hierbei spricht er in aller Schärfe die schon früher ange- 
deutete Auffassung aus, — die er dann während aller Phasen des Universi- 
tätsstreites beibehalten hat 168 — , nämlich, daß der Zustand der hessischen 
Landesuniversität Marburg durch die von Moritz vorgenommene Religionsän- 
derung nicht mehr der Fundation Philipps und den darauf erteilten Privi- 
legien Karls V. gemäß sei, und daß er selbst sich veranlaßt gesehen habe, 
zur „erhaltung voriges von kayser Carolo confirmirten Status academici in 
Hessen" eine Schule zu gründen, die jenen Grundgesetzen entspräche; diese 
sei dann einfach als die nach Gießen verlegte althessische Hochschule anzu- 
sehen. So ist es zu verstehen, wenn der Landgraf die Bitte an den Kaiser 
richtet, dieses „gen Gießen verlegtes universale Studium allergnedigst mihr 
und meinen erben zu conferiren und zu bestetten, auch sie mit den Privilegien, 
begnadungen und freyheiten, so mein großvatter . . . erlanget . . , zu be- 
gaben". 

In gleichem Sinne wurde der Spezialgesandte instruiert, den der Land- 
graf gleich darauf nach Prag zu senden beschloß. Veranlaßt war diese Ab- 
sendung wohl durch den Extrajudizialbescheid des Reichshofrats vom 
l./l 1 . Februar, wodurch die ganze Marburger Erbschaftsstreitigkeit als eine 
Verfügung über Reichslehen vor das Forum des Reichshofrats gezogen und 
die bisher darüber erwachsenen Akten, zum Beispiel des Austrägalgerichts, 
eingefordert wurden 169 . Unter diesen für Landgraf Ludwig, der sein ganzes 
Vertrauen in eine kaiserliche Entscheidung setzte, günstigen Umständen er- 
schien es ihm nützlich, neben dem Agenten einen geschulten Diplomaten an 



halten nulla facta mentione allegati usus ad suum gymnasium". Schließlich wird der 
ganze Erbstreit als ein Streit um Reichslehen vor das Forum des Kaisers gezogen. Die 
Folge war der zu erwähnende Erlaß vom i./ii. Febr. 1606. 

167 Kzt., ohne Datum, StAD (Begleitschreiben vom 29. Jan.). Gedr. MOGV X, 
49. — Für die ganzen Verhandlungen wegen des Privilegs sind zu vgl.: Kitzelii Oratio 
de fatis et orig. academiae Giess., eine Rektoratsrede von 1615, von der Abschriften in 
UBG (Hdschr. 1242) und im Großh. Gymnasium Gießen; Bachmanns Lobgedicht auf 
Strupp, gedr. in Mylius' Leichenrede für Strupp (161 7), 31 ff. 

168 So z. B. bei der Suspension der Gießener Universität 1624 und der Übernahme 
der Universität Marburg. Vgl. die bezeichnende Titelüberschrift in den Marburger Uni- 
versitätsstatuten von 1629, tit. 5: „De academiae Giessenae, quae ad tempus Mar- 
purgensis Athenaei vicaria fuit, erectione 1 '. Für die Darmstädter Partei ist die 
Übernahme der Marburger Universität 1625 eine Restauration der 1605 eingegangenen 
hessischen Landesuniversität Marburg, die inzwischen durch Gießen vertreten worden war. 

169 Vgl. Rommel VI, 139 f., oben Anm. 166 a. E. Or. des Hofratsedikts 
StAD, Marb. Succ. 12. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 43 

Ort und Stelle zu haben. Wieder wählte der Landgraf hierzu Johann 
Strupp von Gelnhausen, den Kanzler der Gießener Regierung. Neben den 
Aufträgen, die sich auf die Erbfrage bezogen, erhielt Strupp den Befehl, um 
das Privilegium academicum „fleißig anzuhalten", mit dem Bemerken : „wenn 
unß Marpurgk endtlich (alß wir zu gott und dem rechten hoffen) zukommet, 
daß alßdann auß Giessen und Marpurgk wiederumb eine hoche schule ge- 
macht sein und bleiben soll". Auch diese Absicht, wodurch der „status aca- 
demicus in Hessen" möglichst in der alten Form, einheitlich, doch unter 
Darmstädter Einfluß, wieder hergestellt werden soll, stimmt mit dem in der 
Eingabe an den Kaiser geäußerten Gedanken überein. Strupp wurde ferner 
noch beauftragt, gegen eine etwaige Klage der Universität Marburg beim 
Reichskammergericht (wegen der entzogenen Vogteien) die „connexitet" dieser 
Sache mit der nunmehr am Reichshofrat anhängigen Hauptsukzessionssache 
geltend zu machen und womöglich ein kaiserliches Dekret in diesem Sinne 
zu erwirken, wodurch der Landgraf gegen das Kammergericht gedeckt wor- 
den wäre 170 . 

Mit dieser Instruktion in der Tasche reiste Strupp in der größten Eile 171 
über Nürnberg nach Prag. Eile tat schon deshalb not, weil in der bevor- 
stehenden Karwoche am kaiserlichen Hofe keine Verhandlungen stattfanden 178 . 
Am 24. Februar langte der Gesandte in Prag an und erfuhr vom Agenten 
Fleischmann, daß dieser es noch nicht gewagt hatte, das Privileggesuch an 
den Kaiser gelangen zu lassen, weil das schon längst (1. Oktober 1605) nach- 
gesuchte Indult wegen der Vogteien noch nicht die kaiserliche Bestätigung 
gefunden hatte 173 . Überhaupt fand Strupp die Lage minder günstig, als er 
gehofft hatte. Er hatte gedacht, vielleicht noch vor Ostern die Geschäfte 
zu erledigen, hatte geglaubt, die Vogteisache und die Privilegsache gleichzei- 
tig dem Reichshofrat und dem Kaiser vortragen zu können 174 . Nun sah er 
mit großem Mißvergnügen, daß alle anwesenden Gesandten schon wochen- 
lang auf Audienzen beim Geheimen Rate warteten, und für die Erteilung des 
Privilegs, ja überhaupt für die Bitte um Audienz schien ihm der Zeitpunkt 
der allerungünstigste, „den die jetzige fasten- und beichtzeit", wie er schreibt, 
„die leuthe so eifferig [sc. in der Religion] machet, als sie im ganzen jähr 
sein mögen". Und im Hinblick darauf, daß er beauftragt war, nach Erledi- 
gung der Prager Geschäfte am Dresdener Hof wegen der Erbverbrüderung 



170 Instruktion von 1606 Febr. 10, Kzt. mit vielen Korrekturen Strupps St AD, 
Marb. Succ. 12. 

171 „Ob gleich die pferd drüber im lauf pleiben", Strupp an Landgraf Ludwig 
Febr. 18 Nürnberg, StAD, a. a. O. 

112 Die katholische Karwoche, d. h. die Karwoche neuen Stils, war 19. bis 26. März 
= 9. bis 16. März alten Stils, den wir hier mit Hessen und den übrigen damaligen evan- 
gelischen Ständen anwenden. 

178 Fleischmann an Landgraf Ludwig, Febr. 23, a. a. O. Bezeichnend für das 
Tempo des Geschäftsganges! Der Reichshof rat hatte bereits am 16. Nov. 1605 darüber 
votiert (s. oben Anm. 166). — 1U So in dem Anm. 171 zitierten Schreiben. 



44 Erster Abschnitt. 

Unterhandlung zu pflegen 175 , fügt er die Befürchtung hinzu, daß auch Sach- 
sens Hülfe für die Erlangung des Privilegs beansprucht werden müsse 17 «. 

Um zu begreifen, mit welchen Schwierigkeiten ein Gesandter am Kai- 
serhofe in jener Zeit zu kämpfen hatte, müssen wir einen Blick auf die dor- 
tigen Zustände werfen 177 . Das Hof- und Regierungswesen befand sich in 
einer unglaublichen Zerrüttung. Der Kaiser, dessen geistige Störung in 
steter Zunahme begriffen war und sich in Trübsinn und Anfällen von Ra- 
serei äußerte, traute fast niemand und war völlig unsichtbar für jeden 
Fremden. Unter den wenigen Leuten, die mit ihm in Berührung kamen, 
nahm in jener Zeit die erste Stelle der Oberkammerdiener Philipp Lang 
ein, ein ganz verworfener und zu jeder Schandtat fähiger Mensch 178 . Man 
kann wohl sagen, daß er der mächtigste Mann am Hofe war, und er nutzte 
seine Macht ans, indem er gegen große Summen 179 die eingereichten Gesuche 
beim Kaiser befürwortete, der mit seltsamem, fast abergläubischem Zutrauen 
an ihm hing. Aber nicht nur Lang war für Bestechungen sehr zugänglich, 
sondern auch die Räte des Kaisers, die großenteils durch Längs Fürsprache 
zu ihren Ämtern gekommen waren, durch deren Hände aber alle Reichs- 
geschäfte liefen. Die ausschlaggebenden Mitglieder des Geheimen und des 
Reichshofrates waren damals der Reichsvizekanzler Coraduz, daneben der 
Obersthofmeister Graf von Fürstenberg, ferner Leopold von Stralendorf, 
Barvitius, sodann als Hofräte Hannewald und Wacker 180 . Von einer Ein- 
heitlichkeit des Regierungssystems konnte bei der Rivalität der Minister, der 
herrschenden Korruption sowie dem unberechenbaren Eingreifen des kaiser- 
lichen Kammerdieners in die Regierungsgeschäfte nicht die Rede sein. Für 
jeden aber, der am kaiserlichen Hofe eine Angelegenheit zu betreiben hatte, 
gehörten Spenden an die Räte, Unterbeamten und Kammerdiener zu den offe- 
nen und unentbehrlichen Hülfsmitteln 181 . 

Daß auch Landgraf Ludwig mit diesen Verhältnissen rechnete, zeigen die 
Geschenke, die er seinem Gesandtennach Prag stets mitgab 18 ». Unter den 



175 Nebeninstruktion vom n. Febr., Kzt. a. a. O. 

176 „Werdt ich also wohl noch mußen gen Dreßden auch dißer Sachen halben zie- 
hen". Strupp an Landgraf Ludwig Febr. 28, an Buseck v. gl. Tag, Or. a. a. O. 

177 Vgl. Gindely, Gesch. Rudolfs IL, Bd. I; Ritter, Gesch. d.. deutschen Union, 
Bd. II; besonders Stieve, Politik Baierns 1 591— 1607, Bd. II (= Briefe u. Akten z. Gesch. 
d. 30jähr. Krieges V). 

178 Vgl. Hurter, Philipp Lang, Kammerdiener Kaiser Rudolfs II. (1851), und Stieve 
in ADB. Strupp an Landgraf Ludwig, PS. zu 1606 März 28 (eigh. Or. StAD, a. a. O.): 
„Dieser mensch ist der kay. mait. geheimbder als jeziger zeit einer sein mag, und höret 
man wunder von ihm". — 179 Vgl. z. B. Briefe u. Akten VI, 263. 

180 Der bestechliche (vgl. das Pasquill b. Walther, Neue Beiträge z. Kenntnis d. 
Hofbibl. Darmst. [1871], 156) Coraduz fiel bald nachher in Ungnade (Briefe u. Akten V, 
818), vielleicht durch Längs Übelwollen (Hurter, Lang, 162), desgleichen der Graf von 
Fürstenberg (Briefe u. Akten V, 768, vgl. 766). Über Wacker unten Näheres. 

i8i Vgl. Ritter, Union II, 60; ein Beispiel bei Rommel VII, 281, Anm. 262. 

182 In der Kammerrechnung Landgraf Ludwigs von 1605 (StAD) kommt u. a. vor: 






Die Entstehung der Universität Gießen. 

mit Gold gefütterten Begleitschreiben, womit der Landgraf seine Bitte um 
das Universitätsprivtleg einigen der Räte des Kaisers (Coraduz, Hannewald, 
Wacker) empfahl, befand sich auch ein solches mit 40 Goldguiden Inhalt an 
Barvitius; zum Schrecken des Agenten Fleischmann gab der Empfänger es, 
nachdem er es befühlt, zurück, mit der Bemerkung, daß es nicht sein Brauch 
sei, etwas anzunehmen 163 . Strupp, der seine Leute besser kannte, riet dar- 
auf seinem Fürsten, es bei diesem Biedermann einmal mit einem Fuder 
Kl in gen berger zu versuchen. Auch sonst wurde das Geld nicht gespart 18 *. 

So betrieb und beeilte Strupp seine Angelegenheiten nach Möglich- 
keit, indem er die Reichshofräte besuchte und ihnen zuredete; günstige Stim- 
mung glaubte er auch bei den Mitgliedern des Geheimen Rates zu finden, und 
der hessen-kasselische Agent am Kaiserhof, Gabriel Lehmann 101 , konnte mit 
seinen Gegenvorstellungen nicht durchdringen. Immerhin machten sich auch 
Gegenströmungen bemerkbar. Besonders fürchtete Strupp den Einfluß eines 
Mannes, „von dem gesagt wirdt, er werde al hie erzbischoff werden" 18 *. Es 
war dies wohl jener Karl von Lamberg, der bald darauf trotz des Sträubens 
des Prager Domkapitels auf Betreiben des Kammerdieners Lang zu jener 
Würde aufstieg 187 . 

Noch mehr Grund zum Mißtrauen gegen eine erfolgreiche Durchfüh- 
rung seines Auftrages hätte Strupp ohne Zweifel gehabt, wenn er gewußt 
hätte, daß in der Frage der entzogenen Vogteien inzwischen ein dem Hof- 
ratsvotum entgegengesetzter Beschluß des Geheimen Rates vorlag. Die An- 
sicht dieses obersten Kabinetts ging dahin, durch kaiserliches Indult könne 
die Wegnahme der Universitätseinkiinfte nicht sanktioniert werden, weil 

75 fl. für eine „uberguldte bicrn", die Strupp nach Frag mitnimmt, 29 fl. für einen ver- 
goldeten Becher als Geschenk für einen Prager Sekretär; 2t fl. ein weiterer vergoldeter 
Becher; 88 fl. zwei goldene Kettlein, lauter Geschenke Strupps in Prag. Ähnlich 1606, 
wo an E arge sc henken für die Räte in Prag 106 Goldgulden = 190 fl. berechnet sind. 
Übrigens war es bei der Erwirkung des Jenaer Universitätsprivilegs (1557) auch nicht ohne 
Bestechung des Vizekanzlers abgegangen. Schwanz, Das erste Jahrzehnd der Univ. Jena 
(1858), 86. Auch beim Helmstädter Privileg mußte „geschmiert" werden, vgl. Hof- 
meister in Zeitschr. d. hist. V. f. Niedersachsen 1904, 137. 

'*> Die anderen Räte hatten die Handsalben mit Dank angenommen. „Barvitius 
aber hat daß schreiben erst ahngenommen, aber do er gemerekht, daß etwafl greifltches 
darein geschlossen, hat er mir solches wiedergeben, auch auf ein und anderes bitten 
und ahnhalten nicht haben wollen und sich entschuldiget, dali es nicht sein brauch etwas 

ahnzunehmen weiß nit, ob es ihm zu wenig gedaucht . ." (Fleischmann 

an Landgraf Ludwig 1606 Febr. 23, Or. StAD, Marb. Succ. 12; vgl. a. Buseck an den- 
selben, Febr. 24, Or. ebd.). ' . 

1M StAD, Marb. Succ. 12, und Kammerrechnungen 1605 — 1607. 

'■* Über ihn sein Kollege von der Gegenpartei {Fleischmann an Strupp 1605 Apr. 16, 
Or. StAD, a. a. O.): „Und erstlich, waß den Casselischen agenten betrifft, heißt derselbe 
G. I-. ist ein Meißner von Freyberg, und seind ihm alle nicht zum besten holt und 
günstig, dann er zum oftern mit faulen fischen umbgangen. Sed haec inter nos". 

*** Strupp an Landgraf Ludwig 1606 März 3 u. 6, a. a. O. Der Erzbischof von Prag 
war wenige Tage vorher gestorben. — UI Briefe u. Akten V (Stieve), 822, Anm. 2. 



46 Erster Abschnitt. 

man damit Repressalien gegen Landgraf Moritz gutheiße; dieser müsse 
vielmehr zuerst darüber gehört werden 188 . — 

Das Gesuch um das akademische Privileg jedoch kam vor Ostern 
überhaupt in keinem der beiden Räte zur Verhandlung; Strupp war 
in dieser Hinsicht zwar optimistisch 189 , aber er sah doch, daß jetzt, wo 
die katholische Karwoche herangekommen war, keine weitere Förderung 
seines Auftrages mehr möglich war. Nachdem er also noch ein direktes 
Gesuch um das Privilegium an den Kaiser gerichtet hatte 190 , verließ 
er am 12. März Prag und begab sich an den kursächsischen Hof, um dort 
— neben anderem — den Beistand des Kurfürsten in der Privilegsache zu 
gewinnen 191 . Der Kurfürst zeigte sich auch sofort bereit, den befreundeten 
Fürsten, besonders in einer Sache, die religiösen Hintergrund hatte, zu unter- 
stützen, schriftlich oder durch den kursächsischen Gesandten am Prager 
Hofe, Dr. Gödelmann 1M . Mit diesem gewann die hessische Angelegenheit 
einen Helfer, der schon seit Jahnen beim Kaiser in großer Gunst stand 198 . 
Nach Strupps baldiger Rückkehr an den Kaiserhof richtete der Sachse denn 
auch dringende Vorstellungen an die kaiserlichen Räte 194 . 



188 Reichshofratsprotokoll vom 27. Februar/9. März (StAW): Hannewald ab Be- 
richterstatter: „In primo, ratione petiti indulti pro arrestandis redditibus putare consilium 
secretum, es könne nicht sein, sehe repressalien gleich, sondern solle Landgraf Moriz 
darüber gehört werden". Auch das mündliche Ansuchen Strupps, „man solle seinem 
herrn per decretum motu proprio auflegen, das er clage", wird vom Geh. Rat ab- 
gelehnt: „es habe vil bedenckens, der unglumpf wurde dardurch irer kays. mt. ufge- 
laden. Landgraf Moriz werde es für ein zunöthigung außschreien". Es wird daher Land- 
graf Ludwig einfach freigestellt zu klagen oder nicht. 

189 Am 8. März schreibt Strupp: „Ferner hab ich die hern geheimbden räthe ge- 
beten umb befurderung des gesuchten privilegii academici, die haben eins theils etliche 
conditiones urgirt, darauf e. f. g. ohne das resolviret seindt". Vermutlich die später 
in Reversen ausgedrückten Bedingungen (MOGV X, 52, 53)? 

180 Abschrift mit Randbemerkungen StAD, a. a. O. 

191 „Motiven pro privil. acad. impetrando in churf. sächs. commendation zu ge- 
dencken", den kurf. Räten am 16. März überreicht, und „Memorial" (StAD, a. a. O.). 
In den Motiven heißt es: „Eine reine evangelische hohe schule ist in s. f. g. orth landes 
nöthig wegen der benachbarten Wetterau, item weil Franckfurth, Wormbs, Speyer und 
andere ihre k in der sonsten zur den nechstgelegenen schulen als Heidelberg, Marburgk 
und Herborn schicken und solche schulen soviel mehr zunehmen wurden, wo das auf- 
gehende Studium zue Gießen fallen solte, welches dan gewißlich geschehen 
wirdt, da es nicht wie Marburgk privilegiirt wurde". 

192 Strupp an Landgraf Ludwig März 16 Dreßden, Or. a. a. O. Gödelmanns Ver- 
wandte studierten später gern in Gießen (Klewitz-Ebel, Gießener Matrikel, 174, 17$). Sein 
Sohn Johann Friedrich disputierte 1610 unter Fincks Präsidium „de modis praedicatio- 
nis", wobei Finck den Vater als Liebling Gottes, des Kaisers und des Kurfürsten in Ver- 
sen feierte. Vgl. auch ADB IX, 316. 

193 Stieve in Abhandl. d. Münchner Akad., Hist. Kl. XV, 1, 141, vgl. 79. 

194 Strupp an Landgraf Ludwig März 22 Prag, Or. a. a. O. Inzwischen htotte 
besonders der Landgraf von Leuchtenberg eine für das Privileg günstige Haltung gezeigt. 
J. Boerius (Strupps Sekretär?) an Landgraf Ludwig, März 15, Or. ebd. 



Entstehung der Universitit Gießen. 47 

Seitdem Sachsen an den Versuchen zur Enrirkung des Privilegs sich 
beteiligt, tritt immer mehr die schärfste Betonung des bei Kursaohsen Ober- 
haupt vorherrschenden 1 » 5 — Standpunktes hervor» daß die I utheraner allein 
durch den Augsburger Religionsfrieden in eine mit den Katholiken gleich- 
berechtigte Stellung getreten seien, in der sie das Reichsoberhaupt ge>»en An- 
dersgläubige, zum Beispiel Calvinisten, zu schützen die Pflicht habe. Den 
Gegensatz gegen das letztere Bekenntnis hatte Strupp deshalb auch schon 
stark hervorgehoben, als es galt, Kursachsens Unterstützung zu erlangen 1 » 6 , 
Gödelmann ging nun gerade auf das Ziel los, indem er von den kaiser- 
lichen Räten verlangte, „sie sollten also machen, damit man auch sehen 
möge, ob sie den Lutheranern oder den Calvinisten am meinsten gewogen 
seyen" 1 * 7 . In der Tat, der Kaiser stand ja auch in politischer Beziehung am 
Scheidewege: schon zeigte die Gruppierung der Stände Deutschlands die An- 
fänge einer reformierten Union, und eine den Lutheranern günstige Politik 
konnte hoffen, die letzteren mindestens neutral zu halten. 

Endlich am 24. März/3. April wurde im Reichshofrat über das (lesuch 
beschlossen ; vorerst blieb geheim, in welchem Sinne. Strupp ist sehr hoff- 
nungsvoll und bereitet sich vor, mit Gödelmanns Hülfe die Sache im Gehei- 
men Rate, wohin der Reichshofrat seine Vorschläge weitergab, durchzu- 
bringen. Freilich schien die Abreise des Geheimen Rates von Straleiulorf un- 
günstig, und andere Geschäfte drohten die Durchberatung zu verzftgeru ,M . 
Am 1. April hofft Strupp noch, das Indult wegen der Vogteien mit in das 
Privileg bringen zu können; sollte dies nicht angehen, schreibt er an die 
Darmstädter Räte, so möge man die Taxe für eine besondere Ausfertigung 
der Urkunde nicht sparen 1 ". 

Aber jäh brachen die Hoffnungen des Gesandten zusammen, als rr am 
5. April in vertraulichem Gespräch von einem Keichshofrat erfuhr, daß man 
der hohen Schule zu Gießen nur die Privilegien geben wollte, wir sie dir 
zu Straßburg und zu Altdorf hatten, das heißt das Recht, die Grade drr phi- 
losophischen Fakultät, baccalaureus und magister artium, zu verleihrri, abrr 
keine Doktoren der drei „oberen" Fakultäten zu kreieren*". Was war dir 



195 So bei der Verhandlung mit Moritz von Hessen 1605, vgl. Kämmel im Ar< hiv 
f. sächsische Gesch., N. F., VI (1880), 38/. 

*** S. Anm. 191. — 191 Strupp« Schreiben vom 22, Marx, 

*•• Strupp an Landgraf Ludwig März 28 (Or. a, a. O.y, <W*. au di*#*s Mai/ 'm$ 9 
an Buseck März 30 (Or, St AD, Gesandt* h. 3;. Stralendorf reibt« am y>. Mar v,/'A Apill 
in kaiserlichem Auftrag zu Erzherzog Matthias na/ h Wien. J5ri<-fe u. Akf-n V ^«m-v,, '/'// 

1* Or. StAD, Marb. Succ 12. 

*•• Straßburg erhielt dieses Privileg i$'/y und bemüht* %uU vhofi **:i« ty/4 
andauernd, die vollständigen Universitatsprivilegien zu erhalten, was ihm *\*-r <-'*• f'/2f 
gelang. Urkunden und Akten hierzu bei f ournier-Kn^eJ, l/u/iiwrrsif/ d* ?>tr«i*b«/*j#g *« 
les academies prot- franc. I '1894., 9J8 ff., 244-274 usw. für d*e J*ehayj*u#j£ w» 
Schricker (Zur Gesch. <L Univ. Stra£b., 1*72, z'j;, die li'sitvhul* \u$\r s*-** iy>4 - "' 
Promotionsrecht der med. und jvr. Fakultät gehabt / aber wte ausgeübt, fehl* die Kut*ß 



48 Erster Abschnitt. 

Grund zu dieser Entscheidung? Selbst das Reichshof ratsprotokoll gibt ihn 
nicht an* 01 ; aber Strupp erfuhr ihn doch. Nicht ohne Grund hatte er schon 
vorher von kurialer Seite Opposition gegen die Erfüllung der Bitte seines 
Herrn erwartet. Jetzt sah er deutlich, wer ihm entgegengearbeitet hatte; sein 
Bericht ist so anschaulich, daß wir ihn hier wiedergeben* *: „Die Ursachen 
seind dieses gewesen : der pabst hab durch den cardinal von Matrutz* * die 
kay. mait. erinnert, es wolle sich nicht schigken mehr Lutherische hohe schu- 
len zuzulassen und auf denselben doctores theologiae und juris canonici zu 
machen verstatten, wormit im reich widerwertige mainungen und beyderley 
doctores approbiret und confirmiret würden; denn ja Lutherus das jus ca- 
nonicum ein teuffelswergk gescholten auch also öffentlich verbrennet hette. 
Welche erinnerung dem reichshofrath communicirt sey zur nachrichtung. 
Item es wird incidenter erwehnet, ob sey die universitet zu Marpurgk fun- 
diret, da es noch catholisch gewesen ; doch könne man e. f. g. die genade 
nicht füglich abschlagen, so der schulen zu Straßburgk und Altdorf gegeben 
wehre. Worauf ich kürzlich geantwortet: Wann e. f. g. dißfalls den statt- 
hen sollten gleichgesetzt werden, würden dieselben wegen ihres fürstlichen 
Standes empfindlich abassirt, würde der andern mainung* 04 Vorschub gethan, 
denn s. f. g. wohlgemeinte intention müste zu wasser werden auf solche 
weise". Strupp beruft sich ferner darauf, daß die von Landgraf Ludwig ver- 
tretene Sache zugleich die Sache der anderen lutherischen Reichsstande sei — 
zunächst wird wohl an Kursachsen gedacht worden sein ; ja er geht so weit, 
an die dem Hause Österreich von Ungarn und von Frankreich drohenden 
Gefahren zu erinnern, und fügt mit versteckter Drohung hinzu, unter diesen 
Umständen müsse dem Kaiser doch daran liegen, „den stenden widrige ge- 
dangken zu benemen". 

In demselben Sinne schreibt er an den Kaiser, um Stimmung für sein 
Anliegen zu machen, ehe noch das Hofratsvotum an den Geheimen Rat ge- 
langt ist, denn dort, bei den Räten des Kaisers, die unmittelbaren Einfluß auf 
ihn ausüben konnten, lag ja die eigentliche Entscheidung. Ein dringendes 
Schreiben richtete er an den Geheimsekretär Barvitius, damit er das Gesuch 



läge. — Altdorf erhielt das angeführte Privileg 1578, das Promotionsrecht in Jurisprudenz 
und Medizin 1622, in Theologie erst 1696. Urkunden bei Baier, Ausführliche Nachricht 
von der Nürnbergischen Univ.-Stadt Altdorf f, 2. Aufl. 1717, 21 — 34, 47 — 53. 

201 Protokoll vom 24. März/3. April 1606 (StAW): „Von Hessen, landgraff Ludwig 
petit Privilegium universitatis über sein schuel zu dessen, weil sein vetter 1. Moriz die 
schuel zu Marpurg alterirt und Calvinisch gemacht, und er 1. Ludwig also derselben nit 
mehr geniesscn könne. Apponit Privilegium Caroli V de anno 1541. 

Votum: Man möchte eins verwilligen, doch mit der maß, wie der universiteten zu 
Straßburg und Alttorf f privilegia außweisen, ex causis adductis." 

202 Gedr. MOGV X, 51. 

203 Karl von Madruz, Kardinal, Bischof von Trient, ein Vertreter der spanisch- 
päpstlichen Interessen, vgl. Gindely, Rudolf II, I, 108; auch er ist übrigens ein Kunde 
des Kammerdieners Lang, vgl. Hurter, 31. — 20 * Dem reformierten Bekenntnis. 






Die Entstehung der Universität Gießen. 49 

an den Kaiser übermittle, ausführlicher in lateinischer Sprache an den Reichs- 
vizekanzler Coraduz; für den sächsischen Gesandten Oödelmann setzte er 
selbst das an den Kaiser zu richtende Bittschreiben auf' 06 . Unter den Grün- 
den, warum Gießen dieselbe Privilegierung haben müsse wie Marburg, das 
heißt das Recht der Promotion in allen Fakultäten, ist besonders der hervor- 
zuheben: Ob Gießen Doktoren kreiere oder nicht, könne den katholischen 
Universitäten nichts ausmachen ; wenn man aber in Gießen das Promotions- 
recht nicht erlange, so würden notwendig in Marburg und auf anderen refor- 
mierten Universitäten um so mehr doctores promoviert, und das müsse doch 
im Interesse der durch den Religionsfrieden geschützten Bekenntnisse ver- 
mieden werden* *. 

Als in diesen Tagen das Gesuch um Genehmigung der Vogteienent- 
ziehung von neuem im Reichshofrat zur Verhandlung kam, wurde trotz des 
erwähnten abweisenden Bescheides, den das vorige Votum in dieser Sache 
im Geheimen Rate gefunden, wiederum ein für Darmstadt günstiger Beschluß 
gefaßt; man befürwortete die Erteilung des nachgesuchten Indultes, nur sollte 
die Bedingung daran geknüpft werden, daß bei Wiederherstellung der Mar- 
burger Universität in den alten Stand oder dem Erweis, daß die Verände- 
rung durch Landgraf Moritz begründet gewesen sei, der Kaiser das Indult 
kassieren könne* 1 ". 

Es kam nun in beiden Fragen, der Indult- und der Privilegangelegeu- 
heit, alles auf die Entscheidung des Kaisers mit dem Geheimen Rate an. 
Die Lage war insofern nicht ungünstig, als der Kaiser persönlich seit längerer 
Zeit schon kurialen Einflüssen nur schwer zugänglich war' 09 ; andererseits 
aber war Rudolf bei seinem Gemütszustand oft lange Zeit hindurch zu keiner 
Entscheidung zu bewegen' 09 . So äußerte der Graf Fürstenberg Strupp 
gegenüber: „es sey nun nichts weiter zu thun, dan auf eine gute stunde, 
bis die gott einmahi bescheret, zu warten"' 10 . Der Darmstädter Gesandte er- 
hielt den Rat, wenigstens vor allem 8 bis 10 Tage zu verziehen' 11 . 

Während so Strupp in erzwungener Untätigkeit verharrte, begann die 



*** Alle diese Schriftstücke StAD, Marb. Succ. tz. Gegenüber Coraduz beruft 
h Strupp auch auf ein Rechts gut achten der Kölner Juristenf.iki.ili.it. 

"* Lateinische Fassung der Motive für das Gesuch; ferner Strupp an Landgraf 
Ludwig April 12, Or. a. a. O. Dem Barvitius gegenüber versprach Strupp, solange der 
Kaiser lebe, solle jährlich in Gießen ihm zu Ehren eine Feier stattfinden. 

•« Reichshofratsprotokoll vom 8./ 18. April (SlAW); „Votum: Man möcht ime 
ein rescriptum ciausulatum geben, das er die einkommen ex allegata causa innenbehaltc, 
doch zum fall 1. Moriz die academiam widerumb in prist tauin stamm restituirt oder son- 
sten erhobliche Ursachen der angezogenen altcration anzaigen wurde, das ire majt. ir alfl' 
dann die Cassation vorbehalten haben wollen". — !oa Gindely I, 67. 

** So stieg im folgenden Jahre die Zahl der Schriftstücke, die auf die kaiserliche 
Unterschrift warteten, auf mehrere Tausende. Briefe u. Akten V (Slieve), 813. 

' 10 Strupp an Landgraf Ludwig, April 19, Or. StAD, a. a. O. 

sii Ders. an dens., April 22, Or. ebd. 

Di. Um.tr.iUl GieDtn 1607 bii 1907. I. 4 



50 Erster Abschnitt. 

Gegenarbeit der Kasseler, deren Agent bisher ziemlich wenig hervorgetreten 
war. Am 19. April traf der kasselische Kammermeister Philipp Wilhelm von 
Cornberg 212 in Prag ein, angeblich privater Geschäfte wegen. Sein Auf- 
trag 213 zeigt, daß von dem Gesuch Darmstadts um das akademische Privi- 
legium noch keine Nachricht nach Kassel gedrungen war; denn seine Wei- 
sungen gingen nur dahin, die Erteilung eines kaiserlichen Indultes wegen 
der eingezogenen Vogteien zu hintertreiben, weil sonst die Universität Mar- 
burg ruiniert sei. Ausführlich wird in der Gesandteninstruktion auf die „Ver- 
besserungspunkte" eingegangen und dargelegt, die Universität sei „weder uf 
Lutherische noch Calvinische professores fundiert", es habe also auch keine 
Verfehlung gegen die Bestimmungen des Stifters stattgefunden, als man die 
Religionsänderungen durchführte. Die Art, wie Cornberg Strupp über die 
Motive seines Gesuches auszuhorchen versuchte 214 , läßt sein diplomatisches 
Geschick nicht in glänzendem Lichte erscheinen. Immerhin war es bedenk- 
lich, wenn Strupp, den der Landgraf schwer entbehren konnte, und dem 
er nur widerstrebend am 6. April seinen Aufenthalt in Prag um drei Wochen 
verlängert hatte 215 , gerade jetzt abreisen sollte, wo sein Gegner auf dem 
Plan erschienen war; zumal der kursächsische Gesandte gleichfalls abwesend 
war. Jedenfalls beschloß Strupp, vor seiner Abreise noch eine direkte Befür- 
wortung des Gesuchs durch den Kurfürsten von Sachsen herbeizuführen. 
Zu diesem Zwecke führte er dem Kurfürsten nochmals die religiöse Bedeu- 
tung der Hochschulfrage vor Augen und wies besonders auf die Äußerungen 
des Kasseler Gesandten hin: „die abscheuliche ubiquitet", das dogmatische 
Kennzeichen der strengen Lutheraner, sei erst durch Hunnius in die hes- 
sische Kirche eingedrängt worden; Winckelmann habe geschworen, dieses 
Dogma „nicht mehr zu treiben", habe aber den Eid gebrochen; auch seien 
die Prediger nicht verjagt, sondern „mit gnaden erlaßen" worden usw. — 
Äußerungen Cornbergs in geheimer Besprechung, die von dem doppel- 
züngigen Reichshofrat Wacker sofort an Strupp weitererzählt worden waren. 
Um den Kurfürsten noch stärker zu beeinflussen, wandte sich Strupp nicht 
nur an ihn selbst, sondern teilte die Corn bergischen Äußerungen auch dem 
kurfürstlichen Hofprediger Polykarp Leyser mit, dessen Einfluß auf die Ent- 
schließungen seines Herrn richtig einschätzend 216 . 



212 Dieses Gesandten (seines Halbbruders, vgl. Rommel V, 384) bediente sich M& 
ritz auch sonst bei Verhandlungen mit dem Kaiser, vgl. Rommel VII, 215, Anm. 184. 

218 Instruktion von 1606 März 30, Or. St AM. 

214 Strupp an Landgraf Ludwig, April 22. Cornberg hoffte auf diese Weise her- 
auszubringen, 1. ob Landgraf Ludwig behaupte, die Universität Marburg sei seit Philipps 
Tode Gemeinbesitz der vier Brüder; 2. ob er behaupte, Landgraf Moritz habe den Cal- 
vinismus eingeführt. — 216 Landgraf Ludwig an Strupp, April 22, Or. a. a. O. 

216 „Relation u. fernerer discurs, was Phil. Wilh. v. C[ornberg] mit D. J[ohann] 
M[atthäus] W[acker] den 23. Apr. geredet". Strupp an Leyser Apr. 21, an Leyser, Gö- 
delmann u. Kammcrsekr. Moser Apr. 23, an den Kurfürsten Apr. 23, Abschr. StAD, 



Die Entstehung der Universität Gießen. 

Obgleich wir vermuten dürfen, daß demnach auch vom kursächsischen 
Hofe aus der Wunsch Darmstadts Unterstützung fand, gelang es dem Kas- 
seler Gesandten, Strupps Bemühungen insoweit zu durchkreuzen, daß ein 
kaiserlicher Entschluß in der Universitätssache nun überhaupt nicht zu- 
stande kam, sondern die Frage in der Schwebe blieb. Cornbergs Be- 
stechungen scheinen noch die Strupps überboten zu haben 51 '. Dazu kam, 
daß er eine Person fand, durch die er direkt auf den für ihn unsichtbaren 
Kaiser einwirken konnte. Dies war der kaiserliche Kammeruhrmacher Jobst 
Bürgi (Byrgius), ein Schweizer, der wegen seiner großen mathematischen und 
mechanischen Kenntnisse als „der zweite Archimedes" bezeichnet wurde. Er 
war der langjährige Berater Landgraf Wilhelms von Kassel bei seinen ma- 
thematischen Liebhabereien gewesen, und erst vor zwei Jahren hatte ihn 
Landgraf Moritz dem Kaiser urlaubsweise für seinen Dienst überlassen" 8 . 
Durch ihn, den an das Haus Hessen-Kassel alte Anhänglichkeit und 
dauernde Verpflichtung" 9 fesselte, und der mit Landgraf Moritz noch im 
Briefwechsel stand" , ließ Cornberg sein Anliegen an den Kaiser gelangen" 1 . 
Was wollte es da besagen, daß man Cornberg im Geheimen Rat das Gesuch 
um Mitteilung des Darmstädter „für- und anbringenß" abschlug' 8 *? Unter 
diesen bedrohlichen Umständen entschloß sich Strupp, noch eine Weile seine 
Abreise zu verschieben, um Gödelmanns Wiederkunft zu erwarten ss ». Jetzt 
erst scheint er auch den Entschluß gefaßt zu haben, um dem Gegner wirk- 



übrigen Lindner in 
Cornberg suchte den 



a. a. O. Daß sich Leyser für das Zustandekommen der neuen Schule interessierte, wurde 
schon erwähnt (oben S. 36). Über Wacker vgl. den Spottvers aus pfälzischem Kreis: 
„Nulluni credo Deum, pretio figo atque refigo 
justitiam, ventri indulgco, rem facio". 
(Reif I erscheid, Quellen z. Gesch. d. geistigen Lebens I, 710), 
Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens VIII (1867), 331 ff. 

'" Strupp an Landgraf Ludwig 1606 Apr. 28, Or. a. a. ( 
kunstliehen den Kaiser für seine Partei günstig zu stimmen, indem er ihm schöne Ge- 
schütze versprach. Landgraf Moritz an Bürgi Juli 11, Jahrbuch der kunsthist. Samm- 
lungen d. allerh. Kaiserhauses XV (1894), I, 34. 

«s über ihn vgl. ADB III, 6o4ff.; Rommel V, 777—788, VI, 509, 526, VII, 213L; 
v. Drach in dem in voriger Anm. zit. Jahrbuch, i, 15—44, bes. 33 F. Bürgi ist der 
Erfinder einer Art Logarithmen und eines Proportionalzirkels. 

*« Landgraf Morilz an ihn, im ang. Jahrb. 1, 34: „Was du nun eins und anders 
halben erfahren kannst, das wirstu vermag deiner geleisteten cid und pflicht mich bei 
zeigen wieder berichten". — **° v. Drach, a. a.O., Rommel VII, .314 Anm. 183, 2 16 Anm. 184. 

n ' Strupp an Landgraf Ludwig, Apr. 28, Or. a. a. O. (ohne Nennung des Namens B.). 

*** Strupp an Landgraf Ludwig, Mai 3, Or. a. a. O. Am 13/23. Mai wurde über 
ein neues Gesuch Cornbergs, „ne quid ipso inaudito transeat ratione erectionis novae 
scholae Gissenae", im Reichshofrat beraten. Protokoll StAW. — Die für Kassel un- 
günstige Entscheidung ist vielleicht dadurch veranlaßt, daß Kassel eben einen Vorstoß 
zur Erwerbung der Reichsabtei Hersfeid gemacht halle. Der Versuch, die Reichsbe- 
lehnung für den postulierten Administrator, den 12jährigen Landgrafen Otto, Moritzens äl- 
testen Sohn, zu erlangen (Gesandtschaft von Lersner und Starschedel in Prag, Juni 1606). 
blieb erfolglos. Vgl. Rommel VI, 324; Ledderhose, Jura Hassiae prineipum in abb. 
Hersfeld. (1787), 84 f. — Ha Strupp an Landgraf Ludwig, April 28, Or. a. a. O. 






52 Erster Abschnitt. 

samer entgegenarbeiten zu können, sich dem allmächtigen Kammerdiener 
Lang zu nähern. Durch ihn, den der Kaiser kürzlich zum Rat ernannt 
hatte * u , und durch den Vizekanzler Coraduz richtete er am 7. Mai neue Ein- 
gaben wegen des Privilegs an den Kaiser; auch Oödelmann überreichte nach 
seiner Rückkehr eine Bittschrift, während Strupp gleichzeitig den Grafen 
Fürstenberg und den Hofmarschall bearbeitete» 6 . 

Nach dieser letzten Aktion rüstete sich der Darmstädter Gesandte zur 
Heimreise, dem Agenten Fleischmann und dem sächsischen Gesandten das 
Weitere überlassend. Den Agenten wies er vorher noch an, bei den Räten 
und dem Kammerdiener keine Mühe zu sparen, um eine dem Marburger Uni- 
versitätsprivileg gleiche Urkunde für Gießen zu erlangen 2 *«. Sobald dies er- 
reicht sei, soll Fleischmann „der ihme namhaft gemachten person, welche 
hierzu gute officia gethan", 100 Dukaten zustellen" 7 . Ich glaube, wir dür- 
fen in dieser Umschreibung unbedenklich den geldgierigen Kammerdiener 
suchen, der nunmehr auch von Landgraf Ludwig direkt durch Schreiben ge- 
ehrt wurde" 8 . Auch nach Strupps Rückkehr schrieb der Landgraf nochmals 
an den Kaiser, daneben an Coraduz, Wacker und Barvitius; hierbei mußte 
er der wohl von der Kasseler Seite aufgestellten Behauptung entgegentreten, als 
ob Strupp der Anstifter des Zwistes mit Landgraf Moritz sei 222 . 

Daß Landgraf Ludwig sich sogar dazu bereit finden ließ, an einen Mann 
wie Lang zu schreiben, um ihm seine Sache zu empfehlen, kann ihm nicht 
zum Vorwurf gemacht werden. Das hieße die Zustände am Kaiserhofe ver- 
kennen. Wenn überhaupt etwas erreicht werden konnte, dann durch Lang, 
dessen Vermittlung in wichtigen Angelegenheiten auch sonst von Kurfürsten 
und Fürsten des Reiches gesucht wurde 280 . Freilich, billig war diese Hülfe 
nicht; das erfuhr auch der Landgraf, denn schon am 3. Juni schrieb der 
Agent, das Geschenk für Lang erweise sich als unzureichend 281 . 

Trotz aller Bemühungen wollte die Angelegenheit nicht vorwärts gehen. 
Wenn der Agent Fleischmann die Räte mahnte, entschuldigten sie sich mit 



22 * Briefe u. Akten VI (Stieve), 98. — 225 Abschriften StAD, a. a. O. 

226 Nur die „mulcta", die Strafe für Nichtachtung des Privilegs, wünschte Strupp von 
20 (so Marburg, vgl. Hildebrand, Urkundensammlung, 38) auf 30 oder 40 Mark Goldes 
erhöht zu sehen — wohl um die Kasseler Partei abzuschrecken. Der Wunsch wurde spä- 
ter nicht erfüllt, wie die Stelle bei Wasserschieben, Privilegien, 28, zeigt. 

227 Instruktion Strupps für Fleischmann, Mai, 13, Abschr. a. a. O. 

228 Landgraf Ludwig an Lang, Juni 6 u. ohne Datum, Kzte. a. a. O. 

229 Kzte. v. Juni 16, a. a. O. Sonst schob man in Kassel die Schuld an dem 
Streit auch auf andere Leute, vgl. Rommel VI, 125, Anm. 64 (nach Buchs Chronik). 

230 Vgl. Hurter, a. a. O., z. B. 88 ff., wonach Lang dem Kurfürsten von Köln 
nach dreistündiger geheimer Beratung einen Reichssteuernachlaß von 300000 fl. erwirkt 
haben soll. S. auch Rommel VII, 281, Anm. 262. 

281 Fleischmann an Strupp, Juni 3, Abschr. StAD, Gesandtsch. 3. In der Kam- 
merrechnung von 1606 (StAD) wird ein reichvergoldetes Trinkgeschirr von 50 fl. Wert 
erwähnt, das „kay. mayt. cammerdienerß söhn zu Prag uff seinen ehrentag" geschenkt 
wurde. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 5 j 

dringenden Geschäften»', so daß Fleischmann die nochmalige Abschickung 
eines Spezialgesandten anregte. Ein ungünstiger Umstand schien die Entlas- 
sung des Grafen Fürstenberg, eines „großen freundes zu verhetfung des pri- 
vilegii", wie Fleischmann sich ausdrückt*". Die Kasseler aber ließen es sich 
große Summen kosten, um die Räte des Kaisers sich zu verbinden«*. 

Aber woher diese Zurückhaltung, warum diese Ausflüchte der kaiser- 
lichen Räte? Erst der Einblick in das Reichs hofrats Protokoll gibt uns hier- 
über Aufschluß : der Kaiser hatte eingesehen, daß die Verfeindung der bei- 
den hessischen Linien die ohnehin arg verfahrenen Verhältnisse im Reiche 
nur noch verschlechtern könne, und er wollte einen Versuch machen, 
den Streit beizulegen. Der Geheime Rat beschloß nach dieser Weisung: die 
Kurfürsten von der Pfalz und von Sachsen sollten in kaiserlichem Auftrag 
eine Beilegung des Zwistes versuchen*". 

Der Landgraf scheint von dieser Erledigung seiner Angelegenheit zu- 
nächst nichts erfahren zu haben. Er war empört, daß man ihn hinhielt. Am 
ärgerlichsten war ihm die Schadenfreude der Gegner. In bitteren Worten 
macht er diesem Gefühl Luft in einem Schreiben an seinen Freund und Ge- 
bietsnachbar, den Erzbischof Johann Schweikard von Cronberg, Kurfürsten 
von Mainz 21 *. Eine abschlägige Antwort des Kaisers, sagt er da, bringe ihm 
„ewigklichen schimpf, .... welcher sich albereits nur ab etwaß verweylung 
allergn. willfahrung von unverstendigen und abgunstigen eräugen will". Auch 
andere Stande Augsburgischer Konfession könnten in Zweifel geraten, ob 

**' S. vor. Aiini.; Gödelmann an Landgraf Ludwig, Aug. t, Or. StAD, Marb. 
Succ. 12. — MS An Buseck Aug. 5, a. a. O. Fürstenberg war in Ungnade gefallen, vgl. 
Briefe u. Akten V (Stieve), 798. 

tM Landgraf Moritz wollte im Sommer 1606 einen mit Gold eingelegten Küraß für 
den Kaiser für iooco Taler (I) kaufen. Der Kasseler Gesandte Lersner ließ durch Leh- 
mann dem Rat Hannewald ein vergoldetes Gießbc<kcn anbieten; als dieser ablehnte, be- 
schenkte er dessen künftigen Schwiegersohn mit 50 Dukaten („durch welchen ich soviel 
möglich das eigensinnige menlcin disponiren mus", schreibt L.), Auch Coraduz lehnte 
ein Geschenk ab, .,quod tarnen in hoc homine miraculum est". Jahrbuch der kunsthist. 
Sammlungen XV (1894), 1, S. 34, 35, Anm. 1. 

* ss Protokoll (StAW): „1606, 16. Junii. Hessen contra Hessen. Remittitur ex con- 
silio secreto decretum auf die drei vorgehende vota: 1. Ratione academiae Gisscnsis, 
2. retinendorum redituum, 3. communicationis scripturarum; tenoris : Die herrn gehaimen 
haben von irer majestät erinnerung empfangen, daß man die herrn landtgraven nicht 
gar zu weit h inte rainander komen laßen solle. Seye für ire maj. der reichs- und craiß- 
täg halben nicht etc. Ideo solle man ain commissior 
Pfalz und Sachsen anordnen, welche baidc thail in ir 
lern todt erregten strittigkeiten verhören, dieselben, ■ 
und ire maj. des Verlaufs berichten sollen. 
Bericht in Buchs Chronik ist offenbar \ 




officio an baide churfursten 
ten landtg. Ludwigen des el- 
jglich, in der gute vergleichen 
Expcdiatur ergo dieta commissio." — Der 
Kurmainz und Kurpfalz als 
Kommissare nennt und die nachher zu erwähnende Vermittlung durch Mainz, Pfalz und 
Durlach vorausgehen läßt. Was von dem nach Buch am 25. Aug. 1606 zu Gießen ge- 
haltenen Kommissionstag zu halten ist, weiß ich nicht. Buchs Chron., Darmst. Abschr. 
(StAJ)), 163. — «« 1606 Juli 24, Kzt. Strupps, StAD, Marb. Succ. 12. 



54 Erster Abschnitt. 

„ihnen oder aber dero widrigen religion mehr beyfall gegeben wei 
wolle". Dem Kaiser aber schreibt er neuerdings, auf dessen Abneigung gi 
die Reformierten rechnend« 87 : „Ich erfahr mit je lenger je mehren schi 
zen, wie die Calvinische lehre dieser landen taglich überhand nimrnet, 
weiß ich keinen rath solchem unweßen zu remediiren als mit meiner 
gegen angerichten schulen zu Giessen". Diese könne aber ohne Privih 
rung nicht bestehen, und er müsse daher nochmals darum bitten; „der 
auch albereits von den Marpurgischen professoren allerhand ubermuths 
unfugsamen beginnens innen werde, alß welche sich mit verweilung m< 
wohlangesehenen intents dapfer kützeln". 

Trotz aller Bemühungen war jedoch vom Kaiserhofe kein Besehet« 
erlangen; die Kommissionsangelegenheit scheint auch im Sande verlaufe) 
sein. Ludwig sah ein, daß der Eindruck seiner eigenen Bitten und der 
sächsischen Fürbitte nicht ausreiche, und er beschloß bereits im Juli 1 
durch „Interzessionen", Fürbitten befreundeter Fürsten, den Kaiser zu 
wegen. Vor allem versprach er sich viel von der Fürbitte eines geistli 
Kurfürsten, des Erzbischofs von Mainz. Bei ihm erreichte er auch 1< 
seinen Zweck. Vom 7./17. August ist Johann Schweikards Schreiben 
tiert 288 , worin er für seinen „besondern lieben freund", den Landgrafen 
wig von Hessen, als für „einen friedfertigen, gehorsamen reichsfürsten" 
akademische Privilegium vom Kaiser erbittet, „damit s. 1. gegen landg: 
Moritzen zu Hessen 1. desto mehr zu rühm gesteldt und anstadt der 
versitet zu Marpurg . ., e. k. m. allergn. begnadigung sich zu erfrewen h 
mögen". Wie sich hier die Freundschaft des benachbarten Kirchenfürstei 
gar in direkter Parteinahme gegen Landgraf Moritz zeigte, so fand Luc 
Gesuch auch beim Pfalzgrafen von Neuburg kräftigen Widerhall. Das 
bitteschreiben des Pfalzgrafen Philipp Ludwig betonte nur zu stark den < 
gelischen Standpunkt, so daß der Landgraf nicht wagte, es abgehen zu la 
sondern um einige Abänderungen im Wortlaut bat, weil er wisse, „wie 
puloß man in religionssachen ahm keyserischen hoffe ist"; der Neubi 
willfahrte auch hierin dem I^andgrafen sofort» 81 . 

Alles drängte in jener Zeit den Landgrafen darauf hin, auch die le 
Mittel zur Erlangung des Privilegs einzusetzen. Wie empfindlich er g 

287 Aug. 5, Kzt. a. a. O. Am i. August (Rommel VI, 140: 31. Juli) hatte < 
verlangten Verhandlungsakten (s. o. S. 42) an den Reichshofrat geschickt 

888 Kurmainz an Landgraf Ludwig, Aug. 8/18, StAD, a. a. O. ; Abschr. <L 
Zession StAD, Univ. 3. Ludwig verbessert sich in seinem Gesuch an Mainz (v. 24 
selbst: Er habe beim Kaiser um ein Privilegium acad. nachgesucht oder vielmet 
Übertragung des Marburger Privilegs Karls V. auf Gießen. — Wie geheim die 
betrieben wurde, ersieht man daraus, daß die Gegenpartei erst im folgenden Fri 
von der Mainzer Interzession erfuhr (Vultejus an Antrecht 1607 Apr. 30, Kzt. I 

289 Korrespondenz mit Neuburg StAD, Marb. Succ. 12; Abschr. der Inten 
StAD, Univ. 3. In der offiziellen Erwähnung dieser Verhandlungen in den Marl 
Universitätsstatuten von 1629, Tit. 3, fehlt Neuburg unter den Interzedenten. 




Die Entstehung der Universität Gießen. 



55 



den Spott der Marburger über seine bisher vergeblichen Anstrengungen war, 
haben wir gesehen" . Die Sache hatte aber noch eine ernstere Seite. Die 
Oießener Hochschule stand wirklich in Gefahr. Die unter der Studenten- 
schaft ausgesprengten Gerüchte, „als obs mit dem privilegio wol werde hangen 
pleiben", drohten dieses bewegliche Völkchen wieder zu zerstreuen, das nur 
unter der Voraussetzung baldiger Verleihung des Privilegs und in der Hoff- 
nung, sich Grade erwerben zu können, gekommen war. Andere Studenten 
in Marburg und Jena, die nach Gießen hatten kommen wollen, änderten 
ihren Entschluß, als sie hörten, daß Gießen das Recht der Graduierung nicht 
habe und nicht bekommen werde'* 1 . Erhöht wurde die Gefahr, daß die 
Hochschule wieder zurückgehen werde, noch durch das Umsichgreifen der 
Pest in Gießen, weshalb sogar eine zeitweilige Verlegung der Schule nach 
Alsfeld oder Nidda {Grünberg war gleichfalls pestverdächtig) ins Auge ge- 
faßt wurde«. 

Unter diesen Umständen faßte der Landgraf den Plan, in der kaiser- 
lichen Familie selbst seine Helfer zu suchen. In höchster Gunst stand da- 
mals beim Kaiser, der seinem Bruder Matthias zu mißtrauen begann, der Erz- 
herzog Ferdinand"'. Mit ihm hatte Ludwigs Bruder Philipp auf einer seiner 
Reisen 1603 freundschaftliche Beziehungen angeknüpft 3 ". Am 20. Oktober 
nun wurde der Marschall Johann Wolf von Weiteishausen genannt Schrau- 
tenbach an Ferdinands Hof nach Graz geschickt, um die Fürbitte des Erz- 
herzogs beim Kaiser zu erwirken" 5 . Daß der Gesandte mit Erfolg operierte, 
beweist das Schreiben des Erzherzogs an den Kaiser, worin er das hessische 
Gesuch unter Hinweis auf das gute Einvernehmen Landgraf Ludwigs mit 
Habsburg unterstützt Me . Vielleicht hat Schrautenbach auch die Interzession 
des Deutsch ordensmeisters Erzherzogs Maximilian zuwege gebracht**'. 

Trotz dieser Interzessionen scheint am Kaiserhofe die Gießener Angc- 



, *° Der Landgraf „hört mit schmerzen der widerwertigen sarcasmos", schreibt am 
17. Sept. Strupp an Polykarp Leyser (Abschr. StAD, Marb. Succ. 12). 

*" Gymnasium Gießen an LandgTaf Ludwig, Sept. II, Okt. (Sept.?) 7, Or. StAD, 
Univ. 2. Vgl. Geist, Beitr. z. Gesch. d. akad. Pädagogs z. Gießen (1845), 5 (Druck ungenau). 

! « Strupp an Buseck, Okt. 18, Or. StAD, Gesandtsch. 3; andere Akten StAD, Uni- 
vers. 1, Landgraf Ludwig an Gymn. Gießen, Dm. 13, Kzt. StAD, Univ. 2. Nach den 
GieQener Wöchentl. gemeinnützigen Anzeigen 1764, 58, starben damals an der Pest 30 
Personen. In Marburg trat die Pest erst im Spätherbst auf (ZfhG, N. F., XXIII, 316; 
CataJ. stud. IV, 23). — *** Vgl. Hurter, Kaiser Ferdinand IL, Bd. V, 125. 

*** StAD, Korr. m. Österreich. Vgl. Walther, AfhG XI {1867), 282. 

*** Not« StAD, Univ. 3; vgl. Erzh. Maximilian Ernst an Landgraf Philipp 1606 
Nov. 20 (StAD, Korr. Österreich). 

ue Nov. 9/19, Abschr. StAD, Univ. 3: „weil ich ihre Id. [den Landgrafen Lud- 
wig) gegen unserem löblichen haus bishcro wol affectionirt befunden". 

**' Von ihr finden sich keine Nachrichten in den Akten, nur eine kurze Erwäh- 
nung in Bachmanns Lobgedicht auf Strupp und in den Statuten von 1629. — An Kur- 
köln scheint sich Ludwig, entgegen Strupps Vorschlag (an Landgraf Ludwig, Sept. 19, 
StAD, Gesandtsch, 3), nicht gewandt zu haben. 




I 



$6 Erster Abschnitt. 

legenheit neben so vielen anderen unerledigten Sachen liegen geblieben zu 
sein. Vielleicht hoffte man auf ein Eingreifen der ernannten Vermittler. Und 
in der Tat schien es eine Zeitlang, als ob eine gütliche Beilegung des Erb- 
streites auch die Gießener Schulfrage in andere Bahnen lenken wollte. 

Ehe wir jedoch auf diese Phase des Kampfes der beiden hessischen 
Linien näher eingehen, ist es nötig, dessen zu gedenken, was die Uni- 
versität Marburg in der Zwischenzeit wegen der entzogenen Vogteien und 
Stipendien gegen Landgraf Ludwig unternahm. Wir haben gesehen, daß mit 
Genehmigung des Landgrafen Moritz von der Universität eine Beschwerde an 
Landgraf Ludwig gerichtet wurde 8 * 8 . Gleichzeitig hatte auch der Stipen- 
diatenephorus Sturm nebst dem Universitätsökonomen Reh an den Darm- 
städter Superintendenten Angelus wegen der zurückbehaltenen Stipendien ge- 
schrieben. Während letzterer in seiner Antwort sich ganz auf die Befehle 
seines Landgrafen bezog 2 * 9 , erhielt die Universität auf ihr Schreiben von der 
Darmstädter Regierung nur einen Empfangsschein» 60 . Die Folge war nur, 
daß Landgraf Ludwig dem in Prag weilenden Strupp einschärfte, das In- 
dult wegen der Vogteien eifriger nachzusuchen 251 . Die Aufforderung der 
Universität an den Landgrafen, ihre Vogteien freizugeben, und ihre Beant- 
wortung durch einen bloßen Empfangsschein wiederholte sich dann in Ab- 
ständen von einem Monat und mehr noch viermal, wobei der Ton, den die 
Universität anschlug, immer drohender wurde; einmal wagte es der Ober- 
bringer des Schreibens, den Landgrafen persönlich anzureden, wurde aber 
barsch abgewiesen 252 . In Marburg hatte man infolgedessen, zumal nach 
dem erfolglosen Versuch, die herkömmliche „Zehntverleihung' 1 auf den Uni- 
versitätsgütern zu Grün berg vorzunehmen 255 , eingesehen, daß Ludwig die ein- 
mal weggenommenen Vogteieinkünfte gutwillig nicht wieder herausgeben werde, 
und man dachte daran, den Landgrafen und seine Räte in Därmstadt und 
Gießen „in einen proceß zusammenzufassen" 25 *. Der Kasseler Kanzler Ant- 
recht unterhandelte deshalb bereits mit einem Kammergerichtsadvokaten in 
Speyer 255 . Zunächst machte Landgraf Moritz noch einen Verständigungsver- 
such durch ein Schreiben an Landgraf Ludwig; dieser verwies jedoch be- 



**« Oben S. 41. — **» Vgl. MOGV X, 61. 

25 ° Recepisse v. 11. März UAG. — ™ März 15, Kit. StAD, Marb. Succ 12. 

252 Die Universitätsschreiben wurden immer vor ihrer Versendung von Landgraf 
Moritz genehmigt. Akten der Universität im UAG, des Landgrafen Moritz im StAM. — 
Am 1. Juni droht die Universität auffallenderweise mit einer Klage beim Kaiser» wo 
doch der ganze Streit schon anhängig war. Auf dem Recepisse der Darmstädter Kanz- 
lei vom 10. Aug. hat Univ.-Kanzler Vultejus vermerkt, daß der Bote den Landgraf Lud- 
wig am Lustgarten in Darmstadt angeredet und die Antwort erhalten hat» „er möchte 
wieder dahin gehen, da er her kommen". 

255 Akten darüber (Juli 1606) in UAG und UAM. Es war die periodisch sich 
wiederholende Verpachtung gewisser Universitätsgüter. 

254 Universität Marburg an Landgraf Moritz, Juni 13, Or. StAM. 

255 Lic. J. Willers an Antrecht, Juni 20, Or. StAM. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 57 

züglich der Beschwerdepunkte auf den bereits beim Kaiser anhängigen 
Prozeß l ». 

Auch in diesen Verhandlungen wie in denen am Kaiserhof trat im 
Herbste 1606 eine Pause ein, jedenfalls in der Erwartung, daß durch die 
Vermittlung unparteiischer Fürsten die Angelegenheiten nunmehr ihre Rege- 
lung finden würden; inzwischen wuchs freilich der Geldmangel der Mar- 
burger Universität in bedrohlicher Weise 8 " 7 . 

IV. 
Das Ereignis, das den Fortgang der Streitigkeiten in der Erbfrage wie in 
der Universitätsfrage unterbrach, war die Intervention der Kurfürsten von 
Mainz und Pfalz und des Markgrafen von Baden-Durlach 348 . Daß sich 
Kurpfalz und Baden mit Mainz zusammenfanden, um eine Beilegung des 
Zwistes der beiden hessischen Linien zu ermöglichen, ist eine auffallende Er- 
scheinung, gehörten sie doch alle zu verschiedenen politischen Lagern. Ich 
möchte annehmen, daß die Anregung von der pfälzischen Seite ausgegangen 
ist, und daß der vom Kaiser im Sommer an Kurpfalz und Kursachsen ge- 
richtete Versöhnungsauftrag den Anstoß zu dieser Aktion gegeben hat. Dem 
Kurfürsten war der Streit der Vettern längst als ein Haupthindernis des 
politischen Zusammenschlusses aller evangelischen Stände erschienen. Sei 
dieser erreicht, so glaubte er, werde sich die religiöse Versöhnung unter den 
Verbündeten schon finden. In diesem Sinne geschah es, daß er im Herbste 

1605 — also zu einer Zeit, da der Marburger Erbstreit schon ernstere For- 
men angenommen hatte — dem Landgrafen von Darmstadt seinen in glei- 
cher Absicht mit dem Pfalzgrafen von Neuburg geführten Briefwechsel über- 
sandte und ihn um seine Ansicht bat, wie die Religions- und Privatstreitig- 
keiten der evangelischen Stände beizulegen seien* 59 . Einen Erfolg hat er 
freilich damit nicht erreicht. Besser gelang ihm die Unterhandlung mit Land- 
graf Moritz im folgenden Jahr; es kam sogar zu einer Übereinkunft über 
Stellung von Truppen 8 « . Doch der Versuch Christians von Anhalt, Moritz 
gerade durch seinen Gegensatz zu Ludwig für die zu gründende Union zu 
gewinnen 5 * 1 , gelang zurzeit noch nicht, da Moritz nur gemeinsam mit Darm- 
stadt und Kursachsen sich binden wollte 362 . Da sich jedoch Kursachsengegen 

,s * Moritz an Ludwig, Aug. 11, Kit.; Antwort Aug. 30, Or. StAM. Das nächste 
Darmslädter Recepisse (vom 1. Sept.) verweist auf diese direkte Verhandlung (UAC). 
*« Catal. stud. Marp. IV, 32. 
SJB Rommel VI, 139, scheint einen derartigen Vermittlungsversuch schon ins Jahr 

1606 zu verlegen, mir ist davon nichts bekannt geworden; auf einem Irrtum beruht 
wohl die von den darmstädtischen Gesandten am Friedenskongreß 1647 erwähnte Inter- 
position von Mainz, Pfalz und Baden 1610, bei v. Meiern, Acta pacis Westphal. IV, 640. 

«s Briefe u. Akten I (Ritter), No. 364, Arnn. 

1611 A. a. O., No. 410 (1606 Sept. t8). — tgl A. a. O., No. 427, 430. 
M * Moritz an Anhalt 1606 Okt. 26, Rommel VII, 505, vgl. 290. Briefe und 
Akten I, No. 431. 






58 Erster Abschnitt. 

Moritzens vorjährige Versuche in gleicher Richtung durchaus ablehnend ver- 
halten hatte 268 und auf Darmstadt ohne eine Versöhnung mit Kassel nicht zu 
rechnen war, so mochte Pfalz hoffen, wenn diese Versöhnung zustande 
kam, beide Hessen auch ohne Kursachsen in die Union hereinzuziehen. In 
dem Widerstreit der Interessen zwischen Sachsen und Pfalz aber ist wohl 
der Grund zu suchen, weshalb der kaiserliche Auftrag, die beiden Land- 
grafen zu versöhnen, von Sachsen nicht ausgeführt wurde. Baden, das mit 
Kurpfalz* 6 * und mit Darmstadt* 5 in freundschaftlichen Beziehungen stand, 
war ebenfalls zu dieser Vermittlung wohl geeignet. Durch Heranziehung des 
gutmütigen Mainzers zu dieser Versöhnungsaktion, mit dem Ludwig ja be- 
freundet war, dachte man wohl jeden Argwohn Ludwigs zu entkräften, wäh- 
rend der pfälzische Kurfürst als Parteigänger Kassels jeden Verdacht der ein- 
seitigen Vermittlung aufhob. So wurde denn wirklich von beiden Seiten 
der 4. Februar 1607 als Termin bestimmt, an dem sich Vertreter beider Par- 
teien und der Vermittler in Worms treffen sollten. 

Die Wirkung der Nachricht, daß eine Beilegung des Vetternstreites be- 
vorstehe, zeigt, wie rasch sich die Qießener Hochschule im Lande Sympathien 
erworben hatte. Man möchte sie nicht mehr missen, wie auch die Verhand- 
lungen zu Worms ausgehen mögen. Nicht nur der Qießener Superintendent* 8 , 
sondern die Gesamtheit der Städte des nördlichen Landesteils (Gießen, Als- 
feld, Grünberg, Homberg, Nidda, Grebenau, Staufenberg, Gr. Linden) spricht 
sich in diesem Sinne aus 167 . 

Auf der Wormser Tagfahrt wurden natürlich wieder die alten An- 
sprüche beider Teile geltend gemacht. Bezüglich der Universität Marburg 
ging Ludwigs Bestreben auf gemeinsame Verwaltung und Wiederherstellung 
der religiösen Verhältnisse, wie sie zur Zeit Ludwigs des Älteren bestanden 
hatten* 68 . Das wäre die Rückgängigmachung der von Moritz mit so viel Mühe 
durchgeführten Religionsänderung gewesen — zugleich aber auch eine Auf- 



263 Kämmel im Archiv f. sächs. Gesch., N. F., VI (1880), 36 ff. Später riet frei- 
lich auch Kursachsen zur Aussöhnung (an L. Ludwig 1607 März 13, St AD, Korr. Sachsen). 

264 Lingelsheim an Bongars 1607 Mai 13: „Foedus arctum initum nobis cum Neu- 
burgico, Anspachiis, Wirtembergico et Badensi, quae res tarnen silentio tegitur, quod 
cur fiat nescio". Bongarsi et Lingelshemii epistolae (1660), 227. 

266 Hierher gehört Ludwigs Reise nach Durlach Ende August 1605 (Darmstädter 
Räte an Johann v. Sachsen, Aug. 30, Kzt. StAD, Gesandtsch. 3) und die Übersendung der 
Verteidigungsschrift der Gießener Theologen gegen Marburg im Frühjahr 1606 (Dank- 
schreiben StAD, Kircheng. 11). 

266 Jer. Vietor an Landgraf Ludwig 1606 Dez. 29: Der Landgraf möge „in traeta- 
tione oblatae pacis" das Fortbestehen der Schule im Auge behalten. Or. StAD, Univ. 2. 

267 Die Städte an Landgraf Ludwig 1607 März 9 (Abschr. StAD, Landständ. V. 6): 
man möge bei der Übereinkunft mit Kassel die Gießener Schule und das ihr zugewandte 
Gut und Stipendiengeld erhalten. — Leuchter dagegen ist nur bestrebt, die lutherische 
Gemeinde in Marburg zu retten (an Dieterich 1607 Febr. 12, Or. Hof- u. Staatsbiblioth., 
München, Deutsche Hdschr. (Cgm.) 1258, Bl. 468). 

268 Instruktion f. d. Darmst. Gesandten 1607 Febr. 3, Kzt. StAD, Marb. Succ. 12. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 



59 



hebung der Gießener Hochschule, die dann nicht mehr mit Berechtigung 
bestehen bleiben konnte. Die Kasseler konnten hierauf nicht eingehen. Sie 
hielten überhaupt eine gemeinsame Verwaltung mit Recht für schwer durch- 
führbar, „in erwegung allerhandt differenlia und Unrichtigkeiten darab zu be- 
fahren". Immerhin war es ein Fortschritt, daß man auf jener Seite die Mög- 
lichkeit einer Gemeinverwaltung überhaupt erwog. Wollte man sie nicht, so 
war vielleicht auf der Grundlage des bestehenden Zustandes, der Hochschul- 
trennung, eine Einigung zu erzielen. „Auß wilchem dan abzunehmen", 
schreiben die Darmstädter nach Hause" 5 , „daß man nicht so weit vonein- 
ander". Um die Einigung wirklich zustande zu bringen, waren die Darm- 
städter schließlich bereit, ihre Ansprüche auf Stadt und Amt Marburg fahren 
zu lassen" . Aber am 13. Februar erklärten sich die Kasseler Gesandten für 
ungenügend instruiert und ließen die Verhandlungen nach Ausfertigung eines 
Zwischenabschieds" 1 auf 10. März vertagen. Dennoch hoffte man in Darm- 
stadt stark auf eine Einigung. In der neuen Instruktion 3 " für die Gesandten 
wird bezüglich der Universität angedeutet: da ja Kassel selbst es für schwierig 
halte, in Gemeinschaft mit Darmstadt die Universität zu besitzen, so wolle 
Landgraf Ludwig gegen billige Abfindung an Universitätsgut und Stipen- 
diengeldern von Marburg abstehen ; es sollte also der bestehende Zustand 
sanktioniert werden. So hatte sich die gütliche Auseinandersetzung hoffnungs- 
voll angelassen. 

Als eine um so größere Unfreundlichkeit mußte Landgraf Ludwig es be- 
trachten, daß sein Vetter zum neuen Termin nicht nur keine Gesandten nach 
Worms schickte, sondern sich auch nicht einmal deswegen entschuldigte, ob- 
gleich der Entschluß, die Verhandlungen nicht fortzusetzen, frühzeitig genug 
bei Landgraf Moritz festgestanden haben mag" 3 . Erst am 24. März, vier- 
zehn Tage nach dem Termin, waren die drei vermittelnden Fürsten in der 
Lage, dem Darmstädter Hofe ein Schreiben des Landgrafen Moritz zu über- 
senden, worin er erklärt, den Tag nicht ferner zu beschicken, da er mit 
den bisherigen Mitteln zur Beilegung der Differenzen nicht einverstan- 
den sei* 7 *. 



ws An Landgraf Ludwig 1607 Febr. 8, Or. a. a. O. 

,70 Nachinstruktion v. \2. Febr., a. a. O. 

«> Vom 13. Febr., a. a. O. — «* Ohne Datum, Kit a. a. O. 

m Die Kas5eler hatten schon gar keine Herberge in Worms bestellt. Kurpfalz 
scheint von der Sinnesänderung gewußt zu haben, denn auch von Heidelberg war kein 
bevollmächtigter Vertreter da. Darmsiädter Gesandte zu Worms an Agenten Fleischmann 
in Prag, Man II, Kzt. a. a. O. 

*'* Das Schreiben fa. a. O.) trägt zwar das Datum 1 
rückdatiert. Landgraf Moritz befand sich in jener Zeit wi 
tester religiöser Erregung. Die völlige Durchführung sei 
schuftig tc ihn ausschließlich, und er bereitete gerade e 

Heppe, Verb esse rungsp., 54fr, 641. ; Kirchengesch. 



das Schreiben an die Universität, wonach zum theologischen Doktorcxar 



. März, ist aber offenbar ni- 
eder in einem Zustand lebhaf- 
in er Verbesserungspunkte be- 
s Gcncralsynode seines Landes 
Hierher gehört a 









60 Erster Abschnitt. 

In gerechtem Ärger über das Mißglücken dieser Verhandlung betreibt 
von jetzt an die Darmstädter Partei mit verdoppeltem Eifer ihre Sache beim 
Kaiser. Schon von Worms aus senden die Vertreter ihre Instruktion nebst 
Bericht an den Prager Agenten ; sie beauftragen ihn, neben der Erbsache das 
Privileggesuch nicht aus dem Auge zu lassen 275 . In ähnlichem Sinne schreibt 
der Landgraf selbst an ihn* 76 ; er ist entschlossen, nunmehr seine Sache wie- 
der durch Gesandte in Prag führen zu lassen. Alsbald wurden denn auch Georg 
Galler (Gäller) von Schwanberg und Johann Strupp mit der Sendung betraut. 
In ihrer Instruktion* 77 sind alle alten Gründe für das Gesuch von neuem 
geltend gemacht und daneben auf die Interzessionen, namentlich die von 
katholischer Seite, Bezug genommen. Dabei wendet man sich gegen den 
kurialen Einfluß, der die Entstehung weiterer lutherischer Hochschulen nicht 
zugeben will : die Gesandten sollen vor allem „den . . . scrupulum von vielen 
Lutherischen schulen den kayß. räthen benehmen", da ja eine lutherische 
Schule doch nur den calvinischen, nicht aber den katholischen Abbruch 
tue 278 ; Ablehnung wäre große Ungnade, unverdient, da sich die Darmstädter 
Fürsten um das Haus Habsburg „je lenger je mehr verdienet machen", 
fügt Ludwig vielversprechend hinzu. Aber auch die Drohung fehlt nicht: 
Auch andere Stände könnten aus der Ablehnung „nachdenkens schöpfen". 

Aber bald hält es der Landgraf für wirkungsvoller, wenn er jetzt per- 
sönlich die Sache, die ihm am Herzen lag, am Kaiserhofe betreibe. Schnell 
entschloß er sich zur Reise, und sein stets reiselustiger Bruder Philipp schloß 
sich ihm an. Es scheint auch, daß Strupp nicht vorausreiste, sondern erst 
mit den Fürsten aufbrach* 7 ». In der Begleitung der Landgrafen befanden sich 
außerdem der Graf Hans Otto von Isenburg, der Hofmarschall Johann Wolf 
von Weiteishausen genannt Schrautenbach, Joh. H. von Lehrbach, Wilhelm 
Schetzel* 80 . 

Bei ihrer Ankunft in Prag wurden die beiden Landgrafen ehrenvoll ein- 
geholt 281 . Ihnen als Reichsfürsten gegenüber konnte der Kaiser nicht in 



Kandidaten zugelassen wurden, die den Verbesserungspunkten zustimmten (f. Sturm und 
Eglin): Justi, Hess. Denkwürdigkeiten III, 43. — Am 24. März schreibt Strupp an Bu- 
seck aus Seligenstadt, der „bewußte vornehme herr" zeige „displicenz über jüngste Zu- 
sammenordnung". Vermutlich ist es Kurmainz, das sich durch Kassels Benehmen belei- 
digt zeigte (St AD, Marb. Succ. 12). — m März 11, Kzt. a. a. O. 
278 März 21, Kzt. a. a. O. — *" Ohne Datum, Kzt. a. a. O. 

278 Es wird hinzugefügt: Sollte Gießen kein Privileg bekommen, so würden die 
calvinistischen Schulen um so mehr florieren, „zu waß frommen, seye einem jeden ohn- 
schwer zu ermessen". 

279 Kitzel, de origine acad. Giess. (UBG, Hdschr. 1242), die Stelle auch bei Schädel, 
Beitr. z. Gesch. d. Gymn. zu Gießen (1905), 31. Auch durch einen Unfall am Tag 
vor der Abreise (Verletzung am Knie) ließ sich der Landgraf nicht abschrecken, noch 
auch durch die bevorstehende Niederkunft seiner Gemahlin abhalten (Rede Antoniis bei 
der Universitätseröffnung — wonach der Unfall „procurante proeul dubio Satana" er- 
folgte — : Sammelband Ayrmannscher Abschriften im StAD; vgl. Rambach bei Schädel, 
a. a. O., 32). — 280 Kammerrechnung 1607 (StAD). — 281 Vgl. Rommel VI, 146. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 

seiner Unnahbarkeit verharren, und so wurden sie am 27. April in feier- 
licher Audienz empfangen 3SS . Landgraf Ludwig trug hierbei dem Kaiser den 
Stand der Erbfrage vor und kam dann auf das Privileggesuch zu sprechen, 
wobei er der vorjährigen Tätigkeit Strupps und der Interzessionen der „vor- 
nehmsten Kur- und Fürsten" gedachte 18 ». Schließlich übergab er noch ein 
Memorial, das in großer Ausführlichkeit die ganze Streitsache nochmals be- 
handelte. Auch beim Reichshofrat betrieb Ludwig persönlich sein Anliegen, 
und dieser ließ infolgedessen ein günstiges Votum an den Kaiser gelangen ; 
unter anderen Gründen, weshalb man das Privileg bewilligen könne, findet 
sich auch folgender angegeben : „insonderheit auch zu bedenckhen, das dise 
zwo Universität (Marburg und Gießen] eine die andere verfolgen und auf- 
freßen werde"; bezeichnend für die Feindseligkeit, mit der man am Kaiser- 
hofe beiden evangelischen Bekenntnissen gegenüberstand 8 ". 

Dieses persönliche Eingreifen, wozu wahrscheinlich noch Versprechun- 
gen bezüglich der reichspolitischen Haltung Hessen-Darmstadts auf dem be- 
vorstehenden Reichstag kamen saB , bewirkte, daß Kaiser Rudolf am 7. Mai das 
Versprechen gab, das gewünschte Privileg zu erteilen ***. Am 11. Mai konnten 



IM Das Datum nach Kitzel. — Landgraf Friedrich schreibt aus London an Land- 
graf Philipp : „J'ai entendu aussi . , que VEmpereur a consenti le privilege de G: 
pour l'uoiversite 1 et vous a faict beaueoup d'honneur et grace" (StAD, Korr, Ph 
Butzbach, 51). — * 83 Mündlicher Vortrag, Kzt. ohne Datum StAD, Marb. Succ. 12. 

*M Der volle Wortlaut des Reichshofratsprotokolls ist; „1607, 15. Mai. Hessen land- 
graff Ludwig adhuc instat coram diligentia* ime pro privilegio academio(l) ad interpositas 
magnorum prineipum utriusque religionis intercessiones, Intercessit archidux Ferdinandus 
et elector Saxonicus. — Votum ad Caesarcm, das diser glcichwol ein gehorsamer r 
fürst und liehe seine höchste notturft an, das er sonsten seine ampter und rath stellen 
nicht besetzen khönne. So wäre einmal die Calvinische religion der Augspurgischen 
nicht gemäß und inter duo mala das beste zu erwehlen, insonderheit auch zu bc- 
denkhen, das dise zwo Universität eine die ander verfolgen und auffreßen werde, darzue 
sich der landgraff erbitte das, wen die Marpurgische zu der wahren Lutherischen reli- 
gion widerkhomben werde, das er wol zufriden, das die wider abgehe, und über diß alles 
ihr majestät in der person gehorsambist aufgewarter, alß stehe bey ihr majestät gnedt- 
gistem gefallen, ob sy ihm die gnad erzaigen wollen" (StAW). 

* M Romme] VI, 147, erwähnt vertrauliehe Beratungen mit dem Kaiser. Daß nur 
das persönliche Eingreifen der Landgrafen die Erreichung des Erstrebten durchgesetzt hat, 
bezeugen die Gegner (Kass. Gesandter v. Starschcdel an Landgraf Moritz 1607 Aug. 7, 
StAM). — Auf dem Reichstag 1608 hatten Österreich u. Darmstadt einen Gesandten (Gg. 
Wagner) gemeinsam (Briefe u. Akten VI, 153). Auf Abmachungen mit dem Kaiser beziehen 
sich wohl auch die geheimnisvollen Andeutungen des Kasseler Gesandten v, Starschedel 
in seinem Bericht vom 2g. Juni (StAM) : Man habe sich in Prag mit dem Privileg ge- 
radezu übereilt: „e. f. g. aber können leicht absehen, wohin es gemeinet, und hab ich 
zu Praga zimblich weil hierinnen penetriret, es lest sich aber der feder nicht alles ver- 
trauen, und werde ich gleichwohl nicht unterlassen, solches den fceyserischen zimblich stark 
unter die äugen zu rucken". Vgl., was über die Form des Privilegs unten mitgeteilt wird. 

» M Kitzel, a. a. 0. Entwurf zu den 1629 publizierten Marburger Statuten (StAD, 
Univ. II), BI. 22. — Auf die erste Nachricht von dem kaiserlichen Versprechen verfaßte 
Prof. Bachmann ein Dankgedicht an den Kaiser, das im Druck erschien (Expl. im StAM), 






62 Erster Abschnitt 

die fürstlichen Brüder, nachdem sie erreicht, was sie wollten, und auch über 
das Schicksal des am Kaiserhof anhängigen Erbstreites beruhigt sein konn- 
ten 287 , von Prag abreisen. 

Trotz des Mißerfolges der bisherigen Vermittlungsversuche wollte sich 
jedoch der Kaiser durch die Erteilung des Privilegs nicht die Möglichkeit 
abschneiden, durch Wiederherstellung des alten Zustandes eine Versöhnung 
der streitenden Vettern zu erzielen. Deshalb hatte Landgraf Ludwig vor 
seiner Abreise das Versprechen geben müssen, daß er seine neue Universität 
Gießen wieder aufhebe, wenn Marburg in der alten Weise und unter seiner 
Mitverwaltung wiederhergestellt werde 288 . Gleichzeitig stellte sich so das er- 
teilte Privileg der kurialen Partei, die so sehr dagegen geeifert hatte, als etwas 
Provisorisches, Vorübergehendes dar. Aber außerdem setzte es diese Partei 
auch noch durch, daß der Landgraf sich verpflichten mußte, auf der Gießener 
Universität keinerlei scharfe Polemik gegen den Katholizismus zu dulden 289 . 
So schützte sich der Katholizismus vor Angriffen, während er behaglich zu- 
sehen konnte, wie Lutheraner und Calvinisten sich gegenseitig „verfolgten 
und auffraßen" 280 . Wenn man bedenkt, daß die konfessionelle Polemik in 
jener Zeit eine Hauptbeschäftigung der theologischen Fakultäten aller Be- 
kenntnisse war, wird man die Wichtigkeit dieser Verpflichtung, die von Land- 
graf Ludwig loyal erfüllt wurde 291 , erst ganz ermessen können. 

es ist datiert „in festo quinquagintadialiorum" (Pfingsten, Mai 24). Gedr. bei Lundorp, 
Sleidanus continuatus III, 799. 

287 Am 11./21. Mai erließ der Kaiser eine neue Aufforderung an Moritz, die Akten 
der Erbschaftsverhandlungen dem Reichshof rat einzureichen (StAD, Marb. Succ. 12). 

2Ä * Revers vom 8./18. Mai, gedr. MOGV X, 52. Daß die Hoffnung auf eine end- 
liche Versöhnung der beiden hessischen Linien der Grund dieses Vorbehaltes war, er- 
gibt die Verhandlung des Reichshof rates vom 22. Sept./ 2. Okt. 1607 (Prot. StAW). Be- 
sonders auf den bevorstehenden Reichstag setzte er große Hoffnung. Lehmann an Land- 
graf Moritz, 1607 Mai 8./18 (StAM): „Ihre k. m. und dero räth sollen auch gedachten hern 
landgrafen . . . diese sonderbare speranz gemacht haben, daß sie uff künftigem reichs- 
tage die zwischen e. f. g. und ihnen schwebende strittigkeiten unternemben und zuver- 
sichtlichen vergleichen wollen; unterdessen aber solle der angestrengte proceß in seinem 
esse verpleiben". — 2a » Revers des Bevollmächtigten Strupp v. Juni 2/12, MOGV X, 53. 

"o S. oben S. 61. 

Ä1 Charakteristisch für Ludwigs Stellung in dieser Sache ist ein Schreiben an 
Mentzer vom 9. Okt. 1614 (Or. UAG, Adm. Stip. Rescr., Bd. III, No. 16), wo es heißt: 
„Hingegen können wir nicht sehen, was die arth zu schreiben erbawen soll, wenn sebmeh- 
hafte wort gebraucht werden, wie wir dan sonderlich nach außweis des newen catalogi 
librorum unter einem titull «Feister unverschämbter großer lügen etc.», welche unser pro- 
fessor D. Finckius ietztmahls publicirt hat, aber sonsten dergleichen harte unglimpfliche 
inscriptiones im ganzen catalogo nicht befinden, unbewust, was im buch selbst stecken 
mag; und weil wir uns gleichwol erindern, inmassen euch selbst nicht unbewust, welcher 
gestalt wir uns haben verreversiren müßen und was derhalben unserer uni- 
versitet daruf stehet, zugeschweigen jetziger schwürigen leufte, in denen umb soviel 
desto mehr man sich aller möglichen friedfertigkeit zu befleyßigen hohe ursach hat, dar- 
umb wir soviel wir können, mit jedermann und also auch mit denen von der andern reli- 
gion gerne in gutem verstendnus pleiben und ohne ursach niemanden offendiren wolten, 



Die Entstehung der Universität Gießen. 



6J 



Strupp blieb in Prag zurück, und bald zeigte sich, daß dies nötig war. 
Die gegnerische Seite, die anfangs von der plötzlichen Reise der Landgrafen 
überrascht worden war* 3 *, erfuhr bald von dem Erfolge des Landgrafen. Sie 
schrieb ihn hauptsächlich dem Einfluß des spanischen Gesandten und der 
„alten Erzherzogin" zu — gemeint ist mit letzterem Ausdruck wohl die 
Mutter Erzherzog Ferdinands, Maria, geborene Herzogin von Bayern ; um 
deren Gunst hätten sich die Darmstädter in auffälliger Weise bemüht, 
glaubte der kasselische Agent berichten zu können Mi . Landgraf Moritz er- 
teilte sofort seinem Rat Otto von Starschedel, der sich eben in Sachsen auf- 
hielt, den Befehl, der Ausfertigung des Privilegs entgegenzutreten"'. Hierfür 
war es nun freilich zu spät. Am 16. Mai hatte Strupp vom Kammerdiener 
Lang die Versicherung erhalten, die Urkunde sei unterschrieben und gesie- 
gelt, am 23. konnte er berichten : „Nunmehr bin ich deß privilegü academici 
gewiß". Tatsächlich war jedoch die Siegelung noch nicht vollzogen. Der 
Taxator forderte zuerst die Zahlung der horrenden Summe von 2295 fl. als 
Kanzleitaxe. Strupp wußte aber seine Leute zu behandeln : er spendete den 
Kanzlei beamten 75 Dukaten und erreichte so die Herabsetzung der Taxe auf 
1030 Goldgulden. So kam er am 6. Juni in den Besitz der langerbetenen 
Privilegurkunde *»*. 

Betrachten wir den Inhalt des Privilegs* 99 . Es ist datiert vom 9./I9. Mai 
1607 und enthält die üblichen Bestimmungen: die Rechte der andern deut- 
schen Universitäten werden, ohne daß eine nähere Angabe über diese Rechte 



'ohl bedürfen ; so habt ihr ihme 
er gegen die papisten schreiben 
dergleichen harten worten Ihue, 



grafen i 



wie wir dan in unsern angelegenen Sachen der leuthe i 

Dr. Finckio solches vorzuhalten und zu erindern, wann 

wül, daß er solches mit bescheiden liehen und nicht in 

damit er uns nicht newen Unwillen erwecke und diejenigen, durch deren intercession 

wir das Privilegium erlangt, zu berewung ihres uns praestirten officii und 

waß anders mehre» bewogen werden mögen". 

*» Nach Buchs Chronik (170, StAD) ließ sich Landgraf Moritz während der Ab- 
wesenheit der beiden Landgrafen bei den Räten in Darmstadt erkundigen, wo seine Vet- 

W1 Lehmann an Landgraf Moritz, Mai 8/18. — Wahrscheinlich traten die Land- 
[ Spanien damals in Beziehung, denn sie werden bald darauf für spanische 
vorgeschlagen. Briefe u. Akten VI (Stieve), 136 u. 309. 

*« 1607 Mai 15, Kit. StAM. 

m Strupp an Landgraf Ludwig, Mai 16, 23, 30, Juni 6, an Buseck, Juni 6, Or. StAD, 
a. a. O. VgL Lib. dec. med. I, Bl. 38. — Die Beschleunigung der Ausfertigung gibt 
dem Kasseler Agenten Grund zum Argwohn : „Es muß mit sonderbahren färben sein 
zugegangen'", schreibt er am 13. Juni an seinen Herrn, „daß Dr. Struppius so ge- 
schwinde zur expedition desselben gelanget". 

*•* Orig.-Perg. mit großem kaiserlichem Siegel im Besitz der Universität; Drucke: 
Lünig, Reichsarchiv IX, 8i6f.; Winckclmann, Beschreibung der Fürstent. Hessen u. Hers- 
feld (1697), 446; zuletzt nebst der Beurkundung über die geschehene Insinuation des Privi- 
legs beim Kammergericht zu Speyer (von 1607 Dez. t) bei Wasserschieben, Die ältesten 
Privilegien und Statuten der Ludoviciana (1881), 26ff., wo es S, 27 im kaiserlichen Titel 
statt Sohns natürlich Salins heißen muß. 





64 Erster Abschnitt. 

gemacht wird, der neuen Universität verliehen. Von einer Übertragung des Mar- 
burger Privilegs auf Gießen, wie sie der Landgraf ursprünglich erbeten hatte, 
ist nicht die Rede; es wird einfach ein neues Privileg ausgestellt, das das 
Marburger nicht aufhebt. Ein Vergleich mit dem letzteren w , das 1541 von 
Karl V. gegeben wurde, zeigt eine durchgehende wörtliche Übereinstim- 
mung, bis auf die eine Stelle, wo von der Veranlassung der Privilegertei- 
lung die Rede ist. Während es bei Karl V. einfach hieß : „Darauf haben wir 
angesehen solich s. 1. underthenig zimelich bitt und darumb ... die . . uni- 
versitet und hohe schul zu Marpurg gnedigist confirmiert", begründet Ru- 
dolf II. die Privilegierung durch , r s. 1. underthenig zimblich bitten und er- 
piethen, auch die ansehenlichen intercessionen, so von underschiedlichen 
chur- und fürsten, sowohl der catholischen religion alß auch Augspurgischen 
confession für s. 1. beschehen". Abgesehen davon, daß hiermit die Wich- 
tigkeit der von Landgraf Ludwig erwirkten Fürbitten für die Erreichung 
seines Zweckes hervorgehoben wird, weist uns das „erpiethen", wie mir scheint, 
auf die bereits vermuteten politischen Zusagen des Landgrafen hin 1 *. — 

Durch den raschen Erfolg der Darmstädter wurde Landgraf Moritz 
gänzlich überrumpelt. Während Starschedel noch in Dresden weilte und 
gegen Gödelmann intrigierte 299 , der durch sein warmes Eintreten für die 
Darmstädter Wünsche angeblich seine Befugnisse überschritten habe, war die 
Entscheidung bereits gefallen; als Starschedel Anfang Juni in Prag eintraf, 
hatte Strupp die kostbare Urkunde bereits in Händen, und Starschedel reiste 
bald un verrichteter Dinge wieder ab 800 . 

Da Strupp mit Recht befürchtete, Landgraf Moritz werde es auf jede 
Weise zu hintertreiben suchen, daß das Privileg publiziert und damit recht- 
lich unanfechtbar werde, so lag ihm viel daran, daß Kassel keine Abschrift 
der Urkunde bekomme 301 , aber bei der Bestechlichkeit der Kanzleibeamten 
konnte Lehmann schon am 24. Juni eine Abschrift nach Kassel senden. Wir 
werden sehen, welche Maßregeln Landgraf Moritz ergriff, um das Aufkommen 
der Gießener Hochschule als einer privilegierten Universität zu hindern. Ver- 



297 Lünig IX, 773; Hildebrand, Urkundensammlung d. Univ. Marburg (1848), 37. 
— Durch die Anlehnung des Wortlautes an die Marburger Urkunde ist wohl die Aus- 
fertigung in deutscher Sprache veranlaßt, die sonst in jener Zeit bei Universitätsprivi- 
legien nicht üblich war. — S98 Man könnte freilich das „Erbieten 4 * auch in den beiden 
erwähnten Reversen suchen. 

299 Infolge der Drohungen Starschedels und Lehmanns richtete Landgraf Ludwig 
auf den Rat Strupps ein Schreiben an Kursachsen, worin Gödelmann in Schutz genom- 
men wird. Der Kurfürst, der die Haltlosigkeit der Behauptungen Lehmanns einsah, er- 
klärte darauf in einem „ernsten schreiben" nach Kassel die Anklage für Verleumdung. 
Landgraf Ludwig an Strupp, Juni 20, 25, 28, an Gödelmann, Juni 25, 28, Strupp an 
Buseck, Juli 3, StAD, Marb. Succ. 12. Lehmann an Landgraf Moritz, Juni 13, Or. StAM. 

800 Lehmann an Landgraf Moritz, Juni 13; Strupp an Landgraf Ludwig, Juni 2a 

801 Beilage zum Schreiben Strupps v. 20. Juni: „Ich bitt vleissig, daß ja kein 
mensch copiam vom privilegio bekomme, es hat hohe ursach, biß es publicirt wirdt solennner**. 









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Die Entstehung der Universität Gießen. 



6$ 



folgen wir zunächst die weitere Entwicklung des Kampfes um die Vogteien, 
der im Winter 1606/07 geruht hatte"». 

Wenige Wochen, bevor die Abschrift des Oießener Privilegs in Kassel ein- 
lief, war eine andere unangenehme Nachricht eingetroffen. Die Universität 
Marburg nämlich, der vielen erfolglosen Mahnungen an Landgraf Ludwig 
überdrüssig und durch den immer empfindlicher werdenden Geldmangel 308 
zu einem energischen Vorgehen angespornt, hatte endlich den Rechtsweg 
beschritten und wegen der Entziehung der Universitätseinkünfte gegen Lud- 
wig am Reichskammergericht geklagt, war aber am 22. Mai (alten Stils?) ab- 
gewiesen worden»*. 

In dieser Lage wiederholte der bekannte Jurist Professor Vultejus zu 
Marburg einen bereits früher gemachten Vorschlag 30 '': die Sache müsse, um 
Aussicht auf Erfolg zu haben, beim Reichshofrat angebracht werden. Auf 
das Kammergericht sei — da die Revision schon seit vielen Jahren stockte — 
kein Verlaß. Wollte man kasselisch erseits Gegenarrest auf Darmstädter Ein- 
künfte legen, so würde dies große Widrigkeiten verursachen und der geschä- 
digten Universität doch keinen Nutzen bringen. Auch die Räte zu Kassel 
waren der Ansicht 306 , daß Gegenarrest zwar „reputirlicher" sei; wenn aber 
Moritz den Darmstädter Anteil am gemeinsamen Gulden weinzoll' 07 zu Sankt 
Goar mit Beschlag belege, werde es Ludwig mit dem Kasseler Anteil zu 
üerau ebenso machen ; somit werde die Maßregel erfolglos sein und nur Ver- 
bitterung zwischen den fürstlichen Vettern und Beschwerung der Untertanen 
nach sich ziehen. Am Reichshofrat zu klagen ging jedoch dem Landgrafen 
Moritz gegen die Natur; wies ihn doch alles auf die Partei im Reiche, die 
in der Abschaffung der Konkurrenz des Reichshofrates und in der Wieder- 
herstellung des Kammergerichts als einziger Oberinstanz die Gesundung der 
zerrütteten Justiz im Reiche erblickte 308 ; dazu kannte er das Ansehen, in dem 
am Kaiserhofe die Person seines Vetters seit neuerer Zeit stand. Lieber ver- 
suchte er es, durch persönliche Verhandlung mit Ludwig etwas zu erreichen. 
So richtete er Ende Juni mehrere Schreiben an ihn; neben der Vogteisache 
wünschte er eine Erklärung über verschiedene beiden Häusern gemeinsame 
Angelegenheiten, aber Landgraf Ludwig blieb in seiner Antwort auf dem 
Standpunkt: Da das Universitätswesen von Grund aus verändert worden („in 
einen statum plane diversum gerahten") sei, könnten die alten Anordnungen 

30 * Vgl. oben S. 57. 

303 Schon am z6. März und dringender am 19. Juni (durch Vermittlung des Leib- 
arztes Wolf) fragt die Universität bei Landgraf Moritz an, ob sie Geld zur Bezahlung der 
Gehälter durch eine Anleihe aufbringen dürfe (Or. StAM; vgl. Kasseler Räte an Univ. 
Marburg, Juni 24, ebd.). Die Universität half sich endlich durch Verkauf und Anleihe, 
vgl. Calal. stud. IV, 32. — 30 * Akten, UAG. — 30ä Vultejus und Göddäus an die Räte zu 
Kassel, Juni 3, Or. StAM, Kzt. d. Vultejus UAG. — M» An L. Moritz, Juni 10, Or. StAM. 

wl Über diese gemeinhessische Einnahmequelle vgl. Rommel V, zgl. 

108 Einige Jahre vorher hatte er noch am Reichshofrat gegen Braunschweig ge- 
klagt. Ritter, Union I, 171. 





66 Erster Abschnitt. 

Landgraf Philipps auf die Marburger Schule keine Anwendung mehr finden ; 
er lasse es daher bei der Verwendung der Einkünfte für Gießen, die eine 
solche ad pios usus sei. Da Landgraf Ludwig zu gleicher Zeit die noch in 
Pflichten der Universität Marburg stehenden Vogteibeamten zu beseitigen 
begann 309 , so verlief dieser Briefwechsel in ziemlich heftigen Ausdrücken* 10 ; 
neuen Zündstoff führte dem Feuer des Hasses ein im Herbste verbreitetes, 
dem Anschein nach von Gießen ausgegangenes Pasquill gegen Marburg zu 811 . 
Der Briefwechsel der beiden Landgrafen blieb daher erfolglos. Erst im fol- 
genden Frühjahr (1608) fand man einen Weg zu geordneter Prozeßverhand- 
lung im Vogteistreit. 

Wenden wir uns nun zu den Maßregeln, die Landgraf Moritz ergriff, 
um auch nach der Erteilung des Privilegs für Gießen das Aufkommen die- 
ser Hochschule zu hindern. 

Den gleichen Rat wie bezüglich der Vogteien hatte Vultejus" 8 der Kas- 
seler Regierung auch für die Schritte gegeben, die unternommen werden müß- 
ten, um die Erteilung, beziehungsweise das Rechtskräftigwerden des Gieße- 
ner Privilegs zu hintertreiben. Zwar ist nach des Juristen Ansicht ein recht- 
licher Weg nicht möglich; aber an den Kaiser und die vornehmsten Hofräte 
müsse man sich wenden, wie er (Vultejus) immer geraten habe. Sei die Ur- 
kunde bereits ausgefolgt, so liege die Sache allerdings ungünstiger, denn 
schwerlich werde der Kaiser ein mandatum contra concessionem suam er- 
teilen. In jedem Fall sei das Werk so beschaffen, „daß es sich auf den ju- 
ristischen laist nicht will ziehen lassen, sondern es müssen politische mit- 



309 Absetzung des Universitätsvogts Lersner zu Grünberg durch den fürstlichen 
Rentnieister Reyser am 19. Juli. Lersner an den Marburger Univ. -Ökonomen, Juli 22; Uni- 
versität Marburg an Landgraf Moritz, Juli 30, StAM. 

310 Im StAM. — Landgraf Moritz wirft Landgraf Ludwig vor, er habe eine gemein- 
hessische Angelegenheit auf einer Sonderversammlung (Gießen) entschieden, sei in eigener 
Sache Richter gewesen; sein Vorgehen sei „ein offenbahrer, handgreiflicher und allem 
rechten, ja der Vernunft und pillichkeit selbsten zuwidderlaufender unfueg und eingrieff \ 
Landgraf Ludwig antwortet, Landgraf Moritz habe in einer gemeinhessischen Anstalt ohne 
Befragung der Teilhaber sowie der Landstände Neuerungen eingeführt, die der Fundation 
zuwiderliefen. Da die Universität selbst diese Neuerungen verteidigte, „so haben wir so- 
wohl zue salvirung unsers gewiessens als auch auf guthachten vornehmer stände des reichs, 
bevorab aber auf unser ritter- und landschaft clagens und instendiges anhalten (daß sie 
nuhnmehr ihre Stipendiaten und kinder mit guthem gewissen nacher Marpurg nicht 
schicken köndten)*', die Vogteien eingezogen, „sonderlichen weil die von e. 1. angege- 
bene destinatio . . uns superioritatis et juris episcopalis ratione . . gebueret"; er ver- 
wende die Güter fundationsmäßig, und wie er es vor Gott und Kaiser verantworten 
könne, ad pias causas. 

8,1 Am 24. Oktober ersucht Landgraf Moritz seinen Vetter um Auslieferung des 
Druckers „Hempelius" (gemeint ist der Universitätsdrucker Hampel in Gießen) wegen 
Feilhaltens dieser Schrift in Dillcnburg (StAM). Die Universität Gießen und der Drucker 
erklärten auf Anfrage, von der ganzen Sache nichts zu wissen. Akten StAD, Univ. 4. 

812 Nebst Göddäus; doch geht aus dem Schreiben (oben Anm. 305) hervor, daß der 
Grundgedanke von Vultejus stammt. 



Die Entstehung der Universität Gießen. 67 

tel an die handt genommen werden"; nur dann könne man etwas zu erreichen 
hoffen. In diesem Sinne wurden denn auch die Vertreter Hessen -Kassels in 
Prag, Starsehedel und Lehmann, instruiert. Sie übergaben am 14. September 
ein Gesuch um einstweilige Suspension des für Gießen erteilten Privilegs bis 
zur Entscheidung des schwebenden Streites um die Universität" 1 . Nach 
längeren Verhandlungen erfolgte zunächst ein Beschluß, der so recht zeigt, 
daß die vom Reichshofrat geübte Reichsjustiz ganz von der Politik bestimmt 
wurde: weil man auf dem bevorstehenden Reichstag Unannehmlichkeiten von 
Kassel befürchtet, will man Landgraf Ludwig bitten, die Publikation etwas 
aufzuschieben; da dem Landgrafen Moritz die Universitätssache so sehr am 
Herzen liege, so werde er sich wohl in der Erbschaftsangelegenheit etwas 
nachgiebiger zeigen, und in beiden Streitpunkten werde dann wohl eine Eini- 
gung möglich sein 3 ". Dieses Votum, dem der Reichshofrat Hegenmüller 
scharf opponiert und gegen das auch Stralendorf gestimmt hatte, mutete 
also dem Kaiser wirklich zu, daß er das eben erteilte Privileg halb und halb 
wieder zurücknehme' 15 . Es fand denn auch nicht die kaiserliche Zustim- 



«s Akten StAM und StAD, Marb. Suec. 12. — Starsehedel klagt am 7. Aug., er 
werde zurückgesetzt, man habe ihm die Audienz beim Kaiser bisher nicht bewilligt; als 
aber (8. Aug.) die Bewilligung kam, versäumte er die Zeit „mit auskemmung seines haarcs 
und ausbutzung der kleider", wie Fleischmanu spöttisch am 22. Sept. nach Darmstadt be- 
richtet. — *•* Votum des Reichshofrats, (24. Sept.) 4. Okt., Abschr. StAM. 

«* Protokoll des Reichshofrats (StAW); „ Martis 2. Octobris 1607. Hessen landt- 
graff Ludwig pro impetrationc privilegii universitatis Gissensis. Intervent landgraff Mo- 
rii per Otto von Starschädl pro intercsse, dii.it diese hohe schuel seye den alten Hessi- 
schen privilegiis, lestamentis, erb vertragen, juramentis et ipsi bono publico strackhs zu- 
wider. Heue derwegen ipso inaudito nicht zugelassen werden sollen, petit dieselbe noch- 
mahlen nicht zu verstatten, vel so sy zugelassen, zu cassirn vel saltem den effect zu 
suspendirn, donec causae cognilio facta fuerit; apponit altero memoriali die extract der 
atlegirten Privilegien, testamenten, erbverträgen. Item apponit intimationem publicandae 
academiae pro 7./1 7. Octobris 1607, quarc instat pro resolutione ob periculum quod in 
mora, — Votum ad Caesarem, das irc majestät möchten durch ein schreiben den land- 
graff Ludwig erinnern, weil mitel vorhanden, das nicht allein diser wegen der Univer- 
sität erregten stritt, sondern auch des ganzen haubtwesens ein vergleichung zwischen 
ihm und landgr;iff Morizen gemacht werden könt, das er mit intimation oder publica- 
tion des privilegii etwas zuruckh halte. — H. Hegenmüller: Durch dises mitel sei sich 
nicht allain ainiger vergleichung nicht zu getrosten, sondern vilmehr werde landgraff 
Moriz dadurch gesterekht werden. 2 obstare sibi authoritatem Caesaris, qui ex certa 
scientia hoc Privilegium landgravio Ludovico concesserit. Derowegen vermeinte er, das 
landgraff Morizen khönte ein bescheidt ertheilt werden, das ire majestät nicht lieb, das 
dise zwo fürstliche und so nahend verwarne linien in einander khämen, weil aber die 
motif und Ursachen landgraff Ludwigs derowegen fürbracht also beschaffen gewesen, 
das ihr majestät bewogen worden, ihme zu willfahren, so hetten es ihr majestät gleichwol 
dergestalt bewilligt, das, wann er landgraff Moriz die Sachen in vorigen standt richtete 
und die angesteite neuemngen in religionssachen wider abschaffete, das diese universitet 
wider fallen und es bei der vorigen pleiben sollen. So verhoffen ihr majestät, es werde 
deßfahls so viel weniger sich er landgraff Moriz zu beschwären haben. — Von Stralen- 
dorf place! domini Hegenmüller opinio, reliquis dominis votum referentis". 





68 Erster Abschnitt. 

mung 816 , und infolgedessen brauchte die bereits festgesetzte feierliche Publi- 
kation des Privilegs, die Eröffnungsfeier der Universität Gießen, nicht ver- 
schoben zu werden. Auf weiteres Anhalten der Kasseler Gesandten um Sus- 
pension des inzwischen publizierten Privilegs erfolgte dann (Anfang Novem- 
ber) ein direkt abweisender Bescheid 817 . Starschedel schlagt hierauf seinem 
Fürsten vor, die Universitätssache als Religionsgravamen auf den bevor- 
stehenden Reichstag zu bringen 818 , und Landgraf Ludwig machte sich auch 
darauf gefaßt, vor Kaiser und Reich für seine Universität eintreten zu müs- 
sen 819 . So wäre zu den vorhandenen Beschwerden über katholische Un- 
duldsamkeit eine solche über lutherische Übergriffe gegen Reformierte ge- 
kommen und hätte die allgemeine Verwirrung im Reiche noch gesteigert; 
aoer dahin kam es nicht. Doch trat auf dem Reichstag von 1608 die Spal- 
tung des Hauses Hessen in der Reichspolitik zum erstenmal für das ganze 
Reich deutlich hervor 8 * . 

Nicht nur am Kaiserhofe bekämpfte Landgraf Moritz das Aufkommen 
der Gießener Hochschule, sondern auch in Hessen selbst suchte er ihr nach 
Möglichkeit zu schaden. Zunächst bemühte er sich, durch Rundschreiben 
an seine Beamten den Zufluß von Kandidaten zu den Gießener Promotio- 
nen, soweit Söhne seines Landes in Betracht kamen, zu hindern 8 ". Ein 
strenger Befehl des Landgrafen, durch öffentliche Bekanntmachung verbrei- 
tet, verbot sodann seinen Untertanen überhaupt den Besuch der Universität 
Gießen 322 ; dort einen Grad anzunehmen, sollte für den Graduierten und sei- 
nen Vater, der dies zugelassen, empfindliche Bestrafung nach sich ziehen. 
F.in Student aus Borken, Kaspar Scharf 828 , der sich in Gießen den Grad eines 
Magisters erwerben wollte, sich aber von den nachforschenden Kasseler Be- 
amten in seiner Heimat betreffen ließ, wurde festgenommen und auf Befehl 
des Landgrafen nach der Feste Ziegen hain gebracht. Noch empfindlicher als 
der Übergang eigener Landeskinder auf die verhaßte Konkurrenzschule war 
es dem Landgrafen, daß die Marburger Professoren Ellenberger und Nigidius, 



81G Rcichshofratsprotokoll v. 27. Okt./6. Nov. (StAW): „. . . weiln aber vor disem, 
rc adhuc integra et publicatione nondum facta ihrer maj. der modus nit gefallen, das 
die publication per rescript. Caes. ad landgravium Ludovicum suspendirt were worden . . ." 

317 Vgl. Reichshofratsprotokoll v. 27. Okt./ 6. Nov. 

818 An Landgraf Moritz, Nov. 12, Brandeis, Or. StAM. 

319 Instruktion der Reichstagsgesandten v. 31. Okt., Kzt. St AD, Reichstag 25. 

320 Vgl. Rommel VI, 151 f.; Häberlins Reichsgeschichte, fortges. v. Senckenberg 
XXIII, 107; v. Egloffstein, Reichstag zu Regensburg 1608 (1886), 91. 

321 Vgl. für das Folgende Akten des StAM. Für die Festpromotion bei der Eröff- 
nungsfeier erwartete man großen Andrang von Kandidaten, weil sie gratis stattfand. 

322 Hessische Landesordnungen I, 495; vgl. Catal. stud. IV, 24. 

323 Vgl über jhn Johannis Georgii ducis Sleswici . . regimen academicum 1609 
(Giessae 1610), n6f. Er disputierte 1607 (das Gießener Exemplar der Disputation trägt 
den Handvermerk „10. Julii mane") unter Fincks Präsidium als auetor et respondens über 
„Problemata philosophica 1 ' und wurde schließlich bei der Festpromotion doch graduiert 
(Finck, Oratio panegyrica I [1608J). 



Die Entstehung der Universität Gießen. 

— letzterer war zugleich Syndikus der Universität — , beide ihrer Gesinnung 
nach überzeugte Lutheraner 3 - 4 , die deshalb um ihre Entlassung aus dem 
Dienste Kassels nachgesucht hatten, schon ehe diese erteilt war, sich zur Teil- 
nahme an der Eröffnungsfeier nach Gießen begaben und dort sogar an be- 
vorzugter Stelle im Festzuge einherschritten ; beiden wurde nach ihrer Rück- 
kehr Arrest auferlegt 3 ' 5 . 

Auch die literarische Fehde beider Hochschulen wurde mit großer Er- 
bitterung geführt. Während sich Landgraf Moritz über Pasquille beschwerte, 
die gegen seine Universität geschleudert wurden, war die Gießener Univer- 
sität in der Lage, an Landgraf Ludwig eine umfangreiche Zusammenstel- 
lung von Grobheiten aus Marburger Streitschriften gegen Gießen, sowie die 
Abschrift eines Schmähgedichtes zu übersenden 358 ; ja man sprach von einem 
Mordanschlag gegen Winckelmann, den ein Beamter des Landgrafen Moritz 
ausgeführt habe 3 ". 

Alle diese Feindseligkeiten, die noch den Herbst und Winter 1607 ausfüllen, 
hatten nicht verhindern können, daß die feierliche Publikation der Privilegien 



*** Dem Gerücht nach sollten beide sowie der Mediziner Prof. Cellarius ihrer Re- 
ligion wegen abgesetzt werden. Nigidius an Landgraf Moritz, ohne Dat., StAM. 

> ss Vgl. Catal. stud. IV, 14t. — Nigidius, der sofort nach der Erlangung des Pri- 
vilegs für Gießen aus Glaubensrücksichten um eine Anstellung dort nachgesucht hatte 
(an Landgraf Ludwig [607, Juli 7, StAD, Univ. 1), erhielt erst um die Jahreswende seine 
Entlassung, ziemlich angnädig (Landgraf Moritz an Univ. Marburg, 1608 März 26, Or. 
UAM: A. IV, 4 1 ", 1), wobei ihm die Zahlung des letzten Besoldungsquartals energisch 
verweigert wurde. Vgl. Dilich, De urbe cl acad. Marp. cd. Caesar IV (Marb. Index lec- 
tionum 1867). 26. Nigidius setzte den materiellen Vorteil hintan, um nur von den Cal- 
vinisten fortzukommen. „Accedit", schreibt er ain 16. Aug an Konrad Dieterich fCgm. 
1258, Bl. 748). „ctiamsi aliquid detrimenti in re familiari . . capiam, animi requies et 
tristissimi ist ius Calvinistici jugi. cm hactenus cervicem dare coactus fui in 
squalore et maerore, divinitus concessa excussio, quam multa magnaque auri et argenti 
vi non redimo. Parebo igitur Deo vocanti". — Ellenhtrger war im Herbste 1607 bereits 
vom Amte suspendiert, Inhalt seines Abschiedsgesuches vom 30. Dez. 1607 (Religion, 
kollegiale Anfeindung, Fehlen eines anatomischen Theaters, geringes Gehalt) bei Strie- 
der, Hess. Gelehrtengcsch. III, j2Qf.; Landgraf Ludwig hoffte ihn als Leibarzt zu ge- 
winnen; 1608 erhielt er von Landgraf Moritz Wiederanstellung mit too fl. Zulage ange- 
boten, „damit ... er . . nicht uhrsach haben solle, sich bei die schuelc zuc Giessen 
zu begeben" (Landgraf Moritz an Landvogt, Rektor, theo!, u. jur. Fak. zu M., 1608 
Mai 7, UAM: A. IV, 3 b , 3). Er folgte jedoch dem Anerbieten nicht, sondern wurde 
Stadtphysikus in Friedberg (Dilich ed. Caesar III [Marb. Progr. 1865], 32), später bran- 
de nburg-magde bürg isc her Leibarzt in Halle (Horst, Observationes medic. I (1628), 373, u. 
Strieder III, 329). - »» Am 18. De». 1607, Or. StAD, Univ. 2. 

1,7 Landgraf Ludwig an Landgraf Moritz, 1608 Jan, 24 (StAM): „. . . diß orts zu 
geschweigen . . ., wie unserm professori theoiogiae primario, doctori Winckelmauno an 
seiner persohn von c. 1. diencr einem mit der handt zugesetzt und mit tödlichem gc- 
schoß in und auser unserer vestung üiessen nachgestellct worden". Nach Buchs Chro- 
nik erhielt Winckelmann von seinem Schwager Ungefug in seiner Wohnung drei Stiche 
(Chronik, StAD, 173). Ungefug war fürstlicher Küchenmeister in Kassel (Strieder, Ge- 
lehrtengcsch. XVII, 115). 







70 - Erster Abschnitt. 

und hiermit die Eröffnung der Universität" 8 vorbereitet und mit dem ganzen 
Pomp, der die akademischen Festlichkeiten früherer Jahrhunderte auszeich- 
net, in Szene gesetzt wurde. Um die Form, auf die man so viel hielt, hierbei 
zu wahren, erkundigte sich der Landgraf bei seinen Professoren darnach, wie 
es bei der Publikation des Marburger Privilegs, hinter der man doch nicht 
zurückbleiben durfte, und des nächst jüngsten (1575 erteilten, 1576 publi- 
zierten) Helmstädter hergegangen sei, und verlangte Vorschläge über die 
nötigen Vorbereitungen*». Da man die Universitätseröffnung mit Festpro- 
motionen feiern wollte, sich auch schon eine Anzahl Kandidaten gemeldet 
hatte, so war die Ernennung eines Universitätskanzlers (damals vice-cancella- 
rius genannt) nötig, weil nach akademischem Brauch der Kanzler die Geneh- 
migung zur Promotion dem Promotor in jedem Einzelfall erteilen mußte**. 
Zu diesem Amte, das damals an den meisten Universitäten ein Jurist inne hatte, 
wurde der Rektor des Jahres 1607, Qothofredus Antonii, in Aussicht genom- 
men. Ein Bet- und Danktag für das ganze Land wurde angeordnet; in allen 
Kirchen wurde das Volk auf die Wichtigkeit des Ereignisses, der Untversi- 
tätseröffnung, für Hessen-Darmstadt hingewiesen** 1 . Ein öffentliches „Pro- 
clama" wurde ausgearbeitet und Exemplare überallhin verschickt •». Als 
äußere Zeichen der neuen Würde der Hochschule wurden zwei Szepter und 
für die Fakultäten Siegel nach dem Muster der Marburger in Frankenthal 
bestellt* 8 *. 



828 Doch nennt sich die Hochschule bereits vorher (seit der Erteilung des Privi- 
legs) Universität. Ob auch schon Promotionen stattgefunden haben, ist zweifelhaft (vgl 
Landgraf Moritz an Starschedel, Aug. 31 — Sept. 1, wo von der Promotion einiger zwan- 
zig Magister und eines Dr. jur. die Rede ist, St AM). Im Sommer 1607 wurde in Gießen 
lebhaft disputiert ; allein von den unter Fincks Präsidium gehaltenen Disputationen haben 
mir aus 1607 31 Stück vorgelegen, davon 19 aus Juni und Juli. 

389 Landgraf Ludwig an Univ. Gießen, Juni 22 (Or. StAD, Univ. 4). Die Pro- 
fessoren antworteten am 26. Juni (StAD, Univ. 3), in Marburg habe keine große Feier 
stattgefunden; Helmstädt könne jedoch als Muster dienen. Hierbei hatte man den Vor- 
teil, eine gedruckte Beschreibung der dortigen Feier zu besitzen (Historica narratio de 
introductione universitatis Juliae, Heimst. 1579). 

530 Näheres über die Pflichten des Kanzlers in einem späteren Abschnitt. 

381 Landgraf Ludwig an Angelus, Aug. 19, Registratur d. Oberkonsistor. Dann- 
stadt (nach frcundl. Mitteilung des Herrn Pfarrers D. Dr. Diehl zu Hirschhorn). Vgl. 
z. B. Leuchters „Academi oder schulpredigt", gehalten in Darmstadt am 30. Aug. 1607. 

333 Das in der üblichen schwülstigen Weise den Nutzen der Universitäten im all- 
gemeinen und der Gießener im besonderen behandelnde Schriftstück (vom 28. Aug. 1607 
datiert) ist gedruckt bei Chytraeus, Saxonia, suppl. (161 1), 125 ff.; Lundorp, Continuatio 
Sleidani III (1619), 795 ff. ; in Jansonii Mercurius Gallo-Belgicus zum Jahr 1607; vgl. auch 
Andr. Caroli Memorabilia ecclesiastica I (1697), 147. — Am 22. Juli hatte der Landgraf 
die Universität mit der Ausarbeitung des Proclama beauftragt (StAD, Univ. 4). Hier- 
nach ist R[ambach] (im Giesser Wochenblatt 1771, 89, nach ihm Nebel in Justis Vorzeit 
1828, 19, u. Rommel VI, 147) zu berichtigen, der behauptet, das Proclama invitatorium 
sei vom Landgrafen selbst aufgesetzt. 

333 Regierung an Univ., Aug. 22 (StAD, Univ. 4), wo auch Zeichnungen der Mar- 
burger Szepter und Siegel. — Vorher führte die Gießener Schule ein größeres (mit der 






Die Entstehung der Universität Gießen. 7t 

Nachdem die Universität so völlig in ihrem Bestehen gesichert schien, 
beschloß der Landgraf, ihr auch ein eigenes Heim zu schenken, damit man bald 
die engen Räume des Rathauses verlassen könne, die der beabsichtigten Ver- 
mehrung der Vorlesungen und der, wie man hoffte, steigenden Frequenz bald 
nicht mehr genügen konnten. So wurde am 25. August der Grundstein des 
Kollegiengebäudes vom Regierungskanzler Strupp von Gelnhausen und vom 
Universitätsvizekanzler Antonii unter den üblichen Feierlichkeiten gelegt 3 ". 

Im September 1607 waren die Vorbereitungen soweit gediehen, daß die 
Einladungen zum Feste auf den 7. Oktober ergehen konnten. Von bemer- 
kenswerten Personen, die man einlud, seien hier nur genannt: die Grafen 
von Solms-Hohensolms und Laubach, Stolberg, Leiningen, ein Rheingraf, 
Vertreter der ritterlichen Familien Oynhausen, Cronberg, Riedesel, Schenk zu 
Schweinsberg, Nordeck zur Rabenaii, Windhausen, Trohe, Buseck usw., fer- 
ner die Deutschordenskomture von Marburg und Schiffenberg, der Burggraf 
von Friedberg, Vertreter der Städte Gießen, Alsfeld, Grünberg, Darmstadt S3 \ 

Wenige Tage vor dem Festtage trafen von Kassel unter falschem Na- 
men zwei Notare nebst Zeugen in Gießen ein, um im Namen des Landgra- 
fen Moritz gegen die Eröffnung der Universität Protest einzulegen. Es kam 
jedoch nicht zu einem öffentlichen Auftritt, sondern der Protest ging am 
Tage vor dem Feste im Gasthaus zum Einhorn gegenüber dem Kanzlei- 
sekretär, der dann reprotestierte, ohne weiteres Aufsehen vor sich und hatte 
keine Folgen 33 ". 

Am gleichen Tage kam Landgraf Ludwig nach Gießen; er wurde von 
Rektor Antonii mit einer lateinischen Ansprache willkommen geheißen und 
dankte in gleicher Sprache 3 * 7 . Eine große Menge vornehmer Gäste langte 
an diesem Tage noch an. Der Zudrang des Landvolkes war so groß, wie 
ihn Gießen noch nicht gesehen hatte" 8 . Am Morgen des Festtages, des 
7. Oktober, begaben sich um 8 Uhr Professoren und Studenten — diese da- 

Jahreszahl 1605, wonach das Versehen in Anm. 140 zu berichtigen) und ein kleineres (1606) 
spitzovales Siegel; beide kommen noch t6o8 im Gebrauch vor und «erden dann durch Uni- 
versitätsstege I ersetzt. Letztere sowie die vier Fakultätssiegel haben noch heute die Form 
der ältesten. Eine poetische Beschreibung der Siegel hat der Prof. poeseos Bachmann in 
seinem Lobgedichl auf Strupp (im Anh. zu Mylius' Leichpredigt auf dens. 1617) gegeben. 

aM Näheres über das Gebäude und Nachweise in einem späteren Abschnitt, 

a*o Verzeichnis der Einzuladenden St AD, Univ. 3; Einladung der St. Darmstadt 
(Or). und deren Vollmacht für ihren Vertreter (Kzt.) StAD, Landst. V. 6; Einladung an 
Solms v. 16. Sept., Kzt. UAG, S. 1, 3, umgeschrieben /um 24. Apr. 1650. 

*•* Notariatsinstrument über den Vorgang StAD, Univ. 3; Bericht d. Notare StAM, 
z. T. gedr. MOGV X, 54 f. Der Protest enthielt wohl die in Hess. Land es Ordnungen 1, 
495 ff., ausgeführten Gedanken. 

**' Über die Feierlichkeiten berichtet Lundorp, Continuaüo Sleidani 111, 797 ff., 
und nach ihm Häbcrlin-Senckenberg XXIII, 105/., ferner Kitzel (Augenzeuge) in der er- 
wähnten Rede von 1615 (bei Schädel, a. a. O., 31 f.), sowie Rambach bei Schädel, a. a. O., 
33ff. Die Rede des Antonii StAD, Univ. 2, und in Ayrmanns Abschriften band im StAD, 
r Stelle auch Winckelmanns Festpredigt. — ,38 Kitzel. 





72 Krster Abschnitt. 

mals wohl über 300 an der Zahl 88 * — in feierlichem Zuge nach der Pan- 
kratiuskirche, während bewaffnete Bürger und Landesausschuß Spalier bil- 
deten. Im Zuge schloß sich an die Glieder der Universität der Landgraf, gefolgt 
von Edelknaben, die auf gold verzierten Seidenkissen Stiftungsurkunde und 
Privilegien, Szepter, Siegel, die Matrikel und die Schlüssel der Universitätsräume 
trugen 340 . Nachdem man die reich mit Teppichen geschmückte Kirche betre- 
ten hatte, nahm der Landgraf allein an der rechten Chorseite Platz, links die 
Grafen und Herren 841 . Die beiden errichteten Katheder bestiegen Kanzler 
Strupp und Rektor Antonii, rings gruppierten sich die Träger der akademi- 
schen Insignien. Nach einem Vorspiel der Musik und einleitendem Gesang* 4 * 
begann Professor Winckelmann den Akt mit Gebet und Predigt aus Luk. 4, 
16. Hierauf hielt Strupp im Namen des Landgrafen die lateinische Eröff- 
nungsrede, ließ das kaiserliche Privileg verlesen und übergab es samt den 
Insignien dem Rektor, der die Fakultätssiegel an die Dekane verteilte, die 
Szepter den Pedellen, die übrigen Gegenstände verschiedenen Knaben — 
wohl Schülern des akademischen Pädagogs — übergab und dann das Wort 
ergriff, um in elegantem Latein die Dankrede zu halten, Dank auszu- 
sprechen Gott, dem Kaiser und besonders dem Landesherrn für die Uni- 
versitätsstiftung, die er als Wiederherstellung der patria academia, des „pri- 
stinae integritatis patrium Lycaeum" 848 feierte. Nach einem Lobgesang» 44 
begab sich unter den Klängen der Musik und dem Donner der Geschütze 
auf den Wällen die ganze Versammlung zum Schloß, wo für die Glieder des 
Lehrkörpers und die vornehmen Gäste ein Festmahl stattfand. Auch die Stu- 
dentenschaft wurde reichlich bewirtet 845 . 



389 Die Matrikel fehlt. Während Winckelmanns Rektorat (Okt. 1605 bis 1. Jan. 
1607) wurden gegen 300 Studenten immatrikuliert, vgl. Grandhomme, Dissertatio episto- 
lica ad J. M. Verdries de acad. Giess. fundatione (1728), 9 f. Die Zahl der von Jan. 
bis Okt. 1607 hinzugekommenen und der 1605—07 abgegangenen Studenten kann man 
nur schätzen. Doch waren bei neuen Hochschulen die Frequenzziffern stets sehr hoch 
(Inskription von NichtStudierenden; Neugier usw.), vgl. Eulenburg im Jahrbuch f. Natio- 
nalökon. u. Statistik, 3. Folge, XIII (1897), 521. 

840 Auch hier, wie oben Anm. 140, liegen Bedenken vor, ob die Insignien nicht 
z. T. fingiert worden sind. — 841 Darunter nach Kitzel die geladenen Komture. 

842 Über die Vortrefflichkeit dieser Festmusik entnehme ich einem Briefe des Pa- 
stors J. Schröder zu Schweinfurt an Prof. Dieterich vom 12. Dez. 1607 (Cgm. 1259, BL 150) 
folgende Stelle : „Denique qui promulgationi privilegiorum academicorum interfuerunt . . ., 
depraedicarunt mihi musicam vestram, qua actus illius solennitas a vobis condecorata fue- 
rit. Illius partieeps esse velim. Quamobrem rogo, ut cantiones descriptas mecum com- 
munices, praeeipue duas illas: Nun bitten wir den h. geist etc. et: Herr gott dich loben 
wir. Rem mihi feceris longe gratissimam." 

343 Im Einklänge mit der oben S. 42 dargelegten Anschauung. 

344 Hierher setze ich den in obigem Briefe erwähnten zweiten Choral. 

345 StAD, Univ. 4: „Mein g. fürst, u. herr 1. L. zu Heßen hat den samptlichen 
Studenten diß orts zu einer malzeit geben zu laßen g. verwilliget: 

An wein ii/ 2 fuder Rindfleisch 130 pfund 

Korn 3 malter Dambstätter (I) maß Hamelfleisch 130 pfund 



Die Entstehung der Dil 



i Gießen. 



7! 



Am folgenden Tage erhielten, wiederum in Gegenwart des Landgrafen 
und der vornehmen Gäste, unter Mitwirkung des neuen Universitätskanzlers 
Antonii, in der Kirche 28 Kandidaten den Magistergrad, wobei Professor 
Finck „de antiquitate, autoritäre et dignttate philosophoriim et philosophiae 
magistrorum", Professor Helvicus „de origine nominis, tituli et rituum ma- 
gisterii phtlosophici" redete** 8 . Hiermit endeten die Festlichkeiten 3 *'. 

Mit der trotz aller Hindernisse und nur mit großen Anstrengungen und 
Kosten 31 " gelungenen Errichtung der Universität Gießen war der Staat Hessen- 
Darmstadt auf dem Gebiete des Hochschulwesens selbständig geworden. Gie- 
ßen besteht fortan als selbständige Universität neben Marburg und mit dem 
Anspruch, die rechtmäßige Fortsetzung des Status acadeniicus in Hessen, das 



Hu 



' 45 



WeiÜfiseh 130 pfund 
Wilpredt 130 pfund". 



Carpffcr 

Diese undatierte Notiz gehört zweifellos hierher. 

3« Abschr. der Rede StAD, Univ. 2. Über die anwesenden Gäste und den Ver- 
lauf der Promotion findet sich Näheres in Fincks Oratio panegyrica I {1608). Beige- 
fügt mag werden, daß die erste theologische Promotion auf der neuen Hochschule am 
16. November 1607 stattfand (die beiden Kandidaten, Brüder Eckhard — der eine nach- 
her Professor in Gießen — laden am 7. Nov. den Landgrafen „als hujus academiae 
fundatorem und seugammen" zu dem Feste ein]. Am 30. Dez. kreierte Finck 17 bac- 
calaurei. Finck, Oratio panegyrica II (1608). — Daß das Rektorat bei der Universitals- 
eröffnung dem Herzog Johann Georg von Srhlesw ig- Holstein übertragen worden sei, ist 
ein aus der „Historie der Gelehrtheit derer Hessen" 1735, trim. II, 146, ih Hart mann, 
Hist. Hass. II (1742), 243, u. Senckenberg XXIII, 106, übergegangener Irrtum, den schon 
Grandhomme in Frankfurtischen Gelehrten Zeitungen 1742, 364 widerlegt hat. Der junge 
Herzog wurde erst Ende 1608 immatrikuliert und für 1609 Rector magnificentissimus. 

M ' Hier mögen die Titel einiger Fest- und Gratulationsschriften genannt sein, die 
aus Anlaß der Univcrsitätscröffnung erschienen: 

1. Triumphus academicus scholac Giessenae, seu carmina syncharistica, cum ab 
. . . Ludovico Hassiae landgravio . . . privilegia acad, Giessenae . . . conferrenlur, ad 
diem 7. oct. anno [607 (Erman u. Hörn, Bibliogr. d. dtsch. Univ. II, No. 41 10). 

2. Jubila heroica in annt 1607 octobris d. 7. solennitatc introducendorum in acad. 
Giess. privilegiorum aeademicorum desfinatum, perscripta ad . . . Ludovicum Hassiae 
landtgr. . . . a M. Hcnrico Hirtzwigio Hainense Wetteravio, Giessae 1607. 

3. Elegia gratulatoria in honorem novae acad. Giessae Cattorum ... ad d. 7, 8br. 
. . 1607 feliciter introduetae, scripta Witcbergae a Frid. Balduino . . Leonhardi 
Hütteri . . nomine. 

4. Panegyricus in U 
gravium . . . authore Phil. Nicolai 

5. Deo t. o. m., Rodolpho II 
cum philos. magistralibus insignibus i 
gratulatur Mekh. Breier Fuldcnsis, 

rühjahr 1608 



Giessenae urbis arademiam ad ... Ludovicum land- 

Dlai . . . Hamburgi 1607 (Erman-Horn II, No. 4112). 

, ., Ludovico . ., juventuti Giessenae lectisstmae, 

ipsa inaug. novae acad. Giess. decoraretur . . . ., 

7.iessae 1607. 

ich die Städte Oberkatmiclnbogcns mit denen von 
Oberhessen über Ersatzleistung für die Kosten, die dem Landgrafen bei der Erwirkung 
des akademischen Privilegs erwachsen waren (Akten StAD, Lands!. Verf. 6), und sie 
brachten auch wirklich „zur recompens dero vorm jähr beschehener reise naher Praga, 
als i. f. g. das Privilegium der universiteten Giessen bei kaiserl. mayt. erlangt", 4124 fl. 
l6 l /j alb. auf (StAD, Kammerrechnung 1608). 





74 Entcr Abschnitt. 

heißt der Altmarburger Hochschule zu sein, wie sie vor den Veränderungen 
von 1605 war. 

Die Vermehrung der akademischen Lehrer hatte man sich inzwischen 
gleichfalls angelegen sein lassen. Es kann hier nicht auf die umständlichen 
Berufungsverhandlungen mit in- und ausländischen Gelehrten eingegangen 
werden. Nur die mirklich nach Gießen Gekommenen seien genannt Noch 
1607 trat in die theologische Fakultät Heinrich Eckhard (Eckhard!) aus Wetter, 
ein Schüler Mentzers, als dritter Prof. theo!., in die juristische Heinrich 
Nebelkrä genannt Immelius als zweiter Professor während Kitzel die vierte 
(Institutionen-) Professur behielt**. 1 608 erhielt Gregor Horst aus Torgau eine 
zweite medizinische Professur, und in die philosophische Fakultät traten ein: 
Peter Hermann Nigidius, bisher Professor in Marburg, für Rhetorik, sodann, da 
der Mathematiker Kitzel jetzt nur noch der juristischen Fakultät angehörte, 
der Franke Nikolaus Hermann, den man aus Wittenberg berief, für Mathema- 
tik, ferner Johann Stumpf von Alsfeld für Physik; dazu kommen noch die 
beiden Lehrer für neuere Sprachen, Matthäus Hofstetter. Jinguarum exotka- 
rum professor", von Landsberg und Philipp Garnier (Gamerius) von Orleans, 
der sich nur als linguae Gallicae professor bezeichnet. So lehrten im Jahre 
nach der Eröffnung der Universität in Gießen 18 Professoren, eine stattliche 
Anzahl. 

Kurz müssen wir zum Schlüsse des Streites um die entzogenen Vogteien 
gedenken. Hierin einigte sich die Universität Marburg als Klägerin mit Land- 
graf Ludwig über ein Schiedsgericht eines unparteiischen Fürsten gemäß 
Reichsrecht 150 , das heißt die Universität forderte den Landgrafen auf, drei 
geeignete Nachbarfürsten zu benennen, unter denen sie sich dann den Schieds- 
richter wählen wolle. Die Auswahl, die Landgraf Ludwig traf, ist höchst be- 
zeichnend für die politische Stellung, die er bereits damals (1608) einnahm. 
Er stellte die Universität vor die Wahl zwischen den Kurfürsten von Mainz 
und Trier und dem Bischof von Würzburg. Übrigens erklärte er dabei aus- 
drücklich, daß er die Kläger, die doctores zu Marburg, nicht als Universität 
anerkenne 861 . Er mußte das folgerichtig tun, da er ja sein Recht, die Vog- 
teien wegzunehmen, darauf stützte, daß die Universität Marburg durch die 

349 Peter Frider von Minden kam nicht 1607 in die juristische Fakultät, wie Strie- 
der behauptet, sondern frühestens 1610. 

**° Lückenhaftes Aktenmaterial StAM und UAG; kein Material in Darmstadt, 
Koblenz und Wetzlar. — Das Verfahren stützte sich auf die Kammergerichtsordnung 
von 1555, tit. IV, 8 u. VIII, 7, sowie den Abschied des Deputationstages v. 1600, § 25. 
(Neueste Samml. d. Reichsabschiedc III, 88, 91, 478.) 

SM Anrede seines Schreibens v. 25. Juni 1608 (StAM): „Greg. Schonfelden und 
andern doctoribus alß itziger zeit rectori, decano und professoribus zu Marpurgk, wie 
sie sich selbst nennen"; im Briefe: „nun dan wir zwar glaubhaft berichtet, ob ihr 
euch vor diejenige, so in der subscription, auch im e ingang besagter schrift . . . halten 
und rectorem, decanum und professores der universitet zu Marpurgk nennen lassen wollet, 
dessen aber wir gestalten dingen nach niemalß nachgeben . . . wollen". 



Die Entstehung der Universität Gießen. 



75 



1 und 



Vorgänge von 1605 in einen stiftungswidrigen Zustand gekommen sei 5 ' 
also aufgehört habe eine Universität zu sein. 

Von den drei erwähnten Fürsten wählte die Universität Marburg den 
Kurfürsten von Trier als Schiedsrichter. Dieser beauftragte sein Koblenzer 
Hofgericht mit der Führung des Prozesses. So zog sich dieser Rechtsstreit 
viele Jahre hin und scheint überhaupt zu keinem Abschluß gekommen zu 
sein, bis das kaiserliche Urteil von 1623 die ganze Sachlage veränderte*". 



*** Auf den Religionspunkt baute der Anwalt des Landgrafen 1609 seine „eseep- 
tiones dilatoriae" („praes. Coblentz 7. Junii 1609'", StAM): die „nunmehr zu M. in der 
univ. grassirende widrige meinung" sei 1555 „öffentlich außgemustert und verbotten" 
worden, ebenso 1566. Die Professoren, die der calvinischen Lehre zugetan seien, dürften 
von Rechts wegen nicht geduldet werden und seien keine Professoren usw. 

*** Aus dem Jahre 1619 habe ich noch eine Spur dieses Prozesses gefunden. Da 
mals fragt die Visi tat ions komm ission bei der Universität Gießen an, ob „in der rechtfer- 
tigung vor dem herm churfursten von Trier wegen der unjversitet gefellen, so hiebevor 
nacher Marpurg geliefert worden, etwaß vorgangen", und erhielt die Antwort, es sei 
„in causa universitatis nichts newes entkommen" (Instruktion der Vis. -Komm. v. 1619 
Apr. 23 u. Visitation 5 protokoll StAD, Univ. 6). Die Sache schlief also langsam ein. Kas- 
sel behauptete späterhin, die Universität Marburg sei „allerdings hülf- und rechtlos ge- 
lassen" worden. Erzehlung 270. 





Zweiter Abschnitt. 

Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension 
im Jahre 1624. 

I. 

Neunzehn Jahre hat die Hochschule in den Mauern Gießens geweilt, sieb- 
zehn Jahre als Universität, bis sie aufgehoben wurde; und sie ist dann erst 
nach einem Vierteljahrhundert in die alten Räume ihres Collegium Ludovicia- 
num zurückgekehrt. Diese ersten neunzehn Jahre bilden eine der rühmlichsten 
Zeiten in der älteren Geschichte der Hochschule. Gestählt im Kampfe mit der 
nachbarlichen Marburger Mauritiana, in steter Fühlung mit den großen säch- 
sischen Universitäten und mit Tübingen, hat sich Gießen rasch einen geach- 
teten Namen unter den deutschen hohen Schulen und weit über Deutsch- 
lands Grenzen, namentlich in den nordischen Landen, erworben. Gießen war 
eine Stätte starker geistiger Bewegung und scharfer Arbeit geworden. Weit- 
hin hatten die Namen vieler Gießener Lehrer guten Klang — ich brauche 
wohl nur Winckelmann und Mentzer, Dieterich und Helwig und Junge, An- 
tonii, Jungermann und Horst anzuführen — , und neben ihnen zierten viele 
kleinere Lichter, jedes an seinen richtigen Platz gestellt, das junge gelehrte 
Gemeinwesen und brachten seinem Gründer Ehre und Dank ein. „Deum 
immortalem", schrieb damals Taubmann, der kurzweilige Poet von Witten- 
berg, an seinen Kollegen, den Gießentr Professor poeseos Bachmann, „ut 
studia literarum apud vos calent! Es lebt und schwebt doch alles bey 
euch"' 1 . Und Mentzer konnte noch 1618 an Dieterich schreiben: „Exercitia 

>en, 448; auch schon bei Mcrian, Topogra- 



1 Winckelmann. Beschreibung 
phia Hassiae, ed. II, 1655, 70. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 77 

hie vigetit, dante Deo, ut non credam alibi largius"*. Andere Äußerungen 
von verschiedenen Seiten beweisen das gleiche». 

Freilich, wo viel Licht, ist auch viel Schatten. Das Grundübel der da- 
maligen Gelehrten, die Streitsucht, hat in Gießen geradezu seinen Sitz gehabt, 
und besonders die Theologen, aber auch die übrigen Fakultäten waren — ab- 
gesehen von der niemals ruhenden Polemik nach außen — fast fortwährend 
durch innere Gegensätze entzweit, die uns kleinlich scheinen, aber in den da- 
maligen Anschauungen begründet sind. Um ein bezeichnendes und das be- 
deutendste Beispiel herauszugreifen, erinnere ich an den großen dogmatischen 
Streit zwischen Mentzer und Feurborn einerseits, Winckelmann und Gisenius 
andererseits, der die Gießener Universität in zwei Lager spaltete und schon 
lange tobte, ehe er durch das Eingreifen der Tübinger und später der säch- 
sischen Theologen die Augen aller Gelehrten Deutschlands auf sich zog». 
Und daß hierbei innerhalb der Universität nicht nur sachliche, sondern fast 
in höherem Maße persönliche und Eamiliengegensätze sich aussprachen, wird 
jedem klar, der sich in die erhaltenen Privatbriefe dieser Kreise vertieft' 1 . 
Spielte doch das Vetternwesen und die Protektion der Schwiegersöhne da- 
mals in akademischen Kreisen eine große Rolle*. 

Eine zweite Schattenseite, die sich in dieser Periode in Gießen mehr 



* Cgm. 1258, Bl. 668. 

5 Es will zwar nicht viel heißen, wenn ein Student seinem ehemaligen Lehrer 
Dieterich folgenden Panegyrikus auf Gießen aus Straßburg schickt: „Vcstram üiessen- 
sem academiam omnes, quos novi, sumniis ad eoelum usque extullunt laudibus, non tan- 
tummodo propter justitiae templuni et medelae rosarium, sec! imprimis propter theolo- 
giae sacrarium et omnium literaturae poiiiiuris sludiorum emporium, quod itlic est. Re- 
periuntur in illa bibliorum interpretes sinceri, juris sacerdot es, medicinae rultores, philo- 
sophiae professores, unde ecclesiae plantari, respublieac regi, vita hominum conservari, 
honestas ac honor undique stabiliri queant, Gratulamini igitur huie Jerusalem, bonis 
omnibus et temporalibus et aeternis donabit Deus optimus eos, qui amore le pro- 
sequuntur. Pax sit in hac civitate, intra moenia ejus etc. Ps. 122", usw. usw. 
(J. P. Gauss aus Speyer an Dieterich, 1 609 März 3 [ , Cgm, 1 258, Bl. 1 26). Von 
größerer Bedeutung ist der Vergleich mit Wittenberg, den Johannes Stumpf (töoS 
bis 1611 Professor phys. in Gießen, später Pfarrer in Znaim) anstellt: „Quod vero 
in oppido Wittebergensi rwbis non arrisit, hoc ferme unicum fuit, quod aer et victus no* 
bis non videretur salubris, et quod linguarum exerritia, praesertim oratoria, ibi nulla es- 
sent pro juuioribus [iliiliisnphiae studiosis, ne quidem privata, qu.ili.» scichain in Hassiacis 
academiis frequentari loJita". (An Dietcrich 1616, Cgm. 1259, Bl. 378.) Auch der Theo- 
loge Schröder rühmt die Blüte der Studien in Gießen: „Ut aeademia i:.t,i studio linguarum 
jam floreat, quod antehac in Hassia frigidius excultum fuis.se inficias ire non possumus". 
(An denselben 1615, Cgm. 1259, Bl. 170.) 

» Vgl. Hesse, Das erste Jahrhundert der theol. Fak. in Gießen (Festrede 1858), 5 f f . ; 
Heppe, Kirchengeseh. II (1876), i93ff. 

* Die beste Quelle für derartige Studien bilden die Briefe an Konrad Dieterich, 
die in 5 starken Bänden auf der Münchner Staatsbibliothek aufbewahrt sind (Cgm. 1255 
bis 1259). 

* Dadurch, daß Mentzer seinen Schwiegersohn Feurborn über den Kopf älterer An- 
r hinweg in die theologische Fakultät zu bringen wußte, fand der dogmatische Streit 







78 Zweiter Abschnitt. 

und mehr bemerkbar machte und dem guten Ruf der Hochschule Abtrag 
tat, war die weitgehende Disziplinlosigkeit und Ungebunden heit der Studen- 
tenschaft, von der man namentlich unter den Gegnern viel redete*. 

Betrachten wir nun, welche äußeren Geschicke die „Alma mater Gies- 
sena" in jener ersten Zeit zu bestehen hatte, so müssen hier vor allem die 
Pestzeiten erwähnt werden, die zur völligen Aufhebung der akademischen Tä- 
tigkeit im Jahre 1613 führten, und dann die durch die Kriegsgefahr 1621/22 
veranlaßte Schädigung der Universität. 

Schon in den ersten Jahren machten sich epidemische Krankheiten, stets 
im Spätsommer auftretend und mit Eintritt der kühleren Jahreszeit erlöschend, 
in bedrohlichem Maße geltend. Wie wir bereits oben» erwähnten, war 
eine Zerstreuung der Studentenschaft schon vor der Erlangung des 
kaiserlichen Privilegs zu befürchten gewesen, weil die Pest bedenklich um 
sich griff. In ähnlicher Gefahr schwebte die Universität 1609, als die Dys- 
enterie grassierte und außer einigen Studenten auch den Professor der Ma- 
thematik, Nikolaus Hermann, als Opfer forderte 9 . Nach zwei Jahren befand 
sich die Universität schon wieder der Frage gegenüber, was bei dem Umsich- 
greifen der Pest zu tun sei. Der Landgraf stellte den akademischen Behör- 
den die Wahl eines geeigneten Zufluchtsortes anheim, aber wie aus einem 
Universitätsbericht vom 31. Oktober 1611 und der Antwort des Fürsten vom 
5. November zu ersehen ist 10 , ließ sich ein Auszug der Hochschule an einen 
andern Ort nicht bewerkstelligen, weil die oberbessischen Städte, Alsfeld, 
Grünberg, Schotten, Nidda, alle selbst infiziert waren und Homburg vor der 
Höhe als zu eng für die Aufnahme so vieler Zuwanderer angesehen wurde. 
Man dachte an eine allgemeine Übersiedelung nach Darmstadt, stand aber 
wieder davon ab, indem man die Schwierigkeiten ins Auge faßte, die der 

erst den richtigen Nährboden. „Vocatio igitur haec facta est non per vocativum, sed per 
genitivum", schreibt Gisenius über Feurborns Berufung an Dieterich (Cgm. 1258, Bl. 184). 
7 Angelocratoris Epitome conciliorum et academiarum (1620), 231, die sich stützt 
auf Joannes Gualterius Belga, Chronicon chronicorum, IV (1614), 1285: „Concursus ibi- 
dem (in Gießen) studiosorum admodum est frequens, ob privilegiorum magis licen- 
tiam quam doctorum celebritatem". Vgl. auch Sweert, Athenae Belgicae (1628), 77, Am 
1. Febr. 1620 berichtet Fcurborn über einen tödlichen Zweikampf unter Studenten an 
Dieterich und fügt hinzu: „Unde vereor, ne nostra academia, cui diabolus mire insidiatur, 
novas columnias, quae quandoque veriloquis immisceri solent, experiri necesse habttura 
sit" (Cgm. 1258, Bl. 86). — 8 S. 55. 

9 Vgl. die Leichenprogramme in einem für den folgenden Abschnitt als Quelle sehr 
wichtigen Schriftchen, dessen vollständiger Titel deshalb mitgeteilt sei: Johannis Georgii, 
heredis Norwegiae, ducis Sleswici, Holsatiac, Stormariae ac Dithmarsiae, comitis in Olden- 
burg et Delmenhorst etc. Regimen academicum in illustri Hessorum Giessena, anno 
Christi salvatoris MDCIX. Giessac Hessorum. Excudebat Nicolaus Hampelius, typogr. 
acad. MDCX. S. 65 — 115. — Joh. Dieterich an seinen Bruder Konrad D. in Gießen 1609 
Okt. 3: „Nunc quid urbis et scholae vestrac ob dysentericam luem sit Status, scire desidero; 
facilc enim video ista quae praecessere funera dissipatura vestros studiosos, nisi 
seeundior divina favente gratia vobis adspirat aura" (Cgm. 1257, Bl. 168). 

10 StAD, Univ. 2. 



Die Universität Gießen bis in ihrer Suspension im Jahre 1624. 79 

Transport von Hausrat und Büchern verursachen mußte, und weil es dort 
auch an den nötigen Wohnungen fehlte. Das äußerste Mittel der Rettung, 
daß die Universität sich trenne und die Mitglieder einzeln in umliegende Orte, 
inner- und außerhalb Landes, zögen, brauchte nicht angewandt zu werden; 
vermutlich ließ die Epidemie nach. — Wiederum im Herbste 16)2 meldet 
der Prof. med. Horst dem Landgrafen, er könne ihn nicht besuchen, weil, 
wie er schreibt, ,,die febres alhie gemein werden und viel studiosos adel und 
unadel angegriffen" 11 . 

Alle diese schweren Zeiten haben jedoch der Universität nicht so ge- 
schadet, wie die Pestzeit von 1613. Diesmal setzt die Seuche mit un- 
gewohnter Stärke bereits im Frühsommer ein; schon in der ersten Julihälfte 
verhandelt man mit dem fürstlichen Rentmeister zu Grünberg wegen Bereit- 
haltung von Räumlichkeiten zur Aufnahme der Akademiker, und am 18. Juli 
wurde am schwarzen Brett die Verlegung der Universität nach Grünberg öf- 
fentlich bekannt gemacht. Kaum war dies jedoch geschehen, so erfuhr 
man, daß die Seuche nunmehr auch Grünberg ergriffen habe, ebenso Alsfeld. 
Der Rektor Nigidius reiste selbst umher und zog unermüdlich Bericht ein 
über zur Verlegung geeignete Ortschaften ; man faßte jetzt nicht mehr nur 
die Städte ins Auge, sondern auch die größeren Dörfer, da man die Fakul- 
täten in verschiedene Orte zu versetzen gedachte. Aber in Nidda, Schot- 
ten, Staufenberg, Butzbach, Großen -Linden, Echzell, Kirchgöns, Langgöns 
fehlte es an Raum ; in Leihgestern wurde zur Aufnahme der flüchtenden 
Gießener Kanzlei (Regierung) Quartier gemacht. So kam auch die von der • 
Darmstädter Regierung gewünschte Übersiedlung der Theologen nebst Sti- 
pendiaten und der Mediziner nach Staufenberg nicht zur Ausführung. 
Schließlich zerstreute sich die Universität in alle Winde; von den Studen- 
ten gingen viele — zum großen Schmerz ihrer Lehrer — nach Marburg, an- 
dere hielten sich in Wetzlar auf. Von den Professoren finden wir nur die Theo- 
logen Winckelmann, Mentzer und Finck in Gießen. Der Rektor und sein 
Fakultätskollege Scheibler wohnten auf der Holzmühle, Antonii auf einem 
nahen Dorf, Helvicus, Junge, Kitzel in Frankfurt, Nebelkrä und Lautenbach 
in Wetzlar, Dieterich in Butzbach, dann in Kirchgöns 18 . 

Diese Zerrüttung der Universität hatte natürlich einen großen Verlust 
an Studenten zur Folge, zumal erst Ende Oktober der ordentliche Lehrbe- 
trieb wieder aufgenommen werden konnte". Nur allmählich vernarbte die 
schwere Wunde 1 *, die der Hochschule durch diese Auflösung geschlagen 
war. Dafür blieb das folgende Jahrzehnt von schweren Seuchen frei. 

« Horst an Landgraf Ludwig, 1612 Sept. 10, StAD, Univ. 1. 

1* Die Epist. dedic. der Instit, rhetoricae ist datiert: „Scrib. Butzbaci quo ob pes- 
tem concesseram". — Cgm. 1258, ßl. 248, Adresse! 

18 Das Pädagog wurde am 21. Oktober wiedereröffnet. — Akten über diese Pest- 
icit befinden sieh StAD, Univ. 4; vgl. auch Cgm. 1258, Bl. 249. In Gießen starben 
in diesem Jahre an der Pest 217 Personen (Gieß. Wöchentl. gemt-innütz. Anzeigen 1764, 58}. 

« VgL die MOGV XI, 60, Anm. 2, mitgeteilte Stelle aus einem Brief Helwigs. 



80 Zweiter Abschnitt. 

Jetzt aber pochte der äußere Feind in bedrohlicher Weise an die Tore 
der Festung. 

Im Spätjahr 1621 kam Christian von Braunschweig, der Administrator 
des Bistums Halberstadt, herangerückt, um den Pfälzern zu Hülfe zu kom- 
men. In Amöneburg, der kurmainzischen Feste, die er durch Überrumpe- 
lung nahm, fand er einen Stützpunkt und hoffte von hier aus den Widerstand 
Ludwigs von Hessen brechen zu können, zumal ihn Landgraf Moritz von 
Marburg und Kirchhain aus ziemlich offen unterstützte 1 *. Mit dem Vormarsch 
des Halberstädters ins Busecker Tal (Ende November) war die Gefahr in un- 
mittelbare Nähe der Universitätsstadt gerückt. Der Kommandant von Gie- 
ßen, Hans Wolf von Schrautenbach, scheint versucht zu haben, statt einer 
energischen Gegenwehr, zu der es ihm an Truppen fehlte, durch eine Art 
Neutralität den Gegner solange vom Angriff abzuhalten, bis Entsatz heran- 
kam 16 . Zum Glück ließ dieser nicht lange auf sich warten: Vom Odenwald 
rückte der bayrische Oberst von An holt nach der Wetterau, zog die hes- 
sen-darmstädtischen Aufgebote an sich und kam in der Nähe des Klosters 
Arnsburg in Fühlung mit dem Feinde, der sich vor ihm nach dem Busecker 
Tal und weiter zurückzog. Ein Treffen bei Kirtorf nötigte Christian auf 
Amöneburg zurückzugehen; nachdem sich Anholt durch ein Würzburger 
Kontingent verstärkt hatte, gab der Herzog seine Durchbruchspläne auf und 
zog sich ins Paderbornische zurück. 

So war die drohende Gefahr für diesmal von der Universität abgewen- 
det. Noch konnte — um die Ausdrucksweise des Professors Jungermann zu 
gebrauchen — „das Schifflein der Musen von sanfter Brise getrieben dahin 
segeln" 17 . Die Tätigkeit der Universität ging lebhaft weiter 

„inter et excubias et circumstantia pila"". 
Doch man sah trübe in die Zukunft. Schon verließen Studenten in beträcht- 
licher Zahl die Stadt, um sich in Sicherheit zu bringen, so daß manche Kol- 
legien aus Mangel an Teilnehmern nicht zustande kamen 1 *. 



15 Vgl. für diese Vorgänge: Theatrum Europaeum I (1635), 609 ff.; Khevenhil- 
ler, Annales Ferdin. IX, Sp. 1454 ff.; Matthaci in seiner Ausgabe der Wetterfelder Chro- 
nik (1882), 172 ff. ; K. Frhr. v. Reitzenstein, Feldzug des J. 1622 am Oberrhein usw. I 
(1891), 88 ff. 

1G Als Christian im folgenden Jahre heranrückte, schrieb Schrautenbach am 2. Juni 
an ihn: Er wolle sich nicht ins Kriegswesen einmischen; „derohalben e. f. g. Soldaten, 
welche diß orts ichtwas zueschaffen, gleichwie verschienen jahrs, da e. f. g. nahent hiebei 
im Buseckerthal quartirt, auch von mir besehenen, auf vorzeigen e. f. g. paßzettel noch- 
mahls auß und einpassiren zu lassen, ihnen auch allen guten willen zu erweisen ich uhr- 
pietig und willig . . ." (Abschr. StAD, Kriegsw. 1, 27). Hiermit dürfte Reitzensteins 
Behauptung (S. 90), Christian habe sich Gießens bemächtigt, ihre Widerlegung finden. 

17 Lib. decan. med. I (UAG), Bl. 53 : „Inter Scyllam et Charybdin Palatinorum 
motuum quorum turbo etiam harum regionum tranquillitatem inquietat, academiae nostrae 
carbasa quasi caelitus submissa pacis aura hueusque direeta et subveeta fuerunt". 

18 Ebd. 

19 Am 10. Febr. 1622 erbittet Prof. med. Horst seinen Abschied „in fernerer be- 











Eo inMrhdr \fe)M 






Johann Winckelmann 
Professor der Theologie 





Die Unive 



t Gießen bis zu ihrer Suspension 



Bald nahte denn auch die Gefahr von neuem. Christian, der den Winter 
dazu benutzt hatte, durch Werbungen seine Macht zu verstärken, machte 
im Mai 1622 einen neuen Zug nach Süden, um dem Pfalzgrafen die Hand 
zu reichen. Ein großer Schrecken ging vor ihm her, teils auf übertriebenen 
Vorstellungen von der Stärke seines Heeres beruhend, teils verursacht durch 
die von dem Heere verübten Grausamkeiten 20 . Diesmal hatte Landgraf Lud- 
wig wenigstens Gießen und Umgebung durch geworbenes Fußvolk und Rei- 
ter zu decken gesucht. Freilich glaubte man nicht, daß der Herzog darm- 
städtisches Gebiet berühren werde, sondern daß er durch fuldisches Land den 
Main gewinnen wolle. Um so mehr erschrak man, als Christian plötz- 
lich (30. Mai) in den Ämtern Alsfeld und Grebenau erschien, in maßloser 
Weise plünderte, brandschatzte und seiner wilden Soldateska die gröbsten 
Ausschreitungen gestattete". Nun glaubte man sich auch in Gießen be- 
droht und traf schleunigst Maßregeln zur Verteidigung. Vom Landgrafen 
hatte man hierbei keine Hülfe zu erwarten, denn dieser war wenige Tage zu- 
vor von den Pfälzern in seiner Residenz überfallen und auf der Flucht j 
fangen worden". Wo es sich um die Verteidigung der Musenstadt handelte, 
wollte auch die Universität nicht zurückstehen. Schon am 27. Mai hatte sie 
„in salutem patriae zu erhaltung der Soldaten" monatlich 100 Gulden bewil- 
ligt sa , und auf des greisen Rektors Winckelmann Veranlassung bildete der 
noch gebliebene Rest der Studentenschaft ein Fähnlein, das bei der Vertei- 
digung der Festung helfen sollte. Eine Fahne aus grünem und gelbem Taf- 
fet wurde hergestellt, auf der mit goldenen Buchstaben zu lesen war: 
„Literis et armis ad utrumque parati"". 




trachtung, das hziger zeit bey e. f. g. academien wegen abzugs der studiosorum nichts 
zu thun .... Mit der universitet ist in etlichen jähren (Gott der allmechtige gebe den 
lieben friede, wann er wolle) kein hofnung, innerhalb etlichen woclien wird nichts von 
studenlen alhier sein" (StAD, Univ. 5). Auch das Collegium Oratorium konnte nicht er- 
öffnet werden, weil die Studenten geflohen waren (Visit. -Abs eh. v. 19. Aug. 1622, StAD, 
Univ. 6). 

*° Vgl. die Nachrichten über die panikartige Flucht der Umwohner nach Frank- 
furt im Theatr. Eur. I {1635), 721, 723. 

11 Nach der von Röschen in den Quartal blättern des Hist. Vereins f. Hessen 1893 
(N. F. I, 352 ff-) mitgeteilten amtlichen Aufnahme des Schadens verlor Oberhessen beim 
Durchmarsch des Halberstädters über eine Million Gulden Wert. Vgl. auch Matthaei, 
Wetterfelder Chronik, I76ff. Herdenius an Dieterich, Cgm. 1258, Bl. 3ioff. 

** Vgl. Rommel VI, 205. — » Senatsbeschluß vom 27. Mai, StAD, Univ. 5. 

s * Die Einzelheiten dieses rühmlichen und gern erwähnten Vorganges sind noch 
nicht ganz aufgehellt; wir sind im wesentlichen auf die Notizen angewiesen, die das 
Giesser Wochenblatt 1771, 107, u. Giess. Intelligenzblatt 1795, 118, bieten. Nach Nebels 
Vorgang (in Justis Vorzeit [828, I46f.) haben alle Historiker (z. B. Rommel VI, 199; 
Opel, Niedersächs, Krieg I [1872], 296) das Ereignis in das Jahr 162! verlegt und mit dem 
ersten Zug Christians nach Hessen in Beziehung gesetzt. Er gehört aber, wie die Quellen 
melden, in Winckelmanns Rektorat, das erst am 1. Jan. 1622 begann. Auch sind die 
Kosten für die Herstellung der Fahne erst in der Universitälsrechnung für 1622 zu fin- 
den („8 fl. 24 dem mahler, welcher die Studenten fahn gemahlel ; 47 fl. 6 alb. Reinhardt 
Dir L'nixuiiii Gießen ron 1607 bii iforj. 1. t 



J 



82 Zweiter Abschnitt. 

Vielleicht dachte man in Universitätskreisen durch den Geldbeitrag und 
persönlichen Militärdienst der Universitär verwandten einem Übel vorbeugen 
zu können: der Einquartierung fremder Söldner in der Stadt Aber man 
hat dieses Übel nicht abgewandt. Zur Deckung der Landesfeste zog der 
Kommandant von Schrautenbach die in der Umgegend im Quartier liegenden 
Soldaten nach Gießen zusammen; wir hören von 300 Reitern und dem zu- 
gehörigen Troß. Schrautenbach, der — wie wir sehen werden — mit der 
Universität in fortwährendem Unfrieden lebte, benutzte die Gelegenheit, den 
Professoren einen Streich zu spielen, und wies den Reitern auch die Profes- 
sorenhäuser als Quartier an. Nun waren aber die Glieder der Hochschule 
von allen Lasten, die den Bürgern zukamen, gesetzlich befreit, und das Cor- 
pus academicum sah in dieser Einlagerung eine grobe Mißachtung seiner 
Rechte. Dazu kam das rücksichtslose Verfahren der Reiter. Wir hören, daß 
sie sich in Abwesenheit der Hausherren in die Häuser eindrängten, Türen 
erbrachen, das Vieh aus den Ställen trieben, um ihre Pferde unterzubringen, 
und die bei den Professoren wohnenden Studenten hinausjagten, um sich 
deren Wohnungen anzueignen. Vielen Studenten blieb, da sie obdachlos 
waren, nichts übrig, als nach Marburg auszuwandern. Wenn die Be- 
schwerde der Professoren auf Wahrheit beruht, hat die Mißgunst des Kom- 
mandanten sie allerdings stark benachteiligt, indem ihnen zugemutet wurde, 
mehr von der Einquartierung zu verpflegen, als die Bürgerschaft, nämlich 
einzelne 2 bis 4 Pferde, 5 bis 7 und mehr Personen „mit huren und hun- 
den". Die Einquartierung dauerte drei Wochen 16 und war diesmal unnötig, 
da der „tolle Herzog", ohne Gießen anzugreifen, den Weg nach dem Main 
nahm, wo er (bei Höchst) geschlagen wurde. 

Bieraw vor dafft und seiden zur Studenten fahn; i fl 18 alb. dem Schneider, so die Stu- 
denten fahn gemacht" UAG). Der Wahlspruch, den man auf die Fahne schrieb, war da- 
mals zeitgemäß und in Gießen gern angewendet; auch scherzhaft, wie folgende Gießener 
Brief stelle von 1616 zeigt (Cgm. 1257, Bl. 101): „D. Lautenbachs [Prof. med. in Gießen 
1606 — 1614] vidua hat . . . sponsalia celebriret mit dem dorffeapitan . . . Studiosi nostri 
dieunt: illam cogitasse tritum illud et vetus «Literis et armis», i. e. nach einem doc- 
tor einen Soldaten". Vgl. auch Schupp, Hauptmann zu Capernaum (Lehrr. Schriften, 
Ausg. v. 1719, II, 214): „Wann nun einer ad utrumque paratus ist und sich sowol mit 
der Feder als mit dem Degen recommendiren kan . . . ." Die Fahne wurde später in 
der Universitätsbibliothek aufbewahrt, nach Vorschrift der Marburger Statuten von 1629, 
tit. 76. 

,5 Univ. an Regierung, Juni 18, StAD, Univ. 5; Memorial Aug. 16, PhiL Wolf 
Sinold gnt. Schütz an Regierung, Aug. 19, StAD, Univ. 6. — Das mehrerwähnte Dekanats- 
buch der Mediziner schreibt über dieses verhängnisvolle Jahr: „Hoc anno propter motus 
bcllicos, quibus tota fere tremebat Germania finitimaeque regiones ac provinciae, ob quos 
etiam civitas nostra in metum et arma propter obsidionem ab hostibus minitatam irrue- 
bat, non leviter et nostra academia commota, territa ac turbata fuit, adeo ut loca tutiora 
quacrentes plurimi, inter quos etiam nostri diseipuli et auditores [sc. die Studiosi medici- 
nae], academiam nostram deseruerint. Hinc factum, ut propter auditorum nostrorum 
sterilitatem exercitia extraordinaria aliquantum deferbuerint, servatis interim consuetis 
et ordinariis". Ähnlich zu 1623 und 1624. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 



8* 



Von dieser Zerstreuung der Studenten durch den Zwang des Krieges 
hat sich die Hochschule in den zwei Jahren bis zu ihrer Aufhebung nicht 
mehr erholt. Umsonst forderte eine Visitationskommission die Professoren 
auf, daß jeder an seinem Teil „de restauranda et repurganda schola dissipata" 




tätig sein möge 26 ; die eiserne Zeit ließ ein Wiederatifblühen der Studien in 
Gießen nicht mehr zu. Ein charakteristisches Stammbuchblatt möge am 
Schlüsse dieses Überblickes über die äußere Universitätsgeschichte dieser Pe- 
riode noch mitgeteilt werden, ein Bild, das aus den Tagen stammt, in denen 



s Visitationsabschied v. 19. Aug. 1622, StAD, Univ. 6. 



84 Zweiter Abschnitt. 

die wehrhaften Musensöhne für ihre Stadt unter die Waffen traten« 7 . Der 
halb zum Landsknecht gewordene Student weist auf die Tatsache hin, daß 
schon damals viele Studenten der Werbetrommel folgten. Vielleicht haben 
sich auch Gießener Burschen, die von der Einquartierung auf die Straße 
geworfen waren, oder denen das frische Kriegsleben mehr zusagte als die ge- 
lehrten Übungen der Hochschule, den Fahnen des Herzogs Christian ange- 
schlossen. Wenigstens schreibt der Echzeller Pfarrer Herdenius in seinem aus- 
führlichen Brief über die Plünderung seines Ortes durch Christians Truppen, 
wo er von der Ausräumung seines Studierzimmers spricht: „Es seint viel studiosi 
und Heßen landsleut darunder gewesen, die den büchern ser gefahr gewesen" 28 . 
Wir wollen nunmehr nach dieser Betrachtung der äußeren Schicksale 
ein Bild von dem inneren Leben der Universität in ihrer ersten Zeit zu ge- 
winnen suchen, von ihren Bestrebungen, ihrer Organisation, dem Treiben 
der Lehrenden und der Lernenden, von Arbeit und Festen, Frieden und Un- 
frieden innerhalb des gelehrten Gemeinwesens. 

II. 

Zwei Grundgedanken sind es, die bei der Stiftung der hohen Schule zu 
Gießen bestimmend waren und in der ersten Periode ihres Bestehens immer 
wieder zutage traten. 

Einmal die Opposition und Offensive gegen Marburg. Man war 
sich wohl bewußt, daß unter den damals herrschenden Verhältnissen eine 
Versöhnung der Hochschulen zu Marburg und Gießen ganz außerhalb des 
Bereichs der Möglichkeit lag, und man handelte demgemäß. Für Marburg 
und seinen Landgrafen war die Gießener Gründung eine „Nebenschule", zu 
„unziemlicher Ämulation" der Landesuniversität auf drei Meilen Entfernung 
angelegt und mit Gütern dotiert, die der Marburger Hochschule unrechtmäßig 
entwendet waren. In Gießen verfocht man die Anschauung des Darmstädter 
Landgrafen, daß Marburg nicht mehr als Universität anzusehen, Gießen die 
stiftungsgemäße Fortsetzung der alten Marburger Hochschule und deswegen 
berechtigt sei, die auf Marburg gestifteten Klostergüter an sich zu ziehen. 

Der religiöse Gegensatz beider Hochschulen steht hiermit im Zusammen- 
hang. Er deckt sich mit dem gerade in jenem Vierteljahrhundert vor dem 
großen Kriege herrschenden Kampfeszustand zwischen der lutherischen und 
der reformierten Theologie und findet seine scharfe Ausprägung in der Be- 
tonung der „unveränderten" Augsburger Konfession, zu deren Ausbreitung 
Hessens Landeshochschule gestiftet sei und wider die nichts gelehrt werden 
dürfe». Der Kampf mit den „Calvinisten", namentlich in Marburg, erfordert 

27 Großh. Bibliothek Weimar, Stammbuch No. 122, Bl. 131. Vgl. die Erwähnung 
bei Keil, Die deutschen Stammbücher (1893), 137. 

M Cgm. 1258, Bl. 311. — Zum Militärdienst der Studenten gibt auch die Äußerung 
des Gießener Professors Steuber von 1620 einen Beitrag: „Wir haben auch hier zwey 
fähnlein ligen, darunder zween Studenten, Pommerische von adel, fenderich sind* 4 
(Cgm. 1259, Bl. 263). 

* 9 Vgl. Wasserschieben, 9 u. 11. Die Bestimmung, wonach gegen die lutherischen 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1634. 

daher eine ununterbrochene Tätigkeit der theologischen Fakultät. Bezeich- 
nend genug motiviert der Theologieprofessor Fckhard 1610 sein Entlas- 
sungsgesuch an den Landgrafen unter anderem damit, man müsse als Pro- 
fessor der Theologie in Gießen so viele Streitschriften lesen, daß seine 
schwachen Augen diesem Berufe nicht gewachsen seien 50 . Da nur lu- 
therische Professoren in Gießen lehren durften, so erstreckte sich der Kon- 
fessionsgegensatz auch auf die übrigen Fakultäten, namentlich die philoso- 
phische, und hat gelegentlich auch Einfluß auf die Auswahl von Buch- 
druckern und Buchbindern". Hierzu tritt, nicht ohne Beeinflussung von- 
seiten der politischen Stellungnahme beider hessischer Linien, der Gegen- 
satz der Juristen von Marburg und Gießen in der Beurteilung der recht- 
lichen Stellung des Kaisers im Reiche: der Gießener Professor Antonii sieht 
den Kaiser als den Monarchen des Reiches an, der über den Gesetzen stehe, 
und diese Anschauungen haben auch den kurze Zeit in Gießen lehrenden 
Reinkingk beeinflußt; Vultejus in Marburg verfocht mit guten Gründen eine 
völlig entgegengesetzte Ansicht". Mit der vom heutigen Standpunkt histo- 
rischer Betrachtung aus ungerechtfertigten Überschätzung der kaiserlichen Auto- 
rität und mit der engen Verbindung des Landesherrn mit dem Kaiser hängt es 
dann zusammen, daß die Gießener theologische Fakultät in der böhmischen 
Frage durchaus auf die Seite des Kaisers tritt". Und bezeichnenderweise 
wurde nach dem Abschluß des Mainzer Vertrags {1621), der die Union auf- 
löste 34 , im großen Auditorium des Gießener Kollegiengcbäudes vom Rek- 
tor Liebenthal auf Befehl des Landgrafen eine Danksagungsoration „wegen 
so weit erhaltenem und gemachetem frieden" gehalten, und dazu wurden 
die Geschütze auf den Wällen gelöst«. 

Symbole nichts gelehrt werden darf, wurde noch am 24. Nov. 1605 von Winckelmann und 
Mentzer dem Statutenentwurf beigefügt (Beratung mit W. u. M., StAD, Univ. 2). — S. 
auch Heppe, Kirchengcsch. II, 57. — ä0 Vom 19- Jan. 1610, Or. StAD, Univ. 1. 

31 Prof. Eglin in Marburg scheut sich, dem Drucker Egenolph, weil „plus justo 
Lutheranizans", einen Druckauftrag zu geben (Brief an Goldast v. 4. Juli töio: Virorum 
clarorum ad M. Goldastum epistolae [1688], 408); nach dem Sieg des Luthertums in 
Marburg 1624 soll ein Buchbinder, dem die Calvinisten sehr feind sind, aus diesem 
Grunde Universitatsbuchbinder werden (Mentzer an Landgraf Ludwig, 1624 Sept. 28, 
StAD, Univ. 7). 

» Vgl. Seuffert, Gothofredus Antonü (Gieß. Festrede 1881), S f f . — An diesen 
Streit knüpft die heftige Verfeindung Antoniis mit seinem Kollegen Nebelkrä an, die da- 
von ausging, daß Nebelkrä seinen ehemaligen Lehrer Vultejus in einer Promotionsrede 
sehr gelobt hatte (Akten UAG, Personal unter Nebelkrä). 

a * Vgl. Schröders Brief an Dieterich, Cgm. 1259, BI. 179; ferner die theol. Be- 
denken, Cgm. 1256, Bl. 617 — 620, und die Bemerkung des Prof. Gisenius (Cgm. 1258, 
BI. 187): „De Bohemorum bello saepius collocuti sumus Giessae, Nondum videre po- 
tuimus, ipsos habere justam bellandi causam, praesertim cum prineipium nobiscum ex- 
pendamus." 

** Hauptsächlich durch Landgraf Ludwigs Bemühungen, vgl. Gtndely, Dreißigjahr. 
Krieg IV (t88o), 139—149. — M Univ. an Landgraf Ludwig, 1621 Apr. 13 (StAD, Univ. 5); 
Steuber an Dieterich, Apr. 10, Cgm. 1259, 268. 




86 Zweiter Abscbnitt. 

Dies alles charakterisiert die Stellung der Universität gegen Calvinisten 
und Unionsbestrebungen und damit gegen die Universität Marburg und Hes- 
sen-Kassel. 

Auch persönlicher Haß zwischen den Professoren beider Hochschulen 
mußte hinzutreten ; dies wird begreiflich, wenn wir berücksichtigen, daß Vul- 
tejus und Antonii, ehemals Kollegen in Marburg, jetzt in scharfer Fehde ste- 
hen, daß Helwig und Finek gelegentlich gegen ihren Marburger Lehrer Ooc- 
lenius die Feder fähren * 

Und der auf beiden Hochschulen angesammelte Haß und Widerwille 
wurde dadurch stets vermehrt, daß man die Konkurrenz spürte. Schon die 
Begründung der Gießener Schule hatte, indem sie der Marburger tüchtige 
Lehrkräfte und eine beträchtliche Zahl Studenten entführte, eine Schwächung 
der letzteren nach sich gezogen. Der Maßregeln, die Landgraf Moritz er- 
griff, um seine Landeskinder vom Besuch Gießens abzuhalten, ist bereits ge- 
dacht. Mit Eifersucht sahen die beiden Nachbaruniversitäten aufeinander. 
Gießen hatte bald, was die Frequenzziffer betrifft, Marburg überholt, wenn 
auch die Zahl nicht erreicht wurde, die Marburg vor Landgraf Moritzens Re- 
form gehabt hatte **. In Marburg soll 1608 ausgesprengt worden sein, in 
Gießen seien an der Pest in wenig Wochen bei hundert Studenten gestorben ; 
man suchte so die Ankömmlinge von Gießen abzuhalten Mb . Die Nachrich- 
ten, daß sich die Marburger Frequenz durch die Pest in Gießen 1613 ge- 
hoben habe 87 , und daß die von der Einquartierung 1622 verdrängten Gieße- 
ner Studenten nach Marburg gezogen seien, wurden in Gießen besonders 
schmerzlich empfunden. Hier konnte man jedoch mit Freuden bemerken, daß 
die Juristenfakultät zu Gießen der Marburger in der Zahl der Gesuche um Rechts- 
gutachten Abbruch tat. Um dem Schaden wieder beizukommen, suchte man 
in Marburg die Ratsuchenden von Gießen abwendig zu machen und führte die 
numerische Schwäche der jungen Juristen fakultat dafür ins Feld» 8 ; auch 
wurde für das Gebiet von Hessen-Kassel die Konsultation der Gießener Ju- 



88 Nur die medizinische Fakultat scheint sich nicht an den Streitigkeiten beteiligt 
zu haben; wenigstens finden wir den Gießener Mediziner Horst in freundschaftlichem 
Briefwechsel über wissenschaftliche Gegenstände mit seinen Marburger Kollegen. Vgl 
die in Horsts Observationes medicinales (ed. nova 1628) gedruckten Briefe. 

88 a Eingabe der Gießener Pedellen Kühl und Scharf aus einem der ersten Jahre der 
Hochschule: „. . . . sicut hodie frequentia studiosorum nostrae academiae Dei benedic- 
tionc exuperat illam quae Marpurgi est, ita si quae aliquando ante statum reformationis 
erat, comparari cum hac nostra debeat, superabitur". (UAG, Adm. Stip., Korresp. Bd. I.) 
Prof. Hunnius spricht von einem so glänzenden Aufschwung Gießens „ut brevi tempore, 
qua praesentia studiosorum qua celebritate professorum cum Marpurgensi academia cer- 
tarit, doctrinae certe puritate et exercitiorum academicorum frequentia longe illam supe- 
rarit". Schädel, Beitr. z. Gesch. d. Gymn. zu Gießen (1905), 31 (nach Rambach). 

86 b Rambachs Notizen bei Schädel, 35. 

87 Mentzer an Landgraf Ludwig, 1613 Nov. 24, St AD, Univ. 5. 

88 Gießen wurde bald lebhaft konsultiert „von fürstlichen cantzleyen, reichs- und 
anderen Städten". Antonii an v. Buseck, 1607 Dez. 15, 1608 Jan. 4, Kzt StAD, Univ. 4. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspcnsio 



i Jahre 1624. 



«7 



risten verboten 38 . Die große Zahl der Gießener Studenten war für die Geg- 
ner nur die Folge der lockeren Disziplin dieser Hochschule* . 

Aus demselben Bestreben, Marburg zu verdrängen und zu ersetzen, ist 
auch die andere grundlegende Idee zu erklären, die bei der Gründung und 
in der Frühzeit der Gießener Hochschule wirksam ist, nämlich die der 
Nachahmung der Marburger Verfassung und Organisation. Man 
will es Marburg gleich tun, will beweisen, daß man in die Fußtapfen Phi- 
lipps des Großmütigen und seiner Söhne tritt, während Marburg seit 1604 vom 
rechten Wege abgewichen sei. So bildet das in Marburg vor der Veränderung 
geltende geschriebene und Gewohnheitsrecht die Grundlage der Gießener In- 
stitutionen. Landgraf Ludwig wußte wohl, warum er gegen die Ansicht seiner 
Gießener Regierungsräte" darauf bestand, daß bereits das Gymnasium zu 
Gießen die von Philipp der Marburger Universität verliehenen Freiheiten und 
Immunitäten erhalte, und warum er ausdrücklich für Gießen die Marburger 
Privilegien und Satzungen in Kraft setzte 43 : er wollte die Kontinuität, soweit das 
möglich war, erhalten. Hiermit stimmt die Handhabung der Marburger Statuten 
als subsidiäres Recht neben den Gießener Statuten, die Einführung der Mar- 
burger Stipendiatenordnung von 1560 für Gießen" und die häufige Berufung 
auf das „Marburger Herkommen" in Gießener Fragen während der nächsten 
beiden Jahrzehnte". Erleichtert wurde diese enge Anlehnung an Marburger Ein- 
richtungen und Zustände dadurch, daß die im Anfang ausschlaggebenden 
Persönlichkeiten unter den Professoren, Winckelmann, Mentzer, Antonii, Ni- 
gidius, selbst Professoren in Marburg gewesen waren, und auch andere, wie 
Helvicus und Finck, die Marburger Observanz genau kannten. 

In diesem Sinne kann man die Universität Gießen mit einem gleichzei- 
tigen Autor' 5 wohl als Ableger der Marburger Universität bezeichnen ; aber 
als einen Ableger, der dem mütterlichen Stamme den Boden streitig macht, 
auf dem er erwachsen ist. 

111. 

Wer die Zustände und die Organisation einer Universität kennen ler- 
nen will, wird zunächst nach den Statuten greifen. 

Die Gießener Hochschule hat in dem behandelten Zeitraum zweimal 
Satzungen erhalten. Beide Ausfertigungen sind im Original erhalten. Die 

ini 23, Kzt. 



*• Regierung zu Kassel an Rentschreiber u. Rat zu Milsungen, 1610 ]> 
StAD. — *° S. oben S. 78 Anm. 7. 

11 Gießener Regierung an Landgraf Ludwig, 1605 Nov. i, Or. StAD, 

*» Wasserschieben, 12, 13L — *> Vgl. MOGV X, 63, erster Absati. 

** Selbst in Fallen, wo die Gießener Bestimmungen ausgereicht hätten, 
zur Verstärkung der Beweiskraft die Marburger Ordnung heran, so 2. B. 
einem Schreiben an den Landgrafen vom 2;. Febr. 1617, wo er nachweist, 
lassung des ao, Prof. Feurborn zu den Senatssitiungen statutenwidrig sei 



Antonii in 
daß die Zu- 
(Or. StAD, 



Uni 



0- 



** Jo. Gualterius Belga, Chronicon chronicc 
etsi tradux videri queat lycaci Marpurgensis". 



T. IV, Francof. 1614, 1285: 



88 Zweiter Abschnitt 

ältere Form, die „Privilegia et statuta gymnasio Qiesseno anno 1605 clemen- 
ter concessa", tragen das Datum 14. Oktober 1605 und bestehen aus dem 
deutschen Freiheitsbrief Landgraf Ludwigs und den lateinisch abgefaßten le- 
ges. Die jüngere Form ist auf den 12. Oktober 1607 datiert; diese „Privi- 
legia et leges ab illustrissimo .... Ludovico .... Academiae Oiessenae cle- 
menter concessa" beruhen allenthalben auf den erstgenannten und sind nur 
den veränderten Umständen gemäß umgearbeitet und vermehrt". 

Eine besondere Betrachtung verdient die Entstehung dieser beiden Fas- 
sungen. 

Als Landgraf Ludwig im August 1605 den Entschluß gefaßt hatte, eine 
eigene hohe Schule in Gießen zu gründen, arbeiteten in seinem Auftrage die 
Professoren Winckelmann und Mentzer einen Entwurf für Privilegien und 
Statuten der neuen Schule aus, der vorerst jedoch nur die theologische und 
die philosophische Fakultät speziell berücksichtigte, und schickten ihn schon 
am 2. September zur Begutachtung an den Oberamtmann von Buseck und 
den Superintendenten Angelus nach Darmstadt. Als Vorlage hatten den bei- 
den Theologen wohl die gewohnten Marburger Verhältnisse gedient; an eine 
schriftliche Quelle, die ihnen vorgelegen hätte, brauchen wir hierbei nicht zu 
denken. Bei der Durchsicht des Entwurfs durch den weltlichen und den 
geistlichen Berater des Fürsten wurden namentlich an den Privilegien, dem 
deutschen Teil des Ganzen, erhebliche Änderungen vorgenommen, die latei- 
nischen Schulgesetze jedoch blieben im wesentlichen unverändert. Auch das 
Gutachten der Gießener Regierungsräte, an deren Spitze der Kanzler 
Johann Strupp stand, wurde eingeholt, jedoch ohne daß man ihm be- 
sonderen Wert beigelegt hätte 47 . Unter diesen Vorberatungen war der Tag 
der Schuleröffnung bereits verstrichen, die Schule bestand also ohne Gesetze. 
Aber dieser Zustand konnte nicht dauern. Die Verfasser des Statutenentwurfs 
stellen denn auch bald dem Landgrafen vor, daß „etliche ohn zwang der 
legum und des carceris von sich selbst ihr ampt thun, etliche aber entweder 
privilegiorum suavitate darzu gereitzt oder aber legum und statutorum severi- 
tate gezwungen werden wollen"; offenbar war die zuchtlose Herde nicht 
ohne gesetzliche Handhabe zu leiten. Sie bitten deshalb, man möge ihnen 
die bestätigten Statuten zuschicken«. Landgraf Ludwig hatte gezögert, denn 
er beabsichtigte, in die Statuten noch Bestimmungen für die in der Bildung be- 
griffene juristische Fakultät einfügen zu lassen 49 . Da sich dies aber verzögerte, 



46 Die Fassung 1607 steht bei Wasserschieben, 9 — 24, der auch die Abweichungen der 
Fassung 1605 vermerkt, aber unzuverlässig. 

47 Akten StAD, Univ. 2. Die Gießener Regierung beanstandete die Unmittelbar- 
keit der Universität unter der Person des Landesherrn, die direkte Appellation an ihn 
vom Spruche des Rektors ohne Zwischeninstanz der Gießener Behörde. Man sieht wohl, 
warum. — 48 Winckelmann u. Mentzer an Landgraf Ludwig, 1605 Nov. 13, StAD, Univ. 2. 

49 Landgraf Ludwig an Rektor Winckelmann, 1605 Dez. 9: er befiehlt, der inzwi- 
schen eingetroffene Prof. jur. primarius Antonii solle mit dem Prof. institutionum Kitzel 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 89 

schloß man die Urkunde ab, und so kam es, daß die erste Fassung der Statuten 
nur über die theologische und philosophische Fakultät nähere Bestimmungen 
enthält. Aus welchem Grunde man die Urkunde gerade auf den 14. Okto- 
ber zurückdatierte — zwei Tage nach der feierlichen Schuleröffnung — , ist 
nicht recht verständlich; vielleicht wollte man die Nichtverlesung bei der Er- 
öffnung der Schule begründen, dabei aber die Tatsache verdecken, daß längere 
Zeit hindurch in der Schule überhaupt keine Gesetze bestanden hatten. — 
An der Jahreswende wurden nun die neuen Statuten durch den Notar 
des Gymnasiums öffentlich verlesen und damit publiziert 50 . 

Mit dem Hinzutreten der juristischen und der freilich anfangs nur aus 
einer Person bestehenden medizinischen Fakultät machte sich das Bedürf- 
nis geltend, die Statuten zu erweitern, und noch nötiger wurde es, ihre Fas- 
sung den veränderten Verhältnissen anzupassen, als das kaiserliche Univer- 
sitätsprivileg erwirkt war. Noch von Prag aus hatte der weitschauende Strupp 
seinem Fürsten den Rat gegeben, sich die Tübinger Statuten kommen zu lassen, 
„als in denen viel nützlicher Sachen verordnet", und hatte sich selbst an Dr. Aich- 
mann in Tübingen um ein Exemplar der dortigen 1602 gedruckten Statuten 
gewandt". Natürlich hatte man auch in Gießen die Notwendigkeit einer 
Umarbeitung erkannt und war mit dem noch in Marburg weilenden Profes- 
sor Nigidius, der als Syndikus der Marburger Universität genaue Kenntnis 
der dortigen Rechtsverhältnisse haben mußte, darüber in Meinungsaustausch 
getreten 52 . Doch wissen wir von weiteren Beratungen darüber nichts Als 
dann aber die Universität im August 1608 an die Regierung „Gravamina" ein- 
schickte, beklagte sie darin den Mangel an Statuten bezüglich der Medizinal- 
verhältnisse* 3 ; wenige Wochen später verlangte sie dann, jede Fakultät solle 
„etzliche gewisse leges" verfassen, zu ihrem und des ganzen Corpus acade- 
micum Bestem 5 «. Dabei blieb es, bis am 1. Februar 160Q der Landgraf 
selbst zur Übersendung der Statuten an ihn mahnte 65 und diese Mahnung am 
17. März wiederholte, mit dem Anfügen, man möge sich dabei nach den Mar- 
burger Statuten, soweit es angehe, richten 68 . Jetzt erst übersandte die Uni- 

,.in usum facultatis juridicae nottiirflige leges zu papier bringen" (Kzt. StAD, Univ. 2, 
wo alle diese Verhandlungen sich finden). 

5 Wir dürfen die Bekanntmachung des Kektors Winckelmann über die Vorlesung 
der leges durch den Notar Georg Buch „sub novi hujus anni ingressum" wohl an den 
Beginn des Jahres 1606 setzen. Undatiertes Kzt. -Bruchstück a. a. O. 

81 Strupp an Landgraf Ludwig, 1607 Juni 13, Juli 3 (Or. StAD, Marb. Succ. i=). 
Tübingen hatte 1601 neue Statuten erhallen. 

" Nigidius an Dieterich, 160; Juni 28 (Cgm. 1258, Bl. 747): „Ich hab euch vor 
8 tagen die begerle veneichnus, wie und in wz puneten die privilegia zu renoviren und 
zu verbessern, zugeschickt, auch selbige sobalt mir wider zuschicken begehrt". Vgl. 
auch Rambachs Notiz bei Schädel, 35. 

63 Präs. Aug. 29. StAD, Univ. 2. 

** Nebengravamina an v. Buseck u. Pistorius, Okt. 9, ebd. 

65 An die Universität, Or. StAD, Uoiv. 4. 

"> An dieselbe, StAD, Univ. 3. 



90 Zweiter Abschnitt. 

versität ihren Entwurf mit einem Begleitschreiben, das einige Abweichungen 
von den Marburger Satzungen rechtfertigte 57 . Diese Form ist uns nicht mehr 
erhalten. Die eingehende Durchberatung ergab noch mancherlei Verände- 
rungen, auch die Universität schlug mit Erfolg noch einige Umwandlungen 
vor. Neu scheint damals der Titel de officio medicorum eingefügt worden zu 
sein 58 , nachdem die Juristen wohl schon früher den von ihrer Fakultät han- 
delnden Abschnitt in den Entwurf gebracht hatten. Bald dauerte es der Uni- 
versität zu lange, bis die fürstliche Bestätigung erteilt wurde: im August 
und wieder am 5. Oktober erlaubte sie sich, den Landgrafen zu mahnen 5 *. 
Aber dies war umsonst, und nun ließ sie die Sache liegen. 

Erst 1614 bei der Prüfung der jährlichen Universitätsrechnung kam die 
Ergänzung der Statuten wieder zur Sprache; obgleich die Vernachlässigung 
der Angelegenheit auf Seiten der Regierung war, wurde der Universität der 
Auftrag zu teil, die früheren Privilegien sollten „ad statum academicum diri- 
giret" und „die gleich anfangs begrieffene statuta suppliret und verbessert 
werden" 60 . Als nun im Juli 1615 der Rektor Kitzel und der Prof. med. 
Horst als Deputierte der Universität wegen verschiedener Anliegen nach 
Darmstadt kamen, erhielten sie auf ihre erneute Bitte endlich die Zusage, 
daß die gewünschten Statuten „ehestens" ingrossiert und konfirmiert wer- 
den sollten 61 . Und in der Tat scheint die Ausfertigung jetzt erfolgt zu sein, 
denn wir erfahren nichts mehr von weiteren Mahnungen, und da die medi- 
zinische Fakultät Ende 1615 die Apotheker- und Chirurgengesetze, das heißt 
die gleichfalls auf 12. Oktober 1607 zurückdatierte Medizinalordnung, er- 
hielt 62 , so werden wir zu der Annahme berechtigt sein, daß damals — Ende 
1615 oder Anfang 1616 — auch die Universitätsstatuten, mit dem Datum 
12. Oktober 1607, der Hochschule zugegangen sind 65 . 

Das Ergebnis dieser Darlegung ist also, daß die sogenannten „Statuten 
von 1607" in Wirklichkeit zurückdatierte Statuten von 1615 sind, daß somit 
die Universität sich von 1607 bis 1615 mit den Statuten des Gymnasiums, 
in denen nur von zwei Fakultäten die Rede ist, beholfen hat. Von Wich- 
tigkeit ist dieses Ergebnis insofern, als die zweite Statutenfassung auch die 



67 1609 März 29, Abschr. ebd. 

58 Univ. an Landgraf Ludwig, 1609 Mai 6, ebd. 

M Gravamina v. Aug. 1609, ebd.; Univ. an Landgraf Ludwig, Okt. 5, StAD, Univ. 2. 

60 Nebeninstruktion für die Rechnungsabhörkommission, 1614 Apr. 30; Bericht der 
Kommissare, Mai 16, Or. UAG, Adm. Rechnungsabhör. 

61 Instruktion v. 30. Juli 161 5, Or. StAD, Univ. 3; Memorial ohne Datum StAD, 
Univ. 5; Entscheidung v. 6. Aug. UAG, a. a. O. 

62 Lib. decan. med. I (UAG), Bl. 46 zu 161 5: „Sub finem hujus anni leges et 
statuta pharmacopoeos, chirurgos et alios respicientia prineeps ill. sigillo manuque pro- 
pria confirmata transmisit". 

63 Die Universitätsrechnung von 1616 enthält eine Zahlung an den Darmstädter 
Registrator für Ausfertigung der Privilegien. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1614. 

Erfahrungen der Zeit nach 1607 bis 1614 noch berücksichtigen konnte 6 *, was 
besonders für die Disziplinarstatuten in Betracht kommt. 

Auch bei dieser Fassung hat man übrigens, wie es ja auch der Land- 
graf befohlen hatte, sich an das Marburger Vorbild gehalten. Was die von 
Strupp empfohlenen Tübinger Statuten betrifft, so scheint mir ihre wört- 
liche Benutzung nur an einer Stelle vorzuliegen, wo unzweifelhafte Recht- 
gläubigkeit von jedem gefordert wird, der in der Universität ein Amt be- 
kleiden will. Doch ist es wahrscheinlich, daß an mehreren Stellen das Tübin- 
ger Muster bei der Abfassung vorgeschwebt hat". 

Im Laufe der Jahre haben sich auch die Fakultäten eigene Satzungen 
ausgearbeitet. Auch diese mehr ins Spezielle und Interne gehenden Ord- 
nungen sollten nach dem Willen der Regierung vom Landgrafen ratifi- 
ziert sein. In diesem Sinne sollte die im April 1619 zur Visitation und 
Rechnungsprüfung von Darmstadt nach Gießen entsandte Kommission an- 
fragen, „ob alle facultäten gewiese artieul bedacht, danach sie sich negst den 
statutis academicis reguliren, und do deren vhorhanden, derselben edition er- 
fordern, oder aber ob noch keine verfast, von den decanis und professoribus 
einer yeden facultät vernehmen, ob sie in den facultäten in iren sonderbaren 
Verrichtungen ohne artieul whol vortkommen köhnnen, also es dabey las- 
sen, inmassen ohne das die statuta academica an sich selbst genugksamb". 
Nötigenfalls solle jede Fakultät einen Statutenentwurf verfassen und „ad rati- 
ficandum" einschicken aa . Bei den Visitationsverhandlungen sprachen sich be- 
sonders die Juristen dahin aus, daß Fakultätsstatuten nötig seien; sie seien 
auch längst aufgesetzt, aber beim Vizekanzler Antonü, der im Jahre vorher 
gestorben war, liegen geblieben. Es wurde also beschlossen, Satzungen her- 
zustellen; die Professoren sollten sie binnen Monatsfrist einsenden 67 . Zwar 
scheint das zunächst unterblieben zu sein", aber da wir in einem Inventar der 
Universitätsurkunden von 1624 die Angabe finden: „Newe statuta academica 
in ao. 1620 gegeben", so dürfen wir hierin vielleicht die Fakultätsstatuten ver- 
muten 63 , zumal ein späteres Inventar (von 1642) „Herrn 1. Ludwigen z. Hes- 




M So ist ein 1609 gefaßter Beschluß (gedr. Joh. Georgii reg. 
tuten aufgenommen (Wasserschieben, 23). 
85 Wörtlicher Anklang : 
Stat. Giss. (Wasserschieben, r6). 
„nullusque de cujus sincera confess 



, 62) i 



justis de 

aut eligetu 
Der Zusat: 



i dubitetur, ullo tempore ad 
t aliud officium admittetur 



Stat. Tub. (Druck 1602, 8). 
,.nullus igitur ullo tempore de cujus syn- 
cera religione dubiietur, ad professiouem aut 
aliud officium eligitor". 



justis de causis" ist auf Antrag der Universität dem ursprünglichen Entwurf 
. Universitätsbericht vom 6. Mai 1609, StAD, Univ. 3. 

** Instruktion für die Kommission, 1619 April 22, StAD, Univ. 6. 

flT Visitationsakten von 1619, ebd. 

" 8 Eine, wie es scheint, auf die Visitation von 1619 bezügliche „Resolutio illustris- 

bemerkt hierzu : „zue fragen, worumb solches vcrplieben". Ebd. 

w Inventar vom 26-/17. Mai 1624, ebd. 



92 Zweiter Abschnitt. 

sen Ordnung die Juristen facultät zu Giessen betr., datirt den 17. 8br. 1620" 
anführt 70 . Spuren von philosophischen Fakultätsstatuten finden sich in einer 
abgeleiteten Universitätsgesetzgebung 71 . Im übrigen aber sind alle Fakultäts- 
statuten jener Periode für uns verloren, außer denen der Mediziner. 

Die „Leges et statuta collegii medici in illustri Academia Giessena" sind 
uns in dem Dekanatsbuch der medizinischen Fakultät erhalten". Sie müs- 
sen in der ersten Zeit der medizinischen Fakultät entstanden sein, zwar noch 
nicht zur Zeit des ersten medizinischen Professors Münster (f 1606), wohl 
aber bald nach seinem Tode, vermutlich 1607 oder 1608; denn nach dem 
Dekanatsbuch wurde im November 1608 bereits ein cand. med. „secundum 
statutorum tenorem" geprüft. Sie sind in Geltung geblieben bis zur Auf- 
hebung der Universität; wenigstens trägt die Fassung im Dekanatsbuch die 
Unterschriften aller medizinischen Professoren der ersten Periode, mit Aus- 
nahme des ersten, des erwähnten Münster. Ich glaube, daß wir in den Pro- 
fessoren Lautenbach und Horst die Verfasser sehen dürfen. Mit dem Titel 
„De officio medicorum" in den Universitätsstatuten von 1615 (1607) 7 * haben 
die viel ausführlicheren Fakultätsstatuten verschiedene wörtliche Berüh- 
rungen. — 

Was schließlich die Stipendiaten Ordnung für Gießen betrifft, so hielt 
man sich hier an die von Landgraf Philipp für Marburg erlassenen ausführ- 
lichen Satzungen und begnügte sich mit wenigen ergänzenden Bestimmungen 74 . 

IV. 

Nach den Statuten bildet in Gießen das „Corpus academicum" — wie 
in allen Hochschulstädten der Zeit — eine geschlossene politische Korpora- 
tion, deren Glieder gewisse Rechte genießen. Wir haben zunächst zu fra- 
gen: Wer gehörte zu dieser Korporation? 

In erster Linie umschloß das „Corpus academicum" alle an der Univer- 
sität Lehrenden und Lernenden ; sodann aber auch deren Frauen, Kinder und 
Gesinde, ihre Witwen, solange sie sich nicht wieder verheirateten; schließ- 
lich „alle der Universität angehörige glieder" 75 . Der letztere Begriff muß 
noch näher umschrieben werden. Er umfaßt nach den Statuten einen No- 
tar, Apotheker, Buchdrucker und Buchbinder 76 , die sich, wie es scheint, der 
Universität eidlich verbinden mußten 77 . Einen Apotheker bekam Gießen 
überhaupt erst durch die Hochschule; vorher hatten die Gießener Einwoh- 



7 ° UAG. 

71 Im Entwurf der Marburger Statuten von 1629 (St AD, Univ. 11) findet sich für 
eingehende auf die philosophische Fakultät bezügliche Bestimmungen eine Gießener Quelle 
zitiert (z. B. Bl. 70: „ex libro decanatus philos. Giss."). 

72 Lib. decan. med. I, Bl. 7 — 23. Sie sind noch nicht gedruckt, 
w Bei Wasserschieben, 19. — 7 < MOGV X, 63. 

75 Wasserschieben, 12. — 76 Ebd., 13. 

77 Winckelmann an v. Buseck, 1606 Apr. 18, St AD, Univ. 2. Eidformeln, StAD, 
Kirchengesch. 11. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspenso 






9i 



ner „außer landes", in Wetzlar, Friedberg oder Marburg, ihre Arzneien holen 
müssen' 8 . Auch ihren ersten Buchdrucker verdankt die Stadt der Hoch- 
schule, es ist der „scholae (später acaderniae) typographus" Nicolaus Hampe- 
üus; ihm folgte beim Aufblühen der Hochschule bald ein Konkurrent, Kaspar 
Chemltn, der aber nur auf Fürbitte der Universität und mit fürstlicher Ge- 
nehmigung in das Corpus aufgenommen wurde; die Aufnahme geschah 1611 
durch Immatrikulation 39 . Dem damals ebenfalls immatrikulierten Buchhänd- 
ler Philipp Franck dagegen wurde nur von drei zu drei Jahren die Aufnahme 
zugestanden 80 , jedenfalls weil man neben den auch Buchhandel treibenden 
Druckern seiner nicht auf die Dauer zu bedürfen glaubte. Die Druckerge- 
sellen dagegen gehörten dem akademischen Körper an". Auch die Fecht- 
meister und Tanzlehrer wurden wohl hinzugerechnet 95 , ferner neben den Pe- 
dellen wohl die Rechnungsbeamten, Oeconomus und Vogt. Sodann verdie- 
nen die „Studentenjungen" besondere Erwähnung, die den wohlhabenderen 
Studenten als Diener (famuli) aufwarteten und zum Teil selbst Schüler des Pä- 
dagogs gewesen zu sein scheinen. Von ihnen waren manche immatrikuliert, 
aber auch die übrigen machten Anspruch auf Zugehörigkeit zum Corpus, 
nicht ohne Widerspruch der akademischen Behörden 83 . Die privilegierte 
Stellung der Universitätsange hörigen veranlaßte manchen, nach Eingliede- 
rung in das Corpus zu streben, aber die Universität stellt dem Andrang un- 
gelehrier Leute Schwierigkeiten entgegen. Dagegen scheint man anderer- 
seits theoretisch alle studierten Leute als Glieder der Universität in An- 
spruch genommen zu haben. Eine Ausnahme machten hiervon nur die Mit- 
glieder der fürstlichen Regierung (Kanzlei) zu Gießen, die selbst ein privi- 
legiertes Corpus mit eigener Jurisdiktion bildete 81 , nicht aber die Geistlich- 
keit von Gießen 65 . Die Frage, ob Advokaten und Prokuratoren der Obrig- 
keit des Rektors unterworfen seien, wurde im Juni 1607 vom Landgrafen in 
bejahendem Sinne beantwortet 8 *. Dabei blieb es auch, obgleich die Stadt 

'• Gießener Regierung an Landgraf Ludwig, 1605 Nov. I, Or. StAD, Univ. 2. 
' 9 Univ. an Landgraf Ludwig, 161 1 Juli 5, Or. ebd. Kle*itz-Ebel, Matrikel der 
Univ. Gießen, 191. 

80 Klewitz-Ebcl, 191, wo es heißen muß: „es sey ihm anfangs zugesagt, daß er 
sub academia sein solte, ist aber reeipirt ad ratificationem s. f. g." Exrektor Frider 
an Landgraf Ludwig, t6tz Juni 39, Or. ebd., Akten von 1618 StAD, Univ. 5. 

81 Die Universität verhängte gegen einen solchen 1617 eine Karzerstrafe. Extr. 
protoc. reet. 1617, UAG. 

81 1608 wurden immatrikuliert: „Petrus Krampff Borussus Fechter allhier" und 
„Jacobus Krabbert Cimmerforstensis Thuring., Täntzer". Klewttz-Ebel, 170, 17a. 

« Vgl. MOGV XI, 65. 

** Auch für diese wurde die Frage der Zugehörigkeit zur Schule aufgeworfen : H. 
Gerlach an Strupp, 1605 Nov. 11, Or. StAD, Gesandtsch., polit. Nachr. 3. 

85 Eine Pfarrstelle war mit einer Professur vereinigt, und im Protokoll über die 
Universitätssuspension steht unter den Universitätsangehörigen der Diakonus Ph. Müller 
(StAD, Univ. 6). In geistlichen Sachen hatte natürlich die Universität für die Pfarrer 
keine obrigkeitliche Stellung. 

84 Gymnasium G. an Landgraf Ludwig, 1606 Dez. 29, Or. StAD, Univ. 2, Antwort 




, 



04 Zweiter Abschnitt. 

Gießen sich 1619 beschwerte, daß so viele Leute sich unberechtigt der Uni- 
versität unterstellten, und darauf hinwies, daß in Marburg die Prokuratoren, 
soweit sie nicht auf den Doktorgrad aspirieren, nicht dozieren und nicht stu- 
dieren, Bürgerrecht annehmen müßten«. 

Das Ergebnis war, daß eine stattliche Zahl von Familien sich der Vor- 
rechte des Corpus academicum rühmen konnte. So bestand das Corpus im 
Jahre 1623, also in der Zeit tiefen Niedergangs der Universität, noch — ab- 
gesehen von den Studenten — aus: 17 Professoren, 7 Witwen, 1 Lehrer der 
fremden Sprachen, 4 Pädagoglehrern, 1 Universitätsnotar und 14 sonstigen 
Personen nebst ihren Familien und Dienern 88 . 

Der damals sehr lebhafte Sinn für Repräsentation und glänzendes Auftreten 
nach außen ließ wohl keine Gelegenheit vorbei, den gelehrten Staat in allen sei- 
nen Gliedern den Draußenstehenden vor Augen zu führen. Abgesehen von 
den akademischen Festen, die stets im Beisein vieler Gäste gefeiert wurden, 
gaben dazu die Leichenbegängnisse der Professoren, ihrer Familienglieder, der 
Studenten 8 » und sonstigen notabeln Persönlichkeiten der Stadt Gelegenheit, 
ferner Hochzeiten usw.; denn die ganze „Gesellschaft" des damaligen Gie- 
ßen nahm an den Angelegenheiten des einzelnen teil wie an denen eines Fa- 
miliengliedes* . 

Da nun bei solchen Gelegenheiten Angehörige der verschiedenen 
„Corpora", der Universität und der fürstlichen Beamtenschaft nebeneinander 
teilnahmen, so erforderte die Etikette genaue Vorschriften über Vorrang 
und Vortritt, und zwar je nachdem, die Universität — bei den Festakten 
— „zu Hause" Gäste bei sich empfing, oder an einer öffentlichen Feier- 
lichkeit teilnahm. Solcher vom Landgrafen erlassenen Rang- und Prä- 
zedenzordnungen liegen aus unserer Periode zwei vor. Da sie uns am 
klarsten die Wertschätzung der Universität, ihrer Fakultäten und Glieder zei- 
gen, so ist es gerechtfertigt, einen Blick hinein zu tun. 

Tritt die Universität außerhalb ihres eigenen Bereiches mit anderen Herr- 
schaften zusammen auf, so ist in der Ordnung von 1609 91 die Reihenfolge der- 



v. 1607 Jan. 3, Or. St AD, Univ. 4. Die Schule berief sich auf den Marburger Brauch, 
wonach Advokaten, Prokuratoren (wie sonstige graduierte Personen) „außerhalb des of- 
ficii procuratorii, welches dann in s. f. g. cantzley gehörig, und sofern sie keine bürger- 
liche händel und commercia treiben* 4 , zur Universität gehören. 

87 Stadt Gießen an Visitationskommission, 1619 präs. Mai 11, Or. StAD, Univ. 6. 
Auch die Buchdruckergesellen, „so beweibet und eigen rauch haben", wurden als Bür- 
ger beansprucht. 

88 Bericht Rektor Winckelmanns v. 23. März 1622, Or. StAD, Univ. 5. 

89 Ein solches beschreibt Steuber, Cgm. 1259, Bl. 236 f. 

90 Mit Recht spricht Rommel (VI, 148, Anm. 93) von einer „ganz patriarchalischen 
Confraternität der akademischen Familien, in der sogar jeder Tod der Professoren-Töchter 
durch öffentlichen Anschlag betrauert wird". 

91 Univ.-Bibl. Gießen, Hdschr. 1024a, No. 1 19, mit Datum 29. Aug.; Abdruck der 
Ordnung für akademische Akte mit Datum 26. Aug. in der „Kurtzen Species facti mit recht- 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspensio 



| Jahre 1614. 



art getroffen, daß im wesentlichen die bürgerlichen Universitätsglieder nach allen 
adligen Anwesenden rangieren. Den Vortritt hat der fürstliche Statthalter, 
ihm folgt der Rektor, wenn er ein Fürst ist — was 160Q der Fall war — , 
dann die Studenten fürstlichen, gräflichen und freiherrlichen Standes. Erst jetzt 
kommen die Teilnehmer von bloßem Ritterstande: der Landkomtur des deut- 
schen Ordens von Marburg, Erbmarschall, Hofrichter, Obervorsteher 9 '. Nun 
folgen: der Rektor, wenn er kein Fürst ist, andernfalls der Prorektor; der 
Kanzler (der Gießener Regierung); Komtur des deutschen Ordens zu Schif- 
fenberg; der akademische Vizekanzler; im Wechsel je ein bürgerlicher Rat 
und ein Professor der Theologie — an ihrer Spitze der Superintendent; zum 
Schlüsse die Professoren der Rechte, der Medizin und der Philosophie. 

Anders bei den akademischen Akten. Hier folgt der bürgerliche Rek- 
tor beziehungsweise Prorektor sofort auf die fürstlichen Studenten, steht also 
vor den gräflichen; dem ersten bürgerlichen Rat folgt die ganze Theologen- 
fakultät. Erst die juristische Fakultät wird, indem man ihre Glieder mit fürst- 
lichen Räten abwechseln läßt, diesen gleichgestellt, und den Beschluß machen 
wiederum Mediziner und Philosophen. 

Etwas mehr tritt das Oberhaupt der Universität in der Rangordnung 
von 1617 91 in den Vordergrund, deren Feststellung durch Zweifel und Streitig- 
keiten veranlaßt war; auf die Urheber der Streitigkeiten wirft die Schlußbemer- 
kung vielleicht etwas Licht: ,,Und soll diese Ordnung auch zwischen ihren 
allerseits eheweibern also gehalten werden". 

In dieser Ordnung hat der Rektor seinen Platz unmittelbar nach dem 
Statthalter, aber vor den Studenten aus fürstlichem Geblüt 9 *. Die Komture 
usw. fehlen, jedenfalls weil sie doch mit der Universität nie gemeinsam auf- 
traten. Dagegen rangiert vor dem Universitätsvizekanzler jetzt der „Haupt- 
mann", das heißt der Kommandant der Festung. Wie vorher wechseln die 
fürstlichen Räte mit der juristischen Fakultät, nachdem die Theologen ge- 
schlossen vorausgegangen sind. 

Die Vorrechte fürstlicher Geburt treten in der Rangordnung von 160Q 
stärker hervor als später; der Grund liegt wahrscheinlich in der Höflichkeit 
gegenüber dem fürstlichen Rektor des Jahres. Im übrigen aber dürfen wir in 
dem Platze des Rektors vor dem Chef der Gießener Regierung, dem Kanz- 
ler, und nur nach den Vertretern des Landesherrn und der hessischen Ge- 
samt Verfassung die hohe Bedeutung erkennen, die der Hochschule beigelegt 
wurde. 



lieber Deduction" über die in Hessen liegenden Dcutschordcnsgütcr (1726), 106, u. MOGV 
III (1892), 90; ungenaue Mitteilung bei Güniher, Anekdoten aus d. hess, Gesch. (1843), 
136. Vgl. auch Nebel in Justis Vorzeit 1828, 143. 

** Jedenfalls ist der Obervorsteher der hohen Hospitalien gemeint. 

M Or. v. 31. Jan. 1617, UAG, S. Cod. Reseript. I, 29. 

** Das rühmt noch 1747 als besonderen Vorzug- Neubauer, Rccei 
dovicianae t 





96 Zweiter Abschnitt. 

Im Zusammenhang mit diesen Rangverhältnissen steht auch die Eigen- 
schaft der Universität als eines Prälatenstandes im hessischen Landtag. Der 
Landtag bestand nach dem Herkommen wie nach den Grundgesetzen des 
Landes aus Prälaten, Ritter- und I,andschaft. Die hessische Universttat, der 
die alte Eigenschaft einer geistlichen Korporation anhaftete, und die ja auch 
auf geistliche Besitzungen fundiert war, gehörte bald nach dem Tode Phi- 
lipps zur Prälatenbank, auf der noch die Obervorsteher der Stifter und Spi- 
täler und die Deutschordenskomture Sitz hatten 96 . Seit den Vorgängen von 
1605 spaltete sich der Landtag wie die Universität. Der neue hessen-darm- 
städtische Teillandtag besetzte seine Prälatenbank mit dem Komtur von Schif- 
fenberg und den Universitätsvertretern, deren zu den Tagungen gewöhnlich 
zwei entsandt wurden 96 . Den Prälatenstand der Gießener Universität darauf 
zurückfuhren zu wollen, daß sie Rechtsnachfolgerin des Antoniterklosters in 
Grünberg usw. war 97 , ist doch wohl keine ausreichende Erklärung, wenn auch 
die Güter jenes Klosters einen wesentlichen Bestandteil des Universitätsbe- 
sitzes bilden ; vielmehr hat die Gießener Universität als Nachfolgerin der Mar- 
burger eben auch jene Eigenschaft übernommen. 

Da nun heute die Universität ein blaues Antoniterkreuz in Silber im 
Wappen führt, so muß hier darauf hingewiesen werden, daß mir ein Vor- 
kommen dieses Wappens als Universitätswappen nicht nur für die hier be- 
handelte Zeitspanne nicht bekannt geworden, sondern meines Wissens selbst 
ein Jahrhundert später noch nicht nachweisbar ist 98 . 



95 Vgl. Rommel V, 226H. 

96 Vgl. die ökonomatrechnungen v. 1 610 ff. (UAG., Adm.); 1613 Nov. 16 erfordert 
der Landgraf Vertreter der Universität zum Partikularlandtag mit dem Zusatz: „dieweil zu 
einem allgemeinen landtag aus denen euch ohne das bewusten Ursachen nit zu gelangen** 
(St AD, Univ. 4). Vgl. auch die Unterschriften von 161 6 in der oben, Anm. 91, erwähnten 
Deduktion S. 64, wo nach dem Komtur der Rektor Horst und Prof. Kitzel für die Uni- 
versität unterzeichnen. 

97 So Arnoldi, De parailelismo Antoniani ordinis et rectoralis Giss. dignitatb, Gieß. 
Rekt.-Progr. 1726, 16. 

98 Die Einführung dieses Universitätswappens scheint mir überhaupt auf die in vo- 
riger Anmerkung angeführte Schrift zurückzuführen, in der Arnoldi einen Zusammenhang 
der Gießener Rektorwürde mit dem Präzeptorat der Grünberger Antoniter konstruiert. Die 
Antoniter (über deren Orden außer Arnoldi die Rezension in der Historie der Gelehrtheit 
d. Hessen 1726, sodann Wetzer-Welte, Kirchenlexikon I*, 998 zu vgl.) führten ein T- 
förmiges blaues Kreuz auf dem schwarzen Gewand. Soviel ich sehe, hat man zum ersten- 
mal das Bedürfnis gefühlt, ein Universitätswappen zu führen, als es sich um die Leichen- 
feier des im Amtsjahr 1736 verstorbenen Rektors Verdries handelte. Auf Schilden wur- 
den hierbei die „Wappen" der Fakultäten zum Schmuck verwendet, d. h. die Darstellungen 
der Fakultätssiegel wurden in Wappenschilde gesetzt. In gleicher Weise hätte man wohl 
auch aus dem Universitätssiegel ein „Univcrsitätswappen" konstruiert, wenn das angegan- 
gen wäre; aber das Universitätssiegel enthält den Kopf des Landgrafen Ludwig V. und 
war deshalb als Wappen unverwendbar. Jedenfalls in Erinnerung an Arnoldis Schrift 
griff man daher zu dem Antoniterkreuz und beschloß es als Universitätswappen malen zu 
lassen „hell blau, in silber eingefast, in fahlem schild 4 ' (Senatsbeschl. vom 25. Okt. 1736, 











pH -1 






Gottfried Antonii 
Professor der Rechte und Vizekanzler 

ij-77 ■/&& 





t Gießen bis zu ihrer Suspen 



Eine solche bevorzugte Rangstellung der Universität konnte nur dann 
als berechtigt gelten, wenn ihr auch talsächliche Vorzugsrechte entsprachen, 
die ihre Glieder von der Masse des Volkes auszeichneten. 

Es waren die in jener Zeit bei hohen Schulen herkömmlichen Freiheiten, 
die wir auch bei der Universität Gießen finden ; durch sie bekam die Univer- 
sität — innerhalb des Staates — eine hervorragend autonome Stellung. 
Diese Autonomie, ohne die man sich damals ein akademisches Gemeinwesen 
nicht denken konnte, faßte man gewöhnlich — wie im Mittelalter — in die 
Bezeichnung jurisdictio zusammen", obgleich dieses Wort nur einen Teil des 
tatsächlichen Inhaltes akademischer Vorzugsrechte ausdrückt. Wir betrach- 
ten hier die einzelnen durch landesherrliches Privileg verliehenen Rechte 
und ihre Handhabung — soweit erkennbar — im Laufe der ersten Periode. 

Schon dem akademischen Gymnasium sind die Vorrechte der Univer- 
sität Marburg, von Landgraf Philipp stammend 100 , bei der Stiftung verliehen 
worden, und die Theologen Winckelmann und Mentzer haben es durchgesetzt, 
daß den Erben des Stifters ausdrücklich untersagt wurde, an dieser Bestim- 
mung zu rütteln 101 , ein Zeichen, für wie wichtig sie jenen Männern für die Er- 
haltung des akademischen Gemeinwesens galt. Diese Freiheiten bedeuten 
eine Ausschaltung der Universität und ihrer Glieder aus der gewöhnlichen 



UAG, S. XVIII, Leichen (eiern). Leider liegt weder das Gutachten des Geschichtsprofes- 
sors Ayrmann noch das Modell, worauf Bezug genommen wird, bei den Akten. In dem 
ausführlichen Bericht über die Trauerfeier in der „Franckfurter Gelehrten Zeitung" 1737 
ist die Verwendung der Fakultätswappen und des Antoniterkreuzes erwähnt, aber von 
einem „Universitätswappen" ist nichts gesagt (S. 40 und 47), — Da Nebel (in der „Vor- 
zeit'", 1828, 143; nach ihm Rommel VI, 148) für seine Erzählung von der Verleihung des 
Wappens bei der Universiiätsgrütidung keine Quelle angibt (Demian, Beschreibung oder 
Statistik und Topographie Hessens II [1825], 254, erwähnt es nur als „Vogtei- 
wappen"), kann ich seine Behauptung nicht prüfen, glaube aber, daß es sich um eine 
bloße Vermutung handelt, wonach mit den Antonitergütern auch das Ordenswappen auf 
die Universität übergegangen wäre. (Das von den Antonitcrpräzcptoren als Zeichen ihrer 
Würde geführte Kreuz kam erst 1650 in den Besitz Gießens, wie Demian 255 erwähnt.) 
Für meine Auffassung spricht jedenfalls der Umstand, daß auf den zum Universitäts- 
jubiläum 1707 geprägten Medaillen nirgends das Antoniterkreuz zu finden ist (vgl. Laver- 
renz, Medaillen und Gedächtniszeichen der deutschen Hochschulen II [1887], Abb. 145 ff.). 
Wenn der Universitätsnotar B. Hagen (Notar der U. Gießen um 1620, später der U. 
Marburg) in seinem Notariatssignet die Form des Antoniterkreuzes führt, so ist dieses 
Zusammentreffen vielleicht Zufall, zumal das Kreuz bereits in seinem Studentenstamm- 
buch (Hdschr. 1117 der Univ.Bibl.; vgl. MOGV XI, 58, Anm. 2) in roter Farbe vorkommt, 

89 Vgl. Stein, Die akad. Gerichtsbarkeit in Deutschland (189t), ti. Ganz parallele 
Verhältnisse in Jena bei Loening, Über altere Rechts- u. Kulturzustände an der Univ. 
Jena (.897), <3- 

100 Hildebrand, Urkunden Sammlung d. Univ. Marburg, 6ff. 

im Wasserschieben, S. 12 oben; Beratung v. 24. Nov. 1605 (StAD, Univ. 2). 

Die Unnerslll Gießen von 160; tu r 9 o;. I. 7 



Die UDjverstn 




98 Zweiter Abschnitt. 

Verwaltung und Jurisdiktion wie aus der bürgerlichen Steuer- und Zollpflicht. 
So können wir als Vorrechte der Universität nennen: 

1. Selbstverwaltung, namentlich auch in Finanzsachen, 

2. eigenen Gerichtsstand nebst Polizeirechten, 

3. Befreiung von bürgerlichen Abgaben und Leistungen. 

Als ein Corpus, das sich selbst verwaltet, untersteht die Universität kei- 
ner fürstlichen Behörde, sondern nur dem Landesherrn und nimmt Anordnun- 
gen nur von ihm oder seinen Spezialbevollmächtigten entgegen. Ober die 
Grenzen der Selbstverwaltung werden wir Näheres feststellen, wo wir vom 
Verhältnis der Universität zum Landesherrn und seinen Behörden reden. Hier 
betrachten wir zunächst den eigenen Gerichtsstand der Universitätsange- 
hörigen. 

„Also soll der rector macht haben, diejenigen, so under ihme und der 
universitet angehörigk seindt, wenn sie den statutis und legibus zuewidder 
handeln oder leben, nach eines yeden verwürckunge zu strafen, zu welchem 
behuef wir denn unserer universitet ein carcerem verstattet haben 102 , und thun 
uns weiter nichts als was bekandtlich criminal ist, vorbehalten" 109 . In diesen 
Worten ist die Sachlage klar ausgedrückt und die dem Rektor zukommende 
Kompetenz schärfer abgegrenzt als in Landgraf Philipps Freiheitsbrief für Mar- 
burg, der dem Rektor „simplicem Jurisdictionen!" zusprach 104 . Eine Ergän- 
zung findet die obige Bestimmung noch dadurch, daß eine Appellation vom 
Spruche des Rektors laut fürstlicher Bestimmung nur an den Landesherrn 
selbst gehen konnte, ein Vorrecht, das der Landgraf der Universität nur gegen 
den eifrigen Widerspruch seiner Gießener Behörden verleihen konnte 19 *. 

Obgleich der Wortlaut des Rechtes klar genug zu sein scheint, haben 
sich doch um die Abgrenzung alsbald Streitigkeiten entsponnen, aus denen 
zur Veranschaulichung der Rechtszustände einiges mitgeteilt werden mag. 

Zunächst ist es bemerkenswert, daß die akademische Jurisdiktion auch 
für Delikte zuständig ist, die von Universitätsangehörigen (Studenten) außer- 
halb Gießens begangen werden 106 , und es scheint, daß der Anspruch der Uni- 
versität respektiert worden ist, selbst wenn es sich — bei der Grenzlage Gie- 
ßens naheliegend — um nichthessisches Gebiet handelte. Obgleich selbst 
der Landgraf bei der Zerstreuung der Universität im Pestjahr 1613 den 
Grundsatz aufstellte, die Universität könne eigene Jurisdiktion nur beanspru- 



10t i n d er ersten Statutenfassung hieß es : „verstatten wollen", was Wasserschieben 
nicht vermerkt hat. 

los Wasserschieben, 12. 

10 * Hildebrand, 16. 

106 Die Gießener Regierung, die der Univ. außer den Kriminalsachen auch die „on- 
eheliche beilager" usw. entziehen wollte, hatte die Appellationsbestimmung (Wassersch- 
ieben, 13) unter Hinweis auf Marburg, wo die Rechtslage streitig sei, bekämpft. Die Univ. 
dagegen verlangte für sich eine ausdrückliche Versicherung der Exemtion vom hessischen 
Hofgericht Beiden Parteien wurde nicht willfahrt (Akten StAD, Univ. 2). 

10 « Einen Fall habe ich MOGV XI, 75 erwähnt. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 99 

chen, soweit hessen-darmstädtisches Gebiet reiche, nicht aber „extra territorium", 
nimmt sich die Universität doch eines auf dem Gebiet der Reichsstadt Friedberg 
verhafteten Studenten an, weil er angeblich sich im fürstlich hessischen Ge- 
leit befunden habe, und die Stadt Wetzlar ist genötigt, drei Studenten, die 
einen dortigen Stiftsvikar durch Schießen verletzt hatten, beim Rektor anzu- 
klagen 107 . Während so die Universitätsangehörigen, wie es scheint, einer Art 
Exterritorialität sich erfreuten, entstanden über die personale 108 und vor allem 
über die reale Abgrenzung der Universitätsgerichtsbarkeit mancherlei Zwiste 
mit dem fürstlichen Hauptmann, das heißt dem Stadtkommandanten von Gießen, 
dem die ordentliche Polizeigewalt in der Stadt zustand. Die wichtigste Streit- 
frage war die über den Begriff „unzweifelhaft kriminal". Nur tödliche Ver- 
wundungen, wie sie freilich bei den rauflustigen Studenten häufig genug wa- 
ren, galten als kriminal; bis aber die tödliche Beschaffenheit der Verletzung 
festgestellt war, hält die Universität streng darauf, daß vom ordentlichen Ge- 
richt kein Eingriff geschehe 109 . Daß bei solcher konkurrierenden Gerichtsbar- 
keit der Täter am besten wegkam, ja häufig Zeit fand, zu verschwinden, ist na- 
türlich. Sowohl die Eifersucht, mit der die Universität über ihre Rechte 
wachte, als auch die Milde, mit der sie gegen ihre Delinquenten verfuhr, wa- 
ren Grund genug für die Studenten, solange als möglich sich unter der Uni- 
versitätsjurisdiktion zu halten. Um der akademischen Gerechtsame nichts zu 
vergehen, verfuhr man oft recht umständlich. So wurde ein Student, der 
einen andern nachts schwer durch Messerstiche verletzt hatte, vom Rektor 
nebst zwei Wächtern bis zum Morgen in seine Wohnung aufgenommen ; dann 
erst begannen die Verhandlungen über die Frage, ob der Fall kriminal sei 
oder nicht 110 . In einem anderen Falle finden wir, daß der Täter bereits von 
der Universität relegiert, aus der Haft entlassen und der Kriminalgerichts- 
barkeit hierdurch entzogen war, als der Fall nachträglich für kriminal erkannt 
wurde 111 . Wollte der Hauptmann größerer Sicherheit halber bei kriminalver- 
dächtigen Untersuchungsgefangenen dem Karzer eine Wache beiordnen, so 
sah die Universität auch hierin einen Übergriff, obgleich die Bewachung im 
Karzer nachweislich mangelhaft war 112 . Nur bei tödlichen Verwundungen 
durfte der Täter auf das Rathaus in Haft gebracht werden 113 . Auch der 



107 Prof. Horst an Univ. Gießen, Regensburg 6. Sept. 161 3; Univ. an Landgraf 
Ludwig, 30. Sept.; Rat von Wetzlar an Rektor Nigidius, 26. Okt. (St AD, Univ. 4). 

108 Vgl die Akten über den Kompetenzstreit, als 161 5 ein Dienstmädchen dem Rek- 
tor silberne Löffel stahl, St AD, Univ. 5. 

109 Di e gai^ übereinstimmenden Verhältnisse in Jena (Loening, a. a. O., 21) zeigen, 
daß es sich um einen verbreiteten Mangel in der akademischen Gesetzgebung handelt. 

110 Akten von 1608 StAD, Univ. 2. Auch in Wittenberg hatte die Universität die 
„summaria cognitio, ob eine Sache peinlich'* sei. Vgl. Grohmann, Annalen von Witten- 
berg II (1802), 12. 

111 Bericht der Rechnungskommission 161 4 Mai 16, UAG, Adm. Rechn.-Abh. 
11Ä Prof. Horst an Kammersekretär Friedrich, 161 5 Jan. 5, Or. StAD, Univ. 5. 
118 Memorial von 1607 oder 1608 StAD, Univ. 1. 

7* 



100 Zweiter Abschnitt. 

Versuch, die Berechtigungen beider Gerichtsbarkeiten nach dem Gesichts- 
punkt zu scheiden, ob das Delikt vorsätzlich oder unvorsätzlich geschehen 
war, scheiterte am Widerspruch des akademischen Senats 114 . Um zu zeigen, 
wie kompliziert das Verfahren war, möge eine Regierungsverfügung von 1614 
mitgeteilt werden 116 : „Trüge es sich aber zu, daß in solchen und dergleichen tu- 
multen und schlegereyen Verwundungen oder andere zufalle geschehen, 
welche nicht eben und sobald für civil oder criminal zu erkennen, so sol- 
len solche hendel dem rectori angezeigt werden, welcher es den hauptman 
zu avisieren, und soll alßdann der hauptman neben obgemeltem Wachtmei- 
ster dem Stadtschultheißen, soviel er vonnöthen zu sein vermeinen wirdt, für 
des delinquenten hauß, dasselbige zu umbringen, schicken. Diesem nach soll 
der rector den pedellen oder ein andere der universitet verwanthe persohn 
ermeltem schultheisen und Wachtmeister zugeben, welche person den studio- 
sum, so gefrevelt und sich in seine stuben oder andere privilegirte behau- 
sungen retirirt hette, herausschaffen, und do der handel noch für civil zu 
halten, dem Wachtmeister, oder do er albereit notori criminal worden wehre, 
dem Stadtschultheißen zu liefern verpflichtet sein soll, und sollen diese per- 
sonell bey ihren pflichten erinnert werden, keine gefehrdte hierbey vorgehen 
zu lassen. Würde aber in notori criminalsachen der thäter uf der gassen be- 
kommen, so wird er billich ohnersucht des rectoris in unsere Verhaftung ge- 
zogen". 

Eine weitere Streitfrage bot aus Anlaß eines Vorfalles im Jahre 1617 die 
Behandlung von Studenten, die, ohne immatrikuliert zu sein, zum Beispiel auf 
der Durchreise, mit den Gerichten in Konflikt kommen. Nach längerer Ver- 
handlung mit dem Landgrafen wurde bestimmt : Der ankommende Student 
darf sich zunächst, ohne immatrikuliert zu sein, neun Tage unter akademi- 
scher Obrigkeit aufhalten, nach Ablauf dieser Frist steht dem Rektor fünf 
Tage lang das Recht zu, den Säumigen wegen Vernachlässigung der Ein- 
schreibung zu bestrafen. Aber erst nach Ablauf dieser vierzehntägigen Frist 
verliert der Student das Recht, sich auf die akademischen Privilegien zu berufen, 
und wird dann wie ein Bürger beurteilt 116 . Wir sehen das Bestreben, jeden, 
der Anspruch auf Zugehörigkeit zur akademischen Korporation hat, solange 
als möglich zu schützen; auch die nicht zu den docentes und discentes ge- 
hörigen Universitätsglieder genossen diesen Schutz, so bei einem Münzver- 



114 Univ. an Landgraf Ludwig, 1614, präs. Dez. 6, Or. StAD, Univ. 1; Horst an 
Friedrich s. Anm. 112. 

115 Nebeninstruktion d. Rechnungskomm. 161 4, Or. UAG, Adm. Rechn.-Absch. 

116 Korrespondenz UAG, Cod. Rescr. IV, Bl. 4, 8; III, 840. Hierin war der sta- 
tutenmäßige (Wasserschieben, 21) Unterschied zwischen negligentes (innerhalb 9 Tagen, 
Strafe: 1 rhein. Gulden) und den prorsus obstinati (bis zum 14. Tage, Strafe: Ausschluß) 
schärfer bestimmt. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. xoi 

gehen 1621 U7 , bei einer Anklage wegen Jagdfrevels 1622, die sich gegen einen 
Buchdrucker richtete 118 . 

Die Sonderstellung der Universitätsangehörigen gegenüber den Bürgern 
der Stadt trat ferner darin hervor, daß die Glieder der Hochschule „von bür- 
gerlichen beschwerungen frey sein" sollten, seien es nun Abgaben oder per- 
sönliche Dienste 119 . Hinzu trat noch eine Bevorzugung bezüglich der in- 
direkten Steuer. Die Haupteinnahme der Stadt Gießen war der Ertrag der 
Tranksteuer, die als Ungeld oder Akzise von dem eingeführten Wein und Bier 
erhoben wurde. Nach der fürstlichen Anordnung, wie sie in den Privilegien 
und Statuten von 1605 ausgesprochen ist, soll den Universitätspersonen das in 
ihrer Haushaltung verwendete Getränk steuerfrei bleiben, sowohl Wein als 
Bier. Hat ein Professor Tischgänger (wie das damals üblich war), so soll das 
bei deren Mahlzeit getrunkene Bier gleichfalls abgabefrei sein, „doch daß 
keine parthierung hierunter gebraucht werde", das heißt der Professor soll 
den Bierausschank nicht gewerbsmäßig betreiben. Bezüglich des an den 
Professorentischen von Kostgängern getrunkenen Weines jedoch behielt sich 
der Fürst die Entscheidung vor 180 . Bei der rasch zunehmenden Zahl der Stu- 
denten war für die Stadt immer noch ein guter Gewinn zu hoffen, denn die 
Professorentischgänger bildeten doch die Minderzahl der Studenten. Dennoch 
nahm die Einnahme der Stadt aus der Tranksteuer nicht in dem erwarteten 
Maße zu, ja sie nahm sogar bald rasch ab, so daß der Verdacht aufkam, die 
Professoren und Universitätsverwandten trieben Mißbrauch mit ihrer Trank- 
steuerfreiheit. Schon 1611 ließ der Landgraf deswegen den Professoren ins- 
geheim eine Warnung zugehen 1 * 1 , und 1613 ließ er zu besserer Kontrolle 
über den Verbrauch die Wein Vorräte der Professoren aufzeichnen 18 *. Aber 
die Stadt spürte keine Besserung und wandte sich schließlich 1618 an den 
Landgrafen mit einer Beschwerde, daß nicht nur „die professores den stu- 
diosis über die gassen uf kerbstöcke wein schicken, sondern auch ihre unter- 
gebene mitglieder, als D. Giessenius, Doctoris Vietoris s. wittib und Erasmus 
Murarius, apotecker, und andere, so keine burger sind, öffentlich mit wein 
parthierten, denselben über die gassen geben und in ihren häuseren verzap- 



117 Der Hauptmann erklärte, den Professoren könne man die Gerichtsbarkeit hier- 
über nicht überlassen — es handelte sich um den Verruf gewisser Münzsorten — , da sie 
selbst das Münzedikt fortwährend überträten. Akten StAD, Univ. 6. 

11« Univ. an Landgraf Ludwig, 1622 Aug., StAD, Univ. 5. 

119 Wasserschieben, 12, unten; für Marburg vgl. Hildebrand, 16 (ausführlicher). 

wo Wasserschieben, 12 — 13; „ was aber den professoribus solcher gestaldt 

an wein ufgehet, darüber sollen sie unser schriftlichen erclerung gewärtig sein"; dieser 
Zusatz wurde in den erneuerten Statuten (161 5) weggelassen, obgleich die Frage nicht end- 
gültig geregelt war. — Das Vorbild für die Tranksteuerbefreiung war wohl Marburg 
(vgl. Hildebrand, 17). Ahnliche Verhältnisse herrschten aber auch in Wittenberg, vgl. 
Crohmann, Annalen II, 28 ff. 

1,1 Nebenmemorial zur Rechnungsabhör 161 1, UAG, Adm. 

**» Desgl. von 1613. Der Ertrag an Tranksteuer hatte betragen 1610: 1620 fl., 161 1 : 
1330 fl., 1613: 925 fl. 



102 Zweiter Abschnitt. 

fen", was den Weinschank, den die Stadt vom Landgrafen zu Lehen nehme, 
stark schädige und die Tranksteuer und Akzise mindere. Der Landgraf ver- 
ordnete daher, daß von nun an der Rektor, der Universitätsvizekanzler und 
die zwei ersten Theologieprofessoren (Winckelmann und Mentzer) je 1 Fu- 
der, alle anderen Professoren je y% Fuder Wein akzisfrei einlegen dür- 
fen. Was darüber ist, muß versteuert werden, auch wenn es eigenes Ge- 
wächs ist; Wein den Tischgenossen über die Straße zu schicken, ist verbo- 
ten 123 . Die Professoren konnten, wie uns eine briefliche Äußerung Steubers 
verrät 124 , immer noch „ein ehrlichs" am Weinschank verdienen, da der zu 
zahlende Aufschlag auf die Konsumenten abgewälzt wurde. 

Derselbe fürstliche Erlaß, durch den diese Angelegenheit ihre Erledi- 
gung fand, regelte auch die Frage, welche Reallasten der von Personallasten 
freie Universitätsangehörige mit den Bürgern zu tragen habe. Es handelte sich 
darum, daß Akademiker sich bürgerlichen Besitz erwarben, der dann doch 
nicht unversteuert bleiben konnte. So wurde denn bestimmt, daß gefreite 
Personen wie ungefreite von ihren bürgerlichen Gütern die bürgerlichen Ab- 
gaben, wie Feuerschilling, Bede und dergleichen zu tragen haben. Es ist dies 
nichts als eine Erneuerung der seinerzeit von Philipp für Marburg erlasse- 
nen Bestimmung 125 . 

Wenn die Glieder des akademischen Körpers persönlich keine bürger- 
lichen Lasten trugen, so hätten sie folgerichtig auch auf die Vorteile der Bür- 
gerschaft verzichten müssen. Das taten sie jedoch nicht; sie beanspruchten viel- 
mehr Anteil an Holz, Mast und Weide. * Leider sind für diese Ansprüche nur 
wenige Belege in den Akten erhalten 12 «, so daß wir nicht deutlich sehen, wie 
weit sie gingen, und ob sie schließlich vollen Erfolg hatten. Nur das kann 
festgestellt werden, daß schließlich die Stadt den Professoren freie Mästung 
je eines Schweines gestattet, den Pedellen und dem Notar dies jedoch verwei- 
gert, allen Gliedern der Universität aber den Holzanteil versagt, und daß 
sich die Universität hierüber an den Landesherrn wandte 127 . 

Hier möge dann noch erwähnt sein, daß Studenten und andere Univer- 
sitätsangehörige innerhalb des Landes für „ihre bücher, mehl und geträncke, 



123 Fürstliche Verfügung von 1618 Febr. 4, UAG, S. Cod. Rescr. I, 586. VgL Cgm. 
1258, Bl. 5 29 ff. Auch hier kann Wittenberg zum Vergleich herangezogen werden: Tho- 
luck, Akad. Leben d. 17. Jahrh. I (1853), 44. 

124 An K. Dieterich, 1619 Juni 16, Cgm. 1259, Bl. 245. 

125 Hildebrand, 16 f.: „. . . allein ausgescheyden, so yemandt burger und schoß- 
bawr guetter daselbst im burgerrecht zu Marpurgk leigen hette, die soll er wye andere 
burger daselbst dem gebrauch noch verstehen und versteuren". 

"6 Senatsprotokoll v. 18. Nov. 1608 (UAG, S. XIII, Bürgerrecht) u. Gieß. Regie- 
rung an Landgraf Ludwig, 1608 Dez. 20 (StAD, Univ. 2). Die Univ. beanspruchte die 
bürgerlichen Vorteile für Professoren, Präzeptoren und Pedellen; die Stadt war der An- 
sicht, daß Universitätsglieder in Gießen ebensowenig wie in Marburg Anspruch auf bür- 
gerliche Rechte hätten. 

i" 1609 Okt. 5 (StAD, Univ. 2). Vgl. MOGV I (1889), 74. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 105 

daß sie zu ihrer notturft haben müssen", Zollfreiheit genießen 128 , ein Privi- 
leg, dessen Bedeutung wir würdigen, wenn wir bedenken, wie viele Studen- 
ten in jener Zeit sich fast ausschließlich von den aus der Heimat geschickten 
Lebensmitteln ernährten 1W . 

Von Reichs- und Landsteuern (Türkensteuer, Kriegssteuern usw.) war 
die Universität ebensowenig wie jeder andere Stand des Landes befreit. 

VI. 

In den zuletzt angeführten Verhältnissen erkannten wir die Anzeichen 
einer weitgehenden Autonomie, wodurch das Corpus academicum sich aus 
der Menge des Volkes heraushob. Eine solche Stellung hatten die Uni- 
versitäten von jeher gehabt. Wenn wir aber die Zustände der betrachteten 
Periode mit der Selbständigkeit mittelalterlicher Universitäten vergleichen, so 
tritt ein Unterschied klar hervor: es ist die Abhängigkeit vom Landesherrn, 
in die die Hochschulen namentlich seit dem 16. Jahrhundert geraten sind 130 . 
Die nach der Reformation entstandenen Hochschulen besitzen nur noch einen 
geringen Orad von Selbständigkeit ihm gegenüber. 

Nicht mehr die Stätten internationaler, aber kirchlich gebundener Wis- 
senschaft wie im Mittelalter, auch nicht mehr nur die Sitze der grund- 
sätzlich unkirchlichen Wissenschaft des Humanismus waren diese Universitä- 
ten des 16. Jahrhunderts, sondern sie waren in hohem Maße Werkzeuge der 
Landesherren geworden ; sie dienten ihnen zur Verteidigung des in ihren Ter- 
ritorien herrschenden Glaubens, sie bildeten ihren Bedarf an rechtgläubigen 
Geistlichen, an romanistisch geschulten Juristen heran. Daß die Universität 
daneben auch noch der Bildung in allgemeinerer Weise diente, ist nicht zu 
leugnen, lag aber nicht in erster Linie in der Absicht des fürstlichen Erhal- 
ters; seine Hauptabsicht wird deutlich gezeigt durch das starke Vorwiegen der 
Stipendiatenanstalt, das wir auf manchen Hochschulen jener Zeit finden. So hat 
sich der Begriff der Universität von Grund aus verändert: die von dem Land, 
wo sie ihren Sitz hatte, fast unabhängige, stolze Korporation, die sich ihre 
Gesetze selbst gab und keine äußeren Eingriffe in ihre Zusammensetzung 
und Organisation duldete, ist zu einer Bildungsanstalt geworden, die vom 
Landesherrn völlig abhängig, ihre Selbständigkeit gegenüber den fürstlichen 
Behörden eifersüchtig verteidigt, während ihre Organisation und Gesetzge- 
bung der Fürst in seiner Hand hat; ihre Autonomie reicht eben nur noch so- 
weit, als es der Landesherr zu verbriefen für gut befindet. 

Das eben gekennzeichnete Abhängigkeitsverhältnis kommt natürlich am 
ausgeprägtesten bei den Universitäten zum Ausdruck, die erst in der Periode 

im Wasserschieben, 13; ähnlich für Marburg: Hildebrand, 16. 

1» Vgl. MOGV XI, 70. 

130 Daß der Prozeß der Unterwerfung unter den Landesherrn in seinen Anfängen 
bereits ins 15. Jahrh. zurückreicht, zeigt Hartfelder, Hist. Ztschr. 64 (1890), iooff. — Vgl. 
im übrigen Paulsen, Gesch. des gelehrten Unterrichts 2 , I (1896), 250; Stein, Akad. Ge- 
richtsbarkeit, 87 ff. 



104 Zweiter Abschnitt. 

sinkender akademischer Autonomie entstanden, bei denen also keine Tradi- 
tion die alte Freiheit verteidigen konnte. Zu diesen Universitäten gehört Gie- 
ßen. Wie wir sahen, war die Stiftung der Hochschule ein politisch-religiö- 
ser Schachzug der Darmstädter Linie gegen Kassel. Schon hierin spricht 
sich der Charakter der Universität aus: sie ist ein Mittel in der Hand des 
Landesfürsten. Neben dieser Tendenz hat die neue Hochschule nach dem 
landesherrlichen Befreiungsbrief die Aufgabe, daß auf ihr „so wohl zu kir- 
chen und schuelen alß auch dem weltlichen regiment und guter policey tüg- 
liche personen auferzogen und uriderrichtet werden" 111 . Deutlich treten die 
beiden Bedürfnisse des nachreformatorischen fürstlichen Staates in den Vor- 
dergrund; der Fürst braucht Theologen und Juristen. Und wenn es noch 
eines Beweises bedürfte, daß die Universität gegenüber dem Landesherrn 
keine Selbständigkeit besaß, so würde er durch folgenden Umstand geliefert: 
die Statuten, seihst soweit sie interne Angelegenheiten der Universität betreffen, 
wie die Verteilung des Lehrstoffes auf die Professoren — damals durchaus 
eine minder bedeutende Angelegenheit, da jeder Professor den Lehrstoff sei- 
ner ganzen Fakultät beherrschte — , ja sogar die Speziaistatuten der Fakultäten 
werden durch fürstlichen Willensakt eingeführt, oder bedürfen doch vor 
ihrer Einführung fürstlicher Durchsicht und Bestätigung. Natürlich lag die 
Ausarbeitung dieser Bestimmungen in der Hand der sachverständigen Profes- 
soren, aber sie werden als ein Ausfluß fürstlicher Weisheit erlassen. Aus- 
drücklich ist ferner in den Privilegien die Bestimmung enthalten, daß alle 
Punkte, für die in den doch recht kurzen und dürftigen Oießener und in den 
subsidiär gültigen Marburger Statuten keine Norm sich finde, der Entschei- 
dung des Landesherrn unterliegen 1 ", und der Fürst hat solche Entscheidungen 
in unserer Periode auch gefällt. 

Die autonome Legislative war für die Universität verloren. In unserer 
Zeit kämpft das Corpus academicum auch um seine Rechte bei der Stellen- 
besetzung. 

Die Professoren waren vom Landgrafen angestellte Beamte, wenngleich 
ein großer Teil ihrer Besoldungen aus dem Grundbesitz der Universität floß. 
Nach dem Marburger Herkommen sorgte der Landgraf für die Besetzung der 
Lehrstühle, konnte Neuzuberufende der Universität „commendiren", doch nur 
dann, wenn die empfohlene Person „tüglich, gelert und geschickt gnug in 
irer person" wäre 183 . Die Feststellung dieser Eigenschaften konnte natürlich 
nur durch die Universität geschehen. So bildete sich wohl das Verfahren her- 
aus, das wir in Gießen finden, daß nämlich die Universität geeignete Persön- 
lichkeiten für erledigte Professuren vorschlug, nachdem sie sich über ihre 
Qualitäten vergewissert hatte, und daß diese nach Zustimmung des Landgra- 

lsi Wasserschieben, 10. 

132 Wasserschieben, 13. 

133 Reformation von 1564, Hildebrand, 85. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 105 

fen berufen wurden, worauf die Anstellung vom Fürsten vollzogen wurde und 
die Berufenen den Diensteid leisteten 184 . 

Da jedoch dieses Verfahren nicht gesetzlich festgelegt war, sondern der 
Landgraf das unumschränkte Recht zur Stellen besetzung hatte, so lag es nahe, 
daß statt der Empfehlung der Universität die Protektion durch Günstlinge beim 
Landgrafen ausschlaggebend werden konnte. Eine solche Vertrauensstellung 
beim Landgrafen besaß von dem Augenblick an, als er Gießen betrat, bis zu 
seinem Lebensende Professor Balthasar Mentzer. Schon bei der Gründung des 
Gymnasiums hatte er starken Einfluß auf die Berufungen 135 , und dieser Ein- 
fluß stand so fest, daß er einem seiner Schüler geradezu eine Professur ver- 
sprechen konnte 1 * 6 . Mentzers Vorzugsstellung und des Landgrafen Rück- 
sichtslosigkeit gegen die Vorschläge der Universität finden ihre beste Be- 
leuchtung durch die Vorgänge bei der Berufung Feurborns in die theolo- 
gische Fakultät; hier nahmen beide Parteien, Universität und Landesherr, 
Gelegenheit, ihre Stellung bei Beruf ungsf ragen klarzulegen, und die Hoch- 
schule war schließlich der unterliegende Teil — natürlich. Der Verlauf war 
folgender. 

Im Jahre 1617 war Christoph Helvicus, der dritte Professor der 
Theologie, gestorben, und es galt, die freigewordene Stelle wieder zu 
besetzen. Der Senat beschloß hierauf in mehreren Abstimmungen 187 , 
dem Landesherrn die Professoren der Philosophie Scheibler und 
Steuber zur Beförderung in die theologische Fakultät vorzuschlagen, gleich- 
zeitig aber den außerordentlichen Professor der Theologie Feurborn für eine 
hierdurch frei werdende philosophische Professur zu empfehlen 138 . Diese Be- 
schlüsse wurden gegen Mentzers Stimme gefaßt, der seinen Schwiegersohn und 
Gesinnungsgenossen Feurborn in der theologischen Fakultät angestellt wissen 

134 Über das Verfahren sagt Prof. Kitzel in der Rektoratsrede von 161 5 (Handschr. 
1242 der Univ.-Bibl.) : „In quo ne aberretur et indigni forte cum detrimento et ruina aca- 
demiae in consortium docentium admittantur, de novo vocandum professorum prius a per- 
sonis idoneis et ejusce rei gnaris sustinendae tali professioni idoneum judicatum esse opor- 
tet, quod ut plurimura, nisi notorie de ejus qualitatibus satis idoneis constet, praevio ali- 
quo examine expediri, vel a collegis certi idonei patrono nominari, deinde vo- 
cari et postea demum in ordinem professorum secundum vestigia juris nostri servato ut 
plurimum ordine succedendi praestitoque juramento admitti solent. Quem saluberrimum 
a majoribus nostris hactenus receptum morem et i 11. patronus et nutri- 
tius noster . . . in deligendis et constituendis professoribus hujusce suae academiae ob- 
servavit". 

185 In einem Gutachten von 1605 heißt es, über die noch zu berufenden Profes- 
soren habe man „sich mit rath D. Mentzeri zu vergleichen" (StAD, Univ. 2). Vgl. auch 
Mentzer an Gerhard, 1605 Sept. 30 (Fischer, Vita Gerhardi [1723], 44). 

186 An Gerhard, 1606 Apr. 28: „Si planius mihi constaret de tua voluntate, com- 
mendarem te ill. nostro principi ac operam darem, ut esses loco honesto et te digno. Co- 
gitamus de adjungendo nobis collega in facultate theologica. Veni ad nos et Giessenam 
scholam adorna" (Fischer, 45). 

187 Vgl. Cgm. 1259, Bl. 209. 

"« Akten UAG, S. Personal d. theol. u. phil. Fak., StAD, Univ. 1. 



106 Zweiter Abschnitt. 

wollte; dieser aber war unter den Professoren allgemein unbeliebt, und man 
fürchtete von seinem Eintritt in die theologische Fakultät ein Wiederaufleben 
des eben beigelegten Streites. Mentzer sah daher in dem Konflikt niemand 
an seiner Seite als den Vizekanzler Antonii. Trotzdem besetzte der Landgraf die 
theologische Professur mit Feurborn, so daß die beiden Philosophen leer aus- 
gingen 189 . Dabei schrieb der Landgraf: „Sonstet aber die nomination, Observanz, 
majora und anders, deßen in eurem schreiben meidung geschieht, betreffend, ver- 
stehen wir nicht anders, dan wan [wir] unserm gnedigen Wohlgefallen nach etwa 
ewer samptlichen, der mehrern oder eins theils bedencken in bestellung der 
professionen bißhero erfordert oder kunftiglich zu erfordern vor gut an- 
sehen, das gleichwohl die bestellung der professionen iederzeit allein frei und 
lediglichen bei uns verpleibet" 140 . Der Universität blieb nach dieser unzwei- 
deutigen Willensäußerung nichts übrig, als sich zu fügen. Doch unterließ sie 
nicht, in einer besonderen Schrift ihre Ansicht über die Rechtslage bei der No- 
mination der Professoren im allgemeinen und bei dem Falle Scheibler-Steuber 
im besonderen auseinanderzusetzen 141 . Im allgemeinen berufen sich die Pro- 
fessoren hier auf das Herkommen bei den Universitäten überhaupt; auf ihre 
bessere Fähigkeit, geeignete Personen zu finden und zu beurteilen : erfahrungs- 
gemäß sei „das Judicium ex eventu, wan einer citra approbationem collegii uff- 
genommen ist, sehr zweifelhaft" ; das für Gießen maßgebende Marburger Her- 
kommen bringe gleichfalls Nomination vonseiten der Akademie und Bestä- 
tigung durch den Landgrafen mit sich, mit Ausnahme des primarius jeder Fa- 
kultät, dessen Bestellung dem Fürsten allein zustehe. Bisher habe auch, wenn 
der Fürst einige Kandidaten in Aussicht genommen hätte, die Universität über 



139 Vgl. für den Hergang die Briefe Steubers, Cgm. 1259, Bl. 209 u. 218, u. 
nius, Cgm. 1258, Bl. 184. Letzterer, ein scharfer Gegner Mentzers, schreibt: „Quomodo 
D. Feurborn ad professionem theologicam sit promotus, narrarunt forsan alii. Quemad- 
modum in officium ecclesiasticum, ita etiam in professionem est intrusus. Non enim nomi- 
natus a facultate neque ab academia, sed nominati erant M. Scheblerus (1) et M. Steu- 
berus; additae erant rationes quod illae (1) et non D. Feurborn nominaretur : 1. quod 
essent doctiores, 2. quod jam per aliquot annos in philosophicis laborassent und betten 
sich also verdienet gemachet, 3. quod ill. prineipis literae mandent, ut ejusmodi prae 
omnibus aliis promoveantur, 4. quod id etiam hactenus, quantum fieri potuerit, 
sit observatum, 5. quod hac ratione optime consuli possit facultati theologicae et fa- 
cilius omnes differentiae seponi et alter cum altero confidentius conferri, 
6. quod D. Feurborn nihilominus ad professionem quandam philosophicam possit promo- 
veri etc. Sed nihil obtinere potuimus, nobis etiam resistentibus obtrusus est Feurborn, 
qui commendatus erat a solo Mentzero et Gottfrido [= Antonii]. Vocatio igitur haec 
facta est non per vocativum sed per genitivum. Dn. M. Scheiblero et dn. Steu- 
bero promissiones sunt faetae, quod prima data occasione promoveri debeant". 

140 Landgraf Ludwig an die Univ., 161 8 Jan. 18, Or. UAG, S. Pers. Theol. F. 

141 „Ursachen warumb die academia in diesem fall bey entledigung der profession 
sich der nomination undernohmen", und „Uhrsachen warumb wir vor andern M. Scheib- 
lerum und M. Steuberum vorgeschlagen und nominirt", UAG, a. a. O. Zugehöriges 
Schreiben der Univ. v. 27. Jan. 1618, Abschr. UAG, S. Pers. Phil. F. Vgl. vorletzte 
Anm. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 107 

die einzelnen berichten müssen. Endlich sei es nun auch bereits in Gießen 
Herkommen, daß die Universität einige Personen nominiere, der Landesherr 
einen von ihnen eligiere. Demgemäß bittet die Universität, es bei künftigen 
Fällen wieder beim Herkommen zu lassen. In seiner Antwort 1 « weist der 
Landgraf der Universität eine bloß beratende Stimme zu: „Daß sonstet, wan 
professiones sich verledigen, von euch vorschlage und bedenken eröfnet 
werden, das haben wir aus denen von euch jezt angezogenen Ursachen auch 
nicht vor onrathlich ermessen und in etwa zugetragenen fällen eure vorschlage 
und rationes gnediglich gehöret, seind es künftig also zu halten geneigt, je- 
doch daß der ausschlag und die bestellung selbstet bey uns wie bil- 
lich iederzeit unvorgreiflich veFpleibe". 

Aus allem jedoch geht hervor, daß der Landgraf seiner Hochschule 
seine fortwährende Aufmerksamkeit und Fürsorge zuwandte, stets das Ge- 
deihen seiner Pflanzung im Auge behielt. Sein „teures Kleinod" hat er sie 
manchmal genannt. Er blieb daher fortwährend in Fühlung mit dem Leben 
der Hochschule. Unaufgefordert meldete ihm der Senat auch alles, was ir- 
gend von Bedeutung war, und verlangte seine Entscheidung. In erster Linie 
trifft der Landgraf natürlich Anordnungen über die äußeren Lebensbedingun- 
gen der Universität: er regelt die Höhe der Gehälter, er sucht die von den 
Professoren sehr beklagten Wohnungs- und Nahrungsverhältnisse zu bessern. 
Beschwerden der Universität gegen Stadtverwaltung und Beamte, Kompe- 
tenzstreitigkeiten, Privilegverletzungen usw. finden ihre Erledigung durch den 
Landgrafen. Die Studenten gestatten sich wohl einmal eine direkte Eingabe 
wegen ihrer Anliegen. „Internationale" Konflikte, wie der Streitder Studenten 
mit Beamten des nassauischen Gleiberg, werden vom Landgrafen beigelegt. 
Aber auch Beschwerden von Universitätsgliedern über andere Angehörige 
des Corpus werden mitunter direkt dem Landgrafen unterbreitet, namentlich 
solche von Professoren über Eingriffe in das Lehrmonopol ihres Faches. 

Wie der Fürst für das Blühen und Gedeihen der Universität durch 
Gründung und Unterstützung der Institute sorgte, werden wir später betrach- 
ten, ebenso von den Bauten reden, die er für sie herstellen ließ. 

Auch einzelne Professoren erfuhren seine Gunst: Mentzer durfte sich 
ihrer dauernd erfreuen, und der Landgraf erließ ihm die auf seinem Hause 
noch lastende Schuld von 323 Gulden im Jahre 1608 143 ; auch dem Profes- 
sor Winckelmann machte er einen Bauplatz zum Geschenk 144 . In den fürst- 
lichen Kammerrechnungen 145 finden wir mancherlei Geschenke des Fürsten 
an seine Gelehrten verzeichnet, so 1608 „ein ubergült geschirlein" zu Pro- 
fessor Eckhards Hochzeit, ein ähnliches „D. Mainzers hausfraw ins kindbett". 
Wurden Professoren entlassen, so erhielten sie ein ansehnliches Abschiedsge- 



141 Vom 6. Febr. 161 8, Or. UAG, a. a. O. 

1« Fürstl. Schreiben an Mentzer, 1608 Jan. 24, St AD, Univ. 2. 

144 Berufungsschreiben an einen Juristen, StAD, Univ. 4. 

1« StAD. 



io8 Zweiter Abschnitt. 

schenk, zum Beispiel Döring 1612 und Dieterich 1614 des Landgrafen Bild 
in Oold und einen vergoldeten Pokal 14 *. 

So bildete sich ein patriarchalisch zu nennendes Verhältnis zwischen dem 
Landesherrn und seinen Professoren, von denen ja auch einige persönlich in 
freundschaftlichen Beziehungen zu ihm standen 147 . Hiermit stimmt dann der 
Brauch überein, daß zu den Festlichkeiten der Universität, den Promotionen, 
der Landgraf eingeladen wird, daß er zu dem Doktorschmaus seinen Beitrag 
in Gestalt eines Stückes Wild liefert, daß er gelegentlich nicht verschmäht, 
mit seinen Brüdern im Kreise seiner Professoren zu erscheinen und mit ihnen 
im Sitzungszimmer des Senats einen Trunk zu tun 148 , daß er (1617) der Univer- 
sität sein Bild und das seiner Oemahlin schenkt 149 . 

Freilich war Ludwig nicht blind gegenüber den Fehlern, Gebrechen und 
Mißständen, die er in seiner Hochschule wahrnahm, dem Unfleiß und der 
Streitsucht der Professoren und der Disziplinlosigkeit der Studenten. Es kam 
wohl vor, daß er sich im Verdruß zu heftigen Ausdrücken gegen die Profes- 
soren hinreißen ließ, und daß er einmal drohte, einige „räudige Schafe" unter 
ihnen auszumerzen 160 . Die beiden heftigsten inneren Streitigkeiten, die in 
unserer Periode die Universität durchtobten, nämlich der Streit der Juristen 
Antonii und Nebelkrä im Jahre 1614 161 und der große Theologenstreit 
Mentzers und Feurborns gegen Winckelmann und Gisenius in den Jahren 
1616 bis 1618 15 *, veranlaßten denn auch ein unmittelbares Einschreiten des 
Landgrafen, der im letzteren Falle die ganze Theologenfakultät zum Verhör 
nach Darmstadt kommen ließ. Das Bestreben des Fürsten, den Streitigkeiten 
den Boden zu entziehen, kennzeichnet sich in seinem Verfahren: er läßt 
nach Beilegung des Zwistes beiden Parteien die Akten abfordern, die dar- 
über erwachsen sind, um sie im einen Fall versiegeln, im andern zu größerer 
Sicherheit durch Feuer vernichten zu lassen. Da jedoch die Mentzerschen 
Streitakten zur Vernichtung auszuliefern der Universität nicht angängig 



146 Landgraf Ludwig an Döring, 1612 Apr. 6, StAD, Univ. 1, an Dieterich 161 4 
Aug. 10, Cgm. 1256, Bl. 20. 

147 Vgl. das über Mentzer Gesagte. Bei Konrad Dieterichs Entlassung nach Ulm 
sagte der Landgraf: „Ich laß euch nit gern auß dem landt und schlage eß auch der 
statt Ulm nit gern ab, denn Ulm ist eine statt, die einem fürsten auch noch, wann ihn 
ein noth angehet, dienen kan". Cgm. 1256, Bl. 717. 

148 ökonomatrechnung 161 6 (UAG): „8 fl. vor 6 virttel wein ufs consistorium, alß 
u. g. f. u. her sambt dero hern gebruder bey den hern professoribus geweßen". 

1 4 » An die Univ., 1617 Juni 23, Or. UAG, S. Cod. Rescr. I, 9. 

150 Hierhin gehört die abschätzige Bezeichnung der Gelehrten als „Plackschcißer" 
(Rommel VI, 233, Anm. 181), die in jener Zeit nicht selten war (black = Tinte). 1613 
verbreitete sich in Gießen das Gerücht, der Landgraf habe geäußert : Wenn er nicht auf den 
Reichstag müsse, wolle er nach Gießen und einige räudige Schafe abschaffen (Akten StAD, 
Univ. 4). 

1*1 Akten UAG, S. Person, d. jur. Fak. 

1 52 Akten StAD, Kirche 33. Vgl. Heppe, Kirchengeschichte beider Hessen II 
(1876), 196 ff.; Hesse, Das erste Jahrh. der theol. Fak. (1858), 5. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 109 

schien, wurde dieser Plan aufgegeben 1M . Daß der Streit in diesem Falle nicht 
endgültig erledigt wurde und der Gegensatz zwischen Winckelmann und 
Mentzer noch in Marburg weiterbrannte, werden wir später sehen. 

Ein weiteres Ereignis zeigt uns, daß der Landgraf nicht nur als Schieds- 
richterauftrat, sondern auch als unbarmherziger Strafrichter gegen Professoren 
einschritt. In Olaubenssachen nämlich war er unerbittlich. Im Jahre 1623 ent- 
stand in Gießen eine Schwärmerbewegung, die von den Ideen der Rosenkreu- 
zer und Weigelianer beeinflußt wurde und auch einige Professoren, nament- 
lich den Juristen Nebelkrä und den Mediziner Stephani, in ihre Kreise zog. 
Nach eingehender Untersuchung durch die Theologen wurden beide ihres 
Amtes entsetzt, und man drohte ihnen, im Falle sie sich dabei nicht beruhig- 
ten, mit peinlichem Prozeß 164 . 

Nicht ohne Widerspruch hat die Universität die landesherrlichen Ein- 
griffe in ihre obrigkeitliche Gewalt ertragen. 1609 verweist sie den Land- 
grafen, der gegen die disziplinlose Studentenschaft einzuschreiten beabsich- 
tigte, auf die ihr zustehende Jurisdiktion 155 , und ähnlich, nur in etwas an- 
derem Tone, schreibt sie 1617, um die Einsetzung einer fürstlichen Visita- 
tionskommission in Sachen der unter Professoren wie Studenten herrschen- 
den Zwietracht abzuwenden, an den Fürsten; sie bittet, „das i. f. g. gnedig 
beherzigen wolle, das ihrer f. gn. landsfurstliche hochheit und jus episcopale 
keinesweges geschwechet, sondern viel mehr erhöhet werde, indem sie prae- 
ter alia auch durch gegebene kaiserliche und fürstliche privilegia der uni- 
versitet ihre Jurisdiction zu exerciren gnedig vergönnen und außerhalb der 
oberinspection und bekandtlichen criminalfellen sich die appellationsachen 
vorbehalten" 156 . Ja selbst in dem erwähnten Theologenstreit ersucht die 
Universität den Landgrafen, die vor ihn gebrachten Beschwerden an das 
akademische Forum zurückzuverweisen, das er „zur prima instantia inhalts der 
Statuten und Privilegien begnadigt" habe 157 . Von großer Wirkung konnten 
derartige Mahnungen nach dem, was wir über die Stellung der Universität zum 
Landesherrn wissen, nicht sein und sind es auch nicht gewesen. 

Die ständige Überwachung, die wir von Seiten des Landgrafen beob- 
achteten, erhält im Laufe der betrachteten Periode ein besonderes Organ in 
der Einrichtung einer jährlichen Visitation. Sie schloß sich an die von An- 
fang bestehende jährliche Rechnungsprüfung durch fürstliche Beamte an. 



im Steuber an Dieterich, 1618 Apr. 21 (Cgm. 1259, Bl. 224): „Die universitet will 
ihr decretum und was sie sonsten in Mentzerischen sachen gethan, nicht von sich geben, 
haben es u. g. f. u. h. abgeschlagen; was darauf vor ein filtz [= Verweis] erfolgen wirt, 
gibt die ieit". Vgl. Cgm. 1258, Bl. 184; 1259, Bl. 228. 

"* Vgl. über diese Bewegung Hochhuth in Zeitschrift f. hist. Theol. XXXIII (1863), 
wo aber der Ausgang nicht mitgeteilt ist. Umfangreiche Akten UAG, Ger.: „Acta Ho- 
magii, Nollii u. cons., schwärm betr." 

im MOGV XI, 78. 

i" Memorial, 161 7 Juli 3, Kzt. UAG, S. XIV, 4- 

157 An den Landgrafen, 161 7 Juni 12, Abschr. ebd. 



iio Zweiter Abschnitt. 

Schon bei dieser sogenannten „Rech nungsab hör" hatten nämlich die fürst- 
lichen Kommissare neben ihrer Hauptaufgabe oft noch einen Nebenauftrag 
gehabt, der in einem „Nebenmemorial 11 enthalten war und allerlei Punkte 
umfaßte, über die sich die Kommissare unterrichten sollten, um dem Land- 
grafen darüber zu berichten, namentlich solche Punkte, über die sich besser 
an Ort und Stelle mündlich verhandeln ließ, als auf dem Wege der umständ- 
lichen Korrespondenz 158 oder — was auch einigemal vorkam — durch Ab- 
schickung von einigen Professoren an den Landgrafen 1 * 

Immerhin waren diese Nebengeschäfte der Rechnungsabhör-Kommission 
nur gelegentliche Behelfe. Schließlich aber hielt es der Landgraf für geboten, 
durch eine dauernde Einrichtung eine schärfere Aufsicht über die Univer- 
sität zu ermöglichen, und so verordnete er am 28. Juni 1617 1 « : „Nachdem 
wir auch in dem werck befunden, das bey unserer hohen schule zu Giessen 
etzliche zeithero viel ohnordtnung und zweyungen sich ereuget, auch so- 
wohlen über der professoren saumbnuß und übersehen alß der studirenden 
jugent ohnfleiß und excessen etzliche zeithero unß allerhandt klagen vorkom- 
men, so haben wir die notturft zu sein ermessen, durch mittel einer jähr- 
lichen Visitation denen eingerissenen mangeln zu remediiren und den künftigen 
zujegen zu bawen." Diese Visitation, für die wohl Marburg und andere Univer- 
sitäten das Vorbild geliefert haben m , soll durch eine Kommission vorgenommen 
werden, zu deren Mitgliedern der Superintendent oder Hofprediger, der Statt- 
halter, ein gelehrter Rat und der Land- oder Kammerschreiber ernannt wer- 
den. Diese Visitationen fanden trotz des Widerspruchs der Universität, die 
ihre Vorrechte hierdurch angetastet sah 162 , von 1618 an jährlich statt bis zur 
Aufhebung der Universität im Jahre 1624. Die Instruktionen für die Kommis- 
sare waren meistens sehr eingehend, die Protokolle, von denen die Mehrzahl 
sich erhalten hat, sind Fundgruben für die Kenntnis der damaligen akademi- 
schen Zustände. Am Schluß jeder Visitation wurden die getroffenen Anord- 



158 So behandeln Nebenmemorial ien 1611 und 1613 die Frage der Tranksteuerfrei- 
heit, 1614 die Stellvertretung des beurlaubten Chr. Helvicus, das Verfahren bei nachtlichen 
Tumulten, Anstellung des Prof. Oliva, Sukzession unter den Professoren, Ergänzung der 
Statuten, Auslieferung der Speyrer Insinuationsurkunde über das kais. Privileg (vgl. Was- 
serschieben, 26 — 28), Untersuchung von Streitigkeiten mit dem Hauptmann. (Sämtlich 
UAG, Adm. Rechn.-Absch.) 

159 So übernahmen z. B. 1615 Kitzel und Horst, 1616 Breidenbach, 161 7. Horst 
die Vertretung der Universität in Darmstadt (Instruktion von 161 5, StAD, Univ. 3, 
1616 u. 1617, StAD, Univ. 5, u. UAG, S. XIV, 4). 

160 StAD, Verordnungssammlung, Regierungsordnung von 161 7, 165 ff. 

161 Vgl. Tholuck, I, 23 ff. In Marburg fanden 1575 und 1608 Visitationen statt. 
Über das Verfahren in Leipzig vgl. G. Müller im Neuen Archiv für sächs. Gesch. 
XXVII (1906), i8ff. 

162 S. oben S. 109. Vergebens hoffte die Universität, daß die erste Visitation 161 8 
auch die letzte sein würde, zumal sie der Universität 70 fl. Kosten verursacht hatte. Super- 
intendent Leuchter hatte die Dekane im Gasthaus zum Einhorn verhört. Cgrn. 1259, 
Bl. 228. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. in 

nungen in einen „Abschied" gebracht, von dem die Regierung und die Uni- 
versität je ein Exemplar erhielten. Die Visitationsverhandlungen erstreckten 
sich auf die Tätigkeit der Professoren, besonders ihren Fleiß, aber auch 
auf Stoff und Methode der Vorlesungen, auf etwaige Streitigkeiten unter 
den Gliedern des Lehrkörpers; sodann auf Frequenz der Vorlesungen, Dis- 
ziplin und Fleiß der Studenten; Mißstände bei Promotionen und im Pädagog; 
Teuerung und Qualität der in Gießen gelieferten Speisen, Getränke und 
Wohnungen; finanzielle Wünsche der Universitätsangehörigen usw. Die Ein- 
richtung der Visitation erleichterte wesentlich die Aufsicht der Regierung 
über die Universität; eine Menge Eingaben und Wünsche, die sonst dem 
Landgrafen persönlich zugegangen wären, wurden jetzt von der Kommission 
erledigt. Aber mit Recht empfand es die Universität als eine Schmälerung 
ihrer Rechte, daß eine Behörde zwischen sie und den Landesherrn einge- 
schoben wurde; und die bis ins einzelste gehenden Verhöre und Entschei- 
dungen der Visitationskommission schafften zwar manchen Mißbrauch ab, 
aber sie nahmen oder schmälerten wenigstens der Universität noch den Rest 
des Selbstbestimmungsrechtes, den sie als autonome Korporation besaß. 

VII. 

Es ist natürlich, und wir haben es auch bereits erwähnt, daß die Uni- 
versität, wenn sie sich auch ihrer Ohnmacht gegenüber dem Landesherrn 
bewußt war, ihre Rechte und Autorität gegenüber seinen Beamten mit großer 
Energie aufrecht erhielt. 

Gießen war seit 1605 Sitz einer fürstlichen „Kanzlei", das heißt einer 
Regierungsbehörde, an deren Spitze ein Kanzler stand, und der außerdem 
einige Räte angehörten. Diese Behörde führte die Verwaltungsgeschäfte für 
das darmstädtische Oberhessen und stand unmittelbar unter dem Landgrafen. 
Persönlich waren die „Kanzleiverwandten" nach der Sitte der Zeit „gefreite" 
Personen, das heißt von der örtlichen Jurisdiktion eximiert, und bildeten 
ebenso wie die Universität ein bevorrechtetes Corpus. Das Amt des Kanz- 
lers bekleidete von der Gründung der Kanzlei an bis zu seinem Tode 1617 
der mehrgenannte Joliann Strupp von Gelnhausen; ihm folgte unter dem 
Titel eines Vizekanzlers Nikolaus von Otthera. 

Neben dieser fürstlichen Oberbehörde stand ein weiterer Beamter des 
Fürsten, der Festungskommandant, einfach „Hauptmann" genannt, obgleich 
sein militärischer Rang höher war; ihm unterstand, da er für die Ruhe und 
Sicherheit der Landesfestung vAantwortlich war, die Stadtpolizei. 

Naturgemäß waren die Berührungspunkte zwischen dem erstgenannten 
Kollegium und der Universität nicht so zahlreich wie mit dem Polizeiherrn. 
Immerhin empfahl Mentzers Entwurf zur Organisation der Hochschule 1605, 
daß „gute einigkeit inter aulicos [Hof-, das heißt hier Regier ungsbeamtenj, 
cives et studiosos" gehalten werde 163 ; ihm schwebten wohl Marburger Er- 



1« MOGV X, 47. 



M2 Zweiter Abschnitt. 

fahrungen vor. Aber die Beziehungen des Kanzlers zur Hochschule be- 
schränkten sich in der Hauptsache auf Repräsentation bei besonderen Ge- 
legenheiten 164 . Daß man in Studenten kreisen in späteren Jahren nicht mehr 
daran dachte, wieviel Strupp für das Zustandekommen der Universität gelei- 
stet hatte 166 , ist vielleicht dadurch zu erklären, daß man das Eingreifen der 
Darmstädter Regierung bei der großen Disziplinlosigkeit der Studenten auf 
Berichte zurückführte, die Strupp nach Darmstadt gesandt hatte. 

Die Polizeigewalt des Hauptmanns bezog sich auf die Soldaten der Be- 
satzung und die Bärger, die des Rektors auf die Studenten, aber auf diese 
auch nur, soweit ihre Vergehen nicht kriminal waren; für diesen Fall war 
wieder der fürstliche Beamte, das heißt eben der Hauptmann, zuständig. 
Man sieht: hier war die Reibungsfläche der beiden Gewalten groß. Nicht 
viel verbessert wurde die Lage dadurch, daß die Nachtwache, die man zeit- 
weise gegen den überhandnehmenden Unfug errichtete — von ihr wird bei 
der Betrachtung des Studentenlebens noch zu sprechen sein — , einem Wacht- 
meister untergeben war, der seinerseits bei beiden Obrigkeiten in Pflicht 
stand, aber bei Verhaftungen sorglich zu scheiden hatte, um die Studenten 
dem Rektor, die Bürger dem Schultheißen in Gewahrsam zu liefern, bei kri- 
minalen Fällen aber ein noch komplizierteres Verfahren einschlagen mußte 166 . 

In den ersten Jahren der Hochschule scheint die Stelle des Hauptmanns 
eine Zeitlang unbesetzt gewesen zu sein; diesen Zustand empfand die 
Universität unangenehm und drang in den Landgrafen, einen Hauptmann von 
Adel einzusetzen, „auf welchen sowol die Universität als die cantzlei zu 
sehen" 167 , das heißt der sich beiden eximierten Körperschaften gegenüber in 
Respekt zu halten wußte. Aber als dann Hans Wolf von Weiteishausen, ge- 
nannt Schrautenbach, als Hauptmann die Leitung der Polizei in die Hand nahm, 
mag die Universität ihre Bitte oft bereut haben. Eine fast ununterbrochene 
Kette von Streitigkeiten zieht sich durch die letzten zehn Jahre unserer Pe- 
riode. Meist waren sie hervorgerufen durch den Obereifer des Hauptmanns, 
der nach der bestehenden Rechtslage zuweit ging. So bot er 1614 bei der 
Verwundung eines Studenten die Bürgerschaft durch die Sturmglocke auf, um 
nach dem Täter zu suchen, obgleich dies der Rektor durch die Pedelle hätte 
tun müssen ; und höchst empfindlich wurde die Universität, als sich Schrauten- 
bach weigerte, die Waffen, die den Studenten bei einer Rauferei mit Soldaten 



164 Z. B. die Vertretung des Landgrafen bei der Schuleröffnung 1605, die Grund- 
steinlegung zum Universitätsgebäude 1607. Vgl. auch die Rangordnung (oben S. 95). 

165 Man warf ihm die Fenster ein; die Studenten weigerten sich 161 7, ihm das letzte 
Geleit zu geben. MOGV XI, 75 u. Anm. 6; 79. 

166 Vgl. oben S. 99 — 100. 

167 Or. StAD, Univ. 1. Einstweilen scheint J. Sinold genannt Schütz als „leute- 
nampt" den Kommandanten vertreten zu haben (dessen Sehr, an Landgraf Ludwig, 1609 
März 20, StAD, Univ. 2). Aus dem Fehlen eines Hauptmanns erklärt sich wohl das 
Einschreiten des Kanzlers 1609 (MOGV XI, yy). 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 113 

abgenommen worden waren, den Eigentümern zurückzustellen 168 . Am höch- 
sten stieg jedoch die Erregung der Akademiker gegen den Hauptmann, als er 
im Winter 1616 auf 1617 nach der Ermordung eines Studenten seine Polizei- 
maßnahmen verschärfte, die Festungstore zeitweise sperrte, eine außerordent- 
liche Wache (die „ordentliche" war bereits 1609 auf Wunsch der Studenten 
abgeschafft worden 169 ) einrichtete, die den Studenten auflauerte, sie gelegent- 
lich mißhandelte und ihnen — auch eine Art Polizeihandhabung! — die Fen- 
ster einwarf. Die Professoren, die auch durch mißgünstige Berichte des 
Hauptmanns beim Landesherrn verleumdet zu werden fürchteten 170 , drohten, 
wenn die „Attentate" und die „Insolenz" des Hauptmanns fortdauerten, werde 
die Universität, die sich „in gutem flore" befinde, bald zerrüttet sein 171 . In der 
Tat verbreitete sich auswärts die Nachricht vom „Wüten" des Hauptmanns 
und seiner „ölberger", das heißt Schergen 172 . Die Studenten suchten sich zu 
rächen, indem sie nächtliche „actiones" vor dem Hause des Hauptmanns ver- 
anstalteten, ihm eine Katzenmusik brachten usw. Nach langen Verhandlun- 
gen wurde die Angelegenheit beigelegt, eine Nachtwache wieder eingeführt 178 . 
Aber die Spannung dauerte an, sie erhielt neue Nahrung durch den Streit 
des Hauptmanns mit den Theologen über die Behandlung der Juden 174 , und 
Schrautenbachs Unwille und Adelsstolz führten ihn sogar dahin, durch Wider- 
spruch gegen einen Ausdruck Winckelmanns in der Kirche öffentlichen Skan- 
dal zu erregen 175 . Wir können das Verhältnis zwischen Universität und 
Stadtkommandant in den letzten Jahren nur als das offener Feindseligkeit be- 
zeichnen. Als bei der Aufhebung der Universität 1624 auch die akademische 
Jurisdiktion aufhörte und die Professoren bis auf weiteres der gewöhnlichen 
Obrigkeit unterworfen wurden, ist aus ihrer Mitte die Befürchtung laut ge- 
worden, daß der Hauptmann jetzt seiner gehässigen Gesinnung gegen die 
Universitätsangehörigen Ausdruck verleihen werde, da ihm Macht über sie 



168 Univ. an Landgraf Ludwig, 1614 Apr. 14, Okt. 10, StAD, Univ. 5. 
*«• Vgl. MOGV XI, 77 f. 

170 Gisenius an Dieterich, 161 7 Apr. 14 (Cgm. 1258, Bl. 182): „Altercationes huc- 
usque fuerunt variae inter academiam nostram et capitaneum; redditur in dies ill. 
princeps alienior ab academia". 

171 Memorial für Prof. Breidenbach, 1616 Dez. 10, Kzt. StAD, Univ. 5. 

1M Chr. Tholdius in Speyer an Dieterich, 1618 Aug. 21 (Cgm. 1259, Bl. 444): 
„Giessae ut ex Giessensibus studiosis audivi, Status turbulentus adhuc, saeviente capi- 
taneo, saevientibus olivariis (oelberger) nocturnis". Die Bezeichnung ölberger für Hä- 
scher usw. geht auf Christi Gefangennahme auf dem ölberg zurück. Vgl. Grimms Wör- 
terbuch VII, 1275. 

17 » Vgl. MOGV XI, 78 f., und die dort angeführten Akten, sowie den Brief Steu- 
bers, Cgm. 1259, Bl. 207 f. 

174 Vgl. Grein in d. Beiträgen z. hess. Kirchengesch. I (1902), 259 ff. 

176 J. Vietor an Dieterich, 1623 März 6 (Cgm. 1259, Bl. 605): „Zu Giessen hats 
bishero wol beschwerliche hendel geben wegen der Juden und Soldaten; so hat auch 
capitaneus in der kirch post concionem publice D. Winckelmanno contradicirt, dz er 
D. Gotfridt s. söhn in proclamatione nuptiali «ehrnvest» titulirt". 

Die Unfonitit Gießen von 1607 bis 1907. I. 8 



H4 Zweiter Abschnitt. 

gegeben sei 176 ; dieser Umstand trug mit dazu bei, daß den Akademikern da- 
mals wieder eine provisorische Obrigkeit gegeben wurde. — 

Ergänzend muß hier bemerkt werden, daß Händel der Studenten mit Sol- 
daten der Besatzung zwar vorkamen, aber verhältnismäßig selten, wenigstens 
nach Ausweis unserer Akten 177 . 

Es erübrigt nun noch, auf das Verhältnis der Hochschule zur Musen- 
stadt einen Blick zu werfen. 

Für die Stadt Gießen war die. Stiftung der Universität in ihren Mauern 
eine große Wohltat. Wenn wir auch absehen von der ehrenvollen Stellung, 
die eine Stadt als Universitätssitz einnimmt und die man auch damals wohl 
zu schätzen wußte 178 , so zog doch die Bürgerschaft große finanzielle Vor- 
teile daraus; denn neben den Professoren, deren behaglichere Lebenshal- 
tung dauernd ein Absatzgebiet für alle möglichen Waren darstellte, verzehr- 
ten stets Hunderte von jungen Leuten ihr Geld in der Stadt, von anderen Vor- 
teilen nicht zu reden 179 . Als Gegenleistung der Stadt ist es anzusehen, daß 
die Bürger zunächst für Lehrer und Schüler Unterkunft zu schaffen hatten, 
eine Aufgabe, deren schleunige Lösung in dem engen, unüberschreitbaren 
Ringe der Festungswälle nicht leicht war, aber auf des Landgrafen Wunsch 
möglich gemacht wurde 180 . Eine eifrige Bautätigkeit begann von Seiten der 
Bürger 181 , und bald begannen auch manche Professoren sich in der neuen 
Heimat eigene Häuser zu erbauen, deren glänzendes Aussehen, wie ein 
gleichzeitiger Geograph berichtet, einen Schmuck der Stadt bildete 10 . 
Auch die Oberweisung des Rathauses als Unterrichtslokal für die ersten 
Jahre ist der Stadt zum Verdienste anzurechnen. Schließlich müssen wir 



176 Prof. Hunnius an die fürstl. Kommissare, o. D. [1624], Or. StAD, Univ. 6. 

177 Nach der Aufnahme bayrischer Besatzung in die Festung befürchtete Schrau- 
tenbach nicht ohne Grund zahlreichere Zwischenfälle dieser Art; noch nach der Uni- 
versitätssuspension wird gemeldet, daß Studenten „einen hauptmann seltzam zu gast ge- 
laden" haben. Schrautenbach an Landgraf Ludwig, 1624 Juni 19, Or. StAD, Univ. &. 

178 Vgl. Wolfg. Heider, Orationes, Bd. II (1630), 811 : „Jena nostra . . . ut et Helm- 
stadium et Altorf ium et Giessena erant quondam oppidula ne ipsis quidem Germanis 
interioribus satis nota. At postquam academiarum domicilia esse coeperunt, tantum reli- 
quas inter urbes et illas quidem metropoles vicinarum provinciarum sua extulenint ca- 
pita, ut jam nullus sit Europae angelus, quo ipsarum fama non pervenerit 44 . 

179 Die klassische Darlegung der Vorteile, die eine Universitätsstadt der Hoch- 
schule dankt, findet sich in W. Heiders 16 14 gehaltener Rede de vulpeculis scholasticis 
(Orat. II, 812 ff.), wo u. a. sogar die „matrimoniorum commoditates" töchtergesegneten 
Bürgern vorgehalten werden. 

180 Vgl. Nebel in Justis „Vorzeit 44 , 1828, 135. 

i8i Nach der Suspension der Universität bittet die Stadt um Ermäßigung der Steuer, 
da die Bürger sich für Baukosten und besonders für eiserne Öfen sehr in Schulden ge- 
steckt hätten. Kzt. im Stadtarchiv Gießen. 

182 Steph. Ritter Grunbergensis, Cosmographia prosometrica, Marp. 1619, sagt S. 489 
von Gießen: „. . . aedificiaque nova professorum maximis sumptibus et exquisito arti- 
ficio extructa, urbis faciem plurimum ornant 44 . Auch Kitzel bemerkt 161 5, daß die Stadt 
„pene tota in melius reformata videatur 44 (Schädel, yj). 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. H$ 

noch den jährlichen baren Zuschuß von 150 Gulden nennen, den die Stadt 
aus der Einnahme des städtischen Weinzapf monopols leistete 189 . Dafür 
sparte jedoch die Stadt einen Arzt (Stadtphysikus), dessen sie doch sonst 
nicht hätte entbehren können 184 . 

Sehen wir von den Wohnungen ab, so müssen wir auch im übrigen 
feststellen: Gießen war auf die Beherbergung einer so großen Zahl von 
neuen Ankömmlingen, von denen doch ein Teil an eine bessere Lebenshal- 
tung gewöhnt war, durchaus nicht eingerichtet. Bis in der Beschaffung der 
nötigen Lebensmittel und sonstigen Bedarfsgegenstände einigermaßen Ord- 
nung herrschte, bedurfte es noch langer und umständlicher Verhandlun- 
gen 185 . Die Universität klagt in den ersten Jahren sehr über das Fehlen wich- 
tiger Bedarfsgegenstände, die geringe Auswahl auf dem Markt, das Fehlen 
der nötigen Brennholzzufuhr, die schlechte Qualität des Brotes und Bieres 
usw. Sie verlangt drei wöchentliche Märkte, während bisher nur einer 
stattfand. Der Landgraf erließ schließlich, um den Klagen zu steuern, eine 
„Viktualienordnung", aber ihre Nichtbeobachtung gab der Universität zu 
neuen Klagen Anlaß. Im Jahre 1618 forderte der Landgraf von der Uni- 
versität Vorschläge „zu besserer Ordnung der victualien und getränke" ein, 
und die Professoren arbeiteten in dieser Hinsicht eine umfangreiche Denk- 
schrift aus, die für die damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse in Gießen 
höchst lehrreich ist, auf die näher einzugehen wir hier jedoch keinen An- 
laß haben 186 . Erwähnt muß ferner werden, daß die Klagen über den Stra- 
ßenschmutz und die schlechte Wasserversorgung in unserer Periode keine 
Besserung zur Folge gehabt zu haben scheinen. 

Fast noch empfindlicher als die Professoren durch die Mängel der Le- 
bensmittel wurden die Studenten durch die Kostspieligkeit des Gießener Le- 
bens getroffen. Besonders die Getränkeverhältnisse waren höchst besserungs- 
bedürftig. Das Bestreben der Gießener Bürger, an den Studenten möglichst 
viel zu verdienen, ist unverkennbar 187 ; aber daneben müssen wir doch auch 
die allgemein steigenden Preise und die Münzverschlechterung unseres Zeit- 
abschnitts, besonders seit 1620, mit in Rechnung ziehen. Waren hierdurch 
in jenen letzten Jahren doch auch die Professoren genötigt, infolge der Le- 
bensmittelteuerung zeitweise ihre Kosttisclie für Studenten aufzugeben 188 . 



188 Urkunde von 1606: Wasserschieben, 25. 

184 Der Einnahmeposten steht in den Universitätsrechnungen seit 161 2 mit der Be- 
gründung „zu erhaltung eines medici". 

185 Ein feild von diesen Zuständen gibt Buchner, Aus Gießens Vergangenheit 
(1885), 208 f. 

im VAG, S. Cod. Rescr. I, 452. 

"* Vgl. MOGV XI, 72 f. 

188 So schon 1610 (Univ. an Landgraf Ludwig, März 16, StAD, Univ. 1), dann 
1620/21 (Visit-Akten 1620, StAD, Univ. 6; Univ. an Landgraf Ludwig, 1621 Aug. 6, 
StAD, Univ. 5). 

8* 



2l6 Zweiter Abschnitt. 

VIII. 

An der Spitze des ganzen akademischen Staates stand der Rektor. 
Sein Amt dauerte ein Jahr 1 * 9 , und er wurde stets am 1. Januar aus der Zahl 
der ordentlichen Professoren gewählt. Nur wenn ein besonders vornehmer 
Student die Rektorwürde anzunehmen sich bereit erklärte, wurde dieser dem 
Namen nach Rektor, während die Geschäfte ein Prorektor aus der Reihe der 
Professoren führte. Dieser Fall — ein Überrest der alten Wählbarkeit der 
Scholaren im Mittelalter 190 — trat in den Jahren 1609 und 1610 unseres 
Zeitraumes ein. Das Rektorat (beziehungsweise Prorektorat) wechselte jähr- 
lich unter den Fakultäten in der üblichen Reihenfolge: theologische, juristi- 
sche, medizinische, philosophische Fakultät 191 , und dieser regelmäßige Wech- 
sel ist in der betrachteten Periode nicht durchbrochen worden m . 

So bildet das akademische Staatswesen durch die Wählbarkeit des 
Oberhauptes eine scheinbare Demokratie; in der Tat ist es aber ein aristo- 
kratisch regiertes Ganzes. Die Professoren sind die zur Herrschaft berufene 
Klasse — im Gegensatz zu den alten italienischen Hochschulen — , und die 
Wahl eines fürstlichen Studenten ist nur scheinbar eine Durchbrechung 
dieses Prinzips, da dieser faktisch keine Amtsgewalt übt, sondern nur ein 
Ornament ist 199 . Dem steht nicht entgegen, daß die Erlasse aus den Rekto- 
ratsjahren der beiden Prinzen nominell von ihnen ausgehen, daß der fürst- 
liche Rector magnificentissimus sich — Fiktionsweise — seinen Prorektor 
wählt, ihm die Administration überträgt 194 . 

Die Wahl des Rektors erfolgt in einer Sitzung des gesamten Senates, 



189 Dieser Gebrauch hatte sich in Marburg an Stelle des halbjährigen Rektorats, 
das sonst auf vielen Hochschulen noch herrschte (Stein, Akad. Gerichtsbarkeit, 123, 
Anm. 47), herausgebildet, vgl. Hildebrand, Urkundensammlung, 20, Anm. ft» 

190 Kaufmann, Gesch. d. deutschen Universitäten II, 54. 

191 S. Wasserschieben, 14, im Gegensatz zu Tübingen und Königsberg, vgl. Meiners, 
Gesch. d. Entstehung u. Entwicklung d. hohen Schulen III (1802), 142. 

192 Ich gebe die Rektoratsreihe nebst der Fakultätszugehörigkeit: 
160$ — 06: Joh. Winckelmann, Th. 1614: Joh. Winckelmann, Th. 
1607: Gottfr. Antonii, J. 161 5: Joh. Kitzel, J. 

1608: Jos. Lautenbach, M. 161 6: Greg. Horst, M. 

1609: Johann Georg Herzog zu Schles- 161 7: Chr. Scheibler, Ph. 

wig usw., Prorektor: Konr. Dietc- 1618: Joh. Winckelmann, Th. 

rieh, Ph. 1619: Heinr. Nebelkrä, J. 

1610: Joachim Ernst Herzog zu Schles- 1620: Sam. Stephani, M. 

wig usw., Prorektor: Balth. Mentzer, 1621 : Chr. Liebenthal, Ph. 

Th. 1622: Joh. Winckelmann, ffh, 

161 1: Peter Frider, J. 1623: H. U. Hunnius, J. 

161 2: Greg. Horst, M. 1624: Ludw. Jungermann, M. 

1613: P. H. Nigidius, Ph. 

193 Vgl. auch Stein, 5 5 f. — Persönlich hervorgetreten ist der fürstliche Rektor 
1609 bei einem Studentenkrawall, wo er als Vermittler (vorgeschoben) wirkte; er war 
erst 14 Jahre alt. Vgl. MOGV XI, 77. 

194 Joh. Georgii . . regimen, 3 : „Rectori . .* . magnificentissimo quoque placuit 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 117 

oder wie man damals sagte, des Konsistoriums, das heißt durch die Stim- 
men der ordentlichen Professoren nach dem Mehrheitsprinzip 195 , und zwar 
in geheimer Abstimmung, wobei der abtretende Rektor und der Dekan der 
philosophischen Fakultät „sub fide silentii" die Stimmen sammelten. Eine be- 
sondere Verpflichtung oder Vereidigung des neuen Rektors scheint nicht 
stattgefunden zu haben. War die Wahl vollzogen, so wurde der Gewählte 
von seinem Vorgänger sofort den hierzu versammelten akademischen Bürgern 
als künftiges Oberhaupt vorgestellt und ihm in feierlicher lateinischer An- 
sprache die Insignien des Rektorates übergeben 196 . Als solche galten: die bei- 
den silbernen vergoldeten Szepter als Zeichen der Amtsgewalt, das Privile- 
gien- und Statutenbuch, das Album oder die Matrikel, das Siegel der Uni- 
versität, die Schlüssel zum Konsistorium (Sitzungszimmer des Senats) als 
Zeichen des Rechtes und der Pflicht, den Senat zu berufen; endlich die 
Schlüssel zum Karzer als Zeichen der Strafgewalt. Der neue Rektor über- 
nahm mit passender Ansprache die Zeichen seiner Würde und versprach, 
sein Amt treulich zu verwalten. 

Wie alle akademischen Feste, so wurde auch der Rektorwechsel durch 
ein Festmahl gefeiert, das prandium rectorale, an dem sämtliche Professoren 
und auch sonstige Gäste teilnahmen 197 . 

Bei der Amtstätigkeit des Rektors müssen wir die von ihm allein und 
die in Gemeinschaft mit dem Senat oder einem engeren Rat vorgenomme- 
nen Handlungen unterscheiden 198 . 

Vor allem steht ihm, in Fällen nötiger Abwesenheit seinem Vorgänger, 
die obrigkeitliche Gewalt über die Glieder des akademischen Körpers zu ; sie 
haben ihm Gehorsam zu leisten; ferner die bereits erwähnte Jurisdiktion 
unter Ausschluß krimineller Sachen. Der Rektor hat sodann die Oberauf- 
sicht über die Universität, und er hat — wie auch der Kanzler — die Pflicht- 
erfüllung der Professoren und Pädagoglehrer zu überwachen, besonders auch 
Streitigkeiten unter ihnen beizulegen. Schließlich ist ihm die Aufnahme neuer 
Studenten übertragen, die damals nicht nur bei Beginn der Semester, sondern 
ununterbrochen das ganze Jahr hindurch geschah. Rechnet man hinzu, daß 
der Rektor bei Promotionen, festlichen Disputationen, Deklamationen usw. 



sibiadjungi Pro-Rectorem . . Cunradum Theodoricum . ."; in der prinzlichen Rede S. 9: 
„Cunr. Theod , cui administrationem omnera delegavimus . .". 

195 Wasserschieben, 14. Die Statuten von 1605 forderten Einstimmigkeit; unter Hin- 
weis auf das Marburger Herkommen wurde bei der Neubearbeitung der Majoritätsbe- 
schluß in die Statuten eingesetzt (Univ. an Landgraf Ludwig, 1609 Mai 6, StAD, Univ. 3). 

196 Die Rektoratsübergabe 1609 und 1610 in Jon. Georgii regimen acad., iff u. 120 ff. 

197 Rektor Antonii an Oberamtmann v. Buseck in Darmstadt, 1607 Dez. 15 (StAD, 
Univ. 4): Bittet um Wildbretlieferung zum ersten Prandium rectorale der Universität, an 
dem diesmal die Räte der Regierung usw. teilnehmen sollen, sowie seine (Antoniis) 24 
Tischgänger. 

198 Vgl. für das Folgende Wasserschieben, 14 ff., sowie die Sammlung der Patente 
in Jon. Georgii regimen academicum. 



n8 Zweiter Abschnitt 

repräsentieren mußte, so begreifen wir, daß das Rektorat ein muhevolles und 
zeitraubendes Amt war, dessen Träger gewohnheitsrechtlich von der Ver- 
pflichtung befreit war, Vorlesungen zu halten 1 »». 

Die Immatrikulation war ein Geschäft von großer Umständlichkeit, 
weil der Rektor nicht nur die Ankömmlinge nach Namen und Herkunft auf- 
zuzeichnen hatte, sondern auch noch eine kleine Prüfung mit ihnen an- 
stellen sollte, von deren Ergebnis es dann abhing, ob der junge Mann zum 
Besuch der öffentlichen Vorlesungen zugelassen oder zur Erwerbung der 
fehlenden Vorkenntnisse ins Pädagog verwiesen wurde. Ein Rektor, der 
diese Bestimmung ernst nahm, hatte demnach oft sechs bis acht solcher klei- 
ner Maturitätsprüfungen an einem Tage abzuhalten. Auch die Erteilung 
der Inskriptiomsscheine nahm Zeit weg. 

Neben den Immatrikulationen ist es besonders die laufende Korre- 
spondenz der Hochschule, die dem Rektor Mühe verursacht. Zwar hatte 
außergewöhnlich wichtige Schreiben der Kanzler, Prozeßschriften der Syndi- 
kus abzufassen, aber die Menge des kleinen Schriftwechsels bleibt dem Rek- 
tor» 00 . Da werden Berichte an die Regierung geschrieben, mit auswärtigen 
Gelehrten über Berufungen Briefe gewechselt, finanzielle Schwierigkeiten 
mit den Vögten erledigt; Väter erkundigen sich nach ihren Söhnen, von 
denen sie keine Nachricht haben, auswärtige Hochschulen verlangen Aus- 
kunft über Studenten, deren Aufenthalt aus irgend einem Grunde ermit- 
telt werden muß ; fremde Obrigkeiten bitten um Empfehlung geeigneter Per- 
sonen für vakante Schulstellen und dergleichen — kurz, die Beantwortung 
der Anfragen, die Führung der Korrespondenz, die jetzt besonderen Beam- 
ten obliegt, fesselte in jener Zeit den Rektor den größten Teil des Tages an 
den Schreibtisch. Dazu kamen die von vielen Studenten verlangten Abgangs- 
zeugnisse, die unseren Exmatrikulationsscheinen entsprechen, die aber damals 
in viel umständlicherer Weise mit vielem Aufwand von lateinischer Rheto- 
rik die Vorzüge und Verdienste des Abgehenden priesen. In noch höherem 
Maße gilt dies von den Anschlägen ans schwarze Brett — damals an die 
Kirchtüren (ad valvas templi) — , von den Programmata, wodurch Promotionen, 
Fest- und Inauguralreden angekündigt, Todesfälle von Universitätsangehöri- 
gen (einschließlich ihrer Frauen und Kinder) oder sonstigen personae hono- 
ratae mitgeteilt wurden ; von den Bekanntmachungen, in denen man den Stu- 
denten Ungehörigkeiten verwies und anständiges Betragen zur Pflicht machte. 
Den gleichen Überschwang und Schwulst finden wir auch in den regelmäßig 
wiederkehrenden Edikten : den Aufforderungen an die anwesenden nichtinskri- 



199 Rektor Nebelkrä erklärt z. B. 1619 den Visita toren, er sei dieses Jahr „ratione 
officii von der lectura befreit", wolle aber doch einige Stunden lesen (Visit-Prot. StAD, 
Univ. 6). In dem erhaltenen Vorlesungsverzeichnis für das W.-S. 1622/23 (a. a. O.) 
fehlt der Rektor Winckelmann. 

200 Dies bezeichnet die Universität (an Landgraf Ludwig, 1609 Mai 6, StAD, 
Univ. 3, Abschr.) als Herkommen, nach Marburger Vorbild. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 119 

bierten Studenten, sich inskribieren zu lassen; den Aufforderungen an die 
gesamte Studentenschaft, den Pedellen das ihnen zukommende Semesterge- 
schenk zu reichen; endlich den Ankündigungen der großen akademischen 
Feste. 

Diese Feste — die stehenden neben den nach Bedarf stattfindenden 
Promotionsfesten — waren: Rektorwechsel (1. Januar), Verlesung der Ge- 
setze (1. Juli) und Stiftungsfest (7. Oktober). Alle drei Feste gaben dem 
Rektor Anlaß zu Prunkreden 201 , in denen er alle Mittel klassischer Eloquenz 
anzuwenden bemüht war, und die den Studenten Beispiele und Muster für 
ihre eigenen rhetorischen Übungen darstellten. 

Wohl am meisten aber machte dem Rektor das unruhige Volk seiner 
Untertanen, der Studenten, zu schaffen. Von einer Wirkung der periodi- 
schen Musterung ihres größten Teils, der Studenten der Philosophie, merken 
wir wenig, ebenso wie von einer Besserung durch die Teilnahme an der Ver- 
lesung der Gesetze. Denn immer und immer wieder stellt es sich als nötig 
heraus, Statutenartikel ihnen ins Gedächtnis zurückzurufen; und bei aller 
Milde der Gesetzeshandhabung gab es doch nicht wenige Fälle, wo der Rek- 
tor umfangreiche Zeugenvernehmungen anstellen mußte, sei es, daß sich Bür- 
ger über Sachbeschädigungen oder andere Differenzen mit Studenten beklag- 
ten, sei es, daß Streitigkeiten unter den Studenten selbst, Mord und Tot- 
schlag, das Eingreifen der akademischen Behörde nötig machten. Dann die 
Schuldprozesse gegen Studenten ! Sie bilden ein besonderes Kreuz des Rek- 
tors, bei dem sie allein anhängig gemacht werden durften. Denn mancher 
Student war, wenn er zur Verantwortung gezogen werden sollte, spurlos 
verschwunden ; er mußte öffentlich zitiert werden, stellte sich vielleicht dann 
ein, — andernfalls war die Ermittlung seines Aufenthaltsortes schwierig, aber 
oft genug gelang sie doch, und der Student konnte zur Rechenschaft gezogen 
werden. Ahnlich ging es bei den häufigen Anklagen wegen Ehe versprechen. 
Die Bruchstücke der Disziplinar- und Justizakten, die auf uns gekommen 
sind, bezeugen, daß die Ehre des Rektorates durch große Mühen mehr als 
aufgewogen wurde. Auch die pekuniären Vorteile — ein halber Reichstaler 
von jedem neu immatrikulierten zahlungsfähigen Studenten und Anteil an 
den Promotionsgeldern — sind nicht hoch anzuschlagen, wenn man be- 
denkt, daß es dem vielbeschäftigten Rektor unmöglich war, die einträglichen 
Kollegien zu halten. 

So wird wohl Taubmanns launige Schilderung, womit er uns einen Ein- 
blick in die Mühen eines Rektors von Wittenberg gegeben hat 202 , auch ein 

201 Der (Wasserschieben, 17) angeordnete Wechsel des Stiftungsfestredners unter 
den Fakultäten scheint mit dem Wechsel des Rektorats zusammengefallen zu sein; we- 
nigstens redete 161 5 Kitzel (Schädel, 36), 161 6 Horst, vgl. in einem Briefe Mentzers 
von 161 6 die Datierung: „Giessae dabantur celerrime VII. octobr., cum dn. rector 
D. Horstius pulcherrimam habuisset de academia Giessena orationem" (Cgm. 1258, Bl. 659). 

202 In seiner Rede „Hercules academicus", die er am Ende seines Rektorates 
hielt (gedr. in seinem Otium semestre publicum, Giessae 1609, 139 ff.)- Vgl. die darauf 



120 Zweiter Abschnitt. 

annäherndes Bild dessen geben, was dem Gießener Rektor oblag, und Taub- 
manns erleichtertes Aufseufzen nach Ablauf des Rektorates wird auch mancher 
Gießener Rektor nachempfunden haben 208 . 

Lagen schwerere Fälle (causae difficiliores) vor, so hatte der Rektor ein 
consistorium zu veranstalten, indem er entweder den Kanzler und die vier 
Dekane oder alle ordentlichen Professoren zur Beratung entbot. Der erst- 
genannte Senat, dessen Vorbild sich in Marburg bereits fand* 04 , sollte monat- 
lich sich versammeln, außerdem so oft es die Umstände erforderten 106 . Wo 
die Grenze der causae difficiliores lag, zu deren Erledigung der Rektor nicht 
allein zuständig war, wird in den Statuten nicht gesagt und hing wohl vom 
Ermessen des Rektors ab. Nicht immer scheint man mit dessen Abgren- 
zung der Geschäfte zufrieden gewesen zu sein; einmal finden wir eine An- 
deutung, daß der Rektor — statutenwidrig — Schriftstucke im Namen der 
Universität ausfertigte, ohne sie zuvor dem Kanzler und den Dekanen vor- 
gelegt zu haben* 06 . Selbst bei verhältnismäßig geringfügigen Dingen war 
der Rektor an die Zustimmung der fünf Berater gebunden : nur mit ihrer Ge- 
nehmigung durften die erledigten Akten dem Archiv einverleibt werden, nur 
wenn sie nichts auszusetzen fanden, durfte er seinen Bericht über die Er- 
eignisse des Rektoratsjahres in die Chronik der Universität, das Rektorats- 
buch, eintragen* 07 . 

Seltener als dieser engere Senat war die Versammlung aller ordent- 
lichen Professoren einzuberufen. Bei wichtigen Ausschreiben war ihre Zu- 
stimmung notwendig, wurde aber vielleicht auch durch Umlauf eingeholt 
Ebenso geschah wohl die Bekanntgabe aller eingelaufenen Schreiben. Immer- 
hin lassen sich Fälle denken, in denen eine Beratung des gesamten Senates 
nötig wurde. 

Augenscheinlich dem Mißtrauen gegen die Selbstherrlichkeit der Rek- 
toren ist dann die Bestimmung von 1621 zuzuschreiben, wonach der engere 
Senat wöchentlich, der weitere monatlich zusammentreten sollte 108 . 



basierende Ausführung von Schupp, Antwort auf M. Bernh. Schmids Discurs, in s. Lehr- 
reichen Schriften I, 792 der Ausg. v. 17 19. 

203 Die Rede beginnt: „Non a summis labris hoc dico, auditores, sed ab imo pec- 
tore (seit ille, qui hominis intimos scrutatur sensus): me gaudere atque adeo lae- 
tari, hunc diem tandem illuxiss*, quo ego mihi et humanitati reddor, a cujus 
professione saeculum abfuisse videor. Habeant sibi rectores suum regimen, et euge illud 
magnificum: ego mihi deineeps placebo in pristino meo regno". 

204 Vgl. die ungedruckten Statuten von 1560. 

205 Wasserschieben, 14, 15. 

«06 Auf einem Notizzettel von Feurborns Hand von 1621 (StAD, Univ. 6) steht 
die Notiz (zu künftiger Beratung) : „De academiae literis prius a decanis revidendis prius- 
quam publicentur. Quod hactenus factum non sit, ut et testetur relegatio Malcomesii." 

207 Wasserschieben, 14 f. Ob diese Bestimmungen immer eingehalten wurden, ist 
eine andere Frage. Das Rektoratsbuch ist verloren, nur Entwürfe der Einträge sind er- 
halten. 

208 Instruktion v. 30. Apr. u. Abschied v. 5. Mai 1621, StAD, Univ. 6. Vgl. die 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 121 

Die Sitzungen der Senate fanden in der Regel an Mittwochnachmit- 
tagen statt, also zu einer Zeit, wo weder Vorlesungen noch Disputationen 
gehalten zu werden pflegten. Die Professoren hatten sich zur ange- 
gebenen Zeit innerhalb des akademischen Viertels einzustellen bei Verlust 
ihres Votums. Bei ganz wichtigen Gegenständen konnte der Rektor mit 
dem Senat das Erscheinen des einzelnen durch Strafe (1621 heißt es: y% 
Reichstaler Strafe) erzwingen, wenn kein triftiger Grund für das Ausbleiben 
geltend gemacht werden konnte. 

Nach der Eröffnung der Sitzung trug der Rektor die Gegenstände der 
Beratung vor und hörte in bestimmter Reihenfolge, beginnend mit dem 
Kanzler, die Meinungen der Professoren. Der Beschluß erfolgte nach der 
Mehrheit. Beim Votieren war Unterbrechung und Zwischenreden oder Spott 
verboten : Alle sollten gleichmäßig gehört werden und ihre Meinung frei sa- 
gen dürfen. Betraf die Verhandlung die Person eines der Professoren, so hatte 
dieser solange die Sitzung zu verlassen 209 . Der Rektor war zur ungesäumten 
Ausführung der Beschlüsse verpflichtet und durfte sie nicht vom Gut- 
dünken anderer abhängig machen oder gar unterlassen. Für die Beratun- 
gen des Senates galt das Amtsgeheimnis. Gegen diese Bestimmung ist jedoch 
nachweislich verstoßen worden 210 . 

Die vom Senat genehmigten Schriftstücke wurden dann ausgefertigt und 
tragen die Unterschrift: „Rector, decani und (sämbtliche) professores dero 
(fürstlichen) universitet zu Giessen". Doch muß bemerkt werden, daß an- 
fänglich auch die Unterschrift: „Rector, decanus und professores" vorkommt, 
wie in Marburg. Ich möchte hierin den formelhaft erhaltenen Rest einer alten 
Vorzugsstellung des Artistendekans erkennen* 11 . 

IX. 

Während dem Rektor die obrigkeitliche Leitung der ganzen Universität 
übertragen ist, haben die Dekane 212 die mehr wissenschaftliche Leitung der 
Tätigkeit ihrer Fakultäten zu besorgen. Wie der Rektor jährlich wechselt, 



Marburger Bestimmung von 1564: Hildebrand, 89 f. Für das Nachfolgende sind die Sta- 
tuten Quelle: Wasserschieben, 16. 

209 1619: Beschwerde wegen Weigerung eines Beteiligten, die Sitzung zu ver- 
lassen (Visit.-Prot.). 

sio Durch eine Indiskretion wurde ein Schreiben des Landgrafen über die Aktio- 
nen der Studenten gegen den Kanzler Strupp (Febr. 161 7) gerade vor der Beerdigung 
des letzteren unter den Studenten bekannt, was große Erregung verursachte (Land- 
graf Ludwig an Winckelmann, 1617 Febr. 16, Kzt. StAD, Univ. 1, u. Febr. 22, Or. 
StAD, Univ. 19). 

ni Hierher gehört sein Recht, die Vota bei der Rektorwahl einsammeln zu helfen; 
vielleicht auch die Stelle der Marburger Statuten von 1560: „Ex singulis facultatibus eli- 
gatur unus, in facultate autem artium semper sit decanus, hi perpetuo adesse debent 
consüiis ad administrationem scholae pertinentibus'\ 

212 Vgl die Angaben der Statuten zu den einzelnen Fakultäten, Wasserschieben, i8f f., 
und die Stat fac, med. 



122 Zweiter Abschnitt 

so auch die Dekane. Sie sind Schützer der Fakultätsstatuten, sie führen die 
nötigen Geschäfte der Fakultäten: Vorlesungsverteilung am Beginn des Se- 
mesters, Aufsicht über die Ausarbeitung der Fakultätsgutachten (Responsa), 
über die öffentlichen Disputationen und Promotionen, Bücherzensur im 
Wissenschaftsgebiet ihrer Fakultät. Sie haben ein Buch zu führen, in das 
sie die Ereignisse des Dekanatsjahres, wie Disputationen und Promotionen, 
eintragen. Jeder Dekan führt sein Fakultätssiegel, womit er Zeugnisse, Out- 
achten usw. untersiegelt. Er hat das Recht, die Glieder seiner Fakultät zu 
Sitzungen zu berufen, um Angelegenheiten der Fakultät zu beraten. Die 
vier Dekane gehören, wie bereits erwähnt, zum engeren Rat der Universi- 
tät. Der Dekan der Philosophen hat ferner jährlich zweimal eine Censura zu 
halten, das heißt eine Musterung aller Studenten seiner Fakultät zur Fest- 
stellung ihrer Studien- und Lebensweise 215 . 

Eine Feststellung der vollständigen Dekanatsreihe ist mir nur bei der 
medizinischen Fakultät 214 gelungen. — 

Neben dem Haupte der Universität und den Leitern der Fakultäten 
stellte der Lehrkörper der Universität noch zwei Beamte, die aber im Gegen- 
satz zu jenen nicht gewählt wurden: den Kanzler und den Syndikus. 

Der Vicecancellarius academiae, meist kurzweg Kanzler genannt, war 
auf den Universitäten dieser Zeit nicht mehr von großer Bedeutung, wenn 
auch von großer Würde und Ansehen. Die Bezeichnung Vizekanzler geht 
auf die Zeit zurück, wo oft auswärts wohnende hohe Geistliche das Kanzler- 
amt besaßen und von einem Gliede des Lehrkörpers ihre Befugnisse ausüben 
ließen 216 , aber die Erinnerung hieran ist in den naehreformatorischen Univer- 
sitäten längst geschwunden. Hier ist der Kanzler oder Vizekanzler vom Lan- 
desherrn ernannt, und er stellt neben den jährlich wechselnden Rektoren und 
Dekanen im engeren Senate das Element der Kontinuität dar. Der Inhalt 
seines Amtes 216 ist in der Hauptsache von zweierlei Art: Erstens hat 



sis Wasserschieben, 19 f. In Marburg war die Censura für alle Studenten halb- 
jährig, die der stud. phil. vierteljährig noch 1575 vorgeschrieben. Vgl. Edicta de emen- 
dando acad. Marb. statu (Indic. lect. Marb. sem. aest. 1879, S. IX). 

* u Das medizinische Dekanat bekleideten: 1609 Lautenbach, 1610 Horst, 161 1 Dö- 
ring, 1612 Lautenbach, 1613— 15 Horst, 1616 Jungermann, 1617 Horst, 1618 Jungermann, 
1619 Stephani, 1620 Horst, 1621 Jungermann, 1622 Stephani, 1623 — 24 Jungermann. 

«5 Vgl. z. B. Kaufmann, Gesch. d. deutschen Univ. II, 137. 

* 16 Es war beabsichtigt, in die Erweiterung der Statuten ein Kapitel de officio 
cancellarii (ebenso de o. syndici) einzurücken, aber es unterblieb (Univ. an Landgraf Lud- 
wig, 1609 Mai 9, StAD, Univ. 3), so daß der Kanzler in den Statuten (Wasserschieben, 
14 f.) nur nebenbei erwähnt wird. Im Sommer 1607 zweifelte man, ob der Kanzler nicht 
durch ein besonderes fürstliches Diplom legitimiert werden müsse (StAD, Univ. 2 u. 5); 
über seine Pflichten hören wir hierbei: „es sei das furnembste, das er im nahmen kay. 
mait. und ihr. f. g. potestatem ertheile magistros und doctores creandi, item beneben 
dem rector auf die administrationem bonorum acad., desgleichen auf die professores zu 
sehen, daß ein jeder sein ampt thue, möchte auch der Universität notturft s. f. g. schrift- 
lich oder mündlich vortragen". Seine Amtszulage betrug ursprünglich 15 fl. (Landgraf 



I 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1634. tij 

er neben dem Rektor ein Aufsichtsrecht über die Ordnung der Uni- 
versität, ihre Güter und" ihre Glieder; auch soll er die Vermittlung der 
Wünsche der Universität beim Landesherrn übernehmen und sonstige 
wichtige Schreiben abfassen, doch hat er selten Gelegenheit, in dieser 
Hinsicht tätig zu sein, zumal die Universität ohnehin in steter direkter Kor- 
respondenz mit dem Landgrafen stand 317 . Zweitens aber — und dies ist der 
Grund, weshalb man das Kanzleramt überhaupt für nötig hielt" 8 — war es 
auf Deutschlands Universitäten Herkommen, daß bei Promotionen ein Kanz- 
ler als Stellvertreter des Landesherrn und des Kaisers die facultas oder potes- 
tas promovendi dem Promotor erteilte. Es lag hier die Anschauung vor, daß 
der Kaiser als Urquell des Promotionsrechts durch das Universitätsprivileg 
dieses Recht dem Landesherrn mitteilte, dieser aber es dem Kanzler übertrug, 
der es dann in jedem Einzelfall dem Promotor verlieh. Diese Verleihung war 
freilich nichts als eine Formalität, denn eine Verweigerung der facultas pro- 
movendi kam wohl nie vor; aber die damalige Rechtsanschauung erfor- 
derte diese Form, und schließlich hatte sie auch das Gute, daß der Promotor 
sich scheute, für die Promotion eines allzu Unfähigen die facultas zu erbitten, 
denn durch diese Bitte übernahm er doch dem Kanzler gegenüber eine ge- 
wisse Verantwortlichkeit 316 . 

Die Form wurde auch in des Kanzlers Abwesenheit festgehalten ; er 
mußte vor seiner Abreise die Promotionsbefugnis einem andern Professor über- 
tragen, gewöhnlich war es der Rektor" , aber dies war nur ein Ausnahmezu- 

I.udwigs Resolution v. to. Aug. 1607, Ausz. StAD, Univ. 5), Beim Personenwechsel 
1618 stellte man von neuem die Pflichten fest: t. Bei den Promotionen hat er vom 
Landesfürsten Gewalt und Befehl, im Namen des Kaisers dem Promotor in gestatten, 
den Kandidaten zu promovieren; 2. Inspektion über die Universitätsgüter; 3. Vermitt- 
lung von Anliegen der Univ. an den Fürsten, wenn nötig; 4. Aufsicht über die Pflicht- 
erfüllung der Professoren; 5. neben dem Rektor allgemeine Aufsicht über die Univ.; 
6. Revision der abgehenden Sehreiben; 7. Aufsicht über die Univ. -Druckerei (Vice- 
cancellarii ampt StAD, Univ. 6). 

* 17 Vgl. oben, S. 107 und 118. Zu nennen wären hier nur einige Berichtschreiben von 
1616 und die Verwahrung des Kanzlers Antonii gegen die Teilnahme des ao. Prof. Feur- 
born an Senatssitzungen (1617). Sätntl. Sehr. StAD, Univ. 1. 

M * Es wurde deshalb auch erst geschaffen, als das kaiserliche Privileg und damit 
die Möglichkeit, Grade zu verleihen, erlangt war. 

*" Ursprünglich sollte der Kanzler auch darauf achten, daß kein Unwürdiger pro- 
moviert würde, da in einer Zeit, wo der Grad die Lehrberechtigung verlieh, hierauf 
mehr Wert gelegt werden mußte (Paulsen in Histor. Zeitschr. 45 [t88t], 286f.; Kaufmann 
II, las ff.); diese Pflicht hat er auch nach den Marburger Statuten von 1629, tit. 16. 

,i0 Die ganze Stufenleiter des Promotions rechts gibt die Promotionsrede des Prof. 
Horst (De natura amoris 1611, Bl. F4): „Cum igitur . . imperator Rudolphus II di- 
vinitus sibi doctores creandi et renunciandi datam majestatem . . . Ludovico Hesso- 
nun . . . duci in almain hanc academiam contulerit, quae porro per . . . ejus celsitudi- 
nem . . Gothofredo Antonii je. academiae cancellario . . ., per eundem vero nunc 
absentem mihi inpraesentiarum demandata est, . . . ideirco pro ea qua jam fungor 
autoritate, . . . facultatem tuae excellcntiae concedo . . .'" Ähnlich fungiert 
1614 Rektor Winckelmann als Kanzler, während Antonii krank war, usw. 





124 Zweiter Abschnitt. 

stand. — Das Amt des Kanzlers versah während der ersten Gießener Zeit bis 
zu seinem Tode 1618 der Jurist Gottfried Antonii, von da an bis zur Auf- 
hebung der Gießener Hochschule der Jurist Joh. Kitzel. 

Welche Befugnisse der akademische Syndikus hatte, geht aus den Ak- 
ten unserer Periode nicht mit Sicherheit hervor. Wir erwähnten schon, daß 
er die Korrespondenz der Hochschule in Gerichts- und Streitsachen fuhren 
sollte, und wir dürfen aus seiner Aufnahme in die 1616 gegründete älteste Ad- 
ministrationskommission (s. unten) schließen, daß er die aus dem Grund- und 
Kapitalbesitz der Universität vielfach erwachsenden Rechtsstreitigkeiten zu füh- 
ren hatte 221 . Auffällig ist dabei, daß während unserer Zeit kein Glied der 
juristischen Fakultät das Syndikat verwaltete, sondern ausschließlich Philo- 
sophen, allerdings solche mit juristischer Bildung. Syndici waren von 1608 
bis 1616 der Professor der Rhetorik Dr. jur. P. H. Nigidius, der dasselbe 
Amt auch schon in Marburg versehen hatte, 1616 bis 1618 der Professor 
der Ethik Breidenbach, der dann in die juristische Fakultät überging, 1618 
bis 1624 der Professor der Ethik Dr. jur. Krebs. 

X. 

Wie heute, so unterschied man auch damals unter den akademischen 
Lehrern ordentliche und außerordentliche Professoren und Privatdozenten. 

Die Statuten erwähnen nur die professores ordinarii. Ihre Zahl ist darin 
bestimmt, und jedem ist sein Lehrgebiet zugewiesen. Die theologische 
Fakultät umfaßt vier Professoren, die juristische ebensoviel; daneben stehen 
drei Mediziner und acht Vertreter der philosophischen Wissenschaften 122 . Zu 
den letzteren gehört je ein Professor für Ethik, für Logik und Metaphysik, für 
Physik, Rhetorik, Mathematik, Geschichte, griechische und hebräische Sprache. 
Eine Professur der Poesis sieht diese Aufzählung nicht vor; sie wurde wäh- 
rend der ganzen Zeit von dem Professor historiarum im Nebenamt versehen; 
die hebräische Professur war zeitweise mit einer theologischen verbunden. 
Überhaupt waren nicht nur anfangs aus Mangel an Lehrkräften einige Lehr- 
stellen mit einer Person besetzt, sondern auch später mußten mehrfach Pro- 
fessuren kombiniert werden, wie die nachfolgende Obersicht über die Be- 



221 Da das Amt auf Marburger Vorbild zurückgeht, so mag erwähnt werden, daß 
dort (zuerst?) 1566 ein Syndikus der Universität eingesetzt wurde „ad ejus jura bonaque 
collata tuenda" (Catal. stud. I, 80). In der Erinnerungsrede für Syndikus Matthaus sagt 
Prof. Clotz: „Accessit quod cum instrumenta et sigilla universitatis negligentius asserva- 
rentur nee semper adesset, qui quae scribenda coneiperet et alia generis ejusdem con- 
ficeret, [Matthaeus] tanquam syndicus et actuarius anno 66 constitutus fuit, qui illa omnia 
diligeret et procuraret. Quamobrem ctiam mox auetor fuit, ut in editiore loco consistorium 
quod dicitur aedificaretur, et istuc cistae cum instrumentis et fornieibus transferrentur et ple- 
raque in cancellis aeri perviis disponerentur". Hieraus geht hervor, daß der Syndikus 
besonders auch als Archivar tätig war (Panegyrici academiae Marpurgensis [1590], 163 
der zweiten Zählung). 

222 Vgl. Wasserschieben, 18 ff. Hiernach ist Tholuck, Akad. Leben I, 57, iu be- 
richtigen. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 125 

Setzung der einzelnen Fakultäten zeigen wird. Obergriffe in das Lehrgebiet 
eines anderen Kollegen waren nicht zulässig 225 . 

Nur die ordentlichen Professoren hatten Sitz und Stimme im Senat; sie 
hatten potestas publice et privatim docendi. Letztere Rechte scheinen jedoch 
auch den außerordentlichen Professoren zugekommen zu sein. 

Die Bezeichnung professor extraordinarius führen in unserer Periode, 
soweit ich sehe, nur der Theologe Feurborn 1617 bis 1618, wo er Ordinarius 
wurde, und der Linguist Martin Helvicus, der als Prof. ord. Graecae linguae 
nebenher extraordinarius des Hebräischen war, während das hebräische Or- 
dinariat von dem Prof. theol. Steuber versehen wurde 224 . 

Eine Art außerordentlicher Professoren waren ferner die Lehrer der 
modernen Sprachen, die wenigstens den Titel professor publicus führen 225 
und im übrigen am Schlüsse der philosophischen Fakultät rangieren. 

Vor den Privatdozenten, privati praeceptores** 6 genannt, zeichnet die bis- 
her Genannten ihre Stellung als besoldete öffentliche Lehrer aus, die publicas 
Iectiones hielten, während das die Privatdozenten nicht durften. Sie waren auf 
ihre Kolleggelder angewiesen, wenn sie nicht nebenher praeceptores classici, Pä- 
dagoglehrer, waren, und mancher von ihnen studierte wohl noch in einer 
der oberen Fakultäten, während er in der philosophischen Privatkollegien 
hielt, bestrebt, sich für die Übertragung einer Professur oder eines anderen 
Amtes geeigneter zu machen. Um sich vor der Konkurrenz der Privatdo- 
zenten zu schützen, hatten die Professoren, die ebenfalls gern privatim lasen, 
bestimmt, daß die Erlaubnis zur Eröffnung von Privatkollegien beim Dekan 
der betreffenden Fakultät nachgesucht werden mußte 227 . Doch wurden Ver- 
suche einzelner Professoren, sich das Monopol für Privatstunden in gewissen 
Fächern zu sichern, von der Universität nicht befürwortet 828 . Nachweisbar 
gab es in unserer Periode, die noch in die Anfänge des Privatdozententums 

sss Vgl. über die dadurch oft hervorgerufenen Streitigkeiten Gisenius, Vita aca- 
demica II (1628), 144 (nach Gießener Erfahrungen?). 

2,4 Vorlesungsverz. f. W.-S. 1620/21 : „M. Martinus Helvicus linguae Graecae Ordi- 
narius et Hebraeae extraordinarius professor" (St AD, Univ. 1). 

** 6 Auchter, Harangue de la louange de l'acad. de Giesse (161 1) im Anhang: 
„Philippes Garnier Orleanois, Licencie* es loix et professeur public de la langue francoise". 
Vorlesungsverz. v. 1620/21 : „Marcellus Oliva Parisiensis linguae Gallicae professor pu- 
blicus' 4 . 

**• So in einer undatierten Designatio lectionum philosophicarum aus der Anfangs- 
zeit (StAD, Univ. 4). Zur Entwicklung des Privatdozententums vgl. E. Hörn in Mitteilungen 
d. Ges. f. Erziehungs- u. Schulgeschichte XI (1901), 26 ff. 

997 Edikt der Univ. v. 6. Apr. 161 7 (UAG, S. XIV, 3): „. . . renovantes statutum 
quod antehac ejus rei causa publicatum, ut seil, nemini collegium, eujuseunque faculta- 
tis id sit, instituere liceat, qui non rationes instituti sui prius decano facultatis exposuerit at- 
que ita speciali indultu ejus rei causa gaudere possit". Vgl. auch Cgm. 1257, Bl. 97. 

2W Besonders die Professoren der modernen Sprachen suchten dies für sich in 
Anspruch zu nehmen, vgl. Beschwerde Garniers, daß ein Student, geborner Franzose, 
französische Stunden gebe (1608), und Hoffstetters über einen Mailänder stud. med., der 
Italienisch lehrte (1610) (StAD, Univ. 2). 



126 Zweiter Abschnitt. 

gehört, in Gießen Privatdozenten in der philosophischen 1 » und juristischen 
Fakultät 250 . Hierbei sehe ich von den häufigen Fällen ab, in denen gra- 
duierte Personen als Präsiden an Disputationen teilnahmen, ohne jedoch im 
übrigen dem akademischen Lehramt anzugehören. — 

Wenn wir in den nachfolgenden Ausführungen die Lebensbedingun- 
gen und die Lebensweise akademischer Lehrer jener Zeit betrachten, so können 
wir fast ausschließlich bei den ordentlichen Professoren, dem Kern des Lehr- 
körpers, genauere Angaben machen. 

Unter den ordentlichen Professoren fand innerhalb der Fakultäten eine 
Rangordnung. statt, unbeschadet der Dekanatswürde. Die früher Berufenen 
hatten vor neuen Ankömmlingen den Vorzug, es herrschte das Prinzip des 
Dienstalters, und vergebens versuchte ein Professor in der philosophischen 
Fakultät, der zum Dr. jur. promoviert war, aus diesem Orade eine Präro- 
gative vor den dienstälteren Professoren seiner Fakultät, die nur Magister 
waren, abzuleiten 251 . Die Aufnahme in die Fakultät erfolgte nach der Ab- 
legung des Professoren eid es, der statutengemäß die Religionsverpflichtung 
auf die lutherischen Symbole, jedoch ohne die Konkordienformel, enthielt, 
und in dem sich der neue Professor sogar verpflichtete, etwaige Abtrünnige 
unter den Kollegen zu denunzieren, eine Bestimmung, die eine völlig mittel- 
alterliche Gebundenheit an die Lehre der Kirche zeigt, wie sie auf der Uni- 
versität Marburg nicht üblich war 252 . Es folgte dann die Antrittsvorlesung 
(Inauguralrede). 

Über die Aufnahme eines Professors entschied, wie wir sahen, der Land- 



222 Näheres weiter unten. 

230 Z. B. Joh. Eichroth (Joh. Georgii reg. acad., 6o); Reinkingk (Gekrönte Ehren- 
säule f. Dietr. Reinking [1665], 123 der Personalien); Sinold gnt. Schütz (Strie- 
der XV, 5). 

291 161 8 Aug. 12 (St AD, Univ. 5). Auf anderen Universitäten hat man die Frage 
anders entschieden, vgl. Tholuck I, 48. 

232 Wasserschieben, 11 u. 16; die Statutenbestimmung ist erst auf Winckelmanns 
und Mentzers Wunsch aufgenommen worden (Beratung v. 24. Nov. 1605, StAD, Univ. 2). 
Verhandlungen über die Eidformel 1608 — 09 (a. a. O.) Der Eid enthält: die Erbhul- 
digung, das Versprechen der Treue gegen den Fürsten und die Universitätsverfassung, 
die Religionsverpflichtung. Letztere lautet: „(Ihr sollt geloben und schwören, daß ihr 
wollet) die gantze reine religion in den Schriften der propheten und aposteln allein be- 
gründet, in den dreyen hauptsymbolis, Apostolico, Nicaeno und Athanasiano, auch decre- 
ten der Ephesinischen und Chalcedonensischen synodorum und anno 1530 kaiser Carolo 
dem fünften zu Augspurgk überreichter ungeenderter confession, deren apologia, catechis- 
mo Lutheri, Wittenbergischer concordi, wie die in ihrem buchstab lautet, und Schmalkal- 
dischen articuln erclehret worden, mit hertzen, mundt und feddern befordern und deren 
nichts, wedder heimblich noch öffentlich, durch euch selbst oder andere, sive docendo, 
sive scribendo oder wie daß immer geschehen möge, zuwieder vornehmen, auch die- 
jehnigen, so außer ewerm mittel von berurter religion in einem oder mehr 
puncten sich abthun wurden, dennegsten umb erhaltung der Wahrheit und 
friedens willen anzumelden euch schuldig achten". Eine Parallele aus dem Mit- 
telalter: Thorbecke, Gesch. d. Univ. Heidelberg I (1886), in. 



Die Universität Gießen bis ?.u ihrer Suspension im Jahre 1614. 117 

graf. Aber die Berufungsverhandlungen, die festzustellen suchten, ob und 
unter «eichen Bedingungen ein auswärtiger Gelehrter einem Rufe an die 
Gießener Universität folgen werde, waren natürlich Sache der Hochschule. 
Diese Verhandlungen geschahen durch private Sondierung oder offizielle 
Schreiben, je nachdem der zu Berufende Beziehungen zu Gliedern der Hoch- 
schule hatte oder nicht. War er in Amt und Bestallung einer fremden Obrig- 
keit, so mußte oft erst deren Zustimmung erlangt werden, was nicht immer 
leicht war. Diese Vorkorrespondenz zeigt uns, indem sie die Bedingungen 
der Anstellung und die Ansprüche des Berufenen besprach, sowohl die in 
den gelehrten Kreisen herrschenden Anschauungen als auch die materielle 
Stellung eines Gießener Professors. 

Eine Befürchtung ließ manchen, der sonst eine Berufung angenommen 
hätte, eine solche nach Gießen ablehnen : nämlich die Möglichkeit, daß 
durch eine Entscheidung des Marburger Erbstreites der Landgraf seinem 
Versprechen gemäß genötigt würde, die Universität Gießen aufzuheben. Daß 
dieser Fall, der ja schließlich auch eintrat, von den mit Berufungen bedach- 
ten auswärtigen Gelehrten wohl in Rechnung gezogen wurde, beweist ein 
Schreiben an einen solchen aus dem Anfang der Periode (1609?), wo es heißt: 
„Subitaneae alieujus mutationis vel abdicationis, aut ut ex hujus vel ilüus nutu 
et favore dependendum sit* 33 oder dergleichen hat man sich alhier im gering- 
sten nicht zu befahren"; allerdings bestehe die bekannte Bedingung. Doch 
sei das Eintreten des Falles nicht zu vermuten; dann hätte freilich die Uni- 
versität ein Ende, „und ist nicht ohn, das etzliche professores und andere vor- 
nehme leuth, welche sich anhero begeben, solcher gefahr und Ungewißheit 
halben bißanhero bedenkens gehapt, auch noch haben, diß orts auf gebew 
oder erbgütter, darzu doch gelegenheit vorhanden, ichtwas anzuwenden"***. 

Neben solchen Bedenken vereitelten aber auch die unmäßigen An- 
sprüche des in Aussicht genommenen Professors oft den Erfolg der Beru- 
fung. Lehrreich ist hierfür die Verhandlung, die Gießen mit dem Jenaer 
Professor der Mathematik Heinrich Hofmann 1617 — 1618 führte* 35 . Er sollte 
an Stelle des abberufenen Prof. Wideburg gewonnen werden. Zunächst wandte 
sich an ihn vorsichtig der Gießener Burgmann von Schwalbach, der ihn wohl 
von früher kennen mochte; später verhandelte der Rektor des Jahres 1617, 



«» Im Falle einer Univer: 
*M StAD, Univ. 4. Noch 
schreiben: „Wissen hie nichts de 
iransferirt, aber nichl die universi 
erfolgen solte, von der ich aber 
nichl so leichtlich geendert werden, 
Bl. 584). 

»s Akten UAG, S. VI, 7, 
Professor der Mathematik Joachim 
geben hat, zeigt Guhrauer, Joach, 
man ihn aus jener Zeit in gutem 



tätsgemein Schaft der hessischen Fürsten. 
621 konnte Joh. Vietor aus Darmstadt an Dieterich 
ibrogatione patriae academiae, die canzley wird wohl 
et ; und da schon dermaleins eine vergleichung der hern 
noch nichts weiß, wurde doch bonum istud publicum 
len Marpurg der gebür restiluirt" (Cgm. 1259, 



[607/40. Daß Hofmann 1613 dem damaligen Gießener 
Jungius eine wichtige wissenschaftliche Anregung ge- 
Jungius u. sein Zeitalter (1850), 21. Vielleicht hatte 
Andenken behalten. 



128 Zweiter Abschnitt. 

Prof. Scheibler, mit ihm. Hofmann zeigte sich zwar geneigt, dem Rufe zu 
folgen, aber nur — er war offenbar von seiner wissenschaftlichen Bedeutung 
stark durchdrungen — , wenn ihn sein Herzog gehen lasse, und wenn ihm Gießen 
ein Jahresgehalt von 200 Reichstalern sowie 100 Reichstaler Umzugskosten ver- 
spreche. Der Landgraf, dem man diese Forderung vortrug, bot 100 Gulden 
Umzugskosten und beauftragte die Universität, weiter mit ihm wegen des 
Gehaltes zu verhandeln; es solle ihm auf 50 Gulden nicht ankommen, wenn 
man einen so berühmten Mathematikus bekommen könne. Hierauf setzte 
Scheibler ihm die Gießener Gehaltsverhältnisse auseinander, woraus sich ergab, 
daß Hofmann im ganzen unter Berechnung der Naturalbesoldung 200 Gulden 
jährliches Einkommen und Aussicht auf spätere Zulage"* sowie auf einen 
außerordentlichen Zuschuß des Landesherrn von 50 Gulden habe. Hofmann 
konnte hiermit zufrieden sein und wäre es wohl auch gewesen, hätte er sich 
nicht durch eine Unbesonnenheit die ganze Aussicht selbst verdorben. Noch 
ehe Scheiblers Brief eintraf, war der selbstbewußte Jenaer nämlich mit einem 
unerhörten Vorschlag herausgerückt: „Da es den weg erreichen konte, das 
ich umwechselte und ein halb jähr zu Jena und das ander halbe jähr zu 
Giessen profitirte, und zwar jedem orte den tag zwei stunden, hette gedach- 
ter mein gned. fürst und herr kein ungefallen daran*", aldieweil solcher ge- 
stalt es der studirenden jugent zum besten kerne, als so in einem halben jähr 
erlangete, dazu sie sonst ein gantzes jähr bedurfte". Offenbar war es dem 
großen Rechner darum zu tun, von beiden Universitäten je ein Professoren- 
gehalt herauszuschlagen, aber auf solche Experimente ließ sich der Landgraf 
nicht ein: er lehnte es jetzt kühl ab, den Jenaer in seine Dienste zu neh- 
men, und berief statt dessen Jakob Müller, den Stiefbruder des Mediziners 
Gregor Horst. So ist der Universität Gießen das Unikum eines ,„umwech- 
selnden" Professors' 88 entgangen. 

Die Reisekosten, die ja auch hier eine Rolle spielten, wurden auch sonst 
den Berufenen vergütet, was eine erhebliche Mehrbelastung der Universitäts- 
kasse verursachte. 



£36 Das „ordinari salarium" sei „138 f., 16 achtel körn und 8 achtel gerate, deren 
jedes ein jähr ins ander uff 2 1 /* f. zue schetzen, item 16 stück an hüner und hanen, und 
also in summa selbiges salarium 200 f. anreichet, welches dan bey zutragenden mutationi- 
bus je pro 10 f. in successionibus ordinariis negst an ersteigert wirdt". Wir haben es 
also mit dem damaligen Grundgehalt eines Professors der Philosophie zu tun, der beim 
Ausscheiden älterer Kollegen erhöht wird. 

237 Daß ihn der Herzog nur halb jähr weise gehen lasse, ist eine Behauptung, die 
wohl nur als Vorwand dient; er will seinen sonderbaren Vorschlag rechtfertigen. In Wirklich- 
keit ist er einer völligen Übersiedlung nach Gießen nicht abgeneigt: „Jedoch weil mein 
intent, nicht allein der studirenden jugent, sondern auch dem gemeinen vatterland deut- 
scher nation beforderst mit meinem studio zu dienen, konte es, da man mir mit be- 
stallung und sonsteri also begegnete, das ich von selben nicht gehindert, sondern 
viel mehr befurdert wurde, wol geschehen, das ich mich gar naher Giessen wendete". 
Nur behält er sich vor, den sächsischen Herzögen jederzeit zu Diensten zu sein. 

* S8 Heute kein ganz fernliegender Gedanke mehrl 




Gregor Horst 
Professor tiur Medizin 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 129 

Im übrigen war die materielle Stellung der Oießener Professoren sehr 
verschieden. Die Tabelle, die sich im ersten Entwurf der Statuten er- 
halten hat»», zeigt Gehälter von 120 bis 500 Gulden für die Profes- 
soren, von 80 und 100 Gulden für die Präzeptoren am Pädagogium. 
Unter den Professoren stehen die Theologen weitaus am höchsten. 
Wenn nun dieser Voranschlag im einzelnen auch nicht die fürstliche Ge- 
nehmigung fand, so blieb das Verhältnis doch im ganzen ähnlich, nur un- 
ter Minderung der Höchstgehaltsätze. Die Art der Abstufung zeigt sich 
auch in den tatsächlich gezahlten Besoldungen : die Theologen haben — ne- 
ben dem (juristischen) Vizekanzler, der außergewöhnliche Besoldung hat — 
am meisten, die Juristen und Mediziner stehen einander etwa gleich, und die 
philosophische Fakultät ist am niedrigsten gestellt. Einige Daten aus einer 
Besoldungstabelle von 1614**° mögen dies illustrieren: Universitätskanzler 
Antonii hat 400 Gulden, die Professoren der Theologie 240 bis 291 Gulden 
(wobei jedoch die Ephoratszulage Mentzers mit in Rechnung zu ziehen ist), 
die Juristen 160 bis 240, die Mediziner 200 bis 265, die Philosophen (mit 
einer Ausnahme) 120 bis 200 Gulden. Diese Angaben würden jedoch gänz- 
lich irre führen, wenn wir die reichen Naturalbesold ungen außer acht lie- 
ßen 141 , deren Betrag besonders bei Antonii und den beiden älteren Theologen 
sehr ins Gewicht fällt. Mentzer hat zum Beispiel: 18 Malter IO1/2 Mesten 
Korn, 6 Malter 12 Mesten Gerste, 2 Malter 21/2 Mesten Hafer, 2 Hammel, 
8 Gänse, 20 Hühner, 10 Hahnen, 2 Wagen Heu, 400 Gebund Stroh, 15 Klaf- 
ter Holz. Auffallend hoch ist die Besoldung des Professor linguarum exoti- 
carum M. Hoffstetter angesetzt, vermutlich, weil ein Lehrer des Italienischen 
und Spanischen schwer zu haben, die Kenntnis dieser Sprachen aber für 
einen jungen Mann von Stand damals notwendig war. Hoffstetter hatte 
219y2 Gulden, dafür keine Naturalien. Viel weniger hatte sein Kollege, der 
Prof. ling. Gall. Marcel Olive, nämlich nur 30 Gulden, 2 Malter 8 Mesten 
Korn. 

Freie Wohnung hatte in unserer Zeit kein Professor in Gießen, wenn 
wir davon absehen, daß wegen persönlicher Verdienste gleich anfangs Men- 
tzer ein Haus, Winckelmann einen Bauplatz vom Landgrafen als Geschenk 
bekamen *** . 

Diese Angaben mögen genügen, um ein Bild der Besoldungslage 
dieser Periode zu geben. Hinzu kamen aber noch die bedeutenden Neben- 
einnahmen. Vor allem ist hier an die Privatkollegien zu denken, die neben 
den pflichtmäßigen öffentlichen Vorlesungen von den meisten Professoren 
gehalten wurden. Über die Höhe der Kolleggelder sind wir leider nicht 
unterrichtet; sie beruhte auf Vereinbarung von Lehrer und Hörer, wie sich 



»» StAD, Univ. 2. 

*° UAG, Adm. Rcchn.-Abschl. 

Ul Vgl. oben, Anm. 236. 

M * Berufungsschreiben an einen Juristen, ca. 1609 (StAD, Univ. 4). 

Die Universität Gießen von X607 bis 1907. I. 



Ijo Zweiter Abschnitt. 

der Lehrer auch seine Schüler aussuchen konnte**, ein Verfahren, das nach- 
her, als die Privatkollegien ihren privaten Charakter verloren und offizielle 
Universitätseinrichtungen wurden, aufhören mußte. Jedenfalls boten diese 
Kollegien den Professoren, die sich dazu herbeiließen, eine nicht zu unter- 
schätzende Einnahmequelle. Examina, Disputationen und Promotionen 1 * 4 
brachten ferner den beteiligten Professoren stets etwas ein Ub . Daneben hatten 
die drei oberen Fakultäten hohe Gebühren von den Gutachten zu beziehen, 
die sie erteilten. Besonders die Juristenfakultat war hierdurch günstig ge- 
stellt. „Diese erste beide jähr", heißt es in einem Berufungsschreiben an 
einen Juristen 2 * 6 , „hat jeder von den consultationibus wenigstens 200 f. 
jährlich haben können ; hoffen, es werde sich noch bessern". 

Ein weiteres Mittel zur Erhöhung der Einnahmen lag für die Profes- 
soren in der Annahme von Tischburschen, das heißt von Studenten, die bei 
ihnen gegen gute Bezahlung die Kost bekamen, vielfach auch bei ihnen 
wohnten und unter ihrer Aufsicht studierten. Daß die Stellung von Profes- 
soren als Tischwirte, wie auf anderen Universitäten, so auch in Gießen eine 
ganz alltägliche Erscheinung war, daß sogar viele Professoren eine ganze 
Anzahl von Studenten verköstigten, ist nachweisbar 247 . Jüngere Professoren 
der Philosophie mögen wohl auch, wie andere Magister, als Privatpräzeptoren 
junger Studenten Einkünfte bezogen haben 248 . 

Die Bezüge aus der wissenschaftlichen Schriftstellerei werden schwer- 
lich hoch gewesen sein, da in jener Zeit die Verleger keine oder nur geringe 

"» Vgl. MOGV XI, 68. 

244 Näheres weiter unten. 

245 In den für diese Verhältnisse lehrreichen Briefen Prof. Steubers an Dieterich von 
161 7/1 8 ist unter den „feisten accidentalia" eines Prof. der phil. Fakultät das raunus oder 
officium disputationibus praesidendi angeführt (Cgm. 1259, Bl. 2i6f.). 

246 S. Anm. 242. 

247 Vgl. MOGV XI, 71. Verzeichnis der Tischgesellschaften von 1618: Beitrage 
z. hess. Schul- u. Univ.-Gesch. I (1906), 76. Steuber 1616: „Tischhalten anlangend will 
ich uf ein jähr, wils gott, einen anfangen zu halten, . . . ohnangesehen daß drey Dani, so 
in meinem hauß wohnen, mir 70 thlr. und mehr haben angeben wollen, ehe sie an tisch 
giengen, wan ich sie annehmen wölte ; welche ich D. Heivico . . . habe zugewießen, der dießen 
winter einen tisch halten will" (Cgm. 1259, Bl. 205). Auch junge, unverheiratete Professoren 
finden wir als Tischgenossen eines Kollegen. Dabei war aber die Verköstigung nicht 
immer vorzüglich. Bachmann schreibt 161 4 an Dieterich (Cgm. 1257, BL 92) über 
dessen successor (Scheibler?): „Literas valde superbas et injuriis non inanes scripserat 

ad D. Jungermannum et D. Breidenbachium, quia a mensa sua discesserunt wirfft 

ihnen vor, sie haben ihn mit ihrem hochcrgerlichen abtritt verechtlich gemacht, sagt aber 
nicht, daß er so böß gespeiset, das ein wäschlapp under dem fleisch gekocht und uff den 
disch gesetzt worden, das alzeit säur bicr sie müssen drinken, und sint 2 Studiosi ge- 
storben diesen herbst, die albereit an seinem disch gewesen. Und hatte er 19 commen- 
sales, die zogen uff einmahl all von ihm biß uff funffe, dieselben blieben, quia aut erant 
cognati aut affines". 

248 In Marburg hatte man den Professoren, vornehmlich aber den jüngsten Philo- 
sophen, diese Beschäftigung zur Pflicht gemacht (Visit.-Edikt von 1575, gedr. in Indices 
lect. aest., 1879, S. VI II f.). 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 131 

Honorarien zahlten u *; nur die in unserer Periode in Gießen blühende Her- 
stellung von Schulbüchern, die bald weit über Hessens Grenzen hinaus Bedeu- 
tung erlangte» 60 , wird den Verfassern etwas abgeworfen haben. Außerdem aber 
unterließ man nicht, die literarischen Produkte vermögenden oder hochge- 
stellten Leuten zu widmen, und diese Dedikationen wurder? meistens in 
klingender Münze honoriert 261 . Dieser Gebrauch führte sogar dahin, daß 
Professoren wohlhabenden Studenten Bücher widmeten, wie zum Beispiel die 
Epitome praeceptorum dialecticae vom Pädagogiarchen Dieterich sogar fünf 
Schülern seiner eigenen Lehranstalt zugeeignet wurde. 

Schließlich würde das Bild der materiellen Stellung und des Haushalts 
eines Professors nicht vollständig sein, wenn außer acht bliebe, daß viele 
Professoren neben ihrer akademischen Tätigkeit noch Viehzucht, vielleicht 
auch Landbau betrieben; der Streit mit der Stadtverwaltung über die 
Schweinezucht findet so seine Erklärung 262 . 

Nach alledem können wir sagen, daß die Professoren der höheren Fa- 
kultäten ein recht reichliches Auskommen hatten. Ein Zeichen dafür ist es 
auch, daß Prof. Winckelmann nach der Übernahme des Superintendenten- 
amtes auf einen Teil seiner Geld- und Naturalienbesoldung zugunsten sei- 
ner Fakultätsgenossen verzichten konnte 258 ; und Mentzer erklärte in einem 
Privatbrief dem bekannten Theologen Gerhard: wenn er einen Ruf nach 
Gießen annehme, werde er (Mentzer) ihm aus seinem eigenen Gehalt jähr- 
lich 50 Gulden zahlen und ihm noch das Stipendienephorat mit zugehöri- 
ger Besoldung abtreten 26 *. 

Von solchen Professoren mögen die Gießener Einwohner die Redens- 
art gebraucht haben : „er kann leben wie ein Professor", oder zur Bezeich- 
nung eines verzärtelten, an Pracht und Üppigkeit gewöhnten Kindes: „man 



2 * 9 Kapp, Gesch. des deutschen Buchhandels I (1886), 31 5 ff. 
250 Vgl. Diehl, Schulordnungen des Großh. Hessen II (1903) (Monum. Germ, pae- 
dagogica XXVIII), 22 ff. 

261 Kapp, a. a. O.; Tholuck I, 78 f. Horst an den Landgrafen Ludwig: Dank für 
Honorar, 1609 Jan. 13 (Or. St AD, Univ. 2). Steuber an Dieterich, 161 7 Nov. 18 (Cgm. 
1259, Bl. 217): Scheiblers Nebeneinkünfte „von collegiis, disputationibus und bücher dedi- 
ciren sind gewesen 181 f.". 

262 S. oben S. 102. Vgl. die Beschwerde, daß den Professoren von der Einquartierung 
1622 das Vieh aus den Ställen getrieben worden sei (oben S. 82). M. H. Medicus an 
Dieterich, 1624 Apr. 19 (Cgm. 1258, Bl. 562): „Mentzerus hat sein vieh hier gelassen 
und sein Schwester ins hauß, dorauf zu warten, gesetzt". 

268 Instruktion z. Rechn.-Abhör 161 1 Okt. 2 (Or. UAG, Adm. R.A.): „Nachdem auch 
unser superintendens daselbst zu Giessen, D. Johan Winckelmann, nunmehr von seiner 
professionsbestallung ein etwas an gelde und anderem zue dem ende abgehen und fallen 
zu lassen bewilliget, damit anderen, denen sowol in seinem an- als auch abwesen die last 
bei der facultet zuewachsen möchte, davon ergetzlichkeit haben köndten, und wir dann 
deßwegen uns albereits, wie es deßfals gehalten werden solle, in Schriften erclehret, so 
pleibt es nochmals dabey". 

f6 * An Gerhard, 1610 Apr. 9, bei Fischer, Vita Gerhardi (1723), 190 f. 

9* 



132 Zweiter Abschnitt. 

meint, es sei ein Professorskind" 855 ; leider konnte ich nicht feststellen, ob 
diese Ausdrücke aus der Anfangszeit der Universität oder aus späterer Zeit 
stammen. 

Aber wir dürfen diese Äußerungen nicht auf alle Professoren aus- 
dehnen. Die Glieder der philosophischen Fakultät waren von Anfang an in 
ziemlich ungünstiger materieller Lage, zumal ihnen die Nebeneinkünfte aus 
Fakultätsgutachten fehlten. Mit der Münzverschlechterung und der Preis- 
steigerung aller Lebensbedürfnisse, die kurz vor dem großen Kriege ein- 
setzte 256 , gerieten sie sogar in Not. Wir finden Professoren der philosophi- 
schen Fakultät, deren Besoldung den Durchschnittswechsel eines Studenten 
nur um weniges überstieg 257 . Ja in einem Falle ging man sogar noch weiter 
herunter mit der Gehaltsbemessung: der Prof. ord. Graecae linguae et extra- 
ord. Hebr. linguae Martin Helwig, Bruder des verdienten Christoph Hel- 
wig, hatte 1621 nur 50 Gulden Besoldung, und Mentzer mußte die Regie- 
rung darauf hinweisen, daß derartiges auf keiner Universität vorkomme: 
man dürfe sich nicht wundern, wenn es heiße : „Küpfern gelt, küpfern seel- 
meß" 258 . Auf die Lage der Philosophieprofessoren sind wohl in erster Linie 
jene Stoßseufzer zu beziehen, die wir mehrfach in den Akten finden. Hier 
mögen nur folgende zwei Äußerungen angeführt sein, die die Lage kenn- 
zeichnen. 

1615 verwahrt sich die Universität gegen das Verfahren, die Gehälter 
in geringwertiger Münze zu zahlen 259 , „dieweil dieses orts nunmehr alles ufs 
höchste gestiegen und alles, was man zur heuslichen notturft bedarf, über- 
teuert ist, also das auch lediges Stands professores, der andern, so im ehe- 
stand, geschwigen, mit ihrer besoldung sich kaum ausbringen können; 
2. weiln sie, professores, bücher, kleider, würz, wein und dergleichen von 
Frankfurt und dem Reinstrom abholen und bringen, auch änderst nicht als 
mit schwerer münz bezalen müssen" usw. 2€0 Und 1617 hören wir wieder die 
Klage, daß „die stipendia [= Gehälter) an diesem thewren ort mehrer theils 
also gethaen, daß auch ein leediger professor, der beweibten zu geschweigen, 
deren die abgestorbene fast nichts denn arme wittiben, waysen und buecher 
hinderlassen, von seiner besoldunge disch, wohnunge und beholzunge kaum 



255 Nebel in Justis „Vorzeit" 1823, 142. 

256 Hildebrand zeigt in den Jahrbüchern f. Nationalökon. u. Statistik XIX (1872), 
157, wie sich in Hessen der Wert des Talers, in kleiner Münze ausgedrückt, bis 1622 
auf das Zwanzigfache steigerte. 

257 Wenn wir dem Jenaer Prof. Heider (1614^ Glauben schenken, müssen wir den 
Jahreswechsel eines Studenten jener Zeit auf 130 bis 140 Gulden ansetzen (vgl. MOGV XI, 
70, Anm. 6); Prof. Bachmann in Gießen hatte 120 Gulden Gehalt und etwas Natural- 
besoldung. 

- : ' 8 Mentzer an die Visitatoren, 1621 Mai 4 präs. (Or. St AD, Univ. 6). 
2M Näheres über diesen Vorgang Cgm. 1257. Bl. 94. Das Ergebnis war, daß 
statt 8 Gulden guter Münze 9 Gulden schlechter Münze gezahlt wurden. 
2«o Memorial v. 161 5 Mai 16, UAG, Adm. R.-A. 



Die Universität Gießen bis m ihrer Suspension im Jahre 1624. 



in 



ausrichten, zur kleidunge, buecher und erhaltunge seines ehrenstauds aber 
fast nichts übrig behelt"* 81 . 

Ziehen wir noch in Rücksicht, daß mitunter ein Professor der philo- 
sophischen Fakultät zwei Professuren versehen mußte, ohne deswegen dop- 
peltes Einkommen zu haben 8 ", so finden wir es begreiflich, daß die meisten 
von ihnen ein Aufrucken in eine höhere Fakultät lebhaft erstrebten, oder 
auch eine Gelegenheit ergriffen, den akademischen Dienst zu verlassen und 
in eine materiell bessere Stellung einzutreten" 3 . 

Die Folge war ein häufiger Wechsel in der Besetzung der philosophi- 
schen Professuren, wie er auf anderen Hochschulen selten vorkam 86 *. Nur 
die aus dem hessischen Stipendiatenstand hervorgegangenen Universitäts- 
lehrer konnte man zum Bleiben notigen, da sie sich zum Dienste ihres Vater- 
landes hatten verpflichten müssen. Den Gedanken, von auswärts berufene 
Professoren bei ihrer Anstellung auf drei Jahre zu binden, ließ man bald 
fallen "», und der Versuch, den abgehenden Prof. theo!. Gisenius der Straß- 
burger Hochschute nur auf ein Jahr zu leihen, ist ebenfalls nicht von Er- 
folg gewesen K *. 

Aus dem Privatleben der Professoren ist hervorzuheben, daß die Be- 
tonung der eigenen Person, besonders noch legitimiert durch die Rang- 
ordnung, eine große Rolle spielt"'. Eifersüchteleien, die oft in Streit und 
Verbitterung ausarten, sind an der Tagesordnung; daß auf solchem Boden 
die theologischen Streitigkeiten gedeihen mußten, ist einleuchtend. Welche 
Nichtigkeiten dabei Neid und Mißgunst erregten, zeigt ein Brief Bachmanns, 



*« Univ. an Landgraf Ludwig, 161? Juni 12, UAG, S. XIV, 4. 

M * So namentlich anfangs, vgl. die nachfolgende übersieht. Am 28. März 1607 
bitten Dieterieh, Finde und Helwig den Landgrafen, ihr Jahrgehalt von 150 Gulden, da 
jeder mehrere Lehrstellen versehe, etwas tu erhöhen (Or. StAD, Univ. 1). 

»ss So gingen Chr. Helwig, Finck, Steuber, Tonsor in die theol., Breidenbach in 
die jur,, Müller in die med. Fakultät über. Liebenthal wurde fürstlicher Rat, der Prof. 
phys. Stumpf 1611 Pastor in Znaim, Dieterich 1614 Superintendent in Ulm, Scheibler 
1624 Superintendent und Cymnasiarch in Dortmund, Prof. math. Wideburg 1617 Hofpre- 
diger und Superintendent in Wolfenbüttel. Martin Helwig Hofprediger in Butzbach. Finck 
verließ 1615 auch die theol. Professur und wurde Superintendent in Koburg. 

*** Ehemal. Prof, Stumpf an Dieterich, 1622 Apr. 23: „Vix est academia ulla, quae 
tarn brevi tempore tot mutationes professorum experta sit: an suo cum commodo, pru- 
dentiores judicent" (Cgm. 1259, Bl. 402). 

! * ä Die Univ. riet davon ab (an Landgraf Ludwig, 1614 Febr. 12, Or. StAD, 
Univ. 5). 

*** Akten von 1619, StAD, Univ. t. Gisenius kehrte auch nach seinem Weggang 
von Straßburg nicht nach Gießen zurück, sondern begab sich nach Rinteln. — 
Finck mußte beim Abgang versprechen, auf Erfordern zurückzukehren {Cgm. 1259, 
Bl. 203). 

**' Demgemäß ist die Titelsucht sehr groß. Als Finck seine Berufung nach Ko- 
burg angenommen hatte, unterschrieb er sich in ein Studentenstammbuch „Casparus 
Finckius ss. theol. D,, professor Ordinarius et ecclesiastes, designatus generalis super- 
intendens, assessor et professor Saxo-Coburgicus" (Cgm. 1258, Bl. 286). 




134 Zweiter Abschnitt. 

in dem er seinem Ärger darüber Ausdruck gibt, daß Mentzer ihnTbei einem 
Gastmahl nicht an der seinem Rang entsprechenden Stelle zugetrunken 
habe 268 . Besonders zwischen den Pädagoglehrern und manchen Professoren 
scheint ein gespanntes Verhältnis bestanden zu haben, das wohl auf die Miß- 
gunst alter Lehrer gegen junge Professoren zurückzufahren ist m , und wobei 
es einmal sogar zu Tätlichkeiten gekommen ist; bei derselben Gelegenheit 
erhielt allerdings auch ein Professor von seinen Kollegen Maulschellen* 70 . 

Für die sonstige Beurteilung des sittlichen Verhaltens der Professoren ha- 
ben wir trotz des reichen Aktenmaterials wenige Anhaltspunkte* 71 und dür- 
fen dies wohl im guten Sinne deuten. Nur eine stark hervortretende Neigung 
der damaligen Gelehrten bedarf noch der Erwähnung, nämlich die zu einem 
guten Trunk. Alle Gelegenheiten hierzu, akademische Festlichkeiten, Promo- 
tionen, Examina, Hochzeiten, werden stark besucht, und dabei wird scharf ge- 
trunken. Die Freude am Wein, die dem sonst so trockenen Gelehrtenstand 
vielleicht noch aus der Humanistenzeit geblieben war, läßt die Herren gern 
in engerem oder weiterem Kreise zu Schmaus und Trank zusammenkommen, 
unter sich oder mit den Honoratioren außerhalb der akademischen Kreise* 7 *. 
Man trank bei der jährlichen Rechnungsvisitation, beim Abschied von Kol- 
legen 273 , bei frohen Ereignissen, und zwar auf Kosten der Universität* 74 . Im 



268 Bachmann an Dieterich, 1614 Nov. 7 (Cgm. 1257, Bl. 92): „Newlich war ein 
examen candidati juris, ubi in convivio Menzerus singulis secundum ordinem, ut solet, 
praebibcbat, sed circa me frangebat ordinem, trank ehr Scheibler zu, danach mir, et cum 
ipsi propinarct, surrcxerat; quod observavit D. Hunnius, qui hoc ad me". 

269 Szene bei einer Hochzeitsfeier: in vorgerückter Stimmung geraten der alte Prä- 
zeptor Myccius und der junge Professor Steuber in Streit. Ersterer behauptet, er könne 
ebensogut Professor sein wie Steuber und begründet dies in seinem Dialekt: „Ech hon 
dech gelehrt, .du hast mech net gelehrt I" (Cgm. 1257, Bl. 97, Schilderung Bachmanns). 

270 Prof. med. Horst überfiel im Sommer 161 8 mit seinen beiden Brüdern, wovon 
einer (Stiefbruder) der Prof. math. Müller war, die Präzeptoren Matthias und Myccius und 
prügelte sie durch. Am nächsten Tag erhielt Prof. med. Jungermann von denselben in 
seiner Wohnung Maulschellen. Der Anlaß ist nicht bekannt. Cgm. 1259, Bl. 230; Be- 
schwerde des Matthias (erst 1619!), StAD, Univ. 6. 

271 Notizzettel Feurborns, offenbar mit Vorschlägen zur Neuredaktion der Statuten 
1621 : „Professores diligenter invisent conciones et preces, non invisent musea et con- 
vivia illorum studiosorum, qui petulantiam exercent; non erunt usurarii; non exercebunt 
pessimam diseiplinam domesticam" (StAD, Univ. 6). Eine andere Seite: Tholdius an 
Dieterich, 1626 Jan. 26 (Cgm. 1259, Bl. 451): „D. Nigidii viduam soll, post diuturnam 
cohabitationem, tandem M. Matthias genommen haben". 

278 „Sonsten hatte der hauptman uf des schultheisen hochzeit ein kräntzlein der 
vertrawlichkeit gemacht mit den theologen und Juristen, also daß einer nach dem andern 
solte gastung halten' 4 (Cgm. 1259, Bl. 208). — An die Humanistenzeit mit ihrer heiteren 
Geselligkeit erinnert der Brief Gerhards, in dem er von einem Besuche in Gießen 161 4 er- 
zählt (Conspectus supellectilis epistol. et litt. Wolfii [1736], 48; Tholuck I, 68). Vgl. 
überhaupt Tholuck I, 67 f., 142 ff. 

2 " z. B. Ök.-Rechn. 1619: 8 fl. 12V2 alb. f. Essen und Wein beim Valete des Prof. 
Gisenius. 

274 Als der Landgraf Philipp 161 3 der Universität einen Pokal schenkte, erhielt nicht 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 135 

Senatszimmer stand ein Bock zum Auflegen des Weinfäßchens während der 
Examina! 276 Von der Beteiligung der Professorendamen an den Promo- 
tionsschmäusen wird in gleichem Sinne unten Näheres zu sagen sein. Und 
beim Trünke fand sich auch der Professor mit dem Studenten gleichge- 
stimmt zusammen, so daß Promotor und Kandidaten einmal als „tutz- und 
saufbrüder" bezeichnet werden 276 . 

XI. 

Fassen wir nach diesen allgemeinen Bemerkungen nun die Glieder der 
einzelnen Fakultäten ins Auge, so ist es infolge des erwähnten häufigen Wech- 
sels in der Besetzung der Professuren eine ziemlich große Zahl von Per- 
sönlichkeiten, denen wir uns zuwenden. Doch würde es den Rahmen 
dieser Arbeit überschreiten, wollten wir nun jeden einzelnen dieser zahl- 
reichen Männer charakterisieren, und bei manchem von ihnen ist es auch gar 
nicht möglich, da wir über ihn zu wenig wissen. Es kann sich in diesem 
Zusammenhang nur um eine knappe Übersicht handeln. 

Von den vier (vor Fincks Wegzug 1616 vorübergehend fünf 276a ) theo- 
logischen Lehrstühlen waren die beiden ersten während unserer Periode von 
Winckelmann und Mentzer besetzt. Auf ihre Bedeutung ist bereits hingewiesen 
worden, und zweifellos ist Mentzer unter den Oießener Theologen dieser 
Zeit der bedeutendste, zugleich auch als Organisator; von ihm werden wir 
in dieser Hinsicht noch 'weiterhin zu reden haben. Die dritte Professur ver- 
sah 1608 bis 1610 Heinrich Eckhard aus Wetter, der dann als Superinten- 
dent nach Frankenhausen im Schwarzburgischen ging. Sodann kamen in 
die beiden letzten Professuren die Professoren Christoph Helwig und Finck 
aus der philosophischen Fakultät herüber. Nach Fincks Weggang nach Ko- 
burg (1616) und Helwigs Tode (1617) traten Joh. Gisenius und der bisherige 
Prof. theol. extr. Just Feurborn an ihre Stelle; der letztere rückte, da Gi- 
senius 1618 nach Straßburg zog, in die dritte Stelle auf; die vierte wurde 
mit dem bisherigen Professor des Griechischen, Steuber, besetzt, der da- 
neben auch die hebräische Professur beibehielt. So ist die Besetzung wäh- 
rend des Restes der Periode : Winckelmann, Mentzer, Feurborn, Steuber, und in 
dieser Form geht die Fakultät vollzählig nach Marburg hinüber. — Die wich- 



nur der Überbringer Lic. Kalt 5 fl. zum Geschenk, sondern es heißt auch in der Rech- 
nung: 12 fl. 21V2 alb. „haben etliche professoren mit L. Kalten . . . verthan". 

t75 Verzeichnis der im neuen Kolleg noch herzustellenden Arbeiten (ca. 161 5; St AD, 
Univ. 48): „Ins consistorium . . . einen bock, darauf man den wein in examinibus legt". 

276 Cgm. 1257, Bl. 94 (wohl von 161 5). Dies erscheint jedoch bei der Jugend 
des Promotors Steuber (geb. 1590) entschuldbar. Jedenfalls ist gegen die von Janssen 
(Aus dem deutschen Universitätsleben des 16. Jahrh., Frankfurter zeitgemäße Broschü- 
ren, Bd. VII, 373) ohne Quellenangabe gebrachte derbe Bemerkung über Gießen sachlich 
nicht viel einzuwenden. Es heißt da: „Die Professoren saufen und fressen mitunter mit 
den Studenten, daß es eine Schmach und Schande*'. 

»76 a Der fünfte Theologe wurde nicht von der Universität bezahlt, sondern vom 
Hofe (Cgm. 1259, Bl. 203). 



1^6 Zweiter Abschnitt. 

tigeren Ereignisse in der theologischen Fakultät dieser Zeit haben wir bereits er- 
wähnt; der große innere Zwist, in dem die Partei Mentzer-Feurborn trium- 
phierte, und in dessen Folge Oisenius die Universität verließ, ist nicht min- 
der bekannt, als der äußere Streit, der dann mit der Theologenfakultät in Tü- 
bingen ausbrach und die Auflösung der Gießener Hochschule fiberdauerte. 

In der Juristenfakultät ist die bekannteste Persönlichkeit der Westfale 
Gottfried Antonii. In wissenschaftlicher Beziehung wegen seines Lehnrechts 
noch lange geschätzt, mit seinem ehemaligen Lehrer Vultejus in Marburg in 
eine heftige litterarische Fehde über das Wesen des bestehenden Reiches und 
die Stellung des Kaisers darin verwickelt, erfreute sich Antonii in Gießen, wo 
ihm auch die akademische Kanzlerwürde übertragen war, unbeschränkten 
Ansehens, und er wurde von seinem Landesherrn vielfach zu Rate gezogen. Als 
er 1618 starb, folgte ihm in der ersten juristischen Professur sein Kollege 
Heinrich Nebelkrä, genannt Immel, der schon seit 1607 als zweiter Professor 
neben ihm gewirkt hatte, während Johann Kitzel, zeitlich der erste Jurist an 
der Gießener Hochschule (seit 1605), Vizekanzler wurde. Nach der kurzen 
Lehrtätigkeit von Peter Frider aus Minden (Mindanus) 1610 — 1613, und Diet- 
rich Reinkingk, dem späteren Verfasser der Schrift de regimine seculari et 
ecclesiastico, 1616 — 1618, bestand seit 1618 die Fakultät aus Nebelkrä, Ki- 
tzel, Helfr. Ulr. Hunnius, dem Sohne des lutherischen Theologen, schon 
seit 1613 Prof. jur. in Gießen, und Johann Breidenbach, der vorher Profes- 
sor der Ethik gewesen war. Von ihnen schieden Nebelkrä und Kitzel vor der 
Übersiedlung nach Marburg aus, der erstere, weil er in dem bereits erwähn- 
ten Prozeß wegen Schwärmerei zur Dienstentlassung verurteilt worden war, 
der letztere aus nicht deutlich erkennbarer Ursache. 

In der medizinischen Fakultät ist wohl Gregor Horst aus Torgau das 
hervorragendste Mitglied gewesen; sein Wegzug nach Ulm 1622 wurde da- 
her allgemein bedauert 277 . Er war 1608 als zweiter Mediziner nach Gie- 
ßen gekommen, während Lautenbach (nach Münsters frühem Tode 1606) die 
erste Professur inne hatte. Nach Lautenbachs Tode wurde dem jetzigen Pri- 
marius Horst der vorzügliche Botaniker Ludwig Jungermann aus Leipzig bei- 
gegeben, der auch nach Horsts Weggang blieb und schließlich als einziger 
Professor der Medizin das Ende der Gießener Hochschule erlebte, alsdann 
aber einem Rufe nach Altdorf folgte. Die dritte Professur der Medizin war 
nur von 1609 bis 1612 durch Michael Döring aus Breslau und von 1616 bis 



277 Winckelmann an Dieterich, 1622 Febr. 22 (Cgm. 1259, Bl. 732): „Abrumpen- 
dum mihi est silentium et tibi ac aliis succensendum, quod nobis dn. D. Horstium eri- 
piunt, siquidem nullus ex omnibus collegis nostris sit, qui non audita dimissione ejus ani- 
mo commotus sit, neque tantum ex professoribus, sed et aliis viris cordatis et honestis 
mulieribus". Über Horsts Einfluß auf seine Fakultätsgenossen schreibt Steuber (vor 
einer Abstimmung im Senat 161 7) (Cgm. 1259, Bl. 215): „Wan ich aber D. Horsten 
auf meiner seiten hab, so hab ich auch die andere medicos, qui ab ipsius nutu pen- 
dent". 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 137 

1622 durch den Württemberger Samuel Stephani besetzt; der letztere mußte 
aus gleichem Anlaß wie Nebelkrä seinen Dienst verlassen. 

In der Besetzung der philosophischen Professuren zeigt sich deutlich, 
daß die in dieser Fakultät gelehrten Wissenschaften eine Einheit bildeten, die 
jeder Höherstrebende vollständig beherrschen mußte, war doch die philoso- 
phische Fakultät die Vorschule der übrigen Fakultäten. Diese Eigenart 
der philosophischen Fakultät brachte es mit sich, daß es noch keine Spezia- 
listen für bestimmte Gebiete dieser Wissenschaften gab, sondern daß jeder 
jede Wissenschaft nötigenfalls lehren konnte, wenn auch nicht geleugnet 
werden kann, daß ein Professor diesen, ein anderer jenen Zweig des phi- 
losophischen Kurses durch eingehendere Beschäftigung in höherem Grade 
beherrschte als ein anderer. Immerhin finden wir Kombinationen von Lehr- 
gebieten, die nur möglich waren, wenn der Professor die sämtlichen Ge- 
biete seiner Fakultät genau kannte; zum Beispiel lagen anfangs Logik, Meta- 
physik, Physik und Rhetorik in einer Hand, später Logik, Metaphysik und 
Griechisch, auch Griechisch, Hebräisch und Physik. 

Stellen wir nun die Besetzung der einzelnen Lehrstühle fest 278 : 

Ethik: Seit 1605 Konrad Dieterich, 1614 Johann Breidenbach, 1618 
Philipp Krebs. 

Logik und Metaphysik: 1605 Finck, 1610 Christoph Scheibler, der 
diese Professur nebst dem Amt des Pädagogiarchen bis 1624 führte. 

Physik: 1605 Finck, 1608 Joh. Stumpf aus Alsfeld, 1612 Anton Hagen- 
busch aus Laubach, 1614 Joh. Steuber aus Schwickartshausen, 1620 Joh. 
Hch. Tonsor aus Alsfeld. 

Mathematik: 1605 Kitzel, zugleich Professor der Institutionen; 1608 bis 
1609 Nik. Hermann aus Mühlfeld in Franken, der an der Pest starb; 1609 der 
später hochbedeutende Mathematiker und Philosoph Joachim Junge (Jun- 
gius)* 79 , dessen Gießener Tätigkeit wie die Helwigs zuletzt besonders den 
pädagogischen Reformen Ratkes gewidmet war; 1615 Heinrich Wideburg aus 
Neustadt am Rübenberge, 1618 Jakob Müller aus Torgau. 

Rhetorik: 1605 Finck, 1608 Nigidius, 1616 Christian Liebenthal aus 
Soldin. 

Geschichte und Poetik: 1605 — 1624 Konrad Bachmann. 

Griechisch: 1605 Chr. Helwig, 1610 Christoph Scheibler, 1615 Steuber, 
1620 Martin Helwig. 

Hebräisch: 1605— 1617 Chr. Helwig, 1617—1624 Steuber, daneben 
seit 1620 als extraordinarius Martin Helwig. 

Hinzu treten die Lehrer der modernen Sprachen seit 1608: Für Fran- 
zösisch: Philippes Garnier aus Orleans, später (1614) Marcel Olive aus Pa- 



* 78 Ich folge im wesentlichen Strieders Angaben. 

*™ Vgl. über seine Gießener Tätigkeit die Biographie von Guhrauer, Joach. Jun- 
gius und sein Zeitalter (1850), 13 ff. 



138 Zweiter Abschnitt« 

ris; daneben für Italienisch und Spanisch seit 1608: Matthäus Hoffstetter 
aus Landsberg in Bayern (f 1620). 

Die Hauptleistungen der Fakultät lagen, wie dies bei der noch in den An- 
fängen stehenden Entwicklung der philosophischen Einzeldisziplinen nahe- 
lag, mehr auf pädagogisch - didaktischem Gebiete als auf dem wissen- 
schaftlichen Fortschritts. Aber was die Fakultät in Angriff nahm, wurde mit 
einem Eifer durchgeführt, den man auf den gleichzeitigen Universitäten 
selten finden wird. Ich denke hier vor allem an die Tätigkeit der Professo- 
ren, die sich mit der Ausarbeitung von Lehrbüchern beschäftigten, teils für 
die Unterstufe wissenschaftlicher Ausbildung, das Pädagogium 280 , teils für die 
Weiterführung der formalen Bildung in der Fakultät. Wenn man die Reihe 
der von einzelnen Professoren oder von zweien gemeinsam verfaßten Lehr- 
bücher überblickt, so kann man diese Tätigkeit nicht genug bewundern. Stark 
beeinflußt ist sie seit 1612 von 'den Ideen des Wolfgang Ratichius (Ratke); und 
während vorher besonders Konrad Dieterich (neben ihm auch Finck und 
Bachmann) bestrebt waren, eine einheitliche Form für das oft ungefüge Ge- 
bäude der philosophischen Disziplinen zu finden, übernimmt von da an 
Christoph Helwig mit Feuereifer die Führung der Bewegung. Die Arbeit war 
ihm durch den Widerstand seiner Kollegen nicht leicht gemacht» 81 . Ein frü- 
her Tod setzte 1617 dem regen Schaffen des Mannes ein Ende, und 
das erhaltene Verzeichnis dessen, was ihm nicht mehr zum Druck zu be- 
fördern vergönnt war, läßt uns einen Einblick in seine Arbeit gewinnen, 
die vornehmlich auf die Lehrmethode der Sprachwissenschaften gerichtet 
war 288 . Mit ihm verlor die Hochschule und die Pädagogik einen ihrer be- 
deutendsten Vertreter; mit Recht ruft ein Zeitgenosse bei der Nachricht 
von seinem Tode schmerzlich aus: „Parem profecto Giessena Academia non 
accipiet!" 283 Die Weiterführung seiner Ideen durch seinen unglücklichen 
Bruder Martin 28 *, die Professoren Steuber und Scheibler und einige Lehrer 
des Pädagogs entsprach nicht mehr dem, was Christoph Helwig gewollt 
hatte, zumal die Leitung der didaktischen Versuche und ihre literarische Ver- 
tretung dem fähigen Steuber entzogen wurde 285 . 



280 Vgl. hierfür besonders Diehl, Schulordnungen II (Mon. Germ. paed. XXVIII), 
21 ff. 

281 Vgl. neben den Bestrebungen, seine Beurlaubung zu hintertreiben (Vis.-Akten 
UAG, Adm. Rechn.-Abh.), die spöttischen Bemerkungen, von denen sein Schwiegersohn 
Schupp spricht (Vom Schulwesen, hsg. v. Stötzner [1891], 26), und den Brief an Jungius 
161 6 (Guhrauer, 220). 

282 Steuber an Dieterich, 1617 Okt. 17, Cgm. 1259, Bl. 214. 

283 Garth an Dieterich, 161 8 Jan. 17/27, Pragae (Cgm. 1258, Bl. 123). 

284 Er war Epileptiker und Melancholiker und starb 1632 im Hospital Hof heim. 
Über sein Leben s. Neubauer im Hess. Hebopfer, Bd. II, Stück 16 (1738), 5°3 — 5 2 9- 

285 Stumpf an Dieterich, 161 8 Mai 8, Znoymac (Cgm. 1259, Bl. 388): „Cur M. Steu- 
bero concreditum non sit negotium didacticum, ipse miror. Audivi n. ante sesquibiennium, 
quam egregia ejus esset non tantum promptitudo in f amiliar iter exercenda lingua Graeca, 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 139 

XII. 

Es wird nun unsere Aufgabe sein, zu sehen, wie sich die Tätigkeit aller 
dieser Gelehrten an der Universität abspielte; wir wenden unser Augen- 
merk dem Lehrbetrieb während des behandelten Zeitraums zu. 

Zunächst: Wann wurde unterrichtet? Frei von Vorlesungen waren 
beim Beginn der Gießener Hochschultätigkeit nur Samstag und Sonntag; 
bei der Umarbeitung der Statuten fügte man jedoch noch den Mittwoch 
als freien Tag hinzu, da die Menge der Disputationen nicht am Samstag er- 
ledigt werden konnte; man folgte hierbei dem Marburger und Wittenberger 
Vorbild. So blieben also nur vier Wochentage den Vorlesungen gewidmet, 
während an den übrigen Disputations- und Deklamationsübungen stattfinden 
sollten. Die zwei größeren Ferienzeiten im Jahre dauerten etwa je drei 
Wochen und lagen zur Zeit der Frankfurter Frühjahrs- und Herbstmesse. 
Sodann waren an Weihnachten zwei, an Pfingsten eine Woche frei, und die 
Aposteltage sollten nicht zu Vorlesungen, sondern zu theologischen Dispu- 
tationen verwendet werden. Anfangs wurde außerdem die Fastnachtswoche, wie 
es in Marburg gebräuchlich war, als Ferienzeit angesehen, später bestimmte die 
Universität jedoch, um den Unfug zu vermindern, daß diese Ferienzeit auf- 
gehoben werde, dafür aber während der Hundstage einige Tage ausgesetzt 
werden dürften, und diese Anordnung wurde in die neue Statutenfassung 
aufgenommen 286 . Im Unterricht bestand die Einteilung in Semester, deren 
Anfang und Ende durch die Frankfurter Messen bestimmt war. 

Der Unterricht zerfiel nach altem akademischen Brauch in die Vor- 
lesungen (lectiones) und die Disputationen, wozu dann noch die Deklama- 
tionsübungen kamen. Zur Abhaltung aller dieser Arten des Unterrichts waren 
die professores publici verpflichtet, und sie hatten dafür kein Honorar von 
den Studenten zu verlangen: die Vorlesungen usw. waren öffentlich. Da- 
neben gab es jedoch, wenn auch von der Universität nicht angeordnet, Privat- 
vorlesungen, private Disputations- und Deklamationsübungen, welche hono- 
riert wurden. 

Betrachten wir zunächst die Vorlesungen. Jeder Professor sollte nach 
dem Herkommen täglich, das heißt an den vier Lehrtagen der Woche, je 
eine Stunde lesen 287 . Vor dem Beginn des Studienjahres sollte der Dekan 
die methodische, für die Hörer vorteilhafteste Verteilung des Lehrstoffes seiner 



sed et dexteritas mira in eadem studiosis inculcanda; qua tum temporis effecerat, ut ma- 
jor esset studiosorum graccanizantium copia quam in ulla alia academia. Forsan veriti sunt 
ejus consilii moderatores, ne labores publici a M. Steubero exantlandi opere isto didac- 
tico impedirentur". 

286 Wasserschieben, 17 u. Anmerkungen. Univ. an Landgraf Ludwig, 1609 März 29 
(Abschr. StAD, Univ. 3). 

287 Vgl. Tholuck I, 63. So ist es aufzufassen, daß in Vorlesungsverzeichnissen oft 
nur die Stunde der Vorlesung angegeben wird, nicht aber der Tag; die Vorlesung fand 
an jedem Lehrtag um dieselbe Stunde statt, war also, wie wir sagen würden, vierstündig. 



140 Zweiter Abschnitt. 

Fakultät vornehmen 288 . Doch mußte in der Praxis mehrfach die Aufstellung 
eines Vorlesungsverzeichnisses und seine öffentliche Anheftung am schwarzen 
Brett zu Beginn des Semesters befohlen werden. Diese Vorlesungsverzeich- 
nisse, von denen sich aus unserer Periode einige erhalten haben, waren ge- 
schrieben. Bemerkt muß werden, daß in ihnen auch die Privatvorlesungen 
und -disputationen der Professoren aufgeführt sind, in einem, von dem je- 
doch nur der auf die philosophische Fakultät bezügliche Entwurf vorliegt, 
auch die der (philosophischen) Privatdozenten. 

Diese offizielle Anerkennung der privaten Lehrtätigkeit, die einige Jahr- 
zehnte früher wohl nicht möglich gewesen wäre, hat ihre guten Gründe. 
Man wird zunächst fragen, wie es möglich war, daß neben den öffent- 
lichen, ohne Bezahlung zugänglichen Vorlesungen solche private Unter- 
richtsstunden erteilt wurden, deren Besuch durch oft hohes Honorar er- 
kauft werden mußte 28 ». Dieser Privatunterricht war aus verschiedenen 
Ursachen entstanden; vor allem hatte ihn das Mißverhältnis zwischen 
der Dauer des öffentlichen Vorlesungskurses und der des Hochschul- 
aufenthaltes der Studenten nötig gemacht. Zu einer Zeit, wo manche 
Professoren jahrelang über einen Gegenstand lasen, ohne ihn zu Ende zu 
bringen 290 , und wo die Studentenschaft großenteils so rasch die Hochschule 
wieder verließ, wäre dem Hörer höchstens ein Bruchstück von der öffent- 
lichen Vorlesung zugute gekommen. Es war daher angebracht, neben diese 
Art des Unterrichts noch eine zweite treten zu lassen, die mehr geeignet 
war, Überblicke über das Stoffgebiet zugeben, die Wiederholung zu erleichtern 
oder auch kleinere, ausgewählte, für die Praxis wichtige Abschnitte einem Kreise 
von Studierenden nahezubringen. Es ergab sich hieraus die Notwendigkeit der 
privaten Vorlesung, und es ist verständlich, wie diese ursprünglich gegenüber 
den lectiones publicae zurücktretende Unterrichtsart im Laufe der Zeit als wich- 
tiger galt als jene und sie schließlich beiseite drängte. Die privaten Vorlesun- 
gen beruhten auf der Vereinbarung des Lehrers mit einem geschlossenen 
Kreise von Studenten; sie hießen daher auch collegia, und zum Unterschied 
von den Disputationskollegien collegia lectoria. Gehalten wurden sie sowohl 
von Professoren als auch von anderen Dozenten. Während für die öffent- 
lichen Vorlesungen die Räume der Universität verwendet wurden, waren die 
Professoren und Dozenten für ihre privaten Kollegien auf ihre eigenen Woh- 
nungen angewiesen. 

Der Eifer der Studenten im Besuch der öffentlichen Lektion war nicht 
bedeutend; war es schönes Wetter, und hatte man sonst nichts vor, so be- 
suchte man die Vorlesungen ; bei schlechtem Wetter blieb man lieber zu 
Hause, besonders da der Schmutz vor dem Eingang des Universitätsgebäudes 
sich als Hindernis anführen ließ 291 und die nicht heizbaren Vorlesungsräume 



288 Wasscrschleben, 17. * 

289 Für diese Verhältnisse vgl. E. Hörn, Kolleg u. Honorar (1897), bes. 23L 
wo Beispiele bei Tholuck I, 92 f. *» Vgl. MOGV XI, 68. 



Die Univ. 



i Gießen bis zu ihrer Suspenso 



I Jahre 1624. 



wen ig einladend schienen. Aber auch die Professoren waren nachlässig in der 
Abhaltung ihrer Vorlesungen. Besondere Einkünfte waren nicht damit ver- 
bunden, und der heutige Begriff des Pflichtgefühls war in jener Zeit noch 
schwach en (wickelt 191 . So war die Bestimmung der Statuten, die Vorlesung 
nicht ohne zwingenden Grund auszusetzen * 93 , sehr am Platze. Freilich waren 
die Nebenbeschäftigungen der Professoren vielfach im Wege, so die Ausar- 
beitung der Fakultätsgutachten (Responsa) 131 und der Thesen für die Dispu- 
tationen; die Nebenämter — Winckelmann war Superintendent, ein anderer 
Theologe Stadtpfarrer, die Juristen fürstliche Räte, ein Mediziner fürstlicher 
Leibarzt — nötigten zu vielerlei Reisen und Arbeiten; bei den Medizinern kam 
die Privatpraxis hinzu m ; alle Professoren waren außerdem schriftstellerisch tätig. 
Dazu kamen die einträglichen Privatkollegien, die Sorge um ein großes Haus- 
wesen, der Studententisch, und nicht am wenigsten die zeitraubende Korrespon- 
denz mit anderen Gelehrten. Von der amtlichen Inanspruchnahme durch Senats- 
sitzungen, Promotionen, Examina seheich hierbei ganz ab 23 ". So mußten die tec- 
tiones publicae, die den Kern des Lehrbetriebes bilden sollten, oft genug in den 
Hintergrund treten, und der Landgraf schrieb deshalb 1613 der Universität: Er 
höre, daß viele Studenten die Hochschule verließen wegen des Unfleißes der 
Professoren, er ermahne zu fleißigerem Lesen und dazu, im Verhinderungs- 
falle durch einen angehefteten Zettel den Studenten Mitteilung zu machen 8 ". 
Bei dem Prozeß, den 1614 der Kanzler Professor Antonü gegen seinen Kol- 
legen Nebelkrä führte 599 , warf letzterer dem Kanzler vor, er habe in sieben 
Jahren nicht sieben Stunden gelesen, versehe auch die Fakultätsgeschäfte nicht 
und schütze unberechtigt seine Tätigkeit im Dienste des Fürsten vor. Auch 
1617 richtet der Landgraf eine sehr scharfe Ermahnung an die Universität, 
weil er erfahren habe, daß ein Teil der Professoren schon seit Jahren nicht 
lese. Die Universität behauptete, dies sei nicht richtig; es fehle an Fleiß nicht 
bei den Professoren, sondern bei den Studenten, durch deren Unfleiß es vor- 
komme, daß manchmal ein Professor aus Mangel an Hörern „ungelesen" wie- 
der heimgehen müsse 199 . Jedenfalls sind diese Verhältnisse ein Hauptgrund 
für die Einführung der jährlichen Visitation gewesen, die wenige Tage nach 
diesem letzten Schriftwechsel angeordnet wurde' 00 . Bei dieser Visitation soll- 



i9> vgl. Tholuck I, 121 ff. — "» Was5erschleben, 17. 

*°* Die Responsa der Juristen fakul tat Gießen, später Marburg, sind von 1619 an er- 
halten in den Handschr. No. t ■ $5 ff. der Gießener Universitätsbibliothek. Von 1619 sind 
es 39 Responsa. 

195 Beispiel für die Tätigkeit eines Mediziners: Prof. Horst war noch im Mai 1613 
mit einigen illustres personae in Ems, reiste aber schon um den 20. Juni mit seinem 
Landgrafen auf den Regcnsburger Reichstag. Gr. Horst, Observationum medicinalium 
libri IV priores, ed. nova (1618), 7. 

**• Zur Vielbeschäftigung der Professoren vgl. Tholuck I, 64, 125. 

*•' Landgraf Ludwig an Rektor Nigidius (StAD, Univ. 4). 

» 8 Akten UAG, S. Personalakten d. jur. Fak. 

»» UAG, S. XIV, 4. — »<"> S. oben, S. 110. 






! 



142 Zweiter Abschnitt. 

ten sich die Kommissare genau danach erkundigen, was in den Vorlesungen 
getrieben wird, auch „wie viel stunde, tage, wochen, monat und zeit ein je- 
der darmit zubracht", und was er an Vorlesungen versäumt habe* 01 . Diese 
Anordnungen zeigen, daß man in Darmstadt bestrebt war, neben der Ver- 
nachlässigung der Lektionen auch das zu lange Hinziehen der Vorlesung über 
einen Gegenstand abzustellen, wie es in jener Zeit oft in unglaublichem Maße 
vorkam 302 . Am lebhaftesten scheint diese letzte Anregung bei Professor 
Scheibler Anklang gefunden zu haben. Dieser war von jetzt ab bestrebt, seine 
Disziplinen, Logik und Metaphysik, in einjährigem Kursus zu Ende zu 
führen 803 . 

Bezüglich des Aussetzens der Vorlesungen erkannte die Visitations- 
kommission bald, daß dagegen mit schärferen Maßregeln vorgegangen werden 
müsse. Schon die Visitationsinstruktion von 1619 sagt: Sollten die Professo- 
ren den voriges Jahr verspürten Unfleiß nicht ablegen, so sollen sie von 
jeder vorsätzlich versäumten Stunde y* Reichstaler Strafe erlegen; die no- 
menclatores (Pedellen) sollen bei ihren Eidespflichten die Säumigen notie- 
ren 304 . Mit dieser Bestimmung kehrte man zu einem in Marburg seit frühen 
Zeiten bestehenden Brauch zurück; man scheint damals nichts Peinliches 
darin gefunden zu haben, daß die Pedellen in dieser Weise die Professo- 
ren überwachten, denn die Verordnung, die auch auf anderen Universitäten 
in Kraft war, wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts für Gießen mehrfach 
erneuert 305 . Schon 1621 suchte man das Verfahren noch wirksamer zu 
machen ; jetzt sollten die eingegangenen Strafgelder auf die übrigen Mitglie- 
der der Fakultät verteilt werden, so daß der Fleißigste am meisten bekommen 
hätte 306 ; doch ist es sehr zweifelhaft, ob diese Bestimmung nicht nur auf 
dem Papier blieb. 

Auch die Verdrängung der öffentlichen Vorlesungen durch die Privat- 
kollegien wurde in jenen Jahren gerügt 307 . Die Visitationskommission wurde 
1619 beauftragt, dagegen einzuschreiten, daß „die publicae lectiones und dis- 
putationes eines theilß gar eingestellet und die vornembste studia in denen 
vast costbaren exercitien getrieben werden" ; hiermit sei besonders Anfängern 

301 Instruktion v. 1618 Mai 30, Or. St AD, Univ. 6. 
30» vgl. Tholuck I, 92 f. 

303 Scheibler erklärt bei der Visitation 161 8: Er habe im Winter die Logik und 
die Hälfte der Metaphysik erledigt; er sei bestrebt, stets in einem Jahre eine jede Dis- 
ziplin zu Ende zu führen. Allerdings erklärt er im folgenden Jahre: Er erledige die Lo- 
gik in einem, die Metaphysik in zwei Jahren (Visit.-Prot.). 

304 Instruktion v. 1619 Apr. 22; Abschied v. Mai 12, StAD, Univ. 6. 

305 Marburg 1550, 1564: Hildebrand, 54, 88; 1560: Handschr. 33a der Univ.-Bibl. 
Gießen: „De diligentia in praclegendo" ; 1575: Indices lect. Marb. 1879, S. VIII. Einiges 
stellt für Gießen zusammen: Buchner, Aus Gießens Vergangenheit, 254; für andere Uni- 
versitäten: Tholuck I, 126. Nach Angabe des Prof. Nebelkrä zahlte man in Tübingen 
für jede versäumte Stunde einen Goldgulden (Visit.-Prot. 1619). 

306 Instruktion v. 1621 Apr. 30, Or. a. a. O. 

307 Schon 161 5 klagt Kitzel über die Verachtung der publicae (Schädel, yj). 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 143 

und denen, die „tardioris ingenii" seien, sowie den Armen, die die teuren 
Privatkollegien nicht bezahlen könnten, wenig gedient. Die publicae lectio- 
nes, disputationes und declamationes müßten wieder in Gang gebracht wer- 
den, damit „die privatcommodität der professorn dem gemeinen besten der stu- 
direnden Jugend nicht vorgezogen werde". Selbst Überschreitungen des 
Lehrgebietes zog dieser Hang zu den Privatkollegien nach sich: Liebenthal 
wird gerügt, weil er als Professor der Rhetorik gar keine Rhetorik lese, son- 
dern nur Privatkollegien über Politik halte 308 . 

Bei der laxen Anschauung von der Wichtigkeit des Vorlesungs- 
besuches, die auf Seiten der Studenten herrschte, und bei dem Unfleiß der 
Professoren ist es denn kein Wunder, daß die Zahlenangaben, die wir über 
die Frequenz einzelner Vorlesungen den Akten entnehmen können, unge- 
heure Schwankungen zeigen. Bei öffentlichen Vorlesungen finden wir die 
Ziffern 2 bis 60; bei Privatkollegien, in denen eine Kontrolle möglich war, 
blieb dadurch die Zahl gleichmäßiger, aber infolge der Kosten geringer: 15 
bis 30. Ein Urteil über Fähigkeit und Bedeutung des einzelnen Pro- 
fessors gestatten diese Zahlen, auch wo sie uns für bestimmte Lehrer über- 
liefert sind, schwerlich; denn der Zulauf der Studenten zu einem Professor 
wird nicht nur von dem Wert des bei ihm Zuerlernenden oder von seiner 
Lehrmethode bestimmt 309 . 

Die Methode, die in jenen Zeiten von den Dozenten in den Vor- 
lesungen, vornehmlich in den öffentlichen, geübt wurde, bedarf noch einer 
kurzen Betrachtung. Meistens waren es, was der Name sagt, lectiones, und 
zwar in dem Sinne, daß ein Autor oder ein Lehrbuch vorgelesen wurde, an 
dessen einzelne Sätze oder Abschnitte der Professor dann seine erklärenden 
Bemerkungen knüpfte. Die in den Vorlesungen zu behandelnden Werke 
sind großenteils sogar durch die Statuten vorgeschrieben. Für andere Ge- 
biete diktierten die Professoren das Wesentliche den Hörern in die Feder, 
und fügten weitere Ausführungen hinzu. Aus diesen Diktaten sind dann oft 
Lehrbücher oder Leitfäden dieser Gebiete entstanden, die gedruckt und. dann 
den späteren Vorlesungen zugrunde gelegt wurden, wobei das vorherige Dik- 

308 Instruktion v. 1619 Apr. 22, Or. a. a. O. 

309 Ein hartes Wort über die Urteilslosigkeit und Aufgeblasenheit der Studenten 
schrieb damals (1610) Lingelsheim an Goldast: „Accedit quod professorum in academiis 
miseram conditionem judicavi eo, quod a stultissimorum et imperitissimorum judicio ip- 
sorum existimatio pendeat, hoc est adolescentum, qui fere inflati e scholis opinione ali- 
qua sui profectus" (Virorum clar. et doct. ad Goldastum epistolae [1688], 430). Daß diese 
Selbstüberschätzung auch in Gießen herrschte, zeigt folgende Äußerung des Prof. Martin 
Helvicus von 1620: „Vulgus hominum, qui has literas attingunt, ubi unum et item altcrum 
grammaticum aut criticum curiose perreptarunt, imaginantur sibi nescio quam praecla- 
ram scientiam. Quod si quis paulo profecit amplius, ut versiculos etiam scribillare pos- 
sit, prohl hunc videas mirifice sibi placentem, lanquam omnes Palaestinae et Graeciae 
Latiique thesauros jam excusserit atque universam animo circumferat linguarum cogni- 
tionem". (An die fürstl. Kommissare, StAD, Univ. 6; jetzt auch bei Diehl, Z. Gesch. d. 
Butzbacher Lateinschule [1902], 46.) 



144 Zweiter Abschnitt« 

tieren oder Abschreiben des Textes erspart wurde 110 . Von diesen Lehr- 
büchern, die zum Teil ihre Verfasser weit überdauerten, ist schon vorhin die 
Rede gewesen. Hierhin gehören Dieterichs Institutiones rhetoricae, oratoriae, 
dialecticae, catecheticae, die Logik und Methaphysik von Scheibler, das Com- 
pendium politicum von Krebs, Bachmanns Poetik und ahdere ; einige von ihnen 
sind allerdings nicht aus den Vorlesungen, sondern aus den Disputationen ent- 
standen. 

Während man sich so auf dem Gebiete der philosophischen Wissen- 
schaften von dem Herkömmlichen freimachte und nicht mehr die Vor- 
lesung nach dem überlieferten Buch, sondern das Lehrbuch nach den Be- 
dürfnissen der Vorlesung zuschnitt, regte sich auch auf dem Gebiete der 
oberen Fakultäten der modernere Geist. Die Reste der Vorlesungsverzeich- 
nisse lassen uns erkennen, daß in vielen Lektionen nicht an der Hand eines 
Buches der Stoff behandelt wurde, sondern daß der Lehrer sein Wissen je nach 
der Art des Stoffes in geeigneter Form seinen Hörern in Gestalt eines Vor- 
trags darbot. Dies gilt besonders von Fächern, in denen es an geeigneten 
Lehrbüchern oder überhaupt an brauchbaren Vorarbeiten fehlte, und wo dann 
der Professor ganz nach moderner Weise die Ergebnisse seiner eigenen Stu- 
dien vortrug. Diesen Fortschritt bemerken wir auf dem Gebiete der Me- 
dizin und der Jurisprudenz, allerdings nur vereinzelt 811 . Bei den Theologen 
könnte man die Refutationsvorlesungen hierher rechnen, die zur Widerlegung 
von Irrlehren gehalten wurden 31 *; da man aber doch wohl hierbei des Geg- 
ners Schrift als Leitfaden nahm und hieran die Einwürfe anknüpfte, so steht 
diese Art des Vortrags der eigentlichen lectio wesentlich näher. Oberhaupt 
herrscht noch immer die alte Ansicht, daß über ein zugrunde gelegtes Werk 
gelesen werden müsse. So wird 1620 über den Juristen Nebelkrä geklagt, 
daß er keine Abhandlung, sondern ihm zugeschickte Rechtsfälle in der Vor- 
lesung behandle, und die nächste Visitation schreibt ihm darum vor, daß 
nicht nur ineidentes quaestiones, sondern traetatus et integra capita den Stoff 
seiner Vorlesung bilden sollen 318 . 



810 Die Genesis eines solchen Lehrbuchs zeigt die Vorrede zu Dieterichs Insti- 
tutiones dialecticae: „Quanquam vero ab initio haec praeeepta logica non eum in finem 
in calamum dietata a me fuerint, ut publici aliquando juris fierent: describenrium ta- 
rnen ineuria et inscitia factum est, ut quam plurimis descripta ezemplaria erratis ac vitiis 
scaterent, quae tum sensum praeeeptorum plane inverterent, tum discentes etiam pluri- 
mum retardarent". Aus diesem Grunde gibt er das Werkchen jetzt in Druck. 

511 Hierher gehören aus dem Lektionskatalog 1620: „Greg. Horstius . . . obser- 
vationcs singularium curationum de morbis pectoris continuabit publice. — Sam. Stephani 
. . . enumerationem partium corporis humani similarium continuabit et . . . partes dissi- 
milares proponet, modumque sectiones administrandi monstrabit**. — 1622 im Kipper- und 
Wipperjahr kündigt Kitzel die zeitgemäße Vorlesung an: „Quaestiones monetariae hodie 
imprimis controversae". 

312 1 620 : „ Justus Fewrbornius ... in ref utando Enjedino pro publicis lectionibus stu- 
diose perget. — Joh. Steuberus . . . publice Calvinianorum errores refutabit". 

315 Visit.-Prot. 1620, Aussage Feurborns; Visit.-Instr. 1621. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 145 

• 

Eine hiermit zusammenhängende weitere methodische Frage, die beson- 
ders gegen Ende unserer Zeitspanne Verhandlungen verursachte, war die 
des Diktierens in der Vorlesung 81 *. Wo geeignete Leitfäden vorlagen, war 
dies überflüssig, und so hören wir, daß Scheibler 1618 seine Handbücher 
der Logik und Metaphysik absque dietatura erklärt; auch Bachmann dik- 
tierte nicht in seinem Vergilkolleg ; jedoch der Theologe Feurborn diktierte 
ad pennam. Allgemein scheint aber die Stimmung unter den Professoren 
gegen das Diktieren gewesen zu sein, denn, wie der Jurist Hunnius er- 
klärte, „studiosi schreiben nicht gern nach dietaturas ad calamum, excipiren 
aber summas rerum in pugillares" (Notizbücher). Bei der Regierung war 
man jedoch der Ansicht, daß mehr gelernt werde, wenn die Dozenten dik- 
tierten, und wandte sich dagegen, daß die Professoren sich des Diktierens 
gänzlich enthielten und nur perorierten und diskurrierten, wie man damals 
den freien Vortrag bezeichnete. Es mag in der Abneigung der Studenten ge- 
gen das Diktat ja eine in jener Zeit mehrfach beobachtete und beklagte Ab- 
nahme der Studiengründlichkeit stecken, wie Kitzel 1619 erklärt: er diktiere 
ex jure canonico et civili, aber die Studenten studierten die fundamenta 
nicht, sondern seien nur auf Diskurs und Disputation gerichtet. Jeden- 
falls aber war der von der Regierung ausgeübte Druck, daß in allen Fä- 
chern diktiert werde, nicht berechtigt. Richtiger scheint hier der Standpunkt 
Nebelkräs zu sein, der 1619 erklärt: „anfangs discurrire er etwa 1/4 stunde, 
darnach dictire er ad calamum", und der allgemein bemerkt: in Philoso- 
phie und bei den loci communes in Theologie sei es untunlich, allein zu dis- 
kurrieren, ebenso bei den Institutionen; „im übrigen stehe es dahin; esse 
etiam inconveniens, daß sich dadurch die auditores verlieren". Scheibler dik- 
tierte auch 1619 nicht, sondern sprach frei und verwies im übrigen auf seine 
Bücher. Dagegen hatte sich Steuber in diesem Jahre zum Diktat bekehrt. 
Das Ergebnis der Visitation von 1619 war hierin: Da „mit dem ledigen 
peroriren oder mundlichen conversiren die fundamenta vorab den ineipienten 
nicht genugsamb imprimirt werden, die auditores auch bey den dietaturn be- 
stendiger verpleiben" (?), so sollen in Zukunft „die dietaturn in vollen 
schwangk gebracht und erhalten werden". Ob diese Anordnung vollen Er- 
folg hatte, läßt sich aus den Akten nicht entnehmen 816 . 

Auf die öffentlichen Vorlesungen, von denen bisher in erster Linie 
die Rede war, hatte freilich die Regierungsbehörde Einfluß, denn für sie 
erhielt ja der akademische Lehrer sein Gehalt. Dagegen entzogen sich die 
privaten „Kollegien" nach Stoff und Methode der äußeren Beeinflussung. 
Denn obwohl die Privatkollegien in den offiziellen Lektionskatalog aufge- 



S1 * Die nachfolgenden Mitteilungen entstammen den Visitationsakten von 161 8 und 
1619. Über das Verfahren auf anderen Hochschulen vgl. Tholuck I, 88 ff. 

816 Ich finde nur noch in Vorlesungsverzeichnissen, daß Bachmann 1622 Chrono- 
logie „ad calamum dietabit", während gleichzeitig Martin Helvicus „dietabit commen- 
tariolum de derivatione linguae Graecae". 

Die Universität Gießen von 1607 bis 1907. 1. 10 



146 Zweiter Abschnitt. 

• 

nommen wurden, so waren sie doch eine freiwillige Leistung der Dozenten; 
ihre Teilnehmerzahl war beschränkt, sowohl durch den Willen des Dozenten 
als durch seine räumlichen Verhältnisse, denn sie wurden in der Wohnung 
des Dozenten abgehalten 816 . Vorschriften über die privaten Kollegien gab 
es also nicht. Sie ergänzten als collegia lectoria in der erwähnten Weise die 
öffentlichen Vorlesungen ; oder sie dienten als collegia disputatoria oder decla- 
matoria der Einübung des Wissens und der Handhabung der Sprache. Diese 
private Lehrtätigkeit ist von besonderer Wichtigkeit, weil sie rein dem prak- 
tischen Bedürfnis diente und methodische und didaktische Experimente ge- 
stattete 317 . Auf sprachwissenschaftlichem Gebiete dienten die Privatkollegien 
oft einfach als das, was wir als Privatstunden bezeichnen; mit Abfragen und 
schriftlichen Arbeiten wurde die Sprache eingeübt 818 . 

In dieser privaten Lehrtätigkeit wurden die Professoren durch die privati 
praeceptores, die Privatdozenten, unterstützt 819 , und es ist kein Zweifel, daß 
ein voller Erfolg des Studiums nur möglich war, wenn der Student neben 
den publicae lectiones, in denen der Professor unnahbar auf seiner cathedra 



316 Chr. Helvicus an Dieterich, 161 5 Nov. 26 (Cgm. 1258, Bl. 272): „Et prac- 
terea musaeum super ius destinaveram collegiis privatis. Nairt ultra 30 auditores privates 
nactus sum, ut vix subsellia sufficiant saepe". 

317 So die Privatkollegien des Chr. Helvicus; auch die Steubers; Helvicus schreibt 
(a. a. O.): Steuber halte ein collegium Graecum, „quod meis consiliis nova ratione per- 
sequitur 44 . Vgl. auch Stintzing, Gesch. d. deutschen Rechtswissenschaft I, 132. 

918 Z. B. 1622 Steuber: „Cum Hebraea lingua sine auditorum examinatione dif- 
ficulter addiscatur, iis, qui nomina sua apud illum profitebuntur, loco lectionis publi- 
cae in ea lingua docenda privatim sed gratis operam suam impendet". Er verwan- 
delt also die öffentliche Vorlesung durch Belegzwang in eine private, um die Möglich- 
keit des Abfragens zu haben. Ähnlich 1607: Helvicus liest publice Ilias und eine he- 
bräische Chrestomathie. „Praeterea in privato collegio familiarius exercitiorum He- 
braicorum resolvendi et vertendi itemque accentibus insigniendi rationem proponet*'. Son- 
stige Beispiele für das Verhältnis der öffentlichen Vorlesung zum Privatkolleg: 1620: 
Breidenbach liest publice Institutionen; „privatim collegium institutionum lectorium et 
disputatorium reiterabit". Steuber : „publice Calvinianorum errores refutabit", daneben ein 
Hebraicum über die kleinen Propheten; „privatim collegium Hebraeum et theologicum 
contra Photinianos aperiet, reiteraturus simul collegium contra Calvinianos praeterlapsa 
aestate habitum". Krebs (Prof. d. Ethik und Politik): „traetatum de pace religiosa con- 
tinuabit; . . . privatim collegium politicum instituet". Tonsor (Prof. d. Physik): „pro 
lectione publica libros de generatione et corruptione pertraetabit . . Privatim reiterabit 
collegium physicum generale, neenon speciale etiam super üb. de gen. et corr. ape- 
riet". 1607: „Rhetorices professor Joh. Thom. Freigii rhetoricam exponet. Adjunget 
ctiam instituto collegio exercitia declamatoria et orationum publica et privata". 

319 Über die Kollegien der Privatdozenten heißt es im Vorlesungsverzeichnis 1607: 
„Privati praeceptores [folgen 6 Namen] non tantum lectiones philosophorum publicas 
repetent, sed et Universum philosophiae circulum diseipulis fidei suae commissis magna 
diligentia proponent et singulis semestribus absolvent. Disputationum adjungent exer- 
citia hebdomadaria, declamationum menstrua, styli autem utriusque linguae et in prosa 
et ligata oratione itidem hebdomadaria". 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 147 

thronte, an den Privatkollegien teilnahm, die jede Form der Darbietung, Wie- 
derholung und Einübung ungezwungener ermöglichten. Der Vergleich mit 
unseren Seminaren liegt nahe 8 * . 

XIII. 

Der Vorlesung zur Seite stand, wie erwähnt, die Disputation und die De- 
klamation. Auch auf sie müssen wir unser Augenmerk richten. 

Die Disputation ist die Form wissenschaftlicher Betätigung, in der dem 
Studenten Gelegenheit geboten war, die Beherrschung der sprachlichen Form 
und des überlieferten Wissensstoffes sich anzueignen und zu erweisen; eine 
Bereicherung der Erkenntnis wird hierbei insofern gewonnen, als der Inhalt 
gewisser Lehrpunkte scharf von allen Seiten beleuchtet wird 821 . Ein formaler 
und ein materieller Zweck verbinden sich, und die Resultate dieser Methode 
verdienen Beachtung 828 . 

Auf die Beherrschung der sprachlichen Form, das heißt in erster Linie 
die ungezwungene dialektische Handhabung des Lateins, lief bereits in den 
Vorschulen der Universität, wie im Pädagogium, der Unterricht hinaus. 
Wenn die Bestimmung, daß die Schüler unter sich nur lateinisch sprechen 
sollten 828 , erfüllt wurde, so ergab sich schon daraus die Aneignung einer 
ziemlichen Fertigkeit im sprachlichen Ausdruck, auf die denn auch im Un- 
terricht, besonders in Grammatik, Syntax, Rhetorik usw., hingearbeitet wurde. 
Beim Obergang zur Universität setzte sich dies fort, indem der junge Stu- 
dent im Anfang vorwiegend Dialektik und Rhetorik trieb. Durch die An- 
eignung dieser Fächer in Theorie und Praxis war der Student dann weiter 
befähigt, die ihm vorgetragenen Lehrstoffe der Philosophie, zunächst Logik, 
dann Physik, Mathematik, Metaphysik usw., disputatorisch zu behandeln. 
Beim Übergang in eine höhere Fakultät veränderte sich nur der zugrunde 
gelegte Stoff, nicht aber die Disputationsmethode. Der Zweck der Dispu- 
tation ist nicht, in der Wissenschaft neue Werte zu schaffen, die Wahrheit 
zu suchen und festzustellen; das will die scholastische Methode nicht, ihr 
steht die Wahrheit in der Oberlieferung ein- für allemal fest — ; sondern 
sie will das Wissen einüben, stets gegenwärtig machen, sie will zur Schlag- 
fertigkeit erziehen. 

Die öffentliche Disputation erfolgte in der Weise, daß ein Student eine An- 
zahl Thesen oder eine Abhandlung, die er oder sein Lehrer aus dem Stoff des 
Wissens ausgewählt oder formuliert hatte, gegen die Einwürfe gegnerischer 



820 Vgl. auch Hörn, Kolleg u. Honorar (1897), 17. 

821 Vgl. Hörn, Die Disputationen u. Promotionen an den deutschen Univ. (1893, 
Beihefte z. Centralbl. f. Bibliothekswesen XI), 4. 

322 Über den Wert der Disputation äußert sich z. B. Paulsen (Die deutschen Uni- 
versitäten [1902], 29 f.) sehr günstig; s. auch Stintzing, Gesch. d. deutschen Rechtswiss. 

I, 137. 

828 So in Marburg: Hildebrand, 97; in Gießen zweifellos ebenso. 



148 Zweiter Abschnitt. 

Ansichten verteidigte. Das geschah stets unter dem Vorsitz eines Professors, 
der die Pflicht hatte, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, daneben aber auch 
dem in die Enge getriebenen Verteidiger der Thesen (respondens) gelegent- 
lich in der Behauptung seines Standpunktes zu helfen. Solche disputationes 
publicae wurden vor einem großen Auditorium abgehalten, aus dem je- 
der als Gegner des Disputanten auftreten konnte. 

Tapfere Verteidigung der Thesen brachte Ehre. Die Frage aber, ob 
der Respondent die Thesen selbst verfaßt hatte oder nicht, trat daneben ganz 
in den Hintergrund. Der Nachweis der wissenschaftlichen Tüchtigkeit wurde 
ja nicht durch die — gedruckten — Thesen geführt, sondern erst im Gefecht 
der Disputation erwies es sich, ob der Student Inhalt und Form beherrschte. 
Freilich, ein Beweis, daß er überhaupt disputiert habe, blieb die gedruckte 
Thesensammlung (die man ebenfalls „Disputation" nannte), selbst wenn die 
Thesen von einem Professor gestellt waren. Und so finden wir oft die Er- 
scheinung, daß eine solche Disputation* von dem Studenten, der sie gar nicht 
verfaßt hatte, als ein Zeichen seines Fleißes und seiner Fortschritte Verwand- 
ten oder Gönnern gewidmet wurde 524 . 

Es ist einleuchtend, daß zum Durchfechten solcher geistiger Turniere 
eine große Vorübung gehörte, sowohl um die Führung der dialektischen 
Waffe, als auch um den Stoff sich ausreichend anzueignen. Diese Vor- 
übung fand der Student in den Privatdisputationen der collegia disputato- 
ria, die somit, um im Bilde zu bleiben, den Fechtboden für Geist und 
Zunge bildeten. Hier im kleinen Kreise, wo man sich näher kannte, fanden 
oft Privatdisputationen statt, geleitet von einem Dozenten oder älteren Stu- 
denten. Diese Vereinigungen, in denen sich die Mitglieder bestimmten 
Satzungen zu unterwerfen hatten, stehen den heute auf den Universitäten 
vorhandenen wissenschaftlichen Kränzchen und Vereinen sehr nahe 886 . 

Diese Scheidung: disputationes publicae und disputationes privatae ist 
die einzige, die wir für diese Zeit in Gießen zu beachten haben 8 *. Zu den 



824 Z. B. ist folgende Disputation sicher vom Professor verfaßt: „Disp. astronomica 
prima de hypothesibus astronomiae generalibus, quam . . cl. dorn, proceribus academi- 
eis publice ventilandara proponit praeses M. Henricus Wideburgius . . professor . . . 
respondente Joach. Zachovio Wismariensi. Giessae H. 161 4". Der Respondent aber de- 
diziert sie. 

525 über die leges, denen die Mitglieder eines solchen Kollegs sich unterwarfen, 
vgl. [Gumpelzheimer,] Gymnasma de exercitiis acad. (1621), 136. Diese Kollegien als 
Vorschulen für die öffentliche Disputation zeigt folgender Passus in einem Zeugnis der 
juristischen Fakultät von 1609: „Praeter frequentatas . . lectioncs publicas et disputatio- 
nes, una cum aliis nonnullis studiosis juris collegium privatum, dn. Dominici Arumaei 
exercitationes Justinianeas discutiendo habuit in eoque opponendo et respondendo sese 
diligenter exereuit; insuper ctiam, ne privatim delitescere videretur, in publicum pro- 
diit" (Öffentliche Disputation). Sacra vialia J. J. Crausii (1609). 

826 Ich möchte die Einteilung nicht so ins Spezielle führen, wie es Hörn, Dispu- 
tationen, tut. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 149 

publicae rechnen wir hierbei auch die Qradualdisputationen. Beide Haupt- 
arten sollten an den lektionsfreien Wochentagen abgehalten werden« 7 . 

Während bei den öffentlichen Disputationen der zu behandelnde Stoff, 
beziehungsweise die Thesen vorher gedruckt und verbreitet wurden, so daß 
jeder, der opponieren wollte, sich mit einem Exemplar versehen konnte, 
pflegte dies bei den Privatdisputationen nicht der Fall zu sein; wenigstens 
habe ich keine voraus gedruckte einzelne Privatdispütation zu Gesicht be- 
kommen« 8 . Da es sich ja nur um einen engeren Kreis handelte« 9 , so hatte 
wohl jedes Mitglied eine Abschrift; in vielen Fällen entnahm man auch den 
Disputationsstoff einem gedruckten Handbuch, das im Besitz der Mitglieder 
war. Häufig auch verfaßte der Leiter des Kollegs eine Serie von Dispu- 
tationen über ein Gebiet des Wissensstoffes, worin dann dieser Stoff metho- 
disch erledigt wurde; jeder Disputationsübung lag ein solcher Abschnitt 
zugrunde, und der Autor ließ am Schlüsse der Übungen die Disputa- 
tionen als Ganzes drucken. Diese Druckschrift war dann ein gegebener 
Stoff für künftige Disputationskollegien« . Als Beispiel eines solchen aus Pri- 
vatdisputationen hervorgewachsenen Buches mag das von Winckelmann aus 
dem Jahre 1610 genannt sein: „Augustanae confessionis articuli thesibus 
comprehensi et in acad. Giess. privatim in collegio theologico ad 
piam sententiarum collationem propositi, nunc autem in usum collegiorum 
academicorum et scholasticorum in unum fasciculum collecti et in lucem 
editi". 

Fühlte sich der Student durch Teilnahme an Privatdisputationen soweit 
sicher, daß er eine öffentliche Disputation wagen zu können glaubte, so ver- 
öffentlichte er — als „respondens" — nach Obereinkunft mit einem Profes- 
sor, der als praeses fungieren sollte, seine Thesen oder seinen Disputations- 
stoff und kündigte auf dem Titelblatt den Tag der Disputation an. Die 
Gründe, die einen Studenten zum Heraustreten in den wissenschaftlichen 
Kampf bewogen, waren mannigfacher Art und lagen oft gar nicht auf wis- 
senschaftlichem Gebiet. Häufig hat die Disputation nur den Zweck, den El- 
tern, Gönnern oder der Heimatbehörde, besonders den Stipendienverlei- 
hern« 1 , einen Beweis des Fleißes zu geben, manchmal gleichzeitig als Neu- 
jahrsgruß des fernen Sohnes oder Freundes (wo es dann in der Widmung 
heißt: „in felicissimi novi anni auspicium" oder „cum faustissima novi anni 



« 7 Wasserschieben, 17. 

aw Leider besteht in Gießen zurzeit noch keine methodische Sammlung der Uni- 
versitätsschriften, so daß ein Überblick schwer zu gewinnen ist. 

889 Nur die berühmtesten Lehrer brachten ein großes Auditorium in den Dispu- 
tationskollegien zusammen. So Mentzer 161 8, wo er an Dieterich schreibt (Cgm. 1258, 
Bl. 667): „Vere affirmare possum ultra 70 auditores me habuisse in collegio privatarum 
disputationum, quot nunquam ante". 

sso Vgl. auch Stintzing, Gesch, & Rechtswiss. II, 27. 

M1 So widmet z. B. ein Ulmer 1620 seine Gießener Disputation „Wagneriani stipen- 
dsi executoribus". Vgl. auch Hörn, Disp., 22. 



i$o Zweiter Abschnitt. 

apprecatione") oder dergleichen. In anderen Fällen beabsichtigt der Student 
sich durch die öffentliche Disputation zu empfehlen und zugleich zu üben, 
um eine spätere Disputation zur Erlangung eines akademischen Grades mit 
Ehren unternehmen zu können ; dann steht häufig auf dem Titelblatt „exercitii 
gratia". Verfaßt brauchte, wie erwähnt, die Disputationsschrift vom Responden- 
ten nicht zu sein ; aber ich habe für Gießen bei der Durchsicht mehrerer Hun- 
derte von Einzelschriften aus jener Periode gefunden, daß weitaus die Mehrzahl, 
besonders der philosophischen, den Respondenten auch als Autor nennt ; wobei 
freilich nicht ausgeschlossen ist, daß der Präses stark mitgearbeitet hat, da der 
Begriff „Verfasser" noch nicht in der Schärfe gefaßt wird, wie das heute 
der Fall ist 882 . Nur bei den Theologen scheint regelmäßig der Präses Ver- 
fasser der öffentlichen Disputationen zu sein, wohl weil nur ein Professor die 
Gewähr bot, daß die Anforderungen der Statuten an ihren Inhalt er- 
füllt wurden 883 . 

Die äußere Form der Disputationsschrift ist in Gießen die auch sonst 
übliche, ein Quartheft, dessen Titelblatt auf der Vorderseite die Ankündigung, 
auf der Rückseite die Widmung enthält. Der Inhalt besteht aus einer Ab- 
handlung oder aus einer Reihe Sätze, in der philosophischen Fakultät oft 
einigen Sätzen aus jedem Einzelfach, oder auch aus einer Abhandlung 
und angehängten Thesen (corollaria, mantissa). Nur in der medizinischen 
Fakultät kommt daneben die (ältere) Form vor, daß ein einseitig bedrucktes 
Folioblatt die Ankündigung und darunter die Thesen enthält. 

öffentliche Disputationen sollten in der theologischen Fakultät monatlich 
gehalten werden 88 *. Auch den Philosophen wurde 1614 dasselbe zugemu- 
tet, aber man fand die Durchführung unmöglich 888 . Die medizinischen Fa- 
kultätsstatuten verlangen von jedem der drei Professoren in je'dem Trimester 
eine Disputation, doch mit dem Zusatz: „wenn er einen Respondenten fin- 
det" 886 . Es mag dies gerade in dieser Fakultät oft schwer gewesen sein, da 



882 Von dem Verfasserverhältnis bei solchen Schriften gibt die Äußerung Antoniis 
eine Anschauung, die er seiner Marburger Sammlung „Disputationes feudales XV" 
(3. Aufl. Gießen 1623) vorsetzte; er nennt sie „has ab adolescentibus jurium studiosissi- 
mis conscriptas, a me vero, ut unoquoque tempore otium fuit, revisas, interpolatas et 
. . . cum pluribus aliis . . . publice . . . discussas theses sive disputationes feudales'*. 

838 Vgl. Wasserschieben, 18. Die theologischen disputationes publicae dieser Zeit 
sind in 7 Bänden gesammelt von den Präsiden herausgegeben worden: Disputationes 
theologicae de praecipuis horum temporum controversiis in acad. Giess. publice habitae 
(von Winckelmann, Mentzer, Eckhard, Helvicus, Finck, Gisenius, Feurborn). Hierin 
stehen auch die Gradualdisputationen. 

334 Wasserschieben, 18. 

335 p r of. Bachmann an Dieterich, 1614 Nov. 7 (Cgm. 1257, Bl. 92): „Newlich wart 
uns zugemutet, wir solten in nostra facultate disputationes menstruas ordinarias halten, 
ut faciunt theologi, sedquipotest?" 

336 Lib. decan. med. I, Bl. 12: „dummodo e studiosis aliquem habere possit, qui 
respondentis partes sustinere vel velit vel etiam possit* \ 



Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 



■5> 



meist nur wenige Studenten der Medizin anwesend waren"'. Über das Ver- 
fahren bei den Juristen sind wir nicht unterrichtet. Übrigens wurde die Zahl 
der vorgeschriebenen Disputationen mitunter beträchtlich überschritten: Men- 
tzer hielt 1618 alle vierzehn Tage eine öffentliche Disputation, wozu er sich 
bei seiner Kränklichkeit oft ins Universitätsgebäude führen lassen mußte; 
und Gisenius disputierte damals sogar in jeder Woche öffentlich 1 ". In wel- 
cher Reihenfolge es den verschiedenen Professoren zukam, bei Disputationen 
zu präsidieren, ist nicht deutlich erkennbar. Bei den Philosophen und Ju- 
risten scheint sich der Brauch herausgebildet zu haben, daß in der Regel 
ein und derselbe Professor allen Disputationen seiner Fakultät präsidierte, 
ohne daß es jedoch den Studenten benommen war, im Falle ihnen viel dar- 
an gelegen war, auch einen anderen zu wählen. Bei den Juristen versah der 
Professor institutionum dieses Amt des Ordinarius praeses" 9 , vermutlich, weil 
man ihm als dem schlechtest besoldeten Mitglied der Fakultät eine Neben- 
einnahme verschaffen wollte. 

Etwa eine Woche nach der Veröffentlichung der Disputationsschrift 
fand die Disputation statt. In dem Hörsaal fanden sich die Teilnehmer der 
Disputation und die Zuhörer ein, bei festlichen Disputationen (zum Beispiel 
bei denen pro gradu) die Professoren der Fakultät, bei gewöhnlichen 
wenigstens einige Professoren und stets viele Studenten, dazwischen wohl 
auch viele Gäste, die sich die Teilnahme an der feierlichen Handlung nicht 
entgehen lassen wollten»* 11 . Es war ein Doppelkatheder vorhanden, dessen 
unteren, dem Auditorium näheren Sitz der Respondent einnahm, während 
auf dem oberen der Präses-Professor sich niederließ'". 



'»' Jungennann äußert sie!) 1618 j Visit.- Pro t. ) : „so oft man stud, med, habe, wer- 
den disputationes gehalten". Allgemein bemerkt den Mangel an Respondenten Rektor 
Scheibler 1617: „daß bey disputationibus publicis der studiosorum kein mangel an prae- 
sidibus, sondern vielmehr an respondenten" (Bescheid auf eine Anfrage Mentzers, UAG, 
S. VI, 3, unter Feurborn). — »» Visit. -Prot. 

* 3 * Scheibler erklärte i6t8 (ebd.), er habe deshalb so viele Disputationen gehalten 
(300 nennt das Hessische Hebopfer, Bd. II, 474), „weil er den philosophis ordinarie prae- 
sidire". Bachmanu an Dieterich, 1614 (Cgm. 1757, Bl. 92): „Scheibler . . . begehrte 
von unß samtlich ein reverß, daß ihm nicht soll verächtlich sein, wen er das raunus prae- 
sidendi auch den andern uberliessc. Wideburgius beklagt sich, zu Helmstett hab er macht 
gehat zu praesidiren den candidatis magisterii und soll eß hier alß professor nicht macht 
habenl" Vgl. auch Cgm. 1259, BI. 216. 1619 bemerkt der Jurist Nebelkrä (Visit.-Prot.) : 
„der professor institutionum (Breidenbach) sei Ordinarius praeses in publicis disputationi- 
bus, doch stehe es den Studenten frei, einen andern zu wählen. Er selbst habe ein- oder 
zweimal präsidiert". Von etwa 1609 ist eine Nachricht erhalten, wonach den Studenten 
der Rechte überhaupt die Wahl ihres Präsiden zustand, der dann ordinarie einen Reichs- 
ir erhielt (An einen zu berufenden Juristen, StAD, Univ. 4). 

**° Nach einem anekdotenhaften Bericht soll der Marburger Philosophieprofessor 

Goclenius einmal in Verkleidung als Opponent aufgetreten sein, vgl. Münscher, Geschieh- 

aus dem Hessenland (1887), 361t. — Über die in Gießen disputierenden fremden Ju- 



Eine Anschauung 1 







17. Jahrh. gebräuchlichen Doppelkatheder gibt 



I 



152 Zweiter Abschnitt. 

Nachdem die Disputation eröffnet war, traten zunächst die vorher be- 
stimmten Opponenten 8 * 2 , denen besondere Plätze angewiesen waren 84 *, mit 
ihren Einwänden den Aufstellungen des Respondenten entgegen. Nach 
diesen Opponenten konnten sich Professoren, Magister und Studenten 
nach Belieben, aber wohl in vorgeschriebener Ordnung, gegen die The- 
sen wenden. Der Respondent mußte versuchen, sie gegen alle Ein- 
würfe zu halten. Kam er einmal zu sehr ins Gedränge, oder drohte 
die Disputation vom Thema abzuschweifen oder der Ton der Rede und Ge- 
genrede unberechtigt scharf zu werden, so griff der Präses ein, sei es, um 
den Respondenten zu decken 844 , sei es, um Ordnung und Ruhe wiederher- 
zustellen. So konnte unter fortwährendem Angreifen und Verteidigen die 
Disputation sich stundenlang hinziehen. Im ganzen stellte sie sich als eine 
Art von Schauspiel dar; besonders wenn die Einwürfe der Opponenten dem 
Respondenten bekannt waren, lief das Ganze auf ein Stück hinaus, in dem jeder 
seine Rolle spielte. Der Vergleich lag auch der Zeit nicht fern; eine Gie- 
ßener Disputation von 1611 führt den Titel: „Scena philosophica, in quam 
. . . actore Chr. Scheiblero . . professore . . iirooicdo|tata quaedam philo 
sophiae introdueturus . . est Joh. Phil. Ebel", und in der Widmung spricht 
der Respondent auch geradezu von seinem „Drama philosophicum". Die 
Einteilung ist folgende: Voraus geht ein irpoXdftov. Der erste Akt zerfällt 
in drei Szenen : 1 . Grammatik, 2. Logik, 3. Rhetorik ; der zweite enthält die 
Szenen der Metaphysik und Physik, der dritte Ethik, Politik und ein Thema 
oeconomico-logicum 845 , der vierte Geschichte, der fünfte Poetik. 

Die Verhandlungssprache war gewöhnlich die lateinische; doch konn- 
ten auch einzelne Thesen oder die ganze Thesenreihe griechisch disputiert 



die Abbildung mit der Unterschrift „Promulgatio" auf dem Titelblatt von Meyfarts Christi. 
Erinnerung von der aus den hohen Schulen entwichenen Ordnung (1636), auch wieder- 
gegeben in: Fick, Auf Deutschlands hohen Schulen (1900), 157. 

342 Bei den theologischen Disputationen scheint es einen ex officio opponierenden 
Professor gegeben zu haben. 1619 beschwert sich Winckelmann, Feurborn mache seine 
Disputationen so lang, daß „professor opponens sein consensum nicht erklären** könne, 
weil er nicht Zeit habe, sie zu lesen (Visit- Prot.). 

348 Verzeichnis nötiger Arbeiten (ca. 161 5): „In auditorio theologico, medico und 
philisophico kleine subsellia pro opponentibus zu machen, wie den auch die himmel an 
den cathedris genzlich zu verfertigen'* (StAD, Univ. 48). 

344 Besonders natürlich, wenn der Präses selbst Verfasser der Thesen war. — Auf 
diesen Schutz des Respondenten durch den Präsiden beziehen sich Ausdrücke auf dem Ti- 
tel der Disputationsschriften, wie: „sub umbone, sub clypeo, sub aegide dni professo- 
ris N. N.* 1 — Es scheint, als ob sich infolgedessen manchmal die Disputation zwischen 
Präses und Opponenten abgespielt hätte, während der Respondent sich ruhig verhielt 
und dachte: „Ich habe ihnen zusammengeholfen, so mögen sie sehen, wie sie wieder von- 
einanderkommen". So erzählt Schupp aus seiner Jugend (Teutscher Lucianus, Lehrreiche 
Schriften I, 804 der Ausg. v. 17 19). 

345 Dieser sei als Beispiel angeführt : „Quod pater annorum numero filium excedat, 
credat qui volet, ego non credo". 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 153 

werden 846 . Zur Zeit des Chr. Helvicus blühten die Sprachkennlnisse so, daß 
auch hebräische Disputationen nichts Seltenes waren 8 * 7 . 

Daß das Disputationswesen in der betrachteten Periode in Gießen in 
hoher Blute stand 848 , zeigt schon die große Zahl der erhaltenen öffentlichen 
Disputationsschriften. Ober die Privatdisputationen, die meist keine gedruckte 
Spur hinterlassen haben, wissen wir, daß sich die Studenten unter Vernachlässi- 
gung der öffentlichen Vorlesungen zu ihnen drängten. Wir hören 1619 die Klage, 
alles sei auf Privatdisputationen gerichtet; selbst ehe die Studenten die Fun- 
damente gelernt hätten, wollten sie disputieren 849 ; und von verschiedenen 
Universitäten wird über die gleiche Neigung der jugendlichen Studenten ge- 
klagt, sich auf das Disputieren zu verlegen, ehe sie etwas Ordentliches ge- 
lernt hatten 860 . Auf allen Hochschulen schätzte man eben diese Art wissen- 
schaftlicher Beschäftigung, wenn auch dabei die Freude an der Technik des 
Disputierens, an logischen Spitzfindigkeiten oft das wissenschaftliche Interesse 
überwog. — 

Neben diesen rednerischen Kämpfen wurde die Handhabung der Sprache 
in der Deklamation gepflegt. Auch hier übte sich der Student, ehe er 
in öffentlicher Rede vor das Auditorium trat, in privaten Kollegien (collegia 
declamatoria), unter der Leitung des Professors der Rhetorik oder eines an- 



846 Die Gradualdisputation Val. Steubers unter Scheiblers Vorsitz „Disp. philos. con- 
tra C. Vorstium Dei simplicitatem asserens et contraria argumenta refutans" 161 8 hat der 
Respondent „Graece et Latine examinandam" vorgelegt. Ebenso die Gradualdisputa- 
tion des Lud. Hörnicaeus unter gleichem Präsidium („IIev?cxat8exac nobilium quaestio- 
num controversarum"), wo unter den 15 Themata das Thema ethicum in griechischer 
Sprache gegeben ist. Die ganze Abhandlung ist griechisch in der „Disp. theologica Grae- 
ca de loco et statu animarum beatarum etc., quam pr. J. Steubero phys. Graecaeq. 1. 
prof. publici exercitii gratia Graece xaMovajitv defendendam suseipiet . . Helv. Die- 
tericus Kyrtorffensis" (1619). Bachmann an Dieterich, 1614 (Cgm. 1257, Bl. 92), sagt 
von Steuber: „Lectiones hie suas feliciter traetat, praesertim Graecas, nam ita istas in- 
stituit, ut singulis diebus Mercurii hora sua Graeca habeatur declamatio, aliis quoque die- 
bus praesideat, pro lectione sua, disputationibus Graecis, ubi Graece opponitur et respon- 
detur, frequenti auditorio". Im Vorlesungsverzeichnis 1622 verspricht Martin Helvicus: 
„Privatim vero ita exercebit suos auditores, ut elapso uno atque altero mense ineipiant 
Graece disputare et declamare". 

847 Strieder V, 422. Schupp, Der unterrichtete Student (Lehrr. Schriften II, 393 
d. Ausg. v. 17 19): „D. Coelestinus Mislcnta, der vornehme theologus zu Königsberg in 
Preussen, hat einsmals unter dieses seligen Mannes [Helvici] praesidio eine hebräische Dis- 
putation wider die Juden zu Giessen gehalten, da sind die gelehrte Juden von Franckfurt 
nach Giessen kommen und haben ihm publice in hebräischer Sprache opponiret". Schrö- 
der (Nürnberg) an Dieterich 1616 prid. Jubilate: „Non ita pridem . . aeeepi speeimen 
quoddam, e quo Hebraice ibi [Giessae] disputari cognovi, Graece vero, praeside M. Steu- 
bero, ibi disputatum esse, proeul dubio vos non praeterit" (Cgm. 1259, Bl. 170). 

"a Vgl. i. allg. Tholuck I, 240 ff. 
8 « Visit.-Akten. 

850 Ich verweise auf die Entartung der Disputation, wie sie sich in den von Tho- 
luck I, 244 f., beigebrachten Nachweisen zeigt, sowie besonders auf des Rostocker Prof. 



i$4 Zweiter Abschnitt. 

deren geübten Redners M1 . Die Vorliebe der Zeit für Prunk und Gravität, 
auch in der Redeweise, machte die Ausbildung des Studenten in dieser Kunst 
nötig. So ist schon beim ersten Entwurf zur Schulorganisation in Gießen 
die Deklamationsübung als notwendig hingestellt worden Wf . Die Redeübun- 
gen fanden in der Regel in lateinischer oder deutscher Sprache statt» 5 » ; ver- 
einzelt finden sich griechische Reden» 5 * und einmal auch eine französische; 
bei der Ankündigung der letzteren mußte allerdings der einladende Prodekan 
der philosophischen Fakultät seine eigene Unbekanntschaft mit der Sprache 
zugeben» 55 . Wieviel Wert man auch von Seiten der Regierung auf die Pflege 
der Beredsamkeit legte, beweist der Umstand, daß die Behörde, als unter Lie- 
benthals Professur die Redeübungen etwas in den Hintergrund traten, das 
Verlangen stellte, sie wieder in Gang zu bringen» 5 ». Und nicht nur die Stu- 
denten, sondern schon die Schüler des Pädagogs sollten „orationibus certi- 
ren" 857 . Viele von den öffentlich gehaltenen Reden erschienen später im 
Druck; die Verfasserschaft ist wohl vielfach — ähnlich wie bei den Dispu- 
tationen — den Rednern selbst zuzuschreiben, wenn auch der Professor das 
Konzept durchgelesen hatte» 58 . Hierher gehören auch die in gebundener 
Form gehaltenen Reden. Vielfache Verwendung fand die Fertigkeit, latei- 
nische Reden in Prosa und Versen zu verfassen — selbst wenn sie dann 
manchmal nicht zum Vortrag kamen — bei Promotionsakten, Gratulationen, 
Trauerfeiern, Gedenktagen, beim Empfang oder Abschied bedeutender und 
unbedeutender Persönlichkeiten ; vom Rektor bis zum jungen Studenten zeigte 
alles gern die Fähigkeit, sich in ciceronianischer Prosa oder in ovidischen 



Eilhard Lubinus Satire (In hujus saeculi male doctos, academiarum pestes et malitiam 
impune grassantem declamationes satyricae tres, Rostochii 1618, bes. Bl. C 2 f.). 

551 Vorlesungsverzeichnis 1607: „Rhetorices prof. . . . ad junget etiam instituto 
collegio exercitia declamationum et orationum publica et privata". Ebenso kündigen die 
Privatdozenten monatliche Deklamationsübungen an. 

«* MOGV X, 47. 

S5S Vorlesungsverzeichnis 1620: Liebenthal . . . „collegio oratorio instituto in modo 
Latine et Germanice perorandi studiosos informabit". 

354 Vgl. oben, Anm. 346. 

855 Jehan Pierre Auchter, Harangue francoise de la louange, fondation et Situation 
de la trescelebre academie de Giesse. A Giessen (161 1). 

s * 6 „Demnach in allen facultäten die oratoria ein nöttiges stück, sollen die exer- 
citia oratoria gleich uff andern Universitäten furthin continuiret, auch die Studiosi dar- 
zue angewiesen werden, sich darin fleißig zu üben und jheweilens miteinander zu cer- 
tiren". Das daraufhin vom prof. eloquentiae angekündigte collegium Oratorium kam 
nicht zustande, weil die Studenten wegen drohender Kriegsgefahr sich verliefen, Visit- 
Absch. 1621 und 1622 (UAG). 

357 Visit.-Prot. 1620. 

358 Eine Rede aus dem Jahre 161 5, von einem stud. jur. niedergeschrieben und 
vom prof. poes. Bachmann mit Zusätzen vermehrt (Horchamer, Oratiuncula de veterum 
natalitiis), erwies sich später, wie Bachmanns entrüstete Randbemerkungen in dem mir 
vorliegenden Exemplar (Univ.-Bibl. Gießen) beweisen, in allen nicht von B. herrühren- 
den Teilen als Plagiat. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 155 

Versen auszudrücken» 6 ». Die ganze Literaturgattung, die durch diese — oft 
gedruckten — Produkte bezeichnet wird, entspricht sehr dem damaligen 
Geschmack, ist aber für uns kaum mehr genießbar. 

XIV. 

Eine Schlußprüfung, wie sie heute jeder am Ende seiner Studienzeit als 
Nachweis erfolgreichen Studiums, zum Teil auch als Anwartschaft auf eine 
Anstellung abzulegen pflegt, gab es in der betrachteten Periode nur für die 
Theologen. Bis 1617 war die theologische Fakultät allein berechtigt, dieje- 
nigen Kandidaten, die sich um ein Pfarramt bewerben wollten, zu prüfen 
und ihnen ein Zeugnis auszustellen 860 ; der Superintendent ordinierte sie. 
Seit der Einführung des Definitoriums in Oberhessen (1617) stand nur dieser 
Behörde die Prüfung und Ordination der jungen Theologen zu, die inner- 
halb des Landes Pfarrdienste erstrebten; die übrigen mochten sich immer- 
hin von der Fakultät prüfen lassen 861 . 



959 Zur Kennzeichnung seien hier einige Titel von Gedichten genannt, die in un- 
serer Periode in Gießen erschienen: npoacpu>v*r]jj.a oöfX a pioTtxöv ad tres ill. et gen. dominos dorn. 
Wilh. Lud., dorn. Joh. Jac. et dorn. Michaelem germanos fratres a Freiberg lib. bar. in 
Justingen . ., cum ipsi 8. d. Febr. anni 1609 ad acad. inclytam Giess. . . accederent, 
factum a M. Casparo Scharf fio ss. theol. studioso et acad. ministro publico. — Accla- 
matio heroica qua . . dn. Joh. Jessenium a Jessen art. med. perit. anatomicum excell. s. regis 
Pannoniae archiatrum fei., necnon Joh.-Smilum a Michalowitz eq. Bohemum... 17. Sextilis 
anno 1609 Giessam.. ingredientes excipit nova Hass. academia (Gedicht von Bachmann; 
vgl. das Marburger Begrüßungsgedicht an denselben von Casp. Sturm im Namen der 'Acad. 
Hass. Mauritiana). — Ein Abschiedsgruß: In patriam ex incluta Giess. abiturienti d. M. 
Andreae Schlusselburgero Wismariensi ss. theol. stud. ritu trito applaudit amicorum og- 
doas 19. Dec. 1609. — EcKpfj^tou quibus . . dn. M. Tobiae Heroldo de recenti in . . . gym- 
nasio Saraepontano rectoratu . . gratulantur amici ex acad. Giess. 1609. — Gratulatoria 
acclamatio consecrata honori . . dn. Jos. Lautenbachii . . . cum rector inclutae acad. Giess. 
. . renunciaretur 1608. — Sonetti, rime, versi sciolti et madrigali composti da Nf. Fr. Mart. 
Ravello da Milano, professore della lingua Italiana . . nella venuta . . del cl. prencipe Lo- 
dovico landgr. d'Hassia . . . nella cittä di Giessa 1610. — De theologia M. Jac. Dan. Fabricii 
. . Carmen heroicum scriptum in ill. acad. Giess. feriis aestivis 1610 („facultatem cedente 
Cunr. Bachmanno . . poes. et hist. professori [ !]"). — Tevt^Xia seu natalis Christi heroico 
metro ligatus in alma Giessena a Joh. Jos. Bertholdo Zwingenbergense phil. stud. 1610. — Zu 
-welchen geschmacklosen Spielereien diese Versfabrikation führte, zeigt folgende Schrift : Fax 
illustris nobilitatis, h. e. oratio de origine et autoritate nobilium . . facta . . . a Joh. Ad. 
Frensio Cleense 1610; das Gedicht umfaßt 8 1 /* Seiten und besteht nur aus Wörtern mit 
dem Anlaut pl 

8M Wasserschieben, 18. 

861 Vgl. Diehl in der Deutschen Zeitschr. f. Kirehenrecht IX (1900), 223 ff.; die 
Definitorialordnung ebd., 50 ff. Wie man in der theologischen Fakultät über diese Än- 
derung dachte, erhellt aus einem Briefe des ehem. Prof. theol. Finck an Dieterich, 161 8 
Juni 5 (Cgm. 1258, Bl. 107), wo es heißt: „Ex academia Giessena haec scribit amicus 

noster communis Giessenius potestatem examinandi initiandos ministerio non am- 

plius esse penes totam facultatem theologicam, sed apud D. Winckelmann, Mentzerum, 
pastorem Alsfeldensem, D. Herdenium et pastorem Grunbergensem, quippe constitutos de- 
finitores. Quid? si nobis hoc contigisset, annon oculos depluissemus?" 



i$6 Zweiter Abschnitt 

Andere Studenten verließen die Universität mit einer Bescheinigung des 
Rektors oder Dekans über ihre Fähigkeiten, auf Grund dessen sie ihr Fort- 
kommen suchen wollten. In diesen Zeugnissen pflegen Herkunft, Vorbil- 
dung, Studiengang, Disputationen, etwaige Grade angegeben zu sein 1 «. Ein 
Vorschlag von 1619 hält für gut, Zeugnisse nur bene meritis und magni cum 
judicio zu erteilen 868 . In der Tat war, da jede Kontrolle fehlte, der Rektor 
oft gar nicht imstande, über den Studiengang usw. näheres anzugeben. Da- 
her die vorsichtige Ausdrucksweise in den erhaltenen Zeugnissen ; immer wie- 
der finden wir Berufung auf Gewährsmänner, nicht Urteil aus eigener 
Kenntnis. 

Bei einem großen Teil der Studenten scheint das Studium ohne einen 
solchen förmlichen Abschlußnachweis aufgehört zu haben. Ein kleiner Teil 
aber gelangte zu einem anderen Beweis für erfolgreichen Universitätsbesuch, 
zu einem akademischen Grad. 

Die Grade, die höchsten und einzigen eigentlich akademischen Auszeich- 
nungen, sind in dem Gießen unseres Zeitraumes die damals überhaupt üblichen : 
in der philosophischen Fakultät der Baccalaureus (so wird unter Anlehnung 
an das Wort laurus in dieser Zeit stets der Baccalarius geschrieben) und der 
Magister, in den anderen Fakultäten der Licentiatus (als Vorstufe) und der 
Doctor. Da nur ein Teil der Studierenden nach Durchlauf ung des philo- 
sophischen Studiums" noch bis zur höchsten Würde in einer der höheren Fa- 
kultäten gelangte, so ist es begreiflich, daß die Zahl der Magister der Phi- 
losophie weit die der Doktoren jener Fakultäten übersteigt. In der Tat läßt 
eine Durchsicht der Universitätsrechnungen von 1607 bis 1624 — die Ein- 
träge sind oft ungenau — den Schluß zu, daß etwa 60 Doktoren aller drei 
Fakultäten in dieser Zeit etwa 300 promovierte Magister gegenüberstehen 8 « 4 . 

Indem wir die verschiedenen Grade und ihre Verleihung einer Betrach- 
tung unterziehen, beginnen wir mit den Graden der philosophischen Fa- 
kultät. 



868 Solche Zeugnisse sind zu finden: Joh. Georgii regimen acad. 20, 24, 35, 57, 
109, 116. — 8M Visit.-Prot. 1619. 

364 Aus den Rechnungen, von denen die von 1608 verloren ist, und anderen An- 
gaben läßt sich für 1607 — 1624 die Promotion von 61 Doktoren entnehmen, nämlich 13 
Dr. theol., 31 Dr. jur., 12 Dr. med. und 5, deren Fakultät nicht vermerkt ist. Über die 
Zahl der promovierten Magister habe ich nur für 8 Jahre Angaben gefunden; die Zahlen 
bewegen sich, abgesehen von der Festpromotion von 1607, zwischen 13 und 20 fürs Jahr. 
Hierzu stimmt es, daß Scheibler erklärte, er habe in 5 Promotionen (je eine im Jahr) 
81 Magistern den Grad erteilt (Sermo panegyr. de vita vere philosophica [1624], 69). 
Nehmen wir im Durchschnitt 16 promovierte Magister fürs Jahr an und fügen die 28 
von 1607 hinzu, so erhalten wir insgesamt 300 Magister für 1607 — 1624. — Unzutreffend 
wegen der zu geringen Zahl der Magister ist die Angabe im Giesser Wochenblatt 1771, 
102, wonach in den ersten acht Jahren 8 Dr. theol., 11 Dr. jur., 5 Dr. med., 59 Mag. 
und 36 Bacc. art. promoviert worden seien. Bachmanns Lobgedicht auf Kanzler Strupp 
(im Anhang zu Mylius' Leichpredigt für dens. [161 7], 38 f.) gibt an, daß bis 161 7 in Gie- 
ßen graduiert wurden: 13 Dr. theol., 21 Dr. jur., 7 Dr. med., mehr als 160 Magistri. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 157 

Das Bakkalareat oder Bakkalaureat der freien Künste oder der Philoso- 
phie ist in unserer Periode bereits im Absterben begriffen. Als Titel ge- 
führt wird es nicht. Aber nach altem akademischen Recht sollte niemand 
den Magistertitel erhalten, der nicht vorher baccalaureus war, und deshalb 
wurde dieser Grad noch immer angenommen, obgleich er gar kein Ansehen 
verlieh, wie wir namentlich aus Marburg wissen 866 . Vielen Kandidaten des 
Magisteriums, die den niederen Grad nicht hatten, mußte, um der Vorschrift 
zu genügen, dieser Grad spätestens am Tag vor der Magister promotion noch 
verliehen werden. Wir wissen dies zum Beispiel von der Festpromotion, die 
zur Eröffnungsfeier der Universität am 8. Oktober 1607 stattfand. Unter 
den 28 Kandidaten, die sich zum Magisterium gemeldet hatten, fanden sich 
18, die noch nicht baccalaurei waren 566 . Ihnen übertrug man diesen Grad 
vor dem Feste, am 5. Oktober, so daß dann der Verleihung der Magister- 
würde am 8. Oktober nichts im Wege stand 867 . Ahnlich verfuhr man auch 
1611, wo drei Tage nach der Weihe des Kolleggebäudes 13 magistri und 5 
baccalaurei kreiert wurden, „cum pridie 4 magisterii candidatis baccalaurea- 
tus titulusJ a Conr. Dieterico collatus esset 4 ' 868 . Bald aber empfand man diese 
Form als lästig und ging dazu über, die beiden Grade miteinander zu ver- 
einigen und gemeinsam zu verleihen. So war es in Marburg bereits seit 1608 
gestattet 868 ; Gießen folgte 1612 diesem Beispiel: Am 10. Dezember 1612 
fand eine Promotion statt, „ubi primum 17 candidati in magistros et bacca- 
laureos conjunctim promoti fuerunt, ii scilicet, qui prima laurea (Bakkal.) 
caruerunt; tres vero praeter dictos magistrandos gradum baccalaureatus se- 
paratim assumpserunt" 870 . Hiermit waren die Vorbedingungen für eine Auf- 
saugung des Bakkalaureats durch das Magisterium gegeben, die sich später 



866 In Marburg war dieser Grad um 1610 geradezu „verächtlich", wie dortige 
Studentenbriefe zeigen (ZfhG, N. F., XXIII [1898], 386). Vgl. übrigens für die geringe 
Wertschätzung des Grads in schon früherer Zeit Hartfelder, Melanchthon als Praeceptor 
Germaniae (1889), 457* 

866 Die übrigen hatten diesen Grad wohl meist in Marburg erhalten, vgl. das Car- 
men des Helvicus an den Resp. Angelus in dessen Disputation „'fiicxac thematum ex ar- 
tibus", wo er sagt: 

„Ac qui Marpurgi quondam primordia lauri 
Cepere, in Giessa fient mox urbe magistri". 

867 Erlaß des Dekans v. 4. Okt. 1607 (St AD, Univ. 4). 
888 Rektoratsannalen zu 161 1 (Kzt. St AD, Univ. 4). 

888 Marburger Visit.-Absch. v. 1608 Jan. 10 (Or. UAG, S. Cod. Rescr. II, Bl. 78): 
„Als auch erinnert, ob nicht umb erspahrung willen der uncosten beide promotiones bac- 
calaureorum et magistrorum conjungirt und zusammengestoßen werden konten: ob dan wol 
ein solches den statutis nicht gemeß, so lassen jedoch ihre f. g. aus angeregten uhr- 
sachen geschehen, daß die magistrandi entweder in ipso actu promotionis ma- 
gistralis zugleich oder ein tagk zuvor, jedoch ohne einige uncosten oder auch con- 
fusion der graduum baccalaurei renuneiirt worden". 

870 Rektoratsannalen zu 161 2 (Kzt. St AD, Univ. 4); vgl. Scheibler, Sermo panc- 
gyr. (1624), 58. 



158 Zweiter Abschnitt 

vollzog 871 . Immerhin wurden in unserem Zeitabschnitt noch baccalaurei pro- 
moviert, die den Grad nicht im Hinblick auf die Magisterpromotion erwar- 
ben, ein Zeichen, daß die „prima laurea" in Gießen noch nicht so ganz ver- 
achtet war. 

Die Erwerbung des Bakkalaureats erfolgte wohl in Gießen wie anders- 
wo nach einem oder zwei Studienjahren S7f . Von den Kandidaten verlangte 
man in erster Linie Sprachkenntnis (im Lateinischen und Griechischen), dann 
auch die Anfänge philosophischer Wissenschaft. Ober das Vorhandensein 
dieser Kenntnisse mußten sich die Kandidaten in einer Prüfung vor der ge- 
samten Fakultät ausweisen ; die Prüfung scheint teilweise eine schriftliche ge- 
wesen zu sein. Auch Rede- und Disputationsübungen dienten zum Nach- 
weis der nötigen Kenntnisse; doch wurde eine besondere Inauguraldisputa- 
tion für diesen Grad nicht verlangt 573 . 

Der Verlauf des Promotionsaktes selbst, an dem sich stets mehrere 
Promovenden beteiligten, ist folgender: Der Promotor hält einen wissen- 
schaftlichen Vortrag als Einleitung und geht dann dazu über, die Kandidaten 
und ihre Kenntnisse herauszustreichen, durch die die Fakultät bewogen wor- 
den ist, ihnen die prima philosophiae laurea zuzuerkennen. Damit jedoch 
die Anwesenden sich auch selbst von den Fähigkeiten der Promovenden 
überzeugen können, fordert er jeden von ihnen auf, eine Quaestio oder ein 
Problema zu entwickeln, das heißt eine kurze lateinische Rede über ein 
selbstgewähltes philosophisches Thema frei vorzutragen. Nachdem diese 
Redeproben in vorher bestimmter Reihenfolge abgelegt sind, wird den Kan- 
didaten vom minister academiae der Promotionseid 374 vorgelesen. Der Eides- 
leistung auf die akademischen Szepter folgt die feierliche, im Namen der 
Dreieinigkeit ausgesprochene Ernennung und Proklamation der Kandidaten 
zu Bakkalaureen durch den Promotor als Vertreter der Fakultät. Sodann 
krönt der Promotor, jeden mit einigen lateinischen Versen begrüßend, die 
jungen Graduierten mit dem Lorbeer. Schließlich hält einer der Neupromo- 
vierten im Namen der übrigen eine „gratiarum actio", ebenfalls in latei- 



371 Vgl. die Marburger Statuten v. 1629, tit. 72, § 32 u. 35. 

372 Kaufmann II, 304, 314; Tholuck I, 231. — H. Vultejus wurde in Marburg 1570 
nach einem Studienjahr Bakkalaureus (Estor, Kl. Schriften II [1736], 200). — Für das 
Folgende dienen die erhaltenen Beschreibungen von Promotionen als Quellen: Casp. 
Finckius, Orat. panegyrica II (de modo docendi et dicendi) sive actus alter promotio- 
num 1608; Cunr. Theodoricus, Orat. panegyr. de mixta haereticorum . . . prudentia 1609; 
Chr. Helvicus, Actus promotionis geminae philos., in quo orat. hab. de septuaginta 1610. 

873 Hörn, Disputationen, 15. — Äußerung eines Promotors bei einer Gießener Pro- 
motion über die Prüfung: „superioribus diebus non tantum in Graeca sed et Latina ora- 
tione, tarn prosa quam ligata, praeclara specimina ediderunt et denique in examine ita 
steterunt, ut communibus omnium dn. collegarum meorum suffragiis digni judicati fuerint". 

37 * Der Wortlaut dieses Eides ist nicht aufzufinden; vermutlich war er mit dem 
in den Marb. Stat. v. 1629 vorgeschriebenen inhaltsgleich; hierin mußten die Bakkalau- 
reanden versprechen, den Grad auf keiner andern Schule zu wiederholen, ihre Studien 
fleißig fortzusetzen, dem Landesherrn und der Universität sich dankbar zu erzeigen. 






Die Universität Gießen bis m ihrer Suspension im Jahre 1624. 15g 

nischen Versen, worin er Gott, dem Kaiser, dem Landesherrn, dem Rektor, 
dem Kanzler und allen Professoren seine Dankbarkeit bezeugt. 

Bemerkenswert ist bei der Verleihung des Bakkalaureates, daß allein 
hierbei von allen akademischen Graderteilungen der Universitätskanzler die 
facultas promovendi dem Promotor nicht erteilt; man hat deshalb dem Bak- 
kalaureat zu Zeiten den Charakter eines Grades absprechen wollen' 15 . 

Wichtiger und angesehener als dieser ist der Grad eines Magister artium 
oder philosophiae oder, wie er damals bereits öfters bezeichnet wird, eines 
Doctor philosophiae' 16 . Als Vorbedingungen für die Erlangung dieses Gra- 
des sind anzusehen : die Abhaltung einer öffentlichen Redeübung'" und 
einer öffentlichen (Gradual-) Disputation 318 . Die disputatio pro gradu unter- 
scheidet sich nicht von einer disputatio exercitü gratia, höchstens haben wir 
bei der ersteren im Respondenten noch häufiger den Verfasser der Disputa- 
tionsschrift zu erkennen. Wir wissen, daß in unserer Zeit in Marburg auch 
eine Übungsdisputation als Gradualdisputation gelten konnte, und daß man- 
cher das exercitü gratia auf das Titelblatt setzen ließ, um seine Absicht, den 
Grad damit zu erwerben, nicht vorzeitig kund zu tun"». Hie und da finde 
ich, daß in Gießen einer zweimal pro gradu disputierte 380 . Es scheint also, 
daß die Zahl der öffentlichen Disputationen freistand, das Minimum für die 
Erwerbung des Magistergrades jedoch eine war und die Bezeichnung des 
Zweckes auf dem Titelblatt nicht für nötig gehalten wurde. 

War Disputation und Deklamation erledigt, so folgte nach einiger Zeit 
das Examen rigorosum vor der ganzen Fakultät; es erstreckte sich auf sämt- 
liche Lehrgebiete der philosophischen Fakultät. Ist diese Prüfung bestan- 
den, so werden die vorhandenen Kandidaten zur gemeinsamen Deputation, 
Disputatio universalis, zugelassen, einem Akt, an dem die Glieder aller Fa- 
kultäten teilnehmen und die Kandidaten in einer wohl durch das Los bestimm- 
ten Reihenfolge"" einige Thesen gegen die ganze Universität zu verteidigen 
haben. Dieser Festakt heißt Illuminare, von einem (so beginnenden?) Ge- 



315 Vgl. Tholuck I, 295; Kaufmann II, 306. 

11« Vgl. in Joh. Georgii rcgimen acad,, 27 f., 38, 112, Il8. 

»" Die Rede wurde vom Professor der Rhetorik durchgesehen, der auch dabei war, 
wenn sie gehalten wurde (v. d. Ropp, ZfhG. N. F. XXIII, 389, für Marburg). 

118 Wir dürfen wohl Übertragung der Marburger Verhältnisse annehmen, über die 
wir genauer unterrichtet sind als über die Gießener. Vgl. für Marburg die Selbstbiogra- 
phie des Prof. H. Vultejus; dieser deklamierte 1574 am 10. Okt. publice, disputierte am 
iS. ; „herum'" (d. h. im Illuminare, s. u.) am 4. De*., wurde am 9. Dez. promoviert 
(Estor, Kl. Schriften 11, 203). Disputation und Deklamation konnten wohl auch ihre Stel- 
len tauschen (v. d. Ropp, 389, wo die noch zu disputierenden theses vielleicht die für 
das Illuminare bestimmten sind). 

"9 v. d. Ropp, 385 f. 

ä8l > Z, B. Joh. Georgii reg., 27. 

3 *i Bachmann beschwerte sich (1615?) über Steuber, der bei einer Promotion sich 
angemaßt habe, „tempus disputationis universalis quam Illuminare vocamus" und die col- 
locatio (Reihenfolge der Kandidaten) nach Willkür anzuordnen (Cgm. 1257, BI. 94}. 




160 Zweiter Abschnitt. 

sang, den in früheren Zeiten die Kandidaten anzustimmen pflegten, wenn 
ihnen am Schlüsse die Mitteilung gemacht wurde, daß sie zur Magisterpro- 
motion zugelassen seien 582 . Diese Stufe des Promotionsprozesses entspricht 
der in den höheren Fakultäten erteilten Lizentiatenstufe, es ist die licentia 
assumendi gradum magisterii M -\ wie dort doctoralis dignitatis. Dieser Ab- 
schnitt der Prozedur wurde durch ein Festmahl gefeiert. 

Zeitlich getrennt von dem Illuminare ist der eigentliche Promotions- 
akt» 84 ; jährlich einmal pflegten in Gießen Magistri promoviert zu werden 585 , 
und die Kandidaten machten, wie wir sahen, auch schon die vorbereitenden 
Stadien gemeinsam durch. 

Die Qraderteilung war eine hohe akademische Festlichkeit. Im ge- 
schmückten Auditorium versammelten sich hierzu alle Glieder des Lehrkörpers 
und eingeladene honoratae personae, daneben viele Studenten. Musik begann 
die Feier, dann hielt der Promotor — wie bei der Bakkalaureatspromotion — 
einen wissenschaftlichen Vortrag; am Schlüsse empfahl er die Kandidaten 
dem Auditorium. Nun traten die Kandidaten, wohl jetzt schon in der ihnen 
nach ihren Kenntnissen angewiesenen Reihenfolge ^ vor, und jeder trug in 
kurzer lateinischer Rede eine Quaestio, ein Problema aus dem Gebiete der 
philosophischen Wissenschaften einem der anwesenden Professoren vor. 
Dieser löste das Problem in längerer Ausführung. Waren alle Quaestiones vor- 
gebracht und beantwortet, so war die Vorbereitung für den Empfang des Gra- 
des erledigt. Die uns auffallend erscheinende Form, daß nicht die Professo- 
ren fragen und die Kandidaten antworten, sondern umgekehrt, ließ wenigstens 
erkennen, daß die Kandidaten in der Handhabung der Sprache gewandt 
seien 587 ; über ihre sonstigen Qualitäten hatte man sich ja in den vorhergehen- 



582 Stat. Marp. 1629, tit. 72, 10: „a cantione, quam quondam candidati post 
aeeepta bona nova (d. h. die erwähnte Mitteilung) cecinerunt". m Auch „bona nova" ist 
ein technischer Ausdruck, vgl. ebd., 16, und für Straßburg Zeitschr. f. G. d. Oberrheins 
XXVIII (1876), 274. 

383 Vgl. Scheibler, Sermo panegyr., 49. 

584 Solche Akte sind beschrieben in den Anm. 372 erwähnten Schriften von 
Theodoricus und Helvicus; außerdem bei Scheibler, a. a. O. ; Finckius, Oratio panegyr. 
I (de antiquitate philosophorum), 1608. Vgl. auch Guhrauer, Joach. Jungius (1850), 17 f. 

385 Nämlich 14 Tage nach Pfingsten (Phil. Fak. an Landgraf Ludwig, 1618 Mai 25, 
Or. StAD, Univ. 5; vgl. Cgm. 1257, Bl. 102 [von 1617]: „in der ersten wochenTrinitatis"). 

588 Guhrauer, 17 (von 1608): Jungius war dabei „ob eximiam . . scientiam or- 
dinis hujus supremus dux designatus". Steuber an Dieterich, 1619 (Cgm. 1259, Bl. 243, 
244): „Morgen geht unser examen magistra ndorum ahn, es seind 20, ich furchte, Hu- 
berus werde nicht über den vierten vom ende seyn, dan die meisten ausbundig beschla- 
gen, er aber, obgleich er schon fleißig in philosophicis studiret, doch kein philosophus 
ist*'. Einige Wochen später: Hube» ist im Examen an 18. Stelle gekommen, „weilen 
alle andere meinstlich alt und bärtich gewesen, auch sich in philosophicis mehr alß er 
exerciret, dan er theologiam allein studiret hat mit hindansetzung der philosophiae". 

387 Theodoricus, 1. c, 33: „num ipsorum ingenium, eruditionem et dicendi fa- 
cultatem approbatis ?" ; Finck, 20: „progressus eorum cognovistis, mutos eos non 
esse intellexistis". 




Konrad Dieterich 
der Philosophie und Pädagogisch 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 161 

den Stadien des Prozesses schon unterrichtet. Allem Anschein nach haben 
wir es übrigens hier (wie wohl auch bei der Quaestio der Bakkalauren) mit 
einem Rudiment der Probevorlesung (inceptio) zu tun, die an den mittel- 
alterlichen Universitäten von dem Neugraduierten verlangt wurde* 88 . 

Nunmehr erbittet der Promotor in feierlicher Ansprache vom Universi- 
tatskanzler die facultas promovendi, eine Bitte, die durch die Kniebeugung 
aller Kandidaten unterstützt wird, und der Kanzler erteilt im Namen des 
Kaisers und des Landesherrn die erbetene Befugnis. Der Promotor läßt den 
Magistereid durch einen akademischen Pedell vorlesen; hiernach versprechen 
die Kandidaten : die bisher erregte Erwartung guter Leistungen nicht zu täu- 
schen, ferner auf keiner andern Universität den Grad zu wiederholen, den 
Ruhm des Landgrafen und seiner Professoren zu mehren, sich des Grades 
würdig zu erweisen 88 *. Nachdem dieser Eid von allen Kandidaten auf die 
akademischen Szepter geleistet worden ist, erfolgt die Verleihung des Grades 
(renunciatio) durch den Promotor im Namen der Dreifaltigkeit, wobei 
ihnen gleichzeitig die Erlaubnis des Lehrens übertragen wird 880 , und sodann 

888 Vgl. namentlich den von Kaufmann II, 314, Anm. 1, angeführten Tübinger 
Brauch. 

888 Gegen die Aufnahme einer Religionsklausel in den Dr.- und Mag.-Eid verwahrte 
sich 1608 die Universität, da auch Katholiken und Calvinisten in Gießen studierten (An 
Landgraf Ludwig, 1608 Jan. 4, Or. StAD, Univ. 2). Die Formel ist bei Scheibler, 5 ff., 
erhalten; jeder Magistrand verpflichtet sich: „Primum se modis omnibus, ut quam hac- 
tenus expectationem sui concitavit, sustineat et tueatur curaturum, nee ulla alia in schola 
quantumvis frequenti hunc eundem gradum reiteraturum esse. Deinde se cum ho- 
diernum hoc beneficium longe maximum, inprimis ill. nostri prineipis fundatoris, nutri- 
cii ac domini nostri dem. tum hujus universitatis ejusque professorum laudes, ubieun- 
que terrarum gentiumque fuerit, qua decet f ide ac reverentia praedicaturum esse. Denique 
vitae morumque honestate atque adeo modestia assiduaque diligentia sua, in quibus 
praeeipue laus magistrorum consistit, se magistrorum titulo per omnia dignissimum os- 
tensurum esse.' 4 Auf den zweiten Punkt des wohl in Marburg ähnlich lautenden Eides 
bezieht es sich, wenn dem Gießener Prof. Finck im Federkrieg mit seinem Marburger 
Lehrer Prof. Godenius Bruch seines Magistereides vorgeworfen wurde; vgl. Finck, Prodo- 
mus modestae responsionis . . . (1606), epist. dedic. 

880 Um einen Begriff von der hierbei üblichen feierlichen Ausdrucksweise zu ge- 
ben, seien die Worte Dieterichs bei der Promotion von 1608 angeführt (Theodoricus, 
35 ff.): „Quod itaque felix ac faustum sit, eedesiae utile, reipublicae salutare atque in pa- 
triae emolumentum, parentum ac cognatorum ornamentum, ipsorum verum dominorum 
candidatorum aliorumque multorum salutem unice vergat: Ego Cunradus Theodoricus 
Gemundanus ad Wohram Hessus, artium liberalium et philosophiae magister nee non 
moralis philosophiae in academia hac Ordinarius professor ac paedagogiarcha, pro augus- 
tissima caesarea et principali autoritate ab amplissimo dn. cancellario academico mihi con- 
cessa: non tarn meo quam universi collegii philosophici nomine praesentes hosce XIV exi- 
mie doctos viros-juvenes, [folgen die 14 Namen] omnes vos ac singulos in augustissimo 
hoc academico consessu et virorum honoratissimorum conspectu philosophiae ac ar- 
tium liberalium doctores, quos magistros appellamus, solenni majorum ritu 
creo et promoveo, promotos renuncio, renunciatos proclamo, prodo ac publice significo: 
vobisque omnibus ac singulis potestatem do artes liberales docendi, philosophiam tra- 
dendi, interpretanda, profitendi, publice ac privatim disputandi, declamandi, omnia simul 

Di« Unirersitlt Gießen von 1607 bU 1907. I. ** 



162 Zweiter Abschnitt. 

die Obergabe der Symbole der neuen Würde an die jungen Magister. Je- 
der wird, nachdem die Riten vom Promotor kurz erklärt sind, auf das bis- 
her nie betretene obere Katheder geführt (Recht des Lehrens); es wird ihm 
zuerst ein geschlossenes, dann ein offenes Buch überreicht; man steckt ihm 
einen Ring an und setzt ihm den Doktorhut (pileus, auch tiara) auf, der mit 
goldenem Kranze (corona aurea, laurea aurea) versehen ist; mit einem Kuß 
beschließt der Promotor die symbolische Aufnahme in den Gelehrtenstand. 
Fackeln werden dann entzündet, um von Knaben dem feierlichen Zuge der 
Magister vorangetragen zu werden. Die Vornahme der symbolischen Hand- 
lungen wird vom Promotor bei jedem der Magistranden mit einigen Ver- 
sen in lateinischer Sprache begleitet. Schließlich hält einer unter den ma- 
gistri novelli, ebenfalls in lateinischen Versen, die Dankrede. Nach Beendigung 
des Aktes zieht die Festversammlung mit Musik unter Vorantritt der Fackel- 
träger zum Festessen (prandium), das mitunter im Hause eines Professors 
stattfand 891 , aber natürlich von den Neugraduierten bezahlt wurde. — 

Etwas verschieden von der Graduierung in der philosophischen Fakul- 
tät verliefen die Verleihungen des Grades in den übrigen Fakultäten. Ihre 
Zahl war, wie erwähnt, bedeutend geringer; die damit verknüpften Kosten 
(s. u.) wesentlich höher, aber die erworbene Würde wurde auch ungleich 
höher geschätzt als der Magistergrad. Leider sind wir über das Verfahren 
bei der Promotion in der theologischen und der juristischen Fakultät für un- 
sere Periode nicht genauer unterrichtet; da wir jedoch für die medizinische 
Promotion Genaueres wissen und für die fehlenden Angaben vorsichtige, 
Rückschlüsse aus den Marburger Statuten von 1629 gestattet sein werden, 
so können wir uns doch ein Bild hiervon machen 891 . Doch genügt es, hier 
das Wichtigste hervorzuheben. 

Nach der Meldung beim Dekan hat der Kandidat der Fakultät über seine 
Personalien 898 und seine bisherigen Studien Mitteilung zu machen und zu ver- 
sprechen, daß er sich, im Falle die Prüfung nicht günstig ausfällt, an den 
Gliedern der Fakultät nicht rächen wolle 394 . Er wird <dann einer orientie- 



jura, immun i tat es, privilegia, emolumenta, indulta, quae in hanc magisterii dignitatem evec- 
tis jure moreque tributa, confero, addico, assigno, tribuo, confirmo, in nomine ss. ac in- 
dividuae trinitatis, Dei patris, Dei filii, Dei Spiritus sancti. Amen, amen, amen.** 

391 Steuber an Dieterich, 1619 (Cgm. 1259, Bl. 244): „Ich hab die promotion abge- 
than und auf 12 tisch in meinem hauß und in der hütten gespeist, ist mühe gnug 
geweßen". 

392 Die medizinischen Promotionsbräuche kennen wir aus den alten Fakultätssta- 
tuten (UAG), ferner aus Horsts Promotionsreden: De natura amoris 161 1; de natura ther- 
marum 161 8; de causis similitudinis et dissimilitudinis in foetu 161 8. Von den Stat. 
Marp. 1629 (die auch für die Magisterpromotion verglichen werden müssen, tit. 72) kom- 
men hier in Betracht: Tit. 16, 31, 65 — 71, die im Anhang zu Itter, de honoribus sive 
gradibus academicis, ed. nova 1698, als Acadcmiae Giessensis de promot. acad. statuta 
abgedruckt sind. 

393 Stat. fac. med. auch: „An thoro legitimo natus?*' 

394 Stat. fac. med.: „Quod in sententia collegii medici de se lata libenter acquies- 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1614. 165 

renden Vorprüfung vor der Fakultät unterworfen, dem tentamen privatum 
(auch examen tumultuarium) 19& . Bei günstigem Ausgang dieser Vorprüfung 
wird er zur Disputation zugelassen. Die Streitschrift hat er in der juristischen 356 
und in der medizinischen Fakultät selbst zu verfassen ; in der theologischen 
schreibt sie in der Regel einer der Professoren 391 . Die Disputation pro gra- 
du wird in unserer Periode bei Juristen 398 und Medizinern ohne, bei den 
Theologen stets mit Präses abgehalten. Die medizinischen Statuten schreiben 
ferner vor, daß die Disputation nicht über vier Stunden dauern solle. 

Der Disputation folgt das Examen rigorosum oder severius. Hierzu 
werden dem Kandidaten drei Tage vorher die Punkte oder Texte, über die 
er Auskunft geben soll, zugestellt, Auch dieses Examen führt den Namen 
privatum, weil es nicht vor Zuhörern, sondern im Kreise der Fakultät ab- 
gehalten wird; es dauert etwa zwei Stunden des Vormittags. Ist das Er- 
gebnis günstig, so wird dem Kandidaten das Lizentiatengelübde abgenom- 
men; so wenigstens in der medizinischen Fakultät 399 . Doch erhält er die Li- 
centia erst, wenn er am Nachmittag das Examen publicum bestanden hat, 
eine Prüfung, bei der sämtliche Professoren der Universität das Recht hatten, 
Fragen zustellen« 00 . Nach befriedigendem Verlauf auch dieser Prüfung wird dem 
Kandidaten die Licentia übertragen. Diese Stufe ist eigentlich kein Grad, son- 
dern nur die Anwartschaft auf den Doktorgrad, die Licentia assumendi gradum 
doctoris. Sic bildet vielfach den Abschluß der Promotion; mancher Lizen- 
tiat blieb auf dieser Stufe stehen, weil er die Kosten scheute, die das Dok- 
torat mit sich brachte. Mit der Übertragung der Lizenz war ja auch der Nach- 
weis der nötigen Fachausbildung erbracht, und das Doktorat, das ohne 
weiteres Examen jedem Lizentiaten übertragen werden konnte, war nur ein 
Ornament. Daß demnach bereits die Lizenz als Grad mit den Berechtigun- 



per alium ulcisci 



1 diesem Tentamen habe sich die Bakk.v 



cere et, si quid praeter spcm fortassis sibi evcnerii, 
velit". 

*** Hom, Disputationen, 15, behaupte!, 
lariatsprüfung der oberen Fakultäten erhalten. 

3ä « So Stat. Marp. 1629. 

*•' Cgm. 1258, Bl. 594; „Feurbom [als Doktorand] hat vor sich theses conscribirt 
gehabt, die haben die andern theo), (ohn Mentz.) nicht admittircn wollen, weil es nicht 
herkommen; dan die Rp [= respondentes] die theses vom praeside nemen müßen". 

aas Vgl z j) Reinkingks Promotion (in seinen Personalien, gedr. in der „Gekrönten 
Ehren-Säule über Diet. Reinking", Glückstadt 1665). 

399 Hier war es besonders nötig, auch die Licentiati zu verpflichten, weil dieser 
Titel bereits das Recht zur Ausübung der ärztlichen Praxis in sich begriff. Das Gelübde 
umfaßt: Dankbarkeit gegen die Verleiher des Grades, ordnungsgemäße Ausübung der ärzt- 
lichen Kunst, ehrenhaftes Betragen. 

100 In dieser gefährlichen Situation wird dem Kandidaten jedoch von den Stat. 
fac. med. ein Offizialverteidiger zugebilligt: ,,Qui vero infimus [sc. professor) in facul- 
tate medica fuerit, candidati partes in quibusdam ministrandis eo usque sublevabit, dum 
examen finitum fuerit". 




. 



164 Zweiter Abschnitt. 

gen eines solchen galt, zeigt die feierliche Übertragung der Rechte bei den 
Medizinern 401 . 

Nach allgemeiner Rechtsanschauung durfte der Kandidat die Doktor- 
würde sich nur von der Universität übertragen lassen, wo er die Licentia er- 
halten hatte; soweit reichte doch noch die Vorstellung, wonach die Lizenz 
nur eine Phase in dem ganzen Promotionsprozeß vorstellte. In Gießen trat 
nun gleich anfangs der Fall ein, daß ein Professor der neuen Universität, 
Kitzel, Licentiatus juris der Universität Marburg war. Die letztere Universi- 
tät forderte bereits 1606 den Professor auf, den Grad in Marburg anzuneh- 
men. Das vertrug sich aber nicht mit der Anschauung Hessen-Darmstadts, 
wonach Marburgs Hochschule, wie erwähnt, nicht mehr als Universität zu 
gelten habe. Landgraf Ludwig, dem der Fall vorgetragen wurde, ließ den 
Marburgern mitteilen, „daß sich beydes, das ist daß er unser professor zu 
Gießen sein und zu Marpurg promoviren sollte, jetzo gestalten sachen nach 
nicht wolle zusammen schigken" 40 *. So blieb Kitzel Lizentiat. Endlich 1614 
ordnete der Landgraf die Promotion Kitzels in Gießen an ; der Lizentiat, spä- 
tere Schwierigkeiten fürchtend, verlangte und erhielt die Erlaubnis, diesen 
Befehl durch Anschlag zu publizieren 408 . Er unterzog sich dann einem neuen 
Examen, disputierte nochmals pro gradu und erhielt jetzt die ersehnte 
Doktorwürde 404 . 

Wenn eine feierliche Doktorpromotion angestellt wurde, was in An- 
betracht der kostspieligen Festlichkeiten nicht häufig geschah, vereinigten sich 
oft mehrere Lizentiaten, manchmal aus verschiedenen Fakultäten, zur ge- 
meinsamen Feier. Der Glanz und die Feierlichkeit der Magisterpromotio- 
nen wurden dabei in den Schatten gestellt. Besondere studentische Invitato- 
res 405 mit vorausgetragenen Szeptern besorgten die Einladungen, die in weitem 
Umfange ergingen, sowohl zu der akademischen Feier als zu dem Fest- 
essen, dem Doktorschmaus. Auch der Landgraf wurde öfters eingeladen. 

Am Festtag zog die Fakultät und der Doktorand mit Musik ins große 
Auditorium, wo eine glänzende Versammlung sie erwartete. Nach einem 
musikalischen Vorspiel hält der Promotor einen wissenschaftlichen Vortrag. 



401 Stat. fac. med.: „Decanus . . . candidato . . licentiam medicinam docendi et 
faciendi solenniter coram toto consessu academico tribuet eique in medicationibus feli- 
cem successum ac divinam benedictionem vovebit". Hier ist von der Bedeutung der Li- 
zenz als eines Anspruches auf die Doktorwürde gar nicht die Rede. Vgl. dagegen die 
Bestimmung der Stat. Marp. 1629, tit. 69: „Decanus . . candidato licentiam honores pe- 
titos [sc. doctorales] quovis tempore commodo assumendi concedat". 

402 Memorial f. Kanzleise kr. Jungk, 1606 Aug. 5, Kzt. StAD, Univ. 2. 

403 Akten StAD, Univ. 5. 

404 Vgl. Itter, de honor. s. grad. acad., ed. nova (1698), 192. 

405 So Stat. Marp. 1629, Tit. 69, § 14, Tit. 72, § 20. Daß auch in Gießen schon In- 
vitatores verwendet wurden, zeigt ein Beschluß des Senats von 161 7, wonach keine Stu- 
denten außer den Invitatores zum Doktorschmaus einzuladen seien (Lib. decan. med. I, 
Bl. 49). S. auch die Kostenrechnung MOGV XII (1903), 102. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 



'65 



Gegen Schluß seiner Rede fordert er die Kandidaten auf, ein Zeichen ihrer 
Gelehrsamkeit zu geben, und legt jedem im Anschluß an das Thema seines 
Vortrags ein Problem vor. Jeder löst sein (ihm natürlich vorher bekann- 
tes) Problem in ausführlicher Rede; er hält hier eine Art Probevorlesung. 
Nun "»endet sich der Promotor an den Kanzler, erbittet die potestas promo- 
vendi, die Kandidaten beugen das Knie, und der Kanzler erteilt die ge- 
wünschte potestas. Nachdem dann die Kandidaten den Doktoreid geleistet 
haben, erfolgt die feierliche renunciatio der Doktoren, seien es nun Docto- 
res ss. theologiae, Doctores juris utriusque oder Doctores medicinae; letztere 
werden gelegentlich auch Doctores medicinae utriusque* 06 (sc. theoricae et 
practicae) genannt. Auch hier wird die Bedeutung der Symbole vom Pro- 
motor erläutert; das Betreten des oberen Katheders, das offene und ge- 
schlossene Buch, der Hut, der Ring, der Kuß, das Voraustragen der Fackeln 
geben zu allerlei sinnreichen Vergleichen und Ermahnungen .Anlaß. Mit 
der gratiarum actio eines der Doctores novelli schließt die akademische Feier. 
Alles begibt sich in festlichem Zuge zum prandium doctorale. 

Wenn wir nach dieser Darstellung der äußeren Vorgänge bei der Pro- 
motion danach fragen, wie sich das Promotionswesen in der Praxis gezeigt 
hat, so müssen wir in erster Linie feststellen, daß trotz der strengen Vor- 
schriften über Vorbildung und Prüfung der Kandidaten die Graduierten mit- 
unter wissenschaftlich nicht erster Qualität waren 4 ". Hierin schaffte erst die 
Visitation von 1619 Wandel. Hatte hierbei der Rektor noch offen zugestehen 
müssen, daß bei den Promotionen bisweilen inhabiles zugelassen würden, 
so setzte alsbald ein schärferer Zug ein, ja es kam vor, daß ein Kandidat, 
der in Gießen abgewiesen war, nachher in Marburg zur Promotion zugelassen 
wurde* 08 . Der Grund, weswegen die Professoren gern durch die Finger 
sahen, war der: es lag ihnen daran, möglichst viele zu promovieren, denn 
das hob das Ansehen der Universität und es brachte Geld und Feiertage* 09 . 



in- Vgl, Greg. Horst, de natura amoris (1611), Bl. F4. Den Fall bespricht Itter, 53. 

401 Steuber schreibt 1617 (Cgm. 1259, Bl. 211): „Ulnerus hat diesen sommer pro 
gradu doctoratus disputiret, ist aber über die maßen schlecht bestanden" ; dennoch erhielt 
er die Doktorwürde (Strieder XVI, 242). Prof. Horsts Stiefbruder Müller erstrebte 1618 
den medizinischen Doktorgrad ohne genügende Vorbildung: „hat nur l /. jähr medicinam 
Studiret, loqui Latine nesciens" (Cgm. 125g, Bl. 230); er erhielt den Grad allerdings 
erst 1620 (Strieder IX, 240}. 

*° e Steuber an Dieterich, 1619 Juni 29 (Cgm. 1259, Bl. 246): „M. Mollenfeld von 
Wormbß hat hie gradum doctoratus in jure annehmen wollen, ist ihm aber höflich ab- 
geschlagen worden, wie er selbert gesagt, hat jetzo zu Marpurg pro gradu disputiret. Un- 
sere Juristen haltens jetz steif, haben underschiedliche abgewiesen, haben hievon leges, 
einer muß dociren, daß er zum wenigsten 3 Jahr continue jura Studiret habe." 

*°* Daneben mögen auch private Bevorzugungen stattgefunden haben, wie sie 
Schupp im Salomo, Kap. 10 (Lehrr, Schriften ['719] I, 114), andeutet. Schupp spricht 
sich an vielen Stellen über die Promotion Ungelchrter drastisch aus. 





166 Zweiter Abschnitt. 

Auf die Gebühren und die Aufwendungen für Festlichkeiten müssen wir da- 
her noch einen Blick werfen. 

öffentliche Disputationen kosteten den Studenten Geld, da der Präses 
und der Drucker bezahlt werden mußten; dies gilt natürlich auch für Gra- 
dualdisputationen. Hinzu kam für Magistranden eine Gebühr an den Pro- 
fessor der Rhetorik für die Durchsicht der Gradualdeklamation 410 . So hören 
wir 1619: Pro praesidio philosophico zahle man eben einen Goldgulden, wäh- 
rend doch auch ein Reichstaler genüge; der Rhetor erhalte V* Reichstaler 411 . 
Über die Höhe der eigentlichen Promotionsgebühr finden wir verschiedene 
Angaben. Die medizinischen Fakultätsstatuten sprechen von 20 Reichstalern, 
wovon 6 der Universitätskasse zufallen, die übrigen in verschiedener Höhe 
den Fakultatsmitgfiedern, dem Rektor und dem Kanzler. Bei der Visitation von 
1619 gibt Winckelmann die Höhe der (theologischen) Promotionsgebühr 
auf 24 Goldgulden an, wovon ein Drittel dem akademischen Fiskus gezahlt 
wird. Die Universitätsrechnungen zeigen zu verschiedenen Zeiten verschie- 
dene Beträge aus den Promotionen. Die Taxe für Magister scheint 6 bis 
9 Reichstaler gewesen zu sein. Bei den Juristen erhielt in der ersten Zeit je- 
der Professor 6 Reichstaler pro examine, der Promotor für Durchsicht der 
Disputation und fürs Examen noch 1 Reichstaler, außerdem pro promotione 
von jedem Kandidaten noch 5 Reichstaler 41f . Ferner erfahren wir 1621 noch 
von einem „Nachschußgeld" an den Promotor nach der Promotion 4 ". Aus 
alledem läßt sich kein genaues Bild gewinnen, nur soviel kann man sagen, 
daß eine Promotion, namentlich in den oberen Fakultäten, eine sehr kostspielige 
Sache war, schon allein durch die von der Universität verlangten Gebühren. 
Außerdem aber mußte sich der Gießener Promovend wohl ebenso wie der 
Marburger 414 den Professoren gegenüber durch Spenden von Wein schon bei 
der Vorbereitung der Promotion nobel zeigen. Dazu hatte sich der Brauch 
entwickelt, daß nach der öffentlichen Disputation der Respondent dem Prä- 
siden, den Opponenten und einigen Freunden ein convivium gab. Ferner war 
es üblich, daß der Kandidat während der Examina Konfekt und Malvasier auf- 
tragen ließ, hernach aber ein Festessen mit warmen Speisen veranstaltete. 
Hierbei ist das herkömmliche Promotionsmahl, der Doktorschmaus, noch gar 
nicht in Rechnung gezogen. Bei diesem tat sich die ganze Universität (ein- 



«o Vgl. für Marburg den Brief ZfhG, N. F., XXIII, 389. 

4 " Visit.-Prot. 161 9. 

41 » Brief, wohl von 1609, Kzt. StAD, Univ. 4. 

4 " Visit.-Prot. 1621. 

414 Auch hier bieten die erwähnten Marburger Studentenbriefe eine vorzügliche 
Quelle. Es heißt da (a. a. O., 380): „Anfanglichs wenn ich den praesidem anspreche 
und ihm die theses zu sehen gebe, mus ich ein halb virthel weins haben; 2. in der 
truckerey den gesellen und correctori auch so viel oder mehr . . . . (S. 383:) Mit dem 
Goclenio hab ich getruncken ein halb virthel weins, da er die theses durchsähe'*. Vgl. 
dazu Dieterichs Magistralpromotionskosten (veröff. v. Herrmann, MOGV XII [1903], 101): 
„Vi thl. verzecht bey M. Goclenio, 14 alb. verzecht bei M. Hartmann dem mathematico". 



Die Universität Gieße» bis z 



r Suspension im Jahre 1614. 



167 



schließlich der Professoreufamilien), viele Gäste und Freunde, dazu, trotz ge- 
legentlichen Verbotes* 15 , eine Menge Studenten auf Kosten des neuen Doktors 
oft mehrere Tage lang gütlich 415 . Die Kosten dieser Gasterei wurden bei 
weitem nicht dadurch aufgewogen, daß die Universität einen Zuschuß („Ver- 
ehrung") an Wein oder Geld leistete*", daß die Gäste ebenfalls Angebinde 
brachten und der Landgraf öfters Wildbret dazu stiftete. So schreibt Steu- 
ber über seine theologische Doktorpromotion* 1 *: „Hab 9 tiesch gehabt und 
gesehen, wie ich die beste sachen an wildpret, vögeln, fischen hab herbey ge- 
schafft, hab kein fleischwerck als ein eßen gespeist, es sind mir uf 200 
reichsthlr. drauf gangen, doch hab ich über 100 rthlr. wider von Studenten, 
pfarherren, deren ich ein meng gehabt, Universität, etlichen graven, landgraf 
Philipsen [von Butzbach], meiner heymat von der dorfschaften gemein, 
hiesigem rath und der freundschaft; allein unser gn. fürst und herr hat ganz 
nichts als seinen legaten und wildpret geschickt". Am besten aber lernen 
wir diese Zustände kennen aus Rektor Nebelkräs und Professor Winckel- 
manns Aussagen bei der Visitation von 1619. Wir erfahren da: Die Juristen 
hätten ein „trockenes" Tentamen und Examen, die Theologen aber ein „nas- 
ses" (Malvasier und dergleichen)* 19 ; beim examen publicum (an dem alle 
Professoren teilnahmen !) werde herkömmlich etwas aufgesetzt, wie Konfekt 
und „Wein genug", etwa auch Gebratenes und Schinken; ein Abusus aber 
sei es, daß nach dem Examen ein Essen stattfinde. „Geschehe bißweilen 
per occasionem der professorum, welche tischbursch halten". Bei Besprechung 
des Doktorschmauses wird der Baseler und Marburger Brauch zur Nach- 
ahmung empfohlen; in Basel dauere die Promotion bis 11 Uhr, das prandium, 
höchstens (!) 4 bis 5 Tische umfassend, von 11 bis 5 Uhr (!); in Marburg 
werden von Frauen „nur facultatis weiber" beim Festessen zugelassen. In 
Gießen war es anders, wie uns der ungalante Nebelkrä mitteilt: „das itzige 
newe weiber gefreß seie ein halb promotionscost . . . Altero die fange man 
ein newes gesäuf an, do kommen männer und weiber zusammen und saufen 
. . Solche excessus kommen auch über die armen magistros mit dem weiber- 
gefreß, were abzuschaffen ; bei den examinibus magistrorum seie kein cost zue 
machen, aber izo mache man ein gesauff. Bei dem illuminare und promou'o- 



* 1S Lib. decan. med. I, Bl. 49 (m 1617): „Certas ob causas ante convtvium doc- 
torale praedictae solennitatis et in publico consistorio et in collegio nostro [sc. medico] 
repetitum fuit decretum: nullos studiosos exceptis invitatoribus ad doctoralus convivium 
invitandos. Si quis tarnen ex candidatis unum vel alterum sanguine junetum vel contu- 
bemalem invitare vellet, non sine collegii concessione id ipsum permittetur, nee nume- 
rus ultra binarium vel Irinarhim extendatur". 

*i« VgL die Kosten von Dieterichs Doktorpromotion (Herrmann, a. a. O., 102) und 
das Folgende. 

* 17 Z. B, einmal bei der Promotion von 3 Dr. med. 10 Rtlr. = 15 fl; bei 18 Ma- 
gistern 6 Rtlr. = 9 fl. ; bei 17 baccalaurei 4 Rtlr. = 6 fl. 

* 19 Cgm. 1259, Bl. 282. 

"* Vgl. oben Anm. 275. 




168 Zweiter Abschnitt. 

nibus kommen die weiber zuesammen und vermehren den armen die costen". 
Zu diesen Schmausen lud, wie wir erfahren, des Promotors Frau die übrigen 
Professorsfrauen und ihre Nachbarinnen ein ; Spielleute und Studenten finden 
sich ein ; den Schluß bildet Tanz und Unordnung. In der Tat, wie wir die 
Sitten der damaligen Studenten kennen, mußten des Rektors Befürchtungen ge- 
rechtfertigt erscheinen" . 

Wenn wir diese Kosten für Oasthaltung, wozu noch die Beschaffung 
von Kleidern zur Promotionsfeier sowie viele sonstige Ansprüche (zum Bei- 
spiel der Pedellen, Fackelträger, Spielleute) traten, in Betracht ziehen, so 
kommt eine für damalige Verhältnisse sehr hohe Summe heraus. Steubers er- 
wähnte Äußerung gibt dafür einen Maßstab, und 1614 berechnete Dieterich die 
Kosten seines Doktorats auf 177 fl. 29 alb." 1 . So müssen wir es begreiflich 
finden, daß sich mancher Kandidat, durch die Kosten des Doktorats ge- 
schreckt, mit dem Lizentiatentitel begnügte, und daß mehrere hessische Theo- 
logen sich erst auf den direkten Befehl des Landgrafen zum Doktor promo- 
vieren ließen"*. Wir begreifen auch, warum man die Lizentiaten, da sie die 
Promotionsfeier vermieden, auf der Universität Tübingen im 17. Jahrhundert 
als „nüchterne doctores" bezeichnete*» 8 . 

Gegen Ende unseres Zeitraumes machte man in Gießen den Versuch, 
die übermäßigen Gastereien abzuschaffen, damit die Universität „dodurch 
nicht verrufen oder geringert werde" 4 ". Auch befahl man den Professoren, 
„nach dem loblichen exempel der alten professoren zue Marpurg, so die 
spannische bareth, händtschuh, der weiber speißungen etc. in ebenmeßiger 
betrachtung abgethan", auch hier die alten Geschenke abzuschaffen«*, die 
nach einem ins Mittelalter hinaufreichenden Gebrauch von jedem Kandidaten 
dem Promotor gegeben werden mußten" 6 . Wie weit hier durch Verordnun- 
gen Wandel geschaffen wurde, können wir nicht feststellen. 



4*o Vgl. Rektoratsprotokoll 1617: „13. Nov. bey promotion . . . D. Matthiae [Prof. 
in Altdorf] blaset meister Hanß mit drommetten den studiosis gesundheit". Da ihm der 
Lärm verboten wird, entstehen „schimpfliche händel mit kreischen der studiosorum". Se- 
natsbeschluß : Wenn der Trompeter wieder zu Promotionen bestellt werde, dürfe man ihm 
„kein teuer nirgendt aufsetzen", und er habe beim convivio die Trompete abzulegen. 
Wegen des Kreischens wurden 9 Studenten zu Karzer verurteilt, der aber mit 2 Rtlr. 
„zu redimiren" ist; schließlich wurde das Urteil auf Wunsch der Professoren nicht 
vollstreckt. 

«1 MOGV XII, 103. 

42t So der Hofprediger Vietor 1609 (Landgraf Ludwig an Univ., Febr. 25, KxL 
StAD, Univ. 2) und die Professoren Helvicus und Finck 161 3 (Akten St AD, Univ. 5). 

4,8 Itter, 1. c, 37 u. 295. 

«* Visit.-Instr. 1621. 

«* Ebd., vgl. auch Visit-Absch. 

** 6 Vgl. Kaufmann II, 317. Die Stat. Marp. 1629 lassen jedoch im Tit. 77 das 
Handschuhgeschenk an den Promotor noch zu. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 169 

XV. 

In die Frühzeit der Universität fällt die Begründung einer Anzahl akade- 
mischer Anstalten, die in den heutigen Instituten ihre Fortsetzung haben. 

Hier ist vor allem die Universitätsbibliothek zu nennen. Das Be- 
dürfnis nach einer solchen machte sich natürlich schon frühzeitig geltend. 
1608 erbot sich Mentzer, als Gegenleistung für ein Geschenk des Landgra- 
fen, 50 Gulden zur Anschaffung von Büchern für die theologische Fakultät zu 
stiften 4 * 7 . Nach einer bereits damals 4 * 8 von der Universität an den Landes- 
herrn ergangenen Anregung kaufte Landgraf Ludwig im Jahre 1612 in Straß- 
burg eine größere Bibliothek — angeblich für 1600 fl. 4 * 9 — , die den Grund- 
stock für die künftige Universitätsbibliothek bilden sollte. Professor Bach- 
mann, der nach dem Vorschlag der Universität als Bibliothekar fungierte, 
übernahm und ordnete die Bücher 480 , für die bereits beim Bau des im Vor- 
jahre eingeweihten Kolleggebäudes ein Raum vorgesehen worden war. 

Die Vermehrung der Bücherschätze in unserer Periode war sehr spär- 
lich. 1614 hat man sich, wie es scheint, die verkäufliche Bibliothek des Pro- 
fessors der Medizin Lautenbach entgehen lassen 4 * 1 . Erst 1616 wurde ein Be- 
trag von jährlich 20 Gulden zur Instandhaltung und Vermehrung des Bücher- 
vorrates bestimmt. Dieser Posten verschwindet jedoch nach drei Jahren aus 
den Universitätsrechnurigen, und statt dessen werden die Ausgaben für die Bi- 
bliothek einzeln aufgeführt, wobei Buchbinderrechnungen überwiegen. Die 
Schwankungen in den Aufwendungen für die Bibliothek sind sehr bedeutend, 
zum Beispiel 1619: 60 fl. 15 alb. 1 4; 1621: 1 fl. 3 alb.; 1623: nichts. Das 
Geld wurde nicht vom Bibliothekar, sondern vom Universitätsrechner (Oeco- 
nomus) ausgegeben 4 »*. 

In diesen äußerst bescheidenen Anfängen suchte man nun der Biblio- 
thek dadurch aufzuhelfen, daß man die Lieferung von Pflichtexemplaren seitens 
der Universitätsbuchdrucker einführte. Schon 1614 hatte der Landgraf die Liefe- 
rung von Exemplaren aller Druckschriften für seine Darmstädter und Gießener 
Kanzlei verlangt 4 » 3 . 1618 wurde nun bei der Universitätsvisitation den Univer- 
sitätsdruckern bei Strafe geboten, von allem bei ihnen Gedruckten auch ohne 



4.7 Landgraf Ludwig an Mentzer, 1608 Jan. 24, Abschr. StAD, Univ. 2. 

4.8 1608 Apr. 20, Or. a. a. O. Buchs Chronik (StAD), 180, berichtet zum Jahr 
1608 den Straßburger Kauf. 

419 Buchs Chronik, a. a. O. 

480 Vgl. Heuser, Beirr, z. Gesch. d. Univ.-Bibl. Gießen (6. Beiheft z. Centralbl. f. 
Bibliothekswesen, 1891), 5. 

431 Bachmann an Dieterich, 1614 Nov. 7 (Cgm. 1257, BI. 92): Lautenbachs Biblio- 
thek, von Bachmann und Jungermann in 8 Tagen inventiert, soll von Landgraf Philipp 
angekauft werden. Vgl. Walther, AfhG XI (1867), 379. 

482 Bachmanns Schreiben v. Mai 1619, StAD, Univ. 6. 

488 Eigenhänd. Zusatz zu Statutenvorschlägen, StAD, Univ. 5. Ahnlich in Jena 
bereits 1591: Mitteilg. f. Erz.- u. Schulgesch. X (1900), 64. 



170 Zweiter Abschnitt 

besondere Mahnung dem Bibliothekar Bachmann ein Exemplar zu liefern 4 »*. 
Doch scheint dies auf selten der Drucker mehr als freiwillige Leistung 
gegolten zu haben. 1622 mußte der Drucker Hampel vorgefordert und er- 
mahnt werden, „was er von new aufgelegten büchern zur bibliotheca academi- 
ca zu lifern versprochen, seiner zusag nachzukommen 114 * 6 . 

Da die Bibliothek noch klein und leicht zu verwalten war, so wurde dem 
Professor Bachmann als Bibliothekar kein großer Besoldungszusatz zuteil. 
Zwar erhielt er 1612 10 Gulden Zulage zu seinem Professorengehalt, die wir 
als Bibliothekarbesoldung ansehen müssen* 56 , aber als die Visitationskommis- 
sion 1618 weitere 10 Gulden für seine Mühe mit der Bibliothek vorschlug, 
bewilligte man ihm nur 5 Gulden; worauf er 1619 von neuem um die 
übrigen 5 Gulden anhielt 437 . 

Ober die innere Einrichtung der kleinen Büchersammlung wissen wir 
nichts; einmal klagt Bachmann über Mangel an Bücherschränken und über 
das Nichtzurückkommen eines vor vier Jahren entliehenen Bandes 4 » 8 . Jeden- 
falls waren, wie in sonstigen Dingen, so auch hier die Marburger Bestimmun- 
gen maßgebend, wonach die Bibliothek allen Professoren und Studenten 
zur Benutzung an Ort und Stelle offen stand, aber nur Professoren Bücher 
entleihen durften 489 . — 

Ganz in ihren Anfängen steht auch noch die Anatomie. Um einen 
Raum zur Vornahme von anatomischen Übungen, ein Theatrum anatomicum, 
hatte die Universität zwar 1615 gebeten 440 , aber umsonst Dazu fehlte es 
an Leichen. 1615 wandte sich die medizinische Fakultät mit der Bitte um 
Oberweisung einer weiblichen Leiche an den Landgrafen 441 , und so konnte 
man endlich, nachdem sechs Jahre hindurch keine Sektion stattgefunden 
hatte, „solennem . . . publicam corporis muliebris dissectionem" im Winter 
1615 vornehmen; bald nachher folgte die Anatomie einer schwangeren 
Hirschkuh, und 1617 wurde acht Tage lang ein männlicher Körper se- 
ziert 448 . Alle diese Sektionen wurden vermutlich im medizinischen Hörsaal 
gehalten, so daß von einem anatomischen Institut streng genommen nicht 
die Rede sein kann. Wir können uns die Verhältnisse kaum primitiv genug 



484 Visit.-Absch. 1619. 

485 Visit.-Absch. 1622. 

4 *6 ökonomatrechnungen (UAG). 

487 Visit.-Akten von 1618 u. 1619 (StAD, Univ. 6). 

488 A. a. O. (1619.) 

488 Es kommen hier Bestimmungen der Reformation von 1560 (Hdschr. 33» der 
Univ.-Bibl. Gießen) und von 1564 (Hildebrand, 89) in Betracht. 

440 Punkte betr. die Constitutio corporis acad., StAD, Univ. 3. In Marburg war 
man nicht besser daran; dort gab die N ich tbe willigung eines Theatri anatomici dem 
Prof. Ellenberger Anlaß, seinen Abschied zu erbitten. Strieder III, 329 f. 

"i AfhG XIII, 526. 

448 Lib. decan. med. I, Bl. 46, 48. 



Die Universität Gieße» bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 171 

vorstellen. Ein und derselbe Kessel mußle anatomischen und chemischen 
Versuchen dienen"». 

Mehr ausgebildet zeigen sich in unserer Periode die Anfänge des ehe- 
rn ischen Laboratoriums. Schon im Jahre 1612 hatte ein Student, Joh. 
Dan. Mylius, „chymiatriae studiosus", unmittelbar beim Landgrafen um die 
Erlaubnis zu chemischen Übungen nachgesucht, und nicht nur diese, son- 
dern auch die Lieferung von drei Wagen Kohlen erhalten"*. Da aber 
nachher wahrscheinlich die Freunde des chemischen Studiums sich verliefen, 
auch wohl die Konkurrenz Marburgs sich zu fühlbar machte"*, so hören wir 
erst 1617 wieder vom Betrieb der Chemie in Gießen. Wir erfahren, daß es 
bereits damals ein Laboratorium gab, und daß dieses infolge der (gleich 
zu erwähnenden) Verlegung des botanischen Gartens gleichfalls verlegt 
werden mußte" 6 . Da einige Studenten der Chemie anwesend waren, ließ 
der Landgraf wieder Kohlen liefern" 7 , nachdem die Universität einen andern 
Raum zum Laboratorium hatte herrichten lassen, ein Häuschen beim Kol- 
legium, das bisher als Gärtnerwohnung gedient hatte; auch die nötigen Ge- 
rätschaften wurden beschafft" 8 . Wir besitzen einen Brief des Professors 
Horst aus diesem Jahre, aus dem wir ersehen können, daß der Betrieb der 
chemischen Übungen in Gießen durchaus den Bedürfnissen der Medizin 
sich anpaßte und sich nicht in Goldmachern verlor, auch daß die Studenten 
der Chemie für die nötigen Materialien selbst sorgen mußten"». 



" 5 Belegzeucl jur flkonomatrethnung 1617 (UAG): „Ein kessel zu den sceletis 
dann zu sieden und sonsten zum baineu Mariae zu gebrauchen". 

*** StAD, Univ. 5. ■- Interesse für Chemie herrschte auch vorher in Gießen; 1611 
rühmt Horst den Doktoranden Btlilier wegen seiner chemischen Kenntnisse (Horst, de 
natura amoris, B1. Dz). 

*** Greg. Dieter erwähnt 1613 (an Dieterich, Cgm. 1258, Bl. 13} einen Studenten, 
der unentschieden ist, „num Marpurgi propter chemicum Studium per aliquod tem- 
pus commoraturus, num vero statim ad vos abiturus sit". 

" s „Anstellung des newen taboratorii medici, weil man aus dem alten wegen 
des horti verenderung weichen müssen", auf dem erwähnten Zettel von 1617. 

**' Landgraf Ludwig an den Oberforst meist er zu Romrod, 1617 Mai ti, Kz. StAD, 

*** So der erwähnte Kessel. Über den Vorgang schreibt Lib. decan. med. I, 
Bl. 48: „Cum non parum ornamenti et utilitatis philiatris chymiae Studium adferret, hoc 
anno (1617) circa ferias vernales laboralorium chymicum restaurare conati sumus, in do* 
muneula collegio contigua ante annos aliquot pro habitatione honulani operarii ex con- 
sensu consistorii concessa, quod institutum illustrissimo ita placuit, ut pro feliciori pro- 
gressu duos currus carbonum ultro hac aeslate clementer offerri curaret". 

"* Horst an Prof. Henning Arnisaeus in Helmstädt, 1617 Okt. I (Horst, Obser- 
vationum mediciuaüum libri IV priores, ed. nova 1628, 307): „Nos etiam chymica trac- 
tare non ignoras, sed scire gestis quo modo; eo scilicet, qui fini nostro subservire polest, 
quatenus delectus materiae medicae corpori nostro convenientis possibilis est, Sumptus ex 
parte, nimirum quoad carbones. illustrissimus subministrat; quoad caetera conjunetis vi- 
ribus philiatri sibi ipsis prospiciunt. Hinc in vitriolo, sulphure, antimonio, Mercurio, So- 
le, Marte, Satumo, Venere, Jove similibusque laboravimus hactenus, ne quid addam ex 




172 Zweiter Abschnitt. 

Während es sich hier doch nur um vielversprechende Anfange han- 
delt, finden wir eine andere Studienanstalt bereits völlig entwickelt den bo- 
tanischen Garten, den man mit Rücksicht auf die praktische Verwendung 
der Botanik im medizinischen Studium als Hortus medicus bezeichnete. Zu 
Anfang des Jahres 1609 begann man ihn anzulegen; der Landgraf hatte der 
Universität zu diesem Zwecke ein Grundstück hinter der Burg überwiesen. 
Einen glücklichen Griff tat die Universität, indem sie den gerade in Gießen 
weilenden Ludwig Jungermann aus Leipzig mit der Einrichtung und Leitung 
des Gartens betraute und ihm dafür ein Jahrgehalt von 50 Reichstalern 
bot" . Anfangs als Leiter des botanischen Gartens, spater als Professor der 
Botanik (in der medizinischen Fakultät) hat er sich bis zur Aufhebung der 
Universität große Verdienste erworben. Viel Mühe bereitete es ihm, daß 1615 
der Landgraf eine Verlegung des Hortus medicus in unmittelbare Nähe des 
Kolleggebäudes anordnete; die Umpflanzung und völlige Neuanlage be- 
schäftigte ihn jahrelang; sie war 1618 noch nicht vollendet 451 . 

XVI. 
Wie in Marburg, so wurde auch in Gießen gleich bei der Begrün- 
dung der Hochschule mit ihr eine Vorschule verbunden, das Pädagogium. 
Bisher hatte in Gießen eine Lateinschule bestanden, die sogenannte Stadt- 
schule, mit drei Lehrern 451 ; Bachmann, der erste Gießener Professor der 
Poesis und Geschichte, war bis 1605 an dieser Anstalt Lehrer gewesen. Aber 
die Schule war nicht ausreichend, den Schülern die Reife zum Universitäts- 
studium zu geben, oder erreichte dieses Ziel nur ausnahmsweise 45 ». Eine 
derartige Schule gab es damals in den hessischen Gebieten Darmstädter 
Anteils überhaupt nicht. Um so nötiger erschien es, eine solche zu 
gründen. Das Vorbild des Marburger Pädagogs, dem man auch die er- 

vegetabilium et animalium classe. Quoad auri vel argenti Solutionen* nihil tentavimus, 
utpote cum studiosis, uti nosti, facilime sine labore chymico talia metalla potabilia red- 
dantur, praesertim hoc tempore, cum adhuc Rhenanum vinum nobilius annorum praeceden- 
tium tollerabili pretio haberi protest". 

450 Lib. decan. med. I, Bl. 40. Akten StAD, Univ. 2. Daß man Jungermanns 
Bedeutung in Gießen wohl zu schätzen wußte, zeigt Horsts Bemerkung bei Jungermanns 
Doktorpromotion 161 1 (De natura amoris, Bl. D2): „De Jungermanno nostro quis nescit, 
quanto amore Floram ab ineunte aetate prosecutus sit, quam etiam tandem arctissimo 
connubio Phoebus eidem ita jugavit, ut inde nominis celebritatem per totam Ger- 
maniam aliasque regiones jam duduvn sibi comparaverit. Verbis hie non opus 
est, cum rerum testimonia loquantur, quod hortus noster medicus ipsius industria in- 
struetus satis superque confirmat." 

«1 Lib. decan. med. I, Bl. 48, 50. Visit.-Absch. 1618, 1622 (UAG), „Gebrächen 
so bey der univ. furfallen", 161 8, StAD, Univ. 6. Besonders die haltbare Umzäunung 
des neuen Platzes machte viel Schwierigkeiten; noch 1622 drang das Vieh der Nach- 
barn ungehindert ein. 

452 Vgl. Diehl, Schulordnungen des Großh. Hessen II (Mon. Germ, paedag. 
XXVIII), 18. 

**» Diehl II, 19. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 173 

sten Lehrer zumeist entnahm, wurde in der Oießener Anstalt durchaus nach- 
geahmt; dabei herrschte auch der Gedanke vor, daß, wie die Oießener Uni- 
versität sich als rechtmäßige Nachfolgerin der Altmarburger gab, so auch 
das Oießener Pädagog das Marburger völlig ersetzen sollte 464 . Weil die Oie- 
ßener Schule die einzige im Darmstädter Lande war, die auf das Universitats- 
studium vorbereitete, so übernahm sie aus den übrigen Partikularschulen 
des Landes deren Abiturienten in ihre Prima und gab ihnen so die letzte 
Ausbildung 456 . 

Das Pädagog wurde nach Mentzers Vorschlag 456 mit vier Klassen ein- 
gerichtet, von denen die beiden obereren zusammen das sogenannte paeda- 
gogium majus, die unteren das paedagogium minus bildeten. Das Lehrerperso- 
nal bestand neben dem Pädagogiarchen, der zugleich Professor an der Uni- 
versität war (1605 — 1614 Dieterich, 1614 — 1624 Scheibler), aus vier Präzep- 
toren; die erste Lehrerstelle versah anfangs im Nebenamt der Professor 
Bachmann 457 . 

Das Pädagog bildete einen untrennbaren Bestandteil der Universität; 
seine Lehrer und Schüler standen unter akademischer Gerichtsbarkeit. Die 
Schüler wurden beim Eintritt in die Schule der Deposition unterworfen 468 , 
ihre Namen vom Pädagogiarchen am Ende jedes Jahres in die akademische Ma- 
trikel eingetragen 469 . 

Der Unterricht war nach Analogie der lectiones publicae grundsätzlich 
unentgeltlich 460 ; wie aber dort neben den öffentlichen noch Privatvorlesungen 
hergingen, so wurden auch im Pädagog von den Lehrern Privatstunden ge- 
geben, die natürlich bezahlt werden mußten. Als Helvicus bei der Einfüh- 
rung seiner neuen Lehrmethode den Privatunterricht abschaffte, klagten die 
Präzeptoren über Schmälerung ihrer Einkünfte 461 ; wir sehen, wie sehr das Pri- 
vatstundenwesen sich schon eingebürgert hatte. 

Für alle Einzelheiten des Lehrstoffes, die Lehrbücher usw. kann hier auf 
Diehls neue Darstellung verwiesen werden 46 *. 



464 Diehl II, 20. 

465 161 7 gibt Landgraf Ludwig den Befehl, die Partikularschulen in den Stand zu 
setzen, daß die Schüler nach Durchlaufung ihres Kurses eximiert (d. h. zum Univer- 
sitätsbesuch zugelassen) oder wenigstens in die Prima des Gießener Pädägogs 
aufgenommen werden können (Regierungsordnung von 1617, StAD). 

w MOGV X, 46. 

«» Diehl II, 20. 

468 Scheiblers Gutachten v. 1624 Juni 2, Or. StAD, Univ. 6. 

4M Wasserschieben, 21; Klewitz-Ebel, Matrikel, 176, usw. 

4«o 1619. schreitet die Visitationskommission dagegen ein, daß die Präzeptoren in 
jedem Semester von jedem Schüler 1 / 2 Reichstaler verlangen, wozu sie nur berechtigt 
wären, wenn sie ihnen Privatunterricht gäben (Visit.-Instr.). 

461 Eingabe des Präzeptoren vom Mai 1619, Or. StAD, Univ. 6. 

"» Diehl II, 19—29. 



174 Zweiter Abschnitt. 

Das Gießener Pädagog, anfangs weitberühmt wegen seiner guten Dis- 
ziplin und Erfolge 469 , galt noch in der ersten Zeit des Ratichianismus, um 
1615, als eine Musteranstalt 46 *. Aber der durch die neue Lehrmethode her- 
vorgerufene Aufschwung war nicht von Dauer, bald lag der Sprachunterricht 
darnieder, und die Disziplin ließ viel zu wünschen übrig, so daß die Eltern 
ihre Söhne lieber anderen Schulen anvertrauten 465 . Vielfach scheint es den 
Lehrern am Fleiß und Eifer gefehlt zu haben. Eine gründliche Pädagog- 
reform wurde von allen Seiten für nötig gehalten, aber bis zur Aufhebung 
der Universität kam es nicht dazu; auch der Kriegslärm der ersten zwan- 
ziger Jahre wird das Seine zur Lockerung der Disziplin beigetragen haben 464 . 

XVII. 

Als Landgraf Philipp seine Marburger Universität einrichtete, konnte er 
ihr gleich anfangs die nötigen Räumlichkeiten in Klostergebäuden anwei- 
sen 467 . In so günstiger Lage befand sich der Stifter der Oießener Hochschule 
nicht. Auch wurde der Beschluß, eine solche zu gründen, durch die Mar- 
burger Vorkommnisse des Jahres 1605 so plötzlich hervorgerufen, daß eine Be- 
schaffung besonderer Räumlichkeiten in der Eile nicht anging. So nahm 
man gern das Anerbieten der Stadt Gießen an, die Räume ihres Rat- 
hauses als Lehrräume herzugeben. Nach Mentzers Aufstellung 468 bedurfte 
man anfangs nur dreier Räume, nämlich zweier Klassenzimmer für je zwei 
Pädagogklassen und eines Hörsaales für die akademischen Vorlesungen. Bei 
zunehmender Frequenz wird man diese Beschränkung natürlich sehr als Not- 
behelf empfunden haben; nicht nur die Erbauung eines besonderen Kol- 



468 Joh. Schröder, Pastor in Schweinfurt, an Dieterich, 1608 Febr. n (Cgm, 1259, 
Bl. 151). 

464 Vgl. Reinhardt, M. Henrici Hirtzwigii rectoris de gymnasii Moeno-Francofur- 
tani ratione et statu ad B. Mentzerum epistola (Frankf. Progr. 1891), 5. 

465 Diehl II, 27 ff. Visit.-Akten 1 619 ff. Dem Pädagogiarchen Scheibler warf 
Bachmann (an Dieterich o. D., Cgm. 1257, Bl. 94) Abneigung gegen die körperliche Züch- 
tigung vor, wodurch die Disziplin gefährdet sei : „ Non potuimus ab ipso impetrare in exem- 
tione, ut secundum primae classis castigaret, qui alios juverat in componendo exercitio. 
Ajunt pueri sese nullam in manibus ipsius vidisse virgam, et mihi ipsum ideo extollunt 
prae te". Steuber an Dieterich, 1619 Man 1 (Cgm. 1259, Bl. 242): „Ich beger nicht 
ins paedagogium, es ist ein muheseliger handel, da nur stanck und ohndanck, es wirt 
ein generalreformation im paedagogio wegen disciplin, so gantz nichts, wegen der prae- 
ceptoren, so schläferig, wegen der sprachen, so gantz nicht getrieben, und wegen anderer 
ohnordnungen ; sind newlich hart im consistorio hinder dem paedagogiarchen gewesen'*. 

466 Ein bedenkliches Gerücht lief damals um, wie aus einem Rechnungsbeleg von 
1623 hervorgeht: Ein Barbier muß einige Pädagogschüler untersuchen, „alß nechsthin ein 
weitleuftige berüchtigung des paedagogii gewesen, daß etliche knaben darin morbo Galü- 
co inficieret sollen gewesen sein' 4 . Über das Resultat der Untersuchung liegt keine Nach- 
richt vor (Urk. z. ökonomatrechnung 1623, UAG). 

4 « Vgl. Hildebrand, 12. 
466 MOGV X, 46. 



Die Univ. 



l Gießen t 



i ihrer Susper 



i Jahre 1624. 



I7S 



legienhauses für die lectiones publicae mußte man ins Auge fassen, sondern 
bald erschien auch ein eigenes Haus für das Pädagog wünschenswert* 60 . Zu- 
nächst freilich verzögerte sich die fürstliche Entscheidung über diese Kragen 
in gleichem Maße, wie sich die Verhandlung über das akademische Privileg 
in die Länge zog. Als aber dann im Sommer 1607 die langersehnte Urkunde 
erlangt war, wurde auch alsbald mit der Erbauung eines Universitätsgebäu- 
des der Anfang gemacht. Am 25. August 1607"°, also noch vor der Eröff- 
nung der Universität, wurden mit Feierlichkeit die Grundsteine des Gebäu- 
des in Gegenwart vieler vornehmer Gäste vom Gießener Kanzler Strupp von 
Gelnhausen und vom Rektor und designierten Univcrsitälskanzler Gotho- 
fredus Antonii gelegt* 11 , und die Erbauung, zu der die umliegenden Ämter 
Eronfuhren leisten mußten, so beschleunigt, daß der Rohbau bereits nach 
Ablauf eines Jahres vollendet war. Der innere Ausbau verzögerte sich je- 
doch bis ins Jahr 1611. 

Inzwischen mußte man sich in anderer Weise zu helfen suchen. Die 
Eröffnungsfeier und die feierlichen Promotionsakte hatten bereits seit 1607 
in der Stadtkirche stattgefunden* 1 *; Disputationen und Festreden wurden in 
dieser Zeit in der Burg, dem alten landgräflichen, vom Stadtkommandanten 
bewohnten Schloß („in auditorio majori arcis") am „Brand" gehalten, wohin 
dem Anscheine nach die philosophische Fakultät ihre Vorlesungen ver- 
legte*". Das Padagog und vielleicht auch die minder zahlreichen oberen 
Fakultäten blieben im Rathaus. Wir finden die Klage, daß der Lehrbetrieb 
durch die in den anstoßenden Räumen des Rathauses abgehaltenen Festlich- 
keiten und Tänze gestört werde* 7 *. 

Endlich, am 25. Februar 1611, konnte die Universität ihr eigenes Heim 
einweihen. Nach der akademischen Sitte wurde der Tag durch eine Fest- 



«» Vgl. das bei Geis!, Beitr. t. Gesch. des akad. I'ädagogs m Gießen (1845), 
abgedruckte Schreiben aus dem Herbst 1606. 

«0 Lib. dec. med. I (UAG), Bl. 38 nennt den 15., 2 
die Grundsteine gelegt worden seien. Die Inschrift tafeln (s. 
kurig. (Am 15. wurden die Fundamente ausgehoben, 
am 25. der Grundstein gelegt.) 

*" Lib. decan. med., 1. c. ; Dieterici Institutionc 
eine Beschreibung des Gebäudes als Musteraufsati gegeben 1 

*'* Vgl. die Jenaischen Verhältnisse : Loening, Über ältere Rechts- 
nisse a. d. Univ. Jena (1897), 3t. 

* ,a Rechnungs vermerk 1607: „4 alb. die tisch und benk aus dem rathaufl auf dz 
haubthauß [Schloß als Wohnung des Hauptmanns] *u führen, daselbst jetzo lectiones ge- 
halten werden" (UAG). Auf den philosophischen Disputationen steht bald „in audito- 
rio magno" oder „majori arcis", auch mit dem Zusatz ,,loco consueto", bald „in audito- 
rio philosoph i co" ; beide Örtlichkeiten sind wohl identisch. Das alte Schloß und nicht 
das neue Schlößchen, wie Jost (Philipp d. Großm., Festschrift d. Hist. Vereins, 1904, 399) 
meint, hat also wohl als Vorlesungshaus gedient. 

*'* Univ. an Regierung zu Darmstadt, 1611 Jan. 28, Or. St AD, Univ. 2. 



!0. und 25. August, an denen 
u.) erklären diese Bemer 
. das Gerüst aufgeschlagen, 

, ed. II (1615), 7off., wo 



1. Kulturverhält- 






176 Zweiter Abschnitt 

promotion (von drei Doctores juris) begangen. Am folgenden Tage führten 
Studenten die Komödie „Cornelius relegatus" auf; die zwei nächsten Tage 
brachten Bakkalaureats- und Magistralpromotionen 41 *. 

Das Gebäude erregte damals weit über Gießens Mauern hinaus Bewun- 
derung wegen seiner „italienischen Bauart" 47e . In der Tat präsentiert es sich, 
wenn wir die — zu Beginn dieses Abschnittes wiedergegebene — älteste Ab- 
bildung betrachten (ein Stammbuchblatt von etwa 1618 — 1622), in unserer Zeit 
recht stattlich 477 . Es war ein ansehnlicher dreistöckiger Bau mit zwei an der 
Front angebrachten Giebelvorbauten, überragt von einem dahinterstehenden 
viereckigen Turm, der als Sternwarte diente. So mag das Gebäude mit seinen 
zierlichen vergoldeten Giebelspitzen und seinem Glockentürmchen, den ver- 
goldeten und bemalten Drachenköpfen, die als Wasserspeier dienten, seinen 
teils in Butzenscheiben, teils mit Glasmalerei ausgeführten Fenstern einen 
recht freundlichen und dabei würdigen Eindruck gemacht haben. Am Por- 
tal, das allerdings seitlich verschoben in der Front lag, kündeten eherne Tafeln 
Ursprung und Zweck der Stiftung in goldenen Buchstaben 478 ; darüber 
prangten das hessische und das brandenburgische Wappen 47 ». 

Der Unterstock des Gebäudes enthielt den theologischen und den me- 
dizinischen Hörsaal; im Mittelstock befand sich der größte Raum, das audi- 
torium juridicum, das zugleich als Festsaal bei Promotionen usw. diente und 
daher das reich geschmückte große Doppelkatheder enthielt. Daneben ent- 
hielt der Mittelstock noch die Universitätsbibliothek in einem Raum, der nur 
29 Fuß breit und 34 Fuß lang war. Im oberen Stockwerk lag der philosophische 
Hörsaal und daneben das Konsistorium (Beratungszimmer der Professoren), das 
durch künstlerische Ausschmückung besonders ausgezeichnet war. Da das 
Vorhandensein eines Ofens hier besonders betont wird, dürfen wir wohl an- 



475 Rektoratsannalen 161 1, Kzt. StAD, Univ. 4. 

474 Vgl. den von mir, MOGV XI, 82, Anm. 3, abgedruckten Sehen. Um die Mitte 
des 17. Jahrhunderts wurde das Gebäude von Durchreisenden als Sehenswürdigkeit be- 
wundert (Denkschrift der Stadt Gießen vom 10. April 1649, UAG, S. I, 3). 

477 Obrig. im Stammbuch des stud. theol. Dan. Schelling aus Ulm, Großh. Bibliothek 
Weimar, No. 122, S. 126. Die Überschrift lautet: 

„Quam dedit haec pictor Gissani forma Lycaei est: 
Caetera qui possit pingere, nullus erit". 

Jüngere Abbildungen befinden sich: auf dem Titelblatt der Festschrift von 1650: „Aca- 
demia Gissena restaurata, scripta per Joh. Tackium", und auf Chr. M. Pronners Karte 
v. Oberhessen u. d. Wetterau, die 1746 erschien. 

478 Die Inschrift steht bei Winckelmann, Beschr. v. Hessen u. Hersfeld, 447 f. Die 
Erztafeln sind im oberen Gange des jetzigen Kollegiengebäudes in die Wand eingelas- 
sen, leider so, daß die Inschrift auf der Tafel rechts beginnt und zur Linken fortschreitet. 

479 Letzteres weil die Landgräfin aus dem Hause Brandenburg stammte. — Dieser 
äußere Schmuck und verschiedene Teile der Einrichtung sind erst im Laufe der nächsten 
Jahre vollendet worden. 













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nehmen, daß die Hörsäle nicht heizbar waren 4 ™. In den Daehräumen lagen 
die (heizbaren) Stipen diäten wo hnungen, Wohnzimmer und Schlafkammern ; 
ihre schöne Aussicht über Stadt und Land wird gerühmt. Außerdem befanden 
sich unter dem Dach der Universitätskornboden und andere Vorratsräume 481 . 

Übrigens ergab sich bereits nach wenigen Jahren (1615), daß man sich 
bei der Errichtung des Baues übereilt hatte, denn als die Wände sich „setzten", 
ging manches aus den Fugen; schon 1618 mußte der Landgraf die Befestigung 
des Baues mit Durchzügen und „Gehenken" anordnen** 3 . Trotz dieser of- 
fenbaren Fehler*" 3 hat der alte Bau die Gießener Hochschule bis weit ins 
IQ. Jahrhundert hinein beherbergt. 

Wahrscheinlich als Anbau zum Hauptgebäude haben wir uns die bei- 
den Karzerräume vorzustellen, die wir erwähnt finden* 8 «. Beim Kolleg 
stand auch das erwähnte Laboratorium. — 

Die Beschaffung eines Schulhauses für das Pädagogium faßte man erst 
nach längerem Zögern ins Auge, nachdem die Stadtbchörde gegen die fer- 
nere Belassung der Schule im Rathaus 1615 und 1616 beim Landgrafen vor- 
stellig geworden war* 85 . Nachdem zuerst das städtische Weinschankhaus, „im 
kalten Loch" bei der Neustadt gelegen, zum Ankauf als Schulhaus vorge- 
schlagen worden war* 80 , wurde später ein Schullokal in der „neuen Gasse" 
(wohl = den „Neuen Bauen") gebaut (oder umgebaut?), das bei Beginn 
des Winters 1617/18 bezogen werden konnte 41 " und wohl identisch ist mit 
dem noch im 19. Jahrhundert benutzten Pädagoggebäude. 

Sonstige Gebäude hat die Universität in Gießen nicht besessen. 



*™ Vgl. dam Hom, Kolleg u. Honorar (1897), 24!. — Das Pädagog dagegen war 
heizbar, vgl. die mehrfachen Reklamationen über unterbliebene Holzlieferung, außer- 
dem die Instruklion der pedclli classici, \V;is»ersc hieben, 24. 

* S1 Alle Angaben nach Dieterichs Instilutiones oraioriae, wo Näheres nachgelesen 
werden kann. 

* 9 * Landgraf Ludwig an Univ., 1618 Juni 13, Or., sowie Rechnungsakten der vor- 
hergehenden Jahre: UAC, Adm. Rechnungsabschl. 

** a Auch die Heizungsanlagc scheint wenig praktisch gewesen 111 sein; infolge un- 
bemerkter Verkohlung eines Balkens brach im Jahre 1636 eine Decke ein, wobei Land- 
graf Georg, der das Gebäude damals bewohnte, in die Tiefe stürzte, vgl. Trawcr-, Trost- 
u. Ehrengedächtnispredigten auf Landgraf Georg IL (1662), 215. 

*** Verzeichnis nötiger Arbeiten (um 1615): „Die beide carecres eines mit quatem, 
das andere mit gebacken stein zu pflastern, auch in alle beiden kamihn, in jedes ein 
tisch mit banck und bett spannen zu verfertigen". Wie man sich vorher half, zeigt ein 
Brief Bachmanns an Dieterich von 1614 Nov. 7 (Cgm. 125;, Bi. 92), wo es heißt : „[Scheib- 
1er] . . . halt ein carcerem ex minori paedagogio gemacht und den Wendecker [ ?] darin 
versperrt, ein schloß an die dur gelegt". 

*w Geist, a. a. 0., 7. 

*™ Geist, a. a. O.; ökono mal rechung 1616; Bachmann an Dictcrich, 1616 Mai 14 
(Cgm. 1257, Bl. 101). 

* BI Bei der Rechnungsabhör, 12. Juli 1617, ersucht die Universität um Ausbau 
des Pädagoggebäudes vor Anbruch des Winters. Nach den von Geist, 7 u. 8, mitge- 
Di( DrfaM Citfltn von 1607 Vii 1907. I. u 







178 Zweiter Abschnitt. 

XVIII. 

Die Periode, auf die sich unsere Betrachtung bezieht, zeigt uns den 
deutschen Studenten im Übergang von dem schülermäßigen Bursenstuden- 
ten des 15. bis 16. Jahrhunderts zu dem kavaliermäßigen Studenten des 17. 
bis 18. Jahrhunderts. Langst ist er dem Zwang der Burse entwachsen; nur 
noch die Studenten der philosophischen Fakultät sind zu dieser Zeit der regel- 
mäßigen Aufsicht der Behörde durch die sogenannte Censura unterworfen, das 
heißt sie müssen sich im Semester einmal der Fakultät stellen, um über ihre 
Studien und Lebensführung Auskunft zu geben 488 . Im übrigen aber wendet 
der Gießen er Student unserer Zeit seine Freiheit in erster Linie dazu an, 
sich in recht ungebundener Weise auszuleben; er hatte hierzu gute Ge- 
legenheit, und kein lästiger Zwang hemmte ihn auf die Dauer. Wo hätte* 
er auch besser sich der Jugend erfreuen können als in der kleinen Stadt, 
über deren Bewohner er sich erhaben dünkte nicht sowohl durch seine ge- 
lehrte Beschäftigung als durch seine Privilegien, den eigenen Gerichtsstand, 
die mildere Handhabung der Gesetze, die Zoll- und Abgabenfreiheit, das 
eigentlich adlige Vorrecht der freien Jagd usw. 489 ! 

Über die Zahl der in unserer Periode in Gießen vorhandenen Studen- 
ten fehlen uns genaue Angaben; doch scheint es, daß wir ein Schwanken 
der Frequenzziffer zwischen 200 und 400 annehmen dürfen 490 . Unter sich 
war diese Menge wieder sehr verschieden nach Herkunft und Alter. Nur 
die wenigsten Studenten stammten aus dem Gebiet von Hessen-Darmstadt, 
also aus Oberkatzenelnbogen, Südoberhessen und der Grafschaft Nidda; in- 
sofern ist Gießen in jener Zeit keine Landesuniversität gewesen, sondern viel- 
mehr einer der wissenschaftlichen Mittelpunkte für große Teile Deutschlands 
und des außerdeutschen Europa, in erster Linie freilich nur für solche Ge- 
biete, die dem lutherischen Bekenntnis anhingen. Dem Alter nach waren 
in der Studentenschaft alle Abstufungen von 13 bis zu 30 Jahren und wohl 
noch darüber hinaus vertreten* 91 . Der Verschiedenheit des Alters, in dem die 
Hochschule bezogen wurde, entsprach natürlich auch die Verschiedenheit der 
Vorbildung. Ein gewisses Maß von Kenntnissen sollte der Rektor bei der 



teilten Schriftstücken bleibt es noch zweifelhaft, ob es sich um einen Neubau oder 
Umbau handelte. Die Lage des Pädagogs wird 1629 als „in der newen gaß" (UAG, S. 
Cod. rescr. III, 59; Geist, 9), 1634 als „in platea Burgensi" angegeben (Catal. stud. Mar- 
purg. XV, 50). 

488 Wasserschieben, 19 f. 

489 Vgl. hierfür und für das Folgende meinen in den MOGV XI (1902), 57 — 84, ab- 
gedruckten Vortrag „Gießener Studententum in der Frühzeit der Universität"-; dort auch 
ausführliche Nachweise. Im folgenden zitiere ich „Vortr.". 

*90 Daß die Schätzung im Vortr., 59 f., zu hoch war, hat meine genauere Unter- 
suchung gezeigt (in d. Beiträgen z. hess. Schul- u. Univ.-Geschichte I [1906], 60 ff.), wo in 
diesem und anderen Punkten die Aufstellung Eulenburgs (Die Frequenz d. deutschen Uni- 
versitäten, Abh. d. sächs. Ak., phil.-hist. Kl. XXIV, 2 [1904]) berichtigt wird. 

*»i Vortr., 61 f. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 179 

Aufnahme feststellen; falls es nicht vorhanden war, sollte der Ankömmling 
dem Pädagogium überwiesen werden. Doch scheint diese Bestimmung nur 
lässig gehandhabt worden zu sein 49 *. 

Der Aufnahme durch den Rektor ging der bekannte Brauch der Depo- 
sition voraus, der in Gießen, wie wir schon hörten, auch an denen vollzogen 
wurde, die als Schüler ins Pädagog eintraten. Ein Pedell fungierte als Depositor; 
er hatte den Neuling mit seinen unförmlichen Werkzeugen symbolisch aus einem 
Bean in einen Menschen umzuwandeln. War dem Ritus Genüge geschehen, 
so folgte die Meldung beim Rektor, der — nach der erwähnten Prüfung — 
den Neuling in die Matrikel eintrug 493 . Eine Vereidigung auf die Statuten, 
wie sie auf anderen Universitäten Brauch war, fand nicht statt 494 . 

In der Lebenshaltung des Studenten treten in damaliger Zeit große 
Unterschiede hervor, größere wohl als unter den heutigen Studenten. Wohl- 
habende Studenten konnten es sich gestatten, ihre Kost am Tische eines 
Professors zu nehmen oder sogar ganz bei ihm zu wohnen 496 . Daneben 
aber stand mancher Arme, der auf Lebensmittelsendungen von Hause an- 
gewiesen war, oder der sein Leben durch Dienstleistungen als Famulus bei 
einem älteren Studenten, oder — in höherem Alter — als Präzeptor, Privat- 
lehrer, bei einem zahlungsfähigen Kommilitonen fristen mußte; daß die letz- 
tere Stellung oft von der eines Bedienten nicht weit verschieden war, ist zu 
vermuten 496 . Daneben finden wir einen armen Studenten, der sich als Kor- 
rektor in der Druckerei etwas verdient, und einen anderen, der eine Speisewirt- 
schaft für seine Kommilitonen hält 497 . Eine kleine Gruppe, die Stipendiaten, lebt 



499 Vortr., 65 f. Vgl. Cgm. 1259, Bl. 155. — 493 Vgl. Vortr., 62—64. 

494 Ursprünglich war eine Vereidigung nach Tübinger Muster in Aussicht genom- 
men; sie unterblieb, weil die Universität * dagegen einwandte, die Studenten würden dann 
bei ganz geringen Vergehen meineidig, wodurch Melancholische zur Verzweiflung getrie- 
ben würden ; auch sei die Vereidigung in Marburg, Leipzig, Wittenberg, Ingolstadt, Altdorf 
und Straßburg nicht gebräuchlich (Akten 1607/8, St AD, Univ. 1 u. 2). Vgl. auch Tho- 
luck I, 30; J. B. Schupp, Freund in der Not (Neudr. Halle 1878), 58 f. 

495 K. Dieterich nahm von seinen Tischgenossen wöchentlich 1 Rtlr., doch mußte 
für besseres Bier etwas zugelegt werden; Losament jährlich 10 Rtlr., Bett 4 Rtlr. (W. 
B. v. Schlitz gnt. v. Görtz an Dieterich, 16 14 Jan. 29, Cgm. 1256, Bl. 332). Anspruchs- 
vollere verlangten wohl, einzige Tischgäste des Professors zu sein: Guil. L. lib. baro de 
Freyberg an Dieterich, 1609 Sept. 29 (Cgm. 1256, Bl. 189): Hat Streit mit dem bis- 
herigen Tischwirt, will zu D. übersiedeln : „Quare nihU mihi gratius . . existerc posset, 
si hoc bearer, et reliquis commensalibus sepositis cum magnificentia tua solus come- 
derem". 

499 1608 ließ ein vornehmer Student seinen Präzeptor unter der Beschuldigung des 
Diebstahls ohne Untersuchung einsperren und drohte, ihn mit Ruten streichen zu lassen 
oder umzubringen. Der Vater des Bedrohten fügt seinem Beschwerdebrief an Rektor Die- 
terich die Worte bei (Cgm. 1259, Bl. 147) : „Ich aber bin trostlicher Zuversicht, es werde 
die inclyta academia ihre pusillos gnugsam zu schützen wissen, sonsten wurden gute leute 
ihre kinder nicht also uff die fleischbanck dahinen schicken". 

497 Steuber an Dieterich, 1618 Mai 27 (Cgm. 1259, Bl. 225): Ein Student von 
Hildesheim hält für 30 alb. wöchentlich (vgl. Vortr., 72) einen Tisch, „welcher schincken, 



i8o Zweiter Abschnitt 

fast nur von der geringen Summe, die jährlich für sie ausgeworfen ist (s. 
unten); sie hat freie Wohnung im Kollegiengebäude. 

Die Studentenschaft ist einem raschen Wechsel unterworfen; nicht 
nur am Beginn des Semesters, sondern fortwährend werden neue Ankömm- 
linge immatrikuliert, fortwährend reisen andere wieder ab; es ist ein stän- 
diges Kommen und Gehen. Mancher bringt fast seine ganze „Studienzeit" 
auf der Reise von Hochschule zu Hochschule zu; gehörte es doch in hö- 
heren Kreisen bereits zum guten Ton, auf Universitäten gewesen zu sein, 
auch wenn man nichts von der Wissenschaft hielt. Neben diesen nur dem 
Namen nach Studierenden stehen jedoch andere, die sich mit ganzer Seele 
auf das Studium verlegen 498 , und es wird oft geklagt, daß viele unter Ver- 
nachlässigung ordentlicher Vorlesungen — die ja auch oft recht langweilig- 
methodisch gewesen sein müssen — ihren Wissenseifer alsbald in Disputa- 
tionen zeigen wollen. Diese Klagen beweisen, daß man das Streben nach wis- 
senschaftlicher Selbsttätigkeit, heute ein erwünschtes Ziel akademischen Unter- 
richts, damals auf Seite der Dozenten nicht zu schätzen und nicht auszu- 
nützen wußte. Es mag dieser Umstand wenigstens zum Teil den „Unfleiß" 
entschuldigen, der es verschuldete, daß bisweilen ein Professor „ungelesen" 
das Auditorium verließ, weil die Hörer fehlten 4 » 9 . Andererseits aber kam 
dieser Unfleiß von der Menge anderer Beschäftigungen, die der Student 
trieb, wie Fechten, Ballschlagen, Reiten; oft trafen die Obungsstunden dieser 
ritterlichen Künste mit den Vorlesungsstunden zusammen, und welche Be- 
schäftigungsart dann den Sieg davontrug, ist leicht zu denken. Ferner 
beobachten wir an dem damaligen Studenten bereits die Neigung zur Re- 
präsentation, zum glanzvollen Auftreten nach außen. Nicht nur der ein- 
zelne suchte durch Kleidung und Waffe sein Äußeres imponierend zu ge- 
stalten 500 , auch die gesamte Studentenschaft benutzte gern eine jede Gelegenheit, 
sich hervorzutun. Dem scheidenden Professor Oisenius bringt man eine feier- 



butter etc. von hauß bekompt und das ander ... alhier einkaufen lest; ist aber, wie ich 
nachmals verstanden, zimlich geseuf darüber". Ebenda: ein Student verdient als Kor- 
rektor wöchentlich 2 fl. Viele Studenten seien da, die nicht 40 oder 50 fl. jährlich zu 
verzehren haben (wohl ohne Wohnung). 

498 Ein Lob des Fleißes findet sich in archivalischen Quellen selten, wie überhaupt 
eine Hervorhebung guter Eigenschaften der Studenten dieser Zeit (Tholuck I, 253). Doch 
ist aus den Zeugnissen für abgehende Studenten (z. B. in Job. Georgii regimen acad.) 
und aus Leichpredigten einiges Gute zu entnehmen (z. B. bei Oelze, Balth. Schuppe [1862], 
7 ff.). Vgl. Vortr., 58. Der Königsberger Theologe Cölestin Mislenta rühmt aus seiner 
Gießener Studienzeit (161 5 ff.) „eruditam inter studiosos aemulationem mutuumque exci- 
tandi ac ad maximos incitandi conatus Studium". „Vidisses ibi", soll er öfters geäußert 
haben, „quot musaea, tot spiritus saneti officinas, quot capita, tot ss. triados bonique 
animi templa; auditoria vidisses ubique animata, mensas convictorum eruditas, conventus 
studiorum unice promotioni destinatos, morum consensionem vix non exaetam, omnia de- 
nique ad incrementa studiorum provehenda veluti condueta et prorsus iis devota" (Chr. 
Colbius, Gregorius theologus in Mislenta theologo redivivus, or. funeralis, Gissae 1655, 15 f.). 

*w Vortr., 70. — 5 «> Vgl. Vortr., 65. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 181 

liehe Musik und begleitet ihn ebenso aus der Stadt 601 ; und als der Kurfürst 
von Köln mit Landgraf Ludwig 1620 Gießen berührt, wird er gleichfalls 
durch eine Musik geehrt, was mit einer großen Einladung an die Studenten 
erwidert wird 602 . Auch die Freude am Komödienspielen gehört hierher; 
bei der Einweihung des Kollegiums spielte man, wie erwähnt, den Cornelius 
relegatus; zum Reformationsjubiläum war eine Komödie in Aussicht ge- 
nommen 608 , und auch sonst scheint man gerne Theater gespielt zu haben 60 *. 
Weniger erfreulich tritt die Neigung zum Trunk und zu allerlei teil- 
weise recht losen Streichen hervor. Hierdurch wurde der Gegensatz zu den 
Bürgern verschärft, und fortwährende Streitigkeiten mit der Nachtwache sind 
außerdem die Folge. Bei den letzteren wurde mehrmals, da sie sich Ober- 
griffe zuschulden kommen ließ, zugunsten der Studenten entschieden. Die 
nächtlichen „Aktionen", Schießen, Schreien, Raketenwerfen, Türeneinrennen, 
Fenstereinwerfen, Häuserstürmen, zeigten sich als unausrottbar. Auch der 
herkömmliche Mummenschanz zu Fastnacht gab Anlaß zu vielem Unfug 606 . 
Am gefährlichsten waren die Raufereien, die Vorläufer der späteren Duelle ; 
aber auch ihnen, die fast in jedem Jahre Opfer forderten, standen die Be- 
hörden machtlos gegenüber, obgleich der Stadtkommandant die schärfsten 
Maßregeln anordnete, um die Täter festzunehmen: er zog sich damit nur 
den Haß der Studenten zu. Die akademischen Strafen wurden sehr spar- 
sam gehandhabt; es standen dem Senat zur Verfügung: die Relegatio pu- 
blica, durch Anschlag am schwarzen Brett veröffentlicht, seit 1619 auch 
gedruckt und der Heimatbehörde des betreffenden Studenten über- 
schickt 50 «; die Relegatio privata (Exclusio), die nur dem Lehrkörper bekannt 
gegeben wurde; ferner Karzer- und Geldbußen. Letztere waren häufig; 
die Karzerstrafen gaben Anlaß zu großen Trinkgelagen, da Besuch im Karzer 
zugelassen war und die Pedellen ebenfalls mitzechten 607 ; Relegationen schei- 
nen verhältnismäßig selten gewesen zu sein. 



501 Cgm. 1259, Bl. 249; 1258, Bl. 673. — ö02 Cgm. 1259, Bl. 259. 

509 Dolle, Lebensbeschr. der Prof. theol. zu Rinteln I, 82. Es war wohl Hirtzwigs 
Lutherus. 

504 Prof. Horst an A. Hildenbrandt in Stettin, 1619 Juli 20 (Horstii Observat. 
medic. libri IV priores, ed. nova 1628, 433): „Responsorias tuas ... una cum elegantis- 
sima comoediola aeeepi, pro qua maximas ago gratias, eoque allaboraturus sum, ut cum 
honorifica tui memoria aliquando a studiosis nostris in publicum theatrum producatur". 

*°* Vortr., 81. Einen harmloseren Scherz berichtet Joh. Dieterich seinem Bruder 
161 6 (Cgm. 1257, Bl. 190): „Quum D. Finckii ancilla circa vesperam noctumam 4 vini 
mensuras ex cella oppidana allatas domum versus portaret, adorsi sunt eam nonnulli lar- 
vati studiosi et vinum e manibus ereptum abstulerunt, quos quum famula inclamando sub- 
sequeretur, restitutionem ejusdem rogitans, quippe quod ad D. Finckium pertineret, isti 
herum et doctorem istum nihil morati ablatum retinuere, quod postea in salutem seu 
valetudinem D. Winckelmanni et D. Finckii suaviter epotasse perhibentur". 

606 Cgm. 1259, Bl. 246. 

607 Vortr., 76. Am 30. Juli 161 6 wird an Dieterich aus Gießen geschrieben: „17. [Juli] 
hat Kitzelius [Prorektor J 10 incarcarirt, haben biß in 4 tag gesessen und mit denen, so 



182 Zweiter Abschnitt. 

So lebte der Bursch in Gießen ganz wohl; nur mit den Bürgern war 
kein Auskommen; sie betrachteten die Studenten als Objekte für ihre Aus- 
beutungssucht, drängten den leichtsinnigen Burschen allerlei Dinge auf, die 
sie nicht brauchten, besonders Kleidungsstücke und Putz, sowie Wein und 
Leckereien, und kreideten sie hoch an, so daß der Student, ohne es zu 
wissen, in Schulden geriet. Zum Schuldenmachen hatte der Student ja 
zu allen Zeiten Neigung 508 . Gab dies bereits Anlaß zu Streitigkeiten mit 
Bürgern, so war das Verhalten der Studenten nicht geeignet, einen entstan- 
denen Streit beizulegen. Denn der Student brach unbekümmert in Gärten 
und Weinpflanzungen ein, drängte sich bei Hochzeitsfeiern ein und suchte sich 
auf seine Weise zu amüsieren, ob es dem Bürger gefiel oder nicht. Besonders 
das Verhältnis zu den Bürgertöchtern, das oft zu leichtfertigen Verlöbnissen 
führte, veranlaßte häufige Streitigkeiten zwischen Studenten und Bürgern 50 *. 

Unter sich lebte die Studentenschaft nicht in Korporationen geschieden 
wie heute; von einem engeren landsmannschaftlichen Zusammenschluß ist 
auch noch nichts zu spüren. Die Tischgenossenschaft ist der einzige Ansatz zu 
einem Korporationsleben, den wir beobachten können. Die Tischgenossen 
suchten Neuankommende für sich zu gewinnen („keilen") und unterstan- 
den gewissen Satzungen, die sie selbst entworfen hatten. Diese Bestim- 
mungen („Tischrecht") bezogen sich vor allem auf das Betragen bei Tisch, 
doch scheint auch das allgemeine Verhalten der Tischgenossen ihrer Beurtei- 
lung und Strafgewalt unterstanden zu haben 610 . 

Schließlich möge noch des Brauchs gedacht sein, der als Charakteristi- 
kum studentischen Lebens im Zeitalter des dreißigjährigen Krieges gelten 
kann, des berüchtigten Pennalismus. Ihn treffen wir bereits beim Beginn 
der Gießener Hochschule in ausgebildeter Form, aber, wie es scheint, in 
unserer Periode noch vereinzelt und nicht in regelmäßiger Übung wie in den 



sie besucht, 191 maß wein in carcere getrunken, seind Scheibleri und Mel. Ebels 
tischborß gewesen; inmittelst den 18. zu nacht seind Kitzelio die fenster eingeworfen'* (Cgm. 
1258, Bl. 286). 

508 Zur Illustration diene das Schreiben des Straßburger Pastors Lippius an Diete- 
rich über einen Gießener Studenten (1609, 3. id. Oct; Cgm. 1258, Bl. 487): „Audivi n. 
ex quibusdam civibus nostris eum magnas f acere sumptus apud bibliopolam, compactorem 
librorum et alios; pretiosis incedere vestimentis et ornatis calceis ac nobilem: 
si hoc facit destitutus peeunia, quid facturus esset, si haberet, facile colligi 
potest; imo has minas ad matrem scripsit, nisi mittamus peeuniam, fore ut conjidatur in 
carcerem, in quo singulis diebus consumpturus sit duos florenos". VgL 
Vortr., 72 f. — 50 » Vortr., 74. 

510 Vortr., 80. Verhörprotokoll „de Magio 4 ' von 1607 Nov. 10 (StAD, Univ. 4): 
Die Tischgenossen des M. haben „ein disputat mit Magio angefangen und ihn umb ein 
halb viertel wein gestrafft*'; ein Tischbursch sagt aus: „hetten vorhin ein legem ge- 
macht, dz wer unlust oder zanck anfinge, soll ein viertel wein zu straff geben 44 . Steuber 
an Dietorich, 1618 (Cgm. 1259, Bl. 225): Faber „ist grob in moribus über tisch, wird 
alßdann gestrafft 44 . Cgm. 1256, Bl. 324, ist das „Tischrecht und andere Satzungen 44 
erwähnt. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 183 

folgenden Zeiten. Immerhin war die Aufmerksamkeit der Behörde bereits 
rege geworden, aber ihre Verbote bekämpften die. Anfänge dieses Übels mit 
ebensowenig Erfolg, als man es später in seiner vollen Entwicklung lange 
Zeit bekämpfte. Von wo das Pennalwesen auf die Oießener Universität ver- 
pflanzt worden ist, läßt sich schwerlich nachweisen 611 . 

XIX. 

Wie oben ausgeführt, waren noch im Herbste 1605 die Stipendien des 
hessen-darmstädtischen Gebietes der Universität Marburg entzogen worden 612 . 
Da auch der Marburger Stipendiatenephorus, Mentzer, unter den nach Gie- 
ßen übergesiedelten Theologen war, so hatte man hier sofort einen guten Or- 
ganisator des Stipendienwesens der neuen Schule. Die Einrichtung wurde nach 
Marburger Muster 618 durchgeführt, doch in kleinerem Maßstab. Denn gegen- 
über den etwa 60 Marburger Stipendiaten konnte man in Gießen 160fr nur 
28 erhalten, obgleich die Landorte neue Beiträge bewilligt hatten. 

Die Einkünfte der Stipendienkasse oder des Stipendiatenkastens liefen 
in zwei jährlichen Zielen ein, nämlich zu Walpurgis (1. Mai) und zu Martini 
(5. November); sie wurden aus den Kirchenkasten usw. der einzelnen Orte 
bezahlt. Dafür war eine Reihe von Orten berechtigt, einen oder zwei junge 
Leute als Stipendiaten zu präsentieren 614 . 

Während in Marburg der Stipendienkasse ein besonderer Oeconomus sti- 
pendiorum vorstand, besorgte bei den kleineren Gießener Verhältnissen der 
Ephorus auch die Verwaltung. Als Ephoren fungierten in unserem Zeitraum 
Mentzer 1605—1617 und Feurborn 1617—1624. 

Die aufzunehmenden jungen Leute mußten sich verpflichten, die Sti- 
pendiatenordnung zu halten, zu studieren, ohne Erlaubnis nicht von der 
Universität abzugehen, nach beendetem Studium ohne fürstliche Genehmi- 
gung das Land nicht zu verlassen, sondern dem Lande zu dienen. Der 
Vater der Stipendiaten verpflichtete sich, den Sohn zur Einhaltung des Ver- 
sprechens zu bestimmen, andernfalls das gezahlte Stipendium wieder zurück- 
zuerstatten. Man wollte eben für das gezahlte Geld auch den Erfolg sehen 
und genießen, brauchbare Leute zum Dienste des Landes und besonders der 
Kirche im Vorrat zu haben. Wurde einem ehemaligen Stipendiaten, wie zum 
Beispiel dem Professor Finck 1616, der Wegzug aus Hessen erlaubt, so ge- 



611 Vgl. Vortr., 82 f. Die Ulmer Stipendiaten scheinen besonders starke Vertreter 
des Pennalwesens gewesen zu sein. Steuber an Dieterich, 1618 Sept. 7 (Cgm. 1259, Bl. 233): 
„Ewre uns zugeschickte magistri seind sehr muthwillig, pennalisiren, werfen, schel- 
ten und schimpfiren den Ulrichen Schrnid zu höchsten, will sie anitzo bey unserni rec- 
tore verklagen solches muthwillens halben, solten sich als studiosi theologiae beßer zu 
halten wißen; alle ehrliche studiosi verdencken sie es". 

"* Vgl. oben S. 34 und MOGV X, 5 ff. 

513 D. h. entsprechend der Stipendiatenordnung von 1560, Hildebrand, 63 ff. 

514 Zusammenstellung der Beiträge der verschiedenen Orte und der zu präsentieren- 
den Stipendiaten MOGV X, 62. 



184 Zweiter Abschnitt. 

schah dies nur nach einem schriftlichen Versprechen, sich auf Erfordern dem 
Dienste seines Landes wieder zur Verfügung zu stellen 516 . Die Aufnahme als 
Stipendiat erfolgte nach einem Examen, das über die Vorkenntnisse und Be- 
gabung Gewißheit schaffen sollte, damit man nicht das Stipendium an einen 
Ungeeigneten verschwendete. 

Die Stipendiaten zerfallen in Gießen wie in Marburg in zwei Klassen: 
minores und majores. Jeder Stipendiat tritt als minor ein und kann in dieser 
Klasse sieben Jahre bleiben; die minores sind teils Schüler des Pädagogs, 
teils Studenten der Philosophie, zum Teil bereits Magister, die Theologie 
studieren. Nach Ablauf dieser Studienzeit können die minores als Schul- 
meister, auch wohl als Pfarrer auf dem Lande verwendet werden. Denn nur 
die Fähigsten und Tüchtigsten von ihnen werden zu majores befördert und 
können in dieser Stellung fünf weitere Jahre auf der Hochschule bleiben; 
ihre Ausbildung befähigt sie dann zu höheren Stellungen, etwa als Pro- 
fessor, Hof prediger, Pfarrer in größeren Städten usw. 516 . Die majores, die 
natürlich alle schon magistri sind, haben während dieses höheren Kurses 
bereits Dienst zu tun, und zwar als Privatlehrer der minores. Letztere sind 
unter die majores verteilt und haben bei ihrem major täglich eine Stunde Pri- 
vatunterricht zu nehmen; die majores können wir so als eine Art Privat- 
dozenten ex officio betrachten 517 . Sie erhielten für diese Tätigkeit aus der 
Stipendienkasse ein Schulgeld (didactrum). Daneben mußten sie natürlich ihr 
(theologisches) Studium weiter führen, sollten disputieren, sich im Predigen 
üben, auch im lateinischen Vortrag usw. 518 . Morgens und abends fanden Ge- 
betsstunden der Stipendiaten statt, und wir hören auch von Musikübungen 61 ». 

Die Aufsicht über Betragen, Fleiß und Fortschritte aller Stipendiaten 
führte der Ephorus. Um den Studiengang der einzelnen kontrollieren zu 
können, sollten jährlich zwei Examina stattfinden. Diese Bestimmung wurde 
allerdings in unserem Zeitraum fast nie eingehalten, weil der Ephorus als 
Leiter der Übungen (Disputationen, Predigten usw.) der Stipendiaten völlig 
über deren Leistungen unterrichtet war; außerdem unterzog sich in jedem 
Jahr ein Teil der Stipendiaten der Bakkalaureats- oder Magistralprüfung, wo- 
durch eine weitere unnötig wurde 520 . 



515 Cgm. 1259, Bl. 203. 

516 Bei Vakanzen griff man dann zuerst nach solchen majores. Joh. Dieterich an 
seinen Bruder Konrad, 1618 Aug. 18 (Cgm. 1257, Bl. 228): Es wird eine geeignete Person 
für eine Hof predigerstelle gesucht; „so ist majoratus zu Gießen itzt auch so schlecht be- 
stellt, daß allda gleichfalß kein idoneus". 

517 Das heutige Institut der Repetenten bei der theologischen Fakultät ist eine 
zeitgemäße Wiederherstellung des alten Majorats. (Freundl. Mitteilung von Herrn Geh. 
Kirchenrat Prof. D. Stade.) 

«« Vgl. Hüdebrand, 67, und MOGV X, 63. 

519 „Bey der rechnung zu erinnern de ao. 1618 4 ', von Feurborns Hand, 1619 Mai 7 
(StAD, Univ. 6). 

520 Stipendienrechnung 1607 (UAG, Adm. Stip.): „Sintemal der ephorus vor sich 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 185 

Die Zahl der minores betrug während unserer Zeit stets 22 bis 24, 
die der majores 3 oder 4. Unter den letzteren fand sich einigemal neben 
den Theologen ein Mediziner. Dagegen kam die Absicht des Landgrafen, 
nach Marburger Muster auch einen Juristen unter den majores zu haben, 
um ihn „uff zutragende feile endtweder bey der universitet oder unserer 
cantzley nutzlichen zue gebrauchen" 5 * 1 , damals noch nicht zur Durchführung. 
Bei den majores als der Auslese der Begabtesten sparte man dann auch keine 
Kosten für die Ausbildung und schickte manche auf fremde Universitäten, 
die Mediziner mehrfach selbst nach Italien 5 ". 

Es scheint, daß die Beiträge zum Stipendiaten kästen reichlicher flös- 
sen, als man anfangs erwartet hatte, und so waren dann in jedem Jahre 
beträchtliche Oberschüsse in der Kasse. Die Universität beantragte da- 
her 1613 Erhöhung der Stipendiatenzahl, aber der Landgraf lehnte diesen 
Wunsch ab" 5 . 

Die einzelnen Stipendien waren, auch für die damalige Zeit, sehr 
niedrig. Jeder stipendiarius major bezog 40 Gulden, dazu noch etwaige 
Lehrgelder, der minor nur 25 Gulden. Dazu kam noch freie Wohnung im 
Kollegiengebäude. Ein Stipendiatentisch ist in dieser Zeit noch nicht vor- 
handen. 

Es leuchtet ein, daß es nicht möglich war, mit jährlich 25 Gulden und 
freier Wohnung auszukommen, besonders bei dem fallenden Münzwert der 
damaligen Zeit. Die kärglichen Stipendien erschienen denn auch bald den 
Professoren zu gering. Schon bei der Rechnungslegung 1612 wurde der Vor- 
schlag gemacht, da die „Canonicate" bei den teuren Zeiten nicht ausreichten, 
den majores 10, den minores 5 Gulden jährlich zuzulegen, aber der Land- 
graf ging nicht darauf ein, da er fürchtete, eine solche Zulage sei später in 
besseren Zeiten nicht wieder rückgängig zu machen 52 *. Erst 1618 gelang 
es Mentzer, nachdem der Münzwert immer mehr gefallen und der Preis der 
Bedarfsgegenstände gestiegen war, es durchzusetzen, daß den minores statt 
25 Gulden, „qui sustentandae vitae jam per annum sufficere studioso non 
possunt" 525 , 30 Gulden jährlich gezahlt wurden. — Auch mit der freien Woh- 
nung im Kolleg hatte es seine Anstände. 1619 finden wir, daß die meisten Sti- 



allein beneben denen majoribus repetitiones und disputationes mit denen stipendiariis 
gehalten und keine publica examina anges teilet, alldieweil der mehrertheil deren stipen- 
diariorum entweder primam oder secundam lauream assumiret, darzu ihnen die hand ge- 
reicht und also keines besondern examinis ordinarii von denen professoribus mit ihnen von 
nöthen gewesen 1 '. 1621 wurden jedoch die regelmäßigen Prüfungen gehalten (Stip.-Rechn. 
1621). 

521 Landgraf Ludwig an Univ. G., 161 4 Juni 24, Or. UAG, Adm. Rechn.-Abschl. 

528 Stipendienrechnungen. Einen Theologen sandte man nach Straßburg und Wit- 
tenberg. 

525 Rechnungsabschl. und fürstliche Erklärung von 161 3 (UAG, Adm.). 

524 Desgl. 161 2 (ebd.). 

5 * 5 Mentzer an Terhell, 161 8 Juni, Or. St AD, Univ. 6. 



x86 Zweiter Abschnitt. 

pendiaten „wegen beschwerlicher erwärmung der losamenter uf dem col- 
legio" und anderer Unbequemlichkeiten nicht in den ihnen angewiesenen 
Zimmern, sondern in Bürgerhäusern wohnten, wodurch die Zusammenkunft 
zur Betstunde erschwert wurde 526 . Die Stipendiatenwohnungen waren dem- 
nach so minderwertig, daß die Inhaber sich lieber anderswo einmieteten, als 
ihre freie Wohnung bezogen. 

Man kann also im ganzen nicht sagen, daß die Fürsorge für die 
Stipendiaten in Gießen während dieses Zeitraums sehr weit gegangen sei. 

XX. 

Die Finanzverwaltung der Universität hat erst im Laufe unserer Pe- 
riode eine feste, dauernde Form angenommen. Wie bekannt, wurde durch 
den Beschluß des Partikularkommunikationstages zu Gießen am 25. Septem- 
ber 1605 der auf hessen-darmstädtischem Gebiete liegende Teil der marbur- 
gischen Universitätsgüter und Universitätsgefälle, die sogenannten „Vogteien" 
Gießen, Grünberg und Alsfeld M7 , der Universität entzogen und dem in Gie- 
ßen zu gründenden Gymnasium überwiesen, während gleichzeitig eine vier- 
jährige Steuer zugunsten der neuen Schule bewilligt wurde 618 . Anfangs wur- 
den jedoch die Einkünfte aus den Vogteien der neuen Universität noch vor- 
enthalten, wahrscheinlich, weil die Regierung es vermeiden wollte, daß die 
Hochschule in den Rechtsstreit um diese Güter hineingezogen würde 6 *. Erst 
1609 beginnen die direkten Lieferungen aus den Vogteien an die Universität. 
Vorher hatte sie, abgesehen von dem kleinen Beitrag der Stadt Gießen (150 fl.), 
ihren Geldbedarf aus der fürstlichen Rentkammer bezogen. Aber auch 
nach 1609 reichten die Vogteierträgnisse bei weitem nicht aus, um die Bedürf- 
nisse der Universität zu decken, und so mußte die Rentkammer auch weiter- 
hin einige tausend Gulden jährlich zuschießen, einen Betrag, der den aus 
den Vogteien einlaufenden Geldbetrag überstieg, doch kamen hier ja noch die 
Naturalien hinzu. Der Landgraf beabsichtigte nun, die Universität finan- 
ziell auf eigene Füße zu stellen, und er beschloß, dies durch Oberweisung 
eines Kapitals zu tun. Die Stiftung, datiert vom 2. Januar 1615, bestand in 
zwei Obligationen des Grafen von Leiningen-Westerburg aus dem Jahre 
1593 über 40000 Gulden und 9000 spanische Taler, zusammen rund 60000 



516 Visitationsabsch. 1619 (UAG, Adm. Rechnungsabsch.). Über gleiche Verhält- 
nisse in Wittenberg vgl. Tholuck I, 222. 

627 Die Güter und Einkünfte stammten meist aus dem Besitz des Antoniterhauses 
zu Grünberg, des Augustinerklosters zu Alsfeld, des Schwesternhauses der Augustine- 
rinnen zu Grünberg und Wirberg, ferner der Abtei Haina und des Marburger Kugcl- 
hauses. 

"» Vgl. MOGV X (1901), 47 ^. u. oben S. 34. 

529 Am 20. Juli 1609 bittet die Universität um Überlassung der Vogteien, da der 
Prozeß vor dem Schiedsrichter anhängig sei und man sich daher keiner rei vindicatio 
von Seiten der Marburger zu verschen habe (StAD, Univ. 3). 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 187 

Gulden 6 * , deren Zinsen die Universität von jetzt ab jährlich erhob. Von 1615 
ab konnte die Universität mit den Erträgnissen der Vogteien, den Zinsen 
dieses Kapitals sowie einiger Stiftungen 681 auskommen, ohne daß ein Zu- 
schuß von der Rentkammer nötig war. 

Mit dieser „Constitutio corporis academici" sollte gleichzeitig eine Rege- 
lung der Finanzverwaltung eintreten. Bis zur Übernahme der Vogteien hatte 
der unermüdliche Mentzer auch das Rechnungswesen allein geführt. Seitdem 
war ein besonderer Beamter, der Oeconomus, hierfür angestellt, der von den 
Vögten als seinen Unterbeamten in den Vogteien die Zahlungen und Liefe- 
rungen empfing und die Ausgaben der Universität erledigte. Jährlich fand 
eine Prüfung der Rechnung durch eine fürstliche „Rechnungsabhor"- Kom- 
mission statt. 

Jetzt aber, nachdem dem Oeconomus durch die Übernahme der Kapi- 
talien eine erhöhte Verantwortlichkeit zugefallen war, wurde er nicht nur eid- 
lich neu verpflichtet, sondern der Landgraf wollte auch eine ständige Uni- 
versitätskommission eingesetzt wissen zur Überwachung des Finanzwesens. 
Die Kommission, die Urform der heutigen Administrationskommission, sollte 
sich zusammensetzen aus Rektor, Kanzler, Oeconomus und je einem stän- 
digen Vertreter aus jeder Fakultät. Doch sollte in Sachen, die „einer Im- 
portanz" wären, der ganze Senat zu beschließen haben 632 . Gegenüber 
diesem schwerfälligen Apparat verhielt sich die Universität ablehnend; sie 
meinte, es genüge, wenn Rektor, Kanzler, Syndikus und Ökonom, deren Amt 
es ohnehin mit sich bringe, die Verwaltung zu beaufsichtigen, die Kommis- 
sion bildeten 633 . Hierbei ist es auch geblieben, da der Landgraf hierauf den 
früheren Vorschlag fallen ließ 634 . 

XXI. 
Von dem Beamtenapparat, den die Universität besaß, sind nun noch 
einige Personen übrig, deren Stellung einer kurzen Betrachtung bedarf. Es sind 
dies die Pedellen und der akademische Notar. Dabei mögen auch gleich die von 
der Universität abhängigen, ihr eidlich verbundenen 636 Beisassen berück- 
sichtigt werden : Apotheker, Buchdrucker und Buchbinder. 

580 Abschrift der Verschreibungen und des Stiftungsbriefs StAD, Univ. 3. Vgl. 
auch Rechnungsabhörakten 161 2 ff. 

631 Neben kleineren Stiftungen sind zu nennen: Stiftung des Oberamtmanns Hans 
Phil. v. Buseck gnt. Münch 500 fl. ; ebensoviel von Agnes Schutzbar gnt. Milchling, geb. 
v. Weiblingen (vgl. Catal. stud. Marp. ed. Caesar IV, 84); Kammermeister Phil. Chelius 
200 fl.; Agnes u. Elis. v. Linsingen 120 fl. (200?). Die Stiftungen von Agnes Schutzbar 
und den Linsingen waren zum Unterhalt armer Studenten bestimmt (UAG, Adm. Stip. : 
Tisch-Legate). 

632 Nebenmemorial v. 161 6 Mai 21, Or. UAG, Adm. Rechnungsabschl. 

633 Rektor und drei Prof. an Landgraf Ludwig, 161 6 Aug. 2, Or. StAD, Univ. 5. 

634 Erklärung des Landgrafen, 161 7 Juli 30, Or. UAG, a. a. O. 

636 Winckelmann an Buseck, 1606 Apr. 18, Or. StAD, Univ. 2. Entwürfe der Eid- 
formeln StAD, Kirche 11. Apothekereid UAG, Lib. decan. med. I, Bl. 21 f. 



188 Zweiter Abschnitt 

Die Pedellen 686 scheiden sich in pedelli (auch nomenclatores, ministri) 
publici, die im Dienste der Universität stehen, und pedelli classici, deren 
Funktion sich auf das akademische Pädagog erstreckt. 

Die pedelli publici, in der Regfei zwei, waren Exekutivbeamte und Bo- 
ten des Rektors. Täglich hatten sie sich bei ihm einzustellen, um seine Auf- 
träge entgegenzunehmen. So hatten sie Senatssitzungen anzusagen, Studen- 
ten vor den Rektor zu zitieren, andere zur Immatrikulation zu mahnen und der- 
gleichen. Hierher gehört auch ihre Tätigkeit als akademische Polizeibeamte. Sie 
konnten Studenten verhaften, waren bei Haussuchungen in akademischen 
Häusern (die der ordentlichen Polizeigewalt entzogen waren) tätig usw. Da- 
neben sollten sie auch dem Ephorus und den Dekanen zu Diensten stehen. 
Beim Beginn der Vorlesungen hatten sie die Glocke zu läuten ; sie waren auch 
Hausverwalter des Kollegiengebäudes, hatten für rechtzeitige Schließung und 
Öffnung der Türen zu sorgen und erhielten dafür freie Wohnung im Kol- 
leg. Ihre sonstigen Pflichten faßt das Statut in die vielsagenden Worte 
zusammen : „Omnium item diligentissimam inspectionem et custodiam habe- 
bunt". Wenn hierbei auch in erster Linie an das Inventar des Gebäudes ge- 
dacht ist, so hatten die Pedellen doch auch sonstige Geschäfte in Menge. 
Sie scheinen namentlich auch zu schriftlichen Arbeiten im Dienste des 
Rektors gebraucht worden zu sein. Besonders mühsam war es ferner, 
den Studenten schnell etwas bekannt zu geben ; die Pedellen wurden dann 
an die einzelnen Tischgenossenschaften geschickt. Auch auf das Betragen 
der Studenten sollten sie ein wachsames Auge haben. Bei festlichen 
Aufzügen trugen sie dem Rektor die akademischen Szepter voraus. Bei 
den Promotionen hatte ein Pedell oder der Notar den Kandidaten den Eid 
vorzulesen und das Gelöbnis abzunehmen. Wie wir gesehen haben, sollten 
die Pedellen auch den Fleiß der Professoren kontrollieren, indem sie ein 
Register der versäumten Vorlesungsstunden führten. Ferner haben wir auch 
gehört, daß die Deposition der jungen Studenten durch einen Pedellen voll- 
zogen wurde 587 . 

Die Tätigkeit der pedelli classici war untergeordneter Natur. Sie sollten 
die Befehle des Pädagogiarchen ausführen, wie die pedelli publici die des 
Rektors. Ihr Hauptgeschäft bestand jedoch in der Instandhaltung der Klas- 
senräume, deren Heizung usw. Sie sind hiernach unseren heutigen Schul- 
dienern zu vergleichen. 

Bemerkt muß hier werden, daß wahrscheinlich alle Pedellen, sicher 
jedoch die ministri publici, Studenten waren, und zwar meistens ältere, die 



536 Vgl. Wasserschicben, 23 f. 

537 D a ß i n Gießen von Anfang an ein Pedell Depositor war, zeigt das Epigramm 
auf den Pedellen Kasp. Scharf, der bei der Festpromotion 1607 den Magistergrad er- 
hielt (Finck, Oratio panegyr. I [1608], 42): 

„Tandem etiam, tandem Casparus Scharpfius, apte 
Qui cornuta potest monstra dolare, venit" usw. 



Die Universität Gießen bis zu ihrer Suspension im Jahre 1624. 189 

bereits den Magistergrad besaßen. Es waren arme Studenten, die auf einen 
Nebenverdienst angewiesen waren. Sie hörten neben den Pedellenge- 
schäften Vorlesungen und studierten, wenn sie dafür Zeit fanden, um bei 
Gelegenheit eine Pfarre zu erlangen 688 . Ihre Einkünfte bestanden in einem 
Gehalt an Geld (jeder pedellus publicus erhielt anfangs 15, später 20 Gul- 
den, jeder pedellus classicus anfangs 5, später 8 Gulden) und an Naturalien, 
außerdem genossen sie das Recht, in jedem Semester von den Studenten in deren 
Wohnungen („ostiatim") eine Abgabe zu verlangen, deren Höhe jedoch nicht 
normiert war 68 *. Die Rektoratsedikte, die zur Zahlung dieses Geschenkes auf- 
fordern, heben mitunter hervor, daß man es den Pedellen, die im Dienste der 
Universität ihre Studien vernachlässigten, nicht verweigern dürfe 540 . Da- 
neben standen den Pedellen noch Sportein bei Promotionen, Depositio- 
nen usw. zu. 

Weniger wissen wir über die Tätigkeit des Universitätsnotars. Er hatte 
jährlich die akademischen Gesetze zu verlesen, daneben eigentliche notarielle 
Akte, die Aufnahme von Protokollen usw. und wohl auch sonstige Schrei- 
bereien für die Universität zu erledigen. Sein jährliches Einkommen an 
Geld war 10 Gulden, doch kamen hierzu wohl noch Nebenverdienste und 
die Möglichkeit privaten Erwerbs aus notarieller Tätigkeit. 

Der Universitätsapotheker (pharmacopoeus, pharmacopola) stand 
nicht nur unter der Aufsicht der medizinischen Fakultät, die seine Vorräte jährlich 
mindestens einmal revidieren sollte, sondern er mußte sich auch vor der Fa- 
kultät eidlich zur ordnungsmäßigen Führung seines Berufes verpflichten 541 . 
Er mußte jederzeit mit den nötigen unverdorbenen Vorräten wohl versehen 
sein, durfte nicht von der Vorschrift der Rezepte abgehen, keine Gifte oder 
abtreibende Mittel ohne besondere Erlaubnis der medizinischen Professoren 
verkaufen, die Preise nicht willkürlich erhöhen, die Studenten nicht ausschlie- 
ßen, wenn sie einzelne Mittel oder deren Herstellung kennen lernen woll- 
ten usw. 

Die Universitätsdrucker (typographi academici) standen für den mit 
der Druckerei verbundenen Verlag unter besonderer Kontrolle der Universität. 
Die vier Dekane mußten, jeder für das Wissenschaftsgebiet seiner Fakultät, 
die Genehmigung für jede zu druckende Schrift zuvor erteilen. Verboten 
war das Drucken von Schmähschriften (libelli famosi) und von allem, was 



538 Vgl. das Zeugnis für den in voriger Anm. erwähnten Scharf: Joh. Georgii reg. 
ac, nöff. Steuber an Dieterich, 1618 (Cgm. 1259, Bl. 225): „M. Wetzel, Pedell, wird 
jetzt Pfarrherr zu Nieder-Ohmen". 

689 Wenigstens finde ich nirgends eine Angabe. Ehe mit der Einweihung des Kol- 
legs ihnen freie Wohnung gegeben wurde, waren sie schlechter gestellt als ihre Marburger 
Kollegen (Eingabe o. D., UAG, Adm. Stip., Korr. u. Berichte I). 

540 Solche Edikte von 1607 StAD, Univ. 4; von 1609: Joh. Georgii reg. ac, 42, 101. 

641 Lib. decan. med. I, Bl. 13 f., 21 f. 



190 j Zweiter Abschnitt. 

gegen des Reiches Satzung lief*". Die Oberaufsicht über das Druckerei- 
wesen sollte dem Kanzler zustehen 1 * 1 . Wir finden, daß dem Typographus 
academicus (Nicolaus Hampel) ein Jahrgehalt von 10 Oulden gezahlt wurde. 
— Daß auch die Druckerei unter dem allgemeinen wirtschaftlichen Nieder- 
gang der ersten Kriegsjahre leiden mußte, zeigt eine Briefstelle, aus der her- 
vorgeht, daß Schriften nicht erscheinen konnten, weil kein Papier zu be- 
schaffen war***. 



s " Wasserschieben, 24. Hier wird man wohl auch besondere Zensur über die awi 
kalholische Polemik geübt haben, gemäß dem Versprechen von 1607 (MOGV X, 53). 

M > „Vicecancellarii ampt" (1618), StAD, Univ. 6. 

*** Mentier an Dieterich, 1632 Febr. 9 (Cgm. 1358, Bl. 687): „Typographi nostri 
inopia papyri laborant; quae causa est, ut Anti-Crocianae disputationes non excudantur, 
quas jam pridem absolvi". 





Dritter Abschnitt. 

Die Aufhebung der Universität Gießen und die 

Neuordnung der Universität Marburg. 

i. 

Am 22. März (1. April n. St.) 1623 fällte Kaiser Ferdinand in der Marbur- 
ger Sukzessionssache sein Endurteil. Dem Landgrafen Moritz wurde wegen 
seiner Zuwiderhandlung gegen das Testament Ludwigs von Marburg sein 
ganzes Marburger Erbteil abgesprochen und an Landgraf Ludwig von Darm- 
stadt gewiesen; außerdem wurde Moritz schuldig erkannt, alle von Zeit seiner 
Verfehlung gegen die Testamenisbestimtnungen an — also seit Einführung 
der Verbesserungspunkte (1605) — aus diesem Erbteil erhobenen Nutzungen 
und Abgaben an Ludwig herauszuzahlen 1 . 

Mit großer Energie wurde dieser vernichtende Schlag gegen den Kas- 
seler Landgrafen durchgeführt. Alsbald erschienen die „Executoriales" zu 
dem Urteil 8 ; zu Vollziehern des Rechtspruches ernannte der Kaiser die Kur- 
fürsten von Köln (Ferdinand von Bayern) und Sachsen (Johann Georg), 
sprach in einem besonderen Geheißbrief alle Untertanen im Marburgischen 
Oberhessen von ihren Pflichten gegen Landgraf Moritz los und wies sie an 
Landgraf Ludwig 3 . Dieser beeilte sich, die kaiserlichen Erlasse durch den 

1 Das Urteil steht bei Lünig, Reichs-Archiv IX, 819; Londorp, Acta publica II, 
735; Khevenhiller, Annales Ferdinand ei X, 134, usw.; femer (nebst einer großen Anzahl 
weiterer hierher gehöriger Aktc-nsiiicke) in der „Gründlichen, warhafften und vollst endigen 
Erzehlung, wie es umb den . . . Marpurgischen Successiun Slreii bewand . . ." (1643) — 
im folgenden „Erzehlung" zitiert — , S. 108. Den Hergang bei der feierlichen Publikation 
des Urteils hat der Darmstiidter Gesandte am Kaiserhof, Reinkingk. (De regim. saec., ed. V, 
1651, 490) als Augenzeuge beschrieben. Vgl. auch Acta Marpurgensia (1646), 525t. 

1 Erzehlung, 120. — * Lünig IX, 819; Erzehlung, 126. 






192 Dritter Abschnitt. 

Druck zu verbreiten und in den Städten, selbst bis nach Niederhessen hin- 
ein*, öffentlich anschlagen zu lassen. Vergebens protestierte Moritz, der 
geäußert haben soll, er werde nicht alles herausgeben, und solle es ihm gehen 
wie dem Pfalzgrafen 5 , vergebens appellierte er „ad Caesarem melius informan- 
dum" 6 , vergebens wandte sich sein ältester Sohn Wilhelm in seinem und 
seiner fünf Brüder Namen an den Kaiser und die Exekutoren 7 . Nur das 
eine wurde erreicht, daß Kursachsen die Teilnahme an der gewaltsamen 
Exekution gegen das befreundete Fürstenhaus ablehnte und sie Kurköln 
allein überließ 8 . Kaiser Ferdinand aber blieb unerbittlich, er ergriff mit Freu- 
den die Gelegenheit, einen Feind des Hauses Habsburg zu demütigen und 
gleichzeitig seinen Freund Ludwig von Darmstadt noch fester an sich zu 
ketten. Daß dieses Vorgehen, das ganz politischen Zwecken diente, den 
Mantel der Reichsjustiz umhing, konnte und kann über die eigentlichen Be- 
weggründe nicht hinweg täuschen. 

Bald zeigte sich denn auch deutlicher, worauf die kaiserlichen Pläne 
zielten. Tilly, der eben den Administrator von Halberstadt, Christian von 
Braunschweig, bei Stadtlohn im Münsterlande entscheidend geschlagen hatte 
und keinen Feind mehr sich gegenüber sah, benutzte diese günstige Lage, 
um den Landgrafen Moritz, dessen Neutralität ja augenscheinlich nur durch die 
Lage seines Landes bedingt und nichts weniger als zuverlässig war, völlig wehrlos 
zu machen und zugleich die Exekution des kaiserlichen Urteils zu unterstützen. 
Er suchte bei Landgraf Moritz um die Erlaubnis zur Einlagerung einiger 
Regimenter in hessischem Gebiete nach; als dieser zögerte, rückte er auch 
ohne diese Erlaubnis und nicht nur mit einigen Regimentern, sondern 
mit seiner Hauptmacht in Niederhessen ein (Herbst 1623) und benahm sich 
dort wie in Feindesland. Er verteilte dann die Truppen im Lande, und hier- 
bei geriet auch die Hauptstadt Oberhessens, Marburg, in die Hand einer 
seiner Abteilungen unter dem Kommando des Spaniers Avantano»; dieser legte 
am 18. November zunächst zwei Fähnlein Bayern in die Stadt, während die 
hessische Besatzung sich aufs Schloß zurückzog 10 . 

Landgraf Moritz hatte es unterlassen, innerhalb der festgesetzten Zeit 
seine „Parition" dem Urteil gegenüber zu erklären, und so ergingen im No- 
vember die „arctiores executoriales" gegen ihn, das heißt, er wurde bei Strafe 
der Reichsacht zur Parition innerhalb sechs Wochen und drei Tagen auf- 



4 Erzehlung, 10. 

5 Joh. Dieterich an Konr. Dieterich, 1623 Sept. 10 (Cgm. 1257, Bl. 299). 

6 Erzehlung, 122 ff. — 7 A. a. O., i66ff. 

8 Häberlins Reichsgeschichte, fortgesetzt von Senkenberg (im folgenden zitiert „Sen- 
kenberg") XXV, 324; Catal. Studios. Marpurg. ed. Caesar IV, 159. 

9 Der Marburger Rektor Crocius berichtet über das Kriegsvolk : „erat mixtum homi- 
num genus, Itali, Galli, Walones, Poloni, Bohemi, Ungari, Turcae, Tartari, Croatae 44 (CataL 
stud. IV, 155). 

10 Catal. stud. IV, 155; Rommel, VII, 561 ff. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 193 

gefordert 11 . Der Landgraf verschob diese Erklärung nochmals, in der Hoff- 
nung, daß sich befreundete Fürsten seiner annehmen würden 12 — er reiste 
zu diesem Zwecke an verschiedene norddeutsche Höfe — , bequemte sich 
aber schließlich doch dazu, die geforderte Erklärung seiner Fügsamkeit ab- 
zugeben 13 . Während nun der Landgraf, noch immer außer Landes, hoffte, 
daß nunmehr, da er sein Entgegenkommen gezeigt hatte, die Sache durch 
gütliche Verhandlung zu Ende geführt werden könne, und hiermit seine Ge- 
mahlin und seinen ältesten Sohn beauftragte 14 , ging die Exekution, obgleich 
sich Sachsen davon gänzlich ausschloß 15 , durch kölnische Subdelegierte ihren 
Gang 16 . 

Nachdem am 11. März 1624 eine Anzahl hessen-darmstädtischer Be- 
amter eingetroffen war und unter dem Schutz der Tillyschen Völker die 
Vorräte in Beschlag genommen hatte, rückte am 14. der Feldzeugmeister Levin 
v. Mortaigne mit Reiterei in die Stadt, um die hessen-kasselische Besatzung 
des Schlosses, gestützt auf die in der Gegend verteilten kaiserlich-ligistischen 
Truppen, zum Abzüge zu nötigen. Am Vormittag des 16. März zog denn 
auch die Besatzung ab und wurde nach Ziegenhain geleitet 17 . Der 17. März 
war für die offizielle Besitzergreifung bestimmt; die kurkölnischen Delegier- 
ten, zwei adlige und zwei gelehrte Räte des Kurfürsten, die samt den Darm- 
städter Regierungsvertretern am 14. März in Marburg angelangt waren, for- 
derten die kasselischen Regierungsbeamten auf die Kanzlei und nötigten sie 
unter Vorlegung der kaiserlichen Vollmachten zur Einstellung ihrer Amts- 
tätigkeit, worauf die Darmstädter die Kanzlei in Besitz nahmen. Nun 
kam die Universität an die Reihe. 

Die Universität Marburg 18 befand sich in jener Zeit in einem Zustand 

11 Erzehlung, 180. — ** A. a. O., 14. 

13 Am 1. März 1624, a. a. O., 1851". 

14 A. a. O., 15; die Vollmachten, 205, 206; vgl. Catal. stud. IV, 162. 

15 Kurköln an Landgraf Moritz, 1624 März 18/28, Erzehlung, 194. Daß Kursachsen 
mit Landgraf Moritz trotz der Religionsverschiedenheit freundschaftliche Beziehungen un- 
terhielt, zeigt Caraffas Relation, Archiv f. österr. Gesch. XXIII (1860), 387. 

16 Über die Vorgänge bei der Exekution in Marburg, bes. betreffs der Universität, sind 
wir gut unterrichtet. Vgl. (neben Hartmann, Hist. Hass. II, 364 ff., Senkenberg XXV, 
386 ff., Rommel VI, 2 19 ff.) folgende zeitgenössische Darstellungen: Von Darmstädter 
Seite: „Extract prothocolli executionis die Marpurgische Universität betr." (StAD, Univ. 8, 
I, unter den Belegen zur Species facti); Catal. stud. IV, 166 f.; Statuta acad. Marp. 
1629, tit. 7 (Hdschr. d. Univ.-Bibl. Gießen); Landgraf Ludwig an Landgraf Philipp, 
1624 März 19 (Kzt. StAD, Marb. Succ, 37); Bachmann u. Joh. Dieterich an K. Dieterich 
(Cgm. 1257, Bl. 112, 305). Von Kasseler Seite: Catal. stud. IV, 1 59 ff. ; Tagebuchaus- 
züge, hsg. v. Schmitt, ZfhG IV (1847), 195 ff.; auf diesen Aufzeichnungen scheint die amt- 
liche Darstellung der „Erzehlung", 16 — 27, zu beruhen; endlich Annales acad. Cassel. 
(hsg. v. Falckenheiner, ZfhG, N. F., XVIII [1893], 198 f.). 

17 Bericht von Dan. Moterer an Anton Wolff, Syndikus von Straßburg, 1624 
März 23. Or. StAD, Korr. Ant. Wolffs v. Todenwarth. 

18 Eine Abbildung der Universitätsstadt aus dem Jahre 1623 geben wir an der Spitze 
dieses Abschnittes. 

Die Univcrsitlt Gießen Ton 1607 bis 1907. I. 13 



194 Dritter Abschnitt. 

des Verfalls, der durch die Kriegswirren veranlaßt war. Die Frequenz hatte 
in den letzten Jahren reißend abgenommen: Während im Jahre 1620 noch 108 
Studierende neu immatrikuliert worden waren, meldeten sich 1623 nur noch 
36, 1624 bis zur Besitznahme der Stadt durch die Darmstädter nur noch 
7 19 . Immerhin wurden die Vorlesungen 1623 auch nach der kaiser- 
lichen Einlagerung nicht abgebrochen, sondern „in medio armorum strepitii" 
fortgesetzt. Aber es war klar, daß an eine Aufrechterhaltung der akademi- 
schen Tätigkeit bei der Fortdauer des Kriegswesens in Marburg nicht ge- 
dacht werden konnte, wegen des Mangels an Hörern und wegen der mißlichen 
ökonomischen Lage der Hochschule 20 . In dieser Lage traf die Professoren der 
gemessene Befehl der kölnischen Delegierten, sich am 17. März auf der Kanzlei 
einzufinden. Ähnlich wie den Kasseler Beamten wurden ihnen das kaiserliche 
Urteil und die Exekutorialen vorgehalten und ihnen mitgeteilt, daß alle Stände 
des Oberfürstentums, soviel von der Marburger Erbschaft herrührend, ihrer vori- 
gen Eide und Pflichten entlassen und an Landgraf Ludwig gewiesen werden soll- 
ten. Die Kölner entbanden hiernach die Professoren ihrer Verpflichtungen für 
Landgraf Moritz, soweit sie von Landgraf Ludwig dem Altern her- 
rührten, und wiesen sie für diesen Teil an Ludwig von Darmstadt als den 
alleinigen Erben des Marburger Ludwig. Hiermit sollte also wiederum, wie 
vor Ludwig des Älteren Tode, die Verpflichtung der Universität für zwei hes- 
sische Fürsten Tatsache werden, nur daß neben Moritz an Stelle des Marbur- 
gers der Darmstädter trat. 

Einst im Jahre 1604 hatten die Professoren einhellig gegen die An- 
sprüche der Darmstädter Landgrafen protestiert 21 ; diesmal aber siegte die 
kaiserliche Autorität über ihre Bedenken. Nach einiger Beratung antwor- 
teten sie durch den Mund des Universitätsvizekanzlers Vultejus: Sie seien 
verpflichtet, sich dem kaiserlichen Spruch zu unterwerfen. Nach dieser Er- 
klärung ließen die Kölner die im Nebenraum wartenden Darmstädter Be- 
vollmächtigten rufen und teilten ihnen die Äußerung der Universität mit. 
Nun trat der Darmstädter Vizekanzler Terhell vor und gab im Namen seines 
Landesherrn die Erklärung ab: Landgraf Ludwig beabsichtige, bei der Über- 
nahme der Universitätsverwaltung unter den anwesenden Vertretern der Uni- 



19 Catal. stud. IV, 154: „Non potuit se recolligere academia ob belli furorem. Vix 
pauculi qui venerum, commode hie vixerunt". 

20 Hierauf weist Mentzer im Carmen panegyr., Anhang zum „Ehrengedächtnis 
Landgraf Ludwigs" (1626), 50, hin: 

„Vix academiae quaedam tunc umbra superstes 

Manserat, exhaustae cistae, vacua omnia, doctis 

Persolvebantur stipendia rara ministris". 
Dagegen wendet sich Crocius im Mausoleum Mauritianum (1635), 23. Noch im 
Dezember 1624 charakterisiert der Vater eines Studenten die Lage: „Marpurg ist wegen 
pest und krieg unsicher, auch wegen mangel studiosorum untuglich". Chr. Dieterich an 
Hoe v. Hoenegg (Or. Univ.-Bibl. Gießen, Hdschr. 115, Bl. 480). 

21 S. oben S. 18. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 195 

• 

versität einen Unterschied zu machen; er könne nur diejenigen als recht- 
mäßig ernannte Professoren anerkennen, die noch vor dem Tode Ludwigs 
des Älteren, also von beiden Landgrafen von Kassel und Marburg gemeinsam 
ernannt seien. Alle vom Landgrafen Moritz allein eingesetzten Lehrer da- 
gegen habe er niemals als Professoren anerkannt, und ihnen lasse er befeh- 
len, sich fernerhin aller Amtstätigkeit zu enthalten. Die im Dienst verbleiben- 
den Professoren sollten alle Wertgegenstände und Urkunden der Universität 
in Verwahrung nehmen, damit über ihren Verbleib den beiden Landgrafen 
Moritz und Ludwig Rechenschaft gegeben werden könne. — 

Im Namen der hiermit entlassenen Professoren erklärte sodann nach kur- 
zer Besprechung der bisherige Rektor Crocius, Professor der Theologie: Sie 
seien gegenwärtig nicht in der Lage, das alleinige Recht der Kasseler Linie auf 
die Universität ausführlich zu deduzieren, zumal ihnen nicht wie den alten 
Professoren der Zustand vor 1604 aus eigener Erfahrung bekannt sei; sie 
müßten Gott befehlen, was nicht zu ändern sei, und wollten nur ihrem Für- 
sten Moritz an seinen Rechten nichts vergeben haben. 

Damit schloß der denkwürdige Akt, der die völlige Veränderung des 
Charakters der Universität Marburg, die zweite innerhalb zweier Jahrzehnte, 
einleitete. 

Landgraf Ludwig hat in der Universitätsfrage seinen Standpunkt mit un- 
erbittlicher Konsequenz festgehalten : daß mit der Marburger Erbschaft auch 
die Mitverwaltung der Universität an ihn falle; auf diesen Standpunkt hatten 
sich auch die Vertreter des kaiserlichen Exekutors, des Kurfürsten von Köln, 
gestellt, indem sie — ohne daß der Universität im kaiserlichen Urteil beson- 
ders gedacht war — die Universitätsmitbestellung als einen Teil der Marbur- 
ger Erbschaft auffaßten. Es wäre ja auch ein Unding gewesen, den Erben 
des ganzen Marburger Fürstentums, den Nachfolger Ludwigs des Älteren in 
allen übrigen Rechten, von der Verwaltung der in seiner Hauptstadt gelege- 
nen Universität ausschließen zu wollen. Indem dann Landgraf Ludwig die 
von seinem Vetter allein angestellten Professoren entließ, vertrat er die An- 
schauung, daß in Marburg nach Ludwigs des Älteren Tode ohne seine, Lud- 
wigs des Jüngeren, Zustimmung keine Professoren angestellt werden durften. 

Bei den Professoren wird in erster Linie die kaiserliche Autorität ihre 
fügsame Haltung bestimmt haben. Eine Weigerung wäre freilich auch aus- 
sichtslos gewesen. Bei Landgraf Moritz war keine Unterstützung zu hoffen ; 
der suchte selbst vergeblich bei befreundeten Höfen um Hülfe nach, während 
der Feind fast sein ganzes Land in Besitz hatte und die Ritterschaft von offe- 
ner Rebellion gegen den Landesherrn nicht weit entfernt war 22 . 

Die Entlassung betraf naturgemäß den größten Teil der Professoren, 
nämlich die Theologen Crocius und Cruciger, den Juristen Matthäus, den Me- 
diziner Joh. Molther und aus der philosophischen Fakultät Combach, den 



22 Vgl. Rommel VII, 570, 578 ff. 

«5* 



196 Dritter Abschnitt. 

• 

jüngeren Schönfeld, Chr. Sturm und Catharinus Dulcis. Dagegen blieben im 
Amte, weil vor 1604 angestellt: die Juristen Vultejus und Qöddäus, der Medi- 
ziner Braun, die Philosophen Qoclenius und Vietor 28 . 

Wir bemerken, daß Landgraf Ludwig von Darmstadt ebenso extrem han- 
delt wie 1605 sein Vetter Moritz. Aber bei näherem Zusehen findet sich doch ein 
Unterschied. Hatte man 1605 alle vertrieben, deren religiöse Ansichten nicht 
mit denen des Landgrafen im Einklang standen, so wurden 1624 diejenigen bei- 
behalten, die nach Ludwigs Auffassung ordnungsgemäß angestellt waren, 
ohne Rücksicht auf die religiöse Oberzeugung. 1605 gab das reli- 
giöse, 1624 das politische Prinzip deh Ausschlag. Gerade unter den 1624 
an der Marburger Universität Belassenen fanden sich entschiedene Calvinisten, 
wie Oöddäus, Ooclenius, Vietor. Freilich kann wohl nicht geleugnet werden, 
daß Landgraf Ludwig lieber alle Nichtlutheraner „abgeschafft 4 ' hätte, aber er 
hütete sich, denselben Fehler wie sein Vetter zu begehen, nämlich recht- 
mäßig angestellte Professoren zu beseitigen. 

Die Entlassenen, die vorerst in Marburg blieben, wurden übrigens von 
Landgraf Ludwig durch Geschenke von goldenen Ketten mit dem fürstlichen 
Brustbild und von Bechern geehrt, wie es bei der Entlassung verdienter Pro- 
fessoren üblich war. Schönfeld erhielt sogar ein Haus zum Geschenk 14 . Die 
Dienstwohnungen mußten natürlich geräumt werden, und dabei kam es 
durch die Widersetzlichkeit Crucigers zu der unerfreulichen Maßregel, daß ihm 
die Möbel mit Gewalt auf die Straße gesetzt wurden, als sein Nachfolger Men- 
tzer in die Ephoratswohnung einziehen wollte 25 . Als man von den Entlasse- 
nen eine vorläufige Huldigung für den neuen Landesherrn verlangte, hatten 
sie nur gegen die Unterwerfung unter die gewöhnliche Obrigkeit etwas ein- 
zuwenden 26 ; alle scheinen zunächst in Marburg geblieben zu sein, nur der 
gewesene Rektor Crocius floh als Soldat verkleidet nach Kassel* 7 . — 

In eine peinliche Lage gerieten durch die darmstädtische Okkupation der 
Universität manche der alten Professoren wie Vultejus und Göddäus, die 
neben dem Universitätsdienst noch als Hofgerichts- und Konsistorialbeisitzer 



25 Der Physiker Pincier starb in jenen Tagen (Ann. CasseL, ZfhG, N. F. XVIII, 199). 
Der Theologe Kaspar Sturm (f 1625) scheint vorher die Universität verlassen zu haben. 

24 Steuber an Dieterich, 1624 April 10 (Cgm. 1259, Bl. 291): „D. Crocius ist mit 
einer gülden ketten und brustbild, wie auch Angelocrator und ein jeder caplan mit 
20 span. thlr. ab ill mo post dimissionem verehrt worden, D. Schonfeldio ist dz hauß ver- 
ehret*'. Vgl. Cgm. 1257, Bl. 309. Feurborn an Tileman, 1646 April 8 (Or. UAG, 
S. I, 2). 

26 Erzehlung, 23. Crucigers Haß gegen die Lutheraner zeigte sich hierbei beson- 
ders: „Er hat auch sein gesindte kühe und ziegen in dem gärtlein zur ephoria gehörig 
weiden lassen, damit was darin gepflanzt, verderbet werde und den Lutheranern nicht 
zu nutz kommen müsse", schreibt Mentzer am 27. Mai 1625 (St AD, Univ. 7). 

26 Erzehlung, 23 f. 

27 Steuber an Dieterich, 1624 Juni 4 (Cgm. 1259, Bl. 292). 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 197 

in Landgraf Moritzens Diensten standen, und auf sie entlud sich auch, wie 
wir sehen werden, der Zorn des Landgrafen in erster Linie. 

Vor allem berichteten die bisherigen Mitglieder der Universität über die 
Vorgänge dieser Tage nach Kassel und verlangten Verhaltungsmaßregeln, 
aber sie blieben ohne Antwort; die dortigen Räte wußten wohl selbst kei- 
nen Rät. Inzwischen drängte Landgraf Ludwig, der am 18. März persönlich 
in der Hauptstadt seines Oberfürstentums angekommen war, auf die Leistung 
des Huldigungseides für ihn als Landesherrn und Mitinhaber der Universität. 
Er ließ sich die alten Eidesformeln aus der Zeit vor 1604 vorlegen und da- 
nach eine Formel ausarbeiten, des Inhalts, daß die Professoren ihm zu all' 
dem Recht, das Ludwig der Ältere an der Universität hatte, und das durch 
kaiserliches Urteil auf ihn übergegangen sei, getreu sein wollten 28 . Nach 
einigem Zögern, währenddessen die Professoren vergebens auf Antwort und 
Weisung vom Landgrafen Moritz warteten, erklärten sie sich zu dem gefor- 
derten Schwur bereit — die Darmstädter versicherten ja, daß dem Landgrafen 
von Kassel seine Rechte gewahrt bleiben sollten — , und sie leisteten ihn 
auch wirklich. 

Mit dem Akt der Entlassung hatte Landgraf Ludwig die ohnehin 
schwach mit Lehrkräften besetzte Universität fast völlig aufgelöst, denn die 
noch übrigen fünf Professoren reichten selbstverständlich nicht aus, wenn- 
gleich die Vorlesungen nicht ganz eingestellt wurden 29 . Auch war der Rek- 
tor entlassen und die Hochschule ohne Haupt. Es stand nunmehr zu Lud- 
wigs Entscheidung, wie er den status academicus in Hessen ordnen wolle, das 
heißt, ob er in die Gemeinverwaltung mit dem ihm unheilbar verfeindeten 
Vetter eintreten wolle, ein unter den herrschenden religiösen und politischen 
Gegensätzen jedenfalls äußerst schwieriger Versuch, — oder ob er sich an 
dem nominellen Mitbesitz der Marburger Universität genügen lassen und seine 
Fürsorge nach wie vor seiner Hochschule zu Gießen widmen wolle. Als 
Landgraf Ludwig Marburg in Besitz nahm, war er im Innern bereits für die 
schwierigere Aufgabe entschieden, auf die ihn seine Pflicht wies. Denn jetzt 
trat ja der Revers in Wirkung, den er am 8. Mai 1607 in Prag ausgestellt hatte, 
wonach bei Wiederherstellung der Gemeinverwaltung an der Universität und 
bei Wiedereinführung der alten Religion in Marburg die Gießener Universität 
wieder eingehen solle. Die Mitverwaltung der Universität besaß jetzt Lud- 
wig, die religiösen Zustände in seinem streng lutherischen Sinne umzugestalten, 
war sein erstes Anliegen nach seiner Ankunft in Marburg 30 ; und so war der 
Weg für ihn gewiesen. Auch in Gießen war man schon vor Beginn der 



28 Am 26. März überschickt Vultejus an Terhell die alten Formeln (StAD, 
Univ. 2; ebd. 4ie neue Formel). In dem Druck, Erzehlung, 254, fehlt die Eventual- 
huldigung für Sachsen. Vgl. auch Catal. stud. IV, 161. 

29 Catal. stud. IV, 163. 

30 Erzehlung, 24; Steubers Briefe, Cgm. 1259, Bl. 291, 293. 



198 Dritter Abschnitt. 

Marburger Exekution darauf gefaßt, daß die Universität nach Marburg über- 
geführt werden würde 81 . 

Demgemäß handelte der Landgraf. Um den Zustand vor 1605 möglichst 
vollständig wiederherzustellen M , berief er zunächst die Professoren Winckel- 
mann und Mentzer auf ihre früheren Lehrstühle, ließ sie mit großer Feierlich- 
keit wieder in ihr Amt einführen und von den übrigen Professoren als Kol- 
legen anerkennen 83 . Zu des Fürsten großem Bedauern kam der langjährige 
persönliche Gegensatz der beiden Theologen alsbald nach ihrer Ankunft in 
Marburg wieder zum Ausbruch, was den Andersgläubigen gerade in diesem 
Augenblicke natürlich viel Anlaß zu Spöttereien gab 84 . 

Weitere Professoren anzustellen, ohne den Landgrafen Moritz zu fra- 
gen, stand dem Darmstädter Landgrafen nicht zu. Um jedoch die theolo- 
gische Fakultät, auf die es ihm vor allem ankam, besser zu besetzen, als es 
durch den kränklichen Mentzer und den altersschwachen 85 und in seiner 
Eigenschaft als Gießener Superintendent häufig von Marburg abwesenden 81 
Winckelmann geschehen war, ließ sich der Gießener Professor Feurborn be- 
reits am 16. April in Marburg immatrikulieren, ebenso siedelte Professor 



81 Schon am 13. Okt. 1623 bittet Dr. med. Kempf den Landgrafen, ihn extraordi- 
narie bei der Universität Gießen praktizieren zu lassen, „bis e. f. g. sehen, wie es sich 
mit derselben academien ferner schicken wolle", am 31. März 1624 bittet er ihn um 
eine ordentliche Professur in Marburg, da „nuhnmehr auch wohl balt die universitet zu 
Giessen anhero transferirt werden dürffte". Allerdings halten etliche dafür, daß es mit 
der Translation sobald keinen Fortgang haben sollte (Or. StAD, Univ. 1). Am 13. Man 
1624 schilderte Prof. Liebenthal in Gießen zu Ehren der anwesenden Subdelegierten in 
öffentlicher Rede die künftige Blüte der Marburger Hochschule unter Darmstädter Szep- 
ter: „idque imprimis fieri credo, si haec nostra Giessena eo commigraret atque pedem 
suum ibidem figeret". (Liebenthal, Oratio votiva et gratulatoria ad . . Ludov. Hass. 
landg. paulo ante . . restitutionem superioris Hassiae principatus . . habita. Giessae 
H. 1622, 17.) 

8 * In dem gleichen Bestreben berief er auch alle von Landgraf Moritz vertriebenen 
Geistlichen, soweit sie noch lebten, auf ihre Pfarren zurück, vgl. Diehl, AfhG, N. F., 

U 0899), 549- 

88 Catal. stud. IV, 162. 

84 Den Anlaß zu neuem Streit, der bei einem großen Gastmahl öffentlich ausbrach, 
gaben die Dienstwohnungen beider, die gemeinsam nur eine Küche und einen Herd 
hatten. Landgraf Ludwig, der über den Vorgang „vast bestürzt" war, stellte ihnen und 
dem eifrig für seinen Schwiegervater Mentzer Partei nehmenden Feurborn vor, daß sie 
jetzt, wo so viele Augen auf sie gerichtet seien, den Calvinisten und Papisten nur Ur- 
sache zum Spott gäben (Akten v. April— Juni 1624 StAD, Marb. Succ. 37; Winckelmanns 
Erklärung v. 26. Mai StAD, Univ. 6; Cgm. 1259, Bl. 290; 1258, Bl. 562). 

85 Winckelmann unterzeichnet sich am 23. Dez. 1625 in Prof. Bachmanns Stammbuch 
(Univ.-Bibl. Gießen, Hdschr. I2i6r): „Joh. Wynckelman alterum pedem in sepulchro 
habens". 

36 Bachmann macht sich über diese sonderbare Zwittcrstellung lustig (1624 Juni 15, 
Cgm. 1257, Bl. 113): „Winckelmannus sane ibi [Marpurgi] reperies et non reperies, modo 
enim apud nos est, pusillum apud Marpurgenses et iterum pusillum apud Giessenses et 
iterum pusillum apud Marpurgenses". 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 199 

Steuber über, und beide nahmen als Privatdozenten die Lehrtätigkeit auf 87 . 
Obgleich nun, da von Landgraf Moritz nichts Gutes zu erwarten stand, die 
Universität Marburg längst nicht gefestigt war, zögerte Landgraf Ludwig doch 
nicht, die Oießener Universität zu suspendieren und die Professoren einst- 
weilen teilweise zu entlassen. 

Unter dem Datum des 10. Mai 1624 erhielten als Vertreter Landgraf 
Ludwigs der Statthalteramtsverweser Georg Riedesel, Vizekanzler Nikolaus v. 
Otthera, Superintendent und Professor Winckelmann und Rentmeister 
N. Stipp den Auftrag, den Professoren zu Gießen zu eröffnen: „Daß wir 
gnedig gemeint seyen, doch vorbehalten und unbegeben aller mit großem 
costen und muhe erlangten kayßerlichen Privilegien und freyheiten uff eine 
Zeitlang nach unß und unserer nachkommen gelegenheit solche Universität 
zu suspendiren und einzustellen" 38 . So endete am 25. Mai 1624 die Gießener 
akademische Tätigkeit; als Abschluß hatte man noch eine Magisterpromotion 
vorgenommen, die Professor Scheibler hielt, obgleich die Einwendung 
dagegen gemacht wurde, die Universität sei bereits nicht mehr vollständig, 
es fehle die theologische Fakultät, und auch der Universitätskanzler sei nicht 
anwesend 89 . Scheibler, der unter den Promovierten gewesen war, als man die 
erste Gießener Magisterpromotion 1607 hielt, war somit der letzte Promotor 
der Universität am Ende dieser Periode. 

Dem fürstlichen Auftrag gemäß wurde am folgenden Tage, am 26. Mai, 
die förmliche Suspension der Universität ausgesprochen. Gegenüber den ein- 
zelnen Professoren verfuhr man verschieden. Entlassen wurden zwar alle, 
aber einigen wurde sofort Wiederanstellung zugesagt. Die Theologen waren 
bereits nicht mehr in Gießen tätig. Der Jurist Hunnius wurde nunmehr 
gleichfalls als Professor für Marburg in Aussicht genommen; Breidenbach 



87 Catal. stud. IV, 164. Steuber an Dieterich, 1624 Apr. 10 (Cgm. 1259, Bl. 290): 
Feurborn „ist zu M. ecclcsiastes und soll privatim lesen und collegia halten, doch sich 
zuvor immatriculiren lasen und darüber decretum facu'tatis erhalten, daß er privata exer- 
citia theol. halten dürfe Ich und D. Feurborn haben unser sach hoch bracht, zu- 
vor sind wir professores gewesen, itzo Studiosi" [insofern die Privatdozenten in keinem 
Anstellungsverhältnis standen und auch meist ältere Studenten waren]. 

88 Instruktion für die Deputierten (Or. m. S. StAD, Univ. 6), aucn für das Fol- 
gende benutzt. Über die Gründe der Suspension sprach sich Landgraf Ludwig in einem 
offiziellen Schriftstück des nächsten Jahres folgendermaßen aus: „Weil die ratio fun- 
datae Academiac Gissensis wo nicht eben völlig und zu einem mahl, jedoch zum größten 
theil wieder gefallen, so haben s. f. g. noch darzu die Gissische Universität mit würck- 
lichkeit suspendirt und abgethan, in mainung, dem Marpurgischen universal studio desto 
besser wieder auf die bayn zu helfen, zugleich auch dem rechten eigentlichen und ge- 
wissen verstandt der kayserlichen urtheil Selbsten ihres theils im gehorsam vollständig 
genügen zu laisten". (Erste Schrift, bei der Restauration der Univ. Marburg 1625 ver- 
lesen, s. d.) 

89 H. Medicus an Dieterich, 1624 Apr. 19 (Cgm. 1258, Bl. 562). Scheiblers Fest- 
rede ist gedruckt als Sermo panegyricus de vita vere philosophica (1624). Scheibler an 
Landgraf Ludwig, 1624 Aug. 1, Or. StAD, Univ. 5, 



200 Dritter Abschnitt. 

sollte eine Beschäftigung am Hofgericht oder bei der Kanzlei in Marburg er- 
halten. Lieben thal war bereits fürstlicher Rat und verweilte am Kaiserhof. 
Von den Medizinern wurden Kempf und Müller für weitere Verwendung vor- 
gemerkt, desgleichen aus der philosophischen Fakultät Bachmann, Scheib- 
ler* und Krebs; für Tonsor war ein Pfarramt vorgesehen* 1 . Gänzlich entlas- 
sen wurden daher nur Kitzel 45 — wohl mit Rücksicht auf seine Beziehungen 
zu den Nollianischen Schwärmern — und Jungermann, dessen Berufung nach 
Altdorf damals vielleicht schon feststand. Nachdem sich die fürstlichen Ab- 
gesandten ihres Auftrags an die Professoren entledigt hatten, verlangten sie 
von ihnen die gewöhnliche Landhuldigung, da jetzt ihr gefreiter Stand auf- 
gehört hatte, und trotzdem sie unter Kitzels Führung dagegen protestierten, 
nochmals in Treuverpflichtung genommen zu werden, da ja in ihrem Dienst- 
eid die Untertanentreue mitenthalten sei 48 , bestanden die Abgesandten auf 
ihrem Verlangen, wie es ihre Instruktion vorschrieb. Der Eid wurde also 
geleistet. Hierauf versuchte man, die gewesenen Professoren auch unter bür- 
gerliche Obrigkeit zu weisen; auf ihr inständiges Bitten wurde dieses Ver- 
langen dem Landgrafen zur Entscheidung überwiesen. Neben der Krän- 
kung nämlich, die nach damaliger Anschauung in der Unterwerfung gradu- 
ierter Personen unter gewöhnliche Jurisdiktion lag, gab ihnen Anlaß zum 
Widerstreben die Befürchtung, daß der Hauptmann der Stadt, Schrauten- 
bach, sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen werde, seinen vieljährigen 
Haß an den Akademikern auszulassen. Außerdem mußte man Rücksicht auf 
die noch anwesenden 200 Studenten nehmen, die infolge der Kriegswirren 
nicht in der Lage waren, abzureisen, auch nicht nach Marburg, wo die Ein- 
lagerung der Kaiserlichen im Wege war 44 . Noch ehe der Landgraf sich ent- 

40 Scheibler ging jedoch im folgenden Jahre nach Dortmund, wie es scheint, um 
Schikanen von Kollegen zu entgehen; hatte er sich doch sogar vom Verdachte der 
Heterodoxie durch ein förmliches Fakultätsexamen reinigen müssen (Steuber an Dieterich, 
1625 Apr. 12, Cgm. 1259, Bl. 303). 

41 Einem Teil der bisherigen Professoren wurde sein Gehalt aus den Gießener Uni- 
versitätseinkünften weitergezahlt. Landgraf Ludwig an Hunnius, 1625 Febr. 4, Or. StAM. 
Demnach waren die Befürchtungen Joh. Dieterichs unbegründet, der am 2. Juni 1625 
an seinen Bruder geschrieben hatte (Cgm. 1257, Bl. 309): „Von newem schreibe ich dir, 
daß in der vorige wochen die übrige professores zu Gießen allemiteinander, Juristen, 
medici und philosophi auff einmal abgedanckt, privilegia und seeptra academica ihnen ab- 
genommen und also die universitet plötzlich cassirt worden, welches sowol die professores 
und studiosos sehr befrembdet, bevorab da es mit Marpurg wegen der restitution in inte- 
grum noch nicht richtig, welche wan sie vorher geschehen und ihrer etliche dahin we- 
ren transferirt worden, hette alßdan academia Giessen desto beßer cum honore sepelirt 
werden können. Die Calvinisten zu Marpurg, so abgedanckt, sind mit ketten, brustbil- 
dern, bechern, heußern begnadigt worden, hie aber nichts. Doch halte ich, man werde 
etwa zum wenigsten noch etliche wider ahnnehmen, allein izt sind sie alle recessiret". 

42 Kitzel nahm eine Bestellung zum Syndikus von Frankfurt an (Cgm. 1258, Bl. 562). 

43 Relation der Deputierten, 1624 Juni 3, Or. StAD, Univ. 6. 

u Gewesene Professoren an Landgraf Ludwig, 1624 Mai 27; Hunnius an die 
Kommissare, o. D.; Kommissare an Landgraf Ludwig, Mai 27, Or. a. a. O. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 201 

schied, was für eine Obrigkeit den gewesenen Akademikern zu Gießen vor- 
gesetzt werden sollte, hatten bereits Studenten, im Gefühl unter keiner Obrig- 
keit zu stehen, mit der Garnisonwache angebunden und allerlei Ungebühr 
verübt, so daß Schrautenbach dringend bat, der Landgraf möge die Frage 
der Zuständigkeit regeln«. So bestimmte denn Landgraf Ludwig am 25. Juni, 
daß der Rektor von 1623, Professor Hunnius, als fürstlicher Kommissar, die 
bisher vom Rektor geführten Geschäfte und Befugnisse übernehmen solle; 
hierdurch ward die akademische Jurisdiktion, obgleich keine Universität mehr 
da war, wiederhergestellt 1 *. 

So hatte die Gießener Universität geendet, nachdem sie nicht zwei 
Jahrzehnte bestanden hatte; nur das Pädagog wurde in Gießen belassen, es 
sollte auch fernerhin eine Vorbereitungsanstalt für die Universität darstellen, 
ging aber bereits in den nächsten Jahren ein* 1 . Am meisten wurde die Auf- 
hebung der Universität von der Gießener Bürgerschaft beklagt, denn ihr 
wurde damit ein wichtiger Erwerbszweig, auf dessen Fortbestehen man sich 
eingerichtet hatte, genommen« 8 . Im übrigen ist die Suspension der Hoch- 
schule als solcher damals nicht mit viel Bedauern aufgenommen worden, und 
das ist nicht auffallend. Denn das, was Gießens Bedeutung ausgemacht hatte, 
starb nicht. Die Gießener Tradition wurde von der Marburger reorganisierten 
Universität völlig übernommen; die führenden Geister der Gießener Uni- 
versität wurden alsbald auch maßgebend für die Haltung Marburgs. Auch 
an Zahl überwog, wie wir sehen werden, das Gießener Element in der Neu- 
Marburger Hochschule. Und wenn es auch nicht richtig ist, von einer ein- 
fachen Verlegung der Gießener Universität nach Marburg zu reden" — der 



** Schrautenbach an Landgraf Ludwig, Juni 19/29, Or. a. a. O. 

*• Landgraf Ludwig an Hunnius, Juni 25, Kit. a. a. O. Meshovius in seiner Hun- 
nius- Biographie (vor Hunnius, Encycl. juris universalis [1638]): „Quantam vero laudem ex 
ea honoris amplitudine indeptus sit, vel exindc claret, quod cum ingentes turbae studio- 
sos inter et praesidiarios militcs, qui in arce ibidem landgravii stipendiis alebantur, pu- 
blico motu excitatae fuissent, prineeps quem componendo dissidio huic praeficeret, Hunnjo 
nullum magis reperiret idoneum ; cui plenariam de rebus omnibus in aeademicis negotiis, 
non secus ac si rectoratu adhuc fungeretur, cum (amen non ita pridem administrationis 
tempus exspirasset, potestatem contulit. Adgressus est ille more suo negotium, tametst 
gravissimum multis, nee adeo facilem successum nancisci posse videretur, felicique, quod 
mirere, ac optato eventu in quietum ac tranquülum pro ingenii sui dexteritate statum 
reposuit. Quo facto majore quam alias affectu landgravius Hunnium complexus est ei- 
que totius universitatis Visitationen], onus grande et perquam difficile, imposuit". 

* 7 Näheres bei Diehl, Schulordnungen II, 46 ff. 

** Im folgenden Jahre bittet die Bürgerschaft den Stadtkommandanten um Ermä- 
ßigung des neuen Steueranschlags, da ihr von der Universität bezogener Nutzen weg- 
gefallen sei und sie tief in Schulden stecke. Kzt. im Stadtarchiv Gießen. 

19 So schon Scheibler in der Dedikation seines Sermo panegyr. de vita vere philos. 
(1614), Bl. a$: „Unde celsitudo tua [Landgraf Ludwig] in boc totum allaborat, ut Marp. 
academia restaurari, ea antiquo suo nitori ei celebritati restitui et haec ipsa Gissena 
academia una cum suis membris (Caesarcis ac prineipalibus privilegiis iuterim hoc loco 







202 Dritter Abschnitt. 

dann eine Rückverlegung nach Gießen 1650 gefolgt wäre — , so ist Marburg 
seinem inneren Leben nach während 25 Jahren doch mehr eine Fort- 
setzung der Qießener Universität als eine solche der Alt-Marburger. Ganz 
treffend spricht ein Zeitgenosse jener Vorgänge von einer Seelenwanderung aus 
der Gießener in die Marburger Hochschule 60 . 

II. 

Nachdem Landgraf Ludwig durch die Besitzergreifung der Universität 
Marburg seinem Vetter einen Vorteil abgewonnen zu haben glaubte, be- 
schloß er, vorsichtig zu handeln, um sich dem Vetter gegenüber nicht 
durch ein allzu hastiges Zugreifen ins Unrecht zu setzen. Er sah voraus, 
daß sich Moritz zu einer mit ihm gemeinsamen Verwaltung der Universität 
niemals verstehen werde, und er baute darauf seinen Plan, die Universität 
ganz für sich zu gewinnen und die Linie Hessen-Kassel ganz daraus zu ver- 
drängen. Von dem Gedanken ausgehend, daß die Erhaltung der Landesuniver- 
sität allen hessischen Fürsten durch das Testament Philipps des Großmütigen 
anbefohlen sei, und daß nach dem Brudervertrag von 1568 dessen Söhne 
diese Verpflichtung auch auf sich genommen hätten, daß ferner auch 
Ludwigs des Älteren Testament gleiche Pflicht den Erben auferlege, sieht er 
die Wiederherstellung der zersprengten Universität in alter Vollständigkeit als 
seine Aufgabe an, die ihm durch die Übernahme der Gesamterbschaft Lud- 
wigs von Marburg zugefallen sei. Demnach muß, da Moritz eine gleiche Erb- 
verpflichtung auferlegt ist, eine gemeinsame Bestellung der Universität erfol- 
gen. Nimmt nun aber Moritz an der Erfüllung dieser Pflicht nicht teil, oder 
widersetzt er sich — etwa unter dem Vorwand, daß ihm die Universität 
allein zustehe — den Maßregeln Landgraf Ludwigs, die auf Wiederherstellung 
der Universität zielen, so — schloß Ludwig — hindert er die Erhaltung der 
Landesuniversität, und ihm, Landgraf Ludwig von Darmstadt, fällt diese Ver- 
pflichtung und mithin die Inhaberschaft der Universität allein zu. 

Doch so sehr Landgraf Ludwig von der Bündigkeit dieser Schlußfolge- 
rung überzeugt sein mochte, so wenig getraute er sich, sie ohne Zustimmung 
des Kaisers durchzuführen. Er war durchaus nicht sicher, daß das, was er 
sein Recht nannte, auch allgemein als solches anerkannt werde. In der aus- 
führlichen Anfrage, die der Landgraf am 5. Mai 1624 an seine Marburger Räte 
richtete 51 , und in der die oben gekennzeichneten Gedanken zum erstenmal 
auftreten, schließt sich an die Erkundigung, ob auch nach ihrer Ansicht bei 
ablehnender Haltung seines Vetters ihm die Verwaltung der Universität zu- 
falle, sofort die weitere Frage : „auch wie es bei der kay. m. und sonsten zu 



suspensis) eo transfcrri ac redire possit". Nicht alle Glieder der Gießener Universität 
kamen doch nach Marburg! 

50 Lotichius, Oratio super fatalibus academiarum in Germania periculis (Rinteln 
*63i), 79- — Unrichtig bemerkt jedoch Tholuck II, 36, Marburg habe 1625 — 1650 sogar 
das Gießencr Universitätssiegel geführt. — 51 Kzt. StAD, Univ. 8. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 203 

verantworten". Nicht nur eine Weigerung des Landgrafen Moritz sah er 
übrigens voraus, sondern tätlichen Widerstand ; er ersuchte daher die Räte um 
ihr Bedenken, was zu tun sei, wenn Moritz die in Niederhessen fälligen Uni- 
versitätseinkünfte sperre; ob man das als Vergehen gegen Philipps und Lud- 
wigs des Älteren Testamente und gegen das kaiserliche Urteil anzusehen 
habe, und wie man es anstelle, um die erwähnten Gefälle zu retten. 

Deutlich sah also Landgraf Ludwig voraus, was kommen würde. 

Landgraf Moritz war höchst entrüstet über die Vorgänge in Marburg, 
von denen ihm Vultejus und Qöddäus berichtet hatten. Lange würdigte er sie 
keiner Antwort; endlich ließ er ihnen durch seine Räte unter heftigen Vor- 
würfen schreiben, daß sie sich seiner Gnade und ihrer Ämter als Professoren und 
als Beisitzer (des Hofgerichts und) des von Landgraf Ludwig alsbald nach 
der Besitzergreifung aufgehobenen Konsistoriums" unwürdig erwiesen hätten 
und deren enthoben seien. Sehr gekränkt durch diese Behandlung entschul- 
digten sich beide mit dem kaiserlichen Urteil und der von Landgraf Moritz 
darauf erklärten Parition. Es ist rührend zu lesen, wie der greise Vultejus, um 
aus dem Labyrinth der doppelten Verpflichtung für beide streitende Regie- 
rungen herauszukommen, bei der Darmstädter Regierung um Versetzung in 
den Ruhestand bittet, unter Hinweis darauf, daß er nun seit 44 Jahren an der 
Universität lehre und seit 42 y% Jahren dem Hofgericht angehöre; Landgraf 
Ludwig suchte ihn zu trösten und bat beide alte Juristen um Fortsetzung 
ihrer ersprießlichen Tätigkeit 68 . 

Wichtiger als diese gegen Personen gerichteten Maßregeln des Kasseler 
Landgrafen war es, daß er, wie Ludwig vorausgesehen, mit der Sperrung der 
niederhessischen Hochschuleinkünfte begann. Der Universitätsvogt von Singlis 
(an der Schwalm, nordöstlich von Borken) teilte der Universität mit, daß die 
Kasseler Regierung ihm untersagt habe, weiteres zu liefern, und zeigte sich 
geneigt, diesem Befehl zu gehorsamen, zumal die Einlagerung des Tillyschen 
Volkes, der Bundesgenossen Landgraf Ludwigs, die dortigen Universitäts- 
güter sehr schädigte. Die darmstädtischen Räte zu Marburg waren der An- 
sicht, die kaiserlichen Exekutionskommissarien sollten wegen des Vorgehens 
der Kasseler Regierung einschreiten. Landgraf Ludwig aber war vorsichtiger: 
erst wollte er des rechtlichen Alleinbesitzes der Universität unzweifelhaft ge- 
wiß sein, dann ließen sich mit größerer Aussicht auf Erfolg Angriffe auf 
den Besitz seiner Universität abweisen 6 *. 

In dieser Hinsicht geschah der entscheidende Schritt gerade in jenen 



61 Vgl. Rommel VII, 578, Anm. 521. 

63 Vultejus an Terhell, 1624 Aug. 16, Or.; Landgraf Ludwig an Vultejus und Göd- 
däus, Aug. 24, Kzt. StAD, Univ. 8; vgl. Marb. Succ. 37. S. auch Catal. stud. IV, 160, 163. 

M Kasseler Regierung an den Rentmeister zu Borken, Juni 24, Vogt Sauer zu Singlis 
an die Univ., Juli 24, Marburger Regierung an Landgraf Ludwig, Juli 28, Antwort 
des Landgrafen, Aug. 6, StAD, Univ. 8. Wegen der Tillyschen Kriegsvölker wandte sich 
die Universität an den Oberstleutnant Gr. Dransfeld um Abhülfe. 



204 Dritter Abschnitt. 

Tagen. Am 28. Juli ließ Landgraf Ludwig seinem Vetter bezw. dessen 
Regierung durch einen Notar eine feierliche Aufforderung zustellen des In- 
halts: Er möge an der Verwaltung und Neubestellung der Universität teil- 
nehmen und zu diesem Zweck bis zum 16. September, „acht Tag vor oder 
nach ungefährlich", seine Bevollmächtigten nach Marburg senden, um die 
Universitätsrechnung des letzten Jahres zu prüfen, die erledigten Professuren zu 
besetzen und sonstige Anordnungen für die Universität zu treffen ; widrigen- 
falls behalte sich Landgraf Ludwig vor, seine Maßregeln ohne seinen Vetter 
zu ergreifen 55 . Gleichzeitig übersandte er eine Darstellung der Sachlage an 
die Juristenfakultäten zu Wittenberg und Köln, später auch noch an die zu 
Freiburg, und legte ihnen sieben Fragen vor, die sich auf das Recht des 
Hauses Darmstadt an die Universität bezogen 5 «. Daneben schrieb er an die 
Exekutoren Köln und Sachsen und erbat einstweilen ihre Unterstützung wegen 
der von Landgraf Moritz gesperrten Universitätseinkünfte 57 ; nach Köln schickte 
er sogar seinen Rat Reinkingk, den früheren Qießener Professor, der da- 
neben auch nach der Stimmung der Kölner Fakultät gegenüber den vorge- 
legten Rechtsfragen sich erkundigen sollte 58 . Da Kursachsen sich gegen 
die hessischen Wünsche nur lau verhielt und die Hoffnung äußerte, Land- 
graf Moritz werde sich auf L,udwigs Aufforderung hin wohl „eines andern 
bezeigen", schickte Ludwig den beiden Kurfürsten, um ihre Entrüstung gegen 
Moritz zu erregen, die Nachricht von der ungnädigen Amtsenthebung der Ju- 
risten Vultejus und Qöddäus 59 . 



55 Die Schrift ist gedruckt: Erzehlung, 226; Notariatsinstrument über die Insinua- 
tion in Kassel, Or.-Perg. UAG, S. I. 

56 Landgraf Ludwig an die Juristenfakultäten Wittenberg und Köln, 1624 Juli 29, 
Kzt. StAD, Univ. 8, wo auch die weitere Korrespondenz über die Rechtsgutachten. Das 
Wittenberger Responsum ist am 1. Nov. abgeschickt, das Kölner ist von 1625 Jan. 25/ Fe- 
bruar 4, das Freiburger von 1625 Febr. 18/28 datiert (a. a. O.). Die Fragen waren fol- 
gende: 1. Ob die kölnischen Subdelegierten befugt waren. Landgraf Ludwig in die 
Rechte Ludwigs d. A. auch bezüglich der Universität einzuweisen. 2. Ob Landgraf Lud- 
wig befugt sei, die Verwaltung allein zu führen, falls Landgraf Moritz sich zur Teilnahme 
auf vorgängige Aufforderung nicht verstehe. 3. Ob sich Landgraf Moritz nicht hierdurch 
seines Universitätsanteils verlustig mache. 4. Ob sich Landgraf Moritz durch die Sper- 
rung der Gefälle nicht den kaiserlichen E: ecutoriales widersetzt und der Universität von 
neuem verlustig gemacht habe. 5. Ob die Universität deswegen neben Landgraf Ludwig 
Klage einreichen müsse. 6. Ob Landgraf Ludwig absque superioris autoritate (d. h. ohne 
besondere kaiserliche Genehmigung) nach eigenem Gutdünken mit der Universität ver- 
fahren könne. 7. Ob der Religionsstand der Universität in Ludwigs alleinigem Ermessen 
stehe. — Von den Gutachten ist das Kölner durchaus für Landgraf Ludwig zustimmend, 
das Freiburger in allem Wesentlichen, das Wittenberger nur zum TeU. 

57 Am 5. Aug., Kzte. a. a. O.; Sachsen gegenüber hebt der Landgraf besonders 
den Niedergang des Kirchen- und Schulwesens hervor. 

™ Aufträge für Reinkingk, Aug. 28, Postskript, dess., o. D., an Landgraf Ludwig, 
a. a. O. 

5 » Kursachsen an Landgraf Ludwig, Aug. 21, Or.; Landgraf Ludwig an Kursachsen 
und Kurköln, Aug. 29, Kzt. a. a. O. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 205 

Nun rückte der Termin heran, den Landgraf Ludwig dem Vetter zur 
Teilnahme an der Universitätsbestellung gesetzt hatte. Ludwigs Räte er- 
warteten seinem Auftrag 60 gemäß am 16. September im Konsistorialzimmer 
der Universität das Erscheinen der Kasseler Vertreter, aber umsonst; weder 
an diesem noch an einem der folgenden Tage traf irgendein Beauftragter 
in Marburg ein 61 . So blieb nichts übrig, als dieses Faktum unter Vorbehalt 
der Rechte Ludwigs durch Protokoll festzustellen. 

Aber Moritz hatte nicht geschwiegen. An demselben 16. September, 
an dem man in Marburg auf seine Deputierten wartete, traf in Darmstadt 
ein von Kassel abgefertigter Notar nebst zwei Zeugen ein, um eine „Gegen- 
requisition- und Reprotestationschrift" des Landgrafen Moritz, datiert Erfurt, 
31. August 1624, der Regierung zu überreichen 62 . Moritz führt in diesem 
Schriftstück in langer Darlegung, unter Bezugnahme auf die frühere Zwei- 
herrschaft über die Universität und auf den Vertrag vom 14. Januar 1604 6 !, 
aus, er allein habe ein Recht auf die Universität. Er hoffe in dieser Hinsicht 
beim Kaiser, dessen gerechtes Urteil in der Sukzessionssache Landgraf Ludwig 
ja so sehr rühme, gleichfalls ein gerechtes Urteil zu erreichen. Die kölnischen 
Kommissare hätten ihre Befugnis überschritten, als sie ihre Exekution auch 
auf die Universität ausdehnten, ja Landgraf Ludwig habe sich durch Teilnahme 
an der Exekution selbst des Objekts verlustig gemacht; sein Eingreifen in 
die der Kasseler Linie allein gehörige Hochschule sei ein offenbares spolium. 
Ferner verwahrt sich Moritz dagegen, daß das kaiserliche Urteil rückwirkende 
Kraft haben und die Anstellung der von ihm berufenen Professoren rück- 
gängig machen könne. Daß Ludwig seine Oießener Schule zugunsten der Mar- 
burger Universität wieder aufgehoben habe, gehe ihn nichts an, „und halten 
wir dafür", fährt er fort, „wenn man auf der gegenseiten zu deren auß 
solcher trennung entstandener weitleuftigkeit nicht sonderbahren lust gehabt, 
man hatte deren wohl geübriget seyn und es bey den alten löchern bleiben 
lassen können". Er (Moritz) werde auch fürderhin für seine Universität Mar- 
burg allein sorgen und habe sich hierüber mit seinem Vetter nicht zu ver- 
gleichen, der an allem aus der Erbschaftssache entsprungenen Unheil schuld sei. 

Kaum war diese heftige und trotzige Kundgebung des Kasseler Land- 
grafen erfolgt, als der Darmstädter die Wiederherstellung der Hochschule auf 
eigene Faust vorzunehmen beschloß; jetzt war ja erwiesen, daß sich Moritz 
der Gemeinverwaltung widersetzte. Schon am 23. September schreibt daher 
Ludwig an seinen getreuen Mentzer, insgeheim und „auß sonderbarem gene- 



60 Vom 13. und 14. Sept., Kzt. a. a. O. 

61 Vgl. Bericht der Marburger Räte vom 17. Sept. (Or. a. a. O.) und das Folgende. 

62 Die Schrift ist mit dem über ihre Übermittlung abgefaßten Instrument gedruckt: 
Erzehlung, 228 — 236. Die Art, wie die eine Partei die Annahme verweigert, die andere 
ihr die Schrift aufzudrängen sucht, ist ein rechtes Beispiel für den uns kindisch erschei- 
nenden Rechtsformalismus der Zeit. Einen ähnlichen Vorgang s. MOGV X, 54 f. 

68 S. oben S. 14 f. 



206 Dritter Abschnitt. 

digen vertrawen" : Sein Vetter habe sich auf seine Aufforderung widerwärtig 
geäußert; er müsse jetzt wohl allein die Universität in Verwaltung nehmen, 
„soll änderst daß stattliche kleinod der hohen schul nicht allerdings zu schei- 
tern und zu boden gehn". Deshalb ersucht er ihn um sein Gutachten über 
die vorzunehmenden Verbesserungen im Zustande der Universität und die Be- 
setzung der Professuren 64 . Und Mentzer stürzte sich trotz seiner Kränklich- 
keit und seines hohen Alters alsbald mit Feuereifer auf die ihm gestellte Auf- 
gabe. Auch jetzt, wie einst in den Jahren der Oießener Universitätsgründung, 
erwies er sich als ein Organisator ersten Ranges; und wenn es damals im 
wesentlichen gegolten hatte, das Vorbild von Marburg auf Gießen zu über- 
tragen, so war die neue Aufgabe, ein fast ganz aufgelöstes Hochschulwesen 
wiederherzustellen und es zeit- und sachgemäß umzugestalten, gewiß 
noch bedeutender, zumal eine Statutenumarbeitung sich bald als notwendig 
erwies. Seines Fürsten Vertrauen hatte der alte Theologe bereits in der 
Gießener Zeit in immer wachsendem Maße genossen; in der nächsten Zeit 
und bis zu seinem Tode geschah für die Universität wohl nichts, wozu sein 
Rat nicht eingeholt worden wäre. Diese einflußreiche Stellung Mentzers 
war manchem ein Dorn im Auge; freilich mag sein selbstbewußtes 
Auftreten auch an mancher Kränkung schuld sein. Besonders Steuber, der 
nicht gut mit ihm stand, fühlte sich zurückgesetzt und gab diesem Gefühle 
in vertrauten Briefen an Dieterich vollen Ausdruck 65 . Aber hierdurch werden 
Mentzers Verdienste um die Wiederherstellung der Marburger Universität nicht 
geschmälert. Sie sind um so höher einzuschätzen, als der alte Gelehrte sich 
selbst sagte, daß er die Früchte seiner Bemühungen nicht mehr sehen werde 66 ; 



«* Kzt. StAD, Univ. 7. 

66 So 1625 Jan. 13 (Cgm. 1259, Bl. 298) : „De particularibus coram, den itzo Mentzenis 
wider universitätsbestcller ist, derowegen man gegen ihn niCht pipen darf 4 . Apr. 3 (BL 301): 
„Ich weiß nicht, ob ich zur universitet komme, alle so nicht gut Mentzerisch, werden abge- 
schafft". Apr. 12 (BL 303) : Nachdem bemerkt, daßSchcibler der Heterodoxie beschuldigt und 
„durch einiger, wo nicht durch eines angeben und forttreiben ist erlaßen worden"; dann 
(Bl. 304): „Facile quis hie haeresecus notam ineurrere potest, si papae nostri placita ex- 
templo non approbaverit 44 . Aug. 12 (BL 312): Mentzer „dirigiret itzo hof und schulsachen, 
ist unser papst, er meinet, hab meinem herrn dz land all zu wegen gebracht mit seiner exe- 
gesi 44 . Ähnlich Hclwig Dieterich an seinen Oheim, 1626 Juni 13 (Cgm. 1257, BL 386): „Ne- 
gotium est de promotione, quam D. M. non vult esse extraneam. Dudum praeseivi 
frustra navari cum hoc viro, qui Marpurgi caput theologicum et politicum est". 

66 So schreibt er am 15. Dez. 1624 an Hoe von Hoenegg (Or. in Hdschr. 115 der Univ.- 
Bibl. Gießen, BL 459): „Quantae vero molis sit corruptam rempublicam instaurare, ex- 
perientia nos docet, ut omnino fatendum sit, citius et facilius novam scholam erigi quam 
miscre depravatam emendari et ad pristinum florem reduci. Quamquam autem voluntas 
et Studium mihi non deest juventutis erudiendae, sentio tarnen multum vigoris mihi de- 
cessissc et fraetas esse animi mei vires ex continuis gravium morborum doloribus, ut 
frustra mihi polliceri videar diseiplinam veterem in academia reflorescen- 
tem nie visurum. Sed rogandus est Deus, ut spiritu saneto regat animos docentium et 
discentium, ut suo quisque loco officium suum faciat in veritate et pietate promovenda 44 . 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 207 

in der Tat sollte er, als die Universität eben erst sich wieder zu erholen be- 
gann und der Streit um ihren Besitz noch nicht entschieden war, seinem 
fürstlichen Herrn im Tode nachfolgen 67 . 

Schon ehe er förmlich damit beauftragt worden war, im Sommer 1624, 
hatte Mentzer dem Landgrafen Vorschläge für die Regelung des Stipendien- 
wesens gemacht 68 , das er ja durch langjährige Praxis kannte. Jetzt aber, als 
der Landgraf sich an ihn gewandt hatte, konnte er bereits wenige Tage später 
eine ausführliche Denkschrift an den Fürsten einsenden, der bald eine ganze 
Anzahl weiterer Aufsätze folgten 69 . Von dem Inhalt dieser Vorschläge soll 
in anderem Zusammenhang die Rede sein. Wir müssen zuerst die politische 
Weiterentwicklung der hessischen Universitätsfrage verfolgen. 

Ludwig mußte sich bemühen, die Autorisation zur Wiederherstellung der 
Universität so bald wie möglich zu erhalten. Denn die Lücke, die durch 
die Suspension der Oießener und die Halbierung der Marburger Hochschule 
gerissen war, war fühlbar, und nicht nur in Hessen 70 . In Marburg sah es zur 
Zeit noch trostlos aus. Die Einquartierung hatte schwer auf der Stadt ge- 
legen ; eine pestartige Infektion hatte sich in ihrem Gefolge eingestellt 71 und 
hielt die studierende Jugend fern. Das sollte alles besser werden, meinte der 
Landgraf, war nur erst die Universitätsfrage entschieden. „Nunmehr", schreibt 
er am 4. Oktober an Mentzer, „stehn wir in voller arbeit, gegen unsern vettern 
1. M. der Universität halber unß recht zu versichern und unß also zu ver- 
wahren, daß man unß und die unsrige keiner contraventionen beschuldigen 
könne" 71 . Er trieb daher die Juristenfakultäten zur Eile an und erkundigte 
sich auch sonst bei Rechtsgelehrten. Nachdem dann im November das Witten- ■ 



67 Auf seinem Sterbelager träumte Mentzer, Landgraf Ludwig (f 1626) trete zu ihm 
und sage: „Mentzere, ihr müsset mit mir fort, ich kann ewer nicht entrahten 44 , worauf 
Mentzer antwortete: „Gnädiger fürst und herr, ich will gern folgen 4 * (Herdenius, Leich- 
predigt f. B. M. [1627], 33 f.). M. starb am 6. Jan. 1627. 

w An Landgraf Ludwig, Juli 27, Or. StAD, Univ. 8. 

w StAD, Univ. 7. Landgraf Ludwig gab seiner Anerkennung dadurch Ausdruck, 
daß er Mentzer neben dem Marburger Gehalt das Gießener weiterzahlen ließ. Doch sollte 
dies geheim bleiben, um nicht Neid zu erregen. Landgraf Ludwig an Mentzer, 1624 Okt. 24, 
Kit. StAD, Marb. Succ. 37. — M. soll jedoch vorgezogen haben, seinen früheren geringen 
(exilis) Gehalt weiter zu beziehen (Notiz von Rambach bei Schädel, Beitr. z. Gesch. d. 
Gymn. Gießen [1905], 39. 

70 Am 10. Sept. fragt die Regierung des Fürstentums Minden bei der Marburger 
Juristenfakultät über den Zustand des Universitätswesens an, da vornehme Leute in Min- 
den ihre Söhne dorthin schicken wollten. Or. StAD, Univ. 5. 

ti Marburger Räte an Landgraf Ludwig, 1624 Sept. 18, P.-S., Or. a. a. O. Cgm. 
1259, Bl. 78. Steuber meldet schon vom 10. April, die Marburger Bevölkerung sei durch 
die Einquartierung in äußerste Not gebracht; schon zweimal habe die Bürgerschaft des- 
wegen vor dem Landgrafen Fußfall getan, und dieser habe deshalb einen reitenden Buten 
nach München geschickt (Cgm. 1259, Bl. 291). Im Juli wurde die Einquartierung aus 
der Stadt genommen, das Land behielt aber noch diese Last (Cgm. 1257, BL 312). 

7 * Kzt. StAD, Univ. 7. 



208 Dritter Abschnitt. 

berger Responsum eingelaufen, ein gunstiges aus Köln zu erwarten war 73 , ging 
Ludwig einen Schritt weiter. Noch immer wendet er sich nicht an den Kaiser, 
bei dem doch die Entscheidung schließlich stehen mußte, sondern sucht sich 
zunächst Fürsprecher, ähnlich wie im Jahre 1606 in der Oießener Universitäts- 
angelegen heit. Zuerst wandte er sich wieder an das erbverbrüderte Kursachsen, 
später auch an die Kurfürsten von Mainz (wo noch immer sein alter Freund 
Johann Schweikard von Kronberg regierte), Köln und Bayern, auf deren Out- 
achten auch schon die günstige Entscheidung des ganzen Erbfolgestreites zum 
guten Teil zurückzuführen war 7 *. Ihnen trägt er nun seine Universitätssache vor 75 
und beschwert sich über die „schnöde, hochmütige Antwort" des Landgrafen 
Moritz auf seine Aufforderung zur Mitverwaltung der Hochschule, sie sei „sehr 
anzügig und maledicent" gegen Kaiser und Reich, sowie gegen ihn selbst. 
Moritz drohe sogar, ihn auf Aberkennung des ganzen Oberfürstentums zu ver- 
klagen, weil er die Universität „über einen hauffen geworffen". Obgleich nun 
zwar alle Rechtsverständigen übereinstimmten, daß er die Bestellung der Uni- 
versität nunmehr allein vornehmen könne, so wolle er doch, da er seines 
Vetters „unruhigen humor" kenne, die kaiserliche Zustimmung zu erlangen 
suchen. Zu diesem Zweck ersucht der Landgraf um ihre Fürbitte. Hierbei 
macht er aber noch einen besonderen politischen Grund geltend, um ihr 
Interesse zu erregen, einen Grund, der uns zeigt, bis zu welchem Grad der 
Haß gegen den Vetter schon gestiegen war. Gestatte der Kaiser, führt Lud- 
wig nämlich aus, die Wiederherstellung der Landesuniversität durch die Darm- 
städter Linie, so würden hierdurch der niederhessischen Landstände "Gemüter, 
die Landgraf Moritz gegen Ludwig als den Zerstörer der Marburger Universität 
aufzureizen suchte, „noch weiter zu gewinnen, auch deren zu dienst ihrer mt 
und des h. reichs fast nutzlich zu gebrauchen" sein. Dieses Argument wird 
erst verständlich, wenn man die schwankende Haltung der niederhessischen 
Ritterschaft gegenüber Landgraf Moritz in jenem Frühjahre 1625 in Betracht 
zieht 76 ; und in diesem Zusammenhang bedeutet es nichts anderes, als daß 
Landgraf Ludwig beabsichtigt, die seinem Vetter untertänigen Landstande auf 
den Weg des Abfalls von ihrem Landesherrn zu locken. Dieses Verfahren 
findet doch nur eine geringe Entschuldigung in dem Umstand, daß es sich 
um den Übergang zur kaiserlichen, also gewissermaßen legitimen Partei 
handelt" ! 



73 Das Original ging verloren, da der Bote ausgeplündert wurde; eine Abschrift 
wurde nachgeschickt. Dr. Wisch an Landgraf Ludwig, 1625 Febr. 27/ März 9, Or. 
StAD, Univ. 8. apNfc- fc 

74 Kasseler Agent am Kaiserhof, G. Zhan, an die Kasseler Räte, 1623 Apr. 1 u. 3, 
Regensburg (Or. StAM, Gesandtsch. Wien). Vgl. auch Senkenberg XXV, 322. 

75 Landgraf Ludwig an Kurmainz, Köln, Bayern, 1625 Febr. 15, Kzt. StAD, Univ. 7. 
Das (frühere) Schreiben an Kursachsen hat mir nicht vorgelegen. 

™ Vgl. Rommel VII, 590 ff. 

77 Auch in seinem Schreiben an den Reichshof rat Dr. Hildebrand (vom 25. April 
1625, Kzt. StAD, Marb. Succ. 37) betont Landgraf Ludwig, der Kaiser könne durch die 



Die Aufhebung der Universitäi Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 209 

Diese Bitte um Fürsprache fand bei Kursachsen, das am liebsten den 
ganzen hessischen Streit beigelegt hätte", nur laue Aufnahme; es befriedigte 
den Landgrafen durchaus nicht, daß der Kurfürst in dem lnterzessions- 
schreiben an den Kaiser bat, er möge dem Wunsche des Landgrafen will- 
fahren, „do es unbeschadet der Justiz geschehen und füglich sein kan"™. 
Ludwig ließ daher dieses Schreiben noch monatelang liegen, ehe er es an 
die kaiserliche Adresse abschickte 90 , während die ohne solche Bedenklich- 
keiten ausgestellten Schreiben von Mainz und Bayern sofort nach dem land- 
gräflichen Gesuch dem Kaiserhofe zugingen" 1 . Der Kurfürst von Köln hielt 
es als kaiserlicher Kommissar in der Marburger Erbstreitsache nicht für an- 
gebracht, zu interzedieren, um nicht den Schein der Parteilichkeit hervorzu- 
rufen und so dem Kasseler Landgrafen eine Handhabe zu gewähren". 

Da an der Ausstellung der Fürbitteschreiben nicht gezweifelt werden 
konnte, so ließ Landgraf Ludwig, noch ehe sie eingelaufen waren, sein förm- 
liches Gesuch um die Zuweisung des Universitätsverwaltungsrechtes nach 
Wien abgehen. Es ist vom 19. Februar 1625 datiert, und ein umfangreiches 
Aktenmaterial ging gleichzeitig damit dem darmstädtischen Gesandten am 
Kaiserhofe, Dr. Liebenthal (ehemals Gießener Professor), zu, dessen Sache es 
jetzt war, die Angelegenheit zu betreiben. Er wurde angewiesen, dahin zu 
arbeiten, daß ein Darmstadt möglichst günstig gesinnter Reichshofrat als Re- 
ferent über die Sache bestellt werde, und um die Ausfertigung des kaiser- 
lichen Erlaubnisreskripts zu erleichtern, wurden bereits von Darmstadt mehrere 
Entwürfe dazu mitgeschickt 1 ' 3 ! Man sieht, daß Landgraf Ludwig sich bei seiner 

Erteilung des gewünschten Konsenses zur Universitätsbestellung „die gemüther der gantzen 
ober- und niederhessischen ritler- und tandschaft mächtig gewinnen und ihro devuv 

,a Vgl. das Schreiben der Kasseler Stande an Landgraf Moritz von 1624 Aug. 31 
in ZfhC IV (1847), 3t3ff., bes. 317. 

'• Kurfürst Joh. Ceorg an Kaiser Ferdinand, 1625 Jan. 12, Abschr. StAD, Marb. 
Succ. 37. 

80 Landgraf Ludwig an Wolff v. Todenwarth, 162J Mai 29, StAD, Briefe an Wolff. 

" Mainz schickte am 23. Febr./5. März, Bayern am 1./11. März sein Interzessions- 
schreiben nach Darmstadt. 

ai Köln an Darmstadt, März 2./12; am 17. März billigt der Landgraf die Gründe 
des Kurfürsten. StAD, Univ. 7. 

BS Akten vom 19. u. 20. Febr. StAD, Marb. Succ. 37. (Vgl. den Brief des 
Kanzlers Wolff: Erzehlung, 263.) Mitübersandt wurde ein Schriftstück mit der Auf- 
schrift „Ursachen, die den . herrn Ludwigen den jüngern ... bewegen auf förderliche 
ergäntz* und widerbestetlung dero univ. M. bedacht zu sein". Hier am Schluß die Bemer- 
kung: Wenn der Kaiser die Bitte abschlägt, wolle sich Landgraf Ludwig des Gießener Pri- 
vilegs für Marburg bedienen, „alli darin diserte begriffen, daß s. f. g. die Giessische hohe 
schuel an andre ortter zu transferiren befugt"' ( ? I). Von den Entwürfen für das kaiser- 
liche Reskript schreibt Landgraf Ludwig am 6. März an Liebenthal, daß ihn „der erste und 
längere vergriff weit mehr und besser alQ der zweite oder kürtzere erfrewen würde" (Kzt, 
a. a. O., ähnlich 11. März, Kzt. StAD, Gesandtsch. 47), und mit Recht, denn der erste 
Entwurf ist in der Aufzählung der dem Landgrafen zugesprochenen Rechte viel umfassen- 
de Cniieriilil Gießen i«i 1607 bli 1907. I. 14 



2io Dritter Abschnitt. 

günstigen Stellung zum Kaiserhof den Verlauf der Sache recht leicht vor- 
stellte. 

In der Tat schien Liebenthal gute Aussicht zu haben. Man hatte es ja 
auch an Geschenken nicht fehlen lassen, um die maßgebenden Herren sich 
wohlgesinnt zu machen**. So konnte der Gesandte bald berichten, daß das 
darmstädtische Gesuch am Hofe mächtige Freunde besitze, so den Fürsten 
Eggenberg, den Vizepräsidenten des Reichshofrats v. Stralendorf, den Herrn 
v. Nostitz usw. 85 . Trotzdem fiel die Reichshof ratsentscheidung zunächst nicht 
nach Wunsch aus. „Ist mir in dieser sachen fast gangen 11 , schreibt Liebenthal 
am 6. April, „als jenem, welcher die capitulares alle vor sich, das capitull aber 
kegen sich gehabt." Der Beschluß beschränkte sich nämlich auf die Frei- 
gabe der Universitätsgefälle durch Landgraf Moritz, ließ aber die Frage der 
Universitätsbestellung ganz außer Entscheidung. Es bedurfte eines weiteren 
Gesuches des Gesandten, ehe der Reichshofrat auch diese Sache befürwortend 
an den Kaiser weitergab 8 « 5 . So gelang es den Bemühungen Liebenthals, wozu 
dann noch die Interzessionen von Mainz und Bayern kamen, den Kaiser zu einem 
weiteren Schritt zugunsten seines hessischen Freundes zu bewegen, nämlich zu 
der förmlichen Anerkennung, daß Ludwig allein das Recht haben solle, die 
Universität Marburg wiederzubestellen. Ausschlaggebend waren hier wieder- 
um nicht juristische, sondern politische Erwägungen und des Kaisers Ab- 
neigung gegen Landgraf Moritz, der sich gegen ihn „in vielen Dingen eygen- 
sinnigk und gantz widersetzlich" gezeigt hatte, und den er Bedenken trug 
wieder „zu vorigen gnaden und standt kommen zu lassen" (Äußefüng Stralen- 
dorf s) 87 . 

Freilich hatte man sich in Wien doch nicht dazu herbeigelassen, einfach 
einen der Darmstädter Entwürfe abzuschreiben und als kaiserliches Reskript 
ausgehen zu lassen ; auch Liebenthals Mitwirkung bei der Redaktion des Schrift- 
stückes war nicht von Erfolg 88 . So wurde zwar in dem Reskript anerkannt, 



der; er gibt ihm freie Hand, mit der Universität nach Gutdünken zu verfahren, und 
nicht nur freie Hand dem Kasseler Landgrafen gegenüber, sondern bis zur Ver- 
vollständigung der Hochschule auch den bereits vorhandenen (calvinist ischen) Professoren 
gegenüber („das collegium professorum ietzmals und bis zu desselben academischen con- 
sistorii vollständiger redintegrirung in nominatione et electione officialium aliorumque do- 
centium et inservientium zu praeteriren" usw.). 

84 Schon im Juni 1624 hatte Landgraf Ludwig drei Fuder Wein, zur Hälfte für 
Stralendorf, zur Hälfte für v. d. Recke, nach Wien gesandt. Vgl. das Schreiben an Rein- 
kingk u. Liebenthal: Erzehlung, 225. 

85 Schreiben Liebenthals v. 30. März 1625, Or. St AD, Marb. Succ. 37. 

86 Liebenthal an Landgraf Ludwig, 1625 April 13 (Or. ebd.); er hofft, daß man bis 
Sonntag Jubilate (alten Stils, 8. Mai) in Marburg „ein frölichs jubilate" werde anstim- 
men können. 

87 Liebcnthal an Landgraf Ludwig, 1625 März 9, Or. ebd. 

88 Liebenthal an Landgraf Ludwig, Mai 11 (Or. ebd.): „Ich habe mit allem ange- 
legenen vleis dahin gearbeitet, dz die alternative heraus und dakegen specialiora [vgl. 
oben Anm. 83] hineingesetzet werden, habe es aber nicht erhalten können, . . . . 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 211 

daß der Universitätspunkt in der kaiserlichen Sentenz von 1623 rnitbegriffen 
und demnach die Exekutoren bei der Einweisung Landgraf Ludwigs nach 
Recht verfahren seien, auch dem Landgrafen die Befugnis zugesprochen, die 
Verwaltung der Universität allein zu führen, aber nur „so lange und vil . . ., 
biß sich . . landtgraf Morizens 1. der nebenbestöllung halber eines andern er- 
clären und darzue bequemen oder ein anderß mit recht außfüehrn würdt" 89 . 
Das kaiserliche Schreiben, datiert vom 26. April/ 6. Mai, ging am 4./14. Mai 
von Wien nach Darmstadt ab 90 . 

Wohl um diese Entscheidung hintanzuhalten, hatte Landgraf Moritz 
zunächst gegen seinen Vetter eine Klage auf Aberkennung der Erbschaft wegen 
des 1604 erhobenen Einspruchs gegen das Testament 91 , sowie am 30. April 
eine weitere Klage 92 wegen des Besitzes der Universität eingereicht, worin er 
verlangte, daß dem Landgrafen von Darmstadt nicht nur die Allein bestellung 
der Universität, sondern überhaupt jedes Recht daran und auch die seit 1605 
für Gießen verwendeten Vogteien nebst allen daraus gezogenen Nutzungen 
aberkannt würden. Ob Landgraf Moritz wirklich auf Erfolg rechnete, steht da- 
hin ; sicher wollte er kein Rechtsmittel unversucht lassen, und er brachte auch 
die Klage bezüglich der Universität, da kein Bescheid darauf erfolgte, immer 
wieder in Erinnerung 98 . 

Inzwischen aber blieb Landgraf Ludwig im Besitz der Universität; kaum 
hatte er das kaiserliche Schreiben in Händen, das ihn als Alleinbesitzer der 
Universität, wenn auch nur ad interim, bestätigte, so traf er Vorbereitungen, 
sie in alter Vollständigkeit wiederherzustellen, und zwar durch einen feier- 
lichen Akt, dessen Ruf wieder neue Studenten heranziehen sollte. Im Mar- 
burger Universitätswesen hatte sich inzwischen nicht viel geändert; die seit der 
Besitzergreifung durch Darmstadt angekommenen etwa 40 Studenten, wohl meist 
ehemalige Oießener, waren vom Universitätskanzler Vultejus immatrikuliert 
worden, da man ja keinen Rektor mehr hatte 94 . Im Februar 1625 hatte Land- 
graf Ludwig den sämtlichen Lehrern am Pädagog den Abschied erteilen lassen, 
doch den Pädagogiarchen Vietor im Amte behalten. Der gewesene Univer- 
versitätsbibliothekar Professor Combach und der bisherige Stipendiatenephorus 
Professor Cruciger erhielten gleichzeitig die Aufforderung, innerhalb yier 



aber jedoch ist auch verbis generalibus kurtz alles darin begriffen, was man specialibus 
hefte hinein rucken können". 

•t Das Original des kaiserlichen Reskripts wird unter den wichtigsten Urkunden der 
Universität Gießen verwahrt; es ist seiner Wichtigkeit halber auch in die Marburger Uni- 
versitätsstatuten von 1629 in extenso eingerückt. Gedruckt ist es (ungenau) im „Ohn- 
umstößlichen Beweiß . . in S. Gießen gegen Marburg" (Anhang zu den „Wohlbegründeten 
Anmerckungen über den Abdruck des an die Reichsversammlung von Hessen-Cassel ge- 
gen H.-Darmstadt erlassenen Schreibens"), 1749, S. 6, Anm. 4. 

•0 Pistoriüs an Landgraf Ludwig, Mai 25 /Juni 4, Or. a. a. O. 

91 Erzehlung, 245—251, vgl. 31. — •* Ebd., 236—245. 

9 » So im Herbst 1625 bei dem Subreptionseinwand (s. Erzehlung, 265) und sogar 
noch im Juli 1626 (ebd. 355). — w Catal. stud. IV, 164 f. 

»4« 



212 Dritter Abschnitt. 

Wochen ihre Dienstwohnungen und das Land zu verlassen» 5 . Langsam machte 
also die Verdrängung der Calvinisten Fortschritte. Ehe man aber zur Wieder- 
eröffnung der Universität schreiten konnte, war doch noch mancherlei vorzu- 
bereiten, und Landgraf Ludwig schickte deshalb zwei Kommissare, Dr. Jo- 
hann Faber und Friedrich List, nach Marburg» 6 . 

Die Besetzung der Professuren machte verhältnismäßig wenig Sorge; 
denn von den Gießener Professoren standen ja die meisten noch zur Verfügung 
des Landgrafen 97 . Mehr Bedenken verursachte die Rektoratsfrage. Gab man 
die Wahl eines Rektors frei, so wäre ein Calvinist gewählt worden, was gerade 
zur Eröffnungsfeier nicht anging; die von Gießen Berufenen (außer Winckel- 
mann und Mentzer) sollten erst bei der Eröffnung ernannt werden. Den 
Rektor einfach zu ernennen, schien dem Landgrafen nicht angezeigt, weil dies 
ein Bruch der Altmarburger Statuten gewesen wäre» 8 . Dazu kam, daß die 
beiden einzigen Professoren, die für eine Ernennung in Betracht kamen, 
Winckelmann und Mentzer, in großer Uneinigkeit lebten und die Ernennung 
des einen den andern gekränkt hätte. Schließlich entschied man sich dennoch 
für die Ernennung, indem man eine Entschuldigung dafür beibrachte, wie wir 
sehen werden. Noch mancherlei Personalfragen und Administrationsange- 
legenheiten wurden in jenen Tagen besprochen und erledigt. Zu den wich- 
tigsten der ersteren gehörte die Absetzung Vietors als Pädagogiarch. Er hatte 
Mentzer schon längst viel Ärger verursacht, da er „allezeit grob Zwinglisch" 
gewesen war, und trotz eines Verweises auch jetzt fortfuhr, gegen die im 
Februar erlassene Anordnung", „hinderrücks" nach dem Heidelberger Ka- 
techismus die Schüler zu unterrichten, indem er sich damit entschuldigte, nur 
der Kasseler Katechismus sei seines Wissens verboten. Er wurde durch Joh. 
Heinrich Tonsor ersetzt, behielt jedoch die Professur für griechische Sprache, 
worin man seine Tätigkeit für ungefährlicher hielt 100 . 



96 Akten StAD, Marb. Succ. 37; vgl. Zedier, Geschichte der Univ.-Bibl. Marburg 
(1896), 30. 

96 „Memorial, was unsere gen Marpurg deputirte . . verrichten sollen", 1625 Mai 14, 
Or. m. S. StAD, Univ. 7. Zur Beratung wurden herangezogen: Winckelmann in Gießen, 
Reinkingk und Malcomesius von der Marburger Regierung, sowie Mentzer in Marburg. 

97 Auch Mentzer war sehr zuversichtlich; am 15. Dez. 1624 schreibt er an Hoe 
von Hoenegg (Univ.-Bibl. Gießen, Hdschr. 115, Bl. 459): „Academia nostra desiderat plu- 
res professores, quos speramus Deo largiente non multo post nos adepturos". 

98 Vgl. Hildebrand, 20. Der Versuch, sich durch kaiserliche Autorität zu decken 
(s. o. Anm. 83 a. E.), war mißlungen. 

99 Akten StAD, Marb. Succ. 37; vgl. Heppe, Beiträge z. Gesch. u. Statistik des 
hess. Schulwesens (1850), 15. 

100 Verfügung Landgraf Ludwigs vom 16. Mai; Protokoll der Beratung vom 21. Mai. 
StAD, Univ. 7. Vgl. Catal. stud. IV, 167; Carmen panegyr. Mentzeri (im Ehrengedächtnis 
f. Ludwig, 51); Diehl II, 38. Vietor ist übrigens auf dem Totenbett noch von der 
reformierten zur lutherischen Lehre übergetreten. Die Schilderung seiner Bekehrung durch 
Feurborn und Hanneken gibt der letztere in seiner Leichenpredigt „Piorum longaevitas' 4 , 
Marburg 1646, 32 — 40. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 2x3 

Noch einer versöhnenden Maßregel muß hier gedacht werden ; die ent- 
lassenen Professoren, die Landgraf Moritz gegenwärtig zu besolden unfähig 
war, erhielten von Landgraf Ludwig den ihnen von früher rückständigen Be- 
soldungsrest zugebilligt, nicht als Schuldigkeit, sondern als ein Geschenk, wie 
die Verfügung bemerkt 101 ; dem alten Catharinus Dulcis, der sehr in Not ge- 
raten war, hatte der Landgraf Ludwig schon vorher sein volles Gehalt und 
dazu ein Fuder Wein jährlich für den Rest seines Lebens bewilligt 108 . 

Außer diesen Maßnahmen, die vor der Wiedereröffnung der Universität 
noch zu erledigen gewesen waren, hatten die Abgesandten des Landgrafen 
auch schon einiges für die Eröffnungsfeier selbst vorzubereiten. Vor allem 
vertiefte man sich mit feierlichem Ernst in Beratungen über die Aufstellung 
des Festprogramms und die zur ungestörten Feier nötigen Vorsichtsmaßregeln ; 
über alles wurde die persönliche Entscheidung des Landgrafen noch einge- 
holt 10 *. Die Eröffnungsfeier, der „Actus restaurationis academiae Mar- 
purgensis", sollte um 7 Uhr am Morgen des 26. Mai, des Himmelfahrts- 
festes, auf dem Schlosse zu Marburg stattfinden. Vorher mußte der Akt den 
Professoren — bei Vultejus erwartete man Widerstand, den man aber durch 
Vorlage des erwähnten kaiserlichen Schreibens zu brechen hoffte — , dem 
Stadtrat, den Graduierten in der Stadt, den Studenten notifiziert werden, aber 
doch so, daß die Sache geheim blieb, weil man einen plötzlichen Protest 
der Kasseler befürchtete, der den wichtigen Akt rechtlich anfechtbar machen 
konnte. Um hiervor sicher zu sein, wurde angeordnet, daß vor Beginn der 
Feier die Stadttore verschlossen und militärisch besetzt, die Wege aus der 
Stadt nach dem Schloß gesperrt und nur den mit Legitimation Versehenen 
geöffnet würden. Ja noch weiter führte die Angst vor einem Eingriff der 
feindlichen Partei : man beschloß, die öffentlichen Uhren so zu verstellen, daß 
es um sechs Uhr sieben Uhr schlüge; so konnten die Gegner, selbst wenn 
sie den Termin vorher erfuhren und zur angesagten Stunde in Marburg an- 
langten, um ihren Protest loszulassen, jedenfalls nur nachträglich protestieren. 

Trotz aller dieser Vorsichtsmaßregeln aber wurde auch die Möglichkeit 
erwogen, daß während der Feier plötzlich ein Protest stattfinde. „Wann der- 
gleichen einer kerne", entschied der Landgraf, „der soll durch die einspenniger 
[Trabanten] abgeführt und die thür gewiesen werden." 

Aber auch jetzt fühlte man sich noch nicht sicher gegen den Einspruch des 
Gegners. So entschied man sich schließlich dafür, noch einen Kunstgriff an- 
zuwenden. Da es bekannt werden mußte, daß die Feier am Himmelfahrts- 
tage stattfinde, so verlegte man, als der Tag heranrückte, ganz unversehens 



101 Vom 18. Mai, Or. a. a. O. 

101 Revers des Cath. Dulcis vom 26. Febr. mit der Unterschrift: „Catharinus Dulcis 
officiose promittit ut supra et annulo signatorio confirmasset, si per oppignoratio- 
nem apud Judaeos licuisset" (StAD, Univ. 7). 

103 „Nach . . . Landgraf Ludwigs . . ankunft in Marpurg seind nachfolgende puncten 
zu erörttern", Or. m. eigenhändigen Randbemerkungen des Landgrafen StAD, Univ. 7. 



214 Dritter Abschnitt 

den Termin, verständigte nur die Beteiligten und hielt den Festakt bereits zwei 
Tage vor Himmelfahrt, am 24. Mai. Dieser vom ursprunglichen Programm ab- 
weichenden Anordnung war es denn auch möglicherweise zu danken, daß 
Kassel nicht wirklich störend dazwischentrat. Alles kam dem Darmstädter 
Landgrafen darauf an, .mit der Alleinbestellung der Hochschule ein fait accompli 
zu schaffen. Das sah auch die Gegenseite ein, und so ist nicht unwahrscheinlich, 
was damals gerüchtweise erzählt wurde : nämlich Landgraf Moritzens ältester 
Sohn Wilhelm wolle im entscheidenden Moment erscheinen und die Ansprüche 
seines Vaters auf Teilnahme an der Universitätsverwaltung geltend machen 104 , 
Ansprüche, deren Berechtigung man auch jetzt noch nicht hätte ableugnen 
können, die aber alle Pläne des Landgrafen Ludwig in Frage stellen konnten. 
In aller Frühe des Dienstags vor Himmelfahrt wurde das Einladungs- 
programm 105 öffentlich angeschlagen, und um sieben Uhr desselben Tages 
(das heißt eigentlich wohl, als es um sechs Uhr sieben schlug) versammelten 
sich auf dem Marburger Schlosse Vertreter der Prälaten (der Landkomtur des 
deutschen Ordens), Ritter- und Landschaft von Hessen Darmstädter Anteils, 
die Räte des Fürsten, die Professoren und sonstigen Träger akademischer 
Grade aus der Stadt Marburg, der Stadtrat, viele Studenten und sonstige 
Leute 106 . Unter den Klängen der fürstlichen Hofmusik, die sich vocaliter und 
instrumentaliter hören ließ, betrat Landgraf Ludwig mit großem Gefolge den 
Saal und nahm in der Mitte Platz. Nach einer kurzen Gebetsansprache des 
Superintendenten Herdenius begrüßte der Statthalteramtsverweser Georg Ried- 
esel zu Eisenbach die Erschienenen und leitete die Verlesung zweier umfang- 
reicher Schriftstücke ein, wodurch die Wiedereröffnung der Universität und 



104 Landgraf Ludwig an Kanzler Wolff v. Todenwarth, 1625 Mai 25: „wir haben 
müssen eyllen, dann landtgraf Wilhelm hier kommen und die Universität mit bestellen 
helffen wollen, wie allhier daß geschrei gewesen". Or. StAD, Briefe Landgraf Ludwigs 
an Wolff. — Steuber an Dieterich, 1625 Juni 28 (Cgm. 1259, Bl. 306): „Sie [die Uni- 
versität] hat uf himmelfarth sollen restauriret werden, aber weill ein geschrey von an- 
kunft 1. Wilhelms einkommen, alß ist die zeitt wegen besorgenter protestation anticipiret 
worden, des abents uns angesagt, sich morgents uf den saal zu sistiren; morgents sind 
die thor zugehalten, biß der actus vorüber*'. 

105 Hauptquelle für die Beschreibung des Festakts ist die „Erzehlung, wie die restau- 
ration der Universität Marpurg verrichtet, und disse gegenwertige relation an des heim 
churfürsten zu Sachsen 1. geschickt worden"; sie und die beiden verlesenen Schriften 
sind enthalten im Tit. 7 der Marburger Univ.-Statuten von 1629. Daneben der „Extract 
vertrawten Schreibens" (StAD, Univ. 7), wohl die Form, in der der Bericht als geschrie- 
bene Zeitung verbreitet wurde. — Das Einladungsprogramm, die Reden von Herdenius, 
Hunnius und Reinkingk, sowie die Ansprache Mentzers „ad proceres academiae seeptra 
aeademiae sibi offerentes" (eigh.) und das fürstliche Edikt des Landgrafen an die Studen- 
ten liegen StAD, Univ. 7. Vgl. ferner Cgm. 1259, Bl. 306, Carmen panegyr. Mentzeri 
in Ludwigs Ehrengedächtnis, Anhang, 51 f., Erzehlung, 31 f., Winckelmann, 448, Catal. stucL 
IV, 167 f., Thcatrum Europaeum I (1662), 872, ebenso Khevenhiller, Ann. Ferd. X, 892 f. 
Nach ihnen Senckenberg XXV, 443. 

106 In der Hauptquelle ist von vielem Volk die Rede. Jedenfalls waren nur zuverläs- 
sige Leute ausgewählt. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 215 

die hinzugehörigen Maßnahmen des Landgrafen notifiziert wurden. Alle diese 
und die folgenden Reden wurden durch feierliche Musik voneinander ge- 
trennt. 

In der ersten dort verlesenen Schrift wurde die uns bereits bekannte 
Rechtslage, das Recht und die Verpflichtung Landgraf Ludwigs zur Neuher- 
richtung der Universität dargelegt. Zurückgehend auf die durch Philipps Testa- 
ment den Söhnen anbefohlene und durch die Erbeinigungen eidlich von 
diesen übernommene Verpflichtung zur Erhaltung der Universität 107 führt 
die Erklärung weiter aus, wie durch Ludwigs des Älteren Testament 
die Pflicht von neuem den Erben eingeschärft, wie aber dann vom Landgraf 
Moritz der Status scholasticus verändert, und erst durch die Gründung der 
Gießener Hochschule „reparirt und wider gefast" worden sei, in der Absicht, 
„den abgang der Marpurgischen durch anordtnung der Gissischen hohen schul 
surrogando zu ersetzen". Nunmehr aber, da Ludwigs des Älteren „jura po- 
tiora" 109 an der Universität auf ihn, Ludwig den Jüngeren, übergegangen und 
damit die Möglichkeit der „individual-restaurirung" offen sei, habe er be- 
züglich der Professoren seine Maßnahmen getroffen, die Universität Gießen 
suspendiert, den Abzug der lästigen Einquartierung erwirkt und seinen Vetter 
Moritz ersucht, an der Universitätsverwaltung teilzunehmen. Dieses Recht ge- 
stehe Ludwig dem Kasseler Vetter auch jetzt noch zu 109 , obgleich dieser 
in seiner Antwort behauptet habe, Landgraf Ludwig habe „nicht die potiora 
jura, ja auch noch nit so viel als herr landgraf Moritz, sondern überall nichts" 
zu beanspruchen. 

Über die Frage, ob Landgraf Ludwig nunmehr das Recht zustehe, 
allein die Universität zu versorgen, habe er Rechtsgelehrte und Juristenfakul- 
täten befragt, und ebenso einige Kurfürsten des Reichs. Alle seien einmütig 
in der Bejahung der Frage. Dennoch habe er gewartet, ob Moritz sich nicht 
eines andern besinne, nun schon in den zehnten Monat. Inzwischen aber sei 
er durch die Verpflichtung, das hessische Universitätswesen wiederherzu- 
zustellen, vereint mit dem Drängen fremder und einheimischer Personen dazu 
geführt worden, die Erklärung des Landgrafen Moritz an den Kaiser einzu- 
schicken und dessen Entscheidung als des Reichsoberhauptes, „von dem alle 
Universitäten ihren Schutz und Ursprung haben", nachgesucht. Der Kaiser 
habe entschieden, daß Landgraf Ludwig die Allein Verwaltung der Universität 
in die Hand nehmen solle. 



107 Wenn hier von vier eidlichen Versprechen die Rede ist, durch die sich Land- 
graf Ludwig gebunden fühlte, so ist dies so zu verstehen, daß Ludwig als Erbe Landgraf 
Georgs und Ludwigs d. A. deren je zweimalige Eidespflicht (1567 und 1 568) geerbt hat. 

1W Nicht gleiches, sondern ein Vorrecht an der Universität behauptet Ludwig zu 
haben, wie er auch an anderer Stelle die „vornembste jura universitatis" für sich in An- 
spruch nimmt. Er leitet dieses Vorrecht aus dem ihm zugefallenen jus territorii in Mar- 
burg ab, wie spätere Verhandlungen beweisen, vgl. Erzehlung, 56. 

10» Deshalb die Angst vor dem plötzlichen Eintreffen Landgraf Wilhelms. 



216 Dritter Abschnitt. 

Demgemäß erklärt die zweite Schrift, die verlesen wurde, der Land- 
graf wolle unter keinen Umständen dem Testament Ludwigs des Älteren ent- 
gegenhandeln ; sollte irgend etwas in der Handlung vorgehen, was auch nur 
den Schein einer Kontravention erwecke, so bitte er jeden Hörer, dies sofort 
mitzuteilen, damit dem abgeholfen werden könne. Es wird dann wiederholt 
erklärt, der Fürst sei bereit, „herrn 1. Moritzen f. g. zu einer nebenbestellung 
oder sambtverwaltung bey der hiesigen Universität, soweit dieselbe billich und 
rechtens ist . . . zuzulassen", jedoch jetzt mit der Klausel: „nisi nova causa 
superveniat" — ein neuer Rechtsgrund zur Abstreitung des feierlich zuge- 
sicherten Rechtes ließ sich ja wohl nötigenfalls finden! 

Landgraf Ludwig bestätigt der Landesuniversität sodann alle ihre Pri- 
vilegien, Schenkungen und Satzungen unter Vorbehalt der Mehrung und Besse- 
rung, und nimmt alle ihre Glieder in seinen Schutz; er weist ihr die drei bis- 
her für Gießen verwendeten Vogteien wieder zu und verspricht, soweit mög- 
lich, die Lieferung der von Moritz gesperrten Einkünfte aus Singlis und Fritz- 
lar wieder in Gang zu bringen. Hierzu tritt nun noch eine Kapitalschenkung: 
der Landgraf überweist unter dem Datum des 24. Mai der Universität die 
beiden bisher der Gießener Universität gehörigen Schuldbriefe des Grafen von 
Leiningen-Westerburg über 40000 Gulden und 9000 spanische Taler, zusammen 
etwa 60000 Gulden, wovon jährlich 3000 Gulden Zins zu erheben waren 110 . 

Nunmehr wurden die bisherigen Professoren in ihren Ämtern bestätigt: 
die Theologen Winckelmann und Mentzer, die Juristen Vultejus und Göddäus, 
der Mediziner Braun und die Philosophen Goclenius und Vietor. Dazu 
wurden als Professoren der Universität Marburg neu angestellt : die Theologen 
Feurborn und Steuber, die Juristen Helfrich Ulrich Hunnius und Breiden- 
bach, die Mediziner Kempf und Müller — der letztere zugleich als Professor 
der Mathematik ; als Mitglieder der philosophischen Fakultät Tonsor für Physik, 
Kornmann für Rhetorik und Geschichte, Marcel Olive für Französisch 111 . 
Diese wurden auch sogleich vereidigt. Die Schwurformel verpflichtete sie 
dem Landgrafen Ludwig zu all dem Rechte, das Ludwig der' Ältere an 
der Universität gehabt, und sah auch die Eventualität des Erbfalles an 
Sachsen' vor 112 . 

Die Professoren, nunmehr also sechzehn an der Zahl, wurden ermahnt, 
ihrer Pflichten eingedenk zu sein. Die propagatio doctrinae und die conser- 
vatio honestae disciplinae sollten ihre Ziele sein. Zur Erreichung des ersteren 
solle ihnen in erster Linie die Bewahrung des Glaubens gemäß den luthe- 

110 Kzt. der Schenkungsurkunde StAD, Univ. »7; Abschr. mit Datum 20. Mai Univ.- 
Bibl. Gießen, Hdschr. 33 a; auch in Tit. 7 der Statuten von 1629; Kzt. des Universitäts- 
reverses StAD, a. a. O. Daß die Berechnung mit 60000 Gulden zu hoch gegriffen war, 
zeigte sich bald, vgl. Catal. stud. IV, 190. 

111 Bachmann wurde erst ein Jahr später von Gießen berufen, vgl. Catal. stud. 
IV, 182. 

112 Entsprechend der Huldigungsformel der in Marburg belassenen Professoren, vgl. 
oben S. 197. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 217 

rischen Symbolen dienen — worunter die Schmalkaldischen Artikel und 
Luthers Katechismus, daneben die hessische Kirchenagende, zu erwähnen sind 
— und erst in zweiter die Erlernung von allerlei freien Künsten und 
Sprachen. In der Erklärung zum zweiten Zielpunkt bildet eine Mahnung zur 
Eintracht den Hauptbestandteil. 

Es galt nun, dem wiederhergestellten Corpus academicum ein Haupt zu 
geben ; wir hörten bereits, wie dieser Punkt bei den Vorberatungen Schwierig- 
keiten bereitet hatte. Trotz der entgegenstehenden alten Universitätsstatuten 
ernennt der Landgraf, der sich sonst so ängstlich hütet, eine alte Bestim- 
mung zu verletzen, den Rektor der Universität in der Gestalt Mentzers und 
gibt ihm, da er durch Krankheit an der Ausübung der Rektoratsgeschäfte ver- 
hindert ist, einen Prorektor bei, den Juristen Hunnius. Diese Nichtachtung des 
gesetzlichen Wahlrechts rechtfertigt er damit, daß bis zu diesem Tage nur 
sieben wahlberechtigte Professoren vorhanden gewesen seien, also noch nicht 
die Hälfte der satzungsmäßigen Gesamtzahl, ein Fall, der wohl seit Beginn 
der Marburger Hochschule noch nicht dagewesen sei 113 . Mit dem Hinweise 
auf die nächsten Aufgaben des Senates — Wahl der Dekane, Aufstellung des 
Vorlesungsverzeichnisses, Verpflichtung der neuen Pädagoglehrer — schließt 
die Verlesung des umfangreichen Schriftstückes. 

Prorektor Hunnius hielt im Namen der Universität die Dankrede; ihm 
antwortete im Auftrag des Kanzlers Wolff von Todenwarth der Vizekanzler 
der Marburger Regierung, Reinkingk. Hiermit hatte nach mehr als dreistün- 
diger Dauer der Akt sein Ende erreicht. Der gesamte Senat überbrachte hier- 
auf die Insignien des Rektorats in die Wohnung des kranken Mentzer im 
Kugelhaus, und Universitätskanzler Vultejus überreichte sie ihm lu . Zu De- 
kanen wurden gewählt: Winckelmann, Vultejus, Braun und Goclenius, doch 
übergab letzterer seine Würde alsbald seinem Kollegen Vietor; Syndikus der 
Hochschule wurde Kornmann. Im Laufe des Juni wurden die meisten In- 
auguralreden abgehalten, und so konnte im Sommer die Unterrichtstätigkeit in 
vollen Gang kommen 116 . 

Der prunkvolle Vorgang auf dem Marburger Schloß machte bei 
Freund und Feind großen Eindruck. Selbst die Kasseler und die Calvin isten 
sollen — nach Behauptungen von Darmstädter Seite — durchaus damit zu- 
frieden gewesen sein 116 ; war doch die alte Landeshochschule nun in einer 



118 „Es weis zwar ofthochgedachter u. g. f. u. h., 1. L. z. H., gar wohl, das 
von alters her ein anderer modus rectorem und professores anzunehmen und in ihre würck- 
liche dienststellen aufzuführen, gehalten worden, weill aber bis dahin der ganze senatus 
professorum etwa nur auf siben persohnen und also nicht auf der rechten helftc bestan- 
den, und diß ein solcher fall mit umbständen also gethan ist, dergleichen sich von der 
ersten stund disses introducirten hohen Schulwesens bis auf diesen tag nit wohl ereüget 
hatt, so haben hochberürte s. f. g. keinen andern modum procedendi, dann eben diß mit- 
tel vor sich gesehen. 4 ' — Vgl. auch Cgm. 1259, Bl. 307. 

"* Catal. stud IV, 168. — " 5 Catal. stud. IV, 168 f. 

116 Landgraf Ludwig an Kanzler Wolff, 25. Mai : „menniglich auch, die gutt Casse- 



218 Dritter Abschnitt. 

Weise wiederhergestellt, die außer in der theologischen Fakultät auch cal- 
vinistischen Ansprüchen genügen konnte 117 . 

Im Gefühle seines Triumphes über den Gegner, nachdem er de facto 
von der Universität allein Besitz ergriffen, gedachte Landgraf Ludwig die 
auf die Universitätsrestauration bezüglichen Akten im Druck der Öffentlich- 
keit zu übergeben und sie dem Kasseler Hof als Antwort auf seinen Protest zu 
übersenden 118 . Kanzler Wolff von Todenwarth hatte jedoch das Bedenken, daß 
man hierdurch die Streitigkeiten nur verschlimmere, und so unterließ es der 
Landgraf. Nur den Kurfürsten und dem Kaiser ließ man die bei dem Restau- 
rationsakt verlesenen Schriften zugehen. Eine Reprotestationsschrift gegen 
Moritz wurde in Aussicht genommen, dann aber aufgeschoben, bis der Landgraf 
von Kassel weiteren Anlaß dazu gebe 119 ; das ließ auch nicht lange auf sich warten. 

III. 

In jenen Festtagen, da man die Neubegründung der Marburger Univer- 
sität feierte, liefen bei Landgraf Ludwig Nachrichten vom Kaiserhofe ein, die 
eine weitere günstige Entwicklung der Universitätsstreitsache in Aussicht 
stellten. Der darmstädtische Gesandte Liebenthal und der Reichshofrat Hilde- 
brand teilten mit, daß das vor kurzem beschlossene 120 kaiserliche Mandat 
an Landgraf Moritz alsbald abgehen werde, worin ihm aufgegeben sei, die 
Universitätsgefälle freizugeben. Während Landgraf Ludwig nunmehr den 
Räten lebhaften Dank für die Unterstützung seiner Sache aussprach und seinen 
Gesandten dann abberief 121 , wurde das mandatum de relaxando arresto in der 



lisch, seind gar wohl zufrieden, loben alles alß billich und recht, weil L Moritz nit gar 
ausgeschlossen worden*' ; Extract vertrawten Schreibens : „und ist zu iedermands, auch der 
Calvinisten und Casselischen sonderbahrem contento abgeloffen". 

117 Freilich vertrugen sich die verschiedenartigen Elemente zunächst schlecht; Joh. 
Dieterich schreibt Anfang Juli seinem Bruder (Cgm. 1257, Bl. 321): „Indem ich diß 
schreibe, schreibet mir h. D. Mentzerus, daß pridie Cal. Julii von Cassel ihnen ein pro- 
testation zugeschickt contra instaurationem academiae, so sey auch bey seinem rector- 
imbiß, so er am vergangenen freitag geben, D. Vultejus, M. Goclenius «und Vietor 
nicht erschienen, dannenher leicht zu ermeßen, dz uff jener sehen allerley practi- 
ciret und gebrawet werde". 

118 Landgraf Ludwig an Kanzler Wolff, Mai 29, Or. StAD, Briefe Landgraf Lud- 
wigs an Wolff. 

119 Landgraf Ludwig an Wolff, Mai 31; Juni 4, eigh. : „Weil ir darvor achtet, daß 
es nit rahtsam, daß die Schriften, so bei dem actu restaurationis der universitet verlesen 
worden, getruckt würden, so lasse ich es mcinestheils auch darbei bewenden, damit wir 
nit in weitere disputation oder weitleuftigkeit gerahten. Es wirdt doch alles genung- 
sam bekandt werden, wann es irer kais. mait. und den churfürsten communicirt würdt, 
mit welchen schreiben es auch kann ein anstandt haben, biß ich, geliebts gott, wieder 
zu euch komme.'* Vgl. Brief dess. an dens. v. 5. Juni (ebd.) : die Reprotestation von 
Landgraf Moritz könne aufgeschoben werden, „dann 1. Moritz doch nit feiren wirdt, biß 
er solche auch von mir hcrausser prest". 

120 S. oben S. 210. 

121 Liebenthal an Landgraf Ludwig Juni 8, Or. StAD, Marb. Succ. 37; ders. an 



Di* Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 219 

Tat ausgefertigt (6/16. Juni) 1 « und einige Wochen später dem Kasseler Fürsten 
zugestellt 1 ". Das Mandat spricht dem Landgrafen Ludwig das Recht der 
Allein Verwaltung der Universität bis auf weiteren Vergleich zu und befiehlt 
demgemäß dem Landgrafen Moritz, den auf- die Gefälle gelegten Arrest alsbald 
aufzuheben und, daß dies geschehen, innerhalb zweier Monate beim Kaiser 
zu beweisen. 

Inzwischen hatte der Darmstädter Landgraf noch in anderer Richtung die 
Rechte der hessischen Gesamtuniversität für Marburg geltend gemacht: im 
Stipendien wesen. Schon damals, als er die Aufhebung der Universität Gießen 
erwog, hatte ihn die künftige Gestaltung dieser wichtigen Angelegenheit be- 
schäftigt 124 . Nunmehr erließ er (am Tage nach der Restauration der Hoch- 
schule) unter Darlegung seines Rechtes an die beitragspflichtigen Städte und 
Ortschaften Niederhessens und — in anderem Wortlaut — an die seines Ober- 
hessens Aufforderungen, die Beiträge an die Stipendienkasse weiterzuliefern 126 . 

Auch das Rechnungswesen der Universitäts- und der Stipendienkasse 
mußte jetzt in Ordnung gebracht werden. Ludwig ernannte Kommissare, um 
die sonst jährlich, nun aber seit dem Regensburger Urteilsspruch nicht mehr 
geprüften Rechnungen kontrollieren zu lassen. Gegen Cruciger, der sich wei- 
gerte, als gewesener Ephorus die Rechnung der Stipendienkasse vorzulegen, 
wurde nunmehr die längst ausgesprochene Drohung 126 wahrgemacht : er mußte 
innerhalb zwei Tagen die Stadt verlassen 127 . Die Rechnung wurde am 9. Juli 
geprüft und der übliche „Rechnungsabschied" darüber aufgenommen 128 . 

Die Restauration der Universität, sowie diese Maßregeln gaben dem 
Kasseler Landgrafen wieder Anlaß zu einem Protest, den er der Regierung 
zu Marburg und dem Rektor Mentzer zustellen ließ 129 . Moritz erinnert daran, 
daß sein Vetter auf seine Protestation vom vorigen Herbst nicht geantwortet 
habe, schließt daraus, daß er „in seinem gewissen seines unfugs überzeuget" sei, 
und macht von neuem alle die Gründe geltend, die er schon früher gegen Ludwigs 
Universitätsrechte beigebracht hatte, indem er sich gegen die neuerdings vor- 

dens., Mai 25, Or., Landgraf Ludwig an Liebenthal und Hildebrand, Mai 29, an Reichshof- 
ratsvizepräs. v. Stralendorf, o. D., an Liebenthal, Juni 5, Kzte. StAD, Univ. 7. 

m Gedruckt: Erzehlung, 261. — 12S Erzehlung, 259, Randnote. 

1M In dem Schreiben an die Marburger Räte, 1624 Mai 5 (Kzt. StAD, Univ. 8). 
Vgl. das Schreiben Mentzers an den Landgrafen v. 27. Juli 1624 (Or. ebd.). Man wußte 
damals nicht recht, wie man sich gegen, solche niederhessische Stipendiaten verhalten 
sollte, die sich dem neuen Ephorus nicht fügen würden. Das Verhältnis war jetzt ge- 
rade umgekehrt wie 1605. 

126 Konzepte vom 25. Mai StAD, Univ. 7, die an die niederhessischen Orte gedr. 
Erzehlung, 255; die an die oberhessischen Orte gerichtete Schrift scheint erst am 11. Juni 
abgegangen zu sein. 

126 S. oben S. 211. 

187 Cgm. 1258, Bl. 571; Erzehlung, 23 u. 268. 

12 8 Or. im UAG. 

129 Vom 17. Juni 1625; mit dem Notariatsinstrument über die Insinuation gedr. 
Erzehlung, 256ff. Vgl. Cgm. 1257, Bl. 321 (oben Anm. 117). 



220 Dritter Abschnitt. 

genommenen Eingriffe verwahrt. Ludwig hielt es auch jetzt noch nicht für an- 
gezeigt, in gleicher Weise zu antworten ; er erhob nur in einem Schreiben an 
den Kaiser vor dem „summo superiore" Widerspruch gegen Moritzens Behaup- 
tungen und schrieb auch entsprechend an seine Freunde im Kurkolleg 180 . 
Moritz aber beschritt wiederum den Prozeßweg beim Kaiser. Auf die beiden 
Klagen vom 30. April 131 war kein kaiserlicher Bescheid erfolgt. Nun erhob er 
gegen die Verfügung des Kaisers in Sachen der Universitätsgefälle den Ein- 
wand „sub- et obreptionis" (der Erschleich ung) 1 « Als Stützen benutzte er hier- 
bei neben seinem Alleinanspruch auf die Universität einige, wie es uns scheint, 
ziemlich fadenscheinige Rechtsgründe 13 ». 

Wir wollen auf die Einzelheiten des in Wien geführten Prozesses nicht 
eingehen 13 *; genug: Liebenthal, der seinen Landgrafen wieder vertrat, sowie 
der Agent Pistorius v. Burgdorf erreichten, freilich nicht ohne klingende Ver- 
sprechungen an die maßgebenden Räte 185 , einen kaiserlichen Bescheid vom 
28. Okt./7. Nov., zu ödenburg gegeben, der es in der Sache der Universi- 
tätseinkünfte einfach bei dem Mandat vom 6./1 6. Juni ließ; wiederum wurden 
dem Kasseler Fürsten zwei Monate Zeit zur Erklärung seiner Parition und zum 
glaublichen Beweis der Freigabe als Termin gesetzt 186 . Auf die Universitäts- 
klage vom 30. April erfolgte auch jetzt keine Antwort an Moritz 187 ; dagegen 
wurde bezüglich jener gleichzeitigen Kontraventionsklage in der Gesamterb- 
frage nunmehr der Prozeß eröffnet 188 , immerhin ein Erfolg der Kasseler An- 
strengungen. 

Mit der kaiserlichen Entscheidung über die Universitätsgefälle wollte sich 
Landgraf Moritz anfangs nicht zufrieden geben und ließ eine Appellation ad 
Caesarem plenius informandum notariell zu Protokoll nehmen 139 ; da er aber die 

18 ° 1625 Juli 16, Abschr. StAD, Marb. Succ. 37. 

181 S. oben S. 211. 

182 Etwa Aug./Sept. 1626. Erzehlung, 264 ff. 

133 Nur der ähnliche Fall der Vogteientziehung von 1605 läßt sich gegen Lud- 
wig anführen. So schreibt auch der darmstädtische Agent Pistorius am 12./ 22. Okt. 
an Landgraf Ludwig: Landgraf Moritz habe exceptiones in puncto universitatis über* 
geben; „welche doch der Würdigkeit nicht geachtet sein, das man vil darauß machen 
wollt, dan meniglich sihet, das s. f. g. nur lehres stro treschen". 

13 * Akten StAD, Marb. Succ. 37. 

185 Landgraf Ludwig an Liebenthal, 1625 Nov. 28, P. S. : „die bewusste Verehrung 
vor D. Hildebranden soll über die ihm zu ewerer jüngsten ankunft in Wien praesentirte 
200 rthlr. ferner besagen 500 rthlr., doch daß die extensio et renovatio commissionis 
auch vor richtig seye 1 '. Kzt. StAD, a. a. O. 

186 Erzehlung, 271 f. Dieser Bescheid wurde der Kasseler Regierung von der 
Gießen er durch Notar und Zeugen am 28. Nov. übermittelt (Erzehlung, 273), was Mo- 
ritz mit Recht beanstandet (ebd., 276). 

137 Vgl. Erzehlung, 31. Pistorius (an Landgraf Ludwig, Sept. 7/17) bemerkt, 
„das h. 1. Moritz abermahlen mit newen possen umbgehet, beclagt e. f. g. eines spolii 
wegen Marpurgischer Universität, solle auch wegen desselben fürstenthumbs newe scrupl 
moviren" (StAD, a. a. O.). 

138 Erzehlung, 254. — - 139 Ebd., 272 ff. 



-J 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 221 

Erfolglosigkeit eines solchen Schrittes voraussah und wegen des noch schwe- 
benden Erbschaftsprozesses den Kaiser und die Hofräte 1 * nicht noch mehr 
aufbringen wollte, so reichte er die Appellation nicht ein, sondern richtete 
ein Schreiben an den Kaiser, worin er seine Fügsamkeit erklärte 1 * 1 und in Ab- 
rede stellte, daß er überhaupt die Universitätseinkünfte gesperrt habe. Das 
hätten seine Beamten getan, nicht um der Universität etwas zu nehmen, son- 
dern um es vor dem fremden Kriegsvolk zu bewahren und damit den aus Mar- 
burg entlassenen Professoren ihre Gehaltsrückstände zu zahlen. Er habe diese 
Verfügung seiner Beamten jedoch nicht ratifiziert. Um dem kaiserlichen Man- 
dat zu genügen, revoziere er hiermit die Maßregel seiner Beamten. 

So schien Landgraf Moritz nachzugeben; aber seine Beamten setzten 
— doch wohl kaum gegen seinen Willen — den Widerstand gegen die darm- 
städtische Universität fort. Anfang Februar 1626 richtete Landgraf Ludwig 
eine etwas ungnädige Anfrage an seine Marburger Beamten : ob denn die Ge- 
fälle jetzt frei seien, und warum von der Universität kein Bericht darüber ein- 
gehe 142 . Er erhielt folgende Nachricht : Der von der Universität in der Kasse- 
ler Verwaltung (1623) abgesetzte, aber nach der Darmstädter Besitzergreifung 
restituierte Ökonom Georg Reh 143 habe an die Vögte von Singlis (nebst Hom- 
berg und Fritzlar) und von Nortshausen geschrieben, aber von dem ersteren, 
Sauer, den Bescheid erhalten, er habe um Instruktionen in Kassel nachgesucht, 
„es wüßten sich die hern räthe keines ander oeconomo (!) alß Hermanno 
Ulnero zu erinnern ; und solte auch die abgesetzte professores uff sein Ulneri 
vergleichung ihrer nachstendige besoldung vor allen dingen contentiren" 144 . 
In diesem Sinne handelte der Vogt auch tatsächlich ; er verkaufte einen Teil der 
bei ihm angesammelten Naturalabgaben und zahlte das Geld an die aus Marburg 
entlassenen Professoren Cruciger und Molther und den fürstlichen Leibarzt 
und Professor Joh. Hartmann aus 146 . Die Universität aber machte bei dem 
Versuch, Gelder im Feindesland einzuziehen, üble Erfahrungen : „Unser 
prorector D. Breidenbach", schreibt Steuber an Dieterich in jenen Tagen, „ist 
nach Fridslar gezogen mit einem trompeter, hat 800 sp. thlr. zurück mit sich 
führen wollen, underwegs kommen, wie man sagt, landkinder aus Caßel und 
Ziegenhayn an ihn, schlagen ihn jemmerlich, dan er sich gewehret, setzen ihn 
ab, ziehen ihn aus und nehmen ihm pferd und gelt, ist noch zu Fridslar" 14 «. 

Kaum hatte Landgraf Ludwig von dem Widerstand der Vögte und der 



14 <> Ebd., 33 — 141 Ebd., 276ff. 

142 Landgraf Ludwig an Riedesel, Beilersheim u. Reinkingk, 1626 Febr. 2, Kzt. 
StAD, Univ. 7. Die Professoren Breidenbach, Hunnius und Mentzer sollen an den Fällig- 
keitsorten persönlich auf Lieferung dringen. 

148 Catal. stud. IV, isoff., 200 f. 

144 Riedesel usw. an Landgraf Ludwig, Febr. 6, Or.; Abschr. des Sauerschen 
Schreibens v. 30. Jan. StAD, Univ. 7. 

145 Bericht Rehs v. 29. März 1626, Abschr. a. a. O. 

146 1. April 1626, Cgm. 1259, Bl. 311. 



222 Dritter Abschnitt. 

Verwendung des Geldes Nachricht erhalten, als er seinem Gesandten am 
Kaiserhofe Mitteilung machte: Dadurch, daß man von Universitatsgut die „de- 
gradirten Calvinisten" unterhalte, habe es den Anschein, als ob Marburg „fast 
nicht mehr vor die rechte hohe schul erkandt und also je eine contravenirung 
der kays. urtheil durch die andere gehäuft" werde. Um so viel mehr solle der 
Gesandte auf „ernsten kay. proceß" gegen Moritz und die widerspenstigen 
Vögte dringen 147 . Hierzu fügte er ein Schreiben an den Kaiser 
selbst 148 . Auch jetzt waren Liebenthals Anstrengungen, seines Herrn 
Beschwerden zur Geltung zu bringen, von Erfolg gekrönt Am 2./12. 
Mai erließ der Kaiser ein Zitationspatent gegen Landgraf Moritz wegen des 
Ungehorsams gegen die Mandate vom 6./16. Juni und 28. Okt./7. Nov. 1625. 
Dieses Patent wurde zur Verwendung nach Darmstadt geschickt. Aber es 
scheint, daß man sich der so erhaltenen Waffe gegen Moritz gar nicht be- 
diente 149 . Man bedurfte ihrer nicht mehr, da am 11./21. April ein kaiserliches 
Urteil den Landgrafen von Kassel zum Ersatz aller seit 1605 aus seinem Mar- 
burger Anteil gezogenen Einkünfte (im Betrag von 1357 154 Gulden 1 Albus) 
verurteilte und Darmstadt jetzt mit kaiserlicher Genehmigung und Tillys 
Unterstützung einen großen Teil kasselischen Landes als Pfand für diese 
Summe in Besitz zu nehmen begann 150 . Auch die Universität hatte hierbei 
nach Ludwigs Ansicht ihre Forderungen. Schon am 23. März hatte er daher 
Auftrag gegeben, die von 1605 bis 1624 für die Universität Marburg ausge- 
gebenen Beträge zusammenzustellen, davon die für Bibliothek, Bauwesen und 
dergleichen verwendeten Summen — die also ihrem Wert nach noch vor- 
handen waren — abzuziehen, um so die von Landgraf Moritz seit der Reli- 
gionsänderung, also „unberechtigt" für akademische Zwecke verwendeten Gel- 
der zurückfordern zu können; das Gleiche geschah bezüglich der 1605 bis 
1624 an „Calvinische Scholaren" gezahlten Stipendienbeträge 151 . 

Unter diesen Umständen mußte Moritz im eigeaen Interesse die Vog- 
teien freigeben, um die Summe nicht noch zu erhöhen. 

So konnte Landgraf Georg II. — sein Vater Ludwig hatte diesen völligen 
Sieg seiner Sache nicht mehr erlebt, er ist am 27. Juli 1626 gestorben — am 
16. Oktober 1626 endlich der Universität auftragen, die niederhessischen Vog- 

147 Kzt. v. 2. April, StAD a. a. O. Mit der „schmaichelhaften anzaige und erkleh- 
rung" scheint eine frühere Gehorsamsversicherung der Vögte gemeint zu sein. 

148 Kzt., o. D., StAD, Marb. Succ. 37. 

149 Das Original mit kaiserlicher Unterschrift und Siegel liegt im StAD (Univ. 7)! 
— Wäre das Patent der Kasseler Partei zugestellt worden, so würde es schwerlich in 
den Beilagen zur „Erzehlung" fehlen. 

150 Vgl. Erzehlung, 34 ff., 294ff. Rommel VI, 225 ff. 

151 Landgraf Ludwig an Rechnungsabhörkommission, 1626 März 23, Bellersheim u. 
Gerlach an Landgraf Ludwig, Juni 6 u. 15, Landgraf Ludwig an die Marburger Regie- 
rung, Juli 1 : StAD, Univ. 7, und Akten in der Gießener Univ.-Bibliothek. In letzterem 
Schreiben erinnert Ludwig nochmals an die Berechnung der „zur hägung und proplan- 
tation des Calvinismi" verwendeten Stipendien. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 223 

teigefälle einzunehmen, gestützt auf die „jüngste Marpurgische liquidations- 
execution" 16 *. Der Widerstand war gebrochen ; wenigstens hat der vorher so 
widerspenstige Vogt Sauer zu Singlis noch 1626 Zahlungen an die Universität 
geleistet 15 ». Von Stipendiengeldern dagegen kam trotz der Aufforderung 
Landgraf Ludwigs sowohl im Darmstädter als im Kasseler Gebiet fast gar 
nichts ein, was sich — abgesehen von der Abneigung der Niederhessen — aus 
den Lasten des Krieges erklärt, die dem Lande schon damals unerträglich auf- 
lagen. Landgraf Georg ließ daher nach Mentzers und Reinkingks Entwürfen ein 
Missivschreiben „etwaß glümpflicher" an St. Goar und die niederhessischen, 
„etwaß ernster" an die oberhessischen und katzenelnbogischen Orte ab- 
gehen 154 . — 

Kassel lag am Boden. Der verhaßte Landgraf Moritz war tief gedemü- 
tigt, Georg von Darmstadt hatte so ziemlich alles erreicht, was sein Vater er- 
strebt hatte. Da gewann — im Laufe des Herbstes 1626 — am Kaiserhofe 
die Neigung, den unerfreulichen Familienstreit zu beendigen, die Oberhand. 
Ein Vergleich, der den bestehenden Zustand zum dauernden machte, hätte 
es unwahrscheinlich gemacht, daß je wieder oppositionelle Regungen gegen die 
kaiserliche Politik in dem geschwächten Fürstentum Kassel auf Erfolg rechnen 
konnten. So beschloß Kaiser Ferdinand, eine Fürstenkommission zu ernennen, 
die vermitteln und eine Beilegung des Streites anbahnen sollte. Kurköln, das ja 
schon vorher in der hessischen Erbsache als Vertreter des Kaisers gewirkt hatte, 
und Württemberg wurden dafür zunächst in Aussicht genommen. Landgraf 
Georg, dem diese gütliche Vermittlung noch zu früh kam, weil er sich vorher 
noch in den Besitz der Festung Ziegen hain und des Schlosses Plesse (unweit von 
Göttingen) zu setzen dachte, machte Ausflüchte 155 . Gegen Württemberg wandte 
er unter anderem ein, der Herzog wolle ihm nicht wohl; er habe in dem theo^ 
logischen Streit zwischen den Fakultäten zu Gießen-Marburg und zu Tübingen 
lebhaft Partei für seine Landesuniversität genommen 156 . Statt des Württem- 
berger Herzogs möge man doch den Kurfürsten von Sachsen wählen 157 . 



15 * Or. StAD, Univ. 7. Vgl. Catal. stud. VI, 184. 

1M Marburger ökonomatrechnung 1626 (UAG). Die Vogtei Nortshausen dagegen 
hat weder 1626 noch 1627 gezahlt. Von St. Georgen zu Homberg findet sich gleichfalls 
keine Zahlung gebucht, von Fritzlar nur 2 fl. 10 alb. für 1626; beide letztere Vogteien 
unterstanden gleichfalls Sauer. 

154 Landgraf Georg an Mentzer u. Reinkingk, 1626 Nov. 25, Kzt. Entwürfe u. 
Konzepte der Missiven, die am 13. u. 14. Dez. 1626 abgingen: StAD, Univ. 7. 

im Es waren Leute am Werk, die ihm abrieten, jetzt schon Frieden zu machen. 
So schreiben die Marburger Ausgaben des Hauptvertrags S. 258, daß ihm „die gütliche 
composition an underschiedenen evangelischen orten mit anführung vieler ansehnlicher 
Ursachen dissuadirt und hingegen gerahten worden, daß s. f. g. alßdan allererst, wan 
sie vorhin durch urtheil und recht noch mehrere lande und leuthe in handen net- 
ten, die gütligkeit bewilligen sollen". Vgl. auch Acta Marpurgensia (1646), 527. • 

15« Vgl. hierüber Heppe, Kirchengeschichte beid. Hessen II, 208 ff. 

157 Vgl. das Schreiben Landgraf Georgs an den Reichsvizekanzler Frh. v. Stralen- 



224 Dritter Abschnitt. 

Dennoch blieb es nun bei Kurköln und Württemberg, aber es wurden, wor- 
über sich Kassel höchlich beschwerte, noch weiter als Friedensvermittler be- 
rufen der Markgraf Christian von Kulmbach, ein naher Verwandter des Land- 
grafen Georg 16 «, und der Bischof von Würzburg 15 ». Nach dem kaiserlichen, 
vom 4./ 14. Januar 1627 datierten Beschluß auf Einsetzung der Kommission 
soll bis zu völliger Vergleichung der streitenden Parteien alles im gegenwär- 
tigen Stand bleiben, speziell die Universität soll bis zur Übereinkunft in Händen 
Georgs belassen werden 160 . Gleichzeitig wurde noch angeordnet, daß Ziegenhain 
und womöglich auch Plesse kaiserliche Besatzung erhalten sollten 1 ". 

Unter diesen Umständen, den völligen Ruin seines Hauses vor Augen 
und einer feindseligen Behandlung sicher, falls er sich auf die Vergleichs- 
aktion einließ, entschloß sich Landgraf Moritz, die Regierung seinem ältesten 
Sohne Wilhelm zu übergeben, gegen den auf der Seite der Darmstädter wenig- 
stens keine persönliche Erbitterung vorhanden war 162 . 

Landgraf Wilhelm, der am 17. März 1627 die Regierung übernahm, sah ein, 
daß rechtliche Ausführungen vor dem kaiserlichen Forum für sein Haus aus- 
sichtslos seien ; er wurde auch durch die Versuche der Kaiserlichen, Ziegen- 
hain und Plesse in Besitz zu nehmen, zur Eile angespornt, und so richtete er zu- 
gleich mit der Notifikation seines Regierungsantrittes an Landgraf Georg das 
Ersuchen, Vergleichsverhandlungen einzuleiten. Georg ging darauf ein 163 . Zu 
einem Eingreifen der vom Kaiser eingesetzten Vermittlungskommission kam 
es also nicht. 

Bei den hiermit beginnenden Verhandlungen spielt wiederum, wie in 
dem ganzen Marburger Erbfolgestreit, die Universitätsfrage eine Hauptrolle. 
Die Darmstädter Partei geht dabei mit unerbittlicher Konsequenz darauf aus, 
die Hochschule, die man bereits in Händen hatte, nicht wieder herauszugeben, 
auch nicht eine mit Kassel gemeinsame Verwaltung zuzulassen. Bestärkt wurde 
Landgraf Georg in dieser Stellung zu der wichtigen Frage durch ein Gut- 
achten, das er — wie von anderen Räten — von seinem Marburger Vizekanz- 



dorf v. 12. Nov. 1626, das für das Verhältnis Georgs zum Kaiserhofe sehr bezeichnend 
ist. Erzehlung, 382 ff. 

158 Georgs Mutter war Christians Schwester gewesen. 

159 Kommission v. 4./14. Jan. 1627: Erzehlung, 390. 

160 Bezüglich der Universität wurde Landgraf Moritz eingeschärft, „daß es hier- 
innen unterdessen bey derjenigen provision, wie solche mit unserm gnedigsten consens 
von weyland 1. Ludwigs 1. ad interim, biß sich d. 1. derentwegen anderweits vergleicht, 
gemacht und angeordnet, allerdings gelassen werde" (Erzehlung, 389). 

161 Erzehlung, 387 f., wegen Plesse, 397. 

162 Zur Abdikation vgl. Rommel VII, 666f., u. VI, 301, sowie die Bemerkung des 
Darmstädter Kanzlers Wolff v. Todenwarth : mit Landgraf Moritz werde sich sein Herr 
nie vergleichen, wohl aber mit dessen Sohn (Erzehlung, 46). 

163 Wilhelm hatte sogar schon vor der Abdankung seines Vaters zu unterhandeln 
begonnen, vgl. Rommel VII, 669 f., schärfer Gfrörer, Gustav Adolf * (1844), 553. — 
Erzehlung, 47 f.; Hauptvertrag zwischen Wilhelm u. Georg, gedruckt mit den Vorakten 
Marburg 1633 (2. Aufl. 1644), 1 — 15. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 225 

ler Reinkirigk verlangt und erhalten hatte. Hierin sind alle Gründe wohl er- 
wogen, die für Georgs Haltung gegenüber Wilhelm bestimmend sein mußten, 
und Reinkingk hatte auch Gelegenheit, nachher als Unterhändler seine An- 
sichten zu verfechten 164 . , 

Im Auge zu behalten ist bei diesen Verhandlungen, daß Darmstadt sich 
von vornherein nicht darauf einließ, die noch bestehende kaiserliche Exe- 
kution gegen Kassel, wodurch große Gebiete Landes dem Landgrafen Wilhelm 
entzogen waren, einstellen zu lassen. Landgraf Georg war hier durch eine 
Bestimmung im Testament seines Vaters gewarnt 166 und behielt auf diese 
Weise die Möglichkeit, einen Druck auf die Gegenpartei auszuüben. 

So war es denn eine große Enttäuschung für Landgraf Wilhelm, der 
persönlich mit den Räten am 1. Mai zur Verhandlung nach Hersfeld ge- 
kommen war 166 , als er von den darmstädtischen Vertretern erfuhr, es liege 
gar nicht in ihrer Absicht, über die durch kaiserliches Urteil und Exekution 
entschiedene Haupterbfrage sowie die Liquidationsfrage irgendwelche Beratung 
zu pflegen, sondern über eine Reihe von Einzelheiten, die ins Reine gebracht 
werden sollten. Diese Artikel, denen man das Bestreben anmerkt, das 
Darmstädter Fürstentum möglichst vor jeder Beeinflussung durch Kassel 



164 Ich teile Reinkingks Ausführungen, soweit sie die Universität betreffen, aus 
dem Original (StAD, Marb. Succ. 45, Bd. I, 206 f.) mit: „Dieweill auch e. f. g. Univer- 
sität allhie in geist- und weltlichen sachen des landes hertz und ein solches kleinodt ist, 
so nicht zu aestimiren, allß werden e. f. g. deren bey vohrwesendcm tractatu in gnaden 
ohnvergessen pleiben. Dan solte dieselbe also in communione pleiben, würde sie hier- 
negst nurent 'ein stets wehrendes zanckeysen seyn und fort und fort newe mate- 
riam litis suppeditiren, nicht allein ex ratione generali, quod communio pariat discor- 
dias, sondern auch weil weiland 1. Ludwig der elter herren 1. Wilhelmen propter aetatem 
et auctoritatem in solcher communion viel nachgelaßen und ad actus praejudiciales kom- 
men laßen, denen man Casselischer Seiten zu inhaeriren nicht unterlaßen wirdt, bevorab 
da die religions composition [die R. vorher befürwortet] nicht erfolgen solte. So besorge 
ich auch, weil man nach vohrgangener cession zue Cassell nuhnmehr resolvirt, auß an- 
deren principiis die regierung zu führen und sich zue guberniren, wie ein zeithero bey 
1. Moritzen f. g. beschehen, es werde 1. Wilhelms f. g. den nähisten zur mitbestellung 
der Universität sich ahnmelden, bevorab weil itzo in der theologischen facultät 2 stel- 
len vaciren, möchten s. f. g. die alleinige wiederbestellunge deren e. f. g. difficultiren 
und also dz bonum publicum spirituale wo nicht gar hemmen, jedoch ein zeitlangk cum 
damno academiae uffhalten, derowegen zue bedencken, ob nicht rathsamb, dieselbe stel- 
len do ehr do lieber, s. f. g., alß die sich zur mitbestellunge noch nicht ahngemeldet, ohn- 
ersuchet, zu ersetzen". 

166 Aus dem Originalpergament (v. 6. Okt. 1625, StAD, Hausarchiv, Urkunden): 
„Es ist auch unser will und meinunge, daß man sich durch anerbiethung und vertrös- 
tunge der güethe von denen sachen [nämlich der Liquidationsexekution] nicht leichtlich 
abführen oder auffhalten lassen solle, in erwcgunge, wir mit unserm schaden auch hie- 
bevor in der Marpurgischen haubtsachen selbst befunden, ob wir gleich viell güetliche 
tage besuchen lassen, unß auch große vertröstunge zu viellen underschiedtlichen mahlen 
güetlicher mittell halber geschehen, daß eß doch nuhrent bloße wort und ein lauterer 
umbtrieb gewesen seye*\ 

im Über die Hersfelder Verhandlung vgl. Erzehlung, 49 ff. 

Die Universität Gießen von 1607 bis 1907. L «S 



226 Dritter Abschnitt« 

sicher zu stellen und jede Prärogative Kassels in gemein hessischen Angelegen- 
heiten abzuweisen, betrafen die gemeinsamen Stifter, Erbämter, Land- und 
Reichstagssachen, Gericht, Schulden usw. An der Spitze aber stand der Ar- 
tikel, daß Landgraf Wilhelm die Religionsverhältnisse allenthalben wieder- 
herstellen solle, wie sie zur Zeit der Söhne Philipps bestanden, und ferner, 
daß er „von der universitet Marpurg gantz hand abthun und solche, weiln 
herrn landgraff Georgens fürstl. gn. die Stadt Marpurg allein zustendig were, 
künftige Streitigkeiten, so ex communione zu entstehen pflegten, zu verhüten, 
gegen sonsten andere satisfaction sr. fürstl gn. [dem L. Georg] allein über- 
lassen solten" 167 . Landgraf Georg stellte, wie wir sehen, die Forderung, daß 
ihm die Universität mit allen ihren Besitzungen ungeteilt abgetreten werde 1 ". 
Doch waren seine Vertreter für den wahrscheinlichen Fall, daß Landgraf Wil- 
helm darauf nicht eingehen werde, auch instruiert, eine neue Art von Univer- 
sitätsgemeinschaft vorzuschlagen, derart, daß die theologische Fakultät von 
Darmstadt, die übrigen Professuren abwechselnd von beiden Parteien besetzt 
würden ; jedoch dürften nur solche Leute angestellt werden, die den von Land- 
graf Ludwig testamentarisch festgesetzten „Religionsrevers", die Verpflichtung 
auf die damaligen lutherischen Symbole, ausstellen würden. In letzter Linie 
waren die Darmstädter Räte auch bevollmächtigt, in eine Abtretung der in 
Niederhessen gelegenen Universitätsvogteien zu willigen, falls Landgraf Wil- 
helm eine eigene hohe Schule gründen wolle 168 . 

Zur Beratung dieser Eventualitäten kam es jedoch in Hersfeld nicht. 
Dem Kasseler Landgrafen und seinen Räten, die zunächst über die Haupt- 
streitfrage und dann anhangsweise über diese Punkte ins Reine zu kommen 
dachten, war das Konzept gänzlich verdorben. Man kam über die Frage nach 
dem modus procedendi nicht hinaus, und so rief endlich Landgraf Georg seine 
Vertreter ab, alles weitere einer persönlichen Zusammenkunft mit Wilhelm 
vorbehaltend. Aber auch für diese neue Verhandlung, die nach dem Schlosse 
Romrod anberaumt wurde, setzte er die Tagesordnung in gleicher Weise 
fest wie für die Hersfelder Tagung 170 . 

167 Erzehlung, 50. 

168 Vgl. auch Landgraf Georgs Dotationsurkunde vom 1. März 1628 (s. u.), wo 
es heißt : „. . . so haben wir zwar in der zuvor gepflogenen mühsamen gütlichen trac- 
tation uns höchsten fleißes bearbeitet und alle immer ersinnliche, erdenkliche und thun- 
liche mittel gebraucht, das wir nicht nurd unsere Universität alhie zue Marpurg, sondern 
auch die sambtliche darzu gehörige und gestiftete güther und gefalle erblich behalten 
möchten". Freilich war in der Proposition anderweitiger Ersatz („satisfactio") ver- 
sprochen. 

169 Instruktion v. 29. April 1627, Or. St AD, Marb. Succ. 45, I, 256fr 

170 Am 6. Mai schreibt Landgraf Georg an seine Vertreter zu Hersfeld: „Wir 
könten aber nicht undcrlassen, s. Id. offen hertzig vorher zu vermelden, daß wir, soviel 
den modum procedendi antrifft, die puncten von der universitet Marpurg, hospitalien, 
hof- und revision-gerichten . . . und was dessen anhengt, der frage von landen und leu- 
then nicht könten nachsetzen oder auch in denselben puncten sonders viel nachgeben". 
Haupt vertrag, 17. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 227 

Am 21. Mai traten die Landgrafen Wilhelm und Georg, von ihren Räten 
begleitet, in Romrod zusammen 171 . Wie Georg verlangt hatte, verhandelte man 
zunächst über die Hersfelder Punkte. Der hauptsächlichste Redekampf hatte 
die Universität zum Gegenstande. Noch ein letztes Mal verfocht — nach- 
dem der Religionspunkt ausgesetzt war — die Kasseler Partei mit Erbitterung 
ihr alleiniges Recht an der Universität und vertrat wieder den Standpunkt, 
daß die kölnischen Gesandten ihre Befugnisse überschritten hätten, als sie den 
von Ludwig dem Älteren innegehabten Anteil an der hohen Schule an Ludwig 
den Jüngeren übertrugen. Zu diesem Zwecke legten sie eine rechtliche De- 
duktion schriftlich vor 172 . Darmstadt ließ sich hierauf nicht ein. Da gab Land- 
graf Wilhelm nach : Er wollte dem Hause Darmstadt die Mitbestellung oder die 
Hälfte der Universität zugeben. Aber die Gegenpartei erklärte, die hätte Darm- 
stadt schon durch kaiserliches Urteil und noch ein Vorrecht dazu, weil die Uni- 
versität in ihrem Gebiete liege. Es handele sich für sie jetzt darum, die Hoch- 
schule allein zu besitzen. Insbesondere ließ Landgraf Georg erklären, im Testa- 
ment seines Vaters sei er angewiesen, um Streitigkeiten bei der Gemeinver- 
waltung zu vermeiden, dafür zu sorgen, daß die Hochschule darmstädtisch 
bleibe 173 . Man stellte Kassel anheim, eine eigene hohe Schule (Gymnasium) 



171 Über diese Zusammenkunft handelt die Erzehlung, 55 — 61. Ein Teil des Ver- 
handlungsprotokolls bezüglich der Universität findet sich im „Ohnumstößlichen Beweis 
. . in S. Hess.-Darmst. . . . wieder . . . Hessen-Cassel" (1749, Anhang A zu den „Wohl- 
begründeten Anmerkungen über den Abdruck des . . an eine hohe Reichs- Versammlung 
. . . erlassenen Schreibens"), S. 10, Anm. 7. Das ganze Protokoll : St AD, Marb. Succ. 
45, I, s8off. 

172 Unter dem Titel „Eilfertige anzeige, was es mit der academia zu Marpurg, 
wie auch dem daselbst angestelten paedagogio vor eine beschaffcnheit habe"; gedr. 
nebst Beilagen: Erzehlung, 433 — 448. 

m Ausdrücklich ist dieser Wunsch in dem Testament nicht enthalten, wohl aber 
wird von der Universität als dem frei verfügbaren Eigentum Darmstadts geredet und 
die Religionsverpflichtung verlangt. Es heißt da: „Haben wir seither (nachdem... wir 
die Stadt und Universität Marpurgk durch rechtliche wege einbekommen) . . . die hohe 
schuell zue Marpurgk restaurirt, die von 1. Moritzen vorgangene verenderunge abge- 
schafft, vornemblichen aber der religion halber es widerumb in den standt gebracht, wie 
eß bey regirunge und abieben 1. Ludwigs des älteren . . gewesen ist. Wollen hierauf, 
daß alleß, waß zu zeiten unserß gottsehligen vettern 1. Ludwigen d. ä. zu solcher Univer- 
sität gehöret, auch waß wir zu solcher unserer hohen schuel zu Marpurg behueff depu- 
tirt, und waß wir künftigk noch weiter darzu geben, oder von andern darzu gestiftet 
ist oder werden möchte, wie daß nahmen haben mag, darbey gelaßen und daß geringste 
darvon nicht entzogen oder zu andern Sachen verwendet, darauß aber berürte hohe schuel 
yederzeit mit gelärten und dermaßen qualificirten und gottßfürchtigen professoribus und 
praeeeptoribus versehen werden soll, damit sie ye länger ye mehr wachße und inß 
aufnehmen komme, viell gelärter leuthe daselbsten erzogen werden und alßo ein semi- 
narium ecclesiae und politiae, gott zu sonderbahren ehren, auch dem gantzen vattcr- 
landt zu trost, freuwd und rühm sein und bleiben möge. Zu dessen besserer beförderung 
sowohl, auch alle religionsverführungen abzuwenden, ordtnen wir, daß unser söhn der 
landtßfürst von einem yeden angehenden professore publico und praeeeptore paedagogico 
den von unß jüngsthinn bedechtlich eingeführten religionsreverß vor ihrer reeipirung auf- 



228 Dritter Abschnitt. 

zu gründen ; zu diesem Zwecke wolle man einen Teil der Universitätsgüter an 
Kassel abtreten. Die Vertreter der Kasseler Interessen sträubten sich, diese 
Vorschläge anzunehmen und blieben bei ihrer Weigerung auch, als die Gegner 
drohten, ihnen alle auf die Universität seit 1605 verwendeten Kosten und 
auch noch die Kosten der Gießener Hochschule aufzubürden. Schließlich 
legten die Darmstädter einen Entwurf vor, wie wir ihn aus der Instruktion 
zur Hersfelder Tagsatzung schon kennen 174 : Gemeinsame Verwaltung und Be- 
setzung der Universität, doch so, daß die theologische Fakultät (und jetzt auch 
das Pädagogium) dem Hause Darmstadt als Vorrecht zukommt; im übrigen al- 
ternierende Bestellung der Professoren, aber mit Verpflichtung auf das luthe- 
rische Bekenntnis, wie es im Testament Ludwigs des Jüngeren verlangt wurde. 

Hiergegen machten Landgraf Wilhelms Vertreter geltend: Das Testa- 
ment Ludwigs von Darmstadt könne für Kassel nicht als bündig angesehen 
werden; Darmstadt strebe eine Religionseinheit im Dogma ubiquitatis an, wie 
sie noch nie in Marburg bestanden habe. Landgraf Georg ließ durch Wolff 
von Todenwarth erklären, er sei entschlossen, den letzten Willen seines Vaters 
auch in bezug auf die Religionsreverse zur Durchführung zu bringen. Auf 
diese Weise wäre aber eine Ausbildung calvinistischer Geistlicher, wie sie Land- 
graf Wilhelm für sein Niederhessen brauchte, in Marburg unmöglich gewor- 
den. In der Tat war es bei der damaligen Verschärfung der religiösen Gegen- 
sätze ein Unding, an eine paritätische Vertretung der beiden evangelischen 
Konfessionen auf einer Hochschule zu denken. Eine mußte die andere unter- 
drücken. Darin liegt ja zum großen Teil die Ursache des ganzen hessischen 
Universitätsstreites. 

Landgraf Wilhelm mag das auch eingesehen haben; unter diesen Um- 
ständen war eine Mitverwaltung an der lutherischen Universität für ihn wert- 
los. So gab er endlich „nach langem gefecht" nach und verzichtete auf seinen 
Anteil daran, unter der Bedingung, daß ihm die Hälfte der Universitatsein- 
künfte zugestanden, für die Gebäude eine Abfindung gegeben und die in 
seinem Gebiete fälligen Stipendienbeiträge an ihn abgetreten würden 175 ; außer- 
dem sollte sich Landgraf Georg verpflichten, für eine in Niederhessen zu 
gründende Hochschule die akademischen Privilegien auf seine Kosten vom 
Kaiser zu erwirken. Den entlassenen Professoren sollten von Darmstadt ihre 
rückständigen Gehälter und noch ein Quartal darüber bezahlt werden. So 
schien in dieser schwierigen Frage volle Einigkeit erzielt zu sein. Beiden Land- 



nehmen und ausser solches revers keinen deß ortß zue diensten einkommen lassen soll". 
Folgt die Bestimmung, daß das Stipendiengeld und alle Einkünfte nach Marburg geliefert 
werden sollen. 

174 Erzehlung, 58; vgl. oben S. 226. 

175 Von den Intraden hoffte Kassel alles zu erlangen, was in Niederhessen fällig 
war; hiergegen verwahrte sich Darmstadt mit dem Hinweis darauf, daß die niederhessi- 
schen Gefälle den größten Teil der akademischen Einkünfte bildeten. Vgl. die S. 227 
Anm. 171 erwähnte Protokollstelle im „Ohnumstößlichen Beweiß". 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 229 

grafen gereichte das wohl zur Befriedigung; es wird uns erzählt, daß sie sich 
„geküßet und gehertzet" haben 178 . 

Wenn der Kasseler Landgraf aber gehofft hatte, durch Nachgiebigkeit in 
der Universitätsfrage und anderen Punkten in der Hauptfrage, wo es sich um 
Land und Leute und die Liquidationssumme handelte, ein günstigeres Re- 
sultat erzielen zu können, so sollte er sich getäuscht haben. Und an den 
dannstädtischen Forderungen auf diesem Gebiet scheiterte nun die ganze Rom- 
roder Verhandlung. Landgraf Wilhelm erklärte, auf solche Bedingungen 
könne er nicht ohne Rat seiner Verwandten eingehen. Im stillen hoffte er 
Landgraf Georgs harten Sinn noch erweichen zu können, indem er sich mit 
beweglichen Schreiben an Georgs Oheim, Philipp von Butzbach, und an 
Georgs junge Gemahlin, Sophie Eleonore, die Tochter des Kurfürsten von 
Sachsen, wandte 177 . 

Diese Maßregel blieb, wie zu erwarten, erfolglos. Als die Universität Mar- 
burg in jenen Tagen ihr hundertjähriges Bestehen feierte 178 , stand die Aussöh- 
nung der hessischen Linien noch in weitem Felde. Ja, eine neue Stimme erhob 
sich jetzt, um eine Fortsetzung der Verhandlungen auf dem bisherigen Boden 
zu hintertreiben : Landgräfin Juliane, Wilhelms Stiefmutter, äußerte sich zu den 
bisher besprochenen Punkten, indem sie ihren Sohn warnte, auf die Zumu- 
tungen der Darmstädter einzugehen 178 . 

Im Laufe des Sommers fand noch eine erfolglose Konferenz der Kasseler 
Räte mit Landgraf Georg zu Nid da statt 180 , und schließlich ließ Landgraf 
Georg, nachdem er sich bei seinem Oheim und durch Spezialgesand te bei 
Kursachsen und Kurköln Rats erholt 181 , dem Gegner eine Zusammenkunft in 
Frankfurt a. M. antragen; Wilhelm ging darauf ein. Es war in Aussicht ge- 
nommen, auf dieser Tagung zum Abschluß des Friedens zu kommen, damit 
das Friedensinstrument dem in Mühlhausen versammelten Kurfürstentag. vorge- 
legt und von diesem bekräftigt werden könnte. 



176 Steuber an Dieterich, 1627 Mai 29, Cgm. 1259, Bl. 316. 

177 Die beiden Schreiben, d. d. Romrod 25. u. 26. Mai, in der Erzehlunng, 456 — 459, 
das an die Landgräfin auch im Abdruck des Hauptvertrags, 26. Landgraf Georgs Hoch- 
zeit hatte erst wenige Wochen zuvor, am 1. April stattgefunden. In dem Schreiben an 
Landgraf Philipp hebt Wilhelm unter den von ihm aufgegebenen Besitztümern an erster 
Stelle das „grosse regalstuck, die gantze universitet Marpurg" hervor. 

178 Näheres im folgenden Abschnitt. 

119 Ihre Erklärung: Erzehlung, 466 — 472. Bezüglich der Universitätsfrage meint die 
Landgräfin (S. 468), daß das Anerbieten Landgraf Georgs (ein kaiserliches Privileg für 
eine niederhessische Universität auszuwirken) „noch in weiten blettcrn stehet und darzu 
starck wegen der religion conditioniret werden dörffte". 

180 Erzehlung, 63 f. Wilhelm schlug in seiner Verzweiflung vor, beide Landgrafen 
sollten in Person beim Kaiser die Entscheidung des Streites verlangen. 

181 Akten St AD, Marb. Succ. 45, I. Besonders interessant ist die von Reinkingk 
gemeldete Äußerung des kursächsischen Präsidenten von Schönberg (a. a. O., 8 53 ff.), weil 
daraus hervorgeht, daß auch der befreundete sächsische Hof das Verfahren des Reichs- 
hofrats in der hessischen Streitsache für anfechtbar hielt. 



2)0 Dritter Abschnitt. 

So kamen denn beide Parteien in Frankfurt zusammen, wo vom 9. bis 
15. September konferiert wurde; dann siedelte alles nach Darmstadt über, 
und die Beratung wurde dort unter Teilnahme Landgraf Philipps von Butzbach 
fortgesetzt 1 ". Auf die Einzelheiten dieser Verhandlungen einzugehen, würde zu 
weit führen ; es blieb eben Landgraf Wilhelm nichts übrig, als in die Darmstadter 
Forderungen zu willigen, da eine Fortsetzung der Exekution drohte 188 und Wider- 
stand gegen die kaiserlich-ligistische Obermacht aussichtslos schien. So wurde 
denn — ungeachtet ein feierlicher Protest des Landgrafen Moritz ankam 184 — am 
24. September 1627 zu Darmstadt der Vertrag geschlossen 185 , der unter dem 
Namen „Hauptvertrag" oder „Hauptakkord" bekannt ist. Durch ihn verlor 
das Kasseler Haus in territorialer Hinsicht : die ganze Marburgische Erbschaft, 
ferner Niederkatzenelnbogen und (pfandweise) die Herrschaft Schmalkalden, 
in staatsrechtlicher Beziehung die sämtlichen Prärogativen der älteren hessi- 
schen Linie 186 . Insgeheim faßte Landgraf Wilhelm eine Rechtfertigungsschrift 
ab, worin er darlegte, unter welchen Umständen er diesen für sein Haus so 
außerordentlich ungünstigen Vertrag abzuschließen genötigt war. Darin steht 
neben den politischen Gründen auch der religiöse aufgeführt: wenn 
er während eines weiteren, vielleicht vieljährigen Streites die Universität ent- 
behren müsse, so sei er nicht imstande, Ersatz für den Abgang an reformierten 
Geistlichen in seinem Lande zu schaffen, zumal auch Heidelbergs Hochschule 
damals dem calvinistischen Bekenntnis verloren gegangen war 187 . 

In dem aus 37 Artikeln bestehenden Vertragsinstrument behandeln Arti- 
kel 23 bis 27 die Universitäts Verhältnisse, wie sie von jetzt an in Hessen bestehen 
sollten. Eine völlige Zweiteilung des Status academicus wird jetzt vertrags- 
mäßig festgelegt, während eine solche seit 1605 nur faktisch, nicht rechtlich 
beiderseits anerkannt bestanden hatte. Es wurde nämlich bestimmt: Die Uni- 
versität Marburg mit allen ihren Rechten und ihren in Marburg liegenden Be- 
sitzungen (Gebäuden) kommt in erblichen Besitz des Landgrafen Georg und 
der Darmstädter Linie. Landgraf Georg verpflichtet sich dagegen, auf seine 
Kosten beim Kaiser ein akademisches Privileg für die Kasseler Linie zu er- 
wirken oder wenigstens die Übertragung des jetzt überflüssig gewordenen 
Gießener Privilegs auf die zu gründende niederhessische Universität durchzu- 
setzen. Sollte alles Bemühen hierum jedoch erfolglos sein, so zahlt Landgraf 
Georg 10000 Gulden an Landgraf Wilhelm 188 . Von den Universitätsgütern 



188 Protokolle StAD, a. a. O., 1075 ff. — 188 Erzehlung, 72. 

184 Erzehlung, 477 ff. Die Universität ist ihm „das stattliche seminarium und 
pflantzhauß religionis in propria conscientia edoctae". 

186 Gedruckt ist der Vertrag außer in den Marburger Ausgaben von 1633 und 1644 
(S. 46 — 77) in der Erzehlung, 483 — 493, mit der kaiserlichen Bestätigung bei Lünig, 
Reichs-Archiv IX, 827 — 838, usw.; neuerdings im Hessischen Staatsrecht II, 157 — 178. 
Über den Abschluß vgl. Erzehlung, 66ff; Senkenberg XXV, 584«., Rommel VIII, 27ff. 

188 Sie waren erst wenige Monate vorher von Kassel nochmals zusammengestellt 
worden, s. Erzehlung, 448 — 456. — 187 Vgl. Rommel, VIII, 30. 

188 Das Privileg wurde nicht erwirkt, und die daher fällige Summe suchte Darmstadt 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 231 

und Gefällen außerhalb der Stadt Marburg sowie den Stipendienkapitalien und 
dergleichen soll das, was die Universität zur Zeit von Ludwigs des Älteren Tode 
-besessen hat, in zwei gleiche Teile geteilt und jeder Partei eine Hälfte zugewiesen 
werden. Was seit jenem Termin an fürstlichen Zuwendungen zur Universität 
gekommen ist, fällt an das Haus des Stifters, desgleichen was von Kapital seit- 
dem erspart worden ist, an das Haus dessen, unter dessen Administration es er- 
spart worden ist. (Es fielen demnach alle in Marburg seit 1604 bis 1624 hinzu- 
gekommenen Besitzungen an die Linie Kassel und nur die Gießener und die 
seit 1624 an Marburg gekommenen Stiftungen an Darmstadt.) Vor der Teilung 
sollen die entlassenen Professoren, Präzeptoren usw. ihre ruckständigen Be- 
soldungen und noch ein Quartal mehr erhalten. Die Stipendiengefälle aus den 
Städten und Ortschaften sollen je nach dem Herrschaftsgebiet der einen und 
anderen Linie zufallen, obschon hiermit keine gleichmäßige Teilung stattfindet. 
Mit diesem Hauptakkord vom 24. September 1627, für den man zu größe- 
rer Sicherheit die kaiserliche Bestätigung durch Interzession der Kurfürsten, 
erbverbrüderten und kreisausschreibenden Fürsten nachsuchte und erhielt 189 , 
waren die Grundlinien für das künftige Verhältnis der beiden hessischen 
Häuser festgelegt; eine Anzahl Nebenverträge betrafen Einzelheiten ihrer gegen- 
seitigen Beziehungen. Doch schließlich blieb noch ein Rest von Punkten zur 
Erledigung übrig, deren Behandlung man den beiderseitigen Bevollmächtigten 
überließ. Zu den Gegenständen dieser Kleinarbeit, die am 11. November in 
Marburg begonnen wurde, gehört auch die Teilung des Universitätsbesitzes 190 . 



in den waldeckischen Händeln von sich abzuwälzen, vgl. Acta Marpurgensia (1646), 941 ; 
Rommel VIII, 350, Anm. 444. Das Konzept eines Nebenvertrags von 1638 Jan. 23 (zu 
dem bei Lünig IX, 867 ff. gedruckten Hauptabkommen in privatis, erwähnt ebd. 868) 
gibt offenbar die Darmstädter Lesart dieser Angelegenheit (StAD, Marb. Succ. 64; eine 
Ausfertigung konnte ich nicht finden). Es heißt da, Landgraf Georg habe sich die Voll- 
ziehung jenes Versprechens höchlich angelegen sein lassen und Hoffnung gehabt, das 
Privileg beim Kaiser wirklich zu erhalten. Er habe 1628 seinen Gesandten am Kaiser- 
hof beauftragt, vermittelst eines besonderen Schreibens den Kaiser um das Privileg für 
Kassel anzugehen oder um Übertragung des Gießener Privilegs auf Kassel nachzusuchen. 
Da habe Landgraf Wilhelm den Darmstädter Gesandten durch seinen eigenen Vertreter 
abmahnen lassen und so Landgraf Georg selbst an der Erfüllung des Versprechens ge- 
hindert, „und dahero klar am tag, weil herr 1. Georg zu Hessen das seinige zu thun in 
vollem werck gewesen, daran aber durch 1. Wilhelmen selbst verhindert worden, es seye 
disem nach die conditio pro impleta zu halten". Dennoch erbietet sich noch jetzt (1638) 
Landgraf Georg, wenn Landgraf Wilhelms Söhne wieder vom Kaiser zu Gnaden angenom- 
men seien, alles zu tun, was die Erlangung der Privilegien fördern könne, aber er könne 
sich zur Zahlung der Taxe und Kanzleigebühr, oder — wenn alle Bemühung erfolglos — 
zur Zahlung der 10 000 Gulden nicht mehr verbunden erachten. Diesem stimmt Kassel in 
jenem Vertragsentwurf zu, „in ansehung der vortreflichen vortheil, so die fürstl. Casse- 
lische linie auß diesem itzigen fridenschluß und vertrag vermittelst h. 1. Georgens remis- 
sion erhalten". 

189 Vgl. die Schreiben in der Erzehlung, 497—508, 529—537, im Hauptvertrag, 

93—178. 

190 Nach dem Abschied vom 22. Sept. : die Einkünfte der Universität sollen „nach 



232 Dritter Abschnitt. 

Es war dies keine leichte Arbeit. Zwar hatte die Universität auf fürst- 
lichen Befehl Zusammenstellungen über ihre durchschnittlichen Jahreseinkünfte 
gemacht, aber die Abschätzung der liegenden Güter in den einzelnen Vogteien 
erforderte Zeit und Mühe. Dazu mußte die verschiedene Qualität der Naturalien 
je nach ihrer Herkunft in Rechnung gezogen werden 1 » 1 . Die Vögte hatten von 
den letzten Kriegsjahren her große Rückstände und wußten sie jetzt nicht bei- 
zubringen. Auch die Feststellung dessen, was die 1624 aus Marburg entlassenen 
Professoren noch zu fordern hatten, und was ihnen noch aus der ungeteilten 
Masse ausgezahlt werden sollte, war schwierig; besonders weigerten sich die 
Darmstädter, dem Leibarzt des Landgrafen Moritz, Dr. Hartmann, der auch 
nominell Professor war, seine Professorenbesoldung nachzuzahlen. 

Die Universität selbst verfolgte mit großer Besorgnis den Verlauf der Tei- 
lungsverhandlungen. War sie doch sicher, die Hälfte ihres Besitzes und ihrer 
Einkünfte zu verlieren, aber durchaus nicht sicher, einen Ersatz dafür bei der 
durch Kriegsunruhen und durch die allgemeine Münzunordung hervorgerufe- 
nen Teuerung zu finden. Daher sprachen sich die Professoren bereits am 23. No- 
vember gegenüber den fürstlichen Kommissaren aus 1M , es müsse unbedingt dar- 
auf gehalten werden, daß die von Landgraf Philipp der Universität überwiesenen 
Güter in ihrem Besitz verblieben oder gleichwertige andere als Ersatz zuge- 
geben würden. Schon jetzt, vor der Teilung, seien die Professoren genötigt, 
Schulden zu machen, weil sie ihr Gehalt oft bis ins dritte und vierte Quartal 
entbehren müßten. Leicht könnte, so lassen sie einfließen, einer oder der 
andere Professor sich genötigt sehen, sein Heil anderswo zu versuchen, und ein 
neuer Professor sei nicht in wenig Jahren „zu ziehen". Nur in der Zuversicht, 
daß der Landgraf ihnen die verlorenen Einkünfte ersetzen werde, hätten sie das 
Gesuch des Landtags an den Mühlhäuser Kurfürstentag um Bestätigung des 
Hauptakkords mit unterschrieben 193 . Auch noch ein zweites Mal erhoben die 
Professoren ihre Stimme, um den Verlust der Hälfte ihrer Einkünfte abzu- 
wenden. Die' Deputierten hatten die Universität ersucht, ihre Ansicht zum 



besage des abschieds" (d. h. des Hauptakkords, der aber damals noch in der Schwebe 
war) geteilt werden. Erzehlung, 521 ff., hier 522. — Die Akten der Teilungshandlung 
finden sich, freilich lückenhaft, im UAG (Adm. Teilung d. Univ.-Vermög. 1627/28). Die 
Darmstädter Kommission bestand aus Kuno Quirin Schütz v. Holzhausen, Dr. J. R. Ruppel, 
Dr. Jes. Fabricius und fünf weiteren Beamten. Vgl. auch Catal. stud. IV, 194. 

191 Universitätsmemorial (a. a. O.), präs. 23. Nov : „ . . . ist unßer unvorgreifliche 
mainung, daß die under anderer herschaften Jurisdiction gelegene vogteyen der univer- 
sitet nicht ohne ungelegcnheit möchten zugetheilt werden, sinthemal die Zwangsmittel 
so wohl bey den vogden alß censiten vielleicht ermanglen wirdten. Müste aber doch 
hierbey fleißige achtung auff die güthe der fruchte und andern gegeben werden, aldie- 
weil die fruchte im underf ürstenthumb ohngleich beßer alß im oberfür- 
st enthumb". — m In demselben Memorial. 

193 Auf dem Landtag führte die Universität bekanntlich eine Prälatenstimme. — 
Von einem Anschreiben der hessischen Stände an den Mühlhäuser Tag ist sonst nichts 
Näheres bekannt, nur von dem Schreiben an den Kaiser (Erzehlung, 554; Hauptvertrag, 
180). Vgl. Rommel VIII, 15. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 233 

Teilungsentwurf geltend zu machen. Daraufhin erinnerten jene daran, daß sie 
geschworen hätten, der Universität Nutzen zu fördern, Schaden aber abzu- 
wenden, demgemäß könnten sie ihre Zustimmung zur Teilung nicht geben 191 . 
Sie beriefen sich auf die Verpflichtung der hessischen Fürsten, die Universität 
Marburg bei ihrem Besitz zu erhalten, und legten eine Abschrift der dahin- 
gehenden Urkunde von 1567 bei 1 * 5 . 

Mit diesen Vorstellungen konnten die Professoren zwar die Teilung des 
Universitätsbesitzes nicht hindern; aber Landgraf Georg versprach ihnen 
schließlich einen Ersatz für die entgangenen Einkünfte, indem er einer Abord- 
nung der Universität 196 zunächst für 1628 5000 Gulden aus dem Ertrag der 
schmalkaldischen Pfandsumme zusicherte 197 ; später sollte anderweit gesorgt 
werden. 

Es kann auffallend erscheinen, daß die Universität glaubte, nicht mit der 
Hälfte der Altmarburger Einkünfte auskommen zu können ; diese Hälfte bedeu- 
tete doch gegen den Gießener Besitz noch immer eine Vermehrung, und hier wie 
dort kam der Zinsertrag der Leiningischen Schuld hinzu. Aber wir müssen be- 
achten, daß während der langen Einlagerung fremder Truppen in Ober- und 
Niederhessen die Pachterträge und Grundzinsen nur in sehr geringem Maße ein- 
liefen und daß außerdem die Zerrüttung des Münzsystems eine Preissteigerung 
aller Bedürfnisse hervorrief. Wahrscheinlich haben die Professoren aber auch 
ihre Lage noch kläglicher hingestellt, als sie in Wahrheit war, um den Land- 
grafen zu vollem Ersatz für die abgetretenen Erträge zu veranlassen. In den 
nächsten beiden Jahrzehnten sollten die Herren dann doch noch ganz andere 
Not kennen lernen. 

Am 14. Dezember 1627 wurde der Teilungsvertrag in Marburg unter- 
zeichnet 198 . Die in Niederhessen gelegenen Vogteien: Nortshausen, Singlis, 
Fritzlar und Homberg kamen an Kassel, die oberhessischen : Marburg, Caldern, 
Gießen, Grünberg und Alsfeld an Darmstadt, verblieben also der Marburger 
Hochschule. In gleicher Weise wurden auch die in den verschiedenen Gebieten 
fälligen Kapitalzinsen verteilt, wobei auch einige von Landgraf Moritz verliehene 
Kapitalien zu besserer Ausgleichung an Darmstadt kamen. Die einzige Ab- 
weichung vom Territorialprinzip bei der Teilung bildeten die 400 Gulden, die 
der Universität seit ihres Begründers Zeiten aus den Allendorfer Salzwerken, 



194 Universitätsmemorial v. 8. Dez. (UAG, a. a. O.). 

195 Gemeint ist die im AfhG, N. F., I, 275, gedruckte Urkunde, von der ein be- 
siegeltes Or. noch im Besitz der Gießener Universität ist. 

196 Sie bestand aus dem Rektor Müller, dem Kanzler Vultejus und den Professoren 
Feurborn und Tonsor. Vgl. Catal. stud. IV, 194 f. 

197 Die Summe betrug 100000 Gulden, vgl. Art. 22 des Hauptvertrags, sowie den 
Nebenvertrag (Erzehlung, 513). 

198 Or. des Teilungsabschieds im Besitz der Univ. Gießen. Drucke: Erzehlung, 
608; Standhafte Widerlegung der anmaßlichen Geschichtserzehlung ... (1747), Beil., 12. 
Kassel behauptet später, die Abschiede seien in Darmstadt ausgearbeitet worden: Acta 
Marpurgensia, 367. Vgl. Erzehlung, 81. 



234 Dritter Abschnitt. 

also aus Niederhessen, zustanden. Sie wurden der Kasseler Linie nicht ganz 
überlassen, sondern Darmstadt-Marburg erhielt 116 Gulden jährlich davon, der 
Rest von 284 Gulden kam an Kassel. 

Daß bei der Teilung von einer Übervorteilung der Kasseler Partei nicht 
die Rede sein kann, ist später genau nachgewiesen worden 1 **. 

Auch die Stipendiengeldcr wurden nach dem Gebiet verteilt, in dem die 
zahlungspflichtigen Orte lagen. Sowohl bei den Vogtei- wie den Stipendien- 
gefällen wurden die Rückstände der Einfachheit halber dem künftigen Besitzer 
zugeschlagen, ein Punkt, in dem die Darmstädter Partei nachgab; sie hatte 
gewünscht, daß den Kasselern die aus Niederhessen nicht gelieferten Stipen- 
dienkapitalien 200 angerechnet würden' 01 . Freilich blieben die Darmstadter be- 
züglich der Stipendien immer noch im Vorteil, da ihnen mit dem größeren 

Landesgebiet (Oberhessen und beide Katzenelnbogen) auch die größere Stipen 

dienmenge zukam. 

Alle diese Teilungen sollten mit dem Jahre 1628 in Kraft treten* *. 

Auch über die Teilung der Besoldungsrückstände einigte man sich bald* 03 — ; 

die Schulden der Marburger Universität* 01 , über 1600 Gulden, übernahm Land 

graf Georg gegen eine Abfindung. 

Besondere Schwierigkeiten machte die Teilung des Universitätsarchivs., -s, 
der Bibliothek, der Kleinodien und der mathematischen Instrumente 105 . Wa^K--is 
die Dokumente und Register des Archivs betrifft, so wurde auf den Vorschlag 



Darmstadts an Kassel alles ausgeliefert, was auf die abgetretenen Vogteien Be — ^s- 
zug hatte; von den übrigen Stücken sollten auf Wunsch vidimierte Abschriften—« n 
gegeben werden* 06 . Von den Kleinodien wurde besonders über die Szepter -^sr 
verhandelt. Landgraf Georg vertrat die Ansicht, daß sie zu den unteilbaren Be-^^ae- 
sitztümern der Universität gehörten* 07 . Dennoch wurde schließlich das ein*- ^e 

*** In der „Standhaften Widerlegung", u nebst Beilagen. 

200 Worüber schon im Hauptvertrag, Art. 25, bestimmt war. 

201 Instruktion Landgraf Georgs v. 6. Nov., Abschr. UAG. 

20 * Landgraf Georg hatte anfangs gewünscht, daß erst die kaiserliche Bestätigung -*g 
des Hauptvertrags erlangt werde (Instr.). 

203 Nicht nach Art. 26 des Hauptvertrags (Zahlung aus der ungeteilten Masse)' 
Landgraf Wilhelm übernahm die Bezahlung der von Landgraf Ludwig Entlassend 
Landgraf Georg dafür die Alleinbesoldung der Professoren während der Streitjahr- 
1624— 1627. 

204 Besonders an den Gießener „Geistlichen Landkasten" und den Vizeökonomerm. 

205 Am 1. Dez. 1627 befiehlt Landgraf Georg seinen Vertretern, die vor Tilly ge- 
flüchteten Wertsachen wieder herbeibringen zu lassen. Or. UAG, a. a. O. 

206 Auf besonderes Nachsuchen ließ Landgraf Georg auch das „original instrumen- 
tum donationis über die fundation, wie auch den donationbrief über das Kugelhauß" aus 
liefern. Korresp. UAG, a. a. O. 

207 Instruktion v. 6. Nov. : „So verstehts sich auch, das die original fundation und 
donations documenta, kayserliche befreyhungsbrief, leges und statuta, seeptra, sigilla, 
matriculae, libri rectorum, protocolla, acta et scripta facultatum, testimonia, program- 
mata, Visitation und rechnungsabschide und mehr andere dergleichen stücke ... in 
keine thailung kommen können". 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Universität Marburg. 235 

der beiden Szepter durchs Los für Kassel bestimmt. In ähnlicher Weise 
zeigte sich die Darmstädter Partei nachgiebig bezüglich der Bibliothek. Auch 
sie rechnete der Darmstädter Landgraf zu den in der Stadt Marburg befind- 
lichen, also nach dem Hauptvertrag (Art. 23) an Darmstadt fallenden Besitz- 
tümern. Nötigenfalls sollte Landgraf Wilhelm bittlich darum ersucht werden, 
„diß corpus librorum, wie gering es auch seye", ungeteilt in Marburg zu lassen. 
Ob die Darmstädter Kommissare sich wirklich an Landgraf Wilhelm gewandt 
haben, wissen wir nicht ; jedenfalls blieb der Wunsch unerfüllt. Man teilte so : 
Die zur Zeit Ludwigs des Alteren vorhandenen Bücher wurden in zwei gleiche 
Hälften geschieden, über deren Zuweisung das Los entschied. Die unter Land- 
graf Moritz seit Ludwigs des Älteren Tode der Bibliothek einverleibten Bücher, 
worunter die aus Ziegenhain nach Marburg gestiftete Bibliothek des letzten 
Grafen von Dietz 208 , sollten Kassel allein bleiben. Ebenso sollte behandelt 
werden, was an mathematischen Instrumenten vorhanden war. Die Aus- 
führung der Bestimmungen überließ man den Professoren, und Landgraf Georg 
übersandte ihnen die nötigen Weisungen am 30. Dezember 809 . Am 17. April 
geschah die Auslieferung der Bücher, Instrumente und Archivalien. Hier- 
über wurde eine besondere Urkunde aufgesetzt 210 , aus der wir genau den Be- 
stand des an Kassel Ausgelieferten sehen 211 . Besonders interessant ist darin 
der Bibliothekskatalpg sowohl des Kasseler als des Darmstädter Anteils. Dieser 
Teilungsabschied, offenbar 1628 geschrieben, trägt das Datum 19. April 1630 
und ist erst 1632 von der Kasseler Seite unterzeichnet worden 212 . 

Bezüglich des Ersatzes der verlorenen Vogteien hielt Landgraf Georg 
Wort. Für 1628 war die Universität durch die schmalkaldische Oberweisung 
entschädigt 218 . Jetzt aber war der Landgraf auch auf die Erschließung dauern- 
der Einnahmequellen bedacht. Zu diesem Zwecke legte er dem im Februar 
1628 in Marburg zusammentretenden Partikularlandtag einen Entwurf über die 



208 Landgraf Georg glaubte anfangs, Landgraf Moritz habe diese Bibliothek als 
Erbe besessen, und wollte ihm von dieser Erbschaft nur 1 / 4 lassen (Instr.). Moritz hatte 
sie aber gekauft (vgl. Catal. stud. IV, 6). 

209 Orig. UAG, a. a. O. : Die auszuliefernden Urkunden usw. sollten in Abschrift zu- 
rückbehalten werden. Abschriften nieder hessischer Vogteiurkunden befinden sich daher 
noch im UAG, Adm. (Abt. Univ.-Vermögen). 

210 Korresp. zwischen Landgraf Georg und der Univ. UAG, Adm. (Teilung d. Univ.- 
Vermögens 1627/28). 

211 Von Instrumenten fiel an Kassel „der metallische globus coelestis zusambt dem 
sextante und noch zwen alten globis". 

212 Orig. UAG, a. a. O. — Univ. Marburg an Landgraf Georg 1632 März 26: der 
Abschied ist „auß verschiedenen vorgefallenen Verhinderungen allererst vor wenig wochen" 
von kasselischer Seite unterschrieben worden (Kzt. a. a. O.). 

218 Die Überweisung bestand laut Einzelberechnung aus 1497 Gulden und 700 Reichs- 
talern (die an Landgraf Wilhelm hätten fallen sollen), ferner aus sämtlichen nach Abzug 
der Lasten noch bleibenden Einkünften aus dem Amt Schmalkalden. Vgl. hierfür und für 
das folgende die Urkunde „Unsere Universität alhie zu Marpurgk hat zu empfangen wie 
nachfolgt' 1 , v. 1. März 1628, Or. UAG, S. Cod. Rescr. II, Bl. 83. 



236 Dritter Abschnitt. 

künftige Dotation der Universität vor und erhielt dessen Zustimmung 114 . 
Die genau zusammengestellten Verluste an Geld- und Naturalem künften 214 
wurden durch Anweisungen auf die Erträgnisse der oberhessischen Ämter 
ausgeglichen (1. März 1628)* 16 . Auch der durch die Teilung der Kleinodien 
und der Bibliothek erlittene Schaden wurde jetzt ersetzt, indem die beiden 
Gießener Szepter und die Gießencr Bibliothek, letztere vorerst ohne die Du- 
bletten 217 , der Marburger Universität überwiesen wurden. Die Bibliothek 
wurde alsbald in Fässer verpackt und nach Marburg überführt 118 , wohin 
1629 auch das übrige Inventar der Gießener Universität kam m . 

Auch das Stipendienweseri wurde in jenen Tagen der Siegesfreude ge- 
hoben : Auf dem Marburger Landtag stifteten einige Notabeln** Geld uncÄ 
Naturalien zu einer „Communität", das heißt zu Tischstipendien, und Land — 
graf Georg verordnete, daß davon acht arme Pädagogschüler, „die noch zui 
zeit keines andern stipendii fähig seyen", erhalten werden sollten" 1 . 

So konnte die Universität nach der Beilegung des großen hessische! — zai 
Streites mit einiger Zuversicht in die Zukunft sehen. Sie war finanziell ge 
sichert, und es begann auch bald wieder eine starke Frequenz von Studentei 



obgleich die beiden berühmtesten Lehrer 112 , Winckelmann und Mentzer, de«: -n 




814 Akten St AD, Landst. Verf. 10. Der Landtag war auch sonst sehr bewilligung^ 
freudig, vgl. Rommel, VIII, 59. 

215 Die Landtags-Proposition spricht von 5000 Gulden Rente (= 100 000 Gulden K=- -Ha 
pital). Im einzelnen wurden folgende Gefälle ersetzt: 849 fl. 6 alb. 5 1 /* Heller an GeldCz^d 
375 Malter 7 1 /* Mesten Korn; 353 Malter 5% Mesten Hafer; 1 Malt. 3V4 Mest. Mal™=^ J* 
5 Malt. 4 5 /s Mesten Weizen; 12 Mesten Mohn; 9 Malt 3V2 Mest. Gerste; 57 
80 Hühner; 115 1 /» Hähne; 3 Pfund Wachs. 

216 Orig.-Perg.- Urkunde mit 7 anhängenden Siegeln, im Bes. der Univ. Gießen; vg 
die oben Anm. 213 erwähnte Schrift. Bemerkt mag sein, daß in letzterer der Univ. di 
Verpflichtung zur Abzahlung der rückständigen Gehälter und zur Rückzahlung bereits ei 
genommener Einkünfte, die Landgraf Georg nachträglich der neuen Darmstädter Schule 
stimmte, auferlegt ist. 

217 Doch kamen die Dubletten später auch nach Marburg, vgl. Heuser, Beiträge 
Gesch. d. Univ.-Bibl. Gießen, 7, vermutlich weil man nach dem raschen Zusammenbruc 
des Gießener Pädagogs dort keine Verwendung mehr dafür hatte. 

118 Marburger ökonomatrechnung für 1628, UAG, Adm. 

219 Catal. studios. Marp. 1629/36 (= fasc. XV) ed. Falckenheiner (Marb. Einla~- 
dungsschrift 1888) S. 6. 

2,0 „Zur communität ist auf jüngst gehaltenem landtag gestewert worden", v. 
21. Febr., Abschr. in Hdschr. 33* der Univ.-Bibl. Gießen. Die Stifter waren: Statthalter 
Georg Riedesel zu Eisenbach, und Gg. Riedesel zu Eisenbach der Jüngere, Hofrichter Kuno 
Quirin Schütz v. Holzhausen; Kanzler Dr. Wolff v. Todenwarth, der Oberamtmann 
der Niedergrafschaft (J. W. v. Wcitelshausen gnt. Schrautenbach) und der Amtmann zu 
Romrod, Wilh. Schetzel zu Mertzhausen. 

221 In dem amtlichen Einkünfteverzeichnis (s. o.) heißt es: „der Stipendiaten 
kästen soll wie bis dato separirt verbleiben". Die Kommunitätsrechnung wurde demnach 
gesondert geführt. 

222 Ober ihr Ansehen vgl. die bei Hcppe, Kircheng. II, 64 Anm. 1, mitgeteilte 
Stelle aus Fischers Vita Gerhardi. 



Die Aufhebung der Universität Gießen und die Neuordnung der Univu 



t Marburg. .'\- 



Aufschwung nicht mehr erlebten. Wem aber die günstige Lösung der An- 
gelegenheit, die für die Universität Lebensfrage war, zugesehrieben wurde, 
das ersehen wir daraus, daß noch im Frühjahr 1628 die Universität dem 
Kanzler Anton Wolff von Todenwarth ein vergoldetes Gießbecken nebst Kanne 
zum Geschenk machte" 1 . 



1 Begleitschreiben 1628 Apr. 18, K;t., Dankschreiben des Kanzlers v. 13. Mai, Or. 






Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Ver- 
waltung durch die Darmstädter Linie (1624 — 1649). 



Das akademische Leben der Zeit, die wir nunmehr zu betrachten haben, 
spielt sich auf dem furchtbaren Hintergrunde des großen Krieges ab. Mehr 
als einmal griff das Schicksal in die stille Lehrtätigkeit der Marburger Univer- 
sität ein, durch den Lärm der Waffen oder durch die unheimliche Begleiterin 
des Krieges, die Pest; mehr als einmal schien es, als ob die Hochschule sich 
von den schweren Schlägen nicht wieder erholen werde, aber dennoch hielt 
sie sich bis in die letzten Zeiten des Krieges. Denn in stiller, unablässiger Ar- 
beit waren die akademischen Lehrer bemüht, die Zerstreuten wieder zu sam- 
meln, die Verzweifelnden aufzumuntern, um die Lehranstalt nicht untergehen 
zu lassen. Es verdient mehr als bisher der Vergessenheit entrissen zu wer- 
den, dieses schlichte Heldentum, mit dem die Professoren unter den übelsten 
persönlichen Verhältnissen, ohne Gehalt, die Ehre ihrer Hochschule und die 
Treue zum Landesherrn — namentlich in der bösen Zeit des Hessenkrieges 
— hochhielten. Die blutigen Bilder und die Verwilderung, die man überall 
in Deutschland erblickte, blieben freilich in dieser Zeit nicht ohne Wirkung auf 
die Bürger der Gelehrtenrepublik : der Student verfiel mehr und mehr in Roheil ; 
die wüsten Schilderungen des Pennalismus auf deutschen Hochschulen, wie 
sie in zeitgenössischen Schriften uns gezeichnet sind, fanden auch in Marburgs 
Mauern ihr Urbild. Aber daneben — was dort übersehen wird — finden 






Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 239 

wir rüstigen Studieneifer bei Lehrern und Schülern, fleißiges Streben nicht 
nur nach der Beherrschung des Kanons des überlieferten Wissens, sondern, 
dem Zuge der Zeit entsprechend, auch nach praktischer Anwendung des Ge- 
lernten im Leben und nach der Erschließung neuen Wissens. Denn alle Uni- 
versitäten sind damals in langsamer Wandlung begriffen; schon erhebt sich 
ein Widerstand gegen die steifen Formen scholastischen Wissenschaftsbetriebs 
und ein bescheidener Keim des Modernen. 

Glänzend kann man diese Periode im Leben der hessen-darmstädtischen 
Landesuniversität nicht nennen; welcher deutschen Hochschule könnte man 
in dieser unglücklichen Zeit dieses Epitheton beilegen? Trotz der immer 
noch hervorragenden Bedeutung der Theologenfakultät hielt Marburg damals 
nicht den Vergleich mit der ersten Gießener Zeit aus. Aber nach Kräften 
suchte man sich der Gießener Vorgänger würdig zu erweisen urtd der Tradition, 
die sich an Marburgs Namen knüpfte, keine Unehre zu machen. Und so 
nimmt die Universität unter ihren Schwestern eine angesehene Stellung ein 
bis in die Zeit, da die Kriegsstürme ihr fast völliges Schweigen auferlegten 1 . 
Zu den glänzendsten Vertretern ihrer Lehrerschar ist neben den Theologen 
Feurborn und Hanneken der als satirischer Schriftsteller später berühmt ge- 
wordene Joh. Balth. Schuppius aus Gießen, Professor der Eloquenz in Mar- 
burg, zu rechnen. Das Studium der Redekunst, die für den Juristen wie für 
den Theologen unentbehrlich war, nahm durch diesen vorzüglichen Kopf und 
warmherzigen Menschen einen großen Aufschwung. Neben diesem Zweig er- 
freute sich der besonderen Fürsorge des Landesherrn unter anderem das Stu- 
dium der modernen Sprachen, das auf vielen Hochschulen jener Zeit, auch 
vorher in Gießen, stiefmütterlich behandelt wurde. Auch in den Kreisen 
der Universität besaß man Weitblick genug, die Erlernung der neueren 
Sprachen den Juristen in erster Linie zu empfehlen 2 . Hierin und in dem ver- 
mehrten Betrieb der ritterlichen Künste, der wohl in Verbindung mit der fürst- 
lichen Hofschule zu Marburg stand, machte sich die stärkere Betonung hö- 
fischer Bildung geltend, die in der Tendenz der Zeit lag. 

Gehen wir nun auf einzelne hervorragende Ereignisse der Universi- 
tätsgeschichte in unserem Zeitraum ein! 

Noch in die ersten Jahre vor dem Abschluß des hessischen Hauptver- 
trages fällt der hundertste Jahrestag der Universitätsstiftung. Am 
30. Mai 1527 hatte das akademische Gemeinwesen seinen Anfang genommen 3 ; 
jetzt, da der Jubiläumstag sich nahte, lag es Landgraf Georg sehr am Herzen, 

1 Marburg übertraf in gewisser Hinsicht Jena, wie folgende Äußerung aus Jena von 
1630 beweist: „Hiesige Universität ist so wohl mit professoribus als auch studiosis, welche 
in ziemlicher frequentz alhier, dermaßen versehen, daß sie der Marpurgischen die ßf als 
wenig nachgeben wirdt, mit der Cöllischen aber ratione studii juridici, auch anderer com- 
moditäten, exercitien und civilitäten wegen im wenigsten nit zu vergleichen . . ist". 
(Buchwald in Zeitschr. f. Kulturgesch. V [1898], 165.) 

2 Univ. Marburg an Landgraf Georg, 1638 Sept. 3, Kzt. UAG, S. VI, 7, 1607/40. 
5 Catal. stud. I, 1. 



240 Vierter Abschnitt. 

sich der Universität, obgleich über ihre Zukunft noch die Verhandlungen 
schwebten, als gnädiger Beschützer zu zeigen, und so ging er gern darauf 
ein, als die Professoren zu Anfang des Jubiläumsjahres das bevorstehende Fest 
in Erinnerung brachten*. Nach Sitte und Brauch, wie es auf Deutschlands 
hohen Schulen üblich sei, sollte das Fest begangen werden; der Entwurf für die 
Festlichkeiten, vom Senate beraten, fand die fürstliche Genehmigung. „Ein zwar 
enges, stilles und eingezogenes, iedoch aber danckbares festum saeculare" sollte 
es nach des Landgrafen Willen werden 6 ; er selbst stiftete einen Teil der Kosten«. 
Zur Teilnahme am Feste traf Landgraf Georg mit seiner Gemahlin, 
seinen Brüdern Heinrich und Friedrich und reichem Gefolge, worunter die 
Grafen von Erbach und Leiningen, in Marburg ein. Den ersten Festtag, den 
30. Mai 7 , begann man mit einem Festgottesdienst in der Stadtkirche, wobei der 
Superintendent Herdenius die Predigt hielt und musikalische Darbietungen 
die Feststimmung des zahlreichen Publikums erhöhten. Sodann begaben 
sich die Herrschaften unter Vorantritt der Hofbediensteten, gefolgt von den 
Professoren und Studenten in feierlichem Zuge nach dem Kollegium an der Lahn, 
wo nach musikalischem Vorspiel der Rektor Jakob Müller, Professor der Me- 
dizin und Mathematik, die Festrede hielt Nach dem Dank gegen Gott, der 
Hervorhebung der kaiserlichen und landesherrlichen Wohltaten — wobei 
das Universitätsprivileg Karls des Fünften aus dem Original durch einen Notar 
feierlich verlesen wurde — gab Müller einen Überblick über Entstehung, Wachs- 
tum und Zustand der Hochschule. Nachher verfügte man sich aufs Rathaus zum 
Festessen, das der Landgraf gab ; hier wurde der Universität durch den fürstlichen 
Kanzler Anton Wolff von Todenwarth ein reich mit Emblemen und Bildern ge- 
schmückter silberner, teilweise vergoldeter Pokal überreicht 8 . Auch silberne Denk- 
münzen wurden verteilt, die der Landgraf zu dem Feste hatte schlagen lassen». 



* Catal. stud. IV, 189 f. 

6 Landgraf Georg an Liebenthal, 1627 März 16, Kit. StAD, Univ. 8. 

6 Catal. stud. IV, 191. Außer diesem vom Rektor stammenden Bericht vgl. beson- 
ders Winckelmann, Beschreib, d. Fürstent. Hessen u. Hersfeld (1697), 449. Hart mann, 
Hist. Hassiaca II (1742), 599, benutzt den Catalogus. — Im StAD, Univ. 8, liegen sieben 
Festpredigten aus verschiedenen hessischen Orten aus Anlaß des Jubiläums. 

7 Über das Datum könnte man im Zweifel sein (trotz der Angabe 30. Mai auf den 
Denkmünzen), denn sogar dem Rektor ist ein Irrtum beim Eintrag ins Matrikelbuch unter- 
gelaufen; er schreibt: 1. Juni (ihm folgt Hartmann: 11. Juni, nämlich neuen Stils). Ein 
Originalbrief von Herdenius macht das Datum 30. Mai unzweifelhaft; er schreibt am 
31. Sfai an Dieterich (Cgm. 1258, Bl. 321): „Gestern hat man die loojärige jubelge- 
dechtnus fundatae hujus academiae gehalten, und ist u. g. f. u. her mit dero gemahlin, 
jungen hern und Schwestern etc. selbstcn in der kirchen me concionem habente, wie auch 
in dem auditorio und auf dem rathhauß bey dem prandio, so s. f. gn. abgethan, gewesen". 

8 Die Aufschrift steht in Ayrmanns Sammelband (StAD), Bl. 31 — 32. Der Becher 
ist jetzt im Besitz der Universität Gießen. 

9 Vgl. ebd., Bl. 23- Abbildung der Münze in der Historie der Gelehrtheit derer 
Hessen, 1727 trim. II, und bei Laverrenz, Medaillen u. Gedächtnismünzen d. deutschen 
Hochschulen II (1887), Tafel XXVII, No. 99, vgl. S. 441. 




Johann Balthasar Schupp 

Professor der Mloquoiu und Geschieh' 

1610-1661. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 241 

Am nächsten Tage wurden zwei Theologen 10 und drei Juristen zu Dok- 
toren promoviert, am folgenden vierzehn Kandidaten der Philosophie zu Ma- 
gistern; beide Male ließ sich der Landgraf vertreten, bei den Doktorpromo- 
tionen auch sein Oheim Philipp von Butzbach. Eine Reihe Festreden von 
Steuber 11 , Kempf, Bachmann — letzterer redete „versweis" — und ein Fest- 
gottesdienst mit einer Predigt Feurborns gaben den nächsten Tagen noch ihren 
feierlichen Anstrich. 

Zu diesem Feste hatte der Landesherr seine Universität mit einem ganz 
besonderen Geschenk erfreuen wollen, nämlich mit dem Privilegium der 
Comitiva, der Würde eines kaiserlichen Hofpfalzgrafen, die von dem je- 
weiligen Inhaber des juristischen Dekanats geführt werden sollte. Dieses da- 
mals schon in vielen Händen befindliche Vorrecht 12 bestand in der Befug- 
nis, Notare zu ernennen, zu legitimieren, Emanzipationen usw. auszusprechen, 
gekrönte Dichter zu kreieren, Wappenbriefe zu verleihen usw. 

Im März 1627 schrieb Landgraf Georg an seinen Gesandten in Wien, 
Liebenthal 18 , er beabsichtige, die Universität zu ihrem Jubiläum, diesem 
seltenen „und vielleicht vor ende der weit nicht 'mehr erscheinenden festo", 
mit einem unerwarteten Gnadenbrief zu überraschen. Rudolf II. habe einst 
dem jeweiligen Dekan der Rostocker Juristenfakultät die Würde eines comes 
palatinus erteilt; Marburg aber habe ebenso berühmte Juristen lange Zeit hin- 
durch gehabt (es werde behauptet, daß Juristen, die dreißig Jahre doziert 
hätten, ipso jure comites palatini würden), verdiene also dieselbe Gunst. 
Liebenthal möge sie für Marburg zu erlangen suchen und die Sache vertrau- 
lich mit dem Reichshofratspräsidenten v. Stralendorf besprechen. Nach gutem 
Erfolg wird dem Gesandten eine besondere Gnade versprochen. Bei der 
Ausführung des Auftrages ergaben sich jedoch Schwierigkeiten 1 *, und es 
erwies sich als unmöglich, das Privileg noch als Festgeschenk zum Jubiläum 



10 Nämlich der neue Superintendent für Gießen, Joh. Dieterich, und der Theologie- 
professor Meno Hanneken. 

11 Steuber hat, wie er an Dieterich schreibt (Cgm. 1259, Bl. 319), „aller professo- 
rum theol. Marp. u. Giss. leben kürtzlich memoriter erzehlet". 

12 Es wurde besonders an verdiente Juristen verliehen; auch Anton Wolff v. 
Todenwarth und Vultejus wurden persönlich damit begnadet. Vgl. übrigens Schröder, 
Rechtsgeschichte s (1898), 481. 

" 1627 März 16, Kzt. St AD, Univ. 8. 

u Liebenthal an Landgraf Georg, 1627 April 17, Wien (Or. a. a. O.): Derartige Sa- 
chen könnten leider nicht unmittelbar im Geheimen Rat vor den Kaiser gebracht wer- 
den, sondern gehörten vor den Reichshofrat. Stralendorf glaubt, daß Landgraf Georg 
das Gewünschte „propter singularia merita domini patris" erlangen werde, kann sich aber 
des Rostocker Falles nicht erinnern. [In Rostock hatte seit 1582 der jedesmalige juristi- 
sche Dekan die Komitive, vgl. Krabbe, Die Univ. Rostock (1854), 692.] Ingolstadt sei 
mit einem solchen Begehren abgewiesen worden. [In Wahrheit hatte Ingolstadt dieses 
Privileg 1623 erhalten, vgl. Prantl, Gesch. d. Lud.-Max.-Univ. I (1872), 411.] Die Sache 
soll in den Hofrat gebracht werden. Taxe 400 — 500 Reichstaler, „und wehre solchs 
Privilegium perpetuum propter novitatem et raritatem in academiis woll werth". 

Die Universität Gießen von 1607 bis 1907. I. 16 



242 Vierter Abschnitt. 

zu erlangen. Ja, die Sache blieb sogar noch einmal fast zwei Jahre liegen, 
bis der Landgraf sie wieder in Gang brachte 15 . Im April 1629 erinnert er dar- 
an, daß seine Absicht immer noch bestehe, die Universität „mit einer guten 
ohnversehenen newen zeitung" zu erfreuen und sie „durch ohnvermuthete 
Vorlegung eines dergleichen kays. gratialbriefs unserer fürstvätterlichen annai- 
gung und clementz" zu versichern ; er ermahnt, die Angelegenheit weiterzu- 
treiben, sie aber höchst geheim zu halten, damit auch niemand „hieraußen 
lands" davon erfahre 16 . Da Stralendorf die Sache unterstützte, konnten die 
hessischen Gesandten bald „fröliche zeitung" in Aussicht stellen; noch ver- 
zögerte ein Unwohlsein dieses Gönners die Bewilligung 17 ; endlich unter dem 
24. Nov./4. Dez. 1630 wurde die Urkunde ausgestellt. Die Publikation ver- 
schob Landgraf Georg zunächst „auf friedlichere Zeiten"; erst 1632 kam 
das Privileg unter Bedeckung von vier Musketieren in Marburg an und wurde 
bei der Lectio legum Anfang Juli promulgiert. Der derzeitige Dekan der 
Juristenfakultät, Vizekanzler Nesenus, erhielt als erster die Würde des comes 
palatinus 18 . 

Das Jubiläum und diese Vermehrung der akademischen Privilegierungen, 
wovon man sich eine Hebung des Ansehens für die Hochschule versprach, 
sind die beiden Lichtblicke in dem düstern Bilde, das die äußere Ge- 
schichte der Universität in diesem Zeitraum darbietet. Schon im Jahre nach 
der Publikation der Komitive begann die Leidenszeit: die Pest brach in 
Marburg aus. 

Wie wir in der Gießener Zeit sahen, pflegte dieser unheimliche Gast alle 
zwei Jahre das Hessenland heimzusuchen; die Kriegsläufte, besonders die 
Einquartierung, mögen dann die Gefahr noch vermehrt haben. Schon 1625 
hatte einmal Landgraf Ludwig genehmigen müssen, daß die Studenten sich 
bis auf weiteres vor der Pest von Marburg nach Gießen oder sonstwohin flüch- 
teten 19 . Auch im Sommer 1629 herrschte Pest und Dysenterie in Marburg, so 
daß man an Flucht dachte 20 . 

Zu einer völligen Verlegung der Universität, die monatelang dauerte, kam 



15 An Liebenthal und J. J. Wolff, 1629 April 25, Kzt. ebd. 

1C Für die Universität war es freilich schon keine Überraschung mehr, vgl. CattL 
stud. XV, 5. 

17 Versch. Gesandtschaftsberichte a. a. O., ein Schreiben vom 10. / 20. Juni 1629, 
StAD, Gesandtsch. 47. 

18 Die Urkunde ist im Einzeldruck erschienen, abgedruckt auch in M. B. Valcn- 
tini, Privilegia studiosorum Gissensium (1720), 17 — 24. — Landgraf Georg an die Juri- 
stenfakultät, 1632 Juni 25, an den Rentmeister zu Gießen, v. gl. T., StAD, Univ. 8. Catal. 
stud. XV, 29. 

19 An Wolff v. Todenwarth, 1625 Nov. 20, StAD, Korr. Wolffs. In jenen Tagen 
starb Helfr. Gerlach, Beisitzer des hess. Hofgerichts, mit seiner ganzen Familie an der 
Pest. Catal. stud. IV, 176. 

20 Univ. Marburg an Landgraf Georg, 1629 Juli 29, Kzt. UAG, S. XXIa. Vgl 
Catal. stud. XV, 9. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Dannstädter Linie. 243 

es jedoch erst 1633 21 . Schon im Sommer hatte die schleichende Krankheit 
sich gezeigt, und im Herbst sollte sie auch aus den akademischen Familien ihre 
Opfer fordern. Im August hatte man im Senat beraten, wie man den Stu- 
denten, wenn sie erkrankten, Krankenpfleger stellen könne. Aber die Seuche 
nahm zu ; wie sehr sie gewütet hat, geht aus der Angabe der akademischen 
Annalen hervor, daß während dieser Pestzeit in dem kleinen Marburg fast 400 
Todesfälle vorkamen. So richteten Rektor und Senat wohl bereits im August 
die Bitte an den Landesherrn, nach Qrünberg auswandern zu dürfen; die 
Kosten des Aufenthalts in der Fremde sollten dem „Geistlichen Landkasten' 4 
entnommen werden 22 . Als die Genehmigung eintraf, daß die Professoren 
nach Belieben auswandern dürften, zog man Anfang Oktober hinweg: der 
Rektor Steuber, Vizekanzler Nesenus, die Professoren Korn mann und Braun 
wählten denn auch Grünberg zu ihrem Zufluchtsort, Vultejus flüchtete mit 
dem Hofgericht nach Kirchhain, andere nach Wetter und Fronhausen, die 
meisten jedoch zogen nach Gießen, während drei Professoren in Marburg zu- 
rückblieben. Bald aber wurden, um die akademische Tätigkeit zu ermög- 
lichen, die in Grünberg weilenden und die übrigen Professoren auch nach 
Gießen berufen, und am 1. November beschloß man dort, weil kein öffent- 
liches Gebäude für die Vorlesungen zur Verfügung stand 23 , daß jeder in 
seiner provisorischen Wohnung lesen solle. Theologische und Gradualdispu- 
tationen sollten in der Kirche, philosophische im Rathaus stattfinden. Zu- 
gleich wurde dem Rektor der ihm zukommende Sitz in der Kirche zugewiesen. 
Die Szepter, Statuten bücher, Pokale ließ man von Marburg holen. Im Hause 
des scheidenden Rektors fand im Januar die Rektorwahl statt, die feierliche 
Einführung des neuen Oberhauptes aber in dem großen juristischen Audi- 
torium des ehemaligen Universitätsgebäudes. 

So richtete sich die geflüchtete Universität ein, so gut es gehen wollte; 
die Studenten scheinen sich ziemlich zahlreich eingefunden zu haben, und bald 
begannen wieder die Reibereien zwischen ihnen und den Soldaten der Be- 
satzung, so daß die Behörden bedauerten, keinen Karzer zur Verfügung zu 
haben 2 *. Landgraf Georg, der selbst in Gießen Wohnung genommen hatte, 
und sein Kanzler Anton Wolff taten alles, um der Universität über die Zeit 
des Exils wegzuhelfen 26 . Durch ihre Fürsorge und Teilnahme gestaltete sich 
die Promotion, die im März 1634 in Gießen gefeiert wurde, zu einem glänzen- 
deren Schauspiel, als in Marburg und Gießen jemals gesehen worden war. Der 



21 Ausführlich handelt darüber Catal. stud. XV, 45 f., 49, über die Promotion in 
Gießen 55. 

22 Univ. Marburg an Landgraf Georg, 1633 Sept. 1, Kzt. UAG, S. XXIa. Nach 
Gatal. stud. wäre die Genehmigung bereits XI. Kai. Sept. erfolgt, was auf eine falsche 
Datierung des eben angeführten Konzepts schließen läßt. 

28 Landgraf Georg bewohnte während seines Aufenthaltes in Gießen das Collegium 
Ludovicianum. 

2 * Catal. stud. XV, 40, 46. — * 5 Ebd. 50, 55. 

16* 



244 Vierter Abschnitt. 

große Hörsaal der ehemaligen Gießener Hochschule war auf Befehl des Landes- 
herrn reich geschmückt; der Landgraf nahm mit seiner Gemahlin und seinen Rä- 
ten an dem akademischen Akt von Anfang bis zu Ende teil. Promoviert wurden 
zwei Theologen und zehn Juristen» 6 , eine seltene Anzahl für eine Promotion. 
Die Promotoren erbaten die potestas promovendi nicht vom Vizekanzler, son- 
dern, was die Feierlichkeit noch erhöhte, vom Landesherrn unmittelbar, worauf 
sie der Vizekanzler, zur Linken des Fürsten stehend, erteilte. Am Schluß ließ 
der Landgraf durch zwei seiner Räte den Neugraduierten seinen Glückwunsch 
aussprechen und der Universität zwei vergoldete und mit Inschriften ge- 
zierte Pokale überreichen. 

Nach diesem Fest, dessen Ruf weithin sich verbreitete* 7 , beschloß die 
Marburger Universität, da die Pestgefahr vorbei war, ihren Sitz wieder auf- 
zusuchen. Sie erholte sich erstaunlich schnell, und neuer Studieneifer er- 
füllte die Lehrer und Studenten 28 . Doch schon im folgenden Herbste begann 
von neuem die Seuche aufzutreten, viele Studenten verließen die Stadt, aber 
die Universität sah sich genötigt, auszuharren, da eine Auswanderung wegen 
der umherstreifenden Scharen des Kriegsvolkes zu gefährlich erschien. Der 
äußerste Notfall, wofür eine Flucht nach Kirchhain oder Wetter geplant war, 
trat zum Glück nicht ein ; die Pest ließ nach. Aber auch die folgenden Jahre 
brachten wieder Heimsuchungen durch die Seuche, so 1635, 1637, wahrschein- 
lich auch 1641 M . 

Jetzt aber geriet die Universität auch durch die kriegerischen Verwick- 
lungen in Bedrängnis. Landgraf Georgs Politik war, durch Vermittlung 
alles zum besten zu kehren, dabei aber nach Möglichkeit neutral zu bleiben 
und die Rücksicht auf den Kaiser nicht außer acht zu lassen. Sein Land wurde 
natürlich von keiner der streitenden Parteien geschont. 

Zunächst gerieten die finanziellen Verhältnisse der Universität in Un- 
ordnung. Die Naturallieferungen und Zinszahlungen aus dem ausgesogenen 
Lande stockten, und auch von Kriegssteuern blieb die Universität nicht ver- 
schont 30 . So war denn meistens die Kasse leer, und die Universität war ge- 
nötigt, Schulden zu machen 81 . Dazu nahm die Unsicherheit auf dem flachen 



26 Darunter als Dr. theol. der spätere Prof. phys. Schragmüller, als Dr. jur. die spä- 
teren Prof. jur. Walther und Tülsner. 

27 Prof. Dorsche in Straßburg an Hanneken, 1634 Mai 7: „Felix atque intemeratus 
tuus reditus, quo post declinatam pestem Gissae commorati Marpurgum incolumes illae- 
sique rediistis, gratulationibus bonisque votis honorandus est. Memorabile fecit exilium 
suum Catta et cata academia doctorali promotione numerosa atque celebri. Si sie pe- 
rennabitis, vos uni doctorum virorum raritati medebimini". Seelen, Deliciae epistolicae 
(1729), 108. — 2 8 Catal. stud. XV, 49. 

29 Vgl. die Akten UAG, S. XXIa; über zeitweilige Einstellung der Vorlesungen 
wegen der Pest 1635 ein Schreiben Landgraf Georgs, UAG, S. Cod. rescr. III, 741. 
Besonders die Verpflegung erkrankter Studenten machte Schwierigkeiten, da die Bar- 
biere sich dessen weigerten; daher lagen 1637 zwölf Studenten ohne Pflege krank. 

30 Vgl. Catal. stud. XV, 6f., 44, 51. — " Catal. stud. XV, 49f. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmsüdter Linie. 245 

Lande zu, und es war schon nicht mehr möglich zu verreisen, ohne hand- 
feste, bewaffnete Bedeckung mitzunehmen. Bald aber näherte sich die Kriegs- 
gefahr der Musenstadt selbst". Das Heranrücken des schwedischen und 
niederhessischen Heeres unter Landgraf Wilhelm und Alexander Leslie im Früh- 
sommer 1636 versetzte die Marburger in große Aufregung. Schon im Mai hatte 
die Universität drei Kisten mit Urkunde» und ihre Wertsachen geflüchtet 13 ; 
im Juni rückte die Armee heran zum Entsatz des von den Kaiserlichen 
hart bedrängten Hanau. Auf dem Hin- und Rückmarsch hatte das darm- 
städtische Gebiet schwer zu leiden, besonders aber auf dem letzteren, da 
man bemerkt hatte, daß Landgraf Georg der kaiserlichen Partei zuneigte. 
Grausam verfuhren die Krieger gerade in der Marburger Gegend, obgleich 
Landgraf Wilhelm das Land schonen wollte. Auch den Universitätsver- 
tretern, die zusammen mit der städtischen Behörde um Schonung nach- 
suchten, trat Leslie rauh und abweisend entgegen; doch entging Marburg 
auf Fürbitte Wilhelms und Landgraf Johanns von Darmstadt der Plünde- 
rung 3 *. Viele Angehörige der Universität hatten sich, obgleich ihnen das 
feste Marburger Schloß zur Verfügung stand, in die Festung Gießen geflüch- 
tet. War auch das Schlimmste abgewendet, an der ungeheuren Kriegs- 
schatzung von 100000 Reichstalern, die dem Lande auferlegt war, mußte die 
Universität mitzahlen. Die Mitglieder der Hochschule schössen zusammen 
— die Studentenschaft ging frei aus, vermutlich aus guten Gründen — und 
erlegten ihren vollgemessenen Anteil 55 , obgleich es den Professoren schwer 
genug wurde 36 . Als die Zahlung jedoch im Lande nicht rasch aufgebracht 
werden konnte, ließen die Schweden neben andern hessischen Notabein auch 
den Professor Breidenbach als Geisel verhaften und, wie es scheint, längere Zeit 
festhalten". 



« Schon 1631 glaubte man sich bedroht, Catal, stud. XV, 26. 

" Empfangsschein UAG, S. XXI, 2. Catal. stud. XV, 60. 

« Vgl. Catal. stud. XV, 60; Theatrum Europaeum III, 666; Roromel VIII, 418. 
Über die Lage der Universität erfahren wir einiges aus der Flugschrift „Responsum stu- 
denticum, . . darinnen der . . Einfall und abscheuliche Thaten, so die Schweden u. deren 
Associirte im Ober-Fürstcnthum Hessen . . verübet, erzehlet werden . . durch Amandum a 
Veritate. Getruckt zu Freistadt bey Moysi Stab". Die Erlaubnis, sich im Notfall auf das 
Schloß zurückzuziehen, erhielt die Universität durch fürstliches Schreiben v. 21. Juni (UAG, 
S. XXI, 2, wo auch Befehl an den Schloßkommandanien v. Bünau). — M. B. Valentini be- 
nutzt für seine Darstellung (Declamationum panegyr. Sexds [i7°i]> 61 ff.) den Catal. stud. 

85 Responsum stud., 30L Hiemach hätte die Universität ihre Quote mehr als dop- 
pelt erlegt. 

8S Prof. Schragmüller, zurzeit in Gießen, an seinen Schwager Dr. Heilmann in Mar- 
burg, 1636 Juni 15: Bittet für ihn 13 1 /« Rtlr. Kontribution, die jeder Professor zahlen 
muß, vorzulegen. UAG, S. VI, 7, 1607/40. Vgl. auch die Äußerung Feurboms im 
folgenden. 

81 Breidenbach an Rektor Hanneken, 1637 Juni I. Or. und andere Korrespon- 
denzen, UAG, S. XXI, 2. Responsum stud., 8 ff. — Einige Äußerungen Feurboms über 
jene Not mögen hier Platz linden. An Hoe von Hoenegg schreibt er (30. Juli 1636, 
Hdsrhr. 1:5 d. Gießener Univ.-Bibl,, Bl. 454): „Quot pericula, de praedat Jones, violentas 




246 Vierter Abschnitt. 

Auch nach dem Abzug des Heeres bekam die Universität die Unbilden 
des Krieges zu fühlen. Die Besatzung der Stadt, unter dem Kommando des 
Oberstleutnants v. Bünau stehend, erlaubte sich Übergriffe, wobei freilich 
auch die akademischen Bürger nicht unschuldig gewesen sein werden. 
So kam es wiederholt zu Schlägereien zwischen Studenten und Soldaten, so 
daß der Landgraf Frieden stiften mußte* 8 . 

Beim nächsten Anrücken der Schweden 1639 dachte man wieder an 
eine Verlegung der ganzen Universität nach der Festung Gießen*». Doch 
gelang es, einen Schutzbrief von der Krone Schweden zu erwirken 40 , und so 
konnte die Auswanderung unterbleiben, wenn auch freilich jede dieser Bedroh- 
ungen Anlaß zu einer Flucht von Studenten gab 41 , von denen wohl immer 
nur ein Teil wiederkam. Auch das plötzliche Herannahen der französisch-wei- 
marischen Völker im Winter 1639 auf 1640 brachte die Universität in Gefahr, 
da eine Flucht der Jahreszeit wegen nicht angängig war 41 . Zum Glück hatten 
die Bemühungen des Landgrafen Georg und der Kasseler Landgräfin-Regen- 
tin den Erfolg, der Universität und ihren Besitzungen Sicherheit zu verschaffen 48 . 
Im Laufe des Jahres kam die Hochschule auch noch in den Besitz von Schutz- 
briefen (Salvaguardia) des Herzogs von Longueville und des Generals Baner 44 . 



stuprationes et exactiones aliasque crudelitates, ut ita loquar, a Suecico et Cassellano 
exercitu Hanoviam ab obsidione liberante nostra haec patria passa sit, id, proh dolor, 
plus satis patet. Laus autem et gloria perennis sit Deo, quod nos a «avoXtfrpi? 
hucusque praeservarit". Genaueres teilt er Dieterich mit (22. Juli 1636, Cgm. 1258, Bl. 98). 
„Ach in wie viel tausent engsten und nöthen sind wir alhie durch der Schwedischen 
und Unterhessischen (so Hanau w entsetzet) durchzug gerathen gewesen 1 Dz gantze 
land (wenige statte außgenommen) ist ausgeplündert und hat zu Verhütung mehrerer Plün- 
derung 100 000 rthlr. geben müssen, darauf f 22000 rthlr. schon erlegt sind. Und haben 
adeliche und andere ehrliche zu Cassel sich befindende leute mit sich genommen zu 
geissein, bieß sie den rest gelts empfiengen. Die hiesige universitet hat ein grosses 
geben müssen. Es laufft mir allein an gelt, meel, brot und an schaden, der mir in 
den gerten und sonsten zugefuegt worden ist, über 100 rthlr.". 

88 Catal. stud. XV, 60. Daß man in Universitätskreisen die Tapferkeit der Bc- 
satzungstruppen nicht sehr hoch schätzte, bezeugt die Benennung „galeati lepores", wo- 
mit sie vom Rektor in den amtlichen Annalen belegt werden. 

89 Landgraf Georg hatte schon Transportwagen dazu angewiesen (an Univ. Mar- 
burg, 1639 Aug. 7, Or. UAG, a. a. O.). 

40 Gedruckte Exemplare m. Dat. 1639 Dez. 14: StAD, Univ. 8, u. UAM, III, 31; 
erneuert 1643 Nov. 4, UAM, a. a. O. 

41 Vgl. Schupp, Lehrr. Sehr. II, 514, d. Ausg. v. 17 19. Der Verfasser der in 
Anm. 44 erwähnten Schrift an Königin Christine läßt die Universität klagen: 

„Hei mihi! jam pridem fines hos urget egestas, 

Jam mihi pro fama pene parata fames. 
Jam studiosa cohors et doeta Corona recessit, 

Orba feror, nuper quae modo mater eram!" 

42 Korrespondenzen v. Januar 1640, UAG, a. a. O. 

43 Theatrum Europaeum IV, 196; Rommel VIII, 573, 579. 

44 Vgl. Rommel VIII, 573, Anm. 78. Drucke UAM, III, 31. Auch in Land- 
graf Johanns (Bruders von Landgraf Georg, in kaiserlichen Diensten) Namen wurde bei 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 247 

Die Universität verbrachte — soweit wir aus dem lückenhaften Mate- 
rial ein Urteil gewinnen können — die nächsten Jahre in leidlicher Ruhe, 
da es ihr gelang, unter Berufung auf erteilte Schutzbriefe Schonung zu er- 
halten* 6 ; auch von der Königin von Schweden* 6 und dem niederhessischen 
General Oeyso* 7 sind solche in diesen Jahren erteilt worden. Man 
kann sagen, daß der Rinteler (früher Gießener) Professor Gisenius recht 
hatte, wenn er 1641 die Universität Marburg wegen ihrer verhältnismäßig 
günstigen Lage beglückwünschte 18 . Freilich werden ja, so sagt er, auch in 
Marburg keine Gehälter mehr bezahlt, aber man könne doch für die Zukunft 
darauf rechnen, was in Rinteln nicht der Fall sei. 

Erst 1645 wurde die Universität wieder aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. 
Ein Königsmarcksches Korps machte am 29. Mai einen Angriff auf Marburg, 
nahm und plünderte die Vorstadt Weidenhausen. Dem Gesandten der Uni- 
versität wurde — trotz aller früheren Versicherungen — der nachgesuchte 
Schutz nicht zugestanden, weil der schwedische Führer hoffte, so einen 
Druck auf die Stadtbehörde ausüben zu können* 9 . Zum Glück hielten sich 
die Schweden nicht lange auf, und so kam die Universität noch glücklich durch. 

Anders wurde es im Herbste desselben Jahres, als der offene Krieg 
zwischen den Linien Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt zum Ausbruch kam. 
Was die Hochschule von da ab zu leiden hatte, und wie sich ihr Schicksal 
in den folgenden Jahren gestaltete, wird im Zusammenhang im letzten Ab- 
schnitte geschildert werden. 



Baner für die Universität unterhandelt (Landgraf Johann an Univ. Marburg, 1641 Jan. 5, 
Or. UAG, a. a. O.). Die Universität wollte selbst etwas zu ihrem Schutze beitragen und 
richtete daher an die maßgebenden Persönlichkeiten gedruckte Carmina mit Lobeserhe- 
bungen und Bitte um Schutz für sich und die Stadt. Von 1640 liegen mir solche Schriften 
vor: an die Königin von Schweden, den Herzog v. Longueville, Graf Gu£briant, Baner, 
Salvius, Graf W. O. v. Nassau, J. B. v. Ehmen, Reinh. v. Rosen, sowie an Erzherzog 
Leopold Wilhelm. Den Herzog von Longueville wollte die Hochschule auch 1641 durch 
eine lateinische Epistel und ein gedrucktes Carmen freundlich stimmen, wogegen aber Land- 
graf Georg Bedenken hatte (Landgraf Georg an Univ. Marburg, 1641 April 14, Or. a. a. O.). 
Doch steht auch in der Universitätsrechnung 1642 ein Posten für „Carmina so in anno 1642 
denen kriegsobristen geschickt worden 1 '. 

45 Akten UAG, a. a. O. Die Annalen (Catal. stud.) sind von 1637 ab verloren. 

*• 1642, Rommel VIII, 650. 

47 1643 Dez. 10, UAG, a. a. O. 

48 Brief an Steuber: Historie der Gelehrtheit derer Hessen 1726, trim. III, 298. 
— Hier möge auch eine frühere Lobpreisung des glücklichen Geschickes von Mar- 
burg erwähnt werden. In der „Frewd- und Glückwündschung der . . . Univ. Marpurg, 
als sie wieder neun doctores in zweien Facultäten gezeuget, geschrieben an M. Joh. B. 
Schuppen . . . auß teutschem Hertzen und liffländischer feder Johannis Witte'* (Marb. 
1638) wird die Universität angeredet: 

„Wo ist ein Universität, 
Die dir gleich und glücklich geht, 
Itzo in Teutschland zu nennen?" 
** Akten UAG, a. a. O. Der Überfall ist Rommel (VIII, 680) entgangen. 



248 Vierter Abschnitt 

II. 

Wenn wir für die Qießener Zeit als einen Orundzug des akademischen 
Lebens den Kampf gegen Calvinismus, gegen Unionspolitik, im einzelnen 
gegen Marburg und Hessen-Kassel erkennen konnten, so stehen wir für die 
Marburger Periode vor veränderten Verhältnissen. Der Gegner war, seitdem 
man selbst Marburg im Besitz hatte und die Kasseler Linie gedemütigt war, 
nicht mehr zu fürchten. Die Kasseler Hochschule, die zum Ersatz für das 
verlorene Marburg einige Jahre später (1633) gegründet wurde, hat nie große 
Bedeutung erlangt und konnte es auch nicht, da ihr die Universitatsprivile- 
gien — trotz Landgraf Georgs Zusage — nicht erteilt wurden. Die Offensive 
gegen den Calvinismus, soweit er durch Hochschulen vertreten war, hatte 
überhaupt seit Heidelbergs Fall in Deutschland fast keinen Gegenstand mehr. 
Der religionspolitische Streit gegen Kassel wurde allerdings noch einmal durch 
die „Wechselschriften" und ihre Beantwortung aufgenommen. Doch kann 
man nicht sagen, daß außer den Theologen weitere Universitatsangehörige 
an dem Streite persönlich teilgenommen hätten. 

Die Altmarburger Tradition, modifiziert durch Gießener Erfahrungen, wie 
sie sich in dem Statutenwerk von 1629 ausspricht, gab der Universität ihr Ge- 
präge. Landgraf Georg, der sehr stolz auf seine Universität war, stand in 
engen Beziehungen zu ihr. Das bestimmte auch ihre Haltung den politischen 
Fragen gegenüber, zu denen sie Stellung nahm 60 . Allerdings haben wir in dieser 
Hinsicht wenig Anhaltspunkte, aus denen eine Einwirkung zu erkennen wäre. 
Des Landgrafen Stellung zum Restitutionsedikt hatte die Folge, daß auf fürst- 
lichen Befehl durch Kommissare, wohl auch aus der Universität, eine Ermah- 
nung zum Übertritt in die Augsburger Konfessionsgemeinschaft an die Re- 
formierten erging 61 . Ob diese Auffassung, die nicht die allgemein-evangelische 
Gefahr, sondern nur die Gelegenheit sieht, den Calvinisten Abbruch zu tun, 
den Beifall der Universität hatte, steht dahin. Doch möchte ich bezüglich der 
Theologen die Frage bejahen. Denn als es galt, zu der Frage eines Abwehr- 
bundes, wie er in dem Leipziger Konvent 1631 vorbereitet wurde, Stellung zu 
nehmen, äußerte sich Johann Dieterich seinem Bruder gegenüber, indem er ver- 
mutlich die Meinung auch der Theologieprpfessoren wiedergab 61 : „Wir 
oberheßische theologen haben nicht die Leipzigsche confoederation simpliciter 
dissuadirt, sondern nur das einzige, daß man so schlechter dinge die Calvi- 
nischen mit eingenommen, ehedan sich dieselben richtig zur ohnverenderten 
Augspurgischen confession bekandt. Das übrige lassen wir die politicos verant- 
worten". 

Der Religionsgegensatz gegen die verhaßten Calvinisten ist also ge- 
blieben. Der gegen die Katholiken macht sich, wie in der Gießener Zeit, wenig 

50 Doch auch umgekehrt, vgl. unten S 255. 

51 Catal. stud. XV, n. 

62 An Konr. Dieterich, 1631 Aug. 14, Cgm. 1257, Bl. 377. 



Maiburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 249 

geltend, weil es sich bei der kaisertreuen Haltung des Landesherrn von selbst 
verbot, ihn scharf zu vertreten. Die versöhnliche Richtung des Calixt fand bei 
den Theologen Marburgs ebensowenig Anklang wie bei ihren Fürsten 1 ' 9 . Wohl 
aber stimmte man in Marburg, durch die Erfahrung gewitzigt, für einen Zu- 
sammenschluß aller lutherischen Universitätslehrer, für eine Art Schiedsgericht 
bei vorkommenden Streitfragen, wodurch das häßliche Schauspiel eines er- 
bitterten Federkrieges unter Anhängern des gleichen Bekenntnisses vermieden 
werden sollte. 

Bei den Verhandlungen der lutherischen Universitäten nämlich, die auf 
gemeinsame Maßregeln zur Abschaffung des Pennalismus abzielten, war von 
Helmstädt her die Anregung gekommen, daß die in diesem Punkte konsen- 
tierenden Universitäten in ein Vertrauensverhältnis treten möchten, damit alles 
,, gleich aus einem Mund und aus einer Feder" dahergehen, Streitigkeiten und 
Spaltungen aber abgestellt werden könnten 5 *. Dieser Vorschlag fand bei den 
Marburgern nicht nur Anklang, sondern sie formulierten ihn sogar zu einem 
förmlichen Antrag, den sie bei der in jener Sache ausschreibenden Universität 
Wittenberg stellten. Freilich fiel dieser Antrag aus dem Rahmen der Unter- 
nehmung gegen den Pennalismus ganz heraus; er blieb daher auch ohne 
weitere Folge, aber er zeigt doch, daß man in Marburg dem Zusammenschluß 
der Hochschulen lutherischen Bekenntnisses hohe Bedeutung beimaß und ihn 
zum Besten der Allgemeinheit fruchtbar machen wollte. Im einzelnen beab- 
sichtigte man folgendes: Die lutherischen Kartelluniversitäten verpflichten sich, 
die in einer ihrer Fakultäten vorkommenden Zwiespältigkeiten, wenn sie nicht 
von einer Universität beigelegt werden können, privatim den übrigen vorzu- 
tragen, um öffentliches Ärgernis zu vermeiden ; wenn irgendein Professor 
auf einer lutherischen Universität in den Schriften eines andern zum Kartell 
gehörigen etwas findet, was seinen Ansichten nicht entspricht, so soll er ihn 
privatim und friedlich deshalb angehen oder, wenn damit kein Erfolg zu er- 
reichen ist, andere lutherische Professoren als Schiedsrichter berufen. Diese 
Maßregeln sollten nur vorläufige Geltung haben, bis auf einem allgemeinen, 
von den Landesherren autorisierten Konvent weitere Beschlüsse gefaßt werden 
könnten". 



(.856), HS, I49i "- 2 (' 
bei den Verhandlungen vor 



[648/49, 



63 Henke, Georg Calixtus u. seine Zeit 1 1, 
Anm. 3, 125. Vgl. die Ablehnung des „Synkretismus 
worüber unten Näheres. 

M Mündliche Unterredung wäre freilich das beste. Helmstädt an Wittenberg, 1633 
Juni 14. Abschr. StAD, Univ. 9. Näheres über das Pennalkartell an anderer Stelle. 

M SlAD, a. a. O.: Monita Marpurgensia (1636). Der Wortlaut mag hier folgen: 
„Confoed Cratae academiae Luthcranac mutuis literis sibi invicem sanete promittant, quod, 
si forte in ulla facultatc sive theologica sive juridica sive medica sive philosophka de ullo 
puncto dissensioncs oriantur, quae unius academiae opera sopiri nequeant, tum sodas 
academias, si rerum gravitas flagitet, privatim consulere omniaque eo dirigere velint, ut 
publica scandala cum adversariorum tripudio conjuneta tnature praeeaveantur; quodque si 
quis professor in ullius confoederati Lutherani libris quippiam arduum reperiat, a quo ipse 






, 



250 Vierter Abschnitt. 

Dieser Vorschlag, der sich auf dem gleichen Boden bewegt wie die in 
derselben Zeit hervortretenden Gedanken an eine kirchliche Oberbehörde für 
alle Lutheraner zur Schlichtung oder Entscheidung von Streitfragen theolo- 
gischer Art M , geht doch in einer Hinsicht darüber hinaus : er beschränkt sich 
nicht auf die Theologen, sondern will verbitternde Streitigkeiten auf den 
wissenschaftlichen Gebieten aller Fakultäten aus der Welt schaffen. Wäre ein 
solcher Gedanke verwirklicht worden, er hätte nur Nützliches wirken können, 
womit freilich die Wichtigkeit des Dissenses für den Fortschritt der Wissen- 
schaft nicht verkannt werden soll. Die Wissenschaft im heutigen Sinne steckte 
ja noch in den Kinderschuhen, und der Streitsucht der Gelehrten wäre doch 
etwas gesteuert worden. 

III. 

Als die Universität Marburg vom Hause Hessen-Darmstadt in Besitz ge- 
nommen wurde, war das in ihr geltende Recht und die für sie maßgebende 
Satzung nicht in einer Fassung vorhanden. Die alten Statuten des Stifters 
der Hochschule 57 hatten sich schon zu seinen Lebzeiten als unzureichend er- 
wiesen. 1559/60 war eine neue Fassung ausgearbeitet worden, zu der .1564 ein 
weiterer Teil trat 68 . Seitdem war bei Visitationen und anderen Gelegenheiten 
eine Reihe von fürstlichen Verordnungen ergangen, auch dauernd gültige 
Senatsbeschlüsse waren hinzugekommen, aber ein einheitliches Gesetz- 
buch fehlte. 

Nunmehr war eine Feststellung dessen, was als gültiges akademisches 
Recht und Gesetz angesehen werden sollte, um so nötiger geworden, als einer- 
seits die Zahl der mit den Marburger Verhältnissen unbekannten Neueingetre- 
tenen ziemlich groß war, andrerseits die Verordnungen der letzten zwanzig 
Jahre, der Alleinverwaltung durch den Landgrafen Moritz, folgerichtig von 
Darmstadt nicht anerkannt wurden. Landgraf Ludwig hatte daher dem Pro- 
fessor Mentzer, dessen organisatorische Tüchtigkeit er kannte, schon am 
24. März 1626 insgeheim aufgetragen, neue leges generales für die Universität zu 
entwerfen 59 . Die von ihm stammenden Niederschriften wurden nach seinem 



dissentiat, de eo ipsum privatim Candida fide et pacis studiosissimo animo monere li- 
temque, siquae porro subsit, inter privatos parietes pro omni parte [posse?] virili dirimerc 
vel, si hoc pro voto suo obtinere nequeat, etiam alios professores Lutheranos, ad quos 
decisio suborti dissidii pertineat, in subsidium arcessere velit. Hoc foedus academiae Lu- 
theranae tantisper inter se pie et sincere observare poterunt, usque dum meliora tempora 
5&v &8cj> fluant, quibus ipsae conventum et colloquium, cujus academiae Julia non in- 
utiliter meminit, praevio magistratus sui consensu instituere deque rebus gravibus et utili- 
bus in honorem Dei, in exaedificationem ecclesiae Christi et in salutem studiosae iuven- 
tutis fideliter consultare queant". 

56 Vgl. Tholuck, Kirchl. Leben des 17. Jhdts. I (Vorgesch. des Rationalismus II. 1, 
1861)11 f. — ö7 Hildebrand, 19—28. 

58 Der letztere bei Hildebrand, 79 — 91; die Reformation von 1560 steht im alten 
Marburger Statutenbuch, Hdschr. 33a der Univ.-Bibl. Gießen. 

5» Kzt. StAD, Univ. 7. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 251 

Tode benützt, als die Professoren Steuber und Nesenus die Arbeit weiterführ- 
ten. Die endgültige Form war 1629 vollendet. Auf ihre Entstehungsgeschichte 
und die Herkunft der einzelnen Bestimmungen kann hier nicht eingegangen 
werden. Bemerkt sei nur, daß es ein sehr umfangreiches Werk von 
113 Titeln war, datiert vom 1. November 1629. 

Dieses Gesetzbuch (das nach der Wiederherstellung der Oießener Uni- 
versität für diese in Geltung blieb) ist eine Hauptquelle für die Kenntnis der 
akademischen Zustände in Marburg von 1625 bis 1650. Im folgenden werden 
die Verhältnisse hauptsächlich insoweit dargestellt, als sich Differenzen gegen- 
über denen der Gießener Zeit ergeben, oder als sich aktenmäßige Belege für 
die faktischen Zustände beibringen lassen, die zur Illustration jener theore- 
tischen Forderungen dienen. 

IV. 

Das Corpus academicum umfaßte in Marburg im wesen liehen dieselben 
Personen wie in Gießen. Auch hier übte das gefreite Corpus eine große An- 
ziehungskraft aus, und so geschah es, daß der Stadtrat einmal 1627 eine Anzahl 
angeblich der Universität Zugehöriger als seine Untergebenen reklamierte. Es 
kam zu Verhandlungen mit den fürstlichen Regierungsräten 60 , und das Er- 
gebnis war ein Erlaß des Landgrafen vom 15. Februar 1628 61 . Hiernach werden 
der Universitätsobrigkeit außer Professoren und Pädagoglehrern (natürlich 
auch Studenten) zugewiesen : die drei Stadtschulpräzeptoren, doch ohne Exem- 
tion von der Aufsicht des Superintendenten ; ferner alle in Marburg wohnen- 
den Doctores und Licentiati und Witwen solcher, solange sie sich nicht wieder 
verheiraten. Was dann die akademischen Beisassen betrifft, so hatte die Klage 
der Stadt Erfolg: es sollen in Zukunft nur noch der Oeconomus, der Vogt, 
ein Buchdrucker und ein Buchbinder zur Universität gehören; die noch über- 
zählig vorhandenen Personen erhalten nur auf Lebenszeit die Zugehörigkeit 
zur Universität, nämlich ein Oeconomus im Ruhestand, ein Buchhändler, der 
zweite Buchdrucker, der zweite Buchbinder und der Fechtmeister. Schließ- 
lich aber gehören unter akademische Jurisdiktion die am Hofgericht und der 
Kanzlei immatrikulierten Advokaten und Prokuratoren. Auch den Pfarrern 
wird gleiche „befreyung", wie sie die Professoren hatten, zugesprochen. 
Hatte der Stadtrat hier einen gewissen Erfolg, so mißlang es ihm freilich im 
folgenden Jahre gänzlich, als er versuchte, einen Studenten, bloß weil er verhei- 
ratet war, unter seine Obrigkeit zu ziehen 82 . 

Wenn der Universität Lasten auferlegt wurden, so waren öfters die Pro- 
fessoren davon befreit, während die anderen Glieder zahlen mußten; oder 
die Befreiung traf Professoren, Präzeptoren, deren Witwen und die Studen- 
ten, so daß die übrigen Glieder der Universität um so schwerer be- 

«• Akten StAD, Univ. 8. 

•* Abschr. a. a. O. und Hdschr. 33a der Gießener Univ.-Bibl. 

* Catal. stud. XV, 11. Beschwerde des Stud. UAG, S. VIII: Lastenbefreiung. 



252 Vierter Abschnitt. 

troffen wurden 68 . Immerhin haben wir gesehen, daß bei der schweren 
Brandschatzung von 1636 die Professoren das ihre getreulich zahlten 64 . 

Die ungleiche Behandlung im Jahre 1629, wo die Professoren vom Land- 
grafen allein befreit worden waren, hatte zur Folge, daß die Doctores, Magistri, 
Advocati und Procuratores bei Universität, Hofgericht und Kanzlei sich beim 
Rektor beschwerten. Dies blieb zwar erfolglos; aber in den im gleichen Jahre 
publizierten Statuten erscheinen die Advokaten, Prokuratoren und Geistlichen 
nicht mehr der Universität, sondern der Kanzlei zugewiesen 65 , und so blieb 
es für die Zukunft. — 

Wie die Universität Marburg zur Mitbesetzung der Prälatenbank im 
hessischen Landtage von früher her berechtigt war, so hatte sie dieses Recht 
jetzt auf den hessen-darmstädtischen Landtagen 66 , da es seit 1628 keine gesamt- 
hessischen Landtage mehr gab. 

Die Rangverhältnisse der einzelnen Universitätsangehörigen gaben zu man- 
cherlei Reibungen Anlaß. So stritten die Studenten und Pädagogschüler 1629 
um den Vortritt vor den Bürgern, zum Beispiel bei Leichenbegängnissen und 
beim Abendmahl, und um den Sitz in der Kirche, und ihre Forderungen gingen 
durch 67 . Im gleichen Jahre kam es wegen des Vorranges zwischen dem 
Rektor Feurborn und dem Superintendenten Herdenius zu Auseinander- 
setzungen 68 . Und so mehrfach. 

V. 

Eigene Verwaltung und Jurisdiktion war auch in Marburg selbstver- 
ständliches Vorrecht der Universität. In peinlichen Fällen waren die Glieder 
der Hochschule den adligen und honorierten Personen gleichgestellt, die nach 
einem neueren Abkommen zwischen beiden hessischen Linien das Recht der 
Option für das ordentliche peinliche Gericht oder einen außerordentlichen Ge- 
richtshof hatten 69 . In Zivilsachen war natürlich der Rektor Richter, vor dem 
gegen Studenten und andere akademische Bürger geklagt wird ; die Statuten 
bestimmen, daß der bürgerliche Kläger in einer mit seiner Klage zusammen- 
hängenden Gegenklagesache auch vor dem Recht suchen muß 70 . 

Auch in Marburg hatte sich die akademische Behörde gegen Versuche zu 



68 Z. B. 1629: Catal. stud. XV, 6f., 1633: ebd. 44, 1634: ebd. 51. 
«* Oben S. 245. 

65 Stat. Tit. n, § 8; vgl. Catal. stud. XV, 10. 

66 Stat. Tit. 12, § 3. 

67 Catal. stud. XV, 5, 7; Akten UAG, S. VIII, Rangverh.; Univ. an Landgraf 
Georg, 1629 Febr. 12 (Or. Hdschr. 1024a der Univ.-Bibl. Gießen, No. 121). Herkömmlich 
sei die Reihenfolge: Stadtrat — Studiosi — Bürger. Noch hundert Jahre später ereignete 
sich in Gießen ein Vorfall, der die Erinnerung an solche Streitigkeiten wachrief, s. Schä- 
del, Beiträge z. Gesch. d. Gymnasiums, n. Damals gingen sogar die paedagogici vor 
dem Stadtrat (s. ebd., 19). 

68 UAG, a. a. O.; Cgm. 1257, Bl. 351. — 69 Stat. Tit. 12, § 12. 
70 Ebd. § 11. Ein Streitfall Catal. stud. XV, 50. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 253 

wehren, ihre Privilegien einzuschränken. Wieder spielt die Frage, ob ein Fall 
kriminal sei oder nicht, ihre Rolle 71 . 1629 konnte es der Rektor zu keiner 
Paritat mit der ordentlichen Gerichtsbehörde bringen, als es sich um die 
Vernehmung von Zeugen handelte. Denn obgleich er auf Ansuchen seine 
Untergebenen vor Gericht zur Zeugnisablage schickte", konnte er selbst von 
der Kanzlei nicht dasselbe Verfahren erlangen, sondern mußte sich bei einer 
vom akademischen Gericht angestellten Untersuchung mit der kommissa- 
rischen Vernehmung von Bürgern durch den Schultheißen begnügen 78 . In 
späteren Fällen bewilligte dann auch der Rektor nicht mehr, daß seine Unter- 
gebenen außerhalb der Universität verhört wurden 74 . 

Schlimmer als dies wurde es von der Universität angesehen, als bei 
einem Zweikampf mit tödlichem Ausgang 1634 die Kanzlei nicht dulden 
wollte, daß ein Vertreter der Universität der Haussuchung in akademischen 
Häusern beiwohne. Diesmal traten die Professoren, auf die Studenten ge- 
stützt, sehr kriegerisch auf. Der Rektor ließ sich den Regierungsräten gegenüber 
drohend vernehmen : Wenn sie Haussuchung tun wollten, müßten sie schon 
in sehr großer Zahl kommen 75 . Professoren und Studenten verrammelten ihre 
Häuser und setzten sich in Verteidigungszustand. Jetzt gab die Kanzlei klein 
bei und erklärte die Haussuchung für überflüssig. 

Hierher gehört auch ein Vorfall, der sich gegenüber der Marburger Behörde 
(Landkommende) des Deutschen Ritterordens zutrug. Dieses ebenfalls halb 
unabhängige Gemeinwesen besaß ein von Studenten gern besuchtes Wein- 
haus, die „Firmaney". Bei einer Prügelei in dieser Schenke wurden 1634 
einige Studenten von den Ordensbeamten verhaftet und nur unter der Be- 
dingung freigelassen, sich zur Verantwortung wieder zu stellen. Der Rektor 
lud sie vor und bestrafte sie, untersagte ihnen aber bei Strafe der Rele- 
gation, sich dem Orden zu stellen oder ihm nur einen Heller Strafe zu 
zahlen. Es kam nach den üblichen Protestationen und Reprotestationen zu 
einer umständlichen Auseinandersetzung vor einem fürstlichen Kommissar, bei 
der man beiderseits auf die ältesten Privilegien zurückging und die Univer- 
sität mit der Authentica Habita Friedrich Barbarossas 76 gegenüber den natür- 
lich jüngeren Deutschordensprivilegien im Vorteil blieb; schließlich entschied 
der Landgraf im Sinne der Universität 77 . — 

In der Frage der Appellation vom Spruche des Rektors finden wir in 
den Statuten von 1629 veränderte Bestimmungen. Gegen ein Urteil des Rek- 



71 So 1626: Catal. stud. IV, 182 f. — 7 » Catal. stud. XV, 6. 
™ Catal. stud. XV, 7. — 7 * Z. B. Catal. stud. XV, 7. 

75 Catal. stud. XV, 52: „Rector rem indigne ferens ait se tumultum timere, et si 
domini consiliarii in hac sententia persistere velint, tunc magno numero opus esse". Ge- 
rüchtweise verlautete, der Landgraf habe auf erstatteten Bericht erlaubt, wenn periculum 
in mora sei, die Häuser der Akademiker mit bewaffneten Bürgern zu umstellen, aber 
nicht, sie ohne Erlaubnis des Rektors zu betreten (ebd., 53). 

76 Die durch Stat. Tit. 12 § 1 ausdrücklich auf Marburg ausgedehnt war. 

77 Ausführlich berichtet in Catal. stud. XV, 50 f. 



254 Vierter Abschnitt. 

tors geht jetzt die Beschwerde an den gesamten Senat; stellt sich jedoch 
heraus, daß die Appellation leichtsinnig („temerario ausu, ut rectori coete- 
risque professoribus negotium facessat") eingebracht war, so ist der Appellant 
mit einer Geldstrafe zu belegen und abzuweisen. Vom Spruche des Senates 
kann an den Landesherrn Berufung eingelegt werden, in seiner Abwesenheit 
an das Geheime Ratskolleg; sie ist aber jetzt nur noch zulässig, wenn der 
Streitgegenstand einen Wert von mehr als 100 rheinischen Goldgulden hat 78 . 
Hier beginnt sich also eine Behörde zwischen die Universität und den Landes- 
herrn einzuschieben : die alte Landesun mittelbarkeit der Hochschule ist nicht 
rein bewahrt. In der Praxis hat sogar die Marburger Kanzlei im Auftrag 
des Landgrafen als Berufungsinstanz fungiert 79 . — 

Ein Novum ist es wohl auch, daß der Landgraf sich die Wiederaufhe- 
bung von Relegations- und Exklusionserkenntnissen vorbehält; der Senat be- 
darf dazu seiner Zustimmung 60 . — 

Die herkömmliche Befreiung der Universitätsangehörigen von bürger- 
lichen Leistungen persönlicher Art 81 bestand auch in Marburg und war auch, 
trotz fortwährender Anfechtung, auf die auswärtigen Universitätsvögte aus- 
gedehnt 82 . 

Die Tranksteuerfreiheit, mit der man in Gießen so eigentümliche Er- 
fahrungen gemacht hatte, bedurfte für Marburg einer Neuregelung, da Miß- 
brauch auch hier befürchtet wurde* 8 , so gestattete der Landgraf 1627 nur den 
akademischen Lehrern (actu docentes), jährlich ein Fuder Wein und zwei Fuder 
Bier abgabenfrei zu verzapfen 84 . Die Freiheit betraf also die übrigen An- 
gehörigen der Hochschule nicht. Den Professoren schien die Menge des 
zugelassenen Getränkes nicht ausreichend; schon 1629 dachte man daran, 
um Erhöhung der Quantität zu bitten 85 , und 1634 versuchte man vergebens, 
günstigeren Bescheid zu erlangen 86 . 1643 erfolgte eine Neuregelung, aber 
auch hiermit war man nicht zufrieden 87 . Es wurde nämlich den professores 
actu docentes und emeriti und ihren Witwen der Haustrunk steuerfrei gelassen, 
aber das, worauf es ihnen ankam, der Verkauf des unversteuerten Getränkes 
an den Kostgängertischen, wurde verboten. Gegenüber den Vorstellungen 
des Senats, der sich auf das Beispiel anderer Universitäten berief, wo das Ge— 



78 Stat. Tit. 12, § 6, 7. 

79 Regierung zu Marburg an Univ., 1629 Aug. 15, Or. UAG, S. XVI, 22: Buch- 
handel. Vgl. Catal. stud. XV, 9. — *° Stat. Tit. 12, § 8—10. 

61 Ebd. § 13 : „a publicis excubiis et personalibus oneribus". 

62 In diesem Sinne ist die Zugehörigkeit zur Universität den Vögten von Alsfeld, 
Gießen und Grünberg ausdrücklich zugesprochen Stat. Tit. n, § 5. Akten über versuchte 
Besteuerung der Vögte UAG, S. VIII: Befr. v. bürg. Lasten. 

8S Im Memorial Mentzers vom 26. Mai 1625 (StAD, Univ. 7) steht bei dem Punkt 
über die Akzisefreiheit am Rande: „Ist des abusus halben vor bedenklich gehalten 
worden". — 84 Catal. stud. IV, 190. 

w Catal. stud. XV, 5. — *« Catal. stud. XV, 51 f. 

87 Akten UAG, S. VIII, Tranksteuer. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 255 

tränk der Tischburschen frei sei, blieb der Landgraf fest. Nur der Oecono- 
mus academiae wurde im folgenden Jahre in den Kreis der Befreiten auf- 
genommen. 

VI. 

Wie die alte Oießener Universität in engem Verhältnis zu der Persön- 
lichkeit Ludwigs des Getreuen stand, so hat der Marburger Periode 'sein Sohn 
Georg II. in gewissem Sinne sein Gepräge aufgedrückt. Georg, ein lebhafte- 
rer Geist als sein Vater, hatte frühzeitig sich mit Studien beschäftigt, die ihm 
den Beinamen des Gelehrten eintrugen. Er wußte die Aufgabe zu würdigen, 
die ihm durch die Alleinübernahme der alten hessischen Landesuniversität 
zuwuchs. Seine Fürsorge ist denn auch überall zu erkennen. Wie er nach 
der Teilung der Universitätsgüter den Abgang an Einkommen aus Eigenem 
reichlich ersetzte, wie er seiner Hochschule durch die Komitive eine an- 
genehme Überraschung bereiten wollte, haben wir schon gesehen. Seiner Anteil- 
nahme ist ferner die Ausarbeitung des großen Statutenwerkes zu verdanken ; und 
auch sonst zeigen die erhaltenen Teile der Annalen und Akten sein stetes 
Wohlwollen. Als eines seiner höchsten, liebsten und wertesten Kleinodien 
pflegte er die Hochschule zu bezeichnen 88 , die er ja auch in den heftigen 
Verhandlungen mit Kassel erstritten zu haben sich rühmen konnte. Eine 
Stimme aus dem Kreise der Universitätslehrer sagt von ihm : „So wendet der 
gotselige fürst so viel auf die studia, daß nicht zu sagen ; aller professorum 
und anderer feinen leut kinder gibt ihre f. gn. ehrliche stipendia ex camera 
und anderswoher, daß des hern frömmigkeit und liberalität gegen die studia 
nicht genugsam zu rühmen ist" 89 . Wie einst in der Gießener Zeit, so haben 
auch jetzt die Professoren, besonders die Theologen, auf den Landgrafen großen 
Einfluß. Schon 1627 hören wir von einem Theologen: „Es ist uns mehr zu 
thun, daß unser facultas wie bishero ihre authorität bey den printzen, gan- 
tzen hof, der Universität und männiglichen erhalte, welches andere facultäten 
der unseren es nicht gleich thun können" 90 . In späterer Zeit ist es besonders 
Feurborn, dessen Wort beim Landgrafen schwer ins Gewicht fiel. 

Andererseits ist die Selbständigkeit der Universität gegenüber dem 
Landesherrn, die schon in der Gießener Periode im Schwinden begriffen 
war, jetzt noch weiter zurückgegangen. Die Hochschule ist ihm eine ganz 
von ihm abhängige Lehranstalt, die Professoren seine Beamten. In seinem 
Namen werden die Statuten eingeführt und auch später greift er beliebig 
in die Verhältnisse der Hochschule ein. In diesem Zusammenhang ist es 
merkwürdig, daß man der Universität das alte akademische Recht der Selbst- 
gesetzgebung von neuem erteilte. Aber indem die Ausübung dieses Rechtes 



88 An die Univ., 1635 Okt. 29, Or. UAG, S. VI, 7, 1607/40. 
•» Steuber an Dieterich, Cgm. 1259, Bl. 352. 
90 Ders. an dens., Cgm. 1256, Bl. 79. 



256 Vierter Abschnitt. 

von der vorausgehenden Genehmigung und nachträglichen Zustimmung des 
Fürsten abhängig gemacht wurde, hob man es doch tatsächlich auf fl . 

Einen Maßstab für den Einfluß des Landesherrn auf die akademischen 
Angelegenheiten bildet, wie wir in der vorigen Periode sahen, das Verfahren 
bei der Berufung neuer Professoren. Mußten wir es für die Gießener Zeit aus 
den Akten erschließen, so finden wir in den Statuten von 1629 unzweideutige 
Bestimmungen darüber 92 . Wenn eine Professur durch Todesfall oder Entlassung 
frei geworden ist, so hat alsbald die Fakultät, in der die Vakanz eingetreten 
ist, über den Ersatz zu beraten. Die in der Fakultät gemachten Vorschläge 
trägt der Rektor sodann dem gesamten Senate vor, der seinerseits die Sache 
berät. Das Ergebnis wird dem Landgrafen, in seiner Abwesenheit den Ge- 
heimen Räten mitgeteilt; gehen die vota auseinander, so ist über majora und 
minora zu berichten. Dies alles soll innerhalb drei Wochen nach dem Frei- 
werden des Lehrstuhles geschehen. Dem Landgrafen aber steht es völlig frei, 
eine der vorgeschlagenen Personen zu wählen oder auch jemand Anderem 
die Professur zu übertragen oder sie unbesetzt zu lassen. Ebenso steht ihm 
das Recht zu, überzählige Professoren mit den vollen Rechten eines Ordi- 
narius, auch nach Belieben außerordentliche Professoren in einer Fakultät an- 
zustellen. 

Der Landgraf hat bei der Ausübung dieser unumschränkten Rechte 
durchaus nicht immer Rücksicht auf die Qualifikation der zu Berufenden ge- 
nommen, sondern mehrfach waren andere Gründe ausschlaggebend. Zwei 
Beispiele mögen dies zeigen. M. Konrad Matthias, früher Pädagoglehrer, 
war in Not geraten, und der Landgraf versuchte längere Zeit vergebens, ihm 
ein Amt zu verschaffen, wozu er sich geeignet hätte. „Darauf nun", schreibt 
der Fürst 1629 an die Universität 98 , „und weil alle andere mittel zerrunnen, 
seind wir endlich uf die gedankhen bewogen worden, daß wir gemeint seind, 
ihme M. Conrado Mathiae etwa 120f. zu einem jährlichen salario aus dem 
fisco academico zu verordnen und ihm . . . den titul eines extraordinarii pro- 
fessoris critices beyzulegen". Matthias erhielt sich diesem ungewöhnlichen 
Amt und der Universitätskasse noch über siebzehn Jahre; er starb 1647; im 
Jahre 1638 hatte er sich nochmals verheiratet. — Als 1635 der Professor 
ethices Causenius die Universität verließ, wurde von Landgraf Georg an seiner 
Stelle J. S. Blankenheim ernannt, und zwar mit folgender Begründung 9 *: „... 



91 Stat. Tit. 12 § 18: Die Universität erhält die potestas condendorum statutorum: 
„ita tarnen, ut ante omnia nos ea de re certiores reddant, consensum nostrum pc- 
tant et salva nobis maneat absoluta statuendi, mandandi, praescribendi ac ordinandi 
potestas 44 . Für die Rückbildung der potestas cond. stat. auf den Universitäten vgl. Meiners, 
Gesch. der hohen Schulen II (1803), 129— 161. Für obige Bestimmung hat ein Statuten- 
artikel der Universität Rinteln (1621) als Vorlage gedient, aber unser Wortlaut zeigt deut- 
lich eine Verschärfung des fürstlichen Eingriffsrechts. 

9* Stat. Tit. 19. 

•» Or. UAG, S. VI, 7, 1607/40. 

9 * An die Univ. Marburg, 1635 okt - 26 > ° r - a - a - °- 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 257 

haben wir uns gnedig erinnert der getrewen redlichen dienst, welche unserm in 
gott ruhenden . . . vattern . . . wie auch nachfolgends uns selbst der chur- 
und fürstliche Sachsische canzlar zu Maynungen D. Jacob Schröder erwiesen 
und demnach seinen dochtermann D. Joh. Sigfr. Blanckenheim (alß 
welcher ohne das unser landkind ist, uns auch von seiner geschicklichkeit ge- 
rühmet würd) zu solcher professoratstell kommen zu lassen bewilliget" 96 . 

Aber nicht genug damit, daß der Landgraf bei der Besetzung der Pro- 
fessuren völlig freie Hand behielt, auch gegen den Vorschlag der Univer- 
sität zu verfahren : für die Besetzung der wichtigsten Lehrstelle in jeder Fa- 
kultät, der professio primaria, hatte die Universität nach Marburger Her- 
kommen»« nicht einmal ein Vorschlagsrecht; der professor primarius wird 
vom Landesherrn ganz selbständig ernannt, wenn auch in der Praxis ein 
gewisses Anrecht des Altesten und Verdientesten bestanden hat» 7 . 

Auch die Aufsicht über die Tätigkeit der Hochschule ist jetzt viel 
schärfer geworden, obgleich keine Visitationen wie in der Qießener Zeit statt- 
finden. Der Landgraf läßt sich nicht nur vor Beginn jedes Semesters das Vor- 
lesungsverzeichnis zuschicken» 8 , sondern er verlangt auch am Ende jedes Se- 
mesters einen Bericht über die gehaltenen und die versäumten Vorlesungen ; 
die Professoren haben die Aufzeichnung darüber vor Schluß des Halbjahres 
dem Rektor einzuhändigen, der sie dann einsendet»». Und diese Berichte 
werden am Hofe genau geprüft; mitunter rügt der Landgraf das Fehlen des 
Berichtes von einem einzelnen Professor, mehrfach finden wir Mahnungen 
zu größerem Fleiß, Nichtannahme von Entschuldigungen usw. 100 . 

Wie diese Kontrolle des akademischen Fleißes (wenn sie auch unseren 
Begriffen von akademischer Selbständigkeit und Würde wenig entspricht), so 
beweisen auch andere Eingriffe des Landesherrn in die Angelegenheiten der 
Hochschule seine fortdauernde Anteilnahme an ihrem Gedeihen und Blühen. 
Hier ist unter anderem die Verbilligung der Schul- und Lehrbücher durch 
Aufstellung einer festen Taxe zu nennen, da die Universität vorher wegen 
der zu hohen Preise „übel beschreyt" war 101 . Von größerer Bedeutung ist 
die Anregung zu literarischer Produktion, wodurch die Universität nach 
außen glänzen sollte. Freilich blieben die wiederholten Aufforderungen an 
die juristische Fakultät, sie solle eine Sammlung ihrer Rechtsgutachten publi- 
zieren 10 », erfolglos. Und auch die Arbeiten zur hessischen Zeitgeschichte, 

» 6 Man vergleiche dagegen die Bestimmung Philipps d. Großm., wonach von ihm 
empfohlene Professoren, falls es ihnen an Geschicklichkeit fehle, von der Universität 
jederzeit entlassen werden können (Hildebrand, 8 5 f.). — » 6 S. oben S. 106. 

97 Vgl. Catal. stud. IV, 184 f.: Nach Winckelmanns Tode erhält Mentzer die pri- 
maria professio, „quam suo jure meruerat". — » 8 Stat. Tit. 20, § 14. 

»» Ebd. § 15—20. — i°° Akten UAG, S. XIV, 4. 

*•* UAG, S. Cod. Rescr. III, 745—753; XVI, 22: Buchhandel. Vgl. Catal. stud. 
XV, 31 f. 

i°» An Univ. Marburg, 1635 Nov. 5, Or. UAG, S. Cod. Rescr. III, 741; 1641 
Aug. 13, Or. ebd., S. XIV, 4. 

Die Voiveraitlt Gießen von 1607 bis 1907. I. 17 



258 Vierter Abschnitt. 

womit anfangs Professor Bachmann beauftragt werden sollte, und die nachher 
im Auftrag des Landgrafen Professor Schupp tatsachlich übernahm, führten 
zu keinem Ergebnis 103 . Auch der Befehl des Landgrafen, Schulbücher für 
die fürstliche Hofschule auszuarbeiten, mag hier erwähnt sein 104 . 

Als Richter schritt der Landgraf in dieser Periode einmal ein. Der 
Professor der Physik Schragmüller war 1638 in einer Disputation ins theo- 
logische Gebiet geraten und hatte Behauptungen aufgestellt, die die Theo- 
logen zum Widerspruch veranlaßten. Der Landgraf legte die Sache, 
die sich zu einem größeren Streit auszuwachsen drohte, gütlich bei, und 
der Zwist hatte, da Schragmüller im folgenden Jahre seine Entlassung nahm, 
keine dauernden Folgen 106 . 

Meistens jedoch stand der Landesherr mit seinen sämtlichen Professoren 
im besten Einvernehmen. Einige Male gab er seinem Wohlwollen durch Ge- 
schenke Ausdruck sowie durch sonstige Gnaden beweise 106 . Hierher gehört 
es auch, daß er den Nachruhm und das Andenken seiner Professoren durch 
Anlage einer Porträtsammlung zu verewigen bestrebt war. Seit seiner Ver- 
fügung von 1629 ist es fast anderthalb Jahrhunderte Brauch geblieben, daß 
sich jeder Professor von Marburg, seit 1650 von Gießen, malen ließ 107 , und 
die neuerdings wieder aufgefrischte Bildersammlung erhält in der Tat die Er- 
innerung so manches akademischen Lehrers aus alter Zeit bei den nachlebenden 
Geschlechtern lebendig. 

VII. 

Wie sich das Verhältnis der Universität zur Marburger Regierungskanzlei 
gestaltet hat, darüber gestattet uns das fragmentarische Aktenmaterial nicht 
mehr beizubringen, als was bereits oben (S. 253) erwähnt ist. Besonders 
schlecht vertrug sich die Hochschule aber mit der militärischen Besatzung. 
Dem kommandierenden Oberstleutnant v. Bünau schrieb man Konnivenz 
gegen seine Untergebenen bei vorkommenden Reibungen mit den Studenten 
zu 108 . Wie groß das Mißtrauen des Kommandanten gegen die Universitätsan- 
gehörigen war, beweist das Vorkommnis, daß er eines Tages den Professor 
Tileman, als er im Schloß niedergelegte Universitätsvorräte abholen lassen. 

i°3 StAD, Geschichtsschr. 8; Wenck, Hess. Landesgeschichte 1(1785), S. XXXIIlff.; 
Dritter Jahresber. d. Oberhess. Vereins f. Lokalgeschichte (1883), noff. 

104 An Prof. Hanneken, 1641 Jan. 15, Or. UAG, Adm. Stip. Rescr., Bd. VII. 

105 Akten UAG, S. XIII, 2 u. a.; StAD, Kirche 33. Vgl. Heppe, Kirchengesch. 
beider Hessen II, 210, Anm. 4. 

106 Vgl. u. a. Catal. stud. XV, 4, 5 5 f.; ferner die bereits angeführten Zeichen seiner 
Fürsorge beim Jubiläum usw. — Auch die Befreiung der Universität von Botenlohn und 
Kanzleigebühren (1633) ist ein besonderer Vorzug (UAG, S. Cod. Rescr. I, 478, 566, 
vgl. Rechnungsabschied 1632, UAG, Adm.). 

107 Catal. stud. XV, 29 f. Vgl. die kleine Druckschrift „Die Bildnisse in der großen 
Aula der Univ. Gießen". Laut ökonomatrechnung von 1631 (UAG, Adm.) erhielt der 
Maler Joh. Becker zu Gießen für Anfertigung von 23 Professorenbildern je 4 1 /} Rtlr., im 
ganzen 127 fl. 10 alb. — 108 Catal. stud. XV, 60. 




Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 159 



wollte, wegen Verdachts der Verräterei verhaften ließ. Es bedurfte einer Be- 
schwerde beim Landgrafen, um die Freilassung des unschuldig Eingekerker- 
ten zu erwirken 109 . 

Mit der Bürgerschaft scheint sich, von den erwähnten Rangstreitig- 
keiten abgesehen, das akademische Corpus besser vertragen zu haben als in 
Gießen. Marburg beherbergte ja auch schon seit hundert Jahren ein solches 
Gemeinwesen in seinen Mauern, während sich Gießen erst mit den 
oft unruhigen Gästen hatte zusammengewöhnen müssen. Auch waren 
bereits von Landgraf Philipps Zeiten her 110 gewisse Maßregeln in Kraft, 
wodurch Streitigkeiten zwischen Studenten und Bürgern beseitigt oder 
wenigstens vermindert werden sollten. Hierhin gehört neben scharfer Beauf- 
sichtigung der Studenten die Bestimmung, wonach in jedem Jahre der Rektor 
die Stadtbehörden veranlassen soll, den Bürgern einzuschärfen, daß Ursachen 
zum Streit und zur Übervorteilung der Studenten vermieden werden. Dahin 
gehörten ferner die Besetzung der Nachtwache mit verständigen und nüch- 
ternen Leuten, das Verbot von Verlobungen zwischen Bürgertöchtern und 
Studenten ohne Wissen der Eltern des Bräutigams, die Erschwerung des 
Schuldenmachens usw." 1 . 

Während der Kriegsjahre gab mehrfach die Verteilung der Lasten An- 
laß zu Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Hochschule. Die Stadt 
wünschte, daß die Universität ihr einen Teil der Kriegssteuern und der Ein- 
quartierung abnehme, und die Universität, im Gefühl ihrer privilegierten 
Stellung, verhielt sich meistens ablehnend, wenn nicht unmittelbarer Zwang 
drohte. Auch dann aber waren docentes und discentes noch befreit, während 
die Beisassen Einquartierung nehmen mußten ; erst gegen Ende des Krieges 
wurden auch die Professoren mitherangezogen' te . In vielen Fällen aber (so 
schon 1636) hat die Stadt dadurch mehr Schonung von seilen fremder Kriegs- 
heere erfahren, weil man sich scheute, den Sitz einer Universität zu schä- 
digen. Ja, bei großer Gefahr kam es vor, daß die Stadt sich an die Universität 
wandte, um durch ihre Fürbitte bei dem feindlichen General Erleichterung 
der Brandschatzung zu erhalten 11 '. So war der Universität Gelegenheit ge- 
boten, der Stadt, die sie beherbergte, in der Not ihrerseits Hülfe zu gewähren. 

VIII. 
Obgleich die Bedeutung des Rektorenamtes gegen früher eher zu- 
rückgegangen, als gewachsen ist, ist der Rektor doch darauf bedacht, seiner 
Würde im Kreise seines Gemeinwesens und darüber hinaus nichts zu ver- 



iw Catal. stud. XV, 6of. 

110 Von 1560, vgl. meine Mitteilungen in der Festschrift „Philipp der Gruflniüiige" 
(herausg. v. Hist. Verein f. d. Großh. Hessen 1904), 3461 

1» Stat. Tit. 14, § 231t. 

ns Akten IMG, S. XXI, 2 usw., auch S. 1, 2. 

111 Akten StAD, Marb. Succ. 76. 





i6o Vierter Abschnitt. 

geben : im Corpus academicum fühlt er sich als Vertreter des Landesherrn u *. 
Um dem Amte Pomp und Ansehen zu verleihen, wird in den Statuten an- 
geordnet, daß der Rektor niemals nachlässig in der Kleidung erscheine, sich 
selten der Öffentlichkeit zeige, dann aber entsprechend auftrete und stets 
von Pedellen — man denkt unwillkürlich an Liktoren — gefolgt sei 115 . Auch 
in Marburg wechselte das Rektorat jährlich, am 1. Januar; bei der Wahl 
entschied — bei mündlicher oder schriftlicher Abstimmung — die Majorität. 
Der Rektor wurde abwechselnd allen vier Fakultäten entnommen, aber auch 
innerhalb der Fakultäten sehen wir jetzt einen Turnus: kein taugliches Fa- 
kultätsmitglied darf bei der Wahl übergangen werden. Hiermit ist die Wahl 
eigentlich nur eine Fiktion : nicht der Tauglichste, sondern unter den Taug- 
lichen derjenige, den die Reihe traf, wurde Rektor. Als nicht wählbar aber galt 
ein unter 25 Jahre alter oder noch nicht drei Jahre im Amte befindlicher Or- 
dinarius 116 . 

Auch in dieser Periode haben fürstliche Personen einigemal das Rektorat 
bekleidet, nämlich in den Jahren 1626, 1628, 1643—1645; auch jetzt dienen sie 
nur zur Erhöhung des Ansehens der Hochschule, ohne auf sie Einfluß zu 
üben 117 . Und es ist ein neues Anzeichen der Inhaltslosigkeit der fürstlichen 



114 Univ. an Landgraf Georg, 1629 Febr. 26 (UAG, S. VIII, Rangverh.), behauptet, 
daß der Rektor „in solchem seinem officio e. f. g. repräsentiren thuet". 

115 Stat. Tit. 14, § 2, wobei kursächsiche Universitätssatzungen und solche von Pa- 
dua als Vorlage gedient haben. Vgl. auch Tholuck I, 16. 

116 Stat. Tit. 13, § 4 ff. Letztere Bestimmung gilt noch heute in Gießen: Satzungen 
d. Univ. Gießen (1904), S. 4. 1639 wurde die medizinische Fakultäfbei der Wahl übergangen, 
weil kein rektoratsfähiger Mediziner vorhanden war: Braun war im Ruhestand (und ein 
Calvinist), Horst und Tileman noch nicht drei Jahre im Dienst, ersterer auch noch nicht 
25 Jahre alt. 1645 wurde die Reihe so genau eingehalten, daß Walther gegen fürst- 
lichen Wunsch Prorektor wurde (Univ. an Landgraf Georg, 1644 Dez. 31, Kzt. UAG, 
S. III, 2). — Der Begriff idoneus wird übrigens durch folgende Forderungen noch weiter 
bestimmt: er soll sein „vir bonus, prudens, pietatis amans, concordiae Studiosus, vitae 
morumque honestate commendatus, legitimis progenitus nuptiis, non minor 25 annis". 

117 Stat. Tit. 13, § 3; hier natürlich keine Altersgrenze. Die feierliche Übernahme 
des Rektorats durch Landgraf Georgs Sohn Heinrich 1626 ist beschrieben im Anzeiger 
für Kunde der deutschen Vorzeit, N. F. XXI (1874), 363 ff. Die Rektoratsreihe unseres 
Abschnitts ist folgende: 

1625: Balth. Mentzer, Th. 1635: Jak. Müller, M. 

1626: Heinrich Landgraf zu Hessen, Pro- 1636: Kasp. Ebel, Ph. 

rektor: Joh. Breidenbach, J. 1637: Meno Hanneken, Th. 

1627: Jak. Müller, M. 1638: Joh. Kornmann, J. 

1628: Friedrich Landgraf zu Hessen, Pro- 1639: Joh. Konr. Schragmüller, Ph. 

rektor: Joh. H. Tonsor, Ph. 1640: Joh. H. Tonsor, Th. 

1629: Just Feurborn, Th. 1641 : Joh. Breidenbach, J. 

1630: Ant. Nesenus, J. 1642: Joh. Dan. Horst, M. 

1631: Joh. Kempf, M. 1643: Ludwig Landgraf zu Hessen, Pro- 

1632: Theod. Höpingk, Ph. rektor: Joh. Balth. Schupp, Ph. 

1633: Joh. Steuber, Th. 1644: Georg d. J. Landgraf zu Hessen, Pro- 

1634: Just Sinold gnt. Schütz, J. rektor: Just Feurborn, Th. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstadter Linie. 261 

Rektorate, wenn 1644 zum erstenmal — wie in der späteren Gießener Zeit öfter 
— der fürstliche Rektor, Landgraf Oeorg der Jüngere, Sohn des regierenden 
Herrn, nicht einmal zur Zeit der Rektoratsübertragung in der Universitäts- 
stadt weilte 118 . 

Die feierliche Proklamation des neuen Rektors, die Überreichung der 
Insignien seiner Würde, die Ansprache an die Studenten und das Amtsgelöb- 
nis des Rektors fanden im Juristenkolleg, dem alten Dominikanerkloster an 
der Lahn, statt. Den Schluß der Feier bildete ein Festgottesdienst in der 
Pfarrkirche, bei dem der Geistliche ausdrücklich des neuen Rektors Erwäh- 
nung tun und für dessen glückliche Amtsführung beten mußte; dann be- 
gleiteten die Professoren ihr neues Oberhaupt nach Hause 119 . 

Die Pflichten und die Tätigkeit des Rektors 120 sind die bereits aus Gießen 
bekannten. Zu seiner Aufgabe gehört es aber auch, für die Kenntnis der aka- 
demischen Gesetze zu sorgen. Dies geschah einerseits durch Disziplinar- 
edikte, die auch ohne besonderen Anlaß namentlich vor den großen Festen 
und vor den Ferien erlassen werden sollten. Andrerseits aber waren be- 
stimmte Tage zur Verlesung gewisser Abschnitte festgelegt. In erster Linie 
ist hier der 1. Juli zu nennen, an dem in allgemeiner festlicher Versammlung 
aller Universitätsangehörigen die Disziplinargesetze für die Studenten verlesen 
wurden. Vor der Rektorwahl am 1. Januar und an anderen Terminen wurden 
die übrigen Statutenabschnitte jährlich einmal denen vorgelesen, für die sie 
bestimmt waren. Außer der Lectio oder Publicatio legum wurde in den ersten 
Julitagen auch das Stiftungsfest der Universität gefeiert 121 , dessen Glanzpunkt 
das Prandium rectorale bildete 122 . 

Aus den Anordnungen über die Geschäftsführung des Rektors ist nur 
noch zu erwähnen, daß er Geschäfte, deren Beendigung er innerhalb seines 
Rektorjahres nicht versprechen konnte, nicht in Angriff nehmen, sondern un- 
angeschnitten seinem Nachfolger übergeben sollte; was jedoch einmal ange- 
fangen war, mußte noch im alten Amtsjahr erledigt werden. 



1645: Ernst August Herzog zu Braun- 1647: Kasp. Ebel, Ph. 

schweig, Prorektor: Joh. Walther, J. 1648: Joh. H. Tonsor, Th. 
1646: Joh. Tileman, M. 1649: Joh. Kornmann, J. 

118 Sein Vater dispensierte ihn vom persönlichen Erscheinen wegen der Kriegs- 
läufte (An die Univ., 1643 Dez. 18, Abschr. UAG, S. XVII, Rektorwahlen). Im Laufe des 
Jahres fand sich der Prinz jedoch ein. 

«• Stat. Tit. 13, § 10—12. 

120 Stat. Tit. 14. Als Beispiel für die Fremdartigkeit mancher vom Rektor erledig- 
ten Geschäfte sei erwähnt: 1633 Bestrafung von Bauern wegen Holzfrevel in einem 
Universitätswald bei Caldera (Catal. stud. XV, 40). 

1« Stat. Tit. 21, § 6. 

122 Nach den Rechnungen leistete die Universitätskasse hierzu 12 fl. Zuschuß, zeit- 
weise auch ein Ohm Wein (vgl. auch Vietor an Landgraf Georg, 1632 Juni, UAG, Adm. 
Rechn.-Abschl.). Über die Gesichtspunkte, nach denen man bei den Einladungen verfuhr, 
vgl. Catal. stud. XV, 8. 



262 Vierter Abschnitt. 

Auch in dieser Zeit wurde das Rektorat mehr als eine Last als eine Lust 
empfunden 12 », obgleich seit 1629 eine Funktionszulage von 50 Kammergulden 
gezahlt wurde" 4 . 

Unklar ist in den Statuten die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen 
den Behörden : Rektor, engerer Rat, gesamter Senat. Es lag in der Hand 
des Rektors, ob er eine Sache für wichtig genug ansehen wollte, um sie dem 
engeren Rat vorzutragen. In Fällen, wo es sich um Rechte und Bestand der 
Universität handelte, mußte der gesamte Senat gefragt werden 11 *. Hier sollten 
auch die einlaufenden Schreiben vorgelegt werden. Abzusendende Schreiben 
mußten die Unterschriften des engeren Senates (Rates) tragen; er besteht 
in unserer Zeit aus dem Rektor, dem Kanzler, den Dekanen und — neu gegen- 
über Gießen — dem Syndikus. 

Monatlich soll eine Sitzung des Gesamtsenates stattfinden. Unter den 
Bestimmungen über den Senat 1 *«, die im wesentlichen Gießener Züge auf- 
weisen, ist bemerkenswert, daß als Strafe für unentschuldigtes Ausbleiben 
und ungehöriges Benehmen in Senatssitzungen der Ausschluß aus dem Senat 
mit fürstlicher Genehmigung verhängt werden kann, den nur der Landgraf 
selbst aufzuheben berechtigt ist. Hier wie sonst können wir aus der Tat- 
sache, daß solche Festsetzungen getroffen wurden, den Schluß ziehen, daß 
die Professoren selbst Anlaß dazu gegeben haben müssen. 

Zum Schluß sei erwähnt, daß gegen Angriffe und Beleidigungen, die 
einem Gliede der Universität in seinem Amte oder wegen seines Amtes zu- 
gefügt werden, die ganze Universität einzutreten und nötigenfalls die Hilfe 
des Fürsten anzurufen hat 1 * 7 . 

IX. 

Was die Dekane der vier Fakultäten betrifft 118 , so ist den für Gießen 
gemachten Bemerkungen nichts hinzuzufügen, als daß ihre Wahl ähnlich der 
des Rektors jetzt auch an eine Reihenfolge gebunden ist, wobei neu in die 
Fakultät aufgenommene Professoren beim erstenmal übergangen werden; 
doch scheint die Reihenfolge nicht immer innegehalten worden zu sein 1 *. 

Das Recht des Kanzlers (vicecancellarius oder procancellarius ge- 



12s Vgl. Höpingks Stoßseufzer im Catal. stud. XV, 28, wo er sagt : „Nemo hactenus 
sanae mentis hominum eum, qui rectoris muneri praeest, rem magis gloriosum quam labo- 
riosum tractare existimavit" usw. 

w* Erlaß vom 26. Febr. 1629, Or. UAG, S. Cod. Rescr. I, 626. 

"» Sat. Tit. 14, § 36, vgl. 15, § 4. 

126 Stat. Tit. 15. Mentzer hatte auch regelmäßige monatliche Sitzungen des 
engeren Senates gewünscht (De constituenda ulterius academia, StAD, Univ. 7). 

»" Stat. Tit. 15, § 23, 24. 

128 Vgl. Stat. Tit. 16. 

189 Folgende Dekanatsreihen haben wir von 1628 — 1636 nach dem Catal. stud. und 
nach sonstigen Angaben gefunden: 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 263 



nannt), die facultas promovendi zu erteilen, erscheint in der Marburger Zeit 
in erweiterter Form: Er entscheidet über die Würdigkeit der Kandidaten, 
und ihm steht es zu, sie zur disputatio pro gradu zuzulassen oder sie zurück- 
zuweisen 1 » . Im übrigen sind die Pflichten und Rechte die gleichen wie in 
Gießen, nur daß ihm — im Zusammenhang mit der Oberaufsicht über das 
ganze Upiversitätswesen — auf Antrag des Senats die Möglichkeit gegeben 
ist, sogar seinen Vorgesetzten, den Rektor, an seine Pflichten zu mahnen 131 . 
Im übrigen berührt sich auch hier seine Kompetenz eng mit der des Syndi- 
kus 181 . Letzterer scheint mehr die alltägliche Arbeit in der Universitätskanz- 
lei, dem Archiv und der Güterverwaltung getan zu haben, während der Kanz- 
ler ihn beaufsichtigte und bei wichtigen Dingen selbst eingriff. Beide haben 
Sitz im engeren Senat. 

Die dem Kanzleramte zukommende höhere Bedeutung wird auch da- 
durch hervorgehoben, daß bei einer Vakanz dieses Amtes der Universität kein 
Vorschlagsrecht zusteht, vielmehr der Landgraf für die Besetzung völlig freie 
Hand behält 188 . 

Zum Rektor sollte der Kanzler nicht gewählt werden, damit er „dem 
corpori academico desto besser prospiciren möchte" ; wie berichtet wird, war 
diese allgemeine Bestimmung auf Betreiben Mentzers erlassen worden, der 
den ihm mißliebigen Hunnius nicht zum Rektor erwählt haben wollte 134 . 







Theol. : 






1628: Steuber 


1631: 


Steuber 


1634: 


Steuber 


1629: Steuber 


1632: 


• 


1635: 


Hanneken 


1630: Feurborn 


1633: 


Hanneken 
Jur.: 


1636: 


Feurborn 


1628: Hunnius 


1631: 


Sinold gnt. Schütz 


1634: 


Nesenus 


1629: Nesenus 


1632: 


Nesenus 


»635: 


Breidenbach 


1630: Breidenbach 


1633: 


Breidenbach 
Med.: 


1636: 


Sinold gnt. Scliü 


1628: Müller 


1631: 


Braun 


1634: 


Müller 


1629: Kempf 


1632: 


? 


1635: 


Braun 


1630: Müller 


1633: 


Müller 


1636: 


Müller 


• 




Phil. : 






1628: Kornmann 


1631 : 


Bachmann 


1634: 


Ebel 


1629: Tonsor 


1632: 


? 


1635: 


Vietor 


1630: Vietor 


1633: 


Höpingk 


1636: 


Bachmann. 



iso Stat. Tit. 16, § 10, 11. 

"i Ebd. § 2. 

is* Stat. Tit. 16 u. 18. Vgl. Vultejus an Feurborn, 1629 Febr. 11 (Or. UAG, S. 
III, 3): Sein Vorgänger Lersner habe sich allerdings die Abfassung von Schreiben ent- 
ziehen lassen und „sein officium ad promotiones restringiren" wollen. 

«3 Stat. Tit. 16, § 12. 

13* Steuber an Dieterich, wohl Jan. 1626 (Cgm. 1259, Bl. 351): „Ante electionem rec- 



264 Vierter Abschnitt. 

Das Kanzleramt hatte zu Beginn der Marburger Zeit Vultejus in Händen, 
ihm wurde nach der Restauration der Hochschule Hunnius beigegeben, wäh- 
rend man dem alten Gelehrten den Titel beließ. Nach dem Ausscheiden des 
Hunnius erhielt (1630) Nesenus dieses Amt, der es zehn Jahre innehatte. 
Später war Sinold, genannt Schütz, Kanzler und blieb es auch beim Obergang 
nach Gießen. Das Syndikat hatte der Professor der Rhetorik Körnmann, und er 
scheint es auch nach seinem Übertritt in die juristische Fakultät (1631) bei- 
behalten zu haben; 1640 wurde Tülsner, 1642 Le Bleu Syndikus. 

X. 

Die Zahl der ordentlichen Professoren in den einzelnen Fakultäten ist 
gegen Gießen zum Teil etwas erhöht. Theologie ist wie dort durch vier, 
Medizin durch drei Professoren vertreten. Die zunehmende Schätzung der 
Rechtsgelehrsamkeit aber spricht sich in der Vermehrung der juristischen Or- 
dinarien auf fünf aus, und die philosophische Fakultät weist jetzt zehn Lehr- 
stühle auf, von denen jedoch den für hebräische Sprache dauernd ein Theo- 
logieprofessor im Nebenamt versah. Die Vermehrung ist hervorgerufen durch 
Hinzufügen der in den Gießener Statuten fehlenden Professur der Poesis 
und durch Einreihung des Professor linguarum exoticarum unter die ordent- 
lichen Professoren. Von den philosophischen Lehrämtern waren in der Mar- 
burger Zeit Rhetorik und Geschichte, wie in der Gießener Geschichte und 
Poesis stets durch Personalunion verbunden. 

Von diesen Kombinationen abgesehen, war die statutengemäße volle Be- 
setzung aller Lehrstühle meist vorhanden. Erst als gegen Ende der Periode 
die Einnahmequellen der Hochschule völlig versiegten und die Lehrtätigkeit 
auch noch durch die feindliche Okkupation lahmgelegt wurde, verminderte 
sich die Zahl der Professoren stark, und mehrere Lehrämter mußten von einer 
Person versehen werden. Auch 1627 — 1632 fehlte an der vollen Zahl ein 
Professor der Theologie. Dagegen besteht in der Juristenfakultät etwa in 
der gleichen Zeit ein scheinbarer Überfluß an Professoren, da sechs Ordi- 
narii vorhanden sind; dies erklärt sich daraus, daß Vultejus und Göddäus, 
ihres Alters wegen vom Dienst entbunden, doch noch in der Reihe der Pro- 
fessoren aufgeführt werden. Dafür fehlt nach ihrem Tode eine Zeit lang der 
fünfte Jurist. Das letzte Jahrzehnt der Marburger Periode besaß auch keinen 
dritten Mediziner. 

Auch jetzt herrschte innerhalb der Fakultäten die Rangordnung nach dem 
Dienstalter, nur der Primarius brauchte gemäß dem fürstlichen Ernennungs- 
recht (s. o.) nicht immer der älteste zu sein. 

Die Berufung neuer Professoren 135 geschah von seiten des Landgrafen 

toris ward principis rescriptum abgelesen, daß vicecantzlar nicht solt rector werden, sonst 
wer Hunnius worden; und solches durch promotion D. Mentzeri, der Hunnio nicht gutt; 
damit er nuhre kein contradicent hatte, sondern reipsa rector bliebe, hat er solch fund er- 
funden: damit der vicecantzlar dem corpori academico desto besser prospiciren möchte". 
135 .Nach dem Herkommen sollte nur ein Graduierter eine Professur erhalten; fehlte 




Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmsiädter Li 

oder in seinem Auftrage durch den Senat. In der Verpflichtung ist eine tief- 
gehende Neuerung zu bemerken durch die Einführung des Religions- 
reverses 136 , eines schriftlichen Bekenntnisses, das jeder neu Eintretende ab- 
geben mußte. Er erklärte darin mit Anrufung der hl. Dreifaltigkeit, bei Ver- 
lust seiner Seelen Seligkeit, an eines geschworenen leiblichen Eides Statt, 
daß er die ungeä'nderte Augsburger Konfession, ihre Apologie, die Witten- 
berger Konkordie, die Schmalkaldischen Artikel und Luthers Katechismus, 
«■eiche Symbole nach der hessischen Kirchenagende bis 1604 in Oberhessen 
gültig gewesen seien, in Gottes Wort gegründet erachte und dabei verbleiben 
wolle ; sollte er anderer Meinung werden, so ist er zur Selbstanzeige verpflichtet, 
ebenso auch zur Anzeige von Kollegen, Kirchen- und Schuldienern, bei denen 
er Abfall von den genannten Symbolen bemerkt. Hat der Neuberufene dieses 
Versprechen unterschrieben und besiegelt, so hat er noch den Huldigungs- 
und Diensteid zu leisten, worin einerseits dem Landesherrn und seinen Erben 
Treue gelobt, andererseits eifrige Versehung des Amtes nach den Ordnungen 
der Hochschule, sowie Beförderung der lutherischen Religion — neben den 
altchristlichen Symbolen sind hier die im Religionsrevers genannten nochmals 
erwähnt — verspricht. Endlich wird ihm das Statutenbuch zur Unterschrift 
vorgelegt. 

Zu dieser Art der Verpflichtung bedarf es noch einiger Bemerkungen. 
Oleich nach der Übernahme der Hochschule durch die Darmstädter Linie war 
über die Festlegung der für die Hochschule und ihre Lehre verpflichtenden 
symbolischen Schriften verhandelt worden. Unter anderm war von einer 
Seite die Aufnahme des Konkordienbuches angeregt worden. Mentzer, um 
seine Meinung befragt, äußerte sich folgendermaßen 13 ': „Die lehr muß rein 
und gesundt sein und in den kirchen des ganzen vatterlands und der aca- 
demien durchaus gleichförmigk, nach der heiligen göttlichen schlifft und denen 
öffentlich angenommenen confessionibus. Darbey zu bedenken, ob über con- 
cordiae auch als über symbolicus anzunemen, darnieder die Cassellani jeder- 
zeit heftig gewesen. Ich achte einfältig, man solle hiermit nicht allzusehr 
eilen, sondern lasse es in denen alten terminis, wie vor 20 jähren, beruhen und 
erwarte gar guter gelegenheit, hierin etwas vorzunehmen. Sonst ist kein 
zweifei, es würde Sachsen und anderen mehr Wohlgefallen, da man sich öffent- 
lich zum libro concordiae bekennen würde. Darbey dan das juramentum pro- 
fessorium zu betrachten und dahin zu richten, daß eben dieselbige religion, 

der Grad, so hatte der zu Berufende ihn sofort zu erwerben. So erschien Eb. Bahring 
aus Braunschweig ohne Magisterium „dem allgemeinen geprauch nach zuer profession in 
fac. phil. nicht qualificirt - ' (Univ. an Landgraf Georg, 1635 Okt., Kzt. UAG, Fac. Phil., 
Proraot.). 

im Der Wortlaut des Reverses ist gedruckt in ]. H. C. Scheibler, Gesch. und Ge- 
schlechtsregister der Farn. Scheibler (1895), 39; der ähnliche Revers für die Pfarrer in 
Oberhessen bei Heppe, Confessionelle Entwicklung der hess. Kirche (1853), 54. So- 
wohl der Revers als die Eidforme! sind in die Statuten {Tit. 19) eingerückt. 

13 ' An Landgraf Ludwig, 1624 Sept. 28 (StAD, Univ. 7). 





266 Vierter Abschnitt. 

darauf die prediger angenommen, und wie sie im ganzen lande getrieben 
wirdt, auch dem juramento einverleibt und darinn expresse der Calvinismus 
und alle Weigelianische schwermerey verworfen werde". 

In der Tat wurde der Gedanke, das Konkordienbuch zur offiziellen Be- 
kenntnisschrift in Hessen zu erklären, nicht nur für die Universität, sondern 
auch für die Landgeistlichkeit fallen gelassen 18 «. Warum nun aber die um- 
ständliche Form des Reverses? In Gießen hatte man durch Aufnahme der Re- 
ligionspflicht in den Diensteid dasselbe erreicht 1 »». Nun, der Marburger 
herkömmliche Diensteid enthielt nichts davon; an ihm aber wollte Landgraf 
Ludwig, solange das Eigentumsrecht an der Hochschule noch streitig war, 
nicht rütteln ; er fürchtete, man könne ihm sonst einseitige Abänderung der 
Universitätsverfassung vorwerfen. Daher verfiel er auf den Gedanken des 
Reverses 140 . Auch die Form dieses Reverses hat ihre Geschichte. Der erste 
Entwurf dafür enthielt nämlich nur die Invariata und die Apologie als Sym- 
bole. Erst auf Mentzers Einwand, daß man hierdurch nicht geschützt sei, 
da auch die Calvinisten die Augsburger Konfession (allerdings nicht die In- 
variata) für sich in Anspruch nähmen, wurden noch die Schmalkaldischen 
Artikel, Luthers Katechismus und der Hinweis auf die hessische Kirchen- 
agende zugefügt 141 . 

Später, als man des Alleinbesitzes der Hochschule ganz sicher war, 
tauchte dann auch im Professoreneid die Religionsverpflichtung auf, aber der 
Religionsrevers wurde dennoch nicht abgeschafft ; er bestand später in Gießen 
weiter, und erst die Aufklärungszeit sah seine Beseitigung. Selbst die Finanz- 
beamten der Universität waren durch den Revers gebunden 14 *. 



138 Vgl. die von Diehl, Deutsche Zeitschr. für Kirchenrecht, 3. Folge X (1901), 
S. 21 2 ff., gegebenen Auszüge aus einem Briefwechsel zwischen Landgraf Georg und seinein 
Oheim Philipp von Butzbach. Letzterer verpflichtete in seinem kleinen Gebiete die Geist- 
lichen auch auf die Konkordienformel, vgl. Walther, AfhG XI, 350. 

*»• S. oben S. 126. 

140 Memorial für die nach Gießen und Marburg gesandten Räte Faber und List, 
1625 Mai 14 (Or. StAD, Univ. 7): „D. Winckelmann anzudeuten, weil landgraf Ludwig des 
eitern testament uns so trewlich erinnere, keinen kirchen- und schueldiener aufzunehmen, 
der nicht unserer religion beypflichte, und aber in dem juramento professorum (in 
welchem wir ungern gar zu viel endern wolten) der religion in nichts gedacht werde, 
das wir endschlossen, uns künftig von einem yeden, der in hohe oder andere schueldienst 
von uns aufgenommen würd, einen sonderbaren revers vorhien aushendigen zu lassen 4 '. 

— Der Revers der Universitätsangehörigen, der bereits im Mai 1625 von ihnen ausgestellt 
wurde, ist demnach älter als der von Diehl a. a. O. S. 21 5 f. nachgewiesene „gewöhnliche" 
Revers für die Obergrafschaft, der erst am 31. Okt. 1625 eingeführt wurde; er war die 
Vorlage für letzteren. 

141 Protokoll v. 19. Mai, Bericht der Gesandten v. 23. Mai (StAD, Univ. 7). Die Ein- 
fügung erfolgte bei einem Teil der bereits fertig geschriebenen Reverse am Rande (25. u. 
26. Mai sind die ersten ausgestellt), bei einem (Marcel Olive) wurde sie sogar vergessen. 

— Durch wen übrigens die concordia Wittenb. von 1536 in den Revers gekommen ist, 
sehe ich nicht. 

142 Akten betr. Verpflichtung des Vize-Ökonomen Khun 1626 (a. a. O.). Landgraf 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linii 

Nach der Aufnahme hatte der neuberufene Professor eine feierliche An- 
trittsrede und eine Disputatio pro loco 1 " zu halten; dann konnte er die 
ordentliche Lehrtätigkeit beginnen. 

Die Gehaltsverhältnisse lagen in Marburg ähnlich wie in Gießen'"; hier 
wie dort bezog man Geld und Naturalien. Die Klagen über die Münzver- 
wirrung dauern freilich an 1 **, und frühzeitig beginnen die Unregelmäßig- 
keiten im Einlaufen der Gefälle, Verzögerung und Kürzung der Besoldungen'**. 
Eine Anzahl Dienstwohnungen stand in Marburg in den alten Klosterge- 
bäuden zur Verfügung, die an Professoren vergeben wurden. Eine ständige 
Dienstwohnung hatte zum Beispiel der Stipendiatenephorus'»'. 

Neben dem Gehalt gingen wie in Gießen die sonstigen Einkünfte der 
Professoren her, in erster Linie aus den mehr und mehr gesuchten Privat- 
kollegien, dann aus Disputationen, Promotionen, theologischen, juristischen, 
medizinischen Gutachten. Das Tischburschen wesen fand in der Marburger 
Zeit wohl besondere Förderung durch das Statut, wonach es den Professoren 
erlaubt war, aus den Naturalvorräten der Hochschulverwaltung ihren Bedarf 
billiger zu decken, als es der Marktpreis der Waren mit sich brachte 1 " 
die Professoren stark auf die Einnahmen von seilen der Tischburschen an- 
gewiesen waren, so waren sie geneigt, deren Fehler und Vergehen milde zu 
beurteilen. Daher bestimmen die Statuten, daß bei Verhandlungen über 
Disziplinarfälle von Studenten deren Tischwirte ebensowenig an der betreffen- 
den Senatssitzung teilnehmen dürfen, als wenn es sich um nahe Verwandte 
handelt U9 . 

In den Haushalt eines Professors gewährt ein Brief Steubers von 1637 
Einblick; es heißt da: „Ich habe mit einem knecht, 2 mägden, praeeeptore, 
weiber und kinder alle mahlzeit 14 zu speisen und gebe noch vor die thür 
den andern tag allen armen menschen, worauf mir ohne dz viel gehet" 1 ™. 

Die Fehler der Professoren waren die auch schon in Gießen bemerkten : 
Unverträglichkeit und Unfleiß. Von dem Gegensatz zwischen Winckelmann 




Ludwig schrieb an Prorektor Breidenbach : „Würde er (Khun) dan zum i 

sich nicht verstehen, solchen falls ist alle fernere handlutig mit ihm einzustellen". 

lts Stat. Tit. 20, § i : „. . . pro loco publice disputabit vel in disputatione praesidebit". 

im Nur Feurborn klagte, er habe in Gießen weniger Mühe und mehr Einkommen 
gehabt (1626 Mai 27, a- a. O.)- 

•** 1632 wird eine Kommission zur Regelung der Währungsfrage bei der Gehalts- 
zahlung eingesetzt. UAG, S. Cod. Rescr. I, 53. 

*** Bereits t632 klagt Vietor, er habe seit i l /j Jahren kein Gehalt bekommen (An 
LandgTaf Georg, UAG, Adm. Rechn.-Abschl.). 1633 konnte Hanneken nur kümmerlieh 
leben, vgl. Tholuck 1, 62. 

'*' Vgl. Steuber an Dieterich, 1625 Aug. 8, Cgm. 1259, Bl. 309. 

1,8 Stat. Tit. g?, § 44. Die Bestimmung wurde auch mißbraucht, vgl. fürstl. Er- 
klärung v, 1633 Mai 22 (Or. UAG, Adm. -Rechn.-Abschl.). 

"» Stat. Tit. 15, § ig. Auch das Pennalkartell hielt eine solche Bestimmung für 
nötig: Sociarum academ. leges de Pennalismo (1639), 9, 

1 4 * Cgm. 1259, Bl 361. 



268 Vierter Abschnitt. 

und Mentzer, der ja gleich nach der Obersiedlung nach Marburg wieder her- 
vorgetreten war, ist schon die Rede gewesen, ebenso von der Feindseligkeit, 
der Mentzer infolge seiner überragenden Persönlichkeit und Stellung ausge- 
setzt war. Auch nach dem Tode des alten Theologen scheint es an Gegen- 
sätzen im Senate nicht gefehlt zu haben 161 . — Mahnungen zu größerem Fleiß 
erschienen oft nötig, zumal Neigung bestand, die öffentlichen Vorlesungen zu- 
gunsten der einträglichen privaten Kollegien und der Ausarbeitung von Out- 
achten zu vernachlässigen 152 . Leute, die sich, wie der alte Mentzer, krank im 
Tragstuhl zu den Vorlesungen bringen ließen 163 , sind nicht nur in Marburg 
selten gewesen. 

Eine Neuregelung erfuhr durch die Statuten das Verhältnis der Pro- 
fessoren im Ruhestand und die Versorgung der Hinterbliebenen verstorbener 
Professoren. 

Gefährlich erkrankte oder durch das Alter geschwächte Professoren er- 
halten „pro ratione personae" entweder ihre volle Besoldung weiter oder 
doch ein bestimmtes Ruhegehalt 164 . Stirbt ein Professor, so erhalten Wit- 
wen und Waisen nicht wie bisher ein Vierteljahr, sondern ein Halbjahr das Ge- 
halt weitergezahlt, außerdem, solange sich die Witwe nicht wieder verheiratet 
jährlich die Hälfte der von ihrem Manne bezogenen Fruchtbesoldung 166 . Die 
ganze Universität hat die Pflicht, sich der verwaisten Familie anzunehmen 
und für das Fortkommen der Kinder Sorge zu tragen ; der Senat ernennt oder 
bestätigt die Vormünder 166 . 

Wenden wir uns nun den außerhalb des Senates stehenden akademischen 
Lehrern zu. Als außerordentliche Professoren finden wir hauptsäch- 
lich solche bestellt, die als Vertreter für alte, nicht mehr leistungsfähige Ordi- 
narii eintreten mußten 157 . Von dem außerordentlichen Professor der Kritik 
Matthias ist dies nicht zu sagen; bei ihm war die Professur selbst Altersver- 
sorgung 168 . 

161 Z. B. bei der Frage des Ersatzes für Goclenius 1628, wo eine kleine Partei 
gegen die Majorität die Anstellung Grebers betrieb, vgl. Hülsemann in Wittenberg an Höpfner 
in Leipzig, 1628 Sept. 29 (Or. Hdschr. 122 d. Univ.-Bibl. Gießen). Landgraf Georg ge- 
nehmigte die Verwendung Grebers nicht, und so wurde Ebel berufen. Catal. stud. IV, 
202. — Ob der Rektor, wie in den Statuten (Tit. 15, § 16, 17) vorgesehen, vorkommen- 
den Falles wirklich Versöhnungsversuche angestellt hat, darüber fehlen Nachweise. 

16 * Vgl. bes. Landgraf Georg an Univ. Marburg, 1635 Febr. 18, Or. UAG, S. XIV, 4. 

163 M. schreibt wenige Monate vor seinem Tode an Gerhard: „Ego vitam ago 
sedentariam nee progredi ullo modo possum. Sella autem portor ad lectiones, quas 
non negligo nisi rarissime, quando calculi dolores me infestant" (Fischer, Vita Gerhardi 
[1723], 243). 

164 Stat. Tit. 12, § 16. In unserer Periode waren solche „professores rüde donati": 
Vultejus, Göddäus, Braun, Vietor. 

156 Stat. Tit. 12, § 14, 15. — ■ 156 Stat. Tit. 20, § 23; 12, § 21. 

157 Z. B. Sinold gnt. Schütz am Anfang der Marburger Zeit; Greber als Vertreter 
für Goclenius. 

lö « Oben S. 256. 




der Zeil ihrer Vi 

Die auf vielen damaligen Universitäten vorhandene Stellung der Ad- 
junkten bei einer Fakultät'" 9 besteht in Marburg statutengemäß nicht. Doch 
nähert es sich dieser Funktion, wenn Professoren der philosophischen Fakul- 
tät an den Sitzungen der theologischen Fakultät teilzunehmen befugt sind, 
wie dies bei dem Prof. phys. Haberkoni und seinem Nachfolger Schragmüller 
der Fall war 180 . 

Ober die Privatdozenten geben uns die Akten kein Material an die 
Hand ; jedoch erfahren wir aus den Statuten Näheres über ihre Stellung. 
Prinzipiell wird jedem promovierten Doktor, Lizentiaten und Magister das jus 
publice et privatim legendi für seine Fakultätswissenschaft erteilt; die Aus- 
übung dieses Rechtes wird jedoch von der Genehmigung durch Rektor und 
Senat abhängig gemacht 1 * 1 . Ausgeschlossen war ferner das Eröffnen theo- 
logischer Kollegien ; hierzu hatten allein die Professoren der Theologie das 
Recht 16 *. Und von Privatdozenten der Medizin schweigen die Statuten über- 
haupt; vermutlich wurden bei der geringen Anzahl der Hörer gar keine 
zugelassen. 

Die Aufnahme unter die Privatdozenten geschah nach einer öffentlichen 
Disputation, wobei der Aufzunehmende präsidierte 1 " ; sie konnte bei den Juristen 
auch erlassen werden 1 ". .Nicht eher kann die Erlaubnis zur Eröffnung von 
Kollegien erteilt werden, als bis der künftige Dozent dem Dekan der Fakultät 
den Plan seines Kollegs dargelegt hat 161 ; wünscht dieser Änderungen in der 
Methode, so hat sich der Dozent zu fügen. Ferner muß der Dozent ver- 
sichern, nicht den Meinungen der Professoren seiner Fakultät im Kolleg zu 
widersprechen, sowie nichts gegen das anerkannte Bekenntnis vorzutragen; 
die Erlaubnis zum Kollegien halten kann niemandem erteilt werden, der nicht 
der unveränderten Augsburgischen Konfession anhängt"*. 

Wer mit Umgehung der Fakultätserlaubnis Vorlesungen hält, ist vom 
Rektor, nötigenfalls durch Strafen, daran zu hindern» 97 . 

Schärfer als die allgemeinen Bestimmungen — die sich nach dem Darge- 
legten vor allem auf juristische Privatdozenten beziehen — sind die Anord- 
nungen, denen die Privatdozenten der Philosophie unterworfen waren. Da es 

«» Vgl. Tholuck I, 50. 

1,0 Haberkam erhält durch fürstl. Reskript v. 14. Nov. 1632, Schragmüller durch 
R. v. 27, April 1637 diese Erlaubnis (Or. UAG, S. VI, 7, 1607/40). 

"' Stat. Tit. 73, g 1. Den Wortlaut gibt Hom in Mitteilungen d. Ges. f. Er- 
. Schulgesch. XI {1901), 41, als „altes Statut der Gießener Universität". 




Bestimmung 

im Vorlesungsverzeichnis 1 



"» Stat. Tit. 25, § 1. Doch wurde dil 
so kündigt Prof. ethices B. Mentier (II.) 1644 
(heologicum an. 

i" Jur. Fak.: Stat. Tit. 34, § 7; phil. Fak..: Tit. 51, g 5. 74, 

"• „. . . . disputatione . . . industriam suam, nisi ea aJiunde s; 
probent". — lsa Vgl. Gießen (oben S 125 Anin. 227). 

"s Stat. Tit. 34, § 9; 51, § 7, 8; 73. 8 3. 4; Hom a. a. O. 

"" Stat. Tit. 34, § 8; 51, § 6. 



ingehalten \ 
collegium 



270 Vierter Abschnitt. 

sich hier um Leute handelte, die noch am Anfange ihrer akademischen Lehr- 
tätigkeit standen, so lag hier Orund genug vor, die Unfähigen auszuschließen. 
Zum Halten philosophischer Privatkollegien können zwar ausnahmsweise sogar 
Studenten zugelassen werden, die noch nicht den Magistergrad besitzen 1 « 8 . 
Aber die Themata zur Habilitationsdisputation werden von den Professoren 
der Philosophie gestellt und müssen innerhalb eines Monats bearbeitet sein 1 *. 
Mißtraut die Fakultät der Fähigkeit des Disputanten, so kann ihm aufgegeben 
werden, die Disputation (als Präses) sine respondente zu halten, also seine Sätze 
selbst zu vertreten. Sind die Sätze durchdisputiert, so hat der angehende 
Dozent das Urteil der Fakultät zu erwarten, von dem die Erteilung der licentia 
aperiendi collegia abhängt 170 . Hier ist demnach die Disputation ein wirklicher 
Befähigungsnachweis, während sie bei den Juristen wohl mehr eine Formalität ist. 

Von der Probedisputation sind jedoch diejenigen befreit, die nur ein ge- 
schichtliches, rhetorisches oder poetisches Kollegium eröffnen wollen ; diese 
Fächer galten demnach für leichter und weniger wichtig als die übrigen, die 
als „scientiae philosophicae superiores" bezeichnet werden 171 . 

Ehe nun die potestas aperiendi privata collegia philosophica erteilt wird, 
hat der Aspirant noch feierlich zu geloben, daß er Ehre und Nutzen der Fa- 
kultät, den Vorteil der Lernenden, Frieden und Einheit befördern, keines 
Professors Meinung angreifen, gebührende Ehrfurcht gegen Dekan und Pro- 
fessoren zeigen und nichts gegen das religiöse Bekenntnis lehren wolle 172 . Arn 
Schlüsse des Semesters hat der Dozent beim Dekan um Verlängerung der Li- 
zenz nachzusuchen ; sie kann ihm verweigert werden, wenn er den genannten 
Bestimmungen nicht entsprochen hat 173 . 

Mit der Stellung der Privatdozenten stand jedenfalls auch in Marburg die 
der Privatpräzeptoren junger Studenten in enger Beziehung und in Perso- 
nalunion 174 . 

XI. 

Von den vier Fakultäten hat die philosophische am meisten unter dem 
Wechsel der Persönlichkeiten zu leiden gehabt, die theologische am wenigsten. 
Deutlich tritt hervor, daß eine Professur der Philosophie vielfach nur als eine 
Übergangsstellung betrachtet wurde, sei es zu einer Professur in den oberen 
Fakultäten, sei es zu einem Hofprediger- oder Superintendenten posten oder 
auch zum Syndikat einer Reichsstadt und dergleichen. 

Die theologische Fakultät 176 , die mit der Besetzung : Winckelmann, Mentzer, 
Feurborn, Steuber die unveränderte Fortsetzung der Gießener Fakultät ge- 



iw Stat. Tit. 74, § 2. 

169 Es sind also geradezu Examensarbeiten 1 

170 Stat. Tit. 74, § 10—12. 

171 Stat. Tit. 74, § 13, 14. — Auch die stipendiarii majores sind dispensiert. 
17 > Stat. Tit. 74, § 25. — 17 » Stat. Tit. 74, § 24. 

174 Vgl. Horns Aufsatz a. a. O. 

175 Vgl. für die Personalien im allgemeinen Strieder. 




Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmsudter Linie. 

bildet hatte, verlor in den ersten Jahren ihres Marburger Aufenthalts ihre beiden 
ersten Professoren. Feurborn, der nun Primarius war, trat in gewissem Sinne 
das Erbe seines Schwiegervaters Mentzer an als theologischer Vorkämpfer und 
Vertrauter Landgraf Georgs, der ihn gelegentlich als Hofprediger mit auf 
Reisen nahm und sich seiner Dienste besonders auch bei der großen Kirchen- 
visitation von 1628 bediente. Eine weit stillere und bescheidenere Persönlich- 
keit war Steuber, den wir von Gießen her als großen Sprachkundigen kennen ; 
peinlich gewissenhaft zeigte er sich in seinen Ämtern als Ephorus und Bi- 
bliothekar und erwarb sich so im stillen Verdienste, die wir heute bei der 
Durchforschung der Stipendiatenakten erst richtig würdigen lernen. An ihre 
Seite trat 1627 Meno Hanneken, ein Oldenburger, der anfangs als Professor 
der Ethik angestellt, jetzt die dritte mit der hebräischen Professur verbundene 
Lehrstelle erhielt. Auch er war ein Schwiegersohn Mentzers; als ein ein- 
facher, allen Neuerungen abholder Mann wird er geschildert. Erst im Jahre 
1632 erhielten die drei genannten Theologen einen Kollegen in dem bisherigen 
Professor der Physik Johann Heinrich Tonsor. Als Steuber 1643 starb, 
bildeten die bleibenden drei die Fakultät; 1646 zog Hanneken als Super- 
intendent nach Lübeck, 1 649 starb auch Tonsor, so daß Feurborn der 
einzige Theologe war, der durch seine Persönlichkeit die alte Gießener Zeit 
mit der neuen Zeit der restaurierten Hochschule (1650) verband. 

In der Juristenfakultät traten neben die alten Marburger Professoren Vul- 
tejus und Göddäus zunächst die Gießener Hunnius und Breidenbach, dann 
Just Sinold genannt Schütz (aus Butzbach) zuerst als außerordentlicher, 
aber schon anfangs 1626 als ordentlicher Professor. Die beiden alten Ju- 
risten, Vultejus und Göddäus, hatten ihre glänzende Zeit bereits hinter sich. 
Besonders Vultejus war weithin berühmt gewesen und wurde noch in unse- 
rer Zeit vom Kaiser mit hohen Ehren ausgezeichnet; auch Göddäus war 
ein angesehener und vielkonsultierter Jurist gewesen; beide konnten im 
Jahre der Marburger Restauration (1625) ihren siebzigsten Geburtstag feiern, 
und wenn wir sie auch in den Fakultätsgutachten der nächsten Jahre noch 
als Mitarbeiter finden : als akademische Lehrer werden sie schwerlich mehr mit 
voller Kraft gewirkt haben. 1630 schied Helfrich Ulrich Hunnius, Vizekanz- 
ler der Universität, von Marburg, um in die Dienste des Bischofs von Speyer 
zu treten ; auch den katholischen Glauben nahm er damals an. Doch war 
schon 1627 eine neue Kraft in die Fakultät eingetreten 176 , Anton Nesenus, der 
auch das erledigte Kanzleramt erhielt, und 1630 trat der bisherige Professor 
der Ethik und Politik, Joh. Kornmann, in die juristische Fakultät über. Nach 
dem Tode des Kanzlers Nesenus (1640) folgte ihm in dieser Würde Sinold- 
Schütz, und im gleichen Jahre wurden die fürstlichen Räte Joh. Walther aus 
Hersfeld und Greg. Tülsner aus Leipzig als Professoren in die juristische Fa- 
kultät versetzt, so daß diese jetzt wieder aus den fünf statutenmäßigen 

"* Dem Rang nach eingereiht zwischen Hunnius und Breidenbach. 




272 Vierter Abschnitt. 

Professoren bestand (Sinold -Schütz, Breidenbach, Walther, Kornmann, 
Tülsner), von denen allerdings Tülsner 177 und Sinold-Schütz oft lange Zeit 
in fürstlichem Auftrage abwesend waren. Walther starb 1647. Am meisten 
hervorgetreten ist von allen Sinold-Schütz, freilich mehr durch seine 
diplomatische Tätigkeit als Gesandter am Regensburger Reichstag und beim 
Friedenskongreß, als durch seine akademischen Leistungen, obgleich er auch 
als guter Lehrer des Rechts galt. Bei der Rückverlegung der Universität 
nach Gießen wurden Sinold und Tülsner auch dort wieder als Professoren 
angestellt, während Breidenbach und Kornmann in Marburg blieben. 

Die medizinische Fakultät bestand während der ersten zehn Jahre aus 
Nik. Braun, Professor in Marburg seit 1608, Joh. Kempf aus Marburg und 
dem Gießener Professor der Mathematik Jak. Müller, Gregor Horsts, des 
Gießener Mediziners, Stiefbruder, der auch in Marburg den mathematischen 
Lehrstuhl beibehielt. Als Kempf 1635 infolge eines Unfalls gestorben war, 
gelang es 1637, den Sohn Gregor Horsts, Joh. Dan. Horst, zu gewinnen; ihn 
ernannte der Landgraf zugleich zu seinem Leibarzt. Im gleichen Jahre be- 
durfte Georg auch des Professors Müller, dessen Hauptstärke auf dem Gebiete 
der Ingenieurwissenschaft gelegen zu haben scheint; er versetzte ihn nämlich 
als Kriegsrat und Artilleriedirektor zu seinen Truppen, wo Müller aber bald 
starb. Als Ersatz trat in die Fakultät Joh. Tileman aus Wertheim ein, der dann 
bis zum Schluß der Marburger Periode in der Fakultät blieb, aber nicht nach 
Gießen übersiedelte. Er hat mit Horst zusammen ein Jahrzehnt hindurch die 
Marburger medizinische Fakultät gebildet. 

Ich lasse nun einen Überblick über die Lehrer der philosophischen Fa- 
kultät folgen: 

Ethik und Politik, anfangs 1625 ohne Besetzung gelassen, übernahm 
1626 Hanneken, der aber bald in die theologische Fakultät überging und 
durch Joh. Kornmann ersetzt wurde. 1632 bis 1635 Jer. Causenius aus Frohn- 
hausen, 1635 bis 1641 Joh. Sigfr. Blanckenheim aus Marburg; ihm folgt 
Balth. Mentzer II, Sohn des gleichnamigen Theologen und selbst Theologe, 
der aber 1646 eine theologische Professur in Rinteln annahm. Seine Stelle 
übernahm interimistisch der Professor der neueren Sprachen Le Bleu. 

Logik und Metaphysik: Den Lehrstuhl hatte Rud. Goclenius der 
Ältere inne, der schon seit 1581 Marburger Professor war. Unter diesem 
weitbekannten und beliebten Lehrer, der in seiner langen akademischen Tätig- 
keit über 500 Jünglingerr den Magisterhut aufgesetzt haben soll, studierte 
noch Joh. Balth. Schupp, der ihn denn auch in seinen Schriften lobend erwähnt. 
Eine Zeit lang hat Konr. Greber aus Alsfeld die Lehrstelle (als extraordinarius) 
versehen; doch wurde 1629 nach des Goclenius Tode (1628) der Rektor 

177 Am 16. Sept. 1644 verfügt Landgraf Georg: Da sich der Reichsdeputations- 
tag, auf dem Prof. Tülsner gebraucht wird, in die Länge zieht, soll Prof. Korn- 
mann einstweilen Institutionen lesen. Or. UAM, A. IV, 2ß, i. 

















Meno Hanneken 

Professor der Theologie und Ephorus 
, S9S —,6 7 t. 





274 Vierter Abschnitt. 

werden; Landgraf Georg scheint sehr besorgt gewesen zu sein, daß auch 
bei Krankheitsfällen und Personalveränderungen keine Lücke im Unterrichts- 
betrieb entstand. Erhielt ein Professor seinen Abschied, so durfte er erst nach 
einem Vierteljahr abziehen, damit in der Zwischenzeit ein Ersatz beschafft 
werden konnte 180 . Ja selbst im Falle mehr als einmonatiger Krankheit mußte ein 
Ersatzmann eingestellt werden „sive professorum sive non professorum ex iis, 
qui praesentes sunt" 181 . Als 1633 Prof. phys. Haberkorn als Hofprediger 
abberufen wurde, bestimmte Landgraf Oeorg den in Jena studierenden 
Schragmüller zum Nachfolger, erlaubte ihm aber zugleich, noch drei Viertel- 
jahre in Jena zu bleiben. Inzwischen sollten ihn die übrigen Professoren der 
Philosophie, Stipendiaten und andere Studenten vertreten; auf die Vorstellung 
der Universität erlaubte der Landgraf, daß nur Professoren die Vertretung über- 
nahmen 182 . 

Erst in der Marburger Zeit erkannte man die Nützlichkeit gedruckter 
Vorlesungsverzeichnisse, durch deren Versendung die Möglichkeit gegeben 
war, die Universität und ihre Leistungen viel weiter bekannt zu machen und 
ihr dadurch mehr Studenten zuzuführen, als es sonst geschehen war 188 . Die Form 
dieser Kataloge, von denen sich leider aus der Marburger Zeit nur noch 
wenige finden ließen 184 , ist die nachher auch in Gießen bis ins 18. Jahrhundert 
übliche Plakatform. Sie enthielten die Vorlesungen und Kollegien der 
ordentlichen und außerordentlichen Professoren und zwar sowohl die öffent- 
liehen als die privaten, nicht aber die der Privatdozenten. 

Die öffentlichen Vorlesungen der Professoren mußten zeitlich so an- 
geordnet sein, daß abwechselnd das Auditorium der Fakultät benutzt wurde; 
in den Wohnungen der Professoren durften sie nicht stattfinden 18 *. Gegen 
das Aussetzen der Vorlesung ohne Grund und gegen Abwesenheit der Pro- 
fessoren von der Stadt an Lektionstagen richten sich besondere Bestimmungen; 
jede versäumte Stunde kostet auch nach den Statuten einen halben Joachims- 
taler 186 . Daß der Landgraf in den erwähnten Semesterberichten ungenügende 
Entschuldigungen fand, haben wir gesehen. 

Doch hat der Fürst die Nebenbeschäftigungen der Professoren gern ge- 
sehen und hier wohl leicht ein Auge zugedrückt; vor dem Dienst in seinen 
Geschäften traten die Vorlesungen allemal zurück, was besonders gegen Ende 
unseres Zeitraums sich stark bemerkbar macht. Oft wurde ein Professor auf 



18 <> Stat. Tit. 20, § 2i. 

181 Stat. Tit. 21, § 7. 

is2 Akten UAG, S. VI, 7, 1607/40. Catal. stud. XV, 42 f. 

183 Diesen Gesichtspunkt der Reklame durch Vorlesungsverzeichnisse hebt Mentzer 
in einem Schreiben an Landgraf Ludwig vom 27. Juli 1624 bereits hervor (Or. StAD, 
Univ. 8). 

184 Mir haben vorgelegen die Catalogi lectionum von S. 1629, W. 1629/30, S. 
1637, W. 1637/8, W. 1638/39, W. 1640/41, W. 1644/45, alle außer 1640/41 im UAG, 
1640/41 Hofbibliothek Darmstadt. 

W5 Vgl. Stat. Tit. 20, § 10. — 186 stat. Tit. 20, § 11— 13. 



Die Uqlv 



i Marburg in der Zeil ihrer Verwaltung durch < 



2 7S 



längere Zeit, selbst auf Jahre hinaus, von der Verpflichtung zum Lesen ent- 
bunden, um eine wichtige Arbeit im' fürstlichen Interesse durchzuführen 18 '. 

Die Methode der lectio publica war die bisherige: Lesung eines Textes 
und Erklärung, die dann von manchen diktiert wurde 1 * 8 . Beim Beginn eines 
neuen Buches sollte — nach altem akademischen Brauch — eine Rede zur 
Empfehlung vorausgeschickt werden 185 . Auch das Verfahren, daß ein Pro- 
fessor einfach ein druckfertiges Manuskript vorlas, ist nachweisbar 180 ; mit 
Recht hat Schupp dies als Zeitverschwendung bezeichnet 191 . Auch jetzt 
wieder wird die Abneigung der Studenten gegen die Diktate beklagt, beson- 
ders in der juristischen Fakultät; die Professoren geben an, „daß die Studiosi 
nunmehr nichtes in den lectionibus schreiben und sich ad calamum dictiren 
laßen wolten, derowegen sie auch keine gewiße sedem materiarum wahr- 
nehmen und ausführlich tractiren könten, sondern ihnen studiosis pro re nata 
solche materias und quaestiones per discursum proponiren müßten, darzue sie 
dieselbe geneigt verspüreten" 198 . Die Statuten schreiben vor, daß die Pro- 
fessoren zwischen dem massenhaften Diktieren und dem bloßen Vortrag ohne 
Diktat die rechte Mitte halten sollen. Die Studenten der Rechte aber müssen 
durch öffentliches Edikt an ihre Pflicht, das Diktat nachzuschreiben, erinnert 
werden; für Nichtbefolgung des Befehls sollen ihnen beim Abgang etwaige 
Zeugnisse und Empfehlungsbriefe vorenthalten werden 195 . 

Neben den öffentlichen Lektionen blühten die Kollegien, durch deren 
praktische Ausbildung zu Seminarien sich nach den erhaltenen Verzeich- 
nissen besonders Feurborn ausgezeichnet hat. Bei ihm finden wir publica 
collegia, das heißt, wie wir wohl annehmen dürfen, zwanglose Konversatorien 
über gewisse Themen. Bei ihm und Hanneken zeigt sich zuerst das Ineinander- 
greifen von Vorlesung und Übung zu besserer Einprägung des Stoffes, und 
es gibt sogar, wenn ich die Angabe im Lektionskatalog richtig deute, ein Semi- 
nar mit aktiven Mitgliedern und inaktiven Zuhörern 1 »*. 

theologischen Streitschrift vom 

315 und 365). Für Schupp s. 

Von Sinolds u. a. Abwesen- 



187 So war Feurborn 1626/27 mr Abfassung 
Lesen dispensiert, ebenso 1637/38 (vgl. Cgm. 1259, 
3. Jahresbericht d. Oberh. V. f. Lokalgesch. (1883), 
heit wurde schon gesprochen. 

188 Vgl. Vorlesungsverz. W. [629/30: Bachmann „ad Nicodemi Frischlini eiemplum 
libro septimo Aeneidos nuper paraphrasin dictare coepit et per subsequentes libros con- 
linuare perget". 

™* Stat. Tit. 20, § 9. 

»° Für die Juristen vgl. Stat. Tit. 35,, § 2. Cata!. lect. 1637/8: Mylius „rudimenta 
arithmetica propediem lypis imprimenda studiosae juventuti proponet". 

1,1 Von der Kunst, reich w werden, Lchrr. Sehr. 1719 I, 720. 

'« Rechn.-Absch. v. 1626 Mai 16 (Or. UAG, Adm.), ähnlich im Rechn.-Absch. 
v. 1627 Juli 7 (ebd.). 

1»» Stat. Tit. 23, § 18; 32, g 8, 9; 39, § 6; 49, g 3. 

1M 1637 Hanneken : „ . . . explicalionem dietabit deque dietatis texlibus xinft' ijHoftdäa 
cum sludiosis, qui isto exercitio delectabunlur, colloquium inslituet". 1629 Hanneken: 
„Disputation es privatas in publico loco instituet, ut cuivis civi academico facultas aus- 







276 Vierter Abschnitt. 

Während bisher die Regierung die Privatkollegien als private Angelegen- 
heiten der Dozenten betrachtete und sich in der Hauptsache auf ihre Ober- 
wachung beschränkte, werden sie jetzt in den Lehrplan der Hochschule offiziell 
eingeführt. Der Landgraf verlangt die Veranstaltung von Privatkollegien 1 » 5 , sie 
sind an mehreren Stellen der Statuten den Professoren zur Pflicht ge- 
macht 196 , und mit den Kollegien der Privatdozenten beschäftigen sich die 
Statuten ganz besonders 197 . Freilich sollen sie nur eine Beihülfe zu den im 
Mittelpunkt stehenden öffentlichen Vorlesungen sein, und sie sind deshalb 
zeitlich und stofflich so einzurichten, daß sie den publicis nicht im Wege 
stehen 198 ; aber eine weit größere Bedeutung wird ihnen jetzt doch beigelegt 

Einen entschiedenen Fortschritt bezeichnet ferner der Lehrplan der neuen 
Statuten: er sucht an Stelle des unendlichen Ausspinnens einer Vorlesung und 
der wahllosen Reihenfolge der behandelten Stoffe wenigstens in der theolo- 
gischen und der juristischen Fakultät einen regelmäßig wiederkehrenden 
Kanon von Vorlesungen zu setzen. Durch genaue Regelung der Lektions- 
folge sollte es dem fleißigen Studenten möglich werden, innerhalb einer ge- 
wissen Zeit das ganze Gebiet seiner Wissenschaft kennen zu lernen. Bei den 
Theologen dauerte dieser Kurs sieben Jahre, bei den Juristen fünf 19 ». 

XIII. 

Die ordentlichen Professoren sind zur Abhaltung öffentlicher und pri- 
vater Disputationen verpflichtet* 00 . Private Disputationen und Disputations- 
kollegien (scholares exercitationes sagen die Statuten 201 ) können außer in der 
theologischen Fakultät auch von Privatdozenten abgehalten werden. 

Unter den öffentlichen Disputationen der Professoren treten bei den 
Theologen 909 die monatlichen disputationes ordinariae oder solennes an die 
erste Stelle. Sie sind das Minimum der in dieser Fakultät vorgeschriebenen 
Disputationen, neben denen die übrigen freiwillige Mehrleistungen darstellen; 



cultandi sit". 1629/30 Feurborn: „Privatum collegium lectorium et disputatorium habe- 
bit, in quo epistolam ad Galatas praelegendo enodabit, et simulatque unum caput ab- 
solvent, confestim illud disquisitioni privatae subjiciet sicque omnia dinget, ut omnium 
facultatum Studiosi liberrimum ad haec visitanda collegia, siquem expetent, habituri sint 
accessum*'. 

195 An Univ. Marb. 1626 Mai 8: Hanneken soll neben seiner ethischen Professur 
privatim Hebräisch und orient. Sprachen lehren (StAD [Hausarchiv], Korr. Ludw. V.). 

»»• Z. B. Stat. Tit. 23, § 2, 7; 25; 31, § 10; 34, § 1 usw.; 41. 

197 Stat. Tit. 73, 74. 

198 Mentzer (De constituenda ulterius acad., StAD, Univ. 7): „Die privata collegia 
müssen nicht größere freiheit haben als die publica". Stat. Tit. 25, § 1 ; 73, § 1, 2. 

1 99 Stat. Tit. 23, § 13 ff.; 32, § 6. 

200 Stat. Tit. 25, § I f.; 34, § 1; 41, § 1 f.; 51, § 1. 
»01 Tit. 25, § 3. 

*o* Über die öffentlichen Disputationen der anderen Fakultäten fehlen eingehende 
Bestimmungen. 



Die Univ 



t Marburg in der Zeil ilircr Verwaltung durch die Darmslidtcr Linie. 277 



je größer freilich die Zahl der letzteren, desto ehrenvoller für den Professor 
und die ganze Universität 20 '. In den ordinariae präsidieren die Professoren der 
Theologie abwechselnd, und die Professoren der übrigen Fakultäten müssen 
ihnen beiwohnen 20 *. Private Disputationskollegien sollen in der theologischen 
Fakultät mindestens zwei bis drei, ebensoviel bei den Juristen, bei den Medi- 
zinern ein bis zwei gehalten werden; jeder Professor der philosophischen Fa- 
kultät soll gleichfalls eines halten" 5 . 

Bei den Theologen steht die Abfassung der Disputationsschrift, die 
wegen der Druckkosten nur kurz sein soll, den Professoren zu, außer wenn es 
die Fakultät einstimmig dem Kandidaten gestattet 206 . Mitunter sollen auch 
Studenten der Rechte, der Medizin und der Philosophie zu den theologischen 
Disputationen als Opponenten herangezogen werden, namentlich aber stets 
Stipendiaten majores 201 . In der Juristenfakultät ist älteren Studenten die Ab- 
fassung der Disputation erlaubt, doch darf darin nichts dem Kaiser, den Kur- 
fürsten oder dem Landesherrn Nachteiliges stehen, weil hierdurch die Uni- 
versität in üblen Ruf kommen könnte"". Auch die philosophischen Disputa- 
tionen dürfen vom Respondenten verfaßt sein, doch nur mit Zustimmung 
des Dekans und des Präses gedruckt werden. Vor Sätzen, die der Landes- 
religion widerstreiten oder Ärgernis erregen, wird gewarnt 209 . 

Der Verlauf der Disputation ist der bereits für Gießen geschilderte. Be- 
merkt sei nur, daß die Statuten es nötig finden, das Hineinziehen von unnö- 
tigen Spitzfindigkeiten und Weitschweifigkeiten, gegenseitige Sticheleien, 
„stentorisches Schreien", Zornausbrüche usw. zu verbieten; im Notfalle soll 
der Präses, sogar mit Strafen, einschreiten" . 

Auch die Deklamation nahm im Rahmen der akademischen Tätigkeit 
bedeutenden Raum ein : Einer besonderen Aufmerksamkeit Landgraf Georgs 
erfreute sich ja das Studium der Eloquenz. Die Statuten bestimmen, daß 
vom Professor der Rhetorik ein publicum collegium dectamationum einge- 
richtet, und daß wöchentlich interne (private), monatlich öffentliche Reden 



* M Stat. Tit. 25, § 6. 

104 Stat. Tit 25, § 5. Schon eine Denkschrift Ment/ers (StAD, Univ. 7) schlägt 
monatliche theo]. Disputationen vor und bemerkt: „und wird hierin die Ordnung bilüch 
gebrauchet, di ein theologus nach dem andern praesidiret und die disputation selbst 
machet, mit nichten aber dem respondenten solche zu machen verstattet werde". Steuber 
an Dieterich, 1627 März 17 (Cgm. 1256, Bl. 79): „Unser primarius redet nurent ex autho- 
ritate in disputationibus, deren alle vier wochen eine publice gehalten wird, und geth 
herumb" (Vorrecht des Primarius?). 

»°s Stat. Tit. 25, 8 t; 34, § ij 41, § 2; 51, g 9. 

i0 « Stat. Tit. 25, % 7, 8. 

* 01 Stat. Tit. 25, § 9. 

»m Stat. Tit. 34, § 5, 6. Vgl. Rechnungs-Abschied v. 1627 Juli 7 u. fiirstl. Erklä- 
rung dazu v. 1627 Nov. 1 (Or. UAG, Adra. R.-Abschl.). — Für die medizinische Fakul- 
tät fehlt es an Bestimmungen über die Autorschaft an Disputationen. 

w » Stat. Tit. 51, § 3, 4. 

sto Stat. Tit. 25, g 10; 34, 8 *. i; 5'. § * 







278 Vierter Abschnitt 

zur Übung gehalten werden sollen ; die letzteren sollen dann gesammelt in 
Druck gegeben werden 211 . 

Die Bestimmungen blieben wohl zum Teil unausgeführt, wenigstens wurde 
1632 Prof. Höpingk daran erinnert und ihm aufgegeben, alle zwei oder drei 
Wochen einen zwei- bis dreistündigen actus declamationum publicus abzu- 
halten, bei dem drei oder mehr Studenten reden sollten. Daneben sollte der 
Stipendiat Joh. Balth. Schupp noch ein Collegium privatum und ein privato- 
publicum auf gleichem Gebiete eröffnen* 1 *. Jetzt fanden die Mahnungen 
wohl Beachtung. Die öffentlichen Redeakte, bei denen mehrere Studenten 
mitwirkten, nahmen sogar mitunter dramatische Form an; so lud 1633 Rek- 
tor Steuber zu einer bei der Stiftungsfestfeier stattfindenden „erudita consul- 
tatio" dreier Studenten ein, die „super optimum rerum publicarum statum" 
handelte 213 . Zur höchsten Blüte kam dann die Pflege der Redekunst mit der 
Ernennung Schupps zum Professor. Aus jenen Jahren stammen die teils von 
ihm, teils von seinen Schülern gehaltenen Reden, die uns in seinem Volumen 
orationum (1642) erhalten sind 214 . Mit dem Niedergang der Universität in 
den 1640er Jahren kamen freilich auch die Exercitia oratoria zum Stillstand, 
namentlich als man Schupp historiographisch beschäftigte* 16 . 

Hie und da kamen auch Deklamationen lateinischer Gedichte vor. So 
besitzen wir von 1635 die Einladung des Prof. poeseos Bachmann zur Rezi- 
tation eines Carmen heroicum de ruris commoditatibus et agricultura durch 
einen Kandidaten der Philosophie, mit der Bemerkung, daß derartiges seit 
einigen Jahren nicht vorgekommen sei 216 . 

XIV. 
Auch in Marburg wurde ein Teil der Kandidaten des geistlichen Amtes 
(wie in Gießen) von der theologischen Fakultät examiniert, nämlich diejenigen, 
die auf eine Anstellung in Hessen keinen Anspruch machten. Sie konnten 
dann gegebenenfalls vom Superintendenten von Marburg auch gleich ordi- 
niert werden 217 . Dagegen stand die Examination der jungen Theologen, die 
im Lande Pfarrstellen erstrebten, dem Definitorenkollegium zu. Diesem ge- 
hörte für die Superintendenturen Marburg und Gießen auch die theologische 
Fakultät an 218 . 



211 Stat. Tit. 63, §6. Eine Auswahl von 51 Themen für Übungsreden gab Schupp 
in seiner 1637 erschienenen Invitatio publica ad collegium Oratorium. 

212 UAG, S. Cod. Rescr. III, 535 ff. Vgl. das von Bindewald im 3. Jahresbericht 
d. Oberh. V. f. Lokalgesch. (1883), 106, mitgeteilte Schreiben. 

21 » UAG, S. XVII. Vgl. Catal. stud. XV, 42. 

214 Vgl. über die Autorschaft der einzelnen Reden: Stötzner, Beitr. zur Würdi- 
gung von Schupps Schriften (1890), 26ff.; Schmid, Gesch. d. Erziehung IV, 1, 165. 
— Einige eigenhändige Ankündigungen von Redeakten Schupps liegen im UAG. 

«5 Landgraf Georg an Univ. M., 1644 Juni 8 (Or. UAG, S. XIV, 4): Die Exercitia 
oratoria und linguarum sollen wieder in Gang gebracht werden. 

216 Kzt. UAG, S. XIV, 3. — «» Stat. Tit. 29, § 1, 2. 

218 Stat. Tit. 30, abgedr. v. Köhler in den Quartalbl. d. Hist. V. f. d. Großh. Hessen, 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmsiädier Linie. 279 

Wie diese Verhältnisse sich sonach an die Gießener anschließen, so ist 
es auch betreffs der Promotionen der Fall; nur sind wir hierüber durch die 
ausführlichen Bestimmungen der Statuten für Marburg genauer unterrichtet" 9 . 

So erfahren wir jetzt, daß als Vorbedingungen für die Erteilung eines 
akademischen Grades angesehen wurden : eheliche Geburt und Freiheit von 
Leibeigenschaft"". Der Kandidat mußte immatrikuliert sein 831 . Zum Dr. theol. 
sollte nur promoviert werden, wer sich in einer entsprechenden Stellung (zum 
Beispiel als Hofprediger, Superintendent, Professor, Stadtpfarrer) befand 55 *. 

Die Promotionen von Baccalaurei und Magistri wurden nach Bedarf ver- 
bunden oder getrennt vorgenommen ; in der Regel soll je eine Promotion im 
Jahre in der philosophischen Fakultät stattfinden 833 , wobei dann eine Anzahl 
von Kandidaten des niederen und des höheren Grades zusammengenommen 
wurden. Noch wurde jedoch in dieser Fakultät das Bakkalaureat als notwen- 
dige Vorstufe des Magisteriums angesehen 231 . Vorbereitungen und Verlauf der 
Graduierung entsprechen dem für Gießen besprochenen Zustande. 

Eine gewisse Abneigung gegen den Magistergrad und überhaupt gegen 
das philosophische Studium zugunsten der Fachstudien der oberen Fakul- 
täten scheint damals hervorgetreten zu sein, und der Landgraf hielt es für 
nötig, nachdrücklich auf die Wichtigkeit der philosophischen Vorbildung für 
die Theologen hinzuweisen. Um seiner Mahnung mehr Gewicht zu geben, be- 
stimmte er sogar, daß bei der Beförderung zu Kirchen- und Schuldiensten die- 
jenigen Aspiranten, die den Magistergrad erworben hatten, bevorzugt werden 
sollten 3 «. 

Solcher Mittel bedurfte es bei den selteneren und viel höheres Ansehen 
verleihenden Graden der höheren Fakultäten nicht. Die Verschiebung des 

1882, 7 ff. Gegen diese Regelung hatte sich vergeblich Mentzer gewandt, der auch 
die Prüfung der inländischen Kandidaten der Fakultät vorbehalten wissen wollte; nament- 
lich die Reisen der den beiden Definitorien gemeinsamen Mitglieder erschienen störend (An 
Landgraf Ludwig, 1624 Sept. 28, Or. StAD, Univ. 7). Der Landgraf blieb bei seiner An- 
sicht, um so mehr, als damals noch die Möglichkeit bestand, daß die Univ. in Gcmein- 
verwaltung komme (Randnote zu Mentzers undatiertem Guiachten de const. ult. acad., 
ebd., vgl. das in die Statuten Tit. 30 eingerückte Schreiben Landgraf Philipps v. 
28. Sept. 1625). S. auch Diehl in Dtsch. Ztschr. f. Kirchenrecht, 3. Folge IX (1900), 228L 

! " Dieser Abschnitt der Statuten findet sich gedruckt bei Itter, De honoribus 
sive gradibus acad,, ed. nova 1698, im Anhang. 

M0 Stat. Tit. 65, § 12—14; v gl- Stat. fac. med. Giss., wo die erste an den Kandidaten 
zu richtende Frage ist: „An thoro legitimo natus?". 

«1 Stat. Tit. 65, § 11; 69, § 1. 

in Stat. Tit. 69, § 2 nach Mentzers Vorschlag (De const. ult. acad.). 

"' Stat. Tit. 72, § 1. Die Statuten ermöglichen die Baikal. -Promotion am Vorabend 
der Mag. -Promotion oder auch die Übertragung beider Grade in einem Akt (Tit. 72, 
g 3*, 35)- 

«* Stat. Tit. 72, § 3. 

*** Erlaß an sämtliche Definitoren und Superintendenten von 1629 Nov. 12, An- 
hang zu Stat. Tit. 30, gedr. b. Diehl, Schulordnungen I" 56L, vgl. Anh. zu Tit. 72 
u. Itter a. a. O., 346. 



280 Vierter Abschnitt. 

Verhältnisses zwischen der Zahl der Magisterpromotionen und der Doktor- 
promotionen gibt ein Mittel an die Hand, die Schätzung eines Studiums 
gegenüber den anderen zu beobachten 1 »«. In auffallender Weise zeigt die 
Marburger Periode eine Bevorzugung des Rechtsstudiums und demgemäß der 
juristischen Promotionen: in der Gießener Zeit verhielt sich die Promotions- 
ziffer der Juristen zu der der Philosophen etwa wie 1 zu 10 (höchstens 1 zu 
8) 227 , in Marburg wie 9 zu 20, also fast wie 1 zu 2 228 . 

Die Erwerbung der Grade erfolgte in den oberen Fakultäten im wesent- 
lichen in gleicher Weise wie in Gießen. Erwähnt mag sein, daß bei Theo- 
logen und Juristen die Gradualdisputation dem Examen rigorosum voraus- 
ging, bei den Medizinern ihm folgte 259 . Die Disputation fand wohl in allen Fa- 
kultäten in der Regel cum praeside statt 230 . Die Stelle des Präses bei den In- 
auguraldisputationen, der zugleich Promotor war, wechselte regelmäßig unter 
den Gliedern der Fakultät ab, so daß jedem Professor die klingenden Vorteile 
dieser Ämter gesichert waren 231 . Das Rigorosum, dessen Themen bei den 
Juristen dem Kandidaten drei Tage vorher mitgeteilt wurden, sollte 2 bis 3 
Stunden dauern, und hatte bei befriedigendem Ausgang die Licentia assumendi 
gradum zur Folge, unter der Bedingung, daß der Kandidat sich dem am 
gleichen Tage stattfindenden Examen publicum unterzog 232 . Der theologische 
Doktorand hatte außerdem vor der Promotion eine Predigt zu halten 22 ». Da 
der theologische Doktorgrad oft noch in höherem Alter erworben wurde, 
war es für manchen Kandidaten keine Kleinigkeit, sich all diesen Prüfungen 
zu unterwerfen, und ein Gegenstand großer Besorgnis, ob man in Disputation 
und Examen auch bestehe 234 . 



226 Aber natürlich nicht die Frequenz des einen Studienzweiges im Verhältnis zu den 
andern. Die kleine Zahl der Doctores theol. würde hier ein falsches Bild geben. 

227 S. oben S. 156, Anm. 364. 

228 Bei der Durchsicht der Rechnungen finde ich, daß in den Jahren 1624 — 1649 
neben 199 Mag. art. nur 10 Doktoren der Theologie und 17 der Medizin, aber 88 Dok- 
toren (und Lizentiaten) der Rechte kreiert worden sind. Die höchste Promotionsziffer 
in Philosophie zeigt das Jahr 1632 mit 23 Mag., die höchste in Jurisprudenz 1634 (große 
Gießener Promotion, s. o.) mit 10 Doktoren. 1647 — 49 fand keine Promotion mehr statt, 
1646 weist die letzten Graduierungen auf. 

229 Vgl. Stat. Tit. 69—71. Nur in der med. Fakultät haben die Stat die Be- 
stimmung, daß der Kandidat eidlich geloben muß, einen ungünstigen Ausgang des Exa- 
mens die Professoren nicht entgelten zu lassen (Tit. 71, § 3, 4). 

230 Stat. Tit. 66, § 3, 4. Allerdings hat mir eine medizinische Inaug.-Disputation 
sine praeside vorgelegen. 

231 Stat. Tit. 65, § 7 ff.; 69, § 18: „Qui disputationis inauguralis praeses fuit, is 
etiam sit promotor'*. 

232 Stat. Tit. 66, § 6, 7. — Ms Stat. Tit. 69, § 13. 

234 Große Examensangst zeigen die Briefe des 5 5 jähr. Gießener Superintendenten Joh. 
Dieterich, der auf Drängen der Landgrafen sich zur Promotion beim Jubiläum 1627 entschlie- 
ßen mußte. Er schreibt an seinen Bruder: „Mit meiner doctorij bin ich uberhupt worden, were 
hernach gern wieder herauß und ledig gewesen, wan ich gekondt hart, habe an beide un- 
sere gn. f. u. herrn [Philipp u. Georg] underthenig supplicirt und deprecirt, meiner damit zu 



Die Universität Marburg in der Zeil ihrer Verwaltung durch die Darrastädter Linie. 281 

Über den eigentlichen Promotionsakt und die dabei vorkommenden 
Riten und Gebräuche sind die Statuten sehr ausführlich 335 . Am Tage vor- 
her werden die Gäste zum Festakt und Schmaus feierlich eingeladen ; dies 
besorgen zwei Studenten (invitatores), denen hierbei die akademischen Szep- 
ter vorausgetragen werden. Am Festtage selbst ruft die Glocke zur Ver- 
sammlung im Hause des Promotors, von wo die Festgenossen in das Pro- 
motionsauditorium ziehen. Voraus schreiten Trompeter, ihnen folgen Kna- 
ben mit noch unan gezündeten Fackeln, ein Knabe trägt ein Buch und darauf 
ein Paar neue Handschuhe, das herkömmliche Geschenk des Doktoranden 
an den Promotor. Den Professoren voran gehen die Pedellen, neben dem 
letzten Professor der Kandidat; die Gäste und Studenten folgen. Im Audi- 
torium verläuft der Akt in der von Gießen her bekannten Weise, nur daß 
die dem Kandidaten vorzulegenden Probleme nicht vom Promotor, sondern 
von einem Knaben (Pädagogschüler oder dergl.) vorgetragen werden»". 

Die Überteuerung der Grade, die in Gießen eingerissen war, in Marburg 
abzuschaffen, war eine der ersten Sorgen des Landgrafen Georg für seine Uni- 
versität" 1 . In den Statuten erscheinen denn auch genaue Bestimmungen über 
die zulässigen Kosten : In der philosophischen Fakultät erhielt der Präses 
der Gradualdisputation einen Reichstaler, der Professor der Rhetorik für 
Durchsicht der Gradualdeklamation V» Rtlr. r die Pedellen ein Geschenk an 
Wein 159 . Vor der Promotion bekam der Dekan von jedem Kandidaten des 
Bakkalaureats 3 Rtlr., die zur Hälfte fürs Prandium reserviert wurden, von 
jedem Kandidaten des Magisteriums 6 Rtlr., wovon 2 fürs Prandium. Die 

verschonen und mich also bey meinen erlebten tagen bey meinem wesen bleiben zu laßen, 
falle mir sehr schwer, daß ich nun allererst ins examen gehen und mich viel tribuliren 
und plagen laßen, da ich bey denen dingen nicht herkommen und in die 30 jhare von solchen 

„Wz hab ich dan vor zeit etwz zu 
1 Überlauf fen. So hab ich 
übersehen kondt. Muß also 
Es solte mir billich ein freude 
i nichts den traurigkeit und unlust ; Gott helfe, daß ich 
. 339). In seiner Dispu- 
tes praeter omnem cogi- 
1 medium prodin 



5 gewesen". Jetzt steht die Disputation bevoi 
lesen? Ich solt int totum corpus doctrinae et < 
nicht soviel zeit, daß ich ein compendium theologici 
stracks dahin gehen, wie ein blindt gauli . 
und ehre sein, so mac 

aus dem schweißbad und fegfeucr komme"' (Cgm 
tation heißt es denn auch: „Ego igitur plus quam si 
tatiotiem meam solenn itati 5 hujus pars aliqua factus t 
täte jussus, quibus refragari ncfas" (Disputaiiones theo], in acad. Giss. habitae, VIII 
[1655], 146). Es ging zwar in Disputation und Examen besser, als er dachte; doch war 
Dieterich über die ganze Quälerei so verdrießlich, daß er den Doktortitel nicht führen wollte 
(Cgm. 1257, Bl. 340, 345). — Bemerkt muß werden, daß auch der Möglichkeit gedacht wird, 
er könne vom examen publicum befreit werden; dieser Antrag scheiterte bei der Ab- 
stimmung an einer Stimme (ebd. 340}, 

" B Stat. Tit. 69. 

*'* Alter akademischer Brauch; aus Wittenberg besitzen wir noch solche Problem- 
reden von Melanchthon (Corpus Reformatorum X, 689ff. vgl, 677). 

i*t Vgl. Catal. stud. IV, 194; Basel und Straßburg galten als nachahmenswerte Bei- 
spiele: Landgraf Georg an Univ. M., 1627 Nov. 26 (Kit. UAG, Adm. : Teilung 1627). 

*'* Stat. Tit. 72, § 6, 7; für das folgende Tit. 67, 









282 Vierter Abschnitt 

höheren Fakultäten haben natürlich höhere Promotionsgebähren: Der Dr. 
theol. kostete 24 Goldgulden, der Lic. jur. oder med. 25 Goldg., der Dr. jur. 
oder med. 32 Goldgulden oder 38 Reichstaler. Hierunter sind keine Beiträge 
zum Schmaus. Zu alledem kommen noch die Druckkosten. Im Privatexamen 
wird vom Kandidaten nichts an Wein oder Eßbarem geliefert, wohl aber im 
Examen publicum, wo neben Kuchen bis zu 12 Maß Rheinwein zulässig 
sind; auch die Pedellen erhalten Wein. Was der Kandidat dem Promotor 
außer den erwähnten Handschuhen noch schenken will, ist in sein Belieben 
gestellt. Jeder Pedell erhält einen spanischen Taler, die Pädagogpedellen 
V* Taler, Spielleute und Musikanten, der Organist, der Director musices, der 
Gesangchor des Pädagogs, die Fackelträger, sie alle müssen befriedigt wer- 
den. Schließlich kommt als Hauptausgabe das Prandium doctorale; aus einem 
fürstlichen Erlaß von 1628 ersehen wir, daß das Minimum der Gäste hierbei 
die Zahl 40 erreichte, und daß, um allzugroße Schlemmerei zu verhüten, „in 
zweyen gangen mehr nicht als aufs allerhöchste zwölf warme eßen sollen 
aufgetragen werden" 159 . Um das Interesse der Professoren an einer weiteren 
Ausdehnung dieses Gastmahles zu verringern, wird für die Zukunft verboten, 
daß der Promotor oder ein anderer Professor hierbei als Speisewirt diene* 40 . 

Eine Mahlzeit etwa bei der Erteilung der Licentia assumendi gradum ist 
nicht vorgesehen. Nun gaben aber die Magistranden beim Hluminare eine 
Abendmahlzeit; 1641 stellte sich heraus, daß demgemäß auch die Kandidaten der 
höheren Fakultäten eine solche veranstalteten ; das widersprechende Statut war 
„niemals zur Observanz kommen", wie die Universität ganz naiv versichert* 41 . 
So ließen die Akademiker sich auch, während ganz Hessen unter der Last des 
Krieges seufzte, gelegentlich nichts abgehen. 

XV. 

Die Universitätsbibliothek der Marburger Zeit bestand nach der 
Teilung aus der Hälfte der Marburger bisherigen Bibliothek (mit Ausschluß 
der Dietzischen) und der nach Marburg übergeführten Gießener Bibliothek. 
Die letztere war etwa doppelt so groß als die bisherige ganze Marburger Bi- 
bliothek, bildete also den Hauptbestandteil der Universitätsbibliothek unserer 
Periode ,4, . Die Lokalfrage war in Marburg schon längst brennend gewesen ; sie 



839 Inbezug auf die Zahl der Gäste scheint das Statut beobachtet worden zu sein; 
1644 wird einmal ein besonderes Gesuch an den Landesherrn gerichtet, mehr Personen 
einladen zu dürfen (Landgraf Georg an Vizekanzler Ruppel, 1644 April 12, Or. UAG, 
S. XIII, 1). 

wo Erlaß v. 19. Febr. 1628, eingerückt in Stat. Tit. 67. 

241 Vgl. den lehrreichen Universitätsbericht v. 1641 Dez. 12, Kzt. UAG, S. Cod. 
Rescr. III, 201); er wurde auf wiederholtes Verlangen des Landgrafen, der „die ohn- 
nötige kostbahre exorbitantz" einschränken wollte (An Univ., 1641 Nov. 26, Or. ebd. 
197), eingereicht. 

248 S. o. S. 235; Heuser, 7; Zedier, Gesch. d. Universitätsbibl. z. Marburg (1896), 31 ff. 



Die Universität Marburg in der Zeil ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Lin 



Mi 



gedachte man durch Benutzung der Barfüßerkirche oder des Pädagogbaues 
zu lösen. Doch kam dieser Plan nicht zur Ausführung, und die vereinigten 
Bibliotheken blieben im Barfüßerkloster"* 3 . Bald erhielt die Bibliothek auch 
eine Benutzungsordnung 2 **. Die Verwaltung zeigt noch große Einfachheit. 
Die Professoren hatten das Recht, Bücher gegen Quittung nach Hause zu 
entleihen; Studenten sollten sie an Ort und Stelle benutzen oder besondere 
Sicherheit für die Rückgabe leisten. Für Neuanschaffungen waren jährlich 
50 Gulden ausgeworfen. Diese Summe wurde jedoch nach Ausweis der Rech- 
nungen sehr ungleichmäßig verwendet: Während in manchen Jahren wenig 
oder nichts für Bücher ausgegeben wurde, überschritt in anderen die Ausgabe 
bei weitem den Voranschlag** 5 . Auf Geschenke rechnete man stark und 
hatte dafür ein besonderes Album angelegt; von Zuwachs auf diesem Wege ist 
jedoch mit Sicherheit nur die sogenannte Streitersche Bibliothek nachzu- 
weisen, die aber in der Marburger Zeit nicht mehr in Besitz der Universität 
kam»". — Bibliothekare waren 1625—1635 Steuber, 1635—1646 Bachmann, 
von da ab Ebe! (nach kurzer Amtsführung Hannekens). Durch Aufstellung 
eines genaueren Katalogs machte sich 1631 Steuber verdient 1 ". 

In der Verwaltung des Bibliothekars befand sich auch die Sammlung 
mathematisch-astronomischer Instrumente. Einiges scheint bereits vor- 
handen gewesen zu sein, als die Teilung des Universitätsbesitzes vorgenommen 
wurde* 4 *; aber einen bedeutenden und wertvollen Zuwachs erhielt die Samm- 
lung durch eine Schenkung Landgraf Philipps von Butzbach (1645). Es war 
ein Himmelsglobus von sieben Fuß Durchmesser, dazu Quadranten, ein Sex- 
tant usw.« B 

i Prof. Müller gezeichnete 
nitge teilte Form 



*«' Zedier, 33; Akten StAD, Univ. 7, wo auch eine vc 
Innenansicht der zur Bibliothek einzurichtenden Kugelkirche. 

M * Stat. Tit. 76, Heuser, 8f.; ob die von Zedier, 34, Anm. 
überhaupt in Kraft trat, ist fraglich. 

»« Z. B. 1627: 11 Guld. 5 Alb.; 1628: I GId. 20 Alb. I Heller; aber 1629 gibt 
Hunnius in Frankfurt für Bücher 96 Gulden aus, 1634 Schupp 6i Gld, 14 Alb.; 1630 betrug 
die Ausgabe für die Bibliothek sogar 134 Gulden. 

** a Catal, XV, 65; Heuser, 10; Buchner, Bibliotheca Academica et Senkenbergi- 
ana (1896), 4, gibt verschiedene Angebote aus dieser Zeit an. 1636 verhandelte man über 
die Erwerbung von Büchern aus dem Nachlaß des Dr. Zach. Roßbach in Herborn (StAD, 
Univ. 33); 1643 wurde die Bibliothek des ehemaligen Kanzlers Nesenus ins Auge gefaßt 
(UAG, S. XVI, I: Ankauf). 

**' An Landgraf Georg, 1631 Nov. 6 (UAG, Adm. Stip. Korresp. u. Berichte II): 
Er beschreibt hier die Arbeit der Katalogisierung, besonders wenn verschiedene Au- 
toren zusammengebunden waren, oder „da gar kein author im anfang gesetzt, wie in der 
Marpurgischen alten bibliothec, so gutten theils aus den klöstern herrührt und auch ge- 
it er die Bücher durchsehen müssen und nach dem Inhalt 
■ über der Repositorien „incommodität und incapaeiiät". 
wo auch globi, sphaerae, armillares, instrumenta mathe- 
i unter die Obhut des Bibliothekars gestellt werden. 

*** Akten von 1641 : UAG, S. Cod. Rescr. I, 293fr. Beschreibung der Instrumente: 
Christiani, De cometarum essentia (1653), gf., daraus Walther, AfhG XI (1867), 400t.; des 



schriebene Sachen hat" ; hier h 
katalogisiert. Übrigens klagt < 
» Vgl. Stat. Tit. 76 § 




284 Vierter Abschnitt. 

Einen Rückschritt bedeutet die Marburger Periode gegenüber der Gie- 
ßener insofern, als ihr ein botanischer Garten fehlte; Professor Kempf 
versuchte die Lücke auszufüllen, indem er seinen eigenen Garten zur Ver- 
fügung stellte ,5 °. 

Auch ist es trotz der Statutenvorschrift zweifelhaft, ob ein chemisches 
Laboratorium eingerichtet worden ist 161 . Was die Anatomie betrifft, so 
wissen wir nicht, ob sie über einen besonderen Raum verfügte; daß Sektions- 
übungen nichts häufiges waren, geht unter anderem daraus hervor, daß Steu- 
ber es 1639 für wichtig genug hielt, einem Freunde mitzuteilen: „Herr D. 
Horstius administriret jetzo sectionem cadaveris humani den vierten Jan."* 5 *. 
Freilich war ja auch nur eine anatomische Obung im Jahre vorgeschrieben; 
die Lieferung von Leichen war geregelt 863 . 

Als ein besonderes Institut dürfen wir vielleicht das in der Marburger 
Zeit zuerst vorkommende Predigerseminar ansprechen. Es entstand auf 
eine Anregung Landgraf Ludwigs. Die Exercitia concionatoria sollten in der 
Weise verlaufen, daß immer ein Student predigte und die andern sich die 
vorkommenden Fehler — jeder eine bestimmte Art davon — anmerkten ; bei 
der nachfolgenden Besprechung brachten dann alle ihre Anstände vor* 64 . 

XVI. 

Die guten Absichten, die Georg II. wie schon sein Vater Ludwig be- 
züglich der Verbesserung des höheren Schulwesens hatte, wurden infolge 
des Krieges nur zum Teil verwirklicht. So ist von den geplanten Pädagogien 2 * 5 
neben dem Marburger nur das zu Darmstadt zu dauerndem Leben gekommen, 
während man sogar, wie erwähnt, die Weiterführung des Gießener Pädagogs 
aufgeben mußte. 

Die große Aufmerksamkeit, die man den beiden zustande gekommenen 
Pädagogien widmete, zeigt sich in dem Umfang und der eingehenden Aus- 
arbeitung ihrer Gesetze und Ordnungen. Die des Marburger Pädagogs um- 
fassen in den Universitätsstatuten nicht weniger als vierzehn Tituli* 66 - Sie haben 
den Darmstädter Leges als Vorlage gedient 157 . 

großen Globus: Winckelmann, 450, daraus Walther, a. a. O., 367. Die Professores artium 
gaben ihrer Dankbarkeit durch deutsche und lateinische Gedichte Ausdruck (gedr. 1641 
in Folio; das deutsche ist von Schupp). 

150 Catal. lect. 1629/30: „. . in horto suo sicco plantarum rarissimarum refertissirao 
medicinae studiosos exercebit". — ,M Stat. Tit. 47. 

fM Cgm. 1259, Bl. 370. — »w Stat. Tit. 45. 

* M Stat. Tit. 23, § 3 ff., wo auch der anfängliche Erlaß Landgraf Ludwigs von 1625 
eingerückt ist. 

266 In einem Schreiben an Statthalter, Vizekanzler und Räte zu Marburg v. 5. Mai 
1624 verlangt Landgraf Ludwig deren Gutachten zur Wiederbestellung des Marburger Pä- 
dagogs und zur Errichtung gleicher Schulen in Darmstadt, Gießen, Alsfeld, Frankenberg 
und Grünberg (Kzt. StAD, Univ. 8). 

256 77 bis 90, jetzt gedr. b. Diehl, Schulordnungen I, 58 — 75. 

»' Diehl II, 46. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 285 

Vier Klassen, von denen jedoch die Tertia und Quarta gleichen Stun- 
denplan (und vielleicht auch gleichen Schulraum?) haben, werden vom Pä- 
dagogiarchen, der ein Universitätsprofessor war, und fünf Lehrern unter- 
richtet. Der Pädagogiarch leitet die Schule, aber er darf von sich aus keine 
Änderungen in dem Schulbetriebe treffen, sondern muß den Rektor, den 
Vizekanzler und den Dekan der philosophischen Fakultät zu Rate ziehen, wie 
auch die Professoren dieser Fakultät die Prüfungen beaufsichtigen und er so- 
gar schwerere Vergehen der Schüler nicht bestrafen darf, ohne sich mit dem 
Rektor zu verständigen- 59 . Diese Unterstellung der Pädagogschüler unter 
die akademische Disziplin entspricht dem hier wie in Gießen geübten Brauche, 
daß die im Laufe eines Jahres eingetretenen Schüler am Ende des Jahres in 
die Universitätsmatrikel eingetragen, mithin akademische Bürger wurden*". 
Ein Aufsich tsrecht der akademischen Behörde über das ganze Pädagogium er- 
gibt sich ebenfalls aus dem Angeführten. Dieser Stellung widerspricht aber 
in gewissem Sinne die Bestimmung, wonach es dem Pädagogiarchen zusteht, 
bei vorkommenden Vakanzen unmittelbar dem Landgrafen seine Vorschläge zur 
Besetzung der Lehrerstellen zu unterbreiten" . 

Neben dem Pädagog bestand wie in Gießen die Stadtschule so in Mar- 
burg die sogenannte Schola ad templum, deren gleichfalls sehr eingehende 
Schulordnung wir in den Universitätsstatuten Tit. 91 bis 95 finden" 11 . Sie 
stand nämlich unter der Mitaufsicht des Dekans der philosophischen Fakultät 
und des Pädagogiarchen 363 . Die aus dieser Schule Entlassenen wurden, 
wenn sie sich befähigt zeigten, ins Pädagog aufgenommen" 3 . 

XVII. 
Drei Klöster waren es, die für die Universität seit Philipps des Groß- 
mütigen Zeiten Raum boten : Das Dominikanerkloster {Predigerkloster) an der 
Lahn, Collegium Lani genannt, beherbergte den Hörsaal der Juristenfakultät, 
wie auch das Pädagog; weitere Räume davon wurden an Studenten vermietet 1 ". 
Im Franziskanerkloster (Barfüßerkloster) an der Stadtmauer (hiernach als Col- 
legium pomoerii bezeichnet) waren die Räume der philosophischen und der 
medizinischen Fakultät* 65 sowie die Bibliothek. Das Haus der Fraterherren zum 
Löwenbach (Kugelhaus, aedes cycüca) umfaßte die Räumlichkeiten der theologi- 
schen Fakultät und der Stipendiatenanstalt" 8 . 

»** Stat. Tit. 79, § 4, 9; 82, § if. (Dicht I, 60, 64). 

»• Stat. Tit. 79, gn (Diehl I, 60). — *"» Tit. 79, g 5 (ebd., vgl. II, 213). 

«i Bei Diehl I, 75—82. — * ea Tit. 94, g 1 (Diehl I, 79). 

**» Tit. 94, § 9 (ebd. 80). 

*** Man zahlte »/, Gulden im Seraester. Stat. Tit. 79, § 17, vgl. Diehl 1, 61 ; II, 213. 

laB Der Hörsaal der letzteren wurde früher als auditorium ethicum. bezeichnet (Stat. 
Tit. 40, g 1 : „in collcgh ad portam Gissam versus spectantem siti audilorio, quod a lectio- 
nibus ethicis antehac in eo habitis ethicum vocatur"). 

■ BB Alte Abbildung von Kugelkirche und Kugelhaus bei Laverienz, Medaillen u. Ge- 
dächtnis! eichen d. dtsch. Hochschulen II (1887). Vgl. sonst Bücking, Geschichtl. Bilder 






286 Vierter Abschnitt. 

Bei dem Alter der Gebäude war es natürlich, daß sie vielfach baufällig 
waren und Reparaturen nötig wurden. Gewöhnlich fehlte es der Universität 
an Mitteln, gründliche Verbesserungen vornehmen zu lassen. Wie sehr dies 
der Fall war, beweist folgender Umstand: Als man 1633 beabsichtigte, die Bar- 
füßerkirche als Raum für die Predigtübungen der Theologiestudierenden her- 
richten zu lassen, ergingen Bettelbriefe an befreundete Theologen außer Lan- 
des, damit diese Beiträge für den Umbau erwirken möchten 167 . 

Die Aufsicht über das Bauwesen der Universität hatte der akademische Bau- 
meister, Aedilis, der jedoch zu baulichen Veränderungen im Werte von mehr 
als dreißig Gulden erst die fürstliche Genehmigung einholen mußte* 68 . In 
jedem Semester sollte der Adil mit dem Rektor, Vizekanzler und Syndikus 
eine Besichtigung sämtlicher Universitätsbauten vornehmen***. Das Adilen- 
amt, anfangs mit dem des Ökonomen verbunden, wurde 1632 von ihm ab- 
getrennt und dem Professor Müller übertragen* 70 . 

XVIII. 

Das Bild, das wir beim Studium der Akten von der Marburger Studen- 
tenschaft unseres Zeitraumes erhalten, ist kein erfreuliches, und es deckt sich 
in wesentlichen Zügen mit dem, was wir von anderen Hochschulen aus jener 
Zeit wissen. Der Student reagiert mit all der Roheit, die in der eisernen Zeit lag, 
gegen jeden Zwang, der ihm von wohlmeinenden, wenn auch manchmal kurz- 
sichtigen akademischen Behörden angetan wird, er will gänzlich ungebunden 
seine Individualität entfalten und ruft dadurch Konflikte aller Art hervor. 

Noch bestand, wie in Gießen, die Einrichtung fort, wodurch alles Tun 
und Treiben des einzelnen Studenten der Beaufsichtigung der akademischen Be- 
hörde unterlag, die Censura, der die Studenten der philosophischen Fakultät, 
also die Mehrzahl aller, unterworfen waren. In jedem Semester einmal sollten 
die Studenten und ihre Privatpräzeptores über Studium, Sitten, Lebensweise auf 
Herz und Nieren geprüft werden ; Verbesserungen sollten angeordnet, passende 
Vorlesungen zum Besuch empfohlen werden. Ja, ein Zusatz zu den Statuten 
fügt noch die Bestimmung hinzu, daß Neulinge im ersten Semester sogar 
monatlich dem Dekan über ihr Tun Rechenschaft geben müssen* 71 . Wie es 
mit der praktischen Handhabung dieser Bestimmungen stand, wissen wir nicht; 
wohl nicht zum besten. Die erwähnten Privatlehrer, die auch jetzt noch 



aus Marburgs Vergangenheit (1901), 61, 73, 83; Zedier, Gesch. d. Univ.-Bibliothek Mar- 
burg, 11. 

267 Erhalten ist wenigstens der Brief der Theologischen Fak. an Konrad Dieterich 
in (Jim, der bei seiner Obrigkeit und sonst Beiträge sammeln sollte (Cgm. 1256, Bl. 625). 

268 Stat. Tit. 98, § 4 nebst einger. fürstlichen Reskript v. 25. Jan. 1628. 

269 Stat. Tit. 98, § 12. 

270 Landgraf Georg an Univ. M., 1632 Nov. 21, Or. UAG, S. VI, 7, 1607/40; vgl. 
Catal. stud. XV, 32. 

271 Stat. Tit. 53 u. Appendix dazu. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 187 

durchaus für notwendig gehalten werden, heißen jetzt auch Informatores oder 
Inspectores" 2 ; über ihre Stellung zu den ihrer Obhut und Leitung anvertrau- 
ten Studenten erfahren wir hier offiziell, daß arme Studenten den Privatunter- 
richt durch persönliche Dienstleistungen (servitia) abverdienten 2 ". 

Von den Vorrechten, die dem Gießener Studenten zustanden, war dem 
Marburger das Jagdrecht, wie es scheint, nicht gewährt. 

Die Frequenz unserer Periode, die anfangs den Gießener Durchschnitt 
erreichte oder selbst überstieg, nahm rasch ab, soweit wir die Immatriku- 
lation zahlenmäßig feststeilen können (bis 1638). Zu Anfang des letzten Jahr- 
zehnts scheint eine geringe Zunahme stattgefunden zu haben, und neuer 
Glanz wurde besonders dadurch über die Universität verbreitet, daß mehrere 
Studenten fürstlichen und gräflichen Standes nach Marburg kamen"*, was im 
Zusammenhang mit der von Georg II. gegründeten Prinzenschule (Hofschule) 
zu stehen scheint"*. Seit dem Beginn der Feindseligkeiten zwischen den 
hessischen Häusern verliefen sich die Studenten und kehrten nicht mehr zu- 
rück. Wenn wir aus der Zeit, für die uns die Matrikel vorliegt, einen Vergleich 
anstellen, so können wir eine Frequenz konstatieren, die etwa halb so groß ist 
wie die von Jena in der gleichen Zeit. 

Die Aufnahmeprüfung der Neuankommenden vor der Inskription vollzog 
jetzt der Dekan der philosophischen Fakultät in Anwesenheit des Pädago- 
giarchen, damit der Ankömmling je nach seinen Kenntnissen der Fakultät oder 
dem Pädagog überwiesen werden konnte" . Der Depositionsbrauch war ge- 
blieben ; er wurde auch an fürstlichen Jünglingen vollzogen — freilich die 
Hobelung usw. an Stellvertretern — , wie aus einem uns erhaltenen ausführ- 
lichen Protokoll über die Deposition zweier hessischer Prinzen im Jahre 1626 
zu ersehen ist" 1 . Großes Aufsehen machte es daher, als im Winter 1644 ein 
zur Universität neugekommener braunschweigischer Prinz sich weigerte, die 
Deposition mit sich vornehmen zu lassen. Da man ihn gern zum Rector 
magnificentissimus wählen wollte, er aber erst immatrikuliert und vorher de- 
poniert werden mußte, so war die Not groß, bis Landgraf Georg endlich aus 
landesherrlicher Machtvollkommenheit den Brauch durchbrach, indem er 



*»* Catal. stud. XV, 8. — » 3 Stat. Tit. 75, § 19. 

1,4 Vgl. Rambachs Notiz bei Schädel, 43; Winckclmanns Angabe S. 450 (5 Reichs- 
fürsten, 9 Grafen usw.) geht offenbar auf Schupp (Widmung des „Deutschen Lucianus", 
Lehrr. Sehr. 1719 1, 798) zurück; doch ist dabei übersehen, dall Schupp nur von einem 
gelegentlichen Besuch redet und die Herren, die zu ihm ins Kolleg kamen, keineswegs 
alle immatrikuliert waren. 

" 6 Näheres über diese Hofschule verdiente bekannt gemacht zu werden (Akten 
StAD, Hausarchiv 163). Vgl. Walther im AfhG XIII; Höchst verdiente Ehren-Seul, Lud- 
wig VI. auffgerichtet (1682), 20. 

"' Stat. Tit. 79, § 12; es wurde scharf darauf gesehen, daö der Pädagogiarch auch 
anwesend war (Landgraf Georg an Rektor Schragmüller, 1639 Sept. 6, Or. UAG, S. Cod. 
Rescr. III, 193). 

«' Anzeiger für Kunde d. deutschen Vorzeit XXI (1874), 334 ff. 




288 Vierter Abschnitt. 

seinen Dispens aussprach» 78 . Wie aus diesem Vorgang, so ist die Wichtig- 
keit, die man dem Ritus beilegte, auch daraus zu erkennen, daß seit 1629 ein 
besonderes Depositionsalbum bestand, in das jeder Neuling eingeschrieben 
wurde, und daß jeder über den vollzogenen Akt ein Zeugnis erhielt"». 

Für die Lebenshaltung der Studenten gilt das aus der Oießener Zeit Be- 
kannte. Die Professoren, die Studenten an ihren Tischen aufnahmen, waren 
in unserer Zeit durch die Teuerung, die sich mehr und mehr bemerkbar 
machte» 80 , genötigt, sich diese Einnahmequelle um jeden Preis zu erhalten, und 
daher ist es zu erklären, daß sie, wie bereits erwähnt, von Senatsverhandlungen 
über Disziplinarvergehen ihrer Tischburschen ausgeschlossen waren, weil man 
ihre Parteilichkeit kannte. Auch die Versuche, ein bereits geschlossenes Ver- 
fahren wieder rückgängig zu machen» 81 , werden in diesem Zusammenhang 
ihre Erklärung finden. Um die Speisung der Studenten zu erleichtern und 
selbst etwas dabei zu verdienen, bedienten sich die Professoren ihres Privi- 
legs, wonach sie und ihre Familie ihren Bedarf an Landesprodukten von den 
Universitätsvögten zu billigerem Preise kaufen konnten als andere Leute» 8 »; 
aber ein fürstliches Reskript wies sie in Schranken, indem es ihnen vorhielt, 
daß sie die Kost trotz billigeren Einkaufs nicht billiger gäben als andere» 8 ». 

Auch die Nebenbeschäftigungen der Studenten sind in Marburg ähnlich 
wie in Gießen: Ballspiel, Reiten, Fechten, Tanzen werden geübt; besonders 
seitdem die Prinzen in Marburg erzogen wurden, legte der Landgraf großen 
Wert darauf, diese ritterlichen Übungen zu ermöglichen» 84 . 

Zahlreich sind auch aus dieser Marburger Zeit die Belege für studentischen 
Unfug, für Schlägereien mit Soldaten und Handwerksgesellen, für Fastnachts- 
mummerei (die von dem frommen Senat besonders als heidnischer Brauch 
bekämpft wird), für nächtliches Gebrüll, Schießen und allerlei Schabernack; 
als Eigentümlichkeit ist hervorzuheben, daß die Studenten gern die Tauben 
der Marburger Bürger wegschössen. Das Duellwesen erfuhr während des 
Krieges eine starke Ausbildung. Um die Beteiligten besser fassen zu können, 
wurden die Barbiere und Wundärzte verpflichtet, jeden Fall einer Duellver- 
wundung sofort dem Rektor anzuzeigen» 85 . Auch jetzt fehlte es nicht an 



» 78 Akten UAG, S. XVII: Rektorwahl, u. Ministerium d. Innern (Darmstadt), Conv. 
in. — Hierauf bezieht sich Schupps Bemerkung in seinem „Unterrichteten Studenten" 
(Lehrr. Sehr. 17 19 II, 407). 

279 Stat. Tit. ico, § 4; vgl. ökon.-Rechn. 1629 (UAG). 

280 So schon 1626 (Univ. M. an Landgraf Ludwig, März 21, St AD, Univ. 7), vgl. a. 
Rechnungsabschied v. 1630 Mai 8. 

»« Stat. Tit. 15, § 21. — » 8 » Stat. Tit. 97, § 44. 

283 Fürstl. Erklärung v. 1633 Mai 22. UAG, Adm. Rechn.-Abschl. 

884 Eine Notiz hierüber aus der Frankfurter Herbstrelation 1644 in Zeillers Topo- 
graphia Hassiae (ed. II, 1655), 106. — Ein Ballmeister wird 1629 erwähnt Catal. stud. 
XV, 8, ein Vorfechter 1636 ebd., 64. 

285 Vorschlag der Rechnungskommission 1626; Landgraf Ludwig an Univ. M., 1626 
Juni 15 (St AD, Univ. 7); vgl. Catal. stud. XV, 10; Stat. Tit. 14, § 21, 22. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädier Linie. 289 

Streitfällen wegen des Begriffes „notorisch kriminal"*" 5 . Übrigens sprach sich 
die Universität sehr gegen die Bestrafung der Duelle durch Relegation cum 
infamia aus, indem sie auf das Beispiel sonstiger Fürsten verwies, von denen 
Duelle nicht nur geduldet, sondern auch befohlen werden. Namentlich gegen- 
über hochgeborenen Studenten könne man nicht so streng verfahren. Da- 
her genüge Inhibition vorher bekannter Duelle durch den Rektor; wird dessen 
nicht geachtet, so erfolgt Relegation ; sonst nur Karzer oder Geldsirafe und 
Konfiskation der Waffen. Bemerkenswert ist, was dabei über die Ungefährüch- 
keit der Studentenduelle gesagt wird : Es sei wohl kaum in 20 Jahren einer im 
Duell tot geblieben. Der Landgraf möge nicht meinen, daß „in dieser Uni- 
versität rechte wahre duella auf leib und leben und den stos verübt würden". 
Forderungen auf Leib und Leben und mit Vorsatz der Tötung würden von 
den Studenten selbst nicht zugelassen 587 . 

Das Charakteristikum der Zeit ist der Pennalismus; seine Spuren durch- 
ziehen denn auch alle Aktenstücke, die uns über das Marburger Studenten- 
leben Aufschluß geben. Es würde in diesem Zusammenhange zu weit 
führen 388 , wollten wir seine Äußerungen im einzelnen verfolgen. Bemerkens- 
wert ist hier nur das starke Betonen einer seiner Formen, nämlich die Verfol- 
gung der „Hauspennäler", das heißt der Studenten, die in Marburg geboren, in 
ihrer Heimat auch studierten. Zu ihrem Schutze wurde ein besonderes Edikt 
erlassen. An den Maßregeln, die gegen das Pennalwesen auf allen deutschen 
Hochschulen durch eine Vereinigung der Universitätsbehörden verabredet 
wurden, beteiligte sich Marburg neben Wittenberg an erster Stelle. Aber der 
Erfolg entsprach nicht den Vorbereitungen. In Marburg stand wenige Jahre 
nach der Publikation des gemeinsamen Statuts der evangelischen Universitäten 
(1. Januar 163Q) 3aB das Pennalwesen in höchster Blüte und brachte in allerlei 
Einzelfällen die akademischen Behörden in unerfreuliche Lagen. Zwar kam 
es nicht zu Vorfällen wie dem Jenaer Aufstand derselben Zeit, den der Lan- 
desherr nur durch Aufgebot von Kavallerie und Kanonen zu bändigen ver- 
mochte m ; aber was uns von den Vorgängen in den Jahren 1643 und 1644 
aus Marburg berichtet wird-' 91 , zeigt die Studentenschaft in einer Zügellosig- 
keit und Roheit, wie sie wohl auf anderen Hochschulen auch nicht über- 
troffen worden ist. Wir sehen die Pennale vollständig in der Gewalt ihrer 
Quäler; wo es einem einfällt, besucht er den jungen Studenten, läßt sich auf- 
warten, schlägt seine Sachen entzwei oder nimmt sie ihm weg. Widerstand 

*« Z. B. Catal. stud. IV, 182; Univ. an Landgraf Georg, 1641 De*. 20 (UAG, Ger.: 
Duelle). 

**' Univ. an Landgrat Georg, 1642 Mai 22, StAD, Univ. 9. 

■*< Ich denke darüber an anderer Stelle Genaueres geben zu können. 

»9 Vgl. Sociarum Germaniae academiarum leges et statuta de Pennalismo . . . 
abrogando, Marpurgi 1639: ferner: Georgens Landgrafens zu H. Confirmation u. Bestäti- 
gung desjenigen Statuti .... Marp. 1639, 

tM Keil, Geschichte des Jenaischen Studenlcnlebens (1858), 117t. 

»' Akten UAG, S. Cod. Rescr. III, 2Siff. 
Die UnlTenim Gicfen v»:i 1607 bii 1907. I. " 







290 Vierter Abschnitt. 

der Pennale wird meist mit Gewalt gebrochen; nächtliche „Aktionen" mit 
Fenstereinwerfen, Türeneinbrechen usw. tun das ihre dazu. Bei alledem 
spielt der Degen und die Pistole, die sehr locker im Gurt sitzen, eine große 
Rolle. Der Rektor hatte oft einen schweren Stand; bei gefährlichen Auf- 
läufen und Tumulten pflegte er persönlich einzugreifen und durch seine Au- 
torität die Ordnung wiederherzustellen. Aber diese Autorität wurde von man- 
chem wilden Studenten nicht geachtet; dem zur Ruhe mahnenden Prorektor 
Schupp trat im August 1643 ein Student auf offenem Markt mit dem Degen 
in der Faust entgegen und schrie ihn an : „Er bleibe mir vom Leibe, daß er 
keine Maulschelle kriege !" m . Schon in dieser Zeit tauchte in den Kreisen des 
Marburger Senats der Gedanke auf, durch Reichstagsbeschluß ein gemeinsames 
Vorgehen aller Fürsten, in deren Gebiet Universitäten bestanden, zu er- 
möglichen; dieser Gedanke kam nach dem Ende des Krieges zur Ausfüh- 
rung und bewirkte schließlich die Dämpfung des Unwesens. 

Unter den Ursachen, weshalb es nicht früher gelang, der Studenten 
Herr zu werden, sind vor allem die Milde des Strafverfahrens zu nennen, die 
Seltenheit der Relegation auch bei argen Vergehen, die häufige Wiederauf- 
nahme Relegierter, die Möglichkeit, Karzerstrafen mit Geld abzukaufen, die 
Rücksichtnahme der Professoren auf angesehene Studenten, die Furcht, durch 
große Strenge die Frequenz zu vermindern und die Studenten auf Universi- 
täten mit lockerer Disziplin zu treiben. 

XIX. 
Bei der Übernahme der Marburger Universität versuchte Landgraf Lud- 
wig anfangs, das Altmarburger Stipendienwesen wiederherzustellen; aber 
die niederhessischen Orte zahlten weder Beiträge, noch schickten sie Stipendia- 
ten. Immerhin war man imstande, die Stipendiatenanstalt auf größeren Fuß 
zu bringen, als es in Gießen möglich gewesen war, und zwar durch das Hin- 
zukommen der zahlenden Orte im nördlichen Oberhessen (worunter Mar- 
burg und Frankenberg besonders zu nennen sind) und der Stadt St. Goar 
in Niederkatzenelnbogen ; diese Orte blieben auch im Hauptvertrag der Uni- 
versität Marburg zahlungspflichtig. Endgültig festgelegt wurde in derselben 
Zeit der früher der Universität Gießen von einigen Orten provisorisch be- 
willigte Stipendienzuschuß, und einige weitere Stiftungen kamen hinzu» 3 . 
Demgemäß konnte die Zahl der Stipendiaten erhöht werden: Die Statuten 
sehen vor: 34 minores, 1 extraordinarius, 5 majores theologi, denen zuzeiten 



292 Die Stelle ist im Konzept des Berichtes an den Landgrafen (a. a. O.) gestrichen; 
man scheute sich, so arge Disziplinlosigkeit zur Kenntnis des über die Vorgänge ohne- 
hin sehr ungnädigen Herrn zu bringen. Auf diesen Vorgang bezieht sich wohl die Notiz 
im Theatrum Europaeum z. J. 1644 (Bd. V v. 1707, 211). 

293 pj)j e einschlägigen Urkundenauszüge (von Grünberger, Schottener, Echzeller, 
Pfungstädter Urkunden) und Nachweise sind in musterhafter Weise in Steubers Salbuch 
(UAG, Adm. Stip.) zu finden. Die im UAG befindlichen Originale verzeichnet Haupt, 
MOGV IV, 121 f., das Grünberger liegt im Archiv des German. Museums zu Nürnberg. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 291 

je ein juristischer und medizinischer major zur Seite treten sollte 294 . Die Zahl 
ging jedoch in den schlimmen vierziger Jahren wesentlich herab. Die Rech- 
nung führte ein besonderer Oeconomus stipendiariorum. Ephori waren in 
unserer Periode: Mentzer bis zu seinem Tode 1627, kurze Zeit interimsweise 
Feurborn, dann 1627 bis 1643 Steuber, von da bis 1646 Hanneken, worauf die 
Stelle vakant blieb. Die Statuten enthalten genaue Bestimmungen über Prä- 
sentation und Verpflichtung der Stipendiaten; hier mag hervorgehoben wer- 
den, daß im Gegensatz zu früher, wo oft Knaben präsentiert wurden, die 
nicht einmal für die Unterklassen des Pädagogs reif waren, jetzt nur noch solche 
mit mindestens Primareife präsentiert werden durften 295 . Der Ephorus prüfte 
die Neulinge und hielt alle unter fortwährender Kontrolle, wobei er von den 
majores unterstützt wurde. Diese Aufsicht, die sich insbesondere auf Fleiß, 
Bibellektüre, sittliches Verhalten, Ordnung in der Wohnung erstreckte, war 
sehr erleichtert durch das Zusammenwohnen im Kugelhauskolleg (Tabulat), 
durch zwei schriftliche examina minorum im Semester, durch monatliche 
tentatio der einzelnen von Seiten des Ephorus, der auch die Strafgewalt 
über sie ausübte 296 . Den minores wurden die zu hörenden Vorlesungen vor- 
geschrieben, und sie waren in bestimmten Gruppen den majores zum Privat- 
unterricht zugeteilt. Morgen- und Abendandachten waren für alle obligatorisch, 
ebenso Musikübungen 297 . Der theologische Zuschnitt des Studiums zeigt sich 
in der Bestimmung, daß schon die baccalaurei eine theologische Vorlesung 
hören müssen; die magistri haben nur Theologie zu treiben (natürlich mit 
Ausnahme der jur. und med. Stipendiaten). Eine Stipendiatenbibliothek lieferte 
die nötigen Bücher 298 . Die majores opponierten ex officio bei den theologischen 
Disputationen, sollten auch lateinische und deutsche Predigtübungen halten. 
Die Dauer des Minorats betrug wie früher sieben Jahre und konnte 
jetzt noch um zwei bis drei Jahre verlängert werden 299 . Nach Ablauf der 
Frist hatte der gewesene Stipendiat nicht nur Aussicht, sondern ein Anrecht 
auf vorzugsweise Verwendung in Schule oder Kirche 300 . Das Majorat war 
fünfjährig und sollte bis zur theologischen Doktorpromotion führen ; es gab 
ein Recht auf Vorzugsstellungen (Superintendent, Professor, Stadt- oder Hof- 
prediger). Majores sollten nur auserlesene Köpfe werden, auch Ausländer, 
falls es an geeigneten Landeskindern fehlte, doch mußten sie sich verpflichten, 
auf Lebenszeit Hessen zu dienen 301 . 



m Stat. Tit. 108, § 1. Das Extraordinariat war für Professorensöhne bestimmt. 
295 Stat. Tit. 108, § 12. — 296 Stat. Tit. 107 u. 108. 
»1 Stat. Tit. 109, § 16. — 29 » Stat. Tit. 108, § 15 f. 

299 Stat. Tit. 110, § 4. 

300 Stat. Tit. 110, § 7. Vgl. schon die entsprechende Bestimmung im Freiheitsbrief 
Philipps von 1529: Hildebrand, 15. 

301 Beispiel: der Pfälzer Schragmüller, der aber vielleicht nur durch Schulden in 
den hessischen Dienst getrieben wurde. Noch liegen die Metzgerrechnungen usw. (aus 
seiner Professorenzeit) bei den Personalakten. 1639 wurde er entlassen. 

»9* 



292 Vierter Abschnitt. 

Der Betrag der Stipendien war verschieden hoch ; es gab solche von 16, 
20, 30 Gulden, je nach dem Orte r der den Stipendiaten präsentierte; die 
majores sollten in der Regel 40 Gulden haben. Die niedrigsten Stipendien 
reichten nicht einmal dazu aus, den Mittagstisch zu bezahlen ; die Kasse mußte 
dann zulegen. Die majores hatten eine Einnahme aus dem Schulgeld, das 
für den Unterricht der minores gezahlt wurde 30 *; ärmere minores konnten 
(wenigstens solange sie Pädagogschüler waren) durch Reinmachen der Woh- 
nungen etwas nebenher verdienen 808 . Die Verwendung von Stipendiaten als 
Sänger, Musikanten oder Aufwärter bei Privatfestlichkeiten wurde 1632 ver- 
boten 30 *. 

Wenn es nützlich schien, einen Stipendiaten auf fremde Universitäten zur 
weiteren Ausbildung zu senden, sparte man kein Geld; Beträge von 50 bis 
70 Gulden, auf französischen oder italienischen Hochschulen selbst 100 Gul- 
den, nebst 10 bis 50 Gulden Reisegeld sind dafür ausgeworfen 805 . Die Kon- 
trolle der so verschickten Studenten hatte natürlich besonders in der Zeit des 
Krieges ihre Schwierigkeiten 806 . 

Daß die Stipendien nicht als Almosen für bedürftige, sondern als Bei- 
hülfe zur Ausbildung besonders beanlagter Studenten aufgefaßt wurde, zeigt 
ein Befehl von 1632: Zwei minderbegabte Stipendiaten sollen als Schulmeister (!) 
angestellt werden, damit Platz für begabtere gewonnen wird 807 . Demgemäß 
richtete sich auch der Betrag, der den majores besonders bei Studienreisen 
gezahlt wurde, nach der Schätzung ihres Talents. 

Neben den stets in erster Linie berücksichtigten Theologen verdienen in 
unserer Zeit auch die Nichttheologen besondere Erwähnung. Ob die An- 
ordnung des Landgrafen : da gar keine stud. med. vorhanden seien, sollten 
zwei oder drei Stipendiaten zur Medizin gezogen werden 808 , von Erfolg gewesen 
ist, sehen wir nicht. Dagegen war die Erziehung fähiger Juristen dem 
Landgrafen ein ernstes Anliegen. Daher bestimmte er schon 1632 einen jungen 
Stipendiaten zum juristischen Studium, gab ihm aus der fürstlichen Rent- 
kammer eine Zulage und schrieb ihm seinen Studiengang für vier Jahre vor; 
gleichzeitig stellte er ihm weitere Aufbesserung für später in Aussicht 80 ». Im 
folgenden Jahre (1633) wurde dann das juristische Stipendiatenwesen völlig 



so» Stat. Tit. 108, § 5. 
803 Stat. Tit. 110, § 11. 

30 * Landgraf Georg an Ephorus Steuber, 1632 Sept. 21 (Or. UAG, Adm. Stip. 
Rescr. Bd. VI No. 16). 

805 Stat. Tit. 108, § 4. 

306 Vgl. z. B. die Unsicherheit über den Verbleib eines angeblich in Altdorf studie- 
renden Stipendiaten (Landgraf Georg an Rektor Kornmann u. Eph. Steuber, 1638 Mai 
16 (Or. UAG, Adm. Stip. Rescr. Bd. VII, 15a). 

307 Landgraf Georg an Steuber, 1632 Sept. 16 (Or. ebd. Bd. VI, 15). 

308 Ders. an dens., 1638 Okt. 29 (Or. ebd. Bd. VII). 

309 Es war Joh. Mylius von Biedenkopf. Landgraf Georg an Steuber, 1632 Apr. 6 
(Or. ebd. Bd. VI, 6). 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 293 

organisiert; eine besondere „Ordnung ... für s. f. gn. new angenommene 
beneficarios, welche jura studiren sollen", wurde aufgestellt und gedruckt. 
Sie enthält einen vollständigen Studienplan für sechzehn Semester und ist 
schon deshalb von großem Interesse, besonders was den Zuschnitt des 
philosophischen Kurses für den künftigen Juristen und Politiker und was 
die Verschmelzung des juristischen Studiums mit obligatorischen theologi- 
schen Kollegien betrifft. Nur während der beiden ersten Jahre untersteht 
der juristische Stipendiat der Aufsicht des Ephorus, in den weiteren sechs 
Jahren der des jüngsten Professors der Rechte 510 . Am Ende des achten Jahres 
soll der Stipendiat die Doktorwürde erhalten, doch bleibt ihm das Stipendium 
auch nachher noch zwei Jahre, in denen er seine Ausbildung vollenden soll, 
namentlich auch in der Richtung, die wir als Volkswirtschaftslehre bezeichnen 
würden, aber auch auf Forst-, Bergwissenschaft, Architektur soll er sich ver- 
stehen 311 . Die Kosten trug die fürstliche Kasse. Der Betrag des Stipen- 
diums war in den ersten zwei Jahren je 60 Gulden, in den folgenden sechs 
je 80 Gulden, beim Studium auf andern deutschen Universitäten 120, im Aus- 
land 200 Gulden. Zum Doktorat werden ihm 100, in den beiden folgenden 
Jahren je 200 Gulden gegeben. Es waren geradezu glänzende Verhält- 
nisse, in die man den juristischen Stipendiaten versetzte, um so glänzender, 
wenn man sie mit den doch recht kärglichen theologischen Stipendien betragen 
vergleicht. In der Praxis hat von 'den in der nächsten Zeit nach der neuen 
Ordnung angenommenen fünf stipendiarii juris 312 keiner den Kurs von An- 
fang begonnen, sondern ihre bereits zurückgelegten Semester wurden ihnen 
gerechnet, doch mußten sie sich verpflichten, das nach dem Studienplan 
Versäumte nachzuholen. Die erhaltenen Korrespondenzen und Examenspro- 
tokolle 313 zeigen übrigens, daß die Bestimmungen des Studienplans vielfach 
nicht eingehalten wurden; besonders schwer scheint es gehalten zu haben, 
die Juristen zur Teilnahme an theologischen Kollegien zu bringen. Die vor- 
geschriebenen vier jährlichen Examina stießen bei den Stipendiaten bald auf 
Widerstand; einer behauptete, er werde dadurch nur aufgehalten, daß er 
nach der fürstlichen Ordnung studiere. Seit 1639 scheinen die Examina 
unterblieben zu sein, und von da ab erfahren wir auch nichts mehr über die 
stipendarii juris. Der noch zu erwähnende allgemeine Verfall des Stipen- 
dienwesens um 1640 scheint auch diesen Zweig der Organisation ergriffen zu 
haben. 

Mit dem Marburger Sti pendien wesen in engem Zusammenhang steht 
eine Einrichtung, die man in der älteren Gießener Zeit nicht kannte: Die Sti- 
pendiatenspeiseanstalt, gewöhnlich Propstei genannt. In Marburg war 



310 Ordnung S. 17. 

311 Ebd. S. 20. 

312 Darunter der spätere hessische Diplomat Anton Kolb. 

313 In einem gehefteten Faszikel: UAG, Adm. Stip. 



294 Vierter Abschnitt. 

sie seit alter Zeit vorhanden 814 , und Landgraf Ludwig hat denn auch bald nach 
der Restauration der Universität (1625) Schritte unternommen, um sie wieder 
in Gang zu bringen 815 . Schon in demselben Jahre wurde die Organisation der 
Speiseanstalt entworfen 816 , und die Statuten von 1629 bieten denn ein genaues 
Bild davon 317 . Der von der Universität angestellte Speisewirt, Propst genannt, 
hatte die Herstellung der Speisen zu übernehmen ; er war Mitglied des Cor- 
pus academicum, erhielt Dienstwohnung im Kugelhaus, Gehalt in Naturalien 
und Geld, Vergütung für eine Dienstmagd, für Haltung eines Pferdes, für 
Speisen- uhd Holzeinkauf, Steuerfreiheit für drei Gebräu Bier in jedem 
Jahr, Vorkaufsrecht beim Viehhandel im ganzen Lande 318 . Jeder Stipendiat, 
der seinen Tisch beim Propst nahm, zahlte dafür 25 Gulden ohne Abzug 
für die Ferien. Er erhielt dafür täglich zwei Mahlzeiten, morgens um 10 und 
nachmittags um 5 Uhr. Die Speisen waren vorgeschrieben, sie sollten reich- 
lich sein ; Bier ward als Getränk dazu geliefert. Die ganze Anstalt umfaßte vier 
Tische mit je 10 Gästen, wobei der Propst jedoch zu eigenem Verdienst noch 
je zwei hinzufügen konnte. Bevorzugt in den Speisen war der Tisch 
der majores und ausgewählter minores. Da nicht alle Tische durch Stipen- 
diaten besetzt wurden, konnte der Ephorus auch Nichtstipendiaten zu glei- 
chem Preise zulassen 319 . Eine Speiseordnung war im Speisesaal ausgehängt, 
damit jeder sehen konnte, was er für sein Geld zu verlangen hatte. 

Über die praktische Durchführung der Bestimmungen wissen wir nicht 
allzuviel. Ein sehr unerfreuliches Bild gewährt uns ein Schriftwechsel vom 
Sommer 1630 320 . In ausführlicher Beschwerde wenden sich die Stipendiaten 
an den Ephorus Steuber: Das am Tisch gelieferte Brot sei so schlecht, daß 
es des Fürsten Jagdhunde besser hätten, daher erkrankten oft Stipendiaten. 
Manche kauften sich Brot, die ganze Stadt rede spöttisch davon. In dem 
häufig aufgesetzten Dürrfleisch seien oft Maden und Würmer. An Fleisch 
werde viel zu wenig gegeben, auch sei es nicht gar gekocht, die alle Wochen 
dreimal vorkommenden Sülzen und „sülgereth" seien unsauber, voller Un- 
flat. Wenn man sich beschwere, höre man Redensarten wie: „Ihr solts fres- 
sen ins teufeis nahmen und habt auch die große krankheit darzu!" oder, 
wenn dem Propst die Maden gezeigt werden : „Da werdet ihr nicht darvon 
sterben". Der Propst sei ein versoffener und ruchloser Mann, der stets „im 
luder liegt" und das zum Einkauf von Lebensmittel erhaltene Geld durch die 
Gurgel jagt. Der Angegriffene stellte in seiner Verteidigungsschrift die Zustande 



314 Vgl. Hildebrand, 17 (1529), 73 (1560). 

815 An Mentzer, 1625 Aug. 20, Or. UAG, Adm. Stip. Rescr. Bd. III, 39. 

816 Bestimmungen in UAG, Adm. Stip. Speisewirte (geheft. Buch). 

317 Tit. 112: De stipendiatorum praeposito. 

318 1630 wurde dem Propst der Steueraufschlag mit 30 fl. aus der fürstlichen Kasse 
ersetzt (UAG, Adm. Stip. Rescr. Bd. V, 6 u. 14). 

319 Geschah schon 1627 (ebd. Rescr. IV, 3 f.). 
32 <> UAG, Adm. Stip.: Speisewirte (Buch). 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darmstädter Linie. 295 

als nicht so schlimm hin. Welcher Art seine Entschuldigungen sind, zeigt 
seine Äußerung: Wenn einmal etwas Unsauberes an den Lappen und „sill- 
gerett" hänge, so mache doch eine Schwalbe noch keinen Sommer! Da die 
Gegensätze schließlich in Tätlichkeiten ausarteten, so ließ Steuber die Führer 
des Widerstandes inkarzerieren 321 , aber daß man die Berechtigung ihrer Be- 
schwerden einsah, beweist der Umstand, daß der Propst bald nachher ent- 
lassen wurde 822 . 

Im Verlauf des Krieges geriet das Stipen diäten wesen in Verfall. Die 
Beiträge der zahlungspflichtigen Ortschaften blieben aus, und so mußte auch 
die Zahl der Stipendiaten vermindert werden. Die zunehmende Teuerung 
brachte auch den Stipendiatentisch in solche Not, daß er um 1640 vollständig 
zu bestehen aufhörte. Landgraf Georg, der einsah, daß die Erhaltung auch 
der geringen Zahl von Stipendiaten von der Möglichkeit billiger Speisung ab- 
hing, suchte der Propstei durch Überweisung von Geldbeträgen zu Hülfe zu 
kommen 528 , damit die stipendiarii „wieder in etwas, obschon anfänglich in 
geringer zahl", zusammengebracht werden „und solch seminarium nicht aller- 
ding dissolvirt werden möge 1 ' 824 . Der wüstliegende, der Stipendienkasse ge- 
hörige Grundbesitz sollte an beliebige Personen zur Bebauung übergeben 
werden, um doch etwas daraus zu ziehen, und Kapitalien der Kasse sollten 
angegriffen werden, um den Speisetisch wiederherzustellen. Sogar der Ge- 
danke, bei früheren Stipendiaten, die in guten Verhältnissen seien, oder deren 
Erben um eine Beisteuer zu bitten, taucht auf. 1643 mußten, um die 
Speisung überhaupt zu ermöglichen, für jeden Stipendiaten etwa 60 Gulden 
Tischgeld und ein Zuschuß an Getränk dem Probst geliefert werden. Dabei 
hatte man sich bereits im vorhergehenden Jahre darauf beschränkt, für die 
aus noch zahlenden Städten präsentierten Stipendiaten den Tisch zu decken 325 . 
Der Rückgang war jedoch nicht mehr aufzuhalten; die volle Zahl der Sti- 
pendiaten wurde in den vierziger Jahren nicht nur nicht mehr erreicht, son- 
dern die Anzahl fiel rasch: 1644 hatte man noch 20, 1645 noch 15 Stipen- 
diaten, aber 1646 nur noch 6, 1647 noch 4, 1648 gar nur noch einen Sti- 
pendiaten. 

XX. 

Der Besitz der Universität umfaßte seit dem Hauptvertrag und der 
auf dieser Unterlage ruhenden Teilung von 1627 fünf Vogteien: Mar- 



821 Landgraf Georg an Steuber, 1630 Juli 28, Or. UAG, Adm. Stip. Rescr. Bd. V, 
No. 16. 

522 An des Propstes Breidenstein Stelle tritt 1631 März 17 Joh. Happel (ebd. No. 25). 

323 Akten UAG, Adm. Stip. Rescr. Bd. VII: 1640 Überweisung von 62 Reichstalern 
aus einer Braubacher Stiftung; 1643: 30 — 40 Gulden aus den Almosen der Gießener Hof- 
kapelle; 1644: 40 Gulden aus denen der Darmstädter Hofkirche; ein Fuder Wein vom 
Landgrafen gestiftet. 

324 Landgraf Georg an Steuber, 1641 Apr. 12, an Hanneken, 1644 Febr. 17, Or. a. a. O. 
825 Landgraf Georg an Rat Gambs, 1642 Juli 29 (Abschr. unter Speisewirte, Allg.). 



296 Vierter Abschnitt. 

bürg, Caldern 3 * 6 , Gießen, Grünberg und Alsfeld 3 * 7 . Dazu kam noch die früher 
der Universität Gießen gehörige Kapitalstiftung, die beiden Schuldbriefe des 
Grafen von Leiningen-Westerburg 318 . Die Verwaltung war wie bisher orga- 
nisiert ; ihr Leiter war der Oeconomus. Die eingehenden Bestimmungen der 
Statuten 82 * über den Verwaltungsbetrieb geben einen guten Einblick in diesen 
Apparat. Eine eingehende Darstellung der Universität als wirtschaftlicher Ein- 
heit (die hier zuweit führen müßte) würde zeigen, welche Schwierigkeiten die 
Beamten gefunden haben müssen gegenüber den verschiedenen Arten von 
Zinsverpflichtungen und den verschiedenen Zahlungsweisen in Naturalien und 
Geld, namentlich in Kriegszeiten, wo auch die den Vögten zugesicherte Hülfe 
von seiten der fürstlichen Beamten 530 oft versagen mußte. Die jährliche Rech- 
nungslegung der Beamten fand im Frühling statt. Von seiten der Universität 
finden wir als kontrollierende Mitglieder den Rektor, den Vizekanzler, den 
Syndikus und den Ökonomen — wie in Gießen, doch sollen jetzt auch die 
dienstfreien Professoren der Verhandlung beiwohnen. Dazu entsandte die 
landesherrliche Regierung einige Beamte. Von dem Verfall der Universitäts- 
finanzen im Verlaufe des Krieges ist schon die Rede gewesen ; besonders 
schmerzlich empfand man das Ausbleiben der leiningischen Zinsen, deren 
Zahlung schon nach wenigen Jahren verweigert wurde. 

XXI. 

Ein Blick in die Verhältnisse der Unterbeamten und Beisassen der Uni- 
versität zeigt ähnliche Züge, wie wir sie aus Gießen kennen. Hier mag nur 
weniges hinzugefügt sein. Die Pedellen, von denen immer auch einer als 
Depositor fungierte 331 , hatten die Verpflichtung, von allen im Laufe des 
Semesters angeschlagenen Disputationen usw. zwei Exemplare in die Kanzlei 
nach Darmstadt zu schicken, von denen eines in der Hofbibliothek aufbe- 
wahrt werden, das andere dem Regierungskanzler zukommen sollte 3 ". 

Der Universitätsdrucker stand nicht nur bezüglich des Inhalts seiner 
Schriften unter der Zensur der Fakultäten — wofür er auch noch eine Ge- 
bühr zu zahlen hatte 333 — , sondern seine Verkaufspreise wurden von der 
Universität kontrolliert, und er war zur Lieferung eines Exemplares aller von 
ihm gedruckten Schriften und zur kostenlosen Herstellung der regelmäßig 
benötigten Programmata und Vorlesungsverzeichnisse verpflichtet 834 . Ebenso 
wurde der Universitätsbuchhändler scharf beaufsichtigt. Hatte er auf der 



3,6 In Marburg bes. Güter des erwähnten Kugelhauses, in Caldern solche des Zister- 
zienserinnenklosters. 

327 S. oben S. 233. — S28 S. oben S. 216. 

329 Tit. 96 u. 97. — 33 ° Tit. 97, § 7. 

331 Vgl. Stat. Tit. 100, § r. — "* Stat. Tit. 101, § 10. 

333 Stat. Tit. 102, § 4. — »" Stat. Tit. 102. 



Die Universität Marburg in der Zeit ihrer Verwaltung durch die Darnutidter Linie. 297 

Frankfurter Messe unter seinen Einkäufen auch libros improbatae lectionis er- 
worben, so konnten sie konfisziert werden. Auch ihm ist die Verkaufstaxe für 
Bücher von der Universität vorgeschrieben"*. 

Auch in Marburg stand der Apotheker unter spezieller Aufsicht der 
medizinischen Fakultät. Über den Universitätsnotar ist dem für Gießen Ge- 
sagten nichts hinzuzufügen»». 



>« Stat. Tit. 103. 
»m Stat. Tit. 38, § i 





Fünfter Abschnitt. 

Die Universität Marburg im Hessenkrieg 

und die Wiedereröffnung der Landesuniversität 

zu Gießen (1645— 1650). 

'• 

Die mit so vielen Feierlich keiten, Eiden und Bekräftigungen befestigte 
Einigung der beiden hessischen Linien im Jahre 1627 sollte nur einen kurzen 
Bestand haben. Kassel konnte die erlittene Niederlage nicht verschmerzen, 
die ihm Oberhessen und die Niedergrafschaft Katzenein bogen gekostet 
hatte, und suchte nach Mitteln, jenen Hauptvertrag aufzuheben und das Ver- 
lorene wiederzugewinnen. Den deutlichen Ausdruck dieses Bestrebens fin- 
den wir schon in den Bestimmungen des Vertrages zu Werben, den am 
12. August 1631 Landgraf Wilhelm von Kassel mit dem Schwedenkönig 
Gustav Adolf schloß'. Denn hier ließ sich der Landgraf als Preis für seine 
Hülfe die Wiederherstellung des Zustandes seiner Herrschaft, wie er vor 
den böhmischen Unruhen war, versprechen. Zunächst zwar blieben die Fest- 
setzungen des Hauptvertrages unangetastet, ja es schien schließlich, als ob 
Landgraf Georg sogar die Lande des Kasseler Landgrafen als Administrator 
werde an sich ziehen können, nachdem dieser, vom Kaiser 1636 als Reichs- 
feind erklärt, 1637 gestorben war. Aber nachdem durch die Vergleiche von 
1638 die Regentschaft der Landgräfin-Witwe Amalie Elisabeth für ihren un- 
mündigen Sohn Wilhelm VI. anerkannt war, trat bald die Feindseligkeit der 
Kasseler Politik hervor. Die energische Fürstin glaubte nicht die Groß- 
jährigkeit ihres Sohnes abwarten zu dürfen; sie beschloß den Kampf nach ein- 
gehender diplomatischer Vorbereitung sobald als möglich - aufzunehmen-- 

1 Londorp, Acta publica IV, 216; Roinmel VIII, 124fr 

' Vgl. Romme) VIII, 65211. Schon damals verwahrte sich übrigens die König 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 299 

Von dem bevorstehenden Friedenskongreß versprach sie sich durch die Hülfe 
ihrer mächtigen Verbündeten, der Kronen Schweden und Frankreich, Erfüllung 
ihrer Wünsche. Landgraf Georg sträubte sich natürlich gegen eine noch- 
malige Entscheidung einer schon 1627 zu seinen Gunsten entschiedenen 
Sache. Aber er war nicht imstande, die erneute Aufrollung der Streit- 
frage zu verhindern. Seine Politik der Vermittlung hatte es mit sich gebracht, 
daß er bei keiner Partei einen genügenden Rückhalt hatte; und um aus eigener 
Kraft dem von Schweden gedeckten Gegner zu widerstehen, dazu hatte sein 
Land schon zu viel gelitten, und es fehlte gänzlich an finanziellen Mitteln. 
Große Teile des darmstädtischen Gebietes, wie auch die Residenz, waren zeit- 
weise ein Spielball in der Hand der kriegführenden Parteien, der Landgraf 
selbst daher fast immer in Gießen oder Marburg. Die Kasseler Regentin be- 
schloß einstweilen durch Besitzergreifung der Streitobjekte sich eine günstige 
Position zu verschaffen. 

Alle Vorbereitungen waren getroffen, als die siegreichen 8 Truppen Hessen- 
Kassels im Herbste 1645 aus Bayern in die Heimat zurückkehrten. Als- 
bald wurden sie gegen Oberhessen in Bewegung gesetzt. Dieses Land in 
dauernden Besitz zu nehmen, war ihre nächste Aufgabe. Daß die Land- 
gräfin es nicht wieder aus den Händen lassen wollte, zeigt ihr Verhalten 
gegen die Bewohner des Landes und der Hauptstadt, auch gegen die Univer- 
sität. Hiermit beginnt die schwerste Zeit für die Hochschule, ein viele Mo- 
nate währender Kampf für die dem Darmstädter Landgrafen geleistete Pflicht 
gegen die Zumutungen der Gegnerin, ein Kampf, aus dem die Universität 
zwar ruhmvoll, aber gänzlich zerrüttet hervorging. 

Der erste bedeutendere Ort, der den eindringenden Niederhessen des 
Generals Geyso in die Hände fiel, war das ummauerte Städtchen Butzbach 4 , 
dessen darmstädtische Besatzung sich bald ergab. Geyso besetzte den Ort, zog 
vor dem festen Gießen vorbei durch das Buseckertal und bedrohte Mar- 
burg (Ende Oktober 1645). Bei seinem Herannahen schickte die Universität 
aus ihrer Mitte den Professor der Medizin Tileman zu dem General und ließ 
um Berücksichtigung des der Hochschule zugesagten Schutzes bitten. Wie 
vorher die Schweden, so machte auch der hessische Führer Ausflüchte : Er habe 
nichts gegen die Universität und werde ihr nichts Schlimmes zufügen, wenn 
der Marburger Kommandant Willich so vernünftig sei, den unhaltbaren Platz 
gutwillig zu räumen ; sollte er aber Gewalt anwenden müssen, fügte er hinzu, 



von Schweden dagegen, daß in Oberhessen oder der Universität Marburg eine Religions- 
änderung vorgenommen werde (ebd. 653). — Den Hauptvertrag von 1627 erkannte die 
Regentin nur solange an, als es ihr paßte (Beständige und gründliche Widerlegung der 
Casselischen rechtlichen Deduction (1646) II, 143 — 146). 

3 In der Schlacht bei Allerheim (24. Juli/3. Aug. 1645) haben die Niederhessen 
wesentlich zum Siege beigetragen. 

* Für das folgende vgl. die Abhandlung von Leydhecker, Aus der älteren Gesch. 
d. hess. Artillerie: AfhG XV (1880), 48 ff., sodann Rommel VIII, 692. — S. auch M. B. 
Valentini Declam. panegyr. oexd; (1701), 62. 



joo Fünfter Abschnitt. 

so könne er für seine Soldaten nicht einstehen, denn sie vermöchten die ange- 
hefteten Schutzbriefe nicht zu lesen. Bis von Kassel neue Instruktion käme, könne 
er nicht warten 5 . Darauf machte sich eine zweite Universitätsgesandtschaft auf, 
bestehend aus je einem Vertreter jeder Fakultät (Hanneken, Kornmann, Tile- 
man, Schupp) und einigen Studenten aus Riga und Reval, schwedischen Unter- 
tanen 6 ; aber auch sie hatten nicht mehr Erfolg. „Wir sollten sehn", berichten 
die Abgesandten über Oeysos Bescheid, „daß wir den commendanten zur Über- 
gabe bewegeten, sonsten würde es nicht gut werden. Das were seine endliche 
resolution, darbey ers bleiben lassen wolte". Also auch diesmal suchte der 
feindliche Führer durch Bedrohung der Universität einen Druck auf die Stadt 
auszuüben. Zwei Stunden Bedenkzeit verflossen, dann begann der Angriff 
auf die Stadt mit grobem Geschütz und Feuerkugeln. Die Beschießung 
dauerte eine Nacht und einen Morgen, und der Erfolg war eine Bresche. 
Jetzt begab sich von neuem eine Professorenabordnung, von dem schwan- 
kenden und ängstlichen Chef der Marburger Regierung, Vizestatthalter Die- 
trich Barthold v. Plesse, geschickt 7 , zum Feind. Schließlich kam, unter we- 
sentlicher Mitwirkung der vom Vizestatthalter vorgeschobenen 8 Universitäts- 
vertreter, aber über den Kopf des Stadtkommandanten Willich hinweg 9 , ein 
Akkord zustande, wonach die Stadt 600 Mann Fußvolk aufnahm, die darm- 
städtische Besatzung aber sich auf das Schloß zurückzog (1. November 1645). 
So war die Stadt in den Händen des Feindes. Am 2. November erhielt die 
Universität von General Qeyso einen neuen Schutzbrief 10 . 



5 Protokolle u. a. UAG, S. XXI, 2 u. StAD, Marb. Succ. 8o. Das Verhalten der 
städtischen Behörden schildert nach städtischen Aufzeichnungen Bücking, Gesch. Bilder 
aus Marburgs Vergangenheit (1901), 158 ff. 

6 Man erhoffte davon eine Wirkung, weil Geyso als Vorwand seines Einmarsches 
in Oberhessen angab, dieses Land sei ihm von Schweden als Quartier angewiesen. 

7 Von ihm ging der Vorschlag aus, ein paar Rotten in die Stadt legen zu lassen, 
wobei die Vorbehalte „jedoch biß uff ratification Serenissimi nostri'* und „citra ullum 
tarnen praejudicium Serenissimi, dicasterii, universitatis, senatus* 4 der vollendeten Tatsache 
der Besetzung gegenüber doch gar nichts besagen. Bezeichnend ist, daß Plesse den betr. 
Passus im Universitätsbericht hat streichen lassen. Vgl. über den Hergang auch Theatrum 
Europaeum V, 722, 792 (Ausg. v. 1707). 

8 „Ma joris autoritatis ergo 4 ' I Auch dieser für eine Regierungsbehörde allerdings recht 
peinliche Zusatz ist vom Vizestatthalter aus dem Bericht gestrichen. — Vgl. auch v. Eber- 
stein, Korrespondenz Landgraf Georgs mit E. A. v. Eberstein (1889), 112. 

9 Dieser hatte geäußert: „Die fürstl. regierungsräthe musten eher sich die halse 
erschlagen lassen, alß daß sie sich underfangen wolten, dem commendanten vorzuschreiben'*. 
Freilich hatte Willich, wie Leydhecker S. 60 ff. zeigt, durch seine Anfrage bei der Re- 
gierung dieser die Entscheidung gewissermaßen übertragen. Daß zwischen Plesse und 
Willich ein persönlicher Gegensatz bestand, ersehen wir auch aus Eberstein, 43. — Für 
den Hergang geben die Akten im UAG (a. a. O.), besonders ein Bericht der Universität 
an ihren Kanzler Sinold vom 4. November, gute Aufschlüsse. 

10 Sie schickte ihm als Gegenleistung ein Ohm Wein, erhielt aber doch nicht die 
gewünschte Befreiung von Kontributionen (Geyso strich dieses Wort). Akten UAG, a. a. O. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniv 



i Gießen. 101 



Etwa vierzehn Tage nach der Besetzung der Stadt durch die Nieder- 
hessen, am 16. November nachts, begann die Einschließung und der Angriff 
gegen das von den darmstädtischen Truppen besetzte Schloß 11 . Drei Prinzen 
und fünf Grafen, die sich zum Studium in Marburg aufhielten und im 
Schloß Unterkunft gefunden hatten, verließen mit ihren Präzeptoren und 
Dienern Marburg und zogen nach Gießen. Dies war das Signal zu einer all- 
gemeinen Abwanderung der Studenten ; es hielt sie nichts mehr in der Uni- 
versitätsstadt, durch deren Straßen jetzt die Kugeln pfiffen, und sie kehrten 
auch, einmal aus der Musenstadt durch solche Vorgänge vertrieben, nicht 
wieder zurück. Es wird wohi nur ein kleines Häuflein gewesen sein, das die 
verödeten Lehrsäle nicht verließ. Bald wurden jetzt, dem Akkord zuwider, 
eine Menge weiterer Truppen in die Stadt gelegt und, gegen die Schutzbriefe, 
auch bei Universitätsbeisassen, z. B. Druckern, einquartiert 1 *. Infolge der 
auferlegten Kriegssteuer geriet die Universität mit der Bürgerschaft in Streit, 
in dessen Verlauf die letztere sogar die Hülfe der feindlichen Landgräfin 
gegen die Universitätsangehörigen anrief' 3 . Krankheiten brachen aus, und 
bei der Masse der ungebetenen Gaste, die mit Weib und Kindern eingezogen 
waren, drohte Teuerimg und Hungersnot in der Stadt. 

Der Landgraf war nicht in der Lage, Marburg zu befreien. Seine po- 
litische Stellung und seine Machtlosigkeit zwangen ihn, untätig zuzusehen, wie 
beide kriegführende Parteien in seinem Gebiete wie in Feindesland hausten 1 *. 
Die tatsächliche Macht des Landgrafen reichte in diesen Jahren zeitweise nicht 
über den Schußbereich der Kanonen von Gießen hinaus. So hoffte die Uni- 
versität, in Osnabrück und Münster die hochmögenden Gesandten von Schwe- 
den und Frankreich als den Bundesgenossen Kassels für die Befreiung Mar- 
burgs zu interessieren. Der Kanzler der Universität, Just Sinold gen. Schütz, 
der sich als Gesandter seines Landgrafen in Osnabrück aufhielt, sparte keine 
Mühe und erhielt auch beruhigende Versicherungen 1 "', die jedoch auf die 
Lage der Dinge gänzlich einflußlos blieben, da sich die Kasseler Lindgräfin 
von ihrer Absicht nicht abbringen ließ. Die Universität selbst wandte sich 
in besonderen Schreiben an die französischen und schwedischen Gesandten, 
ja selbst an den König, die Königin und die Minister von Frankreich, sodann 
an die Königin von Schweden, der gegenüber man hauptsächlich die Gefahr 
der rechtgläubigen lutherischen Universität geltend machte, an den Kanzler 



11 Das folgende nach dem Bruchstück einer wahrscheinlich für den Landgrafen 
bestimmter ausführlichen Schilderung der Vorgänge, von der Hand Feurboms (UAG). 

11 Anfangs hatte die Universität, um die Bürgerschaft iu entlasten, die Einquartie- 
rung bei einigen Beisassen gestattet, bald aber belegte man auch andere, ohne lange tu 
fragen. Quartierzettel u. Akten UAG, a. a. O., und UAM, IV, i, No. 3. Vgl. Bücking, 162, 

" Akten UAG, S. XIII: Befreiung von bürgert. Lasten. 

'« Vgl. für 1645 u. a. Walther, Darmstadt, wie es war und wie es geworden (1865), 88f. 

" Sinold-Schüti an Univ. Marburg, 1645 Nov. 14 u. 19, Or. UAG, S. XXI, 2. 
Vgl. auch weiter unten. 





302 Fünfter Abschnitt. 

Oxenstierna und schließlich an den Grafen Peter Brahe, der einst als Oießener 
Student Feurborns Tischbursche gewesen war 16 . 

.Während all dieser Verhandlungen schritt die Belagerung des Schlosses 
Marburg weiter fort, und endlich, am 15. Januar 1646, kam es zur Kapitu- 
lation : Der Kommandant Oberstleutnant Willich erhielt freien Abzug nach 
Gießen, wo man dem alten Offizier alsbald den Prozeß machte 17 . Jetzt erst 
konnte die Eroberung der oberhessischen Hauptstadt als gesichert gelten, und 
nun ging die Landgräfin einen Schritt weiter, indem sie, wie wir sehen 
werden, in aller Form die Regierung des eroberten Landes ergriff. 

Die Universität mußte dadurch in eine verzweifelte Lage geraten. Schon 
bisher hatte ihre Lebensfähigkeit eine harte Probe ausgehalten : Im eroberten 
Land, seit langem ohne Gehalt, führten die Professoren mit den wenigen Stu- 
denten die akademische Tätigkeit fort Auch die Zahl der Professoren war 
zusammengeschmolzen: Professor Sinold-Schütz war, wie erwähnt, Gesandter 
in Osnabrück, Le Bleu führte in Paris die Geschäfte seines Fürsten 18 , Schupp 
war im Winter 1645/46 nach der Zerstörung seines Marburger Landhauses 
Avellin als Hofprediger in die Dienste des Landgrafen Johann von Hessen-Brau- 
bach getreten 19 . Jetzt, im Februar 1646, da man das Schlimmste befurchten 
mußte, flüchteten die Professoren die wichtigsten Dokumente, die Szepter 
und Siegel der Universität, auch im März „bey sehr großer gefar und nächt- 
licher weill 11 die Rektoratsbüeher durch treue Leute nach der Festung Gießen 20 . 



10 Univ. an Landgraf Georg, Nov. 20 u. 23, Kzte. ; Landgraf Georg an Univ., 
Nov. 28, Or. a. a. O. ; Gießener Rat Mentzer an Prof. Hanneken, 1646 Jan. 28, Or. UAG, 
S. I, 2. — Am Hofe zu Stockholm war man noch gegen Weihnachten über das Schick- 
sal der Universität im unklaren; es scheint, daß das Schreiben an die Königin nicht an- 
gekommen (oder gar nicht abgeschickt?) sei. Am 20. Dez. 1645 schreibt der darmstädtische 
Gesandte in Stockholm, Joh. Christian v. Boyneburg an den Marburger Prof. Joh. Konr. 
Dieterich: „Quereris quidem de infortunio vestro, de quo rumor quidam aliquot per dies, 
antequam a vobis quiequam scriptionis obtinui, coepit increbescere ; at cur non exaetius 
omnia memoratis, mihi ut plenior inde fides constet? Quidni ubi sis loci addis? Areopyr- 
gum ignotum est oppidum, unde se venire literae tuae gloriantur [B. mißversteht die Grä- 
zisierung von Marburg, Martisburgum = Areopyrgum]. Forte estis in arcem prope Mar- 
purgum omnes compacti, contrusi, convoluti. Hern miseros I . . .". J. C. de Bo ine bürg 
epistolae ad J. C. Dietericum, ed. Meelf (ihrer (1703), 20 f. Wir erfahren aus demselben 
Brief (S. 25), daß die Königin die Angriffe der Niederhessen mißbilligte, aber keine bin- 
denden Zusagen gab. 

17 Vgl. hierfür bes. Leydhecker, 70 ff., der auch die Streitfrage behandelt, ob 
Willich das Todesurteil verdient hat, das wenige Tage nachher auf dem Markte zu 
Gießen an ihm vollzogen wurde. — Schupp scheint in seinem „Freund in der Not" (Neu- 
druck Halle 1878, 15) auf diesen Fall anzuspielen. 

18 Rat Mentzer an Hanneken, 1646 Jan. 28, Or. UAG, S. I, 2; 1646, Juni, war Le 
Bleu in Gießen als Hauslehrer der Prinzen (s. u.), 1647 Generalauditeur der hess.-darm- 
städt. Truppen (Eberstein, 182, 187). 

*» Vgl. Th. Bischoff, J. B. Schupp (1890), 17. 

20 Akten UAG, S. XXI, 2; Ökon.-Rechn., 1646, UAG, Adm.; Tileman an Vize- 
kanzler Fabricius, Febr. 12, Or. St AD, Marb. Succ. 81. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 303 

Wir können es begreifen, wenn sie selbst gleichzeitig bitten, sie aus Marburg 
abziehen zu lassen, falls sie propter constantiam von den calvinistischen 
Feinden nicht geduldet würden, worauf der Landgraf, unfähig ihnen zu 
helfen, sie zur Treue und zum Ausharren ermahnte 21 . Bald zeigte sich, auf 
welche Probe sie weiterhin gestellt werden sollten. 

Die Landgräfin gab nach Bezwingung der Hauptstadt und weiteren 
Fortschritten in Oberhessen ganz offen die Absicht kund, sich ihr Recht 
selbst zu nehmen 22 . Am 10. Februar traf eine von ihr abgeschickte Regie- 
rungskommission in Marburg ein und lud auf den 12. die darmstädtischen 
Regierungsräte, das geistliche Ministerium, die Universität und den Stadtrat 
zu aufeinanderfolgenden Stunden ein, um von ihnen die Huldigung für 
Kassel zu verlangen 23 . Alle leisteten natürlich entschiedenen Widerstand. 
Nun wurde die darmstädtische Regierung abgesetzt und ihre Kanzlei mili- 
tärisch bewacht, die Geistlichkeit, die das verlangte Huldigungsgelöbnis durch 
Handschlag verweigerte, bis auf weiteres entlassen, der Stadtrat aber samt 
der Bürgerschaft wurde am folgenden Tage durch Drohungen zum Hul- 
digungseid gezwungen 24 . Der Universität gegenüber 25 , deren Mitglieder in 
Begleitung eines Notars und zweier Zeugen erschienen waren, legte der Führer 
der Kasseler Kommission, Vizekanzler Deinhard, in ausführlicher Rede noch- 
mals die ganze Hochschulstreitfrage seit Philipps Zeiten dar und führte aus, 
daß die Landgräfin sich befugt erachte, sich der Universität wie des ganzen 
marburgischen Oberhessens mit Gewalt zu bemächtigen; würden die Uni- 
versitätsangehörigen den Huldigungseid 26 gutwillig leisten, so wolle sie die 
Hochschule bei ihrer Religion und ihren Rechten schützen und der Pro- 
fessoren Gehaltsrückstände soviel als möglich bezahlen lassen. Als Sprecher 
der Professoren erwiderte Breidenbach, die Glieder der Universität seien durch 
den Diensteid und den von ihnen beschworenen Hauptvertrag von 1627 ge- 
bunden; er blieb auf seinem ablehnenden Standpunkt auch, als man die über 
die Marburger Frage erteilten, für Kassel günstigen Fakultätsgutachten 27 den 
Professoren überreichte: Ehe Landgraf Georg sie ihrer Pflichten erlasse, 
könnten sie keine neue Huldigung leisten; doch wollten sie ihrem Fürsten 
Bericht senden. 

21 Univ. an Landgraf Georg, Febr. 7, St AD a. a. O.; Landgraf Georg an Univ., 
Jan. 30, Febr. 13, Or. UAG, S. XXV, 2. 

M Vgl. die Schriften in den Acta Marpurgensia (1646), 502 ff., 507 ff. 

28 Vgl. Theatrum Europaeum V, 792. Univ. Marburg an Sinold-Schütz, Febr. 18, 
Kzt, UAG a. a. O. 

24 Vgl. Bücking, 166. Die Verhandlung mit dem Stadtrat ist abgedruckt ZfhG, 
N. F. VI (1877), H4ff., mit der falschen Jahreszahl 1645. 

25 Univ. Marburg an Landgraf Georg, 1646 Febr. 13, Kzt.; Notariatsinstrument über 
die Verhandlung der Univ. mit der Kommission, aufgenommen v. Notar B. Sigler und 
den Zeugen Mag. B. Samson und Mag. H. Bauer, beide aus Riga, Abschr. UAG a. a. O. 

26 „Den von Alters bey der Universität herkommenen Eid" (Theatr. Eur. V, 792) 
im Gegensatz zu der bei der Darmstädter Okkupation neu eingeführten Formel. 

27 S. Acta Marpurgensia, 159 — 283. 




Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Land es Universität zu Gießen. 505 

Auseinandersetzungen über Recht oder Unrecht der niederhessischen Okku- 
pation nicht einlassen, sondern müßten den einmal geleisteten Pflichten treu 
bleiben, während des Streites der Parteien „stille sitzen" und sich in fremde 
Händel nicht einmischen. Ihre Haltung richte sich nach dem Dichterwort : 

Omnia si perdas, famam servare memento, 

Qua seme! amissa postea nullus cris — 
und nach dem Sprichwort: Out verloren, etwas verloren, Ehre verloren, 
alles verloren. 

Vergebens wandte Deinhard ein: Durch die kriegerische Okkupation 
sei die Lage so verändert, daß die alten Eide hinfällig seien; auch könne 
Landgraf Georg seine Universität nicht schützen, und wo der Schutz aufhöre, 
da höre auch die Wirkung des geleisteten Eides auf. Vier Wochen Bedenk- 
zeit war das einzige, was den Professoren noch zugestanden wurde; einst- 
weilen wollte Deinhard ihr Versprechen annehmen, daß — wie es im Uni- 
versitätsbericht heißt, — ,,wir wolten stille sitzen, uns der sachen nichts an- 
nehmen, weder schriftlich, noch mündlich wieder die Casseler negotüren, keine 
verdechtige correspondenz mit andern darüber halten, im rath uns nicht fin- 
den lassen, wo etwas dawieder gehandelt werden solle". Der Kasseler Kom- 
missar verdrehte also listig die Worte Breidenbachs, um viel mehr hineinzu- 
legen, als die Professoren versprechen wollten. Breidenbach rügte das auch 
sofort und stellte es richtig. Nun drängte aber Deinhard zu einer solchen 
Neutralitätserklärung, wie er sie dem Professor bereits in den Mund gelegt 
hatte: Die Universität solle sich in keine Verhandlung über die Streitfrage 
weder mit ihrem Landgrafen noch mit sonst jemand einlassen. „Würden 
wir darwider thuen, so solte uns aller schütz aufgesagt sein". Hiergegen 
erklärten die Theologen, ihr Amt bringe es mit sich, daß sie gegen die Religions- 
irrtümer der Kasseler predigen, also gegen die Kasseler handeln müßten; 
ebenso seien sie verpflichtet, ihrem Landesherrn ihren geistlichen Rat auch in 
politischen Dingen nicht zu versagen usw. Deinhard erwiderte auswei- 
chend : Über das Verhalten der Geistlichen habe er noch keine Weisung", 
aber den Professoren befehle er im Namen der Regentin, sich aller gegen 
Kassel gerichteten Handlungen zu enthalten, bei Verlust des Schutzes und 
bei Strafe. Hiergegen protestierten die Professoren und verließen die Be- 
ratung. 

Als die Universität ihren Bericht über diese Vorgänge an den Land- 
grafen sandte, richtete sie zugleich die Bitte an ihn, ihr Weisung zu geben, wie 
sie den nach Ablauf der vierwöchigen Frist zu erwartenden „harten, leib 
und seelen quelenden pressuren" entgehen könne. Der Fürst, ihre Standhaftig- 
keit lobend, überließ es den Professoren selbst, ein Gutachten darüber abzu- 

« Die Geistlichkeil zeigle ihre Treue gegen Darmstadt in sehr herausfordernder 
Weise, indem sie in Predigten diejenigen angriff, tiie der Kasseler Landgräfin huldigten ; 
auch sie erhielt vier Wochen Frist zur Huldigung, jedoch erst am [9. März. Acta Mar- 
purgensia, 5 1 7 ff . 

Jji ■ 1 ' ... (.'■■ '0 



?o6 Fünfter Abschnitt. 

geben, ob eine Verlegung der Hochschule ratsam sei ; er selbst befürchte, daß 
in diesem Falle die Kasseler Partei vorgebe, die akademischen Lehrer hätten 
ihre Universität ohne Not verlassen, und hieraus einen neuen Rechtsgrund 
für sich mache 37 . Der Gedanke der Auswanderung wurde dennoch lebhaft 
erwogen, als in den nächsten Tagen Angehörige der Universität, die Buch- 
drucker, der Ökonom und der Vogt, gegen das Abkommen zum Eid ge- 
zwungen wurden ; man vermutete, es werde den Professoren nach Ablauf der 
gestellten Frist ebenso ergehen 88 . Doch scheint Landgraf Georg die Geneh- 
migung zum Auszug nicht erteilt zu haben. Die Professoren blieben, wo 
sie waren, und sahen der nahenden Gefahr mutig ins Gesicht: Noch bevor 
die vier Wochen abgelaufen waren, schrieb die Universität an die Land- 
gräfin selbst und wiederholte ihre Weigerung 39 . Die Regentin aber zögerte 
mit ihrer Antwort 40 . 

Während dieser Ereignisse hatte die Kasseler Kommission mehrfach 
versucht, in das Universitätswesen einzugreifen. Vor allem richtete sie ihr 
Augenmerk auf die Professoren, die sich in der letzten Zeit aus Marburg ent- 
fernt hatten, um im Dienste ihres Landesherrn anderweit tätig zu sein. Kassel 
erlaubte sich hierüber eine Kontrolle. So wurde am 9. März der in Gießen 
beim Landgrafen weilende Jurist Walther vorgeladen, er entschuldigte sich 
aber 41 . Später erließ die Regentin selbst eine Zitation der Professoren 
Feurborn, Horst und Le Bleu, die sich zum Schaden der studierenden Jugend 
von Marburg entfernt hätten und in Gießen „ein und ander ungeziemender 
negotiationen und händel sich unterfangen und anmaßen sollen"; wenn sie 
sich nicht innerhalb vier Wochen wieder in Marburg einfänden, würden ihre 
Stellen anderweit besetzt werden". Die Absicht der Kasseler Regierung, die 
vorkommenden Vakanzen in der Universität zu benutzen, um kasselisch ge- 
sinnte Leute einzudrängen, war bereits vorher mehrfach hervorgetreten. Abzu- 
setzen wagte man die vorhandenen Professoren nicht, aus Scheu vor dem Auf- 
sehen, das dadurch auf dem Friedenskongreß entstehen würde, und um dem 
Darmstädter Landgrafen nicht eine Waffe in die Hand zu geben. Kaum aber 
war der Professor B. Mentzer (II.) einem Rufe nach Rinteln gefolgt, als die 
Kasseler Räte vom Schloß ein Schreiben an die Universität erließen, „daß sie 



87 Landgraf Georg an Univ., März 17, Or. UAG a. a. O. 

88 Univ. an Landgraf Georg, März 17, 19, Kzte. a. a. O. 



s » 3 Kzte. v. 28. u. 27. (?) März a. a. O., letztere Fassung erbittet für den Fall 
der Ausweisung Frist zur Veräußerung und Wegbringung des Besitzes. 

40 Am 9. April bestätigte sie den Empfang des Universitätsschreibens vom 28. März 
und stellt ihre Resolution „mit nechstem" in Aussicht. Abschr. a. a. O. 

41 Kass. Räte an Walther, März 9, Abschr.; Walther an Univ., März 12, Land- 
graf Georg an Univ., März 12, Or. UAG, S. I, 2. 

42 Beglaub. Abschr. d. Zitation v. 21. Mai, UAG, S. XXI, 2. Feurborn war als 
stellvertretender Hofprediger, Le Bleu als Lehrer der Prinzen, Horst als Leibarzt am 
Hofe in Gießen. Die Entschuldigungsschreiben von Feurborn u. Le Bleu sind im Kzt. er- 
halten, a. a. O. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 307 

weder uff heim landgraff Qeorgens zu Heßen sich etwan anmasenden befehl, 
noch auch vor sich zu solcher stelle keine andere person vociren weniger be- 
stellen, sondtern hierin mit unserer gnedigen fürstin vorbewust" ver- 
fahren sollten, widrigenfalls „nicht allein der vocatus mit schimpf zurückge- 
wiesen, sondern auch der herrn unzimliches beginnen und vornehmen nicht 
ungeandet bleiben würdt" 43 ; die Universität teilte mit, die Professur sei schon 
wieder besetzt, indem man sie mit einer andern vereinigt habe* 4 . Dieser Ge- 
brauch nämlich hatte sich in der letzten Zeit als praktisch erwiesen, da die 
Einkünfte der Universität längst nicht mehr für die volle Zahl der Professoren 
ausreichten und die geringe Zahl der Studenten nicht mehr so viele Lehrer 
. erforderte. Ober diesen Fall scheint sich denn auch die Kasseler Kom- 
mission beruhigt zu haben, die Universität aber war jetzt gewarnt und sah 
sich für künftige Fälle vor. iWan beschloß einfach, keine Vakanz mehr ein- 
treten zu lassen. Als der Veteran unter den Professoren, der Poet Bach- 
mann, erkrankte, verfügte der Landgraf für den Fall seines Todes die Ober- 
tragung seiner Funktionen auf die Professoren Christiani und Hanneken 45 . 
Kassel ließ sich freilich diesmal doch nicht beschwichtigen, sondern die Land- 
gräfin erklärte, sie werde auf eine geeignete Person für diesen Lehrstuhl be- 
dacht sein 46 — ein Vorhaben, das jedoch nicht zur Ausführung kam. 

In diesen Zeiten der bitteren Not, in denen die Professoren nicht 
wußten, wovon sie eigentlich leben sollten, die Beisassen aber mit Einquar- 
tierung belegt waren, der sie außer Speise und Trank auch noch wöchent- 
lich eine Geldsumme geben mußten 47 , in diesen Zeiten hatte die Kasseler 
Kommission auch noch die Stirn, von der Universität einen Beitrag von 
60 Talern, zahlbar innerhalb drei Monaten, zur Befestigung der Stadt zu ver- 
langen. Landgraf Georg verbot sofort die Leistung, und die Universität berief 
sich entrüstet auf ihre Privilegien und auf die schwedischen, französischen, 
hessischen Schutzbriefe, sowie auf die Erklärung der Landgräfin, die sie zu- 
gunsten der Universität auf dem Friedenskongreß hatte abgeben lassen 48 . An- 



48 Vom 17. März, Abschr. a. a. O. 

44 Univ. an Landgraf Georg, März 17, Kzt., Antwort des Landgrafen, April 20, Or. 
a. a. O. 

45 Landgraf Georg an Univ., April 25, Or. UAG, S. VI, 7, 1641/70; Hanneken er- 
hielt das Bibliothekariat, Christiani die Professur, wozu durch Dekret v. 1. Mai noch die 
Dienstwohnung kam (Or. m. S., UAG, S. VI, 3, 1 606/1 700). Bachmann starb am 27. April, 
und schon am gleichen Tage unterzeichnete Christiani ein Schriftstück als „Eloquent., 
mathem. et poes. prof. ordin.", woraus zu ersehen, daß Christiani bereits früher Schupps 
Professur der Eloquenz zu der seinigen erhalten hatte. — Hanneken verließ bald nach- 
her ebenfalls die Universität, Bibliothekar wurde Ebel. 

46 Landgräfin Amalie Elisabeth an Univ., Mai 9, Or., Landgraf Georg an Univ., 
Mai 22, Or., Univ. an die Landgräfin, Juni 11, Kzt., UAG, S. XXI, 2, Antwort der Land- 
gräfin, Juli 3, Or. UAG, S. I, 2. 

47 Diesen Umstand erwähnt das Schreiben der Univ. an den Landgrafen vom 
13. März. 

48 S. unten. 

20* 



308 Fünfter Abschnitt. 

dererseits baten die übrigen Universitätsglieder, man möge nicht die Pro- 
fessoren befreien und ihnen die Last auflegen. Der Protest der Universität 
war wirksam : Die Regentin verzichtete auf die Zahlung 4 ». 

Einige Wochen später erließ die Landgräfin auch die lange verzögerte 
Entscheidung in der Huldigungsfrage 50 : Huldigungseid und Gelöbnis wurden 
den Universitätsgliedern erlassen, doch schriftliche Versicherungen verlangt, 
daß sie gegen das Haus Kassel nichts vornehmen und Landgraf Georgs Be- 
fehle nicht befolgen wollten. Die Forderung, die Deinhard provisorisch 
während der Bedenkfrist gestellt hatte, wurde hier für die Dauer den Univer- 
sitätsangehörigen angesonnen. 

Wir würden nun nicht verstehen, wie die Landgräfin dazu kam, ihr 
vorher so schroff betontes Verlangen fallen zu lassen und eine — wenig- 
stens scheinbar — mildere Form zu wählen, wodurch die Universität un- 
schädlich gemacht werden sollte, wenn wir nicht unsere Aufmerksamkeit dem 
Friedenskongreß zuwenden und feststellen würden, wie weit das Schicksal 
unserer Universität in Osnabrück und Münster eine Rolle in den Verhand- 
lungen spielte. 

Die Lage Landgraf Georgs nach dem übermächtigen niederhessischen 
Angriff war die denkbar ungünstigste. Er hatte kein Heer, das den kriegsge- 
übten Niederhessen gewachsen war, konnte ein solches auch in seinem rui- 
nierten und entvölkerten Land unter den Augen des Feindes nicht bilden, und 
auf Hülfe vom Kaiser war für die nächste Zeit nicht zu rechnen. Es blieb 
ihm nur die Rolle eines Bittstellers bei den Kronen von Schweden und Frank- 
reich. Und auch hier konnte er keine Hülfe erwarten, sondern nur das Zu- 
geständnis der Neutralität, die Anerkennung, daß es sich im vorliegenden 
Falle um eine Privatfehde der beiden hessischen Linien handele, höchstens 
noch gelinde Vorstellungen am Kasseler Hofe gegen eine allzustarke Miß- 
handlung und Aussaugung Oberhessens. Der Universität mußte er es in 
dieser Lage überlassen, für sich selbst zu sorgen. Wie bereits erwähnt, warder 
eine der beiden darmstädtischen Gesandten am Friedenskongreß, der Vize- 
kanzler und Professor der Rechte an der Universität Marburg, Just Sinold, 
genannt Schütz 61 . An ihn, als ihren Kollegen, richteten denn auch die be- 
drängten Professoren ihre Gesuche um Verwendung bei den übrigen Friedens- 
gesandten. Schon bei dem Schwedeneinfall im Frühling 1645 52 sandte die 
Universität einen Bericht an Sinold und bat ihn, bei den Vertretern Schwe- 



* 9 Akten UAG, S. I, 2, u. S. XXI, 2. Mit dem Obersten Stauf, niederhessischen 
Kommandanten von Marburg, verhandelte für die Universität Prof. Christiani. Die letzte 
Verfügung der Landgräfin in dieser Sache ist vom 9. Mai. 

50 1646 Mai 30, präs. Juni 15, Or. UAG, S. I, 2. Ähnlich am 1. Juni an die Geist- 
lichkeit: Henke, Die Eröffnung der Univ. Marburg 1653 (1862), 46. 

61 Der andere war J. J. Wolff v. Todenwarth, der Bruder des ehem. Kanzlers An- 
ton W. v. T. 

52 S. oben S. 247. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversitat zu Gießen. 309 

dens alles daranzusetzen, daß der schwedische Schutzbrief für die Univer- 
sität auch auf die Stadt Marburg ausgedehnt werde, weil sonst die Univer- 
sität ebenfalls gefährdet sei 63 . In diesen Verhandlungen erfahren wir 5 *, daß 
der schwedische Gesandte Salvius der Universität Marburg sehr wohlgesinnt 
war; er hatte selbst zwei Jahre dort studiert und hielt Marburg „sonderlich 
wegen der religion . . . vor die vornembste Universität in Teutschland". Der 
Religionspunkt war es überhaupt, der die Schweden den -Vorstoß der calvi- 
nistischen Niederhessen gegen das lutherische Oberhessen mit Mißbilligung 
betrachten ließ 55 . Schwedens Haltung gegen Landgraf Georg war deshalb 
nicht feindselig, bis dieser endlich (1647) kaiserliche Truppen zum Schutz 
heranzog. 

Mit Salvius suchte dann die Universität auch unmittelbar Fühlung, in- 
dem sie ein höfliches lateinisches Schreiben an ihn abließ 56 . 

Der Handstreich der Niederhessen gegen Marburg erregte auf dem Frie- 
denskongreß peinliches Aufsehen ; man hatte nicht erwartet, die Friedensver- 
handlungen durch neue kriegerische Ereignisse von ungewisser Tragweite ge- 
stört zu sehen. Schweden mißbilligte offen das Vorgehen der verbündeten 
Landgräfin. Die französischen Gesandten zeigten wenigstens Mitleid mit der 
Universität und erklärten sich bereit, ein gutes Wort bei der Landgräfin ein- 
zulegen, damit die Besatzung aus Marburg genommen werde, wenn sie auch 
glaubten, im übrigen das Vorgehen Kassels unterstützen zu müssen 57 . Die 
bereits erwähnte Bittschrift der Universität an den Grafen d'Avaux, Frank- 



55 Vom Landgrafen genehmigtes Kzt., 1645 J 1 " 1 * '6, UAG, S. XXI, 2. 

54 Sinold an Univ., 1645 J un i IO > Osnabrück, Abschr. a. a. O. — Salvius steht 
unter dem 14. Nov. 161 5 in der Marburger Matrikel. 

w Kassel hatte bereits im Frühjahr 1645 vergeblich versucht, Schweden zur Ver- 
teidigung des Calvinismus zu veranlassen, vgl. Gärtner, Westphäl. Friedens-Cantzley V, 94. 

66 1645 J u ü 4> Kzt., UAG, a. a. O. Erwähnt mag ferner sein, daß damals die Univ. 
durch Prof. Le Bleu an einer erfolglosen Gesandtschaft nach Kassel teilnahm (Univ. an die 
Gesandten Wolff u. Sinold-Schütz, Juli 4, Kzt. Feurborns a. a. O.). 

57 Sinold an Univ. Nov. 14 u. 19, an Prorektor Walther Nov. 14, Or. a. a. O. ; Be- 
richt der kaiserlichen Gesandten an den Kaiser bei Gärtner, a. a. O. VII, 29. Sinold be- 
richtet u. a. : „Der hertzog Von Longueville [französischer Prinzipalgesandter] sagt mir vor 
wenig tagen selbst, das er der statt Marpurg wegen der Universität verschont habe" (im 
Frühjahr 1640); die Univ. möge sich schriftlich an die djei Gesandten Frankreichs 
wenden. In der eigentlichen hessischen Streitfrage ist er sehr hoffnungsvoll: „In der 
hauptintention, so ew. magnificentz und meinen hochg. herren ich vertrawlich andeuten 
wollen, wird es den fürstl. Hessen Casselischen gar nichts vortragen, und daß, so daß Rom. 
reich bleiben und frieden vorm jüngsten tag gemacht werden soll, sie ihre intention 
nimmermehr erlangen werden". Die Stellung der Franzosen dagegen geht aus dem kaiser- 
lichen Bericht hervor: Sie haben „sich ungescheut vernehmen lassen, daß sie der frau 
landgräfin beystehen müsten, wann die sache auch noch so ungerecht wäre, und sey der 
M. d'Avaux sonst mit diesen formalicn hcrausgangen : Quod magni principes in dijudican- 
dis causis non semper attendant justitiam, sed sese ad id conflectant, quod ratio Status 
dictet". Für die Schätzung der Landgräfin in maßgebenden Kreisen vgl. auch Bougeant, 
Hist. des 30 jähr. Kr., hsg. v. Rambach II, 679 ff. 



;io Fünfter Abschnitt. 

reichs Vertreter in Osnabrück, schien Erfolg zu haben: Er zeigte der Uni- 
versität sein Wohlwollen und seinen eleganten lateinischen Stil in höflichen 
Schreiben 5 «, und Sinold, der seine Eitelkeit kannte und auf seine Vermitt- 
lung in Kassel fest rechnete, schlug vor, die Universität möge ihm eine be- 
sondere Ehrung erweisen. „Ein Carmen dürfte nictft viel geachtet werden, 
wan es allein ist ; wan aber einer unter meinen herren collegis wehre, der ein 
tractat publiciren fassen wolte, qui tanto viro ejusque religioni [er war streng 
katholisch und strebte nach dem Kardinalshut 59 ] conveniret, hette derselbige 
wohl eine gutte würckliche danckbarkeit zu gewarten wie auch die gantze uni- 
versitet desen zu geniessen" 60 . Einstweilen empfahl sich die Universität dem 
Franzosen in einem sehr ergebenen lateinischen Schreiben 61 , und Avaux ver- 
sprach auch wirklich dem Gesandten J. J. Wolff v. Todenwarth, „das er aufs 
eusserst sich bemühen wolle, dem corpori academico, alß welches er sehr 
liebe und venerire, hierin hülf zu thun, das sie mit allem newen angeloben 
von der fürstlichen fraw wittib zu Caßel ohnbeschwert bleiben solte" w . 

Bei Oxenstierna suchten die Kasseler eine für die Universität günstige 
Stimmung zu verhindern, indem sie die Vorstellungen Sinolds Lügen straf- 
ten, ihr Vorgehen in Marburg in Abrede stellten«» und außerdem allerlei er- 
fundene Dinge als lügenhafte Behauptungen der Darmstädter ausgaben« 4 . Es 
scheint in der Tat, daß die Kasseler durch ihre Einflüsterungen die Schweden 
von einem tätigen Eingreifen zugunsten der Universität abgehalten haben. Und 
doch war das Zutrauen der geängstigten Professoren zu dem glaubens- 
verwandten nordischen Reich so groß, daß in jenen Tagen, da man über 
den Auszug der Universität aus Marburg beratschlagte, im Kreise der aka- 



58 Vom 3./13. Febr. (? „ipsis Saturnalibus optirao dierum 1646") und 10./20. April, 
Or. a. a. O. 

M Vgl. den Brief v. 8. Dez. 1646 bei Bougeant-Rambach III, 454. 

60 Sinold an die Univ., Febr. 7, Or. a. a. O. Ob ein derartiger Traktat geschrieben 
wurde, weiß ich nicht. 

61 Febr. 16, Kzt. a. a. O. 

62 Sinold an Univ., März 7. Auch Wolff berichtete dem Landgrafen am 6. Man, 
Avaux stehe der Universität in der Huldigungsfrage „manibus pedibusque" bei; „die Cas- 
selische würden ihme auch hierinnen wohl zu willen seyn; allein müste solches mit vor- 
wissen seiner collegarum besehenen" (PS. des Prof. Walther an Univ., Gießen, 12. März, 
Or. a. a. O.). 

68 Sinold an Univ., März 7. Kassel suchte auch die direkte Verbindung der Uni- 
versität mit Osnabrück zu verhindern, so daß die Universität ihre Berichte über den Hof 
des Landgrafen zu Gießen befördern mußte (Univ. an Landgraf Georg, März 17, Kzt. a. a. 0.). 

64 Kassel gab vor, die Darmstädter Partei behaupte, man habe die huldigung- 
weigernden Professoren auf dem Schloß in Arrest genommen ; die Deputierten hätten ge- 
sagt : wenn sie unrecht hätten, solle Feuer vom Himmel fallen, und es sei Feuer vom 
Himmel gefallen, und einige, die den Huldigungseid geleistet, seien unsinnig geworden. 
Die Haltlosigkeit der Kasseler Angabe, wonach von den Darmstädtern derartige Märchen 
ausgesprengt worden seien, erweist Sinold in einem Schreiben an die Univ. v. 25. Man 
(Or. a. a. O.). Vgl. auch den später zu erwähnenden „Gründlichen Bericht" S. 12 u. 
dessen „Kurtze Abfertigung" S. 15 f. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 311 

demischen Lehrer der Gedanke geäußert wurde und lebhaften Anklang fand : 
Die Universität solle bis zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in 
Sequester und Verwaltung der schwedischen Regierung gestellt werden 65 . 

Aber von den Kronen kam der Hochschule noch keine Hülfe. Die 
Glaubensgenossen im Reiche waren es, die sich für sie verwendeten. Schon 
im Dezember 1645, unter dem frischen Eindruck des niederhessischen Hand- 
streichs auf Marburg und der Festsetzung der Kasseler im oberhessischen 
Gebiet, beschloß Herzog Christian Ludwig von Braunschweig eine Vermitt- 
lung anzubahnen; und im gleichen Sinne richteten die übrigen Stände 
Augsburgischer Konfession auf Betreiben Sijiolds die Bitte an die Regentin 
von Kassel, sie möge die besetzten Städte Oberhessens befreien, namentlich 
aber die Blockade des Marburger Schlosses aufheben „wegen % der Universi- 
tät und der daselbst studierenden Jugend" und sich der angebotenen Ver- 
mittlung bedienen 66 . Die Regentin suchte in ihrer Antwort vom 7. Januar 
1646 ihr Vorgehen zu rechtfertigen und stellte sich friedlich gesinnt, ohne 
dies doch in der Tat zu beweisen ; sie erklärte, die Universität in keiner Hin- 
sicht zu belästigen 67 . 

Wir haben gesehen, wie die Kasseler Bevollmächtigten trotzdem den 
Gliedern der Universität stark zusetzten, um sie zur Huldigung zu bewe- 
gen, und wie hierdurch die Universität in eine schlimme Lage geriet. Im 
März 1646 erneuerte Sinold daher seine Bemühungen. Im Fürstenrat führte 
er energisch Beschwerde gegen die Kasseler Übergriffe 68 . Am 27. März 
sandte er eine mit Belegen versehene Schrift an die Gesandten der evange- 
lischen Fürsten und legte die Unmöglichkeit dar, daß die Professoren und 
Prediger die verlangte Huldigung leisten könnten, und die Voraussicht, daß 
sie schließlich weichen und andern „widriger religion zugethanen" Platz 
machen müßten 69 . Und nun, am 29. März erließen „der Augspurgischen 
confession verwandten fürsten nacher Osnabrügk zu der algemeinen frie- 



66 Vorschlag von Hanneken mit Unterstützung von Feurborn, zustimmende Vota von 
Tonsor, Dieterich und Ebel (o. D., a. a. O., wohl zu dem Bericht vom 17. März). Die 
Begründung ist natürlich die, daß man in den Händen einer lutherischen Macht besser 
aufgehoben sei als jetzt. Feurborn schreibt an den Rand: „Ziehen wir hinweg, so ist hoch- 
zubesorgen, uns werden zum wenigsten heimliche Calvinisten succediren". 

66 Meiern, Acta pacis Westphal. II, 159, 160 (vom 14. u. 15. Dez. 1645); auch Ernst 
von Gotha, dem wir später in gleichen Bestrebungen begegnen werden, erbot sich, mit 
seinem Bruder WÜhelm und dem Braunschweiger Herzog zu vermitteln (Meiern II, 157). 

67 Meiern II, 235 ff. : „Unterdessen wollen die Herren nicht davor halten, daß der 
Univ. zu M. eben durch solche Einlogirung daselbst Hindernis oder Schaden und Nachtheil 
zugezogen werde, sondern es sind die professores und der Univ. Gliedmassen vielmehr von 
aller Einquartierung und Anlagen befreyct und deßfalls gnugsam salvaguardiret, es wird 
ihnen auch sonsten gehöriger Schutz gehalten und das geringste Leid nicht zugef üget". 

68 Sinold an die Univ., März 25, wo er die im Fürstenrate gebrauchten Ausdrücke 
z. T. wörtlich wiedergibt (UAG, a. a. O.). Es sind größtenteils dieselben, die sich in dem 
Memorial vom 4. Mai bei Gärtner, Westph. Friedens-Cantzley IX, 724 f., finden. 

«• Abschr. StAD, Univ. 6. 



312 Fünfter Abschnitt. 

denstractaten verordnete rhäte und abgesandte" ein Schreiben an die Land- 
gräfin, worin sie ermahnt wird, die Geistlichen und Universitätsangehörigen 
in Marburg nicht zur Huldigung zu zwingen, sondern sie in ihren Pflich- 
ten und Diensten ungehindert zu lassen bis zur Erledigung der streitigen 
Angelegenheit. Die Gesandten begründen ihre Einmischung mit der Be- 
fürchtung, daß die Universität sonst zugrunde gehe : „Sintemahl leichtlichen 
zu vermuthen, wofern ein oder der ander der angesonnenen pflichte halber 
sich von dannen begeben, würden sich andere unserer religion zugethane 
schwerlich hinwiderumb gebrauchen und, der gefahr halber, an deren stelle 
surrogiren lassen, weil keiner gerne den nahmen haben würde, das er an- 
derer migration zu seiner beförderung gebraucht hette, auf welchen fall 
gleichwol nicht allein die zuhörer ihrer prediger in manglung stehen, sondern 
auch die berütimbte Universität Marpurg zu der studierenden lieben jugendt 
schaden verderblichen abbruch leiden und in abnehmen kommen dorfte, da 
jedoch dem publico, welchen zum besten die jugendt daselbst löblich enu- 
triret und gelehret wird, hochviel und merklich angelegen ist, das dieselben 
ferner conserviret und in seiner beharrlichen subsistentz erhalten werde" 70 . 

Die Folge dieses Schreibens war zunächst die Verzögerung des Ent- 
schlusses der Regentin über die Universitätshuldigung. Bald aber kam der 
bedrängten Hochschule noch weitere Hülfe : Graf d'Avaux erfüllte sein Ver- 
sprechen, für sie einzutreten, und erließ am 10./20. April ein bewegliches 
Schreiben an die Regentin, das er im Original und in Abschrift der Universi- 
tät zuschickte, die nicht zögerte, es nach Kassel weiterzusenden 71 . 

Diesen Mahnungen vom Kongreß ist es zuzuschreiben, daß die Land- 
gräfin mildere Saiten aufzog. Sie erließ also der Universität die Huldigung 
unter den erwähnten Vorbehalten 72 und teilte diese Entscheidung den evan- 
gelischen Gesandten zu Osnabrück zur Beruhigung mit 73 , unter bitterer Klage, 
daß etliche der Professoren, deren Familien doch unter ihrem Schutz ständen, 
sich gegen Kassel in Rat und Tat gebrauchen ließen (nämlich die in Gießen 
weilenden, sowie Sinold); ähnlich sei es auch bei den Geistlichen. Der Eid wird 
„noch zur zeit" erlassen und nur die erwähnte schriftliche Zusage verlangt. 

Landgraf Georg faßte diese neue Wendung in dem Verhalten Kassels 
einfach als einen Versuch auf, den evangelischen Ständen Nachgiebigkeit 

™ Abschr. UAG, a. a. O. 

71 Hierbei ereignete sich der sonderbare Fall, daß die Universität von dem franzö- 
sischen Schreiben nicht Kenntnis nehmen konnte, weil der einzige Professor, der Franzö- 
sisch verstand, Le Bleu, in Gießen beim Landgrafen weilte. Das Schreiben wurde also 
nach Gießen geschickt, von Le Bleu ins Lateinische übersetzt und die Übersetzung nach 
Marburg zurückgegeben. Avaux an Univ., 10./20. April, Or., an die Landgräfin, vom gl. 
Tage, Abschr. (in franz. Spr.) und lat. Übers.; Sinold an Univ., April 15, eigenh. PS., 
Univ. an Landgraf Georg, April 30, Kzt. UAG, a. a. O. 

72 An Univ., Mai 30, präs. 15. Juni h. 9 m., Or. a. a. O. Gleichzeitig sandte sie 
einige Exemplare der neuesten Streitschrift in der Marburger Frage an die Universität. 

78 Meiern III, 592. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 313 

vorzuspiegeln, während man doch dasselbe oder noch mehr verlange wie vor- 
her 7 *. Und in Wahrheit war durch das Verlangen, daß die Professoren von 
ihrem rechtmäßigen Herrn keine Befehle annehmen sollten, praktisch für den 
Augenblick fast dasselbe erreicht wie durch eine Huldigung. Es schien da- 
her auch der Universität unannehmbar. Zunächst galt es jedoch, Zeit zu ge- 
winnen, um von neuem Helfer zu werben. Daher bat die Universität nach 
dem Empfang des Kasseler Schreibens zunächst um einen Monat Bedenkzeit, 
um sich auf die Zumutung zu erklären 75 und schrieb inzwischen an den 
schwedischen Gesandten Salvius, der, wie man hoffte, auf Kassels Be- 
Schlüsse günstig einwirken konnte 76 . Die Landgräfin genehmigte den Auf- 
schub, wenn sie auch seinen Zweck durchschaute 77 . Weiter hinausschieben 
ließ sich aber die Stellungnahme der Universität nicht mehr, und so er- 
klärte sich diese in einem Schreiben vom 20. Juli, dessen Konzept vom 
Gießener Hofe (Feurborn ?) stammte, folgendermaßen : Die Universität weist 
auch das Ansinnen der Landgräfin zurück, das als so großes Entgegenkom- 
men hingestellt wird, das der Neutralitätsreverse, unter wiederholtem Hin- 
weis auf die von den Universitätsangehörigen geleisteten Diensteide, sowie 
den von Vertretern der Hochschule auf den Hauptvertrag von 1627 geleisteten 
Schwur. Die Professoren bitten, die Landgräfin möge ihre Lage erwägen; 
es sei „nicht nur ohnverantwortlich und ohnthunlich, sondern auch gewissens- 
und ehrenhalber ganz ohnmöglich", das verlangte Versprechen zu leisten 78 . 
Auf diese mannhafte Erklärung scheint die Universität von der Regen- 
tin keiner Antwort gewürdigt worden zu sein, aber sie zeigte in der Folge- 
zeit, daß sie diese Erklärung als ihr letztes Wort in der Frage ihres Verhält- 
nisses zu Kassel angesehen wissen wollte. Mehrfach forderten die kasse- 



7 * An die Univ., Juli 16, Or. a. a. O. : „Alß zweifeln wir nicht, ihr werdet ab desselben 
inhalt die darin verborgen liegende und gebrauchte liste und zwar under anderm auch dieses 
gnugsam selbst erkennen, daß man Casselischen theilß gern die weld mit sehenden äugen 
gleichsam blind machen und die evangelische stände bey den allgemeinen f riedenstracten ( I) 
selbst in schreiben bereden wolte, daß ümb derselben intercession willen die Casselische zu- 
muthungen gegen euch sehr gemildert worden, indem sie nur einen schriftlichen revers oder 
schein von euch begehren, da es doch an deme, daß in demselben revers, welchen ihr mit 
hand und siegeln bekräftigen sollet, effective mehr begehret und weit ärger in euch und 
ewer gewissen gesetzt würd, alß fast durch die vorige zumuthung nicht beschehen mag". 
Der Landgraf übertreibt hier, in der Absicht, die Universität zu einer glatten Absage an 
Kassel zu bestimmen. Die Landgräfin hatte tatsächlich etwas nachgegeben, nur nicht ge- 
nug, um die Forderung annehmbar zu machen. 

75 An die Landgräfin-Regentin, Juni 24, Abschr. a. a. O. 

76 Juni 30, Kzt. a. a. O. Wie aus einer Mitteilung des Rektors an den engeren Se- 
nat vom 23. Juni hervorgeht, hat Schupp, der sich eben in Marburg aufhielt, das Schrei- 
ben aufgesetzt. (Seh. war damals, wie unten noch zu erwähnen, in Familienangelegen- 
heiten in Oberhessen.) — Sinold gab (an Rektor Tileman, Juli 8, eigenh., a. a. O.) wenig 
Hoffnung auf Erfolg. 

77 „Ob es wohl eine vergebliche außflucht und zu befließenem uffenthalt der sachen 
ahngesehen", Landgräfm Amalie Elisabeth an Univ., Juli 3, Or. a. a. O. 

7 » Kit a. a. O. 



314 Fünfter Abschnitt. 

lischen Räte in Marburg den Rektor auf, in ihre Kanzlei zu kommen, es sei 
ein Spezialbefehl der Landgräfin da, den sie ihm mitteilen müßten, aber er 
lehnte es ab. Nur ein anderer Professor durfte hingehen, um die Mitteilung 
ad referendum zu nehmen. Dem Professor Christiani, der dieses Geschäft 
übernahm, wurden in der Kanzlei drei Punkte vorgelegt, deren Inhalt fol- 
gender gewesen zu sein scheint 79 : Zunächst ließ die Regentin erklären, sie 
werde nichts unterlassen, was zur Aufrechterhaltung ihres Rechtes diene; 
ferner, sie sei befriedigt, daß die Lectio legum, die herkömmlich Anfang 
Juli stattzufinden hatte, diesmal, ihrem Wunsche entsprechend, unterblieben 
sei 80 ; schließlich beschwerte sie sich, daß der Universitätsdrucker Vulpius das 
von seiten Darmstadts gegen Kassel veröffentlichte Manifest verkaufe. Von 
der abgelehnten Forderung Kassels ist, wie es scheint, gar nicht mehr die 
Rede gewesen. Die Professoren nahmen die Mitteilung zur Kenntnis und ant- 
worteten nicht darauf. Aber sie befürchteten, man werde sie zu gelegener 
Zeit einfach entlassen und beratschlagten über die Flüchtung des Inventars 
und besonders der Bibliothek. 

Einstweilen ließ man sie jedoch in Ruhe. Dieses Verfahren hatte seine 
Gründe. Schweden war mit einem scharfen Vorgehen gegen die Universität 
und die stets pari passu mit ihr agierende Landgeistlichkeit durchaus nicht 
einverstanden. Der Kasseler Vizekanzler Deinhard schrieb damals ganz ärger- 
lich: „Die Schweden sind uns bey dieser sachen sehr hinderlich" 81 . Hierzu 
kam bald darauf die Aussicht auf einen friedlichen Ausgleich der Parteien, der 
damals namentlich durch den jungen darmstädtischen Rat Johann Christian 
von Boyneburg 8 * angebahnt wurde, und von dem noch die Rede sein wird 85 . 

Immerhin versuchte die Landgräfin auch weiterhin Hoheitsrechte gegen- 
über der Universität auszuüben. Im Sommer 1646 verließ nämlich der Theo- 
loge Meno Hanneken Marburg, da er eine Superintendentenstelle in Lübeck 
der bedrängten Lage eines hessischen Professors vorzog 84 . Nun hatte die 



79 Die Aufzeichnung darüber fehlt im UAG, doch läßt sich aus dem Universitätsschrei- 
ben an Landgraf Georg vom 2. Aug. (Kzt. UAG, S. I, 2) der Inhalt schließen. 

80 Den wahren Grund gibt der oben erwähnte Bericht charakterist isch an: „Dieweil 
der numerus professorum et studiosorum sehr gering und woll gar niemandt hineinkommen 
mögte, auch ganz kein mittel entweder bey der academi oder in der ganzen statt einigen 
ehrentrunck zuwegen zu bringen und ufzusetzen vorhanden, alß hatts nothwendig differirt 
werden müssen". Daß der Mangel an Genießbarem ein Hauptgrund der Unterlassung war, 
ergibt auch die Umfrage des Rektors vom 28. Juli (UAG, S.: Praelectio legum). 

81 In dem gleich zu nennenden abgefangenen Schreiben. 

82 Über seine Person vgl. Ersch und Gruber, Enzyklop. XII, 1 77 ff., ADB III, 222 ff. 
Eine Biographie Boyneburgs von Joannis, bearb. von Senckenberg, befindet sich hand- 
schriftlich in der Gießener Universitätsbibliothek (Hdschr. 915). Vgl. auch in MOGV II 
(1890) Schupps Briefwechsel. 

83 Boyneburg war nach einjährigem Aufenthalt in Schweden, ohne für Darmstadt viel 
erreicht zu haben, heimgekehrt und wurde nun zu Verhandlungen in der hess. Streitsache 
benutzt. Vgl. Rommel VIII, 707, und seinen Brief an Dieterich (ed. Meelführer), 37 f. 

84 Ein Glückwunschbrief an Hanneken, daß er „ex academia hei olim florentissima, 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 315 

Kasseler Regierung längst die Absicht, einen calvinistischen Prediger in Mar- 
burg anzustellen, um so auch auf kirchlichem Gebiete in der Hauptstadt 
Oberhessens wieder Fuß fassen zu können 85 , und jetzt bot sich die Gelegen- 
heit, auf die durch Hannekens Abzug freigewordene Stelle eines Professors der 
Theologie und Stadtpredigers einen Theologen des niederhessischen Bekennt- 
nisses zu schicken 86 . Verstärkt wurde diese Gefahr für die Hochschule, als 
Feurborn, den der Landgraf noch immer an seinem Hofe festhielt 87 , erklärte, 
er könne nicht zwei Haushaltungen in Marburg und Gießen führen, und seine 
Familie nach Gießen kommen ließ 88 . Hiermit war noch eine zweite theolo- 
gische Vakanz faktisch geworden, wenn auch Feurborn seine Professur und 
sein Predigtamt nicht niederlegte und auch seine Dienstwohnung nicht räumte. 
Der Landgraf erklärte auf Anfrage, er habe über Hannekens Amt bereits 
verfügt, man könne dies dem etwa von Kassel geschickten Theologen an- 
deuten ; und Feurborn entwarf eine besondere Instruktion für den Fall, „wan 
wider alle hoffnung der Casselische prediger im auditorio theologico wurde 
predigen und im Kugelhaus zugleich wohnen wollen" 89 . Ebenso wurden die 
vakant gewordenen Amter eines Bibliothekars und Ephorus schleunigst wieder 
besetzt, damit niemand eingedrängt werden könne 90 . Unsere Nachrichten 
lassen uns^im Stich bei der Frage, ob denn Kassel mit seiner Absicht, einen 
Calvinisten als Theologen nach Marburg zu schicken, Ernst gemacht hat, 
und, wenn wir ex silentio negativ schließen, warum dies nicht geschah. 
Wahrscheinlich ist, daß die Rücksicht auf die lutherischen Schweden, die 
man sich nicht verfeinden ^durfte, ausschlaggebend war. 

Wir sehen, wie peinlich sich in dieser Zeit die politische Lage der 
Hochschule gestaltete. Das zusammengeschmolzene Häuflein der Professoren 
hielt wacker stand. Aber was das Maß ihrer Leiden vollmachte, und was 
vielleicht manchem von ihnen den Gedanken nahelegte, seinen Posten zu ver- 



jam, proh dolor, in se ipsa sepulta" zur Stelle in Lübeck gekommen sei, steht bei Seelen, 
Deliciae epistolicae (1729), 173. 

85 Den Darmstädtischen fiel ein Schreiben in die Hände, das vom Kasseler Vizekanzler 
Deinhard an den Marburger Vizekanzler Scharf gerichtet war, und das die Darmstädter 
Partei sofort als Beweismittel veröffentlichte. Die Kasseler richteten dagegen den „Gründ- 
lichen Bericht über dem von f. hess. Darmbst. seiten intereipirten . . Schreiben" (1646), und 
die Darmstädter antworteten mit der „Kurtzen Abfertigung deß Casselischen ubelgenanten 
gründlichen Berichts* 4 (Gießen 1646). Das Schreiben, vom 14. Aug. 1646 datiert, zeigt, daß 
man kasselischerseits zunächst unter dem Namen eines Regimentspredigers einen von der 
Landgräfin ernannten und besoldeten Pfarrer in Marburg einzuführen gedachte. Nun bot 
Hannekens Weggang einen günstigeren Anlaß. 

86 Akten UAG, S. I, 2. Bei der Umfrage wußte Tonsor zu berichten, die Persön- 
lichkeit, die man in Kassel im Auge habe, sei bereits auf vier Universitäten Prof. theol. 
gewesen. 

87 Weil der designierte Oberhofprediger Prätorius ausblieb. 

88 Feurborn an Rektor Tilcman, Sept 24, Or. UAG, a. a. O. 

89 Beide Schriftstücke a. a. O. 

90 Reskript vom 26. Okt., Or. a. a. O., Tonsor wurde Ephorus, Ebel Bibliothekar. 



?i6 Fünfter Abschnitt. 

lassen, das war die bittere Not, in die in diesem Jahre die Professoren ge- 
rieten. Längst war man ja an Einschränkung gewöhnt. Aber 'wie die Univer- 
sitätsrechnung des Jahres 1646 ausweist, erhielt in diesem Jahre kein Pro- 
fessor vom Ökonomus auch nur einen Pfennig oder ein Korn. Seit der nieder- 
hessischen Einlagerung stockte die ganze Administrationsmaschine; nur hier 
und da kam eine kleine Lieferung aus dem ausgesogenen Lande 91 . Die Bar- 
geldlieferung aus den Allendorfer Salzwerken hatte schon 1634 aufgehört, 
und was das Schlimmste war, der Graf von Leiningen-Westerburg, der der 
Universität jährlich über 2500 Gulden schuldete, hatte seit 1631 trotz des 
gegen ihn angestrengten Prozesses nichts mehr gezahlt. Im Sommer und 
Herbst tobte der Krieg in Oberhessen ; beide Parteien lagerten im Lande 92 . 
Ein Kornvorrat, aus dem man hätte wenigstens dem dringendsten Bedürfnis 
abhelfen können, war mit dem Schloß in die Hände der Niederhessen ge- 
fallen 93 . Ein klägliches Schreiben der Professoren an den Landgrafen vom 
31. August 1646 zeigt uns ihre traurige Lage. Es heißt da 9 *: „In was vor 
eine desolation e. f. g. ganzes oberfürstenthumb durch die so ein geraume 
zeit hero darin campirte beyde feindliche hauptarmeen [sc. Schweden und 
Franzosen] gesetzt worden, das zeygt der clägliche augenschein leider mehr 
alß gut ist. Wir und die praeceptores classici erfahrens Selbsten allzusehr mit 
den unßrigen, indem unßer oeconomus iztberurter Ursachen halber nicht einen 
kern frucht noch einigen heller an geld uffm land erheben und uns zur not- 
wendigsten Unterhaltung verhandreichen kan ; wirdt auch von den hoffleuthen 
[d. h. Pächtern der Universitätsgüter], weile sie keine sehefrucht haben, ganz 
nichts ausgestellet, darumb uns niemandt einiges hellers werth borgen 
will, und gerathen wir bey iederman in den höchsten schimpf und 
Verachtung". Einige Professoren ließen sich durch Obligationen der Uni- 
versität auf Grundlage des Universitätsbesitzes befriedigen ; auch zur Verpfän- 
dung von Gütern an einzelne Professoren sah man sich genötigt 95 . All dies 
waren Notbehelfe, die einzelnen zugute kamen und für den Augenblick nicht 
viel nützten. Im Herbste gelang es einer besonderen Gesandtschaft, be- 
stehend aus den Professoren Ebel und Christiani, den Landgrafen dahin zu 
bewegen, daß er etwas Frucht und Geld zur Erhaltung der Universität an- 



91 Marburger ökonomatrechnung 1646 (UAG, Adm.); Berichte der Vögte von Als- 
feld, Grünberg und Gießen, UAG, S. XXI, 2. 

92 Vgl. Rommel VIII, 698 ff. Anfang Juli war die Universität wieder genötigt, 
bei Wrangel und Königsmark um Schutzbriefe nachzusuchen. Akten UAG, S. XXI, 2. 

93 Akten aus Jan. und Febr. ebd. 
9 * Kzt. a. a. O. 

9 & Akten UAG, Adm.: Marburger Rückstände. Die an die rückständigen Gehälter 
anschließenden Prozesse zogen sich noch bis zum Ende des Jahrhunderts hin. — J. B. 
Schupp, der im Sommer 1646 in Marburg weilte und sich mit seinen Miterben über den 
väterlichen Nachlaß auseinandersetzte, bot am 25. Mai der Universität 500 Gulden aus 
seinem Erbteil als Darlehen an (Or. UAG, S. VI, 7, 1607/40); ob es angenommen wurde, 
steht dahin. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 317 

wies 06 . Bei dieser Anwesenheit von Universitatsvertretern am Hofe in Gießen 
wurde auch über ein anderes Mittel, Geld zu beschaffen, beraten, nämlich 
über die Möglichkeit, das Silbergeschirr und die Pokale der Universität zu 
verpfänden. Aber es ergab sich, daß niemand Geld darauf leihen wollte; 
nach längeren ergebnislosen Verhandlungen entschloß man sich endlich, den 
größeren Teil der Wertgegenstände . zu verkaufen 97 . 

Die kasselische Regierung auf dem Marburger Schloß aber hielt an der 
Forderung fest, daß niemand von der Hochschule mit dem Landgrafen ver- 
kehren sollte: Der eine der beiden Deputierten, Professor Christiani, wurde 
zu der sehr empfindlichen, ja gar nicht zu erschwingenden Geldstrafe von 
200 Reichstalern verurteilt 9 ». 

In Angst und Not verlief die Wahl des neuen Rektors . (Kaspar Ebel) 
am 1. Januar 1647; das festliche Gepränge beim Aufzug der Professoren 
unterblieb; selbst die akademischen Szepter fehlten, sie waren nach Gießen 
in Sicherheit gebracht. Allein das Aufblasen des Turmwächters beim Zug 
der Professoren gab dem Ganzen festliches Gepräge 99 . 

II. 

Während so die Universität um ihre Existenz bitter zu kämpfen hatte, 
wurde am Friedenskongreß über ihre Zukunft zugleich mit der von ganz 
Oberhessen beraten. Die französischen Gesandten zeigten sich zwar höflich 
gegenüber den Bitten der Hochschule, ließen sich aber in der Richtung 
ihrer großen Politik nicht beirren. Und diese lief in der hessischen Frage auf 
die Unterstützung der Kasseler Forderungen hinaus. Am 6. Juli hatten die 



•• Univ. Marburg an Landgraf Georg, Nov. 5, Kzt. UAG, S. XXI, 2. Die zwei 
Gesandten waren vom 18. Okt. bis 3. Nov. in Gießen (ökonomatrechnung). Auch die 
Landgräfin, Georgs Gemahlin, wies 100 Malter Getreide in Frankfurt für die Universität 
an (Dankschreiben der Univ., o. D., Kzt. a. a. O.). 

97 Aus den lückenhaften Akten (a. a. O.) scheint sich zu ergeben, daß das „Eck- 
hardische Silbergeschirr" (Verzeichnis a. a. O., Gewicht zus. 171 Lot 1 Quent, wofür man 
60—70 Rtlr. zu lösen hoffte) zuerst verkauft wurde; dann auch sonstiges, zuletzt (am 6. Sept. 
1647) wurde durch Prof. Horst in Gießen verkauft: 

„Die vergüldete alte kanne pro 50 rthlr. ; 

der ostfriesländische becher 68V4 „ [1631 der Univ. geschenkt, vgl. Catal.' stud. 

XV, 24]; 
die Jungfrau 9 „ " (Abschr. d. Berechnung UAG, Adm. : Marb. 

Rückstände unter Sinold). Im Verzeichnis von 1646 findet sich noch u. a. „die Wind- 
mühle mit dem kleinen männlein", wog 1 Mark 6 Lot. Dem Verzeichnis der Versatz- 
objekte ist von Christianis Hand beigeschrieben: „exceptis seeptris et majori poculo 
cum emblematibus" — gemeint ist wohl der Jubiläumsbecher von 1627. 

98 Ob die Strafe aufrechterhalten wurde, ist freilich nicht zu ersehen, jedenfalls ver- 
wahrt sich Christiani sehr dagegen, daß er persönlich dafür aufkommen solle, „sonst wil ich 
gar bald dz thor treffen" (Anfrage des Rektors u. Vota von 1646 Nov. 6 u. 10, Or. a. a. O.). 

99 Die Vorbereitungen wurden geheim gehalten, da man Eingriffe der Kasseler 
fürchtete (Anfrage und Vota von 1646 Dez. 6 u. 31, UAG, S. III, 2: Rektorwahlen). 



3 18 Fünfter Abschnitt. 

Franzosen dies unzweideutig erklärt, da das Haus Kassel sich „dergestalt 
hoch um die Krone Frankreich meritirt gemacht" habe, daß man es „in 
keinerley Weise noch Wege lassen könne". Frankreich wollte den hessischen 
Linien einen Vergleich diktieren, in dem aber Marburg jedenfalls an Kassel 
fallen müsse 100 . Die Gesandten des Kaisers, die sich für Darmstadt ver- 
wendeten und zunächst Restitution des . okkupierten Gebietes verlangten 101 , 
fanden kein Gehör. So hatte die Regentin ganz recht, wenn sie ihre Ge- 
schäfte vertrauensvoll in die Hände der Franzosen legte 10 *: Diese „Vermitt- 
ler" besorgten % die Kasseler Angelegenheiten besser, als sie selbst es gekonnt 
hätte. Bald sprach sich auch Schweden in gleichem Sinne aus; die schwe- 
dischen Gesandten überreichten die Forderungen der Landgräfin zugleich 
mit ihren eigenen bei dem kaiserlichen Prinzipalgesandten 103 . Diese Forde- 
rungen liefen auf Wiederherstellung des Besitzverhältnisses von 1618 hin- 
aus. Die kaiserlichen Vorschläge 104 fanden bei der Gegenpartei auch weiter- 
hin keinen Anklang. Man hielt dort anfangs unter anderem eine Rück- 
gabe aller zum Marburger Erbe nicht gehörigen Gebiete und Besitzungen, 
darunter auch der Universität, sowie des vom Austrägalgericht 1604 Kassel 
zugeteilten Landes an die Landgräfin für unumgänglich 105 . Alsbald rückt 
jetzt in deri Kasseler Forderungen die Universität Marburg an die erste Stelle, 
und ferner, daß zu dem an Kassel abzutretenden Teil Oberhessens Stadt 
und Amt Marburg gehören müsse, „quae est conditio sine qua non" 108 . 
Darmstadt bot dagegen ein Viertel der Marburger Erbschaft, hielt aber an 
der bestehenden Teilung des Universitätsbesitzes fest 107 . Nachdem die mit 
höchster persönlicher Erbitterung geführten 108 Verhandlungen an diesem 
Punkte angekommen waren, brachten die Vertreter Darmstadts am 6. April 
(a. St. ?) 1647 die Sache, die bisher nur zwischen den streitenden Teilen, sowie 
dem Kaiser, Frankreich und Schweden geschwebt hatte, zur öffentlichen 
Kenntnis des Kongresses 100 . Der aber wollte von der Behandlung dieser 
»schwierigen Frage nichts wissen ; sowohl zu Münster wie zu Osnabrück ver- 
wies man die Sache zur Beilegung an die kaiserlichen, französischen und 
schwedischen Gesandten zurück 110 . Die Kaiserlichen boten statt einem Viertel 



100 „Es müste . . der Versuch von ihnen, den Franzosen, dirigirt, auch dasjenige 
vor recht und billig gehalten werden, was sie davor achten und an Hand geben würden". 
Meiern, Acta pac. Westph. III, 708, vgl. III, 92. 

101 Meiern III, 94. 

102 Vgl. Meiern III, 592. 

108 Eingereicht am 18. Nov. 1646. Meiern III, 755 f., IV, 419. 

10 * Meiern IV, 422 f., 424 f., v. 8. u. 16. Febr. 1647. 

105 Kasseler Erklärung ebd., 426, Erklärung der Kronen ebd., 427 ff. 

10 * Ebd., 435 f. — 10 ' Ebd., 436f. 

108 Di e Gesandten sollen sich sogar mit blanker Waffe verfolgt haben, vgl. Schrei- 
ber, Maximilian der Katholische (1868), 908. 

10 » Vgl. Meiern IV, 429. 

110 Beschluß des Fürstenrates zu Münster: Meiern IV, 451; Verhandlung und Be- 
schluß zu Osnabrück ebd., 445 ff. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 319 

ein Drittel der Marburger Erbschaft, wenn nur Stadt, Amt und Universität 
Marburg bei Darmstadt bliebe; bezüglich der Universitätsgüter sollte es 
bei dem Abkommen von 1627 bleiben, doch sollte Landgraf Georg seinem 
damaligen Versprechen gemäß Universitätsprivilegien für Kassel erwirken 111 . 
Wie sich die Gegenpartei zu diesem Vorschlag stellte, steht nicht fest. Sicher 
ist, daß die Sache jetzt verzögert wurde und erst auf der Junikonferenz in 
Münster wieder auftauchte. In der Zwischenzeit wurden Versuche zu pri- 
vater Beilegung des Streites unternommen. Herzog Wilhelm von Weimar 
hatte längst die Absicht, eine Versöhnung herbeizuführen, und der därm- 
städtische Rat v. Boyneburg, der von seinem Heimatsort Eisenach aus öfters 
in Weimar war 112 , tat wohl, was er konnte, um diese Absicht zu fördern. 
Kassel aber, gestützt auf Frankreich und Schweden, verhielt sich ablehnend 
selbst gegen den Vorschlag eines Waffenstillstandes 118 . 

So blieb also nichts übrig, als dennoch auf dem Kongreß weiterzuver- 
handeln. Ein im Juni daselbst von den Kaiserlichen und Darmstädtern 
vorgelegter Teilungsvorschlag, der Stadt, Amt und Universität Marburg in 
den Anteil Landgraf Georgs setzte 11 *, wurde abgewiesen ; Kassel verlangte im 
voraus Rückgabe aller nicht zur Erbschaft gehörigen Besitztümer (darunter 
ist wohl auch die Universität gerechnet) und dann drei Achtel der Erbschaft 115 . 
Aber selbst in der äußersten Bedrängnis hielten die Darmstädter Unterhänd- 
ler an der Unveränderlichkeit des bestehenden Universitätszustandes fest 116 . 

Man gab sich in Münster wochenlang die größte Mühe, die hessische 
Streitsache, die den Fortschritt des ganzen Friedenswerkes hemmte, durch 
Vergleich aus der Welt zu schaffen und redete den Vertretern beider Teile 
zu, nachzugeben 117 . Kassel aber erklärte, es habe seine letzten Vorschläge 
gemacht, und suchte seinen Rückhalt bei den Kronen, und Darmstadt glaubte 
auch nicht weiter nachgeben zu dürfen. Schließlich wurde beiden Häusern 
aufgetragen, unter sich eine Vergleich ung einzugehen 118 , das heißt, man war 
ebensoweit wie vorher. 



111 Dies hatte Darmstadt vorher als durch Vertrag geregelt erklärt (Meiern IV, 
437; v gl- oben S. 2301". Anm. 88). Der kaiserliche Vorschlag bei Meiern IV, 452 f., auch 
in dem im Juni den Schweden überreichten Friedensentwurf, ebd., 586. 

11* Dies ist aus seiner lebhaften Korrespondenz mit Z. Prüschenck (Hdschr. 117 der 
Gießener Univ.-Bibl.) und J. K. Dieterich (Boineb. epp. ad Diet. ed. Meelführer) zu 
ersehen. 

118 Boyneburg an Dieterich, März 17 (Meelführer, 37 ff.)- Landgraf Georg an E. A. 
v. Eberstein, 1647 April 19 u. 24 (Korrespondenz zwischen Landgraf Georg II. und E. A. 
v. Eberstein, hsg. von L. F. Frhr. v. Eberstein [1889], 199); Justi, Amalie Elisabeth (18 12), 
146t; Pufendorf, De rebus Suecicis, lib. XIX § 29, S. 713 d. Ausg. v. 1705, wonach 
Wrangel auf des Landgrafen Ansuchen bei Turenne interzedierte ; Theatr. Europ. V (1707), 
976, 1011. 

u * Meiern IV, 457, 461. 

"* Ebd., 462. — 116 Ebd., 463. 

117 Eine Reihe Schriftstücke gibt Meiern IV, 625 ff. 

1« Vgl. Meiern IV, 468. 



320 Fünfter Abschnitt. 

Aber man begann doch tatsächlich direkte Verhandlungen. Landgraf 
Johann, Georgs Bruder, war als Vermittler tatig 119 und hatte einen seiner 
Räte, Kolb, in Kassel. Die Vertretung der Darmstädter Interessen lag aber 
in erster Linie in der Hand des erwähnten Boyneburg, der schon Ende Juli 
in Kassel weilte 120 . Die Aussichten Darmstadts waren von vornherein schlecht 1 * 1 , 
die Verhandlungen standen unter der fortwährenden Gefahr, sich gänzlich 
zu zerschlagen; sie zogen sich so langsam dahin, daß sogar die Schweden 
einmal eine Ermunterung an Kassel für nötig hielten 1 ". Was die Universität 
betrifft, so war Boyneburg instruiert, ihren Besitz für Darmstadt zu ver- 
langen ; falls dies unmöglich zu erreichen sei, könne auch eine Gemeinschaft 
eingegangen oder der Punkt vertagt werden. Eine Gemeinschaft war na- 
mentlich dann nicht abzuweisen, wenn die Territorialhoheit über Marburg 
für Darmstadt zu retten war 123 . Freilich machten sich bei Landgraf Georg 
dann bald Bedenken geltend, ob Kassel im Falle einer Gemeinverwaltung 
auch jederzeit Anhänger der lnvariata in der theologischen Fakultät oder im 
Pädagog anstellen werde 124 . Kassel dagegen, wohl wissend, daß Landgraf 
Georg Frieden machen müsse, weil das verwüstete Land keinen Krieg mehr 
ertrug, blieb fest auf seiner Forderung bestehen, es müsse die Hauptstadt 
Oberhessens haben 125 , und auch die Universität wurde zunächst ganz verlangt, 
während Darmstadt im Falle der Teilung mindestens die Hälfte des Be- 
sitzes beanspruchte 126 . Wie hoch man auf Kasseler Seite die Universitäts- 
stadt schätzte, zeigt das unannehmbare Angebot: man will den Darmstädtern 
Schloß, Stadt, Amt und Universität Marburg nur lassen, wenn dafür die ganze 
Hälfte der Marburger Erbschaft an Kassel fällt, also der Zustand im wesent- 
lichen auf den vor 1623 reduziert wird 127 , ein Vorschlag, von dem man sich 
in Kassel viel versprach, weil er (aber unter anderen Verhältnissen, wohl 

119 Er hatte sich schon bei seiner früheren Anwesenheit in Kassel zur Vermittlung 
erboten (Mai 1647), v g'- den Gründlichen Bericht auf das Schreiben, so Herr L. Georg 
an Frau Am. Elis. abgehen lassen (1648), 32. 

120 Brief an Prüschenck vom 31. Juli (Hdschr. 117 d. Gieß. Bibl.). Die Instruktion 
ist vom 26. Juli (Kzt. StAD, Marb. Succ. 93). 

121 Vor Beginn der Verhandlungen stellte die Landgräfin sogar die Wahl, ob Land- 
graf Georg Marburg mit Zubehör oder Gießen mit Zubehör haben wolle, während letz- 
teres doch gar nicht streitig war (19. Juli, Or. StAD, a. a. O.). 

122 Oxenstierna und Salvius an die Landgräfin, Sept. 24, Meiern IV, 471. 

123 Landgraf Georg an Boyneburg und Kolb, 1647 Aug. 4, Kzt. a. a. O. 

124 Instruktion vom 10. Aug. f. Boyneburg, Kzt. a a. O. Schon redet er nur noch 
von einer „communion ad tempus" mit Vorbehalt späterer Trennung und Güterhalbierung 
(Landgraf Georg an Wolff u. Sinold in Osnabrück, Aug. 14, Or. StAD, Marb. Succ. 95). 

125 Vgl. z. B. das Schreiben Boyneb urgs an J. C. Dieterich vom 14. Aug. (Or. 
StAD, Marb. Succ. 93): „De Marpurgo nequid vobis polliceamini ; nihülimum est . 
Wegen der universitetshelfte und der praecedentz wirds tolle hendel geben . . . Die uni- 
versitetshelft dörften sie wohl geben, wenn sie der gemeinschaft versichert; sonst 
ists zweiffel*'. 

126 Landgraf Georg an Boyneburg, Aug. 17, Kzt. a. a. O. 

* 27 Erklärung der Landgräfin Amalie Elisabeth vom 17. Aug., Or. a. a. O. 




Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landes Universität zu Gießen. 3 

1604!) von Landgraf Ludwig getan worden sei; und dabei wurden noch 
Bedingungen gemacht: Kassel, das die Kontinuität der alten Marburger 
Hochschule gern wieder an sein Haus geknüpft hätte, verlangte die Mar- 
burger Privilegien für seine Kasseler Hochschule. Aber Oeorg blieb zäh, er 
gestattete, im Notfall neben einem Teil Oberhessens höchstens die Hallte 
von Marburg, Stadt, Amt und Universität, preiszugeben" 8 ; hatten doch 
seine Gesandten aus Osnabrück geschrieben, die Vertreter Schwedens dächten 
nicht daran, in der hessischen Streitsache ein Urteil zu fällen, wie man sich 
in Kassel schmeichelte, sie seien im Gegenteil bereit, des lutherischen Darm- 
städters Wunsch bezüglich Stadt und Universität zu unterstützen' 39 . So hoffte 
Landgraf Georg mit der Zeit die Kasseler mürbe zu machen. Diese aber 
argwöhnten, Georg schließe nur zum Schein den Vertrag, sein Sohn Ludwig 
sei angewiesen, alles zu widerrufen 13 ". Boyneburg hielt die Verhandlungen 
hin, so gut er konnte; als er aber seinem Auftrag gemäß erklärte, die fest- 
gelegten Hauptpunkte sollten erst gültig werden, wenn auch die Nebensachen 
verglichen wären, drohten die Vertreter der Kasseler Regierung mit dem Ab- 
bruch der Verhandlungen, und Boyneburg wagte nicht, diese Klausel weiter 
zu urgieren, da er die bereits erzielten Übereinkünfte nicht gefährden wollte, 
zumal Wrangeis Heer in der Nähe stand und bereits Drohungen laut 
wurden 131 . So schloß er am 9. Oktober mit der Landgräfin ab 1 - 1 *; in zehn 
Tagen, schrieb er damals triumphierend an einen Freund, hoffe er dem ver- 
armten Lande den Frieden wiedergegeben zu haben 1 ". 

Der Vergleich ordnete die Streitfragen in allen ürundzügen, ließ aber 
noch einige Punkte zu genauerer Festlegung frei; uns interessiert hier der 
Universitätspunkt; Marburg und seine Zugehörigkeiten hatten die größten 
Schwierigkeiten verursacht, wie einst 1604, und die Lösung war gekünstelt: 
Das Amt sollte in zwei gleiche Teile zwischen beiden Häusern geteilt werden, 
Stadt, Schloß und Universität aber sollten gemeinherriich bleiben, wobei 
es künftigen Verhandlungen unbenommen blieb, anders zu bestimmen. 




1SS 4. Nebenmemorial vom 27. Sept., Kit. a. a. O. 

t: * Auszüge aus Briefen von Sinold-Schütz vom II,, 21., 25. Aug., worin er Äuße- 
rungen von Oxenstierna („an seinem ort wolle er auch gern helfen, dal! Marpurg und die 
universitet e. f. g. bleibe, wolte trewlich darzu cooperiren"), Salvius, Lampadius anführt 
(a. . O.). 

" U Kolb an Landgraf Ludwig, Sept. 14, Or. a. a. O. 

1(1 „Von herm landgr. Ernsten seye bey der taffei erwehnt worden: er wolte kein 
ehrlicher soldat sein, wan er nicht Giessen in einem halben tag durch fewer zwingen und 
wegnehmen wolte" (Kolbs Bericht, dd. Gießen, 16. Okt., Abschr. a. a. O.). 

at Or. des Vergleichs mit Unterschrift und Siegel der Landgräfin StAD, Haus- 
verträge. Gedr. Meiern IV, 477 ff. Boyneburg unterschrieb nicht, stellte aber einen 
Revers aus, wonach dieser Vertrag der von ihm krafi seiner Vollmacht geschlossene sei 
(Abschr. a. a. O.). 

»W An Prüschenck, Okt. lo (Univ.-Bibl. Gießen, Hdschr. 117): „Credo eis decendium 
pacem nostram, qualis in potiore substruetione est, in publicum editum 
peratae patriae bono". 

Oft L'niitrskii Gießen v.io 1607 bil 1907. 1. 




322 Fünfter Abschnitt. 

Die Universität sollte wieder in den Zustand vor 1604 versetzt werden, 
demnach die 1627 vollzogene Güterteilung aufhören; die Administrations- 
und Religionsfrage war noch zu regeln. Falls eine Einigung hierüber nicht 
erfolgt, soll wiederum Teilung eintreten, wobei in dem gemein herrlichen Mar- 
burg keine der beiden Partikularuniversitäten bleiben darf. In Oberhessen ist 
das Luthertum zu erhalten, doch hat die Konfession der Kasseler dort freie 
Religionsübung. 

Boyneburg hafte diesen Vertrag eben abgeschlossen, als er die Weisung 
seines Landesherrn erhielt, nichts ohne vorherige Genehmigung endgültig 
festzulegen 134 , und ein Meinungsaustausch zwischen der Regentin und Georg 1 * 6 
zeigte alsbald, daß letzterer durchaus nicht gesonnen war, die Handlungen 
seines Gesandten in allen Punkten gutzuheißen; die Landgräfin aber drängte 
zur Unterschrift in einem Tone, aus dem das Gefühl sprach, daß man in dem 
Zugestandenen dem Hause Darmstadt noch eine Wohltat erweise. Dem Ge- 
sandten v. Boyneburg machte Landgraf Georg bittere Vorwürfe, daß er 
seinen Auftrag überschritten und namentlich im Universitäts- und Religions- 
punkt zuviel nachgegeben habe; auch sei er nicht zur Berichterstattung bei 
seinem Auftraggeber erschienen 136 . Boyneburg wurde nach seiner Rückkehr 
mit Arrest belegt 137 , verhört, aber dann wieder freigelassen. Mehrere Tage be- 
riet man in Gießen, wie der Vertrag zu ändern sei 138 , die Entscheidung wurde 
vom Landgrafen wieder und wieder vertagt, und beide Teile brachten nach 
diesem Mißerfolge die Sache von neuem auf den Friedenskongreß 139 . 

Zwei Gründe sind es, soweit wir sehen, die den Landgrafen zu dieser 
Verleugnung seines Vertreters und damit zur Ablehnung des in den lang- 
wierigen Verhandlungen Erreichten bestimmten. 

Der eine ist der stark sich geltend machende Einfluß der „Hoftheo- 
logen", des Superintendenten Haberkorn und des Professors Feurborn. 
Ihnen gingen die Zugeständnisse auf dem Boden des Bekenntnisses zu weit. 
Stadt, Schloß, Universität und Amt Marburg müsse aus religiösen Rück- 
sichten für Darmstadt gewahrt werden, und ebenso dürfe in Oberhessen und 
Niederkatzenelnbogen nichts als das Luthertum geduldet werden; kein 
Doktor und kein Geistlicher dürfe dort sein, der nicht der Invariata an- 
hänge 140 . Dies gelte für die Universität auch im Falle einer Gemein herrschaft 



1M Landgraf Georg an Boyneburg, Okt. 7, vgl. Okt. 9, Kzte. a. a. O. 

135 Meiern IV, 473 — 477, wozu noch das Schreiben Theatr. Europ. VI (1663), 411 
bis 413, gehört. — 1S6 So die Erklärung Sinolds in Osnabrück, Meiern IV, 472 f. 

137 Vgl. Meiern IV, 481. Landgraf Ernst (in der „Summarischen Information", 
Hdschr. in Kassel) läßt ihn „pro forma" in Arrest kommen. Daß er diese Behandlung 
aber nicht gleichgültig aufnahm, zeigt seine Korrespondenz mit Prüschenck (bes. d. Brief 
vom 2. April 1648) und sein späteres Verhalten als Anwalt Landgraf Johanns gegen Land- 
graf Georg. — 138 Protokolle StAD, a. a. O. 

139 Meiern IV, 481 ff.; Pufendorf, De reb. Suec, Iib. XIX, § 175. 

140 Schreiben der Theologen (wohl der genannten) an die schwedischen Gesandten, 
Pufendorf, a. a. O., S. 403. 




Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuuiveriit. 

mit Kassel 1 * 1 . Mit diesen Gründen bestürmten sie das Gewissen des Land- 
grafen. 

Aber vielleicht hätte die Staatsraison über die religiösen Bedenken den- 
noch den Sieg davongetragen "*, wäre nicht auch auf politischem Gebiete 
eine Möglichkeit hervorgetreten, wodurch der Landgraf hoffen konnte, in eine 
vorteilhaftere Lage gegenüber der feindlichen Partei zu kommen 1 ". Endlich, 
endlich nahte der langersehnte Retter, der kaiserliche Feldmarschall Me- 
lander mit .seinem Heere; durch Niederhessen heranziehend, rückte er Ende 
November vor Marburg, die Hauptstadt Oberhessens, die er dem kaiser- 
treuen Landgrafen wiederzugewinnen hoffte 14 *. Am 29. November begann 
er die Belagerung der Stadt 114 , deren Besatzung einem starken Angriffe nicht 




141 Haberkorns Volum bei den Gießencr Beratungen über Boyncburgs Vertrag zeigt 
die Anschauungen am reinsten ; es heißt da ; „Der Sathan suche unsern gn. forsten u. herm 
nicht allein umb land und leute, sondern zugleich auch umb die seelen zu bringen; es seyc 
sich ja wohl vorzusehen, daß man sich dtß Calvinianismi nicht thcilhaftig mache, insonder- 
heit wegen anderer Augspurgischer confession zugethaner chur-, fürsten und stende im h. 
reich, welche allerseits ein grosses absehen darauf fiihreien. Hielte er demnach darfur, 
daß man i. sehe, ob die Universität noch allein zu behalten; es were noch e 
suchen und sonderlich pro ratione furzuwenden, sie Casselische heften sich selbst erbotten, 
niemanden wieder sein gewissen zu treiben; aufl dieser hypothesi nun könne ihnen, salva 
ptineipis conscientia, die univ. nicht allein gelassen werden, dieweill sie uff eine mixtur in 
der religion tringen theten : dieses were ein gewissenswerck, solten es doch selbst bedencken 
und diesem f. theill die univ. allein lassen, dargegen wolle man ihnen die Gißische privi- 
legia geben. 2. Dafern je unserm gn. f. u. h. die univ. nicht alleine, sondern es bey der 
communion verbleiben solte, uff solchen fall were sich vorzusehen und . 
.. keine offension gescheut und gesezt werden, daß keine andere religion alß die Luthe- 
rische zu Marpurgk verbleiben solle. Dann solte man zu M. die Calvinistcrey dulden, 
so würde es auch dergestalt ärgerlich sein, daß niemand gern sein kind werde dahin 
schicken und wegen ärgernus in der religion daselbst studiren lassen, es sey disi 

sehr schwere gewissenssach Man spüre handgreiflich, daß Casscl einflechtung der 

Calvinisterey suche . . . Man gedenke auch Stiftung einer harmoni, welches nimmer be- 
stehen könne, und suchten die Casselische eben damit die stöckung der religion . . Die 
Zusammenkunft der thcologorum könne zwar gestattet und hiernechst vorgenommen wer- 
den, allein an der harmoni zweiffelc er, doch könne ihnen etwa besser in ihr gewissen 
geredet und zugesprochen werden; eine religion zu schmeltzen sey impium, sie, 
die Calvinisten, wolten dann herüber treten". 

14! In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein bitteres Wort verweisen, das einige 
Jahrzehnte früher ein hervorragender Theologe geäußert hat: ,,Sed hie pohticorum mos est, 
quando in consiliis suis sunt perplexi, ut quaerant theologorum societatem eandcmque ausis 
suis praetexant, quos tarnen alias fastidiunt" (Tholuck 1, 46, aus einem Brief Gerhards). 

1« Nach der Anschauung der Kasseler Partei hatte die Verschleppung des Boyne- 
burgischen Handels nur diesen Zweck (Meiern IV, 472; vgl. Rommel VIII, 718, Thealr. 
Europ. VI, 414, Pufendorf, 1. c). 

i" Vgl. Rommel VIII, 72t ff. 

hs Für das folgende noch: Theatr. Europ. VI, 13t.; Bücking, Gesch. Bilder aus 
Marburgs Vergangenheit (1901), 1 67 ff ., sowie die Schreiben: Landgraf Georg an Univ. 
Marburg, Dez. 7, Abschr., Univ. an Landgraf Georg, Dez. 8, Kzt. UAG, S. XXI, 2; femer 
Akten StAD, Marb. Succ. 76. 




3 24 Fünfter Abschnitt. 

gewachsen war, und am 4. Dezember wurde sie nach mehrstündigem, 
hitzigem Gefecht erstürmt, worauf die Niederhessen sich auf das Schloß und 
seine Umgebung zurückzogen. Bei der Verteidigung der Mauern hatten auch 
Bürger auf Seiten der Besatzung gefochten, und hierüber erbittert, kannte 
die eindringende Soldateska keine Schonung. Ohne Unterschied wurde ge- 
plündert, und wir erfahren, daß bei diesen wüsten Auftritten unter anderen 
auch die Professoren Tonsor, Ebel und Tileman durch Partisanenstiche, wie- 
wohl ungefährlich, verwundet wurden. Umsonst war die Fürsprache des 
Landgrafen, der die Bitte äußerte, man möge doch die „leider schon elendig 
ruinirten" treuen Geistlichen und Professoren schonen 146 , vergebens die wie- 
derholten Hülfegesuche der Universität an den Landgrafen 147 , daß er sie vor 
den Übergriffen der Bundesgenossen schütze. Die Professoren wurden, wie 
die Bürger, jämmerlich beraubt, so daß die Universität klagt: „Viele unter unß 
haben fast nicht ein stücklein brots mehr, zugeschweigen sonst iechtwas übrig". 
Die sofort nach der Eroberung der Stadt begonnene Belagerung des 
Schlosses durch die kaiserlichen Truppen blieb erfolglos. Die Niederhessen 
wehrten sich tapfer, so daß die Gegner große Verluste hatten. Als nun auch 
noch der Feldmarschall Melander selbst durch einen geschickten Schuß vom 
Schlosse schwer verwundet wurde, beschlossen die Kaiserlichen abzuziehen. 
Noch einmal plünderten sie die Stadt völlig aus, erpreßten ein Lösegeld 
für die Kirchenglocken und zogen dann bei Nacht und Nebel ab, be- 
gleitet von den Verwünschungen der Professoren und dem Spott der Stu- 
denten 148 . „Ist also solchen Orts anders nichts verrichtet", schließt ein 
gleichzeitiger Bericht 149 , „als diese gute alte, ja in der ganzen Christenheit 
berühmbte Universität und Statt Marpurg gäntzlich verwüstet, keyserlichen 
Theils viel Zeit, Volck und was sonsten ein mehrers seyn mag, verspielt 
' worden". In der Tat: was durch die feindliche Besetzung der Stadt nicht 
geschehen war, das hatten jetzt die Bundesgenossen fertig gebracht, den end- 
gültigen Zusammenbruch der Universität. Ob noch Vorlesungen gehalten 
wurden, können wir freilich nicht feststellen. Aber ein äußeres Zeichen von 
dem Erlöschen des akademischen Lebens ist es, wenn man diesmal die feier- 
liche Inauguration des neuen Rektors (Tonsor) unterließ und den wenigen, 
die es lesen mochten, in öffentlichem Anschlag 160 die Gründe bekannt gab, 



146 Landgraf Georg an General v. Eberstein, Dez. 8: Eberstein, Korrespondenz mit 
Georg II. (1889), 203. 

1« Vom 6. Dez. (Or. StAD, Marb. Succ. 76), 8. u. 10. Dez. (Kzt. UAG, S. XXI, 2). 
Es ist also nicht zutreffend, was man in Kassel meinte, Georgs Anhänger seien verschont 
worden (s. Justi, Amalie Elisabeth, 164). 

148 Vgl. das Schreiben Prof. Kornmanns (gedr. bei Kuchenbecker, Vita H. Vulteji 
[i737]> 163 ff., mit falschem Datum), wo er von Melander nach seinem Abzug sagt: „Faxit 
Deus, ut ad Garamantes et lndos abeat una cum comitibus omnibusque, qui hostilia in 
nosmet porro meditantur!" Ein Spottgedicht aus Studentenkreisen gibt Rommel VIII, 727, 
Anm. 208. 

"9 Theatr. Europ. VI, 14. — «° UAG, S. III, 2. 




Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landi 

nämlich: „Temporis praesentis summa calamitas, docentium discentiumque 
deploranda paucitas, auditorii tiostri juridici detestanda vastitas, obstacula mille 
alia . . . .". 

III. 

Die Zurück Verweisung der hessischen Streitsache an den Friedenskon- 
greß bedeutete eine neue Verzögerung, deren Ende gar nicht abzusehen war. 
Von den Einzelheiten der Verhandlungen können wir hier absehen 111 ; ein 
Haupthindernis war auch jetzt wieder Darmstadts Bestreben, Stadt, Amt 
und Universität Marburg in seinen Gebietsanteil zu erhalten 11 *. Schon dach- 
ten die Mächte, der Kaiser, Schweden, Frankreich daran, die „stachelichte 
Successionssache" 153 durch einen Machtspruch aus der Welt zu schaffen, als 
die erfreuliche Nachricht eintraf, daß die heiden hessischen Linien nunmehr 
in ernstlichen Friedensverhandlungen ständen 15 «. Diese Meldung befriedigte 
allgemein; man beschloß am 29. März 1647 (wenn auch gegen Kassels 
Wunsch 15 "), vierzehn Tage abzuwarten, ob die Versöhnung zustande komme, 
und die evangelischen Stände sandten beiden Teilen die Mahnung, das Werk 
doch diesmal ja zu Ende zu führen"*. 

Jetzt zeigte Landgraf Georg schon durch die Wahl seiner Vertreter, 
wie sehr auch ihm eine erfolgreiche Durchführung der Verhandlung am 
Herzen liege. Am 9. März trafen sie in Kassel ein, an ihrer Spitze Georgs 
ältester Sohn, Landgraf Ludwig, daneben Vizestatthalter v. Plesse, die Räte 
v. Buseck, Fabricius, v. Oynhausen, Ebel, Dieterich und großes Gefolge 151 . 
Landgraf Georgs Instruktion ,s ", die wiederum nicht ohne Einholung eines 
Gutachtens von Haberkorn' 19 ausgearbeitet war, betonte vor allem, daß er an 
Boyneburgs Entwurf nicht gebunden sein wolle, die ganze Verhandlung also 
neu angefangen werden müsse. Was die Universitätsfrage betrifft, so hofft 
er immer noch auf Alleinbesitz der Hochschule, nicht auf Gemeinschaft mit 
Kassel, „zu Verhütung allerhand schwerer mißhelligkeiten, welche sich in 
religion und andern Sachen darbey zutragen können". Ist die Universität 
nicht ganz zu erhalten, so ist es besser, daß jede Linie eine eigene Univer- 




i6i Verwiesen sei auf Bouge am- Rambach III, 251—254; Meiern V, 614fr 

15» Meiern V, 656. 

159 Ausdruck der Relation ebd., 667. 

>" Theatr. Europ. VI, 408t. Vgl. Meiern V, 657—662, 667t., vgl. 646. 

»6 Meiern V, 668. 

1" 2, April. Meiern V, 675; Theatr. Europ. VI, 409t. ; Londorp, Acta publi- 
ca VI, 306. 

'" Vgl. Theatr. Europ. VI, 414, auch für das folgende. 

IM Vom 4. März, Or. m. S. StAD, Marb. Succ. 98. 

169 Kzt. eines solchen Gutachtens von Haberkorns Hand in Hdschr. 868 der 
Univ.-Bibl. Gießen. Widerrät unbedingt jede Gemeinschaft, außer wenn Kassel zugibt, 
daß nur lutherische Professoren in Marburg lehren, „aber in dem allere ussersten nothfall, 
da die univ. ihr [L. Georg] nicht will allein gelassen werden". 




326 Fünfter Abschnitt. 

sität habe, wobei die Besitzungen der Universität gleichmäßig zu teilen seien. 
Eine Universitätsgemeinschaft soll also, wenn möglich, nicht eingegangen wer- 
den 160 . Ist jedoch nicht ohne diese durchzukommen, so soll (wie bei Boyne- 
burg) vorbehalten werden : „wann einem theill die communio nicht lenger an- 
stehen wolte, daß alßdann ein ieder fürstl. theill absonderlich eine universitet 
anstelle und zu solchem end der Gießischen Privilegien sich bedient werde"; 
in diesem Fall solle man die Hälfte der Intraden zu erlangen suchen 161 (Boyne- 
burg hatte sie nach dem Territorium, wo sie fällig waren, teilen wollen). 

Die Beratungen begannen am 11. März und ließen sich wenig hoff- 
nungsreich an 162 , so daß man schon daran dachte, die Entscheidung doch 
dem Kongreß anheimzugeben. Zum Glücke fand sich aber ein von beiden 
Parteien hochgeschätzter Fürst bereit, die endliche Beilegung des Zwistes zu 
vermitteln. Es war Herzog Ernst von Sachsen-Gotha, dem die Ge- 
schichte den Beinamen „der Fromme" gegeben hat. Diesem milddenkenden 
Fürsten, der einst als Verweser des Herzogtums Franken erklärt hatte: er 
halte dafür, daß die weltliche Obrigkeit nicht über Gewissen und Religion 
der Untertanen durch Zwang zu herrschen befugt sei, — ihm und seinen 
Räten ist es zuzuschreiben, daß drei Wochen nach seiner Ankunft in Kassel 
der Friede zustande kam. Landgraf Georg mußte ihm dieses Verdienst um 
so höher anschlagen, als er sich in Osnabrück von den Kaiserlichen im Stiche 
gelassen sah, also keine günstige Entscheidung dort zu erwarten gehabt 
hätte 163 . So mußte der Landgraf froh sein, wenn er nur mit erträglichen 



160 „Gestalt dan unsere sohns Id. und unsere räthe sich hienach achten und in com- 
munione nicht einwilligen sollen" (Instr.). 

161 Nebenmemorial vom 4. März, Or. m. S. StAD, Marb. Succ. 98. 

162 Akten und Protokolle StAD, Marb. Succ. 97, 98. Vgl. auch Justi, Amalie Eli- 
sabeth, 183. 

163 Noch am 11. März 1648 schrieb Landgraf Georg an seine Gesandten zu Osna- 
brück: Die Verhandlungen über die Marburger Frage am Kongresse sollten durch die 
Kasseler Tagfahrt nicht unterbrochen werden, da der Ausgang der letzteren ungewiß sei 
(Or. StAD, Marb. Succ. 100). Aber am 23. März/ 2. April äußern sich die kaiserlichen 
Gesandten Graf Lamberg, Crane und Volmar: „Abo mögen e. f. g. selbst gnedig er- 
wögen, daß bey so gestalten Dingen unßere oppositiones wenig helfen werden, sondern 
daß wir endlich müssten geschehen lassen, waß wir nicht erheben köndten"; jedenfalls soll 
sich Landgraf Georg „kein hoffnung uf allhießige tractaten machen". Vgl. auch die 
Schreiben Wolffs und Sinolds vom 25. März (Abschr. StAD, Marb. Succ. 97). Auch die 
Rücksicht der religions verwandt 3n Schweden wurde von politischen Gründen zum Schwei- 
gen gebracht, so daß sie jetzt ganz die Sache Kassels führten. „Soviel die 'Heßische Mar- 
purgische successionssache betrifft", schreibt der Gesandte des Herzogs Ernst aus Osna- 
brück, „seindt catholische und evangelische der Sachen mühde"; falls in Kassel nichts zu- 
stande komme, werde man den Frieden dekretieren, und zwar nach dem Sinne der Land- 
gräfin von Kassel, „denn die hh. cathol. chur- und fürsten auf requisition der hh. 
Schwedischen schon gewilt gewesen, mit Zuziehung unserer, den hh. kays. auf solche 
weiße beweglich zuzusprechen" (Auszug StAD, Marb. Succ. 97). Stände an Landgraf 
Georg und Landgräfin Amalie Elisabeth, März 23 /April 2, Meiern V, 675; Londorp, Acta 
publ. VI, 307. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 327 

Bedingungen durchkam. Vielleicht fiel ihm der Verzicht auf das ganz zu- 
grunde gerichtete Marburger Land und auf Niederkatzenelnbogen an sich 
gar nicht so schwer, weil es ihm doch kaum gelungen wäre, mit seinen 
schwachen Kräften den Einwohnern aufzuhelfen. Schwere Gewissensbe- 
denken verursachte ihm freilich die Frage, wie sich die religiösen Verhält- 
nisse in Marburg bei einer etwaigen Universitätsgemeinschaft wohl stellen 
würden. Seine Theologen bestärkten ihn darin, daß in Marburg auch im 
Falle der Abtretung der Stadt doch er allein die Bestellung der Professoren 
und Geistlichen in der Hand behalten müsse; die Stadt sei von so hohem 
Wert, daß man für ihre Abtretung große Zugeständnisse fordern könne 164 . 

In der Universitätsfrage hatte der kasselische Vertreter bei Herzog Ernst 
völlige Gemeinschaft ohne Kasseler Prärogative zugestanden; bei einer Tei- 
lung Halbierung der Intraden. Auf dieser Grundlage verhandelte der Her- 
zog. Schon am 1. März gab er dem Darmstädter Landgrafen den Rat, auf 
die gemeinsame Verwaltung der Hochschule für gewisse Jahre einzugehen; 
in dieser Zeit könne man sich über das Nähere vergleichen 165 . Nach und 
nach sah denn auch der Landgraf ein, daß er um die „Communion" nicht 
herumkommen werde. Um konfessionelle Kollisionen zu vermeiden und be- 
sonders der Empfindlichkeit der Lutheraner genugzutun, wurde hierzu vor- 
geschlagen, daß Hessen-Darmstadt in Zukunft bei Vakanzen die Professoren 
der theologischen und philosophischen Fakultät, Hessen- Kassel die der 
beiden anderen Fakultäten einsetzen sollte, doch sollten sie im Namen 
beider Linien verpflichtet werden. Die jetzt vorhandenen Professoren sollten 
bleiben. Ober verschiedene Fragen wollte man sich nach Abschluß des Frie- 
dens noch einigen ; sollte eine Einigung jedoch nicht zu erzielen sein, so stehe 
es jeder Partei frei, eine eigene Universität zu errichten, und zwar mit Hülfe 
der zu teilenden Universitätsbesitzungen. 

Die Trennung des Besetzungsrechtes der Professuren bei gemeinsamer 
Verwaltung der Hochschule scheint ein gezwungener Ausweg zu sein und 
war auch einer. Aber er hatte seine Vorgeschichte und war der einzige, 
wollte man sich nicht von neuem in langwierige Verhandlungen am Kon- 
greß verwickeln. Als nämlich im Herbste 1647 in Osnabrück die Stände lu- 
therischen und reformierten Glaubens eine Einigung über die konfessionelle 
Behandlung der gegenseitig abgetretenen Landeskinder schlössen, wurde be- 



164 Landgraf Georg an die Gesandtschaft in Kassel, März 28 (Or. StAD, Marb. 
Succ. 100): Die Theologen seien der Ansicht, „obschon die helft der univ. und deren 
gemeinschaft angeordnet, auch die religion allerdings vorbehalten werden und nicht auch 
die bestellung der Universität und professorum sodan kirchendiener zu M. von unß allein 
dependiren solte, daß solchen falls doch weder die religion noch die univ. des orts in- 
corrupt und ohne besorgende große zwitracht würde verbleiben und erhalten werden kön- 
nen". Vgl. auch Haberkorns Brief an Hanneken vom 12. April bei Seelen, Deliciae 
epistolicae (1729), 189 ff., bes. 190. 

1« 5 Abschr. StAD, Marb. Succ. 99. 



3 28 Fünfter Abschnitt. 

stimmt, daß unter anderem bei der bisher in den betreffenden Landesteilen 
herrschenden Religion auch die professores scholarum et academiarum bleiben 
sollten 166 . Auf Kassels Betreiben 167 wurde diese für Hessen besonders wich- 
tige Bestimmung durch die Zusetzung des Wortes „theologiae" wesentlich 
eingeschränkt 168 . Nachdem es aber Darmstadt gelungen war, noch „et phi- 
losophiae" zuzusetzen 169 , kam die Fassung heraus, die später in das Instru- 
ment des Westfälischen Friedens (Art. 7) aufgenommen wurde. Nach ihr 
richtete man sich jetzt in Kassel. 

Bezüglich des Prinzips der eventuellen Teilung geriet man in Schwierig- 
keiten : Kassel beanspruchte alle innerhalb seines Gebietes (Niederhessen und 
Teil von Oberhessen) fälligen Universitätseinkünfte, also weit über die Hälfte 
der Altmarburgischen, Darmstadt aber wollte eine Halbierung ähnlich wie 
1627 170 , da sonst der Unterhalt für eine eigene Hochschule nicht ausreiche 171 . 
Die Darmstädter setzten schließlich ihre Forderung durch, mußten sich aber 
Änderungen bezüglich der Besetzung des Pädagogs gefallen lassen. Der 
Darmstädter Anspruch auf Einsetzung der Pädagoglehrer fiel; zu Lehrern 
sollten von allen vier Fakultäten in jedem einzelnen Falle zwei Leute vor- 
geschlagen werden, und die Regierungen hätten sich darüber zu vergleichen, 
welcher anzustellen sei. Der Pädagogiarch sollte ebenfalls durch Vorschlag 
zweier Kandidaten in gleicher Weise erwählt werden, doch mußten die Bei- 
den Mitglieder der philosophischen Fakultät sein (also von Darmstadt ange- 
stellte Lutheraner). 

Hatte schon in diesen Punkten das religiöse Moment immer im Vorder- 
grund der Verhandlungen gestanden, so mußte das in der Folge noch mehr ge- 
schehen. Kassel fühlte sich nämlich benachteiligt, da die theologische Fakultät 
ihm entzogen war. Sollte die Universität Marburg wirklich wieder Landesuni- 
versität für alle hessischen Lande werden, so mußte Niederhessen doch seinen 
Bedarf an reformierten Theologen ebenfalls dort ausbilden können. Daher 
strebten die Kasseler danach, jenen Beschluß von Osnabrück (s.o.) zu umgehen. 
Sie wünschten einen außerordentlichen Professor der reformierten Theologie 
bei der Universität angestellt zu sehen. Landgraf Georg ließ widersprechen, 
würde jedoch vielleicht nachgegeben haben, wenn man den Professor in einen 



166 Meiern VI, 273. 

167 Ebd., 272. 
16 « Ebd., 275. 

16 » Dict. 21. Febr. 1648, Meiern VI, 278, 281. 

17 <> Darmstädter Gesandte an Landgraf Georg, 1648 März 28, Or. PS. StAD, Marb. 
Succ. 97. 

171 Landgraf Georg an die Gesandten, März 30, Or. StAD, Marb. Succ. 100: Wenn 
eingewendet würde, daß die Univ. Gießen doch auch aus den im Hessen-Darmstädtischen 
fälligen Einkünften erhalten worden sei, so sei zu antworten, das seien andere Zeiten ge- 
wesen, und doch habe man auch damals die Beschwerung fast bei der fürstlichen Tafel 
gespürt. Heute würden diese Mittel kaum zu einem geringen Gymnasium ausreichen. 



Marburg im Hessentirieg und die Wiedereröffnung der Landesuuivc rsii.it 



Marbur 

Privatlehrer verwandelte 1 ". Es gelang aber in diesem Falle dem Herzog Ernst, 
Kassel zur Nachgiebigkeit zu bewegen 173 . 

Auf dem Boden dieser Abmachungen wurde denn am 14. April 1648 
der Friede zwischen beiden hessischen Linien abgeschlossen 17 *. Seine terri- 

»torialen und hessisch-staatsrechtlichen Bestimmungen mögen hier unerwähnt 
bleiben. Nur dies geht uns an : Sladt und Schloß Marburg wurden gegen 
eine Qeldabfindung dem Hause Kassel zuerkannt. Die Gemeinsamkeit der 
Universität wurde statuiert, die erwähnte Teilung der Fakultäten, die Art der 
Berufung der Pädagoglehrer desgleichen. Visitationen der Universität sind 
in der Weise gemeinsam zu verrichten, daß Kassel hierzu einen politicus, 
Darmstadt einen theologus deputiert. Sollten künftig Irrungen und Unge- 
legenheiten entstehen, so darf jeder Teil eine eigene Universität einrichten, 
wozu ihm die Hälfte der Intraden zusteht; Kassel behält in diesem Falle das 
Marburger, Darmstadt das üießener Universitätsprivileg. Da der größere Teil 
der Einkünfte aus Niederhessen fällt, soll Kassel seinen Oberschuß an Darm- 
stadt mit 5<yo verzinsen. 

In konfessioneller Beziehung bleibt in dem an Kassel abgetretenen Teil 
Oberhessens der bisherige Zustand, also das Luthertum, erhalten, doch kann 
jeder „namhafte Coetus" von Reformierten Übungseiner Religion verlangen; 
dies wird vorbehaltlich der Zustimmung des Friedenskongresses bestimmt. 

IV. 

Gemeinverwaltung oder Trenn nng des Universitätswesens — das war jetzt 
die Frage. Kommunion und Separation sind die Schlagworte der nächsten 
anderthalb Jahre. 

Schon ehe die Nachricht vom Abschluß des Friedensvertrages bei Land- 
graf Georg eintraf, äußerte er sich, von Ge»issensbedenken m getrieben: 
Er halte dafür, daß durch eine besondere Universität lutherischen Bekennt- 
nisses der reinen Religion mehr genützt werden könne, als wenn er seinen An- 
teil an der Marburger Hochschule behaupte, in der jetzt zwei Fakultäten 
von Kassel aus, also mit Nichtlutheranern, besetzt würden. Die bei ihm wei- 




1,1 Memoriale loco instruetionis, April 6 (StAD, Marb. Succ. 97): „Und weil die 
Casselische sehr darauf bestehen, daß sie möchten mach! haben, einen eigenen professorern 
theologiae extraordinarium iu M. 7u hallen, so soll dießes praejuditz eußersten fleiß[es] prae- 
cavirt und zu vermeiden gesucht wer den; wo aber nicht, müssen wir es endlich auch ge- 
schehen lassen, doch dali die lectiones et institutiones nicht publice in auditorio, sondern 
sonst privatim in aedibus geschehe, und daß das salarium auß den universitätsgef ollen 
nicht genommen werde und also denen professoribus ohne abbruch und hinderung seye". 

1« Protokoll, Apri! 11 (StAD, a. a. O.}: „tlle [Herzog Ernst]; ... Das Casseiische 
petitum wegen des Calvinischcn professoris, so man Cassclischen theils gen M. schicken 
wollen, solte fallen". 

17 « Gedr. u, a. Meiern V, 677 ff. ; Lünig IX, Sooft.; Hess. Staatsrecht II. 178 ff. 

m Da er das Testament seines Vaters beschworen hatte, das ihm vorschrieb, von 
jedem Professor und Präzeptor den Religionsrevers zu verlangen (s. o. S. 227, Anm. 173), 
so geriet er schon durch die Aufgabe der beiden Fakultäten in einen Zwiespalt. 





*jo Fünfter Abschnitt. 

lenden Professoren (damals wohl Feurborn, Horst, Le Bleu), sowie Sinold 
sprachen sich lebhaft für die Lösung des darmstädtischen Universitätswesens 
von Marburg aus 176 . 

Der Vorkämpfer des Separationsgedankens auf Darmstädter Seite war 
Feurborn. Er war der Ansicht, diese „mixtura" könne doch keinen Be- 
stand haben, und so sei es am besten, sie gar nicht anzutreten 177 . Er per- 
sönlich hatte Scheu davor, sich unter reformierte Territorialherrschaft zu be- 
geben, glaubte sich auch wegen seiner langjährigen Polemik gegen den 
Calvinismus von der Kasseler Regierung bedroht; ferner war er der .Ansicht, 
man werde dort keine Predigtfreiheit haben, müsse gegenüber den Calvi- 
nisten leisetreten usw. Dies alles brachte ihn sogar auf den Gedanken, daß 
es besser sei, seinen Abschied zu verlangen, als in die umgestaltete Uni- 
versität Marburg zurückzukehren. Diesen Gedanken hat Feurborn zwar nicht 
ausgeführt, — wohl dank dem Umstände, daß ihm die sächsischen Kollegen, 
an die er sich um Rat wandte, ins Gewissen redeten — , aber er verwandte 
all seinen Einfluß darauf, die Kommunion der Marburger Hochschule durch 
eine reinliche Scheidung zu ersetzen. 

Auch der am Hofe Landgraf Georgs zu Gießen sehr einflußreiche Super- 
intendent Haberkorn stand dem Gedanken der Separation sehr sympathisch 
gegenüber; er war der eifrigste Förderer des Gießener Schulwesens, und es 
war ihm ein Dorn im Auge, daß das Marburger Pädagog die Gießener 
Stadtschule neben sich nicht aufkommen ließ 178 . Die Separationspläne 
zeigten ihm Aussichten auf Verlegung der Universität und damit auf Er- 
füllung seines Wunsches, auf Wiederherstellung des Gießener Pädagogs. 

Aber einstweilen entschloß sich sein Landesherr noch nicht dazu, die 
Kommunion aufzugeben ; nicht er wollte das Odium auf sich laden, den An- 

176 Landgraf Georg an die Gesandten in Kassel, April 15, Or. StAD, Marb. Succ. 100. 

177 Aufschluß über Feurborns damalige Gesinnung gibt seine Bitte um ein Gutachten 
der Leipziger Theologenfakultät über seine künftige Stellung (Dedekenn, Thesaurus con- 
siliorum, Appendix v. Grübel [1671], 461 — 472). Die Leipziger weisen seine Schwach- 
mütigkeit entschieden zurück („Ein so alter Steuermann entläuft vom Schiff; wer wird sich 
darauf begeben ?") und meinen : „Obs zwar gut wäre, wenn . . landg. Georgs jetzige gelegen- 
heit es leiden wollte, neben der univ. zu M. die Giessische wieder aufzurichten und mit 
reingläubigen professorn aller facultäten zu besetzen, daß dennoch weder gut noch besser 
sein würde, die mixtur zu M., wie es ew. . . nennen, zu verlassen. Denn zu G. eine univ. 
aufzurichten und in der mixtura Marpurgensi zu bleiben, nicht contradictoria seyn, deren eins 
das andere aufhebt, und ist nicht erlaubt, an einem orthe das gute zu unterlassen, darzu 
man befugt, darum daß man an einem andern orth gutes thun möge". Für das Ver- 
harren in Marburg werden 22 Gründe gegeben, worunter: (15.) Wenn Winckelmann und 
Mentzer von Landgraf Moritz solche Bedingungen erhalten hätten, wie sie im Vertrag 
von 1648 stehen, wären sie in Marburg geblieben. (22.) Die politica commoda nicht zu 
unterschätzen, die aus dem Universitätsanteil fließen; gute Affektion bei den Einwohnern 
von Marburg und dem oberhessischen Adel; auf dem Kongreß gehe man damit um, zu 
beschließen, daß auch theol. und phil. Fakultäten dem Glauben des Landesherrn folgen 
müßten. Man solle den erreichten Vorteil nicht aus der Hand lassen. 

na Vgl. Diehl II, 66 f. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 331 

laß zur Spaltung gegeben zu haben. Auch hielt er es für vorteilhafter, im 
Sinne der Erhaltung des Luthertums im kasselischen Oberhessen, wenn er 
seinen Fuß nicht aus Marburg zurückzog. Dazu kam, daß er nicht wußte, 
wovon er im gegenwärtigen Zeitpunkte eine eigene Universität erhalten solle. 
So unterrichtete er denn die Universität Marburg von den auf sie und die 
Religionsfrage bezüglichen Vertragsbestimmungen und übersandte zugleich die 
von Herzog Ernst entworfene neue Formel des Diensteides und des Hul- 
digungseides für Kassel, der von den Professoren als Bewohnern des jetzt 
kasselischen Marburg geleistet werden sollte; eine geheime Senatssitzung 
sollte über die Zulässigkeit der Formeln beraten 179 . Die beiden Eidesformeln 
gaben später in den Verhandlungen zu Marburg, die zur Ausführung der 
Friedensbestimmungen stattfanden, noch zu verschiedenen Anständen Veran- 
lassung 180 ; doch wurde die Huldigung am 17. Mai von den anwesenden Pro- 
fessoren wirklich geleistet. 

Wichtiger ist, daß in jenen Verhandlungen die Kasseler Gesandten die 
Forderung wieder aufnahmen, wonach auch die reformierte Theologie auf der 
gemeinsamen Universität vertreten sein müsse; dazu trat als neues Ver- 
langen, daß die kasselischen Fakultäten ebensoviele Professoren wie die 
darmstädtischen haben müßten 181 . Mit -Unrecht nahmen sie für die erstere 
Forderung die Autorität des Herzogs Ernst in Anspruch, Darmstadt wies 
sie auch glatt ab. Und als die Kasseler dann einwendeten, ihre Stipendiaten 
könnten nicht examiniert werden, und sie könnten dann die Stipendiaten gar 
nicht nach Marburg schicken, da antworteten die Darmstädter im Be- 
wußtsein des durch den Vertrag ihnen gebotenen Vorteils ganz kühl: „Das 
musten wir geschehen lassen" 181 ». Auch die andere Forderung wurde natür- 
lich abgelehnt; es sei absurd, erklärten Landgraf Georgs Vertreter, daß 
Kassel den zehn Philosophen entsprechend etwa zehn Mediziner angestellt 



179 Landgraf Georg an Univ. Marburg, 1648 April 24, Abschr. nebst Beilagen UAG, 
S. I, 2 a. 

180 Protokolle und Korrespondenz St AD, Marb. Succ. 98 u. 105, Hess.-Kassel 6. 
Der Eid wurde geleistet von Breidenbach, Kornmann, Tülsner, Ebel und Christiarti, also 
nur von Juristen und Philosophen ; Feurborn und Horst waren in Gießen, Tileman verreist, 
der Rektor Tonsor krank (f 1. Dez. 1649). Vor der Neuverpflichtung hatten die Pro- 
fessoren vor allem Sicherheit über die Gehaltsrückstände verlangt: „Es were bekandt, wie 
elendig sie nun in die sechs jähre lang gesessen, wedder heller oder pfennig bekommen, 
dahero nicht allein kramer, schuster, Schneider, becker ihnen nichts mehr borgen wolten, 
sondern noch dazu geschändet und geschmähet, und dahero ihnen dergestalt zu pleiben un- 
möglich, alß wolten die f. Casselische auch solchs in consideration ziehen und noch eine 
wenige frist verstatten; ob sie wohl innerhalb 6 und mehr jähren iechtwas an deputaten 
[Naturalbesoldung] empfangen, hielten sie doch davor, daß nach abzugk solcher emp- 
fangenen deputaten ihnen annoch an die 6 jähr rückständig seye" (Protokoll vom 17. Mai, 
StAD, Marb. Succ. 105). Vgl. auch Univ. an Landgraf Georg, April 29, Abschr. UAG, 
S. I, 2a. 

181 Protokoll vom 3. Mai, StAD, Marb. Succ. 105. 
isla Protokoll vom 6. Mai ebd. 



33 2 Fünfter Abschnitt. 

wissen wolle. Unter diesen Umständen rückten die Kasseler schon am 12. Mai 
— noch war kein Monat seit dem Friedensschluß verstrichen — mit 
dem Vorschlage der Separation heraus 1 «. Wahrscheinlich waren jene über- 
triebenen Forderungen von Kassel überhaupt nur gestellt worden, um an 
ihrer Ablehnung einen Vorwand für den Separationsplan zu gewinnen. Wir 
sehen : Darmstadt und Kassel sind für die Separation schon unmittelbar nach 
dem Friedensschluß. Die Verhandlungen der Folgezeit haben sonach nur 
den Zweck, den Gegner in Nachteil zu bringen, ihm den Vorwurf der Un- 
verträglichkeit aufzuladen, auf Darmstadts Seite auch den Zweck, wie wir sehen 
werden, die Erhaltung des lutherischen Bekenntnisses im abgetretenen Teil von 
Oberhessen zu sichern. 

Bevor man in Marburg auseinanderging, formulierte der Kasseler Ver- 
treter Scharf den Separations Vorschlag dahin, daß Kassel seine Hochschule 
nach Marburg, Darmstadt die seine nach Gießen verlegen möge 18 *. 

Im Sommer traten die beiderseitigen Räte zur Einzelberatung der 
Friedensexekution im Bade Wildungen zusammen. Neben der Teilung von 
Ämtern und Gebieten trat alsbald die Universitätsfrage wieder in den Vorder- 
grund. Die von Kassel abermals eingebrachten Anträge wurden wiederum ab- 
gewiesen ; diesmal wollten die Darmstädter auch nicht zugeben, daß die nieder- 
hessischen Stipendien der Landesuniversität entzogen würden. Sie hielten fest 
am Vertrag und betonten scharf, ihr Landesherr sei durchaus erbötig, in die 
Kommunion einzutreten. Noch versuchte Kassel, seinen Vorschlag bezüglich 
des reformierten Theologen — Crocius war in Aussicht genommen — an- 
nehmbar zu machen, indem es vorschlug, man möge den beiderseitigen 
Theologen bei Strafe der Absetzung Einigkeit vorschreiben oder doch 
wenigstens das „ausschelten und schmehen" verbieten 184 . Darmstadt aber 
meinte: Es gehe nicht an, „daß professores beyder religion uff einem ca- 
thetra (so!) stehen und contraria dociren solten", und man könne ihnen 
keine Vorschriften machen, die wider ihr Gewissen und Gottes Wort liefen 185 . 
In der Tat darf man stark bezweifeln, daß bei dem scharfen Gegensatz der 
lutherischen und reformierten Theologen der Kasseler Toleranzantrag, der 
für das ganze Reich „vorträglich und erbawlich" sein sollte, durchzuführen 
gewesen wäre; Crocius und Feurborn waren an einer Universität unmöglich. 



182 Die Kasseler „ließen sich beduncken, es seye das beste mittel, daß sie die privi- 
legia academica und Universität allein behielten und der election sich gebrauchten", Prot, 
vom 12. Mai, StAD, Marb. Succ. 98. 

18S p ro t. vom 15. Mai, StAD, Marb. Succ. 105. 

184 Prot, vom 31. Juli, StAD, Hess.-Kass. 5; vom 1. Aug. ebd., Marb. Succ. 97; 
vom 7. u. 11. Aug. ebd., Marb. Succ. 98. Landgraf Georg an die Deputierten, Aug. 4, 
ebd. Marb. Succ. 97; Aug. 11, ebd., Hess.-Kass. 5. Die Darmstädter Partei ging nur 
ungern in der Sommerfrische auf diese schwierigen Beratungen ein; sie hätte lieber nur 
Dinge verhandelt, „bey deren expedition man der sawerbronnencur sich gebrauchen könte 
und die köpf nicht sehr zerbrechen dörfte" (Prot, vom 7. Aug.). 

185 p rot vom I5# Aug., StAD, Marb. Succ. 98. 




Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. jj$ 

So ging man auch in Wildungen auseinander, ohne über die Hochschule 
entschieden zu haben. 

Landgraf Georg, von seinen Marburger Professoren um Wiederher- 
stellung der Universität dringend ersucht |Br ', war nach wie vor der Ansicht 
daß über eine Gemeinverwaltung keine Einigung zu erzielen sei 1 *', wollte 
aber, daß den Anlaß zur Trennung die Gegner gäben. Indem er seinen 
Vertretern für die Fortsetzung der Verhandlungen in Marburg einschärfte, 
keinen Schritt gegenüber den Kasseler Forderungen nachzugeben — sie sind 
ihm ein „Wahn" — , traf er bereits Bestimmungen für den Fall der Sepa- 
ration 1 " 8 . Aber, so bestimmte er wörtlich: „In puncto universitatis Marpur- 
gensis haben unsere deputirte wohl acht zu geben, daß es dahin gebracht 
werde, damit die Casselische selbst die Separation begehren, wie denn wohl 
erfolgen würdt, wenn man in ihr dem Casselischen vertrag zuwiderlaufende 
beginnung nicht willigen kann noch würdt"'* 9 . Dabei galt es natürlich den 
Anschein zu erwecken, als ob Darmstadt an eine Trennung gar nicht denke; 
daher erhielt sogar Feurborn die Weisung, nach Marburg zurückzukehren 
und dort seine Tätigkeit wieder aufzunehmen 190 . 

Es geschah, wie vorausgesehen. Als im Januar 1649 die Verhandlungen 
in Marburg begannen, wies Darmstadt Kassels Zumutungen von neuem zu- 
rück" 1 , und der Kasseler Vertreter Lic. Müidener stellte hierauf die Sepa- 
ration zur Besprechung. 

Für den Fall der Trennung beanspruchte Darmstadt gleiche Teilung 
der Güter und Gebäude der Universität und Abfindung für die Überlassung 
des ja noch in Landgraf Georgs Besitz befindlichen Marburger Privilegs. Im 
Verlaufe der Verhandlung meldete dann der Vertreter Darmstadts noch seine 
Forderungen an bezüglich der Mobilien, Bibliothek, Szepter, Katheder, Pro- 
fessorenbilder, mathematischen Instrumente usw. und machte bereits praktische 
Vorschläge über das Verhältnis der beiden künfligen Universitäten zueinander 
(Verbot gegenseitiger Schmähschriften, Relegationskartell, Promotion der bis- 
herigen Marburger Lizentiaten auf der Universität des Landgrafen Georg usw.)' 9B . 

Gleichzeitig aber begann die Aktion der Darmstädter, um die Cal- 

186 An Landgraf Georg, Aug. 30, Kzt, UAG, S. I, 2a. 

1(1 So steht von des Landgrafen Hand am Rande des Protokolls vom 15. Aug.: 
„Separatio würt dz beste mitteil sein". 

183 Z. B. bezüglich der Ge fället eil ung, Anschlag der Marburger Gebäude usw. 
Instruktion von 1648 De*. 15, Kzi, StAD, Marb. Succ. 99. 

iw Nebenmetnorial vom at. De/,, Kzt. a. a. O. » 

lw „Weil die Cass. darauß desto mehr verspüren können, daß man diß orts nicht 
eben die Separation der univ. suche", Landgraf Georg an die Räte in Gießen, 1649 Jan. i, 




Kit. a. 



O. 



181 Auf ein Paktieren mit Kassels Forderungen wollte man nicht eingehen. Bezeich- 
nend für die Angst vor dem Calvinismus ist Feurboms Äußerung (an Schütz und Ebcl, 
eigh. PS. vom 22. Jan., ebd.): „Der Calvinische syncretismus, wofern ihm nicht wird bey 
zeiten gesteuret, wird umb sich fressen wie der krebs". 

■w Prot, vom 18. Jan. Vorm., StAD, Marb. Succ. 105. 



334 Fünfter Abschnitt. 

vinisten aus Oberhessen und besonders Marburg entfernt zu halten. Sie er- 
klärten, von der Errichtung einer reformierten Theologenfakultät in Marburg 
könne auch im Falle der Separation keine Rede sein 1 * 3 ; das verbiete der All- 
gemeine Friede, wonach theologische Fakultäten in abgetretenen Landesteilen 
bei dem bisherigen Bekenntnisstand zu bleiben hätten. Gleichzeitig ließen sie 
durchblicken, daß man ihrerseits gar nicht die Absicht habe, die Darmstädter 
Universitätshälfte von Marburg wegzuverlegen 194 . Doch versprachen sich von 
dieser Maßregel Landgraf Georgs Vertreter selbst nicht viel Nutzen für den 
Schutz des lutherischen Bekenntnisses; sie schreiben 195 : „Wan e. f. g. ihre 
Universität alhier lassen wollen, wird dem Calvinismo nicht gewehret, weil 
auf solchen fall die Casselische ihr antheil nach Hirsfelt legen, und wird 
e. f. g. Universität alhier doch vor den neben predigern und docentibus, welche 
sie einführen wollen, nicht stehen können, ietzo zu geschweigen, daß gar nit 
thunlich, das e. f. g. dieser statt und ampt nutzen schaffen [Universität als 
Erwerbsquelle der Einwohner wie früher!] und den ihrigen dardurch schaden 
zufuegen solte". Ähnlich sprachen sich auch Feurborn, der Verfechter der 
Zurückverlegung nach Gießen, und Haberkorn aus; sie verglichen die lu- 
therischen Professoren unter Kasseler Herrschaft mit Schäferhunden, denen 
man Maulkörbe angezogen habe. „Was würden sie bei den Schafen nützen?" 196 
Es blieb daher, wollte man die calvinistische Universität aus Marburg fern- 
halten, nur der Hinweis auf den „allgemeinen Frieden" übrig. Die Kasseler 
suchten diesen Schlag zu parieren, indem sie erklärten: Es liege ihnen fern, 
die Konfession der Marburger Universität zu ändern; sie wollten nur ihre 
ohnehin reformierte Kasseler Hochschule nach Marburg legen, und gegen 
Verlegungen von Schulen habe kein Vertrag und kein Friedensartikel etwas 
einzuwenden 197 . Landgraf Georg möge doch immerhin seine Universitäts- 
hälfte in Marburg lassen, sie würden ihre Hochschule dazulegen 198 . 

Daß hiermit dem Sinne jener Osnabrücker Bestimmung entgegenge- 
handelt worden wäre, fühlten sie jedoch auch, zumal dann eine Vereinigung 
der Kasseler Hochschule mit der Hessen-Kasselischen Hälfte der Marburger 
Universität eingetreten wäre, und zwar unter Benutzung des Altmar- 
burger Privilegs, so daß man mindestens ebensogut von einer Ausgestaltung 
Marburgs als von einer Übertragung Kassels reden könnte 199 . Daher wirkte 



198 Prot, vom 13. Jan. 1649, a - a - O. 

194 Darmst. Deputierte an Landgraf Georg, Jan. 13: „Bey der Universität ziehlen 
die Casselische sehr auf Separation, befürchten aber, wie wir mutmaßen, es möchte auf 
solchen fall e. f. g. ihr antheil der univ. allhier zu Marpurg lassen, welches dubium wir 
uns zu nutz machen werden" (Or. StAD, Marb. Succ. 99). 

195 Sinold-Schütz und Ebel an Landgraf Georg, Jan. 19, Or. PS. ebd. 

196 An Sinold und Ebel, Jan. 22, Or. ebd. 

197 Prot, vom 20. Jan., StAD, Marb. Succ. 105. 

198 Deputierte an Landgraf Georg, Jan. 29, Or. StAD, Marb. Succ. 99. 

199 Dies heben Görtz, Schütz und Ebel in ihrem Schreiben an Landgraf Georg vom 
24. Jan. hervor (Or. PS. ebd.). 




Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. )jj 



der Hinweis auf den Friedensvertrag insoweit, als sich Kassel gegen den Vor- 
wurf seiner Verletzung zu decken suchte. Es wurde verlangt, Landgraf 
Georg solle eine ausdrückliche, in den Teilungs vertrag einzurückende Er- 
klärung abgeben, daß er mit der Verlegung der Kasseler Schule nach Mar- 
burg einverstanden sei 200 . Aber gegen diese Zumutung, wodurch er öffent- 
lich als Mitschuldiger der Calvinisierung der Marburger Universität dage- 
standen hätte, sträubte sich der Landgraf. Das äußerste, was er tun konnte, 
war: leidend geschehen zu lassen, was er nicht hindern konnte. Um einen 
Zwang auf ihn auszuüben, drohten die Vertreter Kassels mit einer Ver- 
legung der Kasseler Schule nach Hersfeld. Hierdurch wäre die Ein- 
wirkung des reformierten Bekenntnisses auf Oberhessen ebenfalls erfolgt, 
wenn auch nicht in dem Maße, wie es von Marburg aus möglich war. 
Dazu wäre denn für Darmstadt keine Abfindung für die Überlassung der 
Marburger Universitätsgebäude zu erlangen gewesen. So gestanden die Ver- 
treter Darmstadts den Kasselern das Verlegungsrecht privatim zu und rieten 
auch ihrem Landgrafen, dasselbe in einer Privaterklärung zu tun 801 . Ob eine 
solche Geheimerklärung, die nicht in den Vertrag gekommen wäre, den 
Kasselern genügt hätte, die ja des Landgrafen Zustimmung als Schild gegen 
alle Vorwürfe brauchen wollten, steht dahin. Aber Landgraf Georg blieb 
überhaupt fest; er weigerte sich, besonders nach Anhörung seiner Gießener 
Theologen, eine Calvinisierung der Universität in irgendeiner Form gutzu- 
heißen. In diesem Falle sei Universitätsgemeinschaft noch besser, meinte er, 
selbst wenn die Kasseler, doch auf ihre Verantwortung und Gefahr, einen 
ihrer Theologen nach Marburg schickten 10 *. Vielleicht dachte er den vertrags- 
widrigen Marburger Theologen später auf dem Prozeßweg wieder loszuwerden. 

*"> Prot, vom 21. Jan. Der Passus im Vertragsprojekt Kassels (am 24. Jan, an 
Landgraf Georg übersandt, a. a. O.) lautete : „Das wofern diese Cass. univ. etwa nacher 
M. oder sonst in ein ander statt des oberfürstenthumbs Hessen verlegt wiird, daB dem 
im Cass. hauptvertrag verglichenen exercitio Lutheranae religionis in der pfarkirchen und 
gemeiner stattschul nichts praejudicirt werde". Diese scheinbar zugunsten der lutheri- 
schen Lehre lautende Bestimmung sollte natürlich nur den Landgrafen Georg veranlassen, 
hiermit implicite zur Verlegung der Kasseler Hochschule seine Zustimmung zu geben. 

*"i Prot, vom 31. Jan., StAD, Marb. Succ, 105. Deputierte an Landgraf Georg, 1649 
Febr. 1 (Or. StAD, Marb, Succ. 99): „. . . wa« e. f. g. etwan ein neben erklärung privatim 
thaten, daS sie ihnen in translation der Casselischen oder anrichtung der reformirten 
schul zu Marpurg kein eintrag thun wollen, daß alßdan solcher nachdenklicher paB auß 
dem receß gelassen und das werk nur auf den Casselischen vergleich gerichtet werden 
möchte . . . Daß aber e. f. g. in die translation der Cass. schul nach M. disertc willigen 
sollen, befinden wir vieler erheblicher Ursachen halber zumahl nicht thunlich". übrigens 
war der Hersfelder Plan wohl nur ein Schreckschuß; Kassel hatte für Hersfeld neue 
kaiserliche Privilegien um teures Geld erwirken müssen. Um jedoch die Absicht wahr- 
scheinlicher zu machen, führten die Kasseler aus, sie könnten in Hersfeld den Besitz des 
dorrigen Gymnasiums mit über 80000 Gulden verwenden. Dieses Kapital mit den an 
den Marburger Gebäuden zu ersparenden 8000 Gulden und der Hälfte der Universitäts- 
vogteien gäbe schon Unterhalt für ein „groß corpus". 

*°* Gutachten der Theo!. (Feurborn, Haberkorn, Mogius u. Geilfusius) einzeln und 



336 Fünfter Abschnitt. 

Bald haftete es auch wieder an andern Punkten ; so verlangte Kassel jetzt 
einen Religionsrevers, der die lutherischen Theologen im Zaume halten sollte 203 . 

Dieser letztere Antrag erweckt schon den Verdacht, daß die Kasseler die 
Sache dilatorisch behandeln wollten, indem sie einem Abschluß immer neue 
Hindernisse in den Weg legten. Bald zeigte es sich in der Tat, daß Kassel durch 
Verschleppung der Entscheidung den Gegner mürbe machen wollte. Hessen- 
Kassel, im Besitz der Kasseler Hochschule und der Hälfte an der Universität 
Rinteln, hatte ja gar keine solche Eile, die Marburger Frage zu lösen; die 
Landeskinder fanden jetzt ohnehin Bildungsanstalten im Lande genug. Anders 
Landgraf Georg, dem an baldigster Erledigung der Universitätsangelegenheit 
— so oder so — alles gelegen sein mußte, zumal ihm die Besoldung der jetzt 
unbeschäftigten Marburger Professoren bis zur Entscheidung oblag 204 . 

Auf diese Zwangslage des Darmstädter Landgrafen bauend, geht jetzt 
Kassel sogar noch einen Schritt weiter: Georg soll nicht nur seine formelle 
Zustimmung zur Calvinisierung der Universität geben, sondern er soll selbst 
die Genehmigung der auf dem Kongreß vertretenen Mächte für diese Durch- 
brechung des Friedensvertrags auswirken helfen 205 ! Sogar die Besorgnis der 
Bürger Marburgs, ihre Einnahmequelle, die Universität, zu verlieren, benutzte 
Kassel als Waffe. Man bestellte sich eine Schrift der Bürger an die Land- 
gräfin, worin diese um Verlegung der Kasseler Hochschule nach Marburg 
gebeten wurde, und man dachte, diese Bitte der lutherischen Bürger um eine 
reformierte Universität am Kongreß gegen die Darmstädter auszuspielen* 06 . 

Aber auch jetzt fand Landgraf Georg einen Ausweg offen. Er wurde 
ihm von seinen Gesandten nahegelegt. Da die Marburger Universität zurzeit 
nicht in Gang zu bringen war, namentlich auch weil die Theologen wegen 



gemeinsam, vom i., 2., 7., 12. Febr., St AD, Marb. Succ. 99 u. Hess.-Kass. 5; Landgraf 
Georg an die Deputierten, Febr. 16 (Or. StAD, Marb. Succ. 105), vgl. schon dessen Sehr, 
vom 29. Jan. (Kzt. StAD, Marb. Succ. 99). — Ähnlich sprach sich auch der Rat Diete- 
rich in Gießen aus : Statt eine reformierte Univ. in Oberhessen zuzulassen, solle man lieber 
die communio antreten. „Und protestire solenniter, daß ich kein syncretist bin, ob ich 
schon communionem für besser halte. Es wehre ubers jähr noch zeit genug gewest, de 
propria academia zu reden. Ubi habebimus peeuniam, nervum, viros? Video nihil!" 
(An Sinold-Schütz, Febr. 9, Or. StAD, Marb. Succ. 105). 
208 Sinold an Landgraf Georg, Febr. 16, Kzt. ebd. 

204 Am 18. Febr. berichten Görtz und Sinold, der Kasseler Rat Sixtin habe geäußert, 
die Univ. solle noch zwei Jahre unbestellt bleiben, bis Landgraf Georg „müde gemacht** 
und zu vorteilhafteren Bedingungen erbötig sei; es gehe doch nicht an, daß der Landgraf 
jährlich 4000 Gulden an die Professoren zahle, ohne etwas dafür zu haben, und man könne 
diesen andererseits nicht zumuten, sich noch weiter in Schulden zu stecken. Es fehle 
im Lande an Pfarrern und Lehrern (Or. StAD, Hess.-Kass. 5). 

205 Dies läßt die Landgräfin am 23. Febr. verlangen (Prot. StAD, Marb. Succ. 105). 
In diesem Falle könne die betr. Bestimmung aus dem Hauptabschied gelassen werden! 

206 p r ot. vom 23. Febr.; Bericht d. Gesandten vom 26. Febr. (a. a. O.). Dieses 
Bestreben der Stadt Marburg datiert also nicht erst von 1650. wie Henke (Eröffnung 
der Univ. M. 1653 [1862], 22) annimmt. 





Justus Feurborn 
Professor .1er Theologie und Enlio 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 3)7 

« 

der Huldigung Schwierigkeiten machten, so wurde dem Landgrafen vorge- 
schlagen, die Universität bis auf weiteres zu suspendieren und die Professoren, 
wenigstens die Theologen und Philosophen, in Gießen in Tätigkeit zu setzen, 
während man den übrigen ein Wartegeld zahle. Georgs anwesende Räte, 
zum Gutachten aufgefordert 207 , gingen sogar noch weiter: Er solle die Ver- 
handlungen abbrechen und auf Grund des Kasseler Vertrags wenigstens mit 
der Hälfte der Einkünfte in Gießen eine Universität, wenn möglich mit 
allen Fakultäten, auftun. Zu diesem Zwecke sei es nötig, sofort mit den 
in Marburg weilenden Professoren zu unterhandeln, in erster Linie mit Tonsor, 
Ebel und Dieterich, „dan ohne diese beede letztere subjecta eine academia 
in humanioribus et philosophicis schwerlich anzustellen sein wirt". Im 
ganzen seien vorerst drei Theologen, drei Juristen, ein oder zwei Mediziner 
und drei Philosophen ausreichend; den Stadtschullehrern zu Gießen sei, 
um das Pädagog zu besetzen, noch ein weiterer hinzuzufügen. Die Stadt 
Gießen könne Zuschüsse liefern, ebenso der Geistliche Landkasten und die 
umliegenden Ämter. Natürlich müßte für den Anfang auch der Landgraf 
noch in die Tasche greifen 208 . 

Immerhin verhandelten die Darmstädter bei der Wiederauf nähme der eine 
Weile ins Stocken geratenen Konferenzen 209 noch immer auf die Kommunion 
hin. Kassel, das in der Trennung das Heil sah, beantwortete diese Haltung der 
Darmstädter mit maßlosen Forderungen für den Fall der Kommunion : Nicht 
nur ein außerordentlicher Theologieprofessor, sondern zwei bis drei ordentliche 
Professoren der Theologie und auch einige Professoren der Philosophie werden 
verlangt, sowie paritätischer Religionsunterricht im Pädagogium 210 . 

Landgraf Georg trat insgeheim mit den Professoren in Fühlung, um zu 
erfahren, auf wen für Hessen-Darmstadt zu rechnen sei, falls keine Einigung 
in Marburg zustande komme 211 . Es ist bei den massenhaft sich kreuzenden 



207 Landgraf Georg an Feurborn, Haberkorn, (Rat) Dieterich, Horst, Le Bleu „und 
andere zu Gißen anwesende professores", Kzt. vom 21. Febr., StAD, Hess.-Kass. 5. 

208 Das Gutachten (26. Febr.) ist von Feurborn, Haberkorn, G. Th. Dieterich, Le 
Bleu unterzeichnet (Or. ebd.). Ein vorausgehendes Votum Feurborns vom 25. Febr. 
(ebd.) erklärt die von Kassel erstrebte Besetzung der theol. Fak. mit Professoren beider 
Bekenntnisse für unannehmbar; ein commune seminarium utriusque religionis conser- 
vandae et propagandae, ein Religionssynkretismus und Harmonie sei bei den bestehenden 
fundamentalibus dissensionibus unmöglich. Gefährlich sei es auch, die Univ. im Terri- 
torium Kassels zu belassen; die lutherischen Stipendiaten könnten hierbei mit dem cal- 
vinistischen Gottesdienst in Berührung kommen. Die Wahl Gießens als künftiger Uni- 
versitätsstadt stützt Feurborn schon jetzt mit verschiedenen Gründen. 

»09 Di e Sendung des Otto Hartm. v. Schlitz gen. v. Görtz blieb gleichfalls ergebnis- 
los. Prot, vom 23. Febr. nachm., StAD, Marb. Succ. 105. Gesandtenbericht v. 26. Febr. 
ebd. Schlitz-Görtz an Gottfr. v. Wallenstein, 1649 März 20, Herzberg, Abschr. StAD, 
Hess.-Kass. 5. 

210 Prot, vom 1. März, Bericht vom 5. März, StAD, Marb. Succ. 105. 

211 Am 7. März entschuldigen sich die Prof. wegen der Einstellung der Vorlesun- 
gen; es liege nur am Mangel von Studenten; doch würden wenigstens die philosophischen 

Die Universität Gießen von 1607 bis 1907. I. 21 



3*8 * Fünfter Abschnitt. 

Vorschlägen und Berichten dieser stürmischen Tage nicht recht deutlich, wor- 
auf der Landgraf wirklich hinauswollte, und welche Äußerungen nur vorge- 
schoben waren, um die Gegner zu täuschen. Das eine aber scheint festzu- 
stehen, daß er eine Zeitlang sogar daran dachte, die Universität in Marburg 
im ganzen festzuhalten. Die Professoren standen ja noch in Dienstver- 
pflichtung bei Landgraf Georg. Man konnte sie also in seinen Diensten in- 
terimsweise weiter amtieren lassen, und wenn kein Vergleich zustande kam 
— so blieb Georg Inhaber der Universität 212 . War doch dem Hause Darm- 
stadt eine ähnliche Unternehmung vor 25 Jahren wohlgelungen ! Aber jetzt 
war Landgraf Georg eben nicht mehr, wie sein Vater 1625, Territorialherr 
von Marburg, und so brachte der Widerspruch der Gegner 213 den Plan zu 
Falle. Doch blieb jetzt noch die Möglichkeit für Darmstadt, die Universität 
als Ganzes zu suspendieren und in darmstädtischem Gebiete wieder zu er- 
öffnen. Die Universitätsangehörigen getrauten sich nicht, ein solches Ver- 
fahren zu befürworten; sie waren ja durch die Huldigung Untertanen der 
Kasseler Landgräfin geworden, gleichzeitig aber waren sie nach ihrem noch 
nicht aufgehobenen Diensteid Beamte des Landgrafen von Darmstadt. Darum 
hofften sie alles von schiedsrichterlichem Verfahren oder von einer Verhand- 
lung vor dem Reichstag 814 . Etwa die Hälfte der in Marburg anwesenden Pro- 
fessoren erklärte sich bereit, im Dienste Landgraf Georgs weiter zu amtieren 215 . 

Vorlesungen fortgesetzt. (An Prof. Christiani, der von der Univ. an Landgraf Georgs Hof 
geschickt war, Abschr. UAG, jS. I, 2a.) — In der Verhandlung der Vertreter Landgraf 
Georgs mit den Professoren äußern erstere: „In casu suspensionis", im Falle Kassel die 
Fortdauer der akad. Tätigkeit im Dienste Landgraf Georgs in Marburg nicht dulde, be- 
absichtige dieser int er im wo anders etwas zu errichten. Landgraf Georg werde bei der 
Kommunion solange als möglich halten und es „per actus zur quasipossession bringen" 
(Gesandtenber. vom 9. März, Or. StAD, Hess.-Kass. 5). 

212 Darmstadt verweist nach den erhöhten Forderungen Kassels die Univ.-Sache auf 
eine spätere Konferenz und reserviert sich inzwischen seine Rechte auf die Universität 
und ihre Güter pro indiviso, wolle sich der Univ. wie bisher annehmen und den Prof. 
befehlen, daß sie ihre Tätigkeit wieder aufnehmen (Prot, vom 1. März). Kassel dagegen: 
Ob denn die Darmstädter Regierung den Untertanen Kassels etwas befehlen könne, und 
ob Darmstadt wirklich die Absicht habe, mit den Kassel zustehenden Privilegien auf kas- 
selischem Gebiet eine darmstädtische Univ. zu halten (Prot, vom 3. März); vgl. vor. Anm. 

213 Prot, vom 9. März, StAD, Marb. Succ. 105. 

214 Gutachten des akad. Senats (Rektor Kornmann, Tonsor, Breitenbach, Tülsner, 
Tileman, Ebel, Dieterich; Tonsor verweigerte die Unterschrift) vom 5. März (ebd.): 
Schiedsgericht, bestehend aus Herzog Ernst nebst je einem Vertrauensmann vorgeschla- 
gen, oder Reichstag. Sinold-Schütz und Rat Ebel nennen dies am 9. März (Or. StAD, 
Hess.-Kass. 5) ein „schlechtes etwas nachdenkliches imperfectes gutachten", weil die 
Rechtsfrage nicht berührt; Schiedsrichter seien zu zeitraubend, am Reichstag sei die 
Parteigruppierung nicht günstig, und: „Quod remittitur ad diaetas imperii, nunquam 
vel raro extricatur*'. 

215 Erhalten sind die Erklärungen von Tonsor, Tileman und Ebel, die ihr Weiter- 
dienen meist von pekuniärer Hülfe abhängig machen, nur Dieterich verlangt jetzt seinen 
Abschied (StAD, Hess.-Kass. 5), obgleich er sich früher in ähnlichem Sinne wie jene ge- 
äußert hatte (Sinold an Landgraf Georg, Febr. 26, Kzt. StAD, Marb. Succ. 105). 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 339 

Wenige Tage später zerschlug sich die Verhandlung der beiderseitigen 
Vertreter gänzlich. Die Kasseler waren es, die zum Bruche trieben, indem 
sie behaupteten: Unter den Universitätseinkünften, über die der Kasseler 
Friedensvertrag eventuelle Teilung bestimme, seien nicht die Gesamtein- 
künfte der alten Marburger Universität, sondern die der Universität gegen- 
wärtig zustehenden Einkünfte zu verstehen (nach der Teilung von 1627); 
von ihnen verlangte Kassel die Hälfte, so daß Darmstadt nur ein Viertel des 
Ganzen behalten hätte 216 . 

Am Schluß machte Darmstadt den Vorschlag, Herzog Ernsts Vermitt- 
lung anzurufen, aber Kassel ging darauf nicht ein, und der Herzog weigerte 
sich, den Vermittler zu spielen, wenn ihm dieses Amt nicht von beiden Par- 
teien angetragen werde 217 . 

Jetzt tat Landgraf Georg endlich Schritte, um ein eigenes Universitäts- 
wesen, unbeschadet der Entscheidung über Marburg, zu begründen. Er be- 
auftragte die Gesandten Sinold-Schütz und Ebel, gleich nach dem Abbruch 
der Verhandlungen sich nach Gießen zu begeben, um mit den dortigen Ver- 
trauensmännern zu beraten, wie dort eine Interims Universität errichtet oder 
auch, wenn man die Separation schließlich noch eingehe, die Universität 
Gießen wie der errichtet werden könne, vor allem auch, wie man den Pro- 
fessoren Unterhalt schaffen könne 218 . In letzterer Hinsicht wußten die Räte 
keinen Ausweg, denn die disponiblen Staatseinkünfte waren minimal 219 . Im 
übrigen aber liegen die Ergebnisse der Beratungen in einem Gutachten von 
Feurborn, Haberkorn und Le Bleu vor 220 . Auf die Frage, ob und wo der 
Landgraf eine eigene Hochschule errichten solle, heißt es da: Allerdings sei 
er dazu verpflichtet, unter anderem wegen der Gefahr, die von dem in den Re- 
ligionsfrieden neu aufgenommenen Calvinismus drohe. Die Schule dürfe keine 
Partikularschule sein, denn der benachbarte Graf von Nassau-Dillenburg leiste 
sich eine Universität 221 ; also ebenfalls eine Universität, und zwar zu Gießen, 
das im kaiserlichen Privileg genannt sei, ein Kollegiengebäude und schon 
als Universität Ruf besitze, auch ein sicherer Ort sei, den Gott, besonders im 



216 Prot, vom 9. März (ebd.). Darmstadts Vertreter nennen diese rabulistische Be- 
hauptung einen „ungereimten, nichtswürdigen einwurf. 

217 Akten StAD, Hess.-Kass. 5. Landgraf Georg hatte einen Spezialgesandten, v. 
Schlitz, an den Herzog geschickt; der Herzog riet, um jeden Preis in die Kommunion 
einzutreten, damit das Odium der Trennung auf Kassel falle (Erkl. d Herzogs v. 16. März, 
Schlitz an Landgraf Georg, März 18, Or. ebd.). 

** 8 Landgraf Georg an die Deputierten, März 12, Or. StAD, Hess.-Kass. 5. 

**• Deputierte an Landgraf Georg, März 23, Or. ebd. Wie schwer es hielt, Ab- 
schlagszahlungen auf die Rückstände der Professoren zu leisten, zeigt die Korrespondenz 
des Landgrafen mit der Univ. von April bis Oktober d. J. (UAG, S. I, 2a). 

»0 Vom 30. März, Abschr. UAG, S. I, 3. 

*** Nämlich Herborn. Doch konnte die dortige Hochschule nicht zur Universität 
werden, weil die Taxe für das bereits bewilligte Privileg nicht aufzubringen war. Vgl. 
Steubing, Gesch. d. hohen Schule Herborn (1823), 150 ff. 

2 2* 




340 Fünfter Abschnitt. 

Jahre 1646 sichtbar beschützt habe 2 ". Freilich müsse man bei der Errichtung 
gewisse Kautelen berücksichtigen. Zunächst sei ein Ultimatum an Kassel 
zu schicken: ob man auf den Marburger Forderungen bestehe; bleibe Kassel 
fest, so solle Landgraf Georg seine Absicht notifizieren, eine eigene Univer- 
sität zu errichten unter Vorbehalt seiner Ansprüche auf die Marburger. Dieses 
Vorgehen sei der Königin von Schweden, dem Kurfürsten und dem Herzog 
Ernst von Sachsen, auch dem Kaiser mitzuteilen usw. Zur Erhaltung der 
Hochschule sind neben den bereits genannten 2 " Hülfsquellen die bisher für 
Marburg verwendeten Gefälle und die Leiningischen Zinsen (sobald sie ein- 
getrieben!) erwähnt. 

Den Wunsch, daß Gießen wiederum Sitz der Universität werde, unter- 
stützte dessen städtische Behörde in ausführlichem Schreiben" 4 . 

Der Landgraf trug gemäß dem Vorschlag des Gutachtens dem Kur- 
fürsten von Sachsen die Sachlage vor, und bat ihn, wie auch den Herzo: 
Ernst, ^lie Politik seines Gesandten in Münster zu unterstützen, bezw. ein 
Beeinträchtigung seiner Rechte in Religionssachen abzuwehren" 5 . 

Doch Kassel ruhte nicht; die Universität Marburg in ihrer gegen 
wärtigen, unhaltbaren Lage war der dortigen Regierung ein Dorn im Auge. 
Die Universität schickte sich damals an, die Rechnungen der Jahre 1645 bis 
1648 von Landgraf Georgs Beamten prüfen zu lassen, aber die Regierungs — 
beamten zu Marburg verboten dies, obgleich es sich doch um die Rech — 
nung der Jahre handelte, in denen Landgraf Georg rechtmäßiger Herr der" 
Hochschule war; sie drohten sogar, eine Schildwache vor das Konsistorium 
(Senatszimmer) zu stellen und den Professoren die Schlüssel der Gebäude ab- 
zunehmen. Selbst den darmstädtischen Rechnungsbeamten mutete man die Huldi- 
gung zu, und Rektor Kornmann erhielt einen Verweis, weil er im Vorlesungsver- 
zeichnis die Universitätsgemeinherrschaftnicht erwähnt habe" 6 . Schließlich mußte 
der darmstädtische Kammerrat Reyser wirklich den Huldigungseid leisten" 7 . 

Mit diesen Zwangsmaßregeln bezweckten die Kasseler vermutlich, dem 
Landgrafen die Notwendigkeit vor Augen zu führen, daß man über die Uni- 
versität ins Reine kommen müsse. So ist es wohl eine Folge davon, wenn 
wir sehen, wie Georg durch ein Schreiben an die Regentin" 8 , durch einen 



222 Vgl. Gießener Intelligenzblatt 1795, **8f. — Für die Wahl des Ortes vgl die 
Worte des Gutachtens: „und würd die restaurirte Universität alda eher in raff und flor 
wieder kommen alß zu Darmstadt, zu Alßfeld, zu Grunberg". Diese drei Städte galten 
also damals als Konkurrenten gegenüber Gießen. — " s S. oben S. 337. 

224 Unter Anführung von zehn Gründen, die im wesentlichen mit den obigen und 
denen von 1605 (MOGV X, 43 f.) übereinstimmen. Ferner verspricht die Stadt, „mit 
einer sonderlichen und nahmhaften außlage, mit gärten, wießen und andern beförderlichen 
diensten" der Univ. entgegenzukommen. 1649 April 10, Or. UAG, S. I, 3. 

225 An Kursachsen, 1649 April 23, Kzt. a. a. O. 

226 Berichte der Rechnungsbeamten Heilmann und Reyser vom 15. Mai, der Univ. 
vom 16. Mai. Or. UAG, Adm. Rechnungsabhör. 

227 Sein Bericht vom 20. Mai ebd. — 228 Kzt. vom 1. Juni, StAD, Hess.-Kass. 5. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 341 

besonderen Gesandten nach Kassel** 9 und durch eine Konferenz seiner Vertreter 
mit dem durchreisenden Kanzler von Kassel, Sixtin, in Rüsselsheim* 30 die Ver- 
ständigung zu fördern suchte. Aber bei der letzten Verhandlung machten 
Kasseler Forderungen (reformierter Professor, Gleichstellung der beiderseitigen 
Professoren an Zahl, jetzt auch : an Gehaltsbetrag) den Kommunionsplan, — das 
Verlangen nach einer schriftlichen Zustimmung des Landgrafen zur Übertra- 
gung der Kasseler Hochschule nach Marburg das Separationsprojekt zunichte. 

Die Landgräfin betrieb die Sache wieder so zögernd, daß erst auf die 
zweite Hälfte des August eine neue Verhandlung anberaumt wurde, diesmal 
nach Gießen, die sich neben der Universitätsfrage mit einer schwierigen Grenz- 
frage beschäftigen sollte. 

Als Bevollmächtigte traten am 22. August zusammen: von Darmstadt 
der Kanzler von Gießen, Just Sinold, genannt Schütz, und der Kammermeistcr 
Georg Daniel Ebel, von Kassel die Räte J. Göddäus und Lic. N. C. Müldener* 31 . 

Diesmal verhandelte man nur auf die Separation hin. Hier hätte nun 
die Trennung der Universitätsgüter keine große Schwierigkeit gemacht; die 
Punkte, an denen man immer wieder hängen blieb, war das Verlangen der 
Kasseler nach der mehrberührten Erklärung des Landgrafen Georg über die 
Verlegung der Kasseler Hochschule nach Marburg, und die Frage nach einer 
Abfindung an Darmstadt für die Herausgabe der Altmarburger Privilegien. 

In dem ersteren Punkte, der Reversfrage, hätten die Vertreter des 
Landgrafen gern nachgegeben* 3 *, aber die Gießener Geistlichen (Feurborn, 
Haberkorn, Mog, Geilfus), mit denen sie mehrfach konferierten, erklärten 
es für eine Gewissenssache, die man dem Landgrafen nicht zumuten dürfe. 
Eine Niederlassung der reformierten Hochschule in Marburg dürfe nur im 
äußersten Notfall, niemals aber unter ausdrücklicher Gestattung oder Zu- 
lassung des Landgrafen stattfinden* 38 . Der Landgraf selbst blieb denn auch 
auf seiner Weigerung bestehen. 



**» Akten StAD, a. a. O. 

* M Notizen aus den Verhandlungen vom 5. Juni, Or. UAG S. I, 3. Dazu das 
Schreiben des Landgrafen an Sinold, Juni 8 (Or. UAG, Adm. Teilung 1649), worin er 
diesem, auch zur Mitteilung an die Gewissensräte Feurborn und Haberkorn, vom Ver- 
laufe Mitteilung macht. 

m Vollmachten, StAD, Marb. Succ. 105. — Für den Gang der Verhandlungen be- 
nutze ich die nicht ins Reine geschriebenen Protokolle (UAG, Adm. Teilung 1649) und 
die Konzepte der Berichte an Landgraf Georg (ebd.)* 

* 3 * Bericht der Gesandten vom 22. Aug. (Kzt Sinolds): „Den revers betreffend, 
wird unseres ohnmaßgeblichen darfürhaltens endlich nicht zu verweigern sein und dieses 
werk darumb sich schlagen zu lassen, wenn er nach dem receß abgefasset und nichts wei- 
teres hineinkombt", d. h. wenn der Landgraf sich darin nicht deutlicher ausdrücke als 
im Vertrag von 1648. Damit wäre übrigens den Kasselern nicht geholfen gewesen. 

* 33 Prot, vom 22. u. 23. Aug., vgl. Gutachten der Theologen v. 24. Aug. (Or. UAG, 
S. I, 3). Die Darmstädter Diplomaten kamen mit den Theologen ziemlich scharf an- 
einander, und als die letzteren die Sache als casus conscientiae bezeichneten, erwiderten 



342 Fünfter Abschnitt. 

Daß man andererseits auf dieser Bedingung bestand, war naturlich. 
Den Kasselern war die Bestimmung des Westfälischen Friedens über die 
Beibehaltung der bisherigen Konfession in den Universitäten abgetretener 
Landesteile außerordentlich unbequem. Der einen Art, sie zu umgehen, indem 
man die Marburger Universität als die bloß verlegte Kasseler Hochschule 
erklärte, trauten sie selbst nicht viel Beweiskraft zu. Nichtsdestoweniger 
sehen wir sie geradezu fieberhaft bemüht, die äußeren Zeichen der Kon- 
tinuität der Marburger Universität sich vom Halse zu schaffen; bei der Be- 
handlung der Frage, wem die Siegel der Marburger Hochschule in Zukunft 
gehören sollten, heißt es im Darmstädter Protokoll: „Sigilla wollen Cassel- 
lani nicht haben, sondern wir sollen dieselben behalten, wollen uns dieselben 
verehren" 234 . Die künftige Universität Marburg sollte um jeden Preis nur als 
eine Fortsetzung der Hochschule zu Kassel gelten. Im Widerspruch dazu 
mußte natürlich das Verlangen nach dem Privileg Karls V. stehen, wodurch 
man aber allein der Marburger künftigen Hochschule Universitätsrang sichern 
konnte. Dieses Widerspruchs wurde man sich auch bewußt, und schwankte 
einen Augenblick, ob man dieses Privileg überhaupt brauchen könne 8 * 6 . 

Wesentlich vermindert wurden alle diese Bedenken, wenn sich Landgraf 
Georg, der berufene Verteidiger des Luthertums seiner abgetretenen Unter- 
tanen, zu dem geforderten Revers entschloß. Aber nur eine vorsichtige, die 
Religion nicht berührende Erklärung hatten seine Vertreter anzubieten. Ich 
setze die Stelle aus dem Protokoll vom 28. August, weil sie die Grundlage 
der späteren Einigung bildete, trotz ihrer stilistischen Unebenheit hierher: 

„Weil wir [Darmstädter] ihnen nun nichts der reformierten religion 
halben im reverß nachgeben konten oder wolten, were sonst unsere mei- 
nung, dz der reverß also abgefast [werde]: Doch ist hierbey abgeredt, dz 
[wenn] i. f. g. zu Cassel wegen der angerichteten und entweder nacher 
Marpurg oder sonst in andere ort des ober- oder niderfurstenthumbs 
Hessen gelegten newen Universität streit erregt oder etwz aberkant werden 
soll, dz alßdan wegen obbesagter 9000 fl. [Abfindung für Abtretung der 
Privilegien] beide theile in vorigen rechten stehen sollen. Daß der religion 
in diesem tractus etwz dispositive, directe oder per indirectum, tacite oder 
expresse, implicite oder explicite solte gedacht werden, solches konte man 

die Gesandten, ob es kein casus conscientiae sei, wenn die Besetzung von Kirchen und 
Schulen gehindert würde. 

,w Sie kamen schließlich ins hessische Samtarchiv nach Ziegenhain, s. u — Daß 
Kassel noch drei Jahre vergehen ließ, bis es seine Hochschule in Marburg feierlich er- 
öffnete, daß es ihr neue Konstitution und Siegel (mit dem Kopf Wilhelms VI.) verlieh, 
sind lauter Zeichen, daß die Kontinuität der alten Universität unterbrochen werden sollte. 
Die Darmstädter Regierung hat daher gelegentlich die Fortdauer der alten Universität 
Marburg über 1650 hinaus geleugnet, vgl. Acta Hanoviensia II (1739), 277 ff. 

,M Prot, vom 28 Aug.: „Illi: Uf diese weise wolten sie lieber keine privilegia 
und nur ein gymnasium und keine univ. haben, zwar sie wolten die privilegia haben, 
stünde aber i. f. g. frey, ob sie die gebrauchen wolten oder nicht" usw. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 343 

zumahl nicht eingehen oder nachgeben wegen des bösen nachklangs, so i. 
f. g. bey andern Lutherischen standen erfolgen werde, und dz es wider i. 
f. g. conscienz laufen thete oder doch einen weg wie den andern wider dz 
vetterlich testament gehen würde; bethen deswegen, in uns deßwegen nicht 
weiter zu tringen." 

Der Passus, .der implicite Landgraf Georgs Zustimmung zu dem Ver- 
legungsrecht der Kasseler enthielt, bot den letzteren zu wenig. Es wurde 
daher von der Erledigung dieses Punktes und der Abfindung für die Pri- 
vilegien abgesehen und die Teilung der Universitätsgüter und Gebäude ins 
Reine gebracht. Hierüber wurde am 31. August ein Rezeß aufgesetzt, der 
am 3. September unter Vorbehalt der Ratifikation der Regierungen von den 
Bevollmächtigten unterschrieben wurde. Georg war hiermit zufrieden, denn 
er hatte sich in der Gewissensfrage nichts vorzuwerfen 236 und bekam freie 
Hand, seine Universitätsgründung auf der Hälfte der Güter zu basieren. 

Aber kaum konnte die Sache in diesem Sinne als erledigt gelten, so 
wurde man in der Gegenpartei anderen Sinnes. Es reute die Kasseler, daß 
sie die anstatt des Reverses angebotene obige Klausel nicht angenommen 
hatten. Sie schlugen vor, nun doch diese Klausel noch einzurücken, und 
zwar nicht in den beschlossenen Rezeß, sondern in ein früheres umfang- 
reiches Vertragsprojekt, das auf einem Entwurf der Darmstädter Kanzlei be- 
ruhte, und in dem auch der Ersatz der Privilegien mit 9000 fl. gewahrt war 237 . 
Was diese plötzliche Schwenkung in der Kasseler Politik veranlaßte, war wohl 
die Erwägung, daß ohne diese Klausel Landgraf Georg keinen Anstand nehmen 
werde, die Errichtung der reformierten Universität in Marburg als gegen den 
Westfälischen Frieden laufend anzufechten. Ein letzter, ganz naiver Versuch 
Kassels, doch noch ein auf die Religion bezügliches Versprechen von Georg 
zu erlangen 2 * 8 , wurde abgewiesen; und nun kam mit einer Reihe Abänderungen 
das Darmstädter Projekt, jedoch unter Zufügung der Klausel (nachdem die 
lutherischen Theologen sich im wesentlichen zustimmend geäußert hatten) am 
6. September zur Annahme, wodurch der vorige Rezeß überflüssig wurde. Am 



»36 Deputierte an Landgraf Georg, Aug. 30: „Werden also hierin die 9000 fl. 
hindangesetzt und dargegen alle widrige nachrede vermieden'* (Or. StAD, Hess.-Kass. 5, 
vgl. Standhafte Widerlegung [1747], Beil. S. 23). Landgraf Georgs Antwort, Sept. 3: 
Ist mit dem Rezeß zufrieden, besonders weil das „periculum religionis et conscientiae 
nicht eingeflochten 11 ist (Or. StAD, Marb. Succ. 105). 

M7 Kzt. mit Vermerk „Diß concept ist den 6. 7br. 1649 zu Gießen placidirt (!), 
ingrossirt und subscribirt worden 4 ', StAD, Univ. 10. Hierin fehlt der Passus „Was aber 
die übrige documenta . . . gelegt werden". Statt ihrer steht nur das Zeichen §. Wahr- 
scheinlich ist dieser Passus ein Zusatz bei der Wiederholung des Vertrags im Febr. 1650 
Das Original des Septembervertrags hat mir nicht vorgelegen. 

1 * 98 Die Kasseler kommen, als man schon über alles einig ist, mit dem Verlangen: 

So musten sie auch der religion halber versichert seyn, welches dan etwa durch ein 
handschreiben oder durch ein complement brieflein geschehen könte". 



1 



$44 Fünfter Abschnitt. 

7. September unterschrieb man. Gleichzeitig stellte Kassel Sicherheit für die 
Zahlung der Zinsen jener Abfindungssumme * 3 ». 

Nach der Unterzeichnung des Vertrags setzten die beiderseitigen Ver- 
treter ein Protokoll auf. Hiernach steht in erster Linie der Vertrag vom 
6. September zur Ratifikation ; findet dieser keine Bestätigung, so soll es 
bei dem Rezeß vom 31. August bleiben 240 . 

Verhältnismäßig rasch wurde das Abkommen vom 6. September von 
beiden Seiten ratifiziert. Die Landgräfin tat dies am 14. September, wenn 
auch mit der Bemerkung, daß einige Punkte „einzugehen fast bedenk- und 
beschwerlich" sei. Und Landgraf Georg, der erst den Gewissensrat Feur- 
borns einholte, stimmte am 19. September mit dem Zusatz bei, den ihm dieser 
Theologe empfohlen hatte: Die mehrerwähnte Klausel räume bezüglich der 
Religion nur soviel ein, als der Hauptvertrag von 1648 besage* 41 . Somit war 
bereits im September 1649 die Teilung der Universität besiegelt; der Univer— 
sitätsvertrag vom 19. Februar 1650* 42 ist im wesentlichen nur eine Neuaus- 
fertigung dieser Übereinkunft, vorgenommen zum Zwecke beiderseitige!" 
persönlicher Unterschrift, wie dies in jenen festlichen Tagen mit einer An- 
zahl solcher Verträge geschah 848 . 

Oberblicken wir den Inhalt des Vertrags, der nach anderthalbjähriger 
Unsicherheit dem Universitätswesen in Hessen wieder feste Normen gab, so 
finden wir folgendes: 

Die Teilung der altmarburgischen Universitätsgüter wird in derselben 
Weise beibehalten, wie sie zur Zeit zwischen den Hochschulen zu Kassel 



* 39 Abschr. d. Neuausfertigung dieses Abkommens (Anweisung der Zinsen von 8ooo fl. 
= 400 fl. jährlich auf die Tranksteuer von Stadt und Amt Marburg und eventuell auf 
den Guldenweinzoll). StAD, Sammelband Abschriften v. Verträgen, Bl. 357. Notarielle 
Abschr. UAG, S. Cod. Rescr. I, 135. 

* 40 Abschr. StAD: Abschr. hess. Verträge 30. 

241 Der Landgraf hatte zuerst beabsichtigt, die Ansicht des Kurfürsten Johann Georg 
und des Herzogs Ernst zu Sachsen über die Möglichkeit der Ratifikation zu hören, ent- 
schloß sich aber nachher anders und teilte ihnen nur die Tatsache des Vertragsschlusses 
mit. Durchkorrigierte Kzte. v. 24., urspr. 10. Sept. UAG, S. I, 3 u. 4. Eine gegen Land- 
graf Georgs Erläuterung gerichtete Erklärung der Regentin scheint schließlich dadurch 
erledigt worden zu sein, daß Landgraf Georgs Vertreter an seinen Verzicht auf actiones 

* aus dem testamentum Ludovici erinnerte. Ebel an Landgraf Georg, Okt. 9 u. 10, Franken- 
berg, UAG, S. I, 3. — Die Weigerung Georgs, der Errichtung einer reformierten Uni- 
versität Marburg zuzustimmen, hatte große Bedenken auf kasselischer Seite zur Folge ; man 
fürchtete, daß der Kaiser Schwierigkeiten machen werde („utpote de quo multi adhuc 
inter ipsos disputant et trepidant", schreibt davon Haberkorn am 7. Jan. 1650), zumal da 
er mit der „Genehmhaltung in optima forma", um die man nachsuchte, zögerte. Schließ- 
lich riß der Kasseler Regierung die Geduld, und sie eröffnete die Universität ohne kaiser- 
liche Genehmigung, 1653. Vgl. E. L. Th. Henke, Die Eröffnung d. Univ. Marburg 1653 
(1862), 22 ff. u. 44 ff. 

242 Gedr. in der Standhaften Widerlegung (1747), Beilagen S. 24 ff.; Justi, Hess 
Denkwürdigkeiten I (1799), 185 ff. 

2*3 Vgl. Rommcl VIII, 765 Anm. 249 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuni versitat zu Gießen. 545 

und Marburg besteht, das heißt, wie sie 1627 festgesetzt worden ist 244 . 
Die Stipendien werden nach der Landeszugehörigkeit der Orte geteilt. 
Die Kasseler Linie erhält die Marburger Universitätsprivilegien, sowie 
die dortigen Universitätsgebäude und Grundstücke mit Ausnahme dessen, 
was unter Darmstädter Herrschaft hinzugekommen ist, und zahlt dafür 
9000 Gulden, und zwar 1000 Gulden bar; das übrige wird mit 5 Prozent 
verzinst. Sollte Kassel wegen Verlegung seiner Universität nach Marburg 
angefochten werden, so fällt letztere Übereinkunft (Klausel!). Die Doku- 
mente werden nach Billigkeit im Original oder in Abschriften den Parteien 
überwiesen* 45 . Da infolge der territorialen Abtretung nunmehr Gefälle der 
darmstädtischen Hochschule in kasselischem Gebiet erhoben werden müssen, 
so wird hierüber das Nötige angeordnet 246 . Für die Lizentiaten, die in Mar- 
burg die licentia assumendi gradum doctoralem erhalten haben, gilt die 
darmstädtische Universität als zuständig zur Verleihung der Doktorwürde. Ein 
der Marburger Juristenfakultät zugefallenes Legat wird gleich geteilt. Schließ- 
lich werden noch Maßnahmen ergriffen, um einen Federkrieg zwischen 
beiden künftigen Hochschulen zu vermeiden; alle Schmähschriften und per- 
sönlichen Angriffe werden verboten. Gleichzeitig schließen beide zur Auf- 
rechterhaltung der Disziplin ein Kartell, wonach Relegationen der einen Uni- 
versität auch für die andere gültig sein, besonders aber beide gegen den 
Pennalismus einschreiten sollen. 

V. 

So war man endlich zur friedlichen Scheidung gekommen. Kassel tat 
zunächst nichts, um den Zustand seines Hochschulwesens zu verändern 247 . 
Aber an Landgraf Georg trat nunmehr unmittelbar die Frage heran, wie und 
wo er seine Landesuniversität einrichten wolle. 

Alsbald wurde die Wiedererrichtung der suspendierten Gießener Uni- 
versität in Aussicht genommen. Der Leiter der nötigen Verhandlungen war 
Just Sinold, genannt Schütz, der Kanzler der Gießener Regierung. Noch im 
September beriet er mit den Gießener Räten und den dort anwesenden Pro- 
fessoren 248 das Erforderliche; man besichtigte die wieder zu akademischem 
Gebrauch herzurichtenden Gebäude und hielt es für gut, daß der Landgraf 
sämtlichen Marburger Professoren einen Ruf an die künftige Gießener 



244 Obgleich sich Darmstadt hier für etwas übervorteilt hielt, vgl. Standhafte Wider- 
legung, Beilagen S. 21 u. 23. 

245 Hier folgt in der Ausfertigung von 1650 die Bestimmung, daß die Altmarburger 
Universitäts- und Fakultätssiegel zum ewigen Andenken ins Samtarchiv zu Ziegenhain 
gelegt werden sollen. 

246 Fast hundert Jahre später erhob sich über die von Kassel angestrebte Ablösung 
dieser Gefälle ein heftiger Rechtsstreit. 

247 S. oben Anm. 241. 

248 Feurborn und Le Bleu. 



346 Fünfter Abschnitt. 

Hochschule zugehen lasse 149 . Dies geschah auch am 1. Oktober 250 mit dem 
Anfügen, daß sich die mit der Berufung Einverstandenen innerhalb 8 Tagen 
nach Empfang des Schreibens zu weiterer Besprechung, namentlich der Be- 
soldungen wegen, in Gießen einfinden sollten. Am 23. Oktober traf in der 
zum Abholen gesandten Kutsche der Rest des Professoren kol legi ums von 
Marburg, der Rektor Kornmann mit seinen Kollegen Breidenbach, Tülsner, 
Ebel und Christiani, sowie dem Ökonomen in Gießen ein. Der schwerkranke 
Theologieprofessor Tonsor hatte schriftlich um Erlassung der Fahrt nach 
Gießen, zugleich aber um Verwendung in der dortigen Universität gebeten- 

Bei der Besprechung der Professoren mit den Regierungsvertretern 251 er- 
gaben sich Schwierigkeiten. Die ersteren beriefen sich auf ihre Erklärungen 
vom März 252 , die noch unbeantwortet waren, und verlangten energisch, ehe 
sie sich auf neue Anstellung einließen, Zahlung der rückständigen und Siche- 
rung der künftigen Besoldungen. Mit ratenweiser Bezahlung der Rückstände 
erklärten sie sich nicht zufrieden. Nur Le Bleu zeigte sich bereit, auf jeden 
Fall im Dienste Landgraf Georgs bleiben zu wollen. So war die Konferenz 
ziemlich erfolglos; woher sollte man Professoren für die neue Universität 
nehmen? * 

Die Haltung der Professoren darf uns nicht wundernehmen. Sie waren 
durch die lange Reihe von Jahren, in denen sie keine oder nur verschwindend 
geringe Einnahmen bezogen hatten, derart in Schulden geraten, daß bei einem 
etwaigen Wegzug aus Marburg ernsthafte Hindernisse zu erwarten standen. 
Nicht ohne Grund richtete Tonsor an Landgraf Georg die Bitte: „Dieweif 
ich auch mit zimlichen schulden beladen bin, derwegen ich mit dem arrest 
bedrawet werde, [wolle e. f. g.J die gnedige anordnung thun lassen, daß 
meiner mit solchem schimpf verschonet werden möchte" 258 . 

Aber der Landgraf konnte nicht mehr bieten als ein Versprechen: Es 
werde Verordnung geschehen, daß die Rückstände „hinkünftig bey verhoffen- 
der besseren zeit nach und nach abgetragen" würden; für die richtige Aus- 
zahlung der künftigen Gehälter werde er sorgen. Mehr könne man gegen- 
wärtig nicht bieten. Schließlich verlangte der Landgraf eine kategorische Er- 
klärung der Professoren, ob sie sein Anerbieten annähmen oder nicht 254 . 
In der Antwort der Universität erklfirten sich die Juristen wiederum ablehnend, 
die beiden Philosophen Ebel und Christiani jedoch bezogen sich auf eine 
uns nicht bekannte mündliche Erklärung, die weniger ablehnend gewesen 
sein muß 255 . 



249 Bericht v. 28. Sept. (Kzt. Sinolds) nebst Entwurf der Vokation UAG, S. 1, 4. 

250 Or. ebd. 

251 Bericht d. Kommissare v. 26. Okt., Kzt. ebd., Or. StAD, Hess.-Kass. 5. 
2 * 2 S. oben S. 338 Anm. 215. — 253 Okt. 7, Or. UAG, S. I, 3. 

254 Bericht d. Kommissare v. 29. Okt., Or. StAD', Hess.-Kass. 5; Univ. Marburg 
an Landgraf Georg, Okt. 29, Or. UAG, S. I, 3; Antwort, Nov. 5, Or. UAG, S. I, 4. 

255 Univ. Marburg an Landgraf Georg, Nov. 24, Or. UAG, S. I, 3. Wahrschein- 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. $47 

Es galt also, in erster Linie Juristen zu gewinnen, war doch die gute Be- 
setzung der Juristenfakultät nachgerade eine Lebensfrage für jede Universität 
geworden 256 . Eine private Sondierung des Professors Breidenbach scheiterte 
daran, daß ihm von Seiten der Kasseler Regierung bereits das Amt eines Pro- 
fessor juris primarius angeboten war, eine Stelle, die in der künftigen 
Gießener Universität für den Kanzler Sinold-Schütz freigehalten wurde 257 . 
Für die neuzubildende theologische Fakultät — Tonsor starb am 1. De- 
zember — empfahl Feurborn dringend die Berufung des Professors Balthasar 
Mentzer (II.) aus Rinteln, der früher, vor 1646, schon Professor in Marburg 
gewesen und der Universität Rinteln nur „geliehen" war 258 . 

In diese Vorbereitungen zur Wiederherstellung der Universität Gießen 
wurde nun im November 1649 plötzlich eine neue Frage hineingeworfen, 
die die Lage durchaus zu verändern und der Stadt Gießen ihre erhoffte 
Hochschule zu nehmen drohte. 

Bisher war von keiner Seite der Gedanke ernsthaft erwogen worden, 
daß die Universität an einen andern Ort als Gießen gelegt werden könne 259 . 
Hatte man doch dort noch das Kollegiengebäude, und das kaiserliche Privileg 
war ausdrücklich für Gießen bestimmt. Auch hatte Gießen von allen hessen- 
darmstädtischen Gebieten am wenigsten unter den Drangsalen des Krieges 
zu leiden gehabt; dagegen waren insbesondere die Obergrafschaft und 
Darmstadt völlig ruiniert und entvölkert, daher ungeeignet zur Aufnahme 
einer zentralen Bildungsstätte. So war denn auch sofort nach dem Vertrags- 
schluß, besonders in der Frankfurter Herbstmesse auf Veranlassung der Re- 
gierung die Nachricht von der bevorstehenden Wiedereröffnung der Gießener 
Universität „erstlich in die getruckte wöchentliche avisen und folgends in 
die getruckte relation gebracht 1 ', so allenthalben verbreitet worden und hatte 



lieh versprach man ihnen Vorauszahlung eines Jahrgehalts (Landgraf Georg an Rat Diete- 
rich, Dez. 21, Kzt. UAG, S. I, 3). 

256 Sinold an Kanzler Fabricius, Okt. 29 (Or. UAG, S. I, 3): „Nam auetoritas 
omnium pene academiarum in facultate juridica consistit". Ein Zeichen für den Wandel 
der Anschauungen 1 Bei der ersten Gründung der Univ. Gießen hätte man noch das- 
Or. ebd. Hieraus geht hervor, daß sich Kassel den Prof. Breidenbach schon 1648 ge- 
selbe von der theologischen Fakultät sagen können. 

257 Landgraf Georg an Breidenbach, Nov. 8, Kzt. UAG, S. I, 3; Antwort, Nov. 23, 
sichert hatte. Jetzt wurde durch den Vizekanzler Scharf dieses Angebot erneuert und 
auch Kornmann gewonnen. Vgl. Henke, Eröffnung d. Univ. Marburg, 41 u. 21, wo auch 
die Anwerbung des Mediziners Tileman erwähnt wird. 

258 Gutachten der Gießener Räte und Theologen v. 5. Okt.; Feurborn an Land- 
graf Georg, Dez. 19, PS., Or. UAG, S. I, 3. Mentzer sollte nach Feurborns Wunsch 
Prof. theol. et 1. Hebr., sowie Ephorus werden. Unter den sieben Gründen für seine 
Berufung steht an erster Stelle, daß er „sich schon zu Marpurg und Rinteln dermassen 
beliebt und berümbt gemacht, dz, wan er hirhin wieder kommen wird, er, so nicht alle, 
doch die meisten studiosos s. theologiae mitbringen wird". 

269 In den Akten ist Alsfeld und Grünberg bei dieser Frage gar nicht genannt, 
außer an der S. 340 Anm. 222 mitgeteilten Stelle. Unter diesen Umständen scheint der 



?4$ Fünfter Abschnitt. 

weithin Interesse erregt 260 . Auch den befreundeten sächsischen Fürsten hatte 
der Landgraf von der Auferstehung der Gießener Universität gesprochen 
und Kursachsens Glückwunsch dazu entgegengenommen» 61 . In Gießen war 
bereits mit den nötigen baulichen Veränderungen am Pädagogium begonnen 
worden 262 , und, wie wir gesehen haben, waren auch die Verhandlungen mit 
den Professoren alle auf eine Berufung nach Gießen gerichtet. Selbst Stu- 
denten aus nah und fern, sogar aus Livland und Kurland, wie Feurborn 
erwähnt, warteten teils in Marburg, teils in Gießen auf die Eröffnung der 
Universität; schon vom 1. November an hatte man Immatrikulationen vor- 
genommen 263 . 

Da tritt plötzlich die Stadt Darmstadt, die fürstliche Residenz und 
Hauptstadt der Obergrafschaft Katzenelnbogen, als Konkurrentin gegen Gießen 
in die Schranken. In zwei Eingaben vom 23. und 30. November empfehlen 
die dortigen Behörden ihre Stadt als Sitz der künftigen Universität. Die frucht- 
bare und ehemals so blühende Landschaft, so führen sie aus, sei durch den 
Krieg ganz zerrüttet worden, die Bevölkerung sei dünn, viele gestorben und 
ausgewandert. Unter diesen Umständen würde es die größte Wohltat sein, 
wenn der Fürst die Universität nach Oberkatzenein bogen, das heißt nach 
Darmstadt, legen würde. Diese Stadt habe infolge ihrer Lage abseits von 
den Flüssen nicht die Möglichkeit, sich durch Kaufmannschaft wieder zu er- 
holen. Die Luft in Darmstadt sei gesund, ihre Lage zwischen den Städten 
Frankfurt, Worms und Mainz, wohin die Studenten „inßgemein ihre Wechsel 
ubermachen lassen müsen", biete bequeme Reisegelegenheit; die Nähe des 
Rheines versorge die Stadt mit Fischen, die ländliche Umgebung mit aller- 



von Tack (Academia Giess. restaurata, 3) und in der Matrikel (hsg. v. Klewitz u. Ebel, 
2) berührte Wettstreit der vier Städte kaum mehr als eine rhetorische Figur zu sein. 
Jedenfalls war der etwaige Mitbewerb Alsfelds und Grünbergs bereits abgetan, als Darm- 
stadt auf den Plan trat. 

260 Denkschrift Feurborns v. 19. Dez. 1649, Haberkorns v. 11. Jan. 1650 (UAG, 
S. I, 3). — Schon am 16. September teilt J. B. Schupp in Hamburg seinem ehemaligen 
Marburger Kollegen Hanneken in Lübeck seine Bedenken über die bevorstehende Wieder- 
eröffnung der Gießener Hochschule mit. Er befürchtet Eindringen des Calvinismus ins 
Marburger Land; es seien keine Mittel zur Erhaltung der Gießener Universität vorhan- 
den, und das Nebeneinander der Hochschulen Marburg, Gießen und Herborn werde alle 
drei ruinieren (gedruckt bei Reif f erscheid, Quellen z. Gesch. d. geistigen Lebens in 
Deutschland I [1889], 952). — Selbst nach Finland drang das Gerücht rasch: Prof. Wexi- 
onius in Abo drückt gegenüber Hanneken seine Anhänglichkeit „in Marpurgensem — 
nunc fortassis vicissim Giesenam — academiam" aus (4. Nov., Seelen, Deliciae epistoli- 
cae [1729], 206). Eine Zeitung darüber hat mir nicht vorgelegen. Doch geht die Be- 
merkung Theatr. Europ. VI, 1027, vielleicht auf eine solche zurück. 

2 6i s. oben Anm. 241; Kurfürst Joh. Georg an Landgraf Georg, Nov. 8 (Or.); 
Dank des Landgrafen, Nov. 26, bereits ohne Erwähnung der Stadt Gießen (Kzt. UAG, 

S. I, 3). 

**2 Sinold an Landgraf Georg, 1649 Okt. 12, Or. PS. UAG, S. I, 3; Feurborn an 
Landgraf Georg, 1650 Jan. 11, Or. ebd. 
*«» Klewitz und Ebel, 8. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 549 

hand sonstigen Lebensmitteln, besonders mit Vieh von den Weideflächen im 
Ried. Die beabsichtigte Anlage einer Papiermühle zwischen Ober- und Nieder- 
ramstadt werde der Universität billiges Papier verschaffen. Im Darmstädter 
Pädagog befänden sich bereits viele Schüler, die auf der Universität in wenig 
Jahren zu nützlichen Geistlichen und Beamten ausgebildet werden könnten, die 
aber nicht in der Lage seien, fern von Hause ihre Studien fortzusetzen. Gießen 
habe so wenig durch den Krieg gelitten, daß sogar eine Zunahme zu be- 
merken sei, und seine Einwohner würden auch ohne Hochschule ihr Aus- 
kommen finden. Zudem liege es den Universitäten Marburg und Herborn 
so nahe, daß disziplinare Schwierigkeiten und gegenseitige Konkurrenz zu 
befürchten seien 264 . Ein Bedenken gegen Darmstadt wird widerlegt 265 : „Und 
daß etwan furgegeben werden möchte, daß die studiosi und hoffhaltunge sich 
zusamen auch fernerß nicht schickhen würde, weiln der wein in wohlfeylem 
preyß und den studiosis sich zu übernehmen gelegenheit geben würde, der 
erheblichkeit nicht ist, daß darumb die Universität nicht füglicher ahnhero 
geleget werden khönte, ahngesehen vor diesem underschiedliche Universi- 
täten, auch chur- und fürstliche hofhaltunge, nahmendlich zu Heydelberg, 
Marpurg 266 und Tübingen beysamen gewesen und löblich gehalten worden 
seind, der orthen zu Heydelberg, Marpurg, Tübingen und Straspurg die weine 
auch in noch gröserer copia und geringerem preyß seind, aber biß dahero 
von wenigen schlimmem daselbsten furgangenen actionibus gehört worden, 
als mitten in den bierlanden, zu Helmstett und Jena, inmasen ja auch zu 
Giessen Selbsten es bekhandlich vor 34, 35 und 36 jähren zwischen studiosis 
Selbsten, sodan zwischen ihnen und der guarnison vil gefährliche, ja gaar 
auf todschlag ausgeloffene actiones und händel gegeben hatt". Im Gegen- 
teil sei zu erwarten, daß die Hofhaltung viele Standespersonen auf die Uni- 
versität ziehen werde, und Hof und Hochschule könnten sich gemeinsamer 
Bereiter, Tanz- und Sprachmeister bedienen. Auch könne sich die Regierung 
vorkommendenfalls bei der Juristen- und Theologenfakultät Rats erholen. 
Darmstadt bietet schließlich sein neues Rathaus als Kolleggebäude an und 
erklärt sich bereit, die Besoldung eines Professors aus freiwilligen Beiträgen 
der Bürgerschaft — schon lag eine Einzeichnungsliste yor — aufzubringen. 
Die Gießener und ihre Freunde wurden von der Absicht Darmstadts 
sehr überrascht, aber sie faßten sich alsbald, um dem drohenden Verlust 
Einhalt zu tun. Und so beginnt jetzt ein Schwall von Bittschriften und 
Darlegungen von Gründen für Gießen und für Darmstadt mehrere Monate 
hindurch in die fürstliche Kanzlei hereinzufluten. In erster Linie ergriff Haber- 



264 Vgl. hierzu Schupps Äußerung, oben Anm. 260, wegen Herborn oben S. 339 
Anm. 221. 

265 Weitere Gründe für Gießen widerlegt das Postskript, StAD, Univ. 10. 

266 Wo es aber doch schlimm genug herging, wie ich in der Festschrift des Hist. 
Vereins f. Hessen „Philipp der Großmütige", 347 ff., gezeigt habe. 



350 Fünfter Abschnitt. 

korn für seinen Superintendentensitz Gießen Partei 267 . Er bittet, falls die 
Entscheidung wirklich noch nicht gefallen sei, möge der Landgraf sich nicht 
entschließen, ohne vorher die Theologieprofessoren Feurborn und Tonsor zu 
hören, wie 1605 auch die Theologen über die Ortsfrage gehört worden 
seien 268 . Alsbald folgten Bürgermeister und Rat von Gießen im unterschied- 
lichen Eingaben an den Landgrafen 269 , in denen sie beweglich bitten, ihnen 
die Hochschule zu lassen, da sie in Darmstadt nur den „außländischen 
ortten", wie Frankfurt, Worms und Mainz zugute käme, während Oberhessen 
seine Söhne „under die Calvinisten" schicken müsse. Die von Darmstadt 
angeführten Gründe seien „ganz irrelevant und sehr imbecill", während die, 
wegen deren Ludwig V. seine Universität nach Gießen gelegt habe, noch 
heute gültig seien. Jedoch wissen die Gießener, daß reelle Angebote in dieser 
geldknappen Zeit erfolgreicher sein würden als theoretische Darlegungen ; die 
Stadt verspricht daher — abgesehen von dem, was sie schon vorher aus 
dem Weinmonopol beizusteuern bewilligt hatte — , mindestens* ebensoviel an 
Geld aufzubringen wie Darmstadt. Gleich morgen soll die Einzeichnung 
freiwilliger Beiträge beginnen, schreibt Gießen am 9. Dezember, und wir 
hoffen, die Darmstädter mit ihrer Kollekte weit zu übertreffen. Schon haben 
die Zünfte 1000 Gulden, teils bar, teils in einigen Jahren zahlbar, ver- 
sprochen 270 . Die zehn Morgen Gartenland, die die Stadt den Professoren be- 
reits zugesagt hat, sollen auch noch auf städtische Kosten umgegraben und 
zur Benutzung bereit gemacht werden. Ehe Oberhessen die Universität fahren 
lasse, werde auch die Landschaft noch beisteuern. 

Der Landgraf traf diesen Bitten gegenüber vorerst keine Entscheidung; 
er wollte erst sehen, ob der nach Gießen berufene landständische Ausschuß die 
Universität pekuniär stützen werde wie einst 1605. Diesmal gedachte man 
von der Ritterschaft eine freiwillige Beisteuer, von den Städten eine Abgabe 
vom Bier oder Malz zugunsten der Hochschule zu erhalten ; besonders sollte 
die Stadt Gießen auf ihre Angebote festgelegt werden für den Fall, daß 
man ihr die Universität lasse 271 . 

Da auf Seiten der Darmstädter Partei die höchsten Beamten 272 standen, 
so ließ sich der Landgraf doch insoweit beeinflussen, als er seinem Rat 
Dieterich auftrug, die Professoren zu sondieren, ob sie auch für Darmstadt 
zu haben wären, namentlich die Philosophen Ebel, Dieterich, Christiani, den 



267 Vgl. seine frühere Stellungnahme für die Separation, oben S. 330. 

268 Haberkorn an Landgraf Georg, Nov. 30, Or. UAG, S. I, 3. 

26 * Ohne Datum u. vom 9. Dez., Or. UAG, S. I, 3; präs. 1. Dez., Or. StAD, 
Univ. 10. 

270 Am 19. Dez. waren schon über 1800 fl. gesammelt und 200 fl. Zinsen zum 
Unterhalt eines Professors versprochen. Feurborn an Landgraf Georg, Or. UAG, S. I, 3. 

271 Landgraf Georg an Sinold und v. Buseck, Dez. 9, an Bürgermeister und Rat 
zu Gießen, Dez. 10, Kzte. a. a. O. 

272 Vermutlich der Vizestatthalter v. Görtz-Schlitz und der Kanzler Fabricius zu 
Darmstadt. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 351 

Juristen Le Bleu und sogar den Juristen Tülsner, der sich also damals gegen 
den hessen-darmstädtischen Dienst nicht mehr so ganz ablehnend verhalten 
haben kann* 78 . 

Inzwischen machte die Agitation große Fortschritte. Am 13. Dezember 
richteten Bürgermeister und Rat der Stadt und die fünf Dorfschaften des 
Amtes Schotten, am 18. Dezember Bürgermeister, Rat und Vierer der Stadt 
Grünberg Bittschriften an den Landgrafen um Belassung der Universität in 
Oberhessen; am 17. Dezember wandten sich Bürgermeister und Rat von 
Darmstadt an die Landgräfin mit der Bitte um Fürsprache bei ihrem Ge- 
mahl. Am 19. Dezember trat Feurborn, vom Landgrafen um sein Gutachten 
ersucht, für Gießen mit einer umfangreichen Denkschrift in die Schranken, 
die in der nächsten Zeit von einem Anonymus im Darmstädter Sinne beant- 
wortet wurde. Neben einem weiteren, für uns anonymen Aufsatz Darm- 
stadts liegt eine umfangreiche Eingabe Haberkorns an den Vizestatthalter für 
Gießen vor. Am 23. Dezember lief wieder eine aus 37 Punkten bestehende 
Abhandlung der Darmstädter Partei ein. Inzwischen hatte Feurborns Tätig- 
keit die Landgeistlichkeit mobil gemacht. Seiner weiteren Eingabe vom 
24. Dezember konnte er Bittschriften von acht oberhessischen Pfarrern bei- 
fügen. Das lawinenartige Anschwellen yon Schriften und Gegenschriften 
setzte sich auch im Januar 1650 fort. Die Gießener Sache wurde jetzt ganz 
von Feurborn und Haberkorn geführt, aber Darmstadt blieb die Antwort 
nicht schuldig; leider kennen wir die Verfasser der Darmstädter Partei- 
schriften nicht im einzelnen 274 . Die von beiden Seiten angeführten Gründe 
und Gegengründe kann ich natürlich hier nicht insgesamt anführen, son- 
dern ich hebe die bezeichnendsten daraus hervor. 

Wie dies bei den beiderseits führenden Persönlichkeiten zu erwarten ist, 
wird die Sache Gießens vorwiegend mit theologischen, die Darmstadts mit po- 
litischen und wirtschaftlichen Gründen verfochten. 

Feurborn und Haberkorn betonen die religiöse Gefahr, die für Ober- 
hessen aus der Wegverlegung der Universität entstehe. Durch den „allge- 
meinen Frieden 4 ' seien die Calvinisten im Reich eine anerkannte Religionsge- 
meinschaft geworden ; eine neue reformierte Hochschule, Herborn, sei in der 
nächsten Nähe entstanden, Kassel werde nicht zögern, seine Universität in 
Marburg wieder zu eröffnen. Landgraf Georg müsse die Gefahr religiöser 
Verführung nicht nur bei seinen Untertanen in Oberhessen in Rücksicht 
ziehen, sondern auch zum Schutz der Lutheraner in dem abgetretenen Mar- 
burger Land eintreten. Überdies liefere Oberhessen mehr Studenten als 
die Obergrafschaft, und die ersteren stammten aus ärmeren Verhältnissen und 



273 Landgraf Georg an Rat Dieterich, Dez. 21, Kzt. a. a. O. 

274 Die meisten dieser Schriftstücke liegen UAG, S. I, 3; einiges ist auch in Hand- 
schrift 868 der Universitätsbibliothek Gießen enthalten. Ein Bruchstück aus einer solchen 
Schrift ist im Giesser Wochenblatt 1771, 106, abgedruckt. Unter den Verfassern der 
Darmstädter Eingaben scheinen Kanzler Fabricius und der Vizestatthalter zu sein. 



352 Fünfter Abschnitt. 

könnten in dem entfernten Darmstadt nicht erhalten werden, da sie auf 
Lebensmittelsendungen von Hause angewiesen seien, „quadrieren" oder „pro- 
pria quadra" leben müßten. Da würden die Söhne Oberhessens die näher 
gelegenen Hochschulen Marburg oder Herborn vorziehen, könnten dem 
„Calvinismo und Helmstadianismo" m verfallen und seien dann zu Kirchen- 
und Schuldiensten nicht zu brauchen. Zudem sei es nötig, den Calvinismus, 
der seit dem Frieden lichterloh aufbrenne, aus der Nähe zu bekämpfen, wo- 
zu die Theologieprofessoren als geistliche Soldaten verpflichtet und willig 
seien. Die konfessionellen Gegner im rheinischen Süddeutschland, Refor- 
mierte in Heidelberg und Basel, Katholiken in Mainz, würden, auch ohne 
daß man ihnen eine Universität Darmstadt entgegenstelle, von Tübingen 
und Straßburg aus hinreichend befehdet. 

Dazu suchten die Gießener Theologen durch krasse Ausmalung des. 
Jammers 276 , den die Wegnahme der lutherischen Universität in Oberhessen 
hervorrufen werde, auf des Landgrafen lutherisches Gewissen zu wirken 
und ihn auf ihre Seite zu ziehen. 

Hiergegen wandten die Darmstädter ein : Man mache unnötig eine Ge- 
wissenssache daraus. Wer in Oberhessen gut lutherisch sei, werde seine Söhne 
ebensowenig auf reformierte Hochschulen schicken wie die Lutheraner in 
Darmstadt auf die Universität Mainz. Was die Polemik gegen die Reformierten 
betreffe, so bestehe sie im Bücherschreiben und Disputieren, und dabei komme 
die zwischenliegende Meilenzahl nicht in Betracht. Gegen einschleichende re- 
formierte Elemente werde die oberhessische Geistlichkeit schon Wache halten. 
Man verkenne auch das Wesen der Universität, wenn man immer nur von dem 
Nutzen rede, den sie dem Lande bringen müsse; ein Fürst, der eine Universität 
errichte, habe nicht auf Partikularvorteile, sondern auf das Beste der ganzen 
Christenheit zu sehen. Wie dürfe man da die Wahl der Stadt Gießen mit der 
größeren Zahl der oberhessischen Studenten begründen? Dagegen sind die 
Theologen völlig Anhänger des Prinzips der Landesuniversität: woher die 
Mehrzahl der Studenten aus dem Lande zu erwarten ist, dahin muß die Uni- 
versität gelegt werden. 

Neben diesen einander widerstreitenden grundsätzlichen Anschauungen 
geht eine Menge von weiteren Gründen her, die für die eine oder die andere 
Stadt in die Wagschale geworfen werden. 

Gießen, so führt die eine Partei aus, habe die Universitätsgründung 
Landgraf Ludwigs für sich; dieser habe mit Bedacht seine Universität nach 
Gießen, als in die Mitte des Landes (!) gelegt. Es handele sich nur um die 
Wiedereröffnung der zeitweilig suspendierten Hochschule, deren Ruhm ver- 



276 Gemeint ist die sonst als Synkretismus bezeichnete vermittelnde Richtung des 
Calixt in Helmstädt. 

276 „Weil ein solches mit grossem, ja mit grösserm schaden der vielem unter- 
thanen in Hessen und mit deroselben kläglichem seufzen und thränenfliessendem schreyen 
zu gott wider die Darmbstätter verknüpfet sein würde*' (Feurborn am n. Januar 1650). 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 35) 

breitet sei, man bediene sich des alten, für Gießen ausgestellten kaiserlichen 
Privilegs, der alten Siegel, auf denen der Oießener Name stehe. Lege man 
die Hochschule nicht nach Gießen, so könne von anderen Fürsten zu 
Hessen-Darmstadt Einrede geschehen 277 . In Oberhessen lägen sämtliche Güter 
der Universität, die Überführung des Ertrags nach Darmstadt würde die 
fronpflichtigen Bauern zu sehr belasten. Noch seien die Zeiten kriegerisch, 
man wisse nicht, was die Zukunft bringe; so sei es den Eltern lieber, ihre 
Kinder in dem befestigten und von Gott sichtlich beschützten 278 Gießen, als 
in dem offenen Darmstadt zu wissen. Man habe dort noch Studenten- 
wohnungen, das Kolleggebäude, inzwischen als fürstliche Wohnung verwendet, 
sei leicht den ursprünglichen Zwecken wieder anzupassen. Auch seien die 
Lebensmittel billiger und besser 279 als in Darmstadt, mit Bier sei man wohl 
versehen, und wenn es manchmal an billigem Wein fehle, so müsse man 
bedenken, daß die meisten Studenten, auf die in Gießen zu rechnen sei, 
„Bierländer" seien. Die Nahrungsmittel dort entsprächen auch mehr der 
Natur und dem „Temperament" der Studenten, zu denen doch erfahrungs- 
gemäß Norddeutschland, Skandinavien und die Ostseeländer das Hauptkon- 
tingent stellten. Die Wechselübermittlung durch die zur Frankfurter Messe 
reisenden norddeutschen Kaufleute könne in Gießen selbst erfolgen. Was ferner 
die Befürchtung anlange, daß die Studenten sich mit der Festungsbesatzung 
nicht vertragen würden, so hat Gießens Fürsprecher den merkwürdigen Trost 
bereit, daß „die arme Soldaten sich oft mit wasser und brot contentiren lassen 
müssen, mit welchen desto leichter in friede fortzukommen alß mit andern, die 
mit reicher speiß und trank ihren bauch füllen". 

Gegenüber dieser doch vielfach recht spitzfindigen Beweisführung wird 
von den Vertretern Darmstadts eingewendet : Die Vorzüge Gießens ließen sich 
auch für Darmstadt geltend machen. Gießen liege keineswegs in der Mitte 
des Landes ; suche man einen Ort in der Mitte, so müsse man Roßbach (Ober- 
Rosbach in der Wetterau) wählen, jenes kleine hessische Gebiet, das zwischen 
dem oberhessischen und dem katzenelnbogischen Gebiet von Hessen-Darm- 
stadt in der Mitte liege. Das Gießener Kollegium müsse für den Kriegsfall 
als Zuflucht für den Hof eingerichtet bleiben. Was Billigkeit und Güte der 



277 Wohl Anspielung auf die getrübten Beziehungen Landgraf Georgs zu seinem 
Bruder Johann. 

178 Vgl. oben S. 339. 

*™ Für manchen Leser ist vielleicht folgender Passus von Interesse: „Darzu be- 
kennen die Rheinländer selbst, daß die Leinfische (Lahnfische) schmackbarer und ge- 
sunder seyn als die Rheinfische, wie sie den deswegen zu Embs, wen sie des Wannen- 
bads sich gebrauchen, lieber die Lein- als Rheinfische kauffen und gemessen'*. Eine 
Darmstädter Gegenschrift sagt hierzu kurzab: „Quoad praestantiam piscium negatur", 
eine zweite bemerkt spöttisch: „Daß die Lahnfisch schmackbarer und gesunder als die 
Rheinfisch seyen, mögen die patienten zu Embs bey ihrer Schwachheit sich einbilden und 
diejenige, so nie keinen Rheinfisch gesehen oder versucht, sagen, die Rheinländer Wer- 
dens schwerlich gestehen 44 . 

Die Universität Gießen von 1607 bis 1907. I. 23 



354 Fünfter Abschnitt. 

Nahrung betreffe, so könne es Darmstadt jederzeit auf den Vergleich an- 
kommen lassen. Dies wird im einzelnen durch Anführung der Lebensmittel- 
preise und durch den Hinweis auf die Größe der Krauthäupter und weißen 
Rüben erhärtet. Bezüglich der Getränke sei es bekannt, daß auch „Bier- 
länder" billigen Wein nicht verschmähten, wenn er gut sei. Übrigens werde 
zum Bierbrauen in Darmstadt kein „ohnfläthiges" Wasser gebraucht* 80 . Darm- 
stadt habe die besten Verbindungswege in den nahen Flüssen, wodurch große 
Frequenz zu erwarten sei; aus Frankfurt seien 30 bis 40 Studenten in Aus- 
sicht. Wenn es in Oberhessen heiße, die Bewohner könnten ihre Kinder der 
Kosten wegen nicht weit von Hause schicken, so könne die ausgeplünderte 
Obergrafschaft dasselbe von sich sagen. 

Beide Parteien heben natürlich die versprochenen Leistungen und Stif- 
tungen hervor. Darmstadt operierte sogar mit einem Versprechen der Frank- 
furter Buchhändler, von jedem neuen Buch ein Exemplar in die Bibliothek 
zu liefern' 81 . 

Während sich so Bittschriften und Gegenvorstellungen kreuzten, hatte 
Kanzler Sinold bei dem Landtagsausschuß von Oberhessen m unter anderem 
auch die Gewährung eines Zuschusses für die nach Gießen zu verlegende 
Universität angefordert, aber nicht das gewünschte Entgegenkommen ge- 
funden. Die Ritterschaft, die eben aus Anlaß einer Diätenfrage in den 
schärfsten Gegensatz zum Landesherrn getreten war, erklärte sich ablehnend, 
da über die Landesuniversität auf einem allgemeinen Landtag verhandelt 
werden müsse. Die Vertreter der Städte, außer Gießen, beschwerten sich, daß 
man sie mit der Forderung überrumpelt habe, sie hätten kein Mandat in dieser 
Frage; schließlich wollten sie die Auflage von einem Viertel Reichstaler auf 
das Fuder Bier zugunsten der Hochschule zugeben, doch nur, wenn von 
den außer Landes gebrauten Bieren vom Fuder zwei Gulden erhoben würden. 
Diese Festsetzungen wurden unter der Bedingung gemacht, daß die Univer- 
sität in Oberhessen bleibe 283 . 

Kaum war der Landtag verabschiedet, so beschloß der Landgraf, 



280 Zu diesem Hieb gegen die Gießener vgl. die Beschwerde der Universität vom 
Jahre 1609, daß das Brauwasser „mit windel- und kleyder-waschen" verunreinigt sei, 
MOGV XI, 73. 

281 „Nachrichtunge ist furhanden, daß die Ffurther buchführer sich vernehmen lassen 
und versprochen haben sollen, von yedem buch, daß getruckt würd, ein exemplar zur aca- 
demi zu liffern, . . . vermittelst mit der zeit eine feine bibliothek erzeuget werden khönte". 

282 Das folgende nach dem Protokoll des Tages und dem Nebenabschied v. 9. Jan. 
betr. die Universität. Or. StAD, Landständ. Verf. 18. 

283 Die Stadt Gießen hat an dem Beschluß keinen Teil, obgleich ihr Stadtschreiber 
der anderen Städte Wortführer war (Prot. v. 8. Jan.: „Stattschreiber zu Gießen erschiene 
beneben burgermeister und Stattschreiber zu Alßfeld, sodan burgermeister von Grün- 
berg, und zeigte wegen sambtlicher stett excepta Gissen an . . ."). Mit Gießen wurde 
über ein Sonderabkommen beraten. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 355 

über die Ortsfrage seinen bewährten Kanzler Sinold zu hören, der bisher 
geschwiegen hatte. Sinold, der inzwischen auch im stillen damit umging, 
Juristen für die Universität anzuwerben 884 , äußerte sich in einem besonnenen 
Schreiben vom 14. Januar 885 . Nach der Prüfung des eingeschickten Bitt- 
schriften materiales findet er mit Recht, „daß viel von beeden Seiten vor- 
bracht, so theils zur Sachen nichts thut^. theils in bioser opinion bestehet, 
und besser wehre, daß es zurückblieben und zur weitleuftigkeit und Verbitte- 
rung kein anlaß gegeben". Vor allem rät er, daß in Zukunft die Schriften 
der einen Partei der anderen nicht mehr mitgeteilt würden. * In der Haupt- 
sache meint er: „wan bloß absolute gefragt werden solte, welcher ort zu 
einer Universität am bequembsten sey", dann verdiene Darmstadt den Vor- 
zug, und man sollte „ad exemplum großer potentaten solch universale Stu- 
dium in locum der residenz oder hofhaltung" legen, wie es zu Rom, Paris, 
Prag, Wien, Heidelberg, Mainz usw. auch der Fall sei 886 . Aber der Aus- 
führung stehen doch schwerübersteigbare Hindernisse im Weg. Erstens sei 
das Universitätsprivileg für Gießen erteilt, und auch wenn man annehme, 
daß die kaiserliche Genehmigung zur Verlegung implicite erteilt sei 287 , so 
werde doch diese Meinung nicht unangefochten bleiben, und schließlich 
werde man mit großem Zeit- und Geldverlust eine Spezialgenehmigung er- 
wirken müssen. Ein zweites Hindernis bilden die Universitätsgefälle, die alle 
aus Oberhessen stammen. Bei einem Verkauf oder Tausch werde man viel 
verlieren, und der Transport lohne sich nicht, weil die Frucht oft nicht des 
Fuhrlohnes wert sei; Fronfuhren könne man in solchem Maße den Unter- 
tanen nicht zumuten. Weiterhin sei man auf die Beihülfe der Landschaft 
angewiesen; Oberhessen werde aber eine solche nur zahlen, wenn die Uni- 
versität nach Gießen komme. Die Professoren seien zum Teil gar nicht 
(Feurborn, Haberkorn), zum Teil nur mit erhöhten Gehältern für Darmstadt 
zu haben. Bedenklich, wenn auch nicht gerade mit ewiger Strafe be- 
droht, sei die Verlegung nach Darmstadt auch in religiöser Hinsicht. Tat- 
sächlich sei die Bevölkerung Oberhessens, „adel und unadel", zahlreicher als 
die der Obergrafschaft, und mancher würde bei Wegverlegung der Hoch- 
schule das Studium aufgeben oder nach Marburg ziehen, wo man jetzt große 



884 An Landgraf Georg, Jan. n (eigh. Or. UAG, S. I, 3). Er beklagt den sehr 
fühlbaren Mangel an geeigneten Personen, die jetzt, wo wichtige Staatsprozesse schwebten, 
um so nötiger waren. 

185 Or. ebd. 

286 Man beachte die beginnende Nachahmung der großen und größten Herren durch 
die kleinen und kleinsten I 

287 Insofern, als der Kasseler Vertrag von 1648 dem Landgrafen gestattet, die Univ. 
in sein Land, wohin er wolle, zu legen, und diese Bestimmung durch Einfügung des 
Vertrags in den Westfälischen Frieden die kaiserliche Zustimmung gefunden hätte, da letz- 
terer ja vom Kaiser vollzogen war. Ähnlich H. Ph. C. Henke, De academiarum migra- 
tionibus ac translationibus (Heimst. 1796), XXV f. 

a 3 * 



356 Fünfter Abschnitt. 

Toleranz zeige 288 . Nach allem diesem hält der Kanzler für besser, die Uni- 
versität in Gießen wieder zu eröffnen. Wenn man der Stadt Gießen diesen 
Wunsch erfülle, so könne man dann auch von ihr mehr Leistungen für die 
Hochschule verlangen. Vorgeschlagen wird ein steuerfreier Weinschank für" 
die Universität auf zehn Jahre, eine Abgabe aus den städtischen Brauhäusern 
und Anteil der Professoren an de» bürgerlichen Nutzungen, Feld, Mast un< 
Wald. 

Aber auch Sinolds nüchterne Erwägungen genügten dem Landgrafen nocl 
nicht. Er sandte dieses Gutachten mit den sonstigen in der Ortsfrage erwach. — 
senen Akten an einen Geistlichen, dem er besonderes Vertrauen schenkte, den 
designierten Oberhof prediger, damaligen Superintendenten zu Schmalkalderm, 
Hieronymus Prätorius. Dieser schrieb: Dem Landgrafen stehe es zu, seine 
Universität zu legen, wohin er wolle, und man könne keine Gewissensbe- 
denken erheben, da die örtlichkeit nicht die essentia universitatis, sondern 
nur die externa circumstantia berühre. Übrigens gelte Gießen für ungesund, 
und das habe schon früher Studenten davon abgehalten. Jedoch seien „et- 
liche . . pro Giessensibus angeführte rationes sehr probabiles", wie aus des 
Kanzlers Gutachten zu ersehen sei ; wonach der Landgraf gewiß das Richtige 
treffen werde 289 . 

Als dieses Schreiben in Darmstadt anlangte, befand sich Landgraf Georg 
gerade in Kassel, wo mit dem Hochzeitsfest der Prinzessin Charlotte und 
des Pfalzgrafen Karl Ludwig 290 die Feier der völligen Aussöhnung der beiden 
hessischen Häuser sich verband. Die Darmstädter Regierung hielt mit Recht 
eine baldige Entscheidung der wichtigen Universitätsfrage für geboten, denn 
die Frankfurter Messe, die Zeit des Nachrichtenaustauschs von ganz West- 
deutschland, nahte wieder heran, und man wollte sie nicht wie im vorigen 
Herbst ungenützt vorüberlassen, ohne Reklame für die neue Hochschule zu 
machen. Auch liefen Gerüchte um, als sei man der dafür gewonnenen Pro- 
fessoren nicht mehr sicher. Daher beeilten sich die Darmstädter Räte, das 
Gutachten den in Georgs Begleitung befindlichen Beamten, Vizestatthalter 
Otto Hartm. v. Schlitz gen. v. Görtz und Dr. Dieterich, zum Vortrag zu 
überschicken 291 . Aber noch immer zögerte der Landgraf. Auch als er nach 
nochmaliger Vollziehung der Friedensverträge von Kassel nach Darmstadt 
zurückgekehrt war, konnte er sich nicht entschließen, die Entscheidung über 
den Sitz der Universität zu treffen. 

Erst nachdem Sinold-Schütz Voranschläge über die Kosten der Univer- 

288 „. . . weil die pfeif in religionssachen zu Marpurg gar süß lauten soll, damit man 
den syncretismum zuwege bringe, also daß im paedagogio auch der Lutherische catechis- 
mus gelehrt und Lutheraner collegia zu halten macht haben sollen". 

289 Landgraf Georg an Prätorius, Jan. 1 7, Kzt. ; Antwort, Jan. 28, präs. Darmstadt 
Febr. 12, Or. UAG, S. I, 3. 

™> Vgl. Rommel VIII, 7801. 

291 Begleitschreiben v. 15. Febr., Or. UAG, S. I, 3. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 357 

sität, und zwar getrennt für Gießen und für Darmstadt, ausgearbeitet und 
dringend um Entscheidung nachgesucht hatte, kam Georg wieder auf die 
Frage zurück und erkundigte sich, wieweit die Professoren, falls die Univer- 
sität „ad tempus oder in perpetuum" nach Gießen gelegt würde, sich bezüg- 
lich ihrer Besoldung und Rückstände „aufs genaueste behandeln lassen 
werden", auch was in diesem Falle Ritterschaft und Städte beitragen wür- 
den 999 . Und während in der Darmstädter Gegend, genährt vom Superinten- 
denten von Gerau, das Gerücht sich verbreitete, der Landgraf habe sich 
für Darmstadt entschieden** 8 , verhandelte Kanzler Sinold mit der zähen Stadt- 
vertretung von Gießen, wo er wenig Neigung zu weiteren Opfern fand. 
Nur das eine setzte er durchs daß man noch einen Zuschuß versprach, wenn 
der Stadt der Weinzapf gesichert würde 894 . Auch die übrigen Städte — 
mit Vertretern Alsfelds konnte der Kanzler persönlich verhandeln — waren 
nicht zu weiteren Bewilligungen zu bewegen 295 . 

Zur Beratung der Gehälter traten Sinold und Kammermeister Ebel 
gegen Ende März mit den ehemals Marburger Professoren Tülsner, Ebel, 
Christiani und Dieterich, sowie mit dem Lic. med. Tack und dem Superin- 
tendenten Haberkorn zusammen, und mit allen wurde ein Abkommen wegen 
ihrer Anstellung als Professoren erzielt. Doch bestanden die Marburger auf 
einer Sicherung wegen der Rückstände. Es fehlten jetzt (Feurborn war wohl 
schon vorher gesichert) hauptsächlich noch der dritte Theologe, der zugleich 
Ephorus sein sollte, und der zweite Jurist (Sinold war primarius, Tülsner 
wollte „ex modestia" nur die dritte Stelle übernehmen), sowie ein Professor 
für Eloquenz und Geschichte 996 . 



999 Sinold an Landgraf Georg, März 1, Or. a. a. O.; Landgraf Georg an Sinold, 
März 11, Or. St AD, Univ. 10. 

998 Pfarrer Chelius von Dornheim an Leibarzt Dr. Horst in Darmstadt, März 15 (Or. 
UAG, S. I, 3): „Die tag hab ich vom h. Superintendenten von Geraw schreiben bekom- 
men, das nunmehr geschlossen, das die universitet naher Darmbstadt kommen solle, solle 
deswegen meinen pfarrkindern zusprechen, ob sie aus gutwilligem herzen auch was darzu 
stiften wolten". In derselben Zeit bewarb sich der Bensheimer Apotheker Hirschhusius um 
die Universitätsapothekerstelle in Darmstadt (Or., präs. 12. März, a. a. O.). 

994 Das Ergebnis der Verhandlungen ist in der Urkunde vom 14. März 1651 nieder- 
gelegt (Wasserschieben, Älteste Privilegien, 25 f.). Nach den ökonomatrechnungen zahlte 
Gießen 1650 u. 1651 jährlich 135 Reichstaler für die 7 Fuder Wein, die der Landgraf der 
Univ. steuerfrei zu verschenken gestattete und die diese der Stadt überließ. Von 1651 
an zahlt die Stadt die in der Urkunde genannten 200 Gulden bar aus dem Weinamt. 
Von den Zünften und Privatleuten kamen 1650 1025 fl. ein, von den Zünften 1652 noch 
35 fl. Bierimpostgelder aus den Ämtern: 1650: 547 fl., 1651 : 616 fl. 

295 Bericht v. 15. März, Kzt. UAG, S. I, 4. Ebd. ein undatiertes Kzt. eines Aus- 
schreibens an die Städte wegen Erhebung des bewilligten Vierteltalers (Reichsort) von 
jedem Fuder Bier auf drei Jahre (vgl. vorige Anm.). 

996 Bericht v. 29. März, Or. UAG, S. I, 3. Man hatte auch noch auf Prof. Tilc- 
man gerechnet, und er hatte sein Kommen zugesagt („ob ich zwar der gräfin von Ber- 



3 $8 Fünfter Abschnitt. 

Aber erst in diesen Tagen — in denen auch die Überführung der 
Bibliothek von Marburg und. die Teilung des Universitätsarchivs in Angriff 
genommen wurde 197 — erfolgte die endgültige Verfugung Landgraf Georgs 
über den künftigen Sitz der Universität. Freilich haben wir anzunehmen, daß 
seinen vertrauten Räten bereits seit einiger Zeit bekannt war, wofür sich der 
Fürst entscheiden werde, denn schon vorher hatte Sinold das Einladungs- 
programm zur Eröffnungsfeier der Universität entworfen, und auch die An- 
stellungsverhandlungen mit den Professoren waren unter der Voraussetzung 
geführt worden, daß Gießen Universitätsstadt sein werde. Immerhin haben 
wir die offizielle Entscheidung erst in einem Schreiben des Landgrafen vom 
29. März 1650 zu suchen, das an Sinold-Schytz gerichtet war» 8 . Es heißt 
da : „Wir mögen euch gnedig nicht verhalten und ist euch gutes theils schon 
wissend, welchergestalt wir uns entschlossen, unsere Universität in unserer statt 
und vestung Gießen restauriren und wideraufrichten zu lassen, jedoch 
dergestalt, daß uns reservirt bleibe und jederzeit frey und bevor 
stehe, wann sich jetzige verderbte betrübliche leufte bessern wer- 
den, dieselbe, wie wir es auf vorhergehende reife berhatschlagung vors 
beste und rhatsamste befinden, entweder anhero [nach Darmstadt] zu 
transferiren oder aber gestalten Sachen nach zu Gießen gar zu 
lassen". 

Die Vorbereitungen zum Actus restaurationis, die bisher gestockt hatten, 
wurden nun mit Eifer betrieben. Noch am 31. März, als kaum das Schreiben 
des Landgrafen eingelaufen war, ließ Sinold das von ihm abgefaßte la- 
teinische Einladungsprogramm in Gießen anschlagen. Als Festtag war der 
Sonntag Quasimodo (21. April) in Aussicht genommen; später ging man 
von diesem Termin ab ,w und setzte dafür den Sonntag Jubilate (5. Mai) ein. 
Das Programm wurde jetzt auch gedruckt und an andere Orte verschickt, „da- 
mit die studiosi etwa zum theil bey itziger meßzeit sich anhero verfügen kön- 
nen" 800 . Auch ließ der Landgraf selbst ein deutsches Einladungspatent 



lenburg gewiß versprochen, hinüber zu reiten, so will ich jedoch dises lassen vorgehen", 
Schreiben der Professoren v. 24. März, Or. StAD, Univ. 10), war aber ausgeblieben. 

991 Instruktion und Vollmacht Landgraf Georgs für Sinold, Buseck, Ebel vom 15. 
u. 18. März, Or. StAD, Hess.-Kass. 5. Teilungszettel über das Archiv v. 27. April, Kit. 
UAG, S. I, 4. Es mag gleich erwähnt sein, daß Kassel am 31. Mai die 1000 fl. bar und 
die Obligation über 8000 fl. lieferte, die es nach dem Vertrag schuldig war. Dagegen 
wurden das kaiserliche Privileg, andere wichtige Urkunden und die Gebäudeschlüssel aus- 
geliefert. Vertragsabschr. StAD, Hess.-Kass. 10, u. Sammelband von Vertragsabschr., 
Bl. 405 ff., sowie die „Documentirte Geschichtserzehlung" (1738), 28. 

«98 Kzt. UAG, S. I, 3. 

299 Weil in diese Tage eine Besprechung der Gießener Räte mit Kasselern in Mar- 
burg fiel (Landgraf Georg an Sinold u. Ebel, April 1, Kzt. UAG, S. I, 3, an Sinold, 
April 15, PS., Or. StAD, Univ. 10). 

« 00 Sinold u. Ebel an Landgraf Georg, März 29, Or. UAG, S. I, 3. Exemplare 
des gedr. Programms UAG, S. I, 4. Abgedr. bei Tack, Academia Gissena restaurata 
(1652), 11— 14. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 359 

drucken und veröffentlichen 301 , besonders in Frankfurt anschlagen 302 , und 
ordnete für alle Städte Oberhessens an, daß das bevorstehende wichtige Er- 
eignis in der Predigt erwähnt und daß Gebete um Segen und Erfolg für die 
neue Universität gesprochen würden 303 . 

Außerdem begann man, die eigentliche Festordnung zu beraten. Land- 
graf Georg hatte, weil es an Geld fehlte, möglichste Sparsamkeit empfohlen, 
doch daß der Akt nicht „disreputirlich" sei 30 *. Eine vorgeschlagene Über- 
tragung des Rektorats an des Landgrafen Sohn Georg wurde nicht beliebt. Da- 
gegen wurden Festpromotionen in Aussicht genommen, zu denen sich auch 
bereits Kandidaten gemeldet hatten 305 . In der Hoffnung, bis zum Feste den 
Lehrkörper noch etwas verstärken zu können, richtete Feurborn an Meno 
Hanneken in Lübeck und B. Mentzer in Rinteln privatim, doch mit fürstlicher 
Genehmigung, Berufungsschreiben. Doch gelang es nicht, einen von ihnen 
schon jetzt zu bekommen, obgleich man auf Mentzer als ehemaligen fürst- 
lichen Stipendiaten fest rechnen zu können glaubte, da „die jähre, in welchen 
er gen Rintheln nur geliehen worden", nunmehr abgelaufen waren und 
außerdem die befürchtete Verdrängung des Luthertums von dieser Universität 
ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte 306 . Auch der Mediziner 
Tileman, auf dessen Gewinnung man noch zu Ostern (14. April) rechnete, 
lehnte am 27. April die Berufung ab. Dagegen übernahm der Hofmedikus 
Horst wieder die Professio primaria der Medizin. Ein weiterer Jurist ließ sich 
nicht gewinnen. So mußte man wegen der noch unbesetzten Lehrstühle von 
der Publikation eines Vorlesungsverzeichnisses vor der Eröffnungsfeier ab- 
sehen. Die notwendig erscheinende Umarbeitung der Marburger Statuten, die 
den neuen Verhältnissen anzupassen waren, wurde vorläufig verschoben ; die 
neueintretenden Studenten sollten einstweilen auf eine Interimsformel ver- 
pflichtet werden 307 . 

301 Exemplar des Druckes UAG, S. I, 3 u. I, 4. Gedr. bei Tack, 7 — 10. Es gab 
einen von Darmstadt und einen von Frankfurt datierten Druck, vgl. Erman u. Hörn, 
Bibliographie der deutschen Universitäten, Bd. II, Nr. 4133 u. 4133a. 

303 Vgl Hartmann, Hist. Hass. II, 687. 

303 Landgraf Georg an Sinold u. Feurborn, April 3, Kzt. UAG, S. I, 3. 

30 * An Sinold, März 29, Kzt. a. a. O. 

306 PS. Sinolds an Landgraf Georg, April 1, Or. a a. O. 

306 Sinold u. Ebel an Landgraf Georg, April 1, 8, 12, Or. ebd. — Hanneken wurde 
auch die Hofpredigerstelle angeboten, da Prätorius in Schmalkalden unabkömmlich war. 
Hanneken lehnte am 25. April ab (an Feurborn, Or. UAG S. Pers.). Mentzers „Leih- 
frist" betrug vier Jahre, die jetzt abgelaufen waren. Er erklärte sich trotz der geringeren 
Besoldung zum Übergang nach Gießen bereit, verlangte aber, daß ihm das Stipendium, 
wegen dessen er verpflichtet sei, und das ihm damals die Stipendiatenkasse nicht hatte 
zahlen können, auch wirklich ausgezahlt werde, damit er es seiner Schwester, die es vor- 
geschossen, abtragen könne (an Feurborn, April 26, Or. ebd.). Die Übersiedlung ver- 
zögerte sich bis in den Herbst 1651, obgleich er im Vorlesungsverzeichnis vom 1. Juni 
1650 als demnächst ankommend aufgeführt wird. 

307 Landgraf Georg an Sinold-Schütz u. Feurborn, April 5, Kzt., Antwort April 8, 
Or. UAG, S. I, 3. — 



/ 



360 Fünfter Abschnitt. 

Im übrigen ergab sich, daß der Geldmangel doch ein großes Hinder- 
nis für die Wiederherstellung der Universität bildete. Trotz der Einschränkung 
der Ausgaben fehlte es am nötigsten. Die in Marburg weilenden Pro- 
fessoren ersuchten dringend um Auszahlung von je 100 Reichstaler auf 
Rechnung ihrer Besoldungsrückstände, um ihre Übersiedlung nach Gießen 
bewerkstelligen zu können, und Landgraf Georg bewilligte diese billige For- 
derung. Aber der Kanzler fand es unmöglich, soviel zu zahlen: Was zu- 
sammenzubringen sei — 300 Reichstaler — , werde vom Umbau der Uni- 
versitätsgebäude in Gießen verschlungen. Erst durch Heranziehung der von 
der Stadt Gießen versprochenen Gelder scheint es möglich geworden zu sein, 
die Professoren mit ihrem Besitz von Marburg nach Gießen zu befördern 308 . 

So rückte der Sonntag Jubilate heran. Rechtzeitig waren Mitteilungen 
von dem bevorstehenden Fest an die verwandten sächsischen und hessischen 
Fürsten abgegangen. Die Einladungen erfolgten in ziemlich weitem Um- 
fang, teils vom Landgrafen, teils von dem Professorenkollegium. Der Graf 
von Erbach, die Komture von Marburg und Schiffenberg, eine Anzahl ober- 
hessischer Ritter und Städtevertreter 30 », die Beamten und die hervorragendsten 
Geistlichen Oberhessens finden sich in den Einladungslisten. Auch ein Ver- 
treter der Marburger Geistlichkeit ist genannt, dagegen vermissen wir die 
Einladung von Notabein der Obergrafschaft. Von dort nahm nur die Darm- 
städter Regierung an dem Feste teil 310 . 

Am 28. April hatte das Bittgebet für das Heil der wiedereröffneten 
Hochschule in den Kirchen des Landes stattgefunden 311 . Am 4. Mai, dem Vor- 
abend des Festes, füllte sich die Stadt Gießen mit Festgästen von nah und 
fern. Landgraf Georg entsandte als seine Vertreter seine Söhne Ludwig (VI.) 
und Georg. Diese langten Samstags gegen Abend in Gießen an, vom Donner 
der Geschütze auf den Wällen begrüßt. In dem glänzenden Gefolge der 
Prinzen befanden sich der Graf Georg Ernst zu Erbach 311 , der Vizestatthalter 
Otto Hartmann von Schlitz, genannt von Görtz, der Kanzler von Darmstadt, 

»°* Akten ebd. 

so» So daß also ein Landtagsausschuß — Prälaten, Ritter- und Landschaft — ge- 
laden war. 

310 Akten a. a. O. Die Nichteinladung der Katzenelnbogener geschah wohl xur 
Vermeidung zu großer Kosten des Festes; die Enttäuschten wären wohl auch nicht in 
Stimmung gewesen. Aus Sparsamkeitsrücksichten sollten auch die außerhessischen be- 
nachbarten Geistlichen von der Liste gestrichen werden („Ferneres ohnmaßgebliches be- 
denken", o. D., Randbem. zu Art. 6). 

811 Tack, 14. Für die im folgenden beschriebenen Vorgänge sind außer Tack zu 
vgl.: die Matrikel (Klewitz-Ebel, 2 ff.), der Entwurf zu einer Zeitung „Aus Oberhessen" 
(StAD, Univ. 10, u. UAG, S. I, 3), Theatr. Europ. VI, 1027 (mit Benutzung der Zeitung) 
u. 1194, z. T. auch bei Happel, Historia modernae Europae (1691), 161 ; Senckenberg 
XXVIII, 518, und die dort zitierten Schriften. 

312 Der Bericht der französischen Zeitung „de Giessen", bei Meiern, Nürnbergische 
Friedensexekutionshandlungen II, 12, ist sehr ungenau, läßt den regierenden Landgrafen 
an dem Feste teilnehmen und verwechselt seinen Sohn Georg mit dem Grafen zu Erbach. 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 361 

Dr. Phil. Ludw. Fabricius und der Amtmann von Nidda Heinr. Herrn, 
v. Oynhausen, sowie eine Menge sonstiger Adeliger und Beamter. Am Schlosse 
sprangen die Prinzen vom Pferd; nach allgemeiner Verneigung der An- 
wesenden, Professoren und Studenten, begann der Kanzler Sinold, genannt 
Schütz, seine lateinische Begrüßungsrede, in der er den Segen Gottes für den 
Stifter der Hochschule und die Stiftung erflehte. Als er geendigt hatte, er- 
griff der zwanzigjährige Prinz Ludwig das Wort, um ebenfalls in lateinischer 
Sprache für die Begrüßung zu danken. Nach Entgegennahme des Hand- 
kusses von Professoren und Studenten zogen sich die Prinzen zurück. 

Am folgenden Morgen in der Frühe versammelten sich die Vornehmen 
und der Adel im Schlosse, die Glieder des Lehrkörpers — noch waren es 
nicht mehr als elf an der Zahl — , die Geistlichkeit und die Vertreter der 
Städte im Collegium Ludovicianum. Diese letztere Gruppe begab sich zunächst, 
wie es scheint, in Wagen durch das Spalier der Musketiere zur Pankra- 
tiuskirche, voraus der designierte Rektor Feurborn ; bald folgten die Prinzen, 
dahinter das Gefolge und der Adel. Junge Adlige trugen das Privilegium 
Kaiser Rudolfs, die Statuten der Universität, die Matrikel, die Siegel, die 
Dekanatsbücher auf purpurnen Kissen. 

Als alle in der Kirche die Plätze eingenommen hatten und in dem nicht 
reservierten Gestühl die Menge des Volkes sich drängte, begann die gottes- 
dienstliche Feier mit dem Gesang des althessischen Eröffnungsliedes „Komm, 
heiliger Geist". Dann hielt Peter Haberkorn, Superintendent von Gießen 
und jetzt auch Professor der Theologie, die Festpredigt über Luk. 7, 4 — 6, 
die Fürbitte der Ältesten für den Hauptmann zu Kapernaum, der dem Volke 
eine Schule erbaut hatte. Seine Predigt klang in ein Gebet für die neuer- 
öffnete Hochschule aus. Das Te Deum laudamus leitete zu dem akade- 
mischen Akt über. Wir können es wohl verstehen, wenn der Bericht- 
erstatter über das Fest, Professor Tack, dessen Ausführungen wir hier folgen, 
es erwähnt, daß in manchem Auge Freudentränen standen. Nicht nur die 
Wiederherstellung der Universität zog der festlichen Menge durchs Gemüt; 
die Erinnerung an die dreißig Jahre voll Angst, Unheil und Blut gab dem 
Feste eine höhere Bedeutung, die eines Friedensfestes: Das darmstädtische 
Oberhessen feierte die Beendigung jener Unglücksperiode, das Ende auch des 
unheilvollen hessischen Erbfolgestreites, und mit der Wiedereröffnung der 
Universität verband sich die Hoffnung, daß die vom Kriege geschlagenen 
Wunden jetzt verheilen würden. 

Als die letzten Töne des Te Deum verklungen waren, trat der Darm- 
städter Kanzler Fabricius vor, um im Namen des Landesherrn die lateinische 
Eröffnungsrede zu halten. Er erinnerte an das Heil, das dem Vaterlande 
und der ganzen Christenheit von einer Schule wahrer Frömmigkeit komme, 
an die Fürsten, die sich seit dem Altertum durch die Gründung von Schulen 
unsterblich gemacht haben, um die Verdienste der Hessenfürsten Philipp, 
Ludwig und Georg ins rechte Licht zu setzen. Nachdem er durch einen 

13« 



?62 Fünfter Abschnitt. 

Beamten das akademische Privileg Kaiser Rudolfs hatte verlesen und die 
Unversehrtheit der Urkunde und des großen kaiserlichen Siegels der Menge 
hatte zeigen lassen, ergriff er wieder das Wort, um den alten Feurborn, 
den einzigen unter den Anwesenden, der schon in der alten Gießener Uni- 
versität ein Lehramt innegehabt, zum Rektor zu erklären. Feierlich über- 
reichte er ihm die bekannten Symbole der Rektoratsgewält. Endlich prokla- 
mierte Fabricius noch den Kanzler der Regierung zu Gießen, Professor Sinold, 
zum Kanzler der Universität. 

Rektor Feurborn, der jetzt das Wort nahm, lobte Gott, ehrte das 
Andenken Kaiser Rudolfs und Landgraf Ludwigs des Stifters, dankte dem 
Wiederhersteller Landgrafen Georg, sodann auch seinen Söhnen, dem Er- 
bacher Grafen, den Beamten, Landständen, der Geistlichkeit für ihre Teil- 
nahme an der Feier. Sodann ermahnte er die Studentenschaft zur Dis- 
ziplin, besonders in bezug auf den Pennalismus, und schloß mit dem 
Wunsche, daß Christus durch seinen heiligen Geist das angefangene Werk 
segnen möge. 

Unter den Klängen des 150. Psalms verließ man dann die Kirche und 
begab sich in feierlichem Aufzug nach dem Kolleggebäude; die Pedellen 
trugen vor dem Rektor die Insignien seines Amtes. Bei dem Festessen im 
Collegium philosophicum, das den Rest des Tages füllte, kam auch die Stu- 
dentenschaft zu Worte, indem ihr Vertreter, cand. jur. Christoph Sinold, ge- 
nannt Schütz, aus Butzbach, ein Verwandter des Kanzlers, dem Fürsten 
dankte und die Hochschule beglückwünschte. 

Viele Carmina gratulatoria 818 , die an den Kirchtüren angeschlagen 
wurden, zeigten die freudige Erregung, die durch die Wiedereröffnung der 
alten Gießener Universität allenthalben herrschte, und der cand. jur. Job, 
Just Winckelmann, der spätere Chronist, Sohn des Theologen, verfertigte zur 
Feier des Tages einen Stammbaum, in dem alle Stifter deutscher Univer- 
sitäten in Abstammung von Rudolf von Habsburg vorkamen. 

Der zweite Tag brachte die Festpromotionen. Drei Kandidaten, die in 
Marburg Lic. jur. geworden waren, und ein Lic. med. hatten sich zur Doktor- 
promotion gemeldet. Zwei von den Juristen und der Mediziner waren Pro- 
fessoren der neueröffneten Hochschule. Die feierliche Promotion wurde be- 
sonders denkwürdig dadurch, daß die Promotoren vom Prinzen Ludwig 
unmittelbar, anstatt wie sonst vom TJniversitätskanzler, die potestas promo- 
vendi erhielten. Eine kirchliche Feier und ein Festmahl schloß auch diesen 
Tag; hieran nahmen wieder die Prinzen teil 314 . 

315 Nicht alle ohne Spitze gegen Darmstadt, z. B. Tack, 179 f.: 

„Frewe dich, Gissen, die Göttinnen kommen, 
Haben hierhero den Weg schon genommen, 
Wollen hier schwesterlich wohnen und seyn, 
Lieber als droben, nicht ferne vom Mayn". 

814 Schreiben der Prinzen an ihren Vater, 1650 Mai 6 (Or. UAG, S. I, 3): „... 



Marburg im Hessenkrieg und die Wiedereröffnung der Landesuniversität zu Gießen. 363 

In den nächsten Wochen begannen die Professoren mit feierlichen In- 
auguralreden ihre Lehrtätigkeit. Auch das Pädagog wurde alsbald eröffnet 315 . 

Bald gewöhnte sich die Universität wieder im alten Gießen ein ; die 
Frequenz an Studenten stieg, und fürsorglich wurden im Herbst ihre Woh- 
nungen durch eine gemischte Kommission geschätzt, um Oberteuerung zu 
vermeiden 816 . Auch eine Kontrolle der Tischgesellschaften scheint man ein- 
geführt zu haben, wie die erhaltenen Verzeichnisse zeigen 817 . 

Die Besetzung der noch vakanten Professuren bildete nach wie vor die 
Sorge der Regierung und der Universität. Mentzer kam zwar erst im folgen- 
den Jahre als Professor theologiae; in diesem Herbste wurde jedoch ein 
Professor eloquentiae angestellt, Joh. Helwig Sinold, genannt Schütz, der Sohn 
des Kanzlers. Und so dauert es nur noch wenige Jahre, bis alle Lücken ge- 
schlossen sind und die Universität zu Gießen ihre Wirksamkeit auf allen Ge- 
bieten der Wissenschaft entfaltet. 



Wir haben die Landesuniversität begleitet auf dem fast fünfzigjährigen 
Wege einer sprunghaften, von Schwierigkeiten aller Art angefüllten Ent- 
wicklung. Von jetzt ab gleitet das Schiff der Hochschule leichter dahin, 
nicht mehr behindert von politischen und kriegerischen Einwirkungen. Erst 
seit 1650 kann man von einem normalen Verlauf der Universitätsgeschichte 
Gießens reden. 

Aber noch auf lange hinaus liegen die Folgen des Krieges drückend auf 
der Universität. Der Geldmangel, der sich schon in der letzten Periode so stark 
bemerkbar macht, dauert an; noch nach Jahrzehnten sind die Gehaltsrück- 
stände aus der Marburger Zeit nicht getilgt. Die Frequenz in der Folgezeit ist 
nicht sehr bedeutend ; einen größeren Bestandteil als früher unter der Studen- 
tenschaft bilden jetzt die Landeskinder. Der Kampf gegen Pennalismus und 
Duellunfug, der damals alle Universitäten beschäftigte, wirkte lähmend auf 
die wissenschaftliche Tätigkeit. Trotz aller Fürsorge der Landesfürsten, die 
sich oft bis ins peinliche und kleinliche erstreckt, kann von einem wirklichen 
Aufschwung der Universität für die nächste Zeit noch nicht die Rede sein. 
Doch bald nachher tritt ein neuer Faktor ins Leben der Hochschule; die pie- 
tistische Bewegung bewirkt eine Scheidung der Geister, und nicht nur in der 
Theologie, sondern auf allen Gebieten. Weniger als früher steht jetzt die 



und seind wir eben jetzo bey dem prandio promotoriali begriffen, also daß wir dannen- 
hero verhindert worden, bey ew. gn. mit eigenhändiger schrift vor dießmahl unsere söhn- 
Hchc Schuldigkeit abzulegen". Sogar zur Unterschrift fand Prinz Georg nicht Zeit. 
515 Vgl. Schädel, Beiträge, 23. 

816 Das erhaltene Verzeichnis (v. 13., 18. u. 20. Sept. 1650, UAG, S. I, 4) gibt 
die Taxe von weit über hundert Studenten Wohnungen; wir sehen, daß die meisten aus 
Stube und Kammer bestehen. Der Durchschnittspreis ist 4 Reichstaler fürs Semester. 

817 Sechs Verzeichnisse a. a. O. 



j6i 



Fünfter Abschnitt. 



theologische Fakultät im Vordergrund ; neben den Juristen zeigt auch die 
medizinische Fakultät lebhafte Entwicklung, getragen von bedeutenden Ver- 
tretern. Denn auch hier wie namentlich in der philosophischen Fakultät hat 
man die alten Bahnen scholastischer Überlieferung verlassen und neue natur- 
wissenschaftlich-philosophische Gebiete betreten. So beschreitet die Univer- 
sität in der Folge immer entschiedener den Weg nach einem neuen Zeitalter, 
dem Zeitalter der freien Forschung. 




Verlag von Alfred Topelmann vormals J. Ricker in Gießen. 



Die Universität Gießen 

von 1607 bis 1907. 

Beiträge zu ihrer Geschichte. 

Festschrift zur dritten Jahrhundertfeier 

herausgegeben von der Universität Gießen. 

Zwei Bflndi iten mit 22 Tafeln and 2S TexubbiMongci). 

i- ■.■■' .■'■■.'. 2; Mk., elegante Leinenb^idc ja Mk. 

In echt Pergament gcbanAm 54 Mk. 



Sonderausgaben Her Festschrift: 

Das erste halbe Jahrhundert der hessen- darmstädtischen Landes- 
universität von Dr. Wilhelm Mailin Becker, Oberlehrer m Damutatb. 
mit I] Tafeln und ia Teülabb. Mk. 12 -. 

Chronik der Universität Gießen von 1607 bis 1907. 

Dr. Georg Lehnen bearbeite) und im Auftrag« der Landesuniversirit in 1 ausgegeben von 
Prof. Dr, Herman Haupt. Direktor der Univenitärabibltoihek Gießen, tA Sehe 
6 TeDHibb. Mk. ;.-. 
Geschichte der Gieflener Stipendiatenanstalt von ihrer Grand 

bis xuni Abschluß der Reformen des Ministers von Moser 1780 von D. Dr. Wilhelm 

Diehl. Pfarrer in Hirschhorn a N. ip Seilen mit ; Tafeln um! 2 Testabb. Mk 4.— . 
Die Anfänge des Pietismus in Gießen 1689 bis 1695 von Lic Dr. waither 

Köhler, a. o. Prof, der Theologie an der Ln.vL-riit.it Gießen, in Selten mit i Tafel 

und 1 Tembb. Mk. ; -. 
Der wissenschaftliche Betrieb der praktischen Theologie in der 

theologischen Fakultät ZU Gießen von D. Paul Drews, o. Prof. der Theo- 
logie .m der Uiiiversii.il GkIVn. .|N Seitin mit i Tafel und i Tesubb, Mk. i ._j c. 
Christoph Helwjg (Helvicus) als Didaktiker (160, bis 1617) von D, ü 

Herman Siebeck. o. Prof. der Philosophie nn der LnUeriii.it Gießen. ;6 Seiten n 

1 Tafel und 1 Testabb. Mi.. 1.- . 

Zur Geschichte des neusprachlichen Unterrichts an der Universität 
Gießen von Dr. Dietrich Behrens, o, Prof. der neueren Sprachen an der Universität 
Cid.en. 28 Seiten mii | Texwbb. Mk. -.So. 

Einleitung in die Geschichte der medizinischen Fakultät von Dr med. 

Julius Geppert, o. Prof. der Medizin an der Universität Gießen. Mk.^.50. 
AUS Briefen JustUS VOn LieblgS von Dr. Kurt Brand. PrivaldoietH an der Uni- 

vershät Gießen, iti Seiten und ; Tesubb, Mk. -.80. 
Die Pokale und Szepter der Universität Gießen von Dr Bruno j 

o. Prof. der Kunstwissenschaft .111 der Universität Giemen. 22 Seilen mit 1 Tafe 

2 Texl.il.l-. Mk, - 80. 




LF 2063 B44 1907 ^^ C.1 



3 6105 039 101 261 




DATE DUE 



































































































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